I ta l I a n I s m e n u n d P s e u d o I ta l I a n I s...

15
ITALIANISMEN UND PSEUDOITALIANISMEN IN DER GASTRONOMISCHEN UND KOMMER- ZIELLEN ÖFFENTLICHKEIT WIENS KARL ILLE MEHRSPRACHIGE BESETZUNG DES öFFENTLICHEN RAUMS In einem interessanten und innovativen Ansatz versucht die Mehr- sprachigkeitsforschung seit wenigen Jahren, den sprachlich besetzten öffentlichen Raum als „linguistic landscape“ zu erfassen, in dem sich die in Kontakt befindlichen Sprachen ihren Einflussmöglichkeiten und ihrer Zulassung entsprechend positionieren. Mit diesem Ansatz geraten bisher weitgehend vernachlässigte Bereiche semiotischer Steuerung wie Straßenschilder, Gebäudeaufschriften, Werbetafeln oder Geschäfts- und Lokalbenennungen zunehmend in das Blickfeld auch der Sprachwissenschaft (vgl. Gorter 2006: 3ff; Landry/Bourhis 1997: 25f). Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Besetzungen des öffentlichen Raums durch Sprachmuster und Kommunikate unter- schiedlicher Sprachen von offizieller Seite (im konkreten Fall seitens der Kommunalverwaltung) „von oben“ über den Einsatz von „top-down signs“ erfolgt, oder ob es sich um eine Raumbelegung mit Zeichen han- delt, die als sogenannte „bottom-up signs“ (Gorter 1997: 5ff) quasi „von unten“ und von nicht offizieller Seite (im konkreten Fall meist seitens privater Wirtschaftstreibender) angebracht werden. Im Unterschied zu den Benennungen öffentlicher Verkehrsflächen (Mikrotoponymie) oder öffentlicher Gebäude durch die zuständigen kommunalen, regionalen oder staatlichen Instanzen unterliegen die Benennungen und Sprach- verwendungen im gastronomischen und kommerziellen Segment der öffentlichkeit, die hier zu untersuchen sind, nur einer eingeschränkten Kontrolle und einer weit geringeren Abhängigkeit von konkreten poli- tischen Herrschaftsverhältnissen. Motiviert wird die Sprachenwahl in

Transcript of I ta l I a n I s m e n u n d P s e u d o I ta l I a n I s...

I t a l I a n I s m e n u n d P s e u d o I t a l I a n I s m e n

I n d e r g a s t r o n o m I s c h e n u n d k o m m e r -

z I e l l e n Ö f f e n t l I c h k e I t W I e n s

K a r l I l l e

M e h r s p r a c h I g e B e s e t z u n g

d e s ö f f e n t l I c h e n r a u M s

In einem interessanten und innovativen ansatz versucht die Mehr-sprachigkeitsforschung seit wenigen Jahren, den sprachlich besetzten öffentlichen raum als „linguistic landscape“ zu erfassen, in dem sich die in Kontakt befindlichen sprachen ihren einflussmöglichkeiten und ihrer zulassung entsprechend positionieren. Mit diesem ansatz geraten bisher weitgehend vernachlässigte Bereiche semiotischer steuerung wie straßenschilder, gebäudeaufschriften, Werbetafeln oder geschäfts- und lokalbenennungen zunehmend in das Blickfeld auch der sprachwissenschaft (vgl. gorter 2006: 3ff; landry/Bourhis 1997: 25f). nicht unerheblich ist in diesem zusammenhang, ob die Besetzungen des öffentlichen raums durch sprachmuster und Kommunikate unter-schiedlicher sprachen von offizieller seite (im konkreten fall seitens der Kommunalverwaltung) „von oben“ über den einsatz von „top-down signs“ erfolgt, oder ob es sich um eine raumbelegung mit zeichen han-delt, die als sogenannte „bottom-up signs“ (gorter 1997: 5ff) quasi „von unten“ und von nicht offizieller seite (im konkreten fall meist seitens privater Wirtschaftstreibender) angebracht werden. Im unterschied zu den Benennungen öffentlicher Verkehrsflächen (Mikrotoponymie) oder öffentlicher gebäude durch die zuständigen kommunalen, regionalen oder staatlichen Instanzen unterliegen die Benennungen und sprach-verwendungen im gastronomischen und kommerziellen segment der öffentlichkeit, die hier zu untersuchen sind, nur einer eingeschränkten Kontrolle und einer weit geringeren abhängigkeit von konkreten poli-tischen herrschaftsverhältnissen. Motiviert wird die sprachenwahl in

112 Karl Ille

diesem Kontext nicht nur von ökonomischen Machtverhältnissen, son-dern auch von allgemeinen zugangs- und prestigefragen der zur auswahl stehenden sprachen sowie von ganzen Bündeln verkaufsstrategischer faktoren, die für die einzelnen Wirtschaftsbereiche eigens definiert werden müssen. unter den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen rah-menbedingungen spielt auch hier die frage eine zentrale rolle, inwieweit die eingesetzte sprache geeignet ist, das „gebrauchswertversprechen“ hinsichtlich der angebotenen dienstleistung oder des Verkaufsobjekts dadurch glaubhafter erscheinen zu lassen, dass dieses auch in die optimale form mit entsprechendem prestigetransfer gebracht wurde. Vor dem hintergrund dieser richtigen „formentscheidung“ erhalten auch sprachen, die sich auf keine netzwerke politischer Macht stützen können, sondern nur über ein prestige verfügen, das diese einer hege-monialen stellung in wirtschaftlichen und kulturellen teilbereichen verdanken, neue chancen in der raumzuteilung der gegenständlichen „linguistic landscape“.

die italienische sprache kann in diesem zusammenhang als klas-sischer fall einer positionsneubestimmung einer sprache im öffent-lichen raum aufgrund traditionell vermittelter sympathiewerte sowie eines rezenten prestigezuwachses in konkreten Wirtschaftsbereichen betrachtet werden. In der österreichischen Metropole, in der sich das Italienische in Werbezusammenhängen in der vorteilhaften lage befin-det, in vielen Bereichen eine von keiner anderen sprache vergleichbar vertretbare „funzione elativa o nobilitante“ (grassi 1987: 159) zu erfül-len, ist dieser umstand besonders gut rekonstruierbar. corrado grassi, der sich seit langem mit diesem phänomen sowie den pseudoitalianis-men in der Wirtschaftskommunikation beschäftigt, hat mehrere der hier dargestellten aspekte angerecht und in ausführlichen diskussionen mit dem autor vertieft. Ihm ist an dieser stelle ausdrücklich zu danken. ungeachtet des gesellschaftlichen faktums, dass der anteil der itali-enischen Bevölkerungsgruppe nach schätzungen bis zu einem anteil von 10 prozent im 17. Jahrhundert auf einen heutigen anteil von unter 0,30 prozent zurückgegangen ist (statistik austria 2007), konnte sich die italienische sprache in Wien nicht nur einen weitaus höheren anteil an der „linguistic landscape“ sichern, als dies aufgrund der aktuellen stärke dieser Bevölkerungsgruppe zu erwarten wäre, sondern auch ihre position im Bereich öffentlicher schriftlichkeit in den letzten Jahren entscheidend ausbauen. auf diese Besonderheit wird am Beginn der folgenden Überlegungen nochmals zurückzukommen sein.

113Italianismen und Pseudoitalianismen

I t a l I e n I s c h e a n t e I l e a n g a s t r o n o M I e

u n d h a n d e l

Jede nähere auseinandersetzung mit der geschichte der italienischen Immigration nach Wien kann rasch zeigen, dass diese in der habs-burgermonarchie lange zeit von einer den angeboten im Kunst- und Wissenschaftsbereich entsprechenden elitenmigration determiniert wurde und sich demgegenüber populare formen der einwanderung oder des saisonalen aufenthalts teilweise selbst in abhängigkeit zur genannten elitenimmigration entwickelt haben. so sind etwa stukka-teure und Maurer den italienischen hofarchitekten und hofbildhauern gefolgt (opll 1987: 4) und konnten die italienischen handwerker und Wanderhändler eine Metropole aufsuchen, in der sich die italienische sprache bereits am Wiener hof eine anerkannte position verschafft hatte und daher über ein hohes prestige verfügte. sie konnten in ihrem arbeitsumfeld vielfach die aus ihren herkunftsregionen mitgebrachten italoromanischen Varietäten weiterverwenden. freilich können die pre-stigewerte dieser sprachverwendung nicht direkt auf die italienischen und friaulischen Varietäten im akustischen straßenbild Wiens des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts übertragen werden, das von offert-rufen der scherenschleifer, der Wanderhändler, „figurini“ (gipsfiguren-verkäufer), der „Mandoletti“-Krämer und friaulischen salamiverkäufer („salamutschi“) geprägt war (John/lichtblau 1990:54). die offertrufe haben hierbei offenkundig auch die hörbilder für die österreichische Besonderheit in den transferenzprozessen geliefert, die darin besteht, auch die singularformen einzelner produktbezeichnungen mit einem generalisierten i-suffix des offertrufes mit pluralreferenz zu überneh-men (eine Melanzani, eine Maroni (sedlacek 2004: 246, 240) oder sogar eine Meloni (Jakob 1929/1980: 120). auf der ebene konzeptueller und realisierter Mündlichkeit traten hier Varietäten in Kontakt, die deut-lich diatopisch markiert blieben (vgl. die oberitalienisch beeinflussten formen des altwienerischen Amant oder Strazzensammler [schuster 21985: 20, 185], deren silbenstruktur und affrikatenbildung deutliche hinweise geben) und teilweise sogar dialektale elemente in die offert-rufe einzubinden wussten. dies kommt etwa in dem belegten offertruf „salamini, da bin i!“ zum ausdruck, den Jakob in seiner dokumentation festhalten konnte (Jakob 1929/1980: 151). Vergleichbare Kommunika-tionspraxen, die den vergangenen Varietätenkontakt prägten und nur im Kontext damals mündlicher Werbe-erfordernisse erklärbar bleiben, sind heute nicht mehr beobachtbar und werden durch eine das Italie-nische betreffende neue präsenz konzeptueller und realisierter schrift-

114 Karl Ille

lichkeit in der Wiener öffentlichkeit abgelöst. zur etablierung dieser neuen italienischen schriftlichkeit tragen die Werbetafeln und die vor den restaurationsbetrieben ausgestellten speisekarten wesentlich bei. daher wird auf sie an anderer stelle genauer einzugehen sein.

In dieser arbeit kann die genaue geschichte der etablierung der italienischen Kaffehäuser, eissalons, feinkostgeschäfte und schließlich der heute überaus zahlreichen italienischen restaurants, pizzerien, Bekleidungs-, leder- und schuhmodegeschäfte nicht nachgezeichnet werden. Interessante details zur geschichte der italienischen Kaf-feehauskultur in Wien sind den darstellungen von luisa ricaldone (ricaldone 1986: 141f), zu jener der eissalons der arbeit von olivia lichtscheidl (lichtscheidl 1995) und zu neuesten entwicklungen der restaurationsbetriebe am besten den aktuellen ausführungen von frederike demattio (demattio 2006: 99ff) zu entnehmen. einige ita-lienische geschäfte und eissalons, so etwa die 1856 von der triestiner familie piccini gegründete delikatessenhandlung Piccini (linke Wi-enzeile) oder der 1906 gegründete eissalon Alberti (praterstraße), der traditionsgetreu immer noch die heute antiquiert wirkende aufschrift „gefrorenes salon seit 1906“ trägt, können auf eine bereits über hundert Jahre hinweg aufrechterhaltene tradition zurückblicken. nach ganz wenigen einrichtungen seit den 50er Jahren, so etwa des Ristorante

gelateria facincani zanoni, Währinger gürtel. alle fotos: K. Ille

115Italianismen und Pseudoitalianismen

alimentari paninoteca Bologna, Börsegasse

italiano Grotta Azzurra in seinem gründungsjahr 1956 (demattio 2006: 99), und einer deutlichen Verstärkung in den 90er Jahren hat sich heute ein dichtes netz italienischer Ristoranti und Pizzerie über Wien gelegt, von denen allerdings viele gar keine italienische geschäftsführung auf-weisen. rezentere einrichtungen sind die heute auch in Wien vereinzelt anzutreffenden Paninoteche, die oft andere geschäftseinrichtungen (Alimentari Paninoteca Bologna) ergänzen.

eine Besonderheit der situierung der italienischen restaurationsbe-triebe und Modegeschäfte in der österreichischen Metropole ist deren auffällige Konzentration in der Wiener Innenstadt. gewissermaßen „im zentrum des zentrums“, auf einer fläche von unter einem km2, die von hofburg und oper, der linie Kohlmarkt-tuchlauben, dem hohen Markt und der linie rotenturmstraße-Kärntnerstraße eingegrenzt wird, befinden sich heute über 25 italienisch benannte restaurationsbetriebe und geschäfte. zu diesen zählen beispielsweise die restaurationsbe-triebe L’asino che ride, Cantinetta Antinori, Casa Romana, Da Gennaro, Dai Fratelli, Il Melograno, Novelli, Vino e cucina Leopoldo Procacci oder etwa der Barbetrieb caffè-bar di Dario Trucco. International erfolg-reiche Modeunternehmen wie Gucci oder Furla werden ergänzt durch renommierte schuhmodegeschäfte wie Le scarpe SOLO oder Cesare d’Ambrosio das geschäft des erzeugers maßgeschneiderter hemden

116 Karl Ille

Modeunternehmen furla, goldschmiedgasse

ristorante pizzeria l‘asino che ride, augustinerstraße

117Italianismen und Pseudoitalianismen

Gino Venturini oder einer Maßschneiderei, die sich einfach Questo e quello (Bräunerstraße) nennt. die angesprochene Konzentration in der Innenstadt kommt den beobachtbaren Verkaufsstrategien zugute, die sich einerseits an ein kaufkräftiges Wiener publikum mit bevorzugter Italienerfahrung wendet, andererseits aber auch an die zahlreichen gleichfalls kaufkräftigen italienischen touristinnen und touristen, die insbesondere in den reisezeiten die Wiener Innenstadt bevölkern. darü-ber hinaus kann die öffentliche Italianisierung von teilen des zentrums aber auch als ein angebot an die in Wien lebenden Italienerinnen und Italiener verstanden werden, ihre sprache im Kontext dieser unüber-sehbaren öffentlichen positionierung in der österreichischen Metropole selbst zu verwenden und damit einer prestigeträchtigen kulturellen Begegnung jenseits kommerzieller Interessen zu dienen.

eine empfindliche störung dieses angebots stellt allerdings die Beanspruchung der italienischen sprache zu rein kommerziellen zwecken seitens von geschäftsleuten dar, die weder italienischer her-kunft sind, noch über einen näheren zugang zur italienischen Kultur verfügen, noch die sprache selbst beherrschen. zahlreiche interna-tionale netzwerke beanspruchen mittlerweile auch die italienische fahne für ihre nur nominell als Ristoranti italiani geführten oder Ita-lienisches Eis vertreibenden einrichtungen, die nicht einmal über das

schuhmodegeschäft cesare d’ambrosio, Bauernmarkt

118 Karl Ille

entsprechende kulturspezifische Wissen, eine italienische Küche oder ein italienisches personal verfügen. die italienischen eisverkäufer in Wien haben sich zum schutz vor dem genannten Missbrauch bereits 1927 vereinsrechtlich zur a.g.I.a. (associazione gelatieri Italiani in austria) zusammengeschlossen und ein nur von Vereinsmitgliedern beanspruchbares logo entwickelt, in dem die garantieerklärung, die „Vereinigung der italienischen gefrorenes-erzeuger in österreich bürgt für original italienisches eis“ (a.g.I.a. 2009) versprachlicht wurde. da die Versuche, schlechte Imitationen als italienische originale vorzuge-ben, in verschiedensten Bereichen zugenommen haben und der nach-weis authentischer Italianität in der gastronomie und geschäftswelt geradezu teil des gebrauchswertversprechens geworden ist, gibt es auch eine Verdichtung der semiotischen Bemühungen, die italienische originalität auf verschiedenen Kommunikationsebenen zu vermitteln. diese bestehen neben der intensiven nutzung der italienischen trikolore auf emblemen und Marken auch in einer Verdichtung der italienischen anteile an unternehmensbenennungen, die sprachlich weitere nationale symbole evozieren (Grotta Azzurra, Babenbergerstraße) oder auch in direkten italienischen referenzen über eine exklusive Inanspruchnahme italienischer ortsnamen (toponyme) und personennamen (anthropo-nyme) ein Mehr an Italianität verspricht. so findet sich der italienische charakter von Ristoranti und Pizzerie in Wien beispielsweise mit hilfe der toponyme Firenze, Venezia oder Caorle semiotisch abgesichert. sehr oft bürgen die restaurationsbetreiber mit ihren italienischen Vor- oder gar Kosenamen für die authentizität ihrer lokale, deren appellativische Benennung in präpositionaler erweiterung spezifiziert wird und zu syntagmen wie Pizzeria Ristorante da Gennaro (Bräunerstraße), Osteria Pronto da Vitti (spiegelgasse) oder Ristorante al Caminetto da Mario (Krugerstraße) führt. Bei referenzen auf die jeweilige ausstattung der restaurationsbetriebe wird etwa auch das Vorhandensein eines echten italienischen pizza-holzofens in italienischer sprache angekündigt und bemüht in diesem fall das syntagma Forno e legna (dorotheergasse), dem die eignung zur auslösung der entsprechenden positiven Konno-tationen zuerkannt wird. sehr oft verbinden die in Wien anzutreffenden gastronomischen einrichtungen verschiedene lokaltypen mit einem Barbetrieb und manchmal sogar einem delikatessenvertrieb, was in dieser Kombination wiederum einen teil der angestrebten Verdichtung der Italianität zu tilgen imstande ist. Kombinationen, die in Italien kaum anzutreffen sind wie etwa Alimentari, Bar, Ristorante La Paste-ria könnte als Beispiel hierfür herangezogen werden. die intensiven Bemühungen um eine entsprechende sprachliche absicherung der zu

119Italianismen und Pseudoitalianismen

ristorante al caminetto da Mario, Krugerstraße

la pasteria, servitengasse

120 Karl Ille

vermittelnden Italianität werden durch andere strategien von nichtita-lienern konterkariert, die zwar gleichfalls Italianismen zur Benennung ihrer Betriebe verwenden, diese aber unter Verletzung pragmatischer regeln kombinieren. so fanden und finden sich dann in relativer zen-trumsferne restaurationsbenennungen wie Ristorante Appetito (grassi 1987: 165) pizzabetriebe wie die Pizzeria Camorra (Johnstraße) oder die Pizzeria Mafiosi (reindorfgasse), deren Benennungen in Italien kaum erfolgreich wären. andererseits gibt es nach wie vor jene gruppe von Verkaufsstrategen nicht-italienischer herkunft, die ihre produkte unter Beanspruchung sogenannter pseudoitalianismen zu verkaufen suchen. diesem phänomen soll nun in den folgenden Überlegungen nachgegangen werden.

p s e u d o I t a l I a n I s M e n u n d I h r

V e r K a u f s s t r a t e g I s c h e r h I n t e r g r u n d

Vor dem hintergrund, dass sich auch in Wien viele Verkaufsstrategien mehr dem formalen schein als dem sein verschrieben haben und die evokation der Italianität in zahlreichen produktbereichen verkaufs- und absatzsteigernd wirkt, ist auch in der österreichischen Metropole der Versuch beobachtbar, die italienische sprache über pseudoitalie-nische Kunstformen oder gezielte hybridbildungen (Verbindungen von deutscher und italienischer Morphologie) in den dienst des Marktes zu stellen. friederike schmöe hat in deutschland zahlreiche deutsch-italienische hybridbildungen wie etwa Blumetta, Nussini oder Sockina

hairstyling „gruppa l’ultima“, Köllnerhofgasse

121Italianismen und Pseudoitalianismen

(schmöe 1998: 270ff) gefunden, die deutsche lexikalische Morpheme mit italienischen derivations- und flexionsmorphemen kombiniert haben. auch in Wien konnten solche Kombinationsergebnisse gefun-den werden, so etwa das Beispiel der firmenbenennung „transpor-tissimo“ (grassi 1987: 162), dessen elative funktion nicht verborgen bleiben kann. einer der interessantesten Belege wird aber durch das pseudoitalienische syntagma „gruppa l’ultima“ (grassi 1987: 166) gebildet, das aus einem italienischen Maskulinum „gruppo“ offen-kundig unter referenz auf die deutschen genus-Verhältnisse ein der italienischen standardnorm widersprechendes femininum „gruppa“ abgeleitet hat. auch hier geht es freilich nicht um die durchführung eines normadäquaten experiments, sondern um die frage, wie auch eine kreativ gebildete Kunstform die gewünschte Italianität evozieren und die mit ihr verbundenen Konnotationen aktivieren und eventuelle assoziationen zu stilistischer Qualität und exklusivität auslösen kann. Inzwischen hat sich die Bezeichnung erfolgreich etabliert und ist aus dem Markeninventar kreativen haarstylings nicht mehr wegzudenken. die gefundenen Beispiele für pseudoitalianismen können belegen, dass der meist besonderer Kreativität zuzuschreibende kommerzielle und gastronomische erfolg italienischer unternehmerinnen und unterneh-mer längst auf die italienische sprache übertragen wird und diese in die lage versetzt, allein über die konnotative Besetzung ihrer formen eine Qualitätserwartung zu provozieren, die so verkaufsstrategisch vorbereitet und genutzt erscheint.

I t a l I e n I s c h , d e u t s c h u n d e I n W e n I g

e n g l I s c h

eine nähere auseinandersetzung mit der italienischen sprache in der öffentlichkeit des vorerst umrissenen italianisierten zentrums der Wiener Innenstadt zeigt rasch, dass diese in den meisten fällen ihres schriftlichen auftretens von einer deutschsprachigen, in weni-gen fällen auch von einer englischsprachigen Übersetzung begleitet wird. nur selten werden lokalbezeichnungen übersetzt, wie dies mit etwas komplexeren syntagma L’asino che ride geschehen ist, das sich mit dem deutschen syntagma Zum lachenden Esel (dorotheergasse) wiedergegeben sieht. Manchmal sind auch die lokalisierungshilfen für das auffinden des restaurationsbetriebes zweisprachig, um offen-kundig auch den italienischen touristinnen und touristen den Weg zu erleichtern. die öffentlich ausgestellten oder ausgehängten speisekarten sind in ihrer Mehrzahl zweisprachig, wobei das Italienische durchwegs

122 Karl Ille

die erstgewählte sprache bleibt und die italienischen Beschreibungen in den folgezeilen meist ins deutsche, seltener ins englische über-setzt erscheinen. auffällig bleibt, dass die zwischenüberschriften der listen wie Zuppe, Antipasti, Primi, Secondi, Carne, Pesce oder Dolci sehr oft nicht mehr übersetzt werden, sondern der zugang zu deren Bedeutung offenkundig von den gästen bereits vorausgesetzt wird. Übersetzungen ins französische waren auf den öffentlich ausgestellten speisekarten nicht zu finden. Wohl aber findet sich die aus dem fran-zösischen stammende transferenz „chef“ in der heutigen Bedeutung von chefkoch immer wieder in den italienischen angeboten, wie etwa die anpreisung einer „crema all’astice dello chef“ (himmelpfortgas-se) beweisen kann. Interessanterweise haben fünf der im umrissenen Viertel gefundenen restaurationsbetriebe ihre öffentlich ausgestellten speisekarten ausschließlich in italienischer sprache abgefasst. Manch-mal durchbrechen die Karten sogar die listenform und formulieren ein Kommunikat mit hilfe mehrerer satzglieder, von denen das letzte wiederum zur listenform zurückführt, wie dies im Beispiel „Il cuoco consiglia lachsfilet bella vista – Branzino alla griglia“ (lichtensteg) der fall ist. für den deutsch-italienischen sprachkontakt in Wien sind die Begegnungen mit der italienischen sprache im stadtzentrum von

pizzeria ristorante Venezia, Kärntner straße: zweisprachige orientierungshilfe

123Italianismen und Pseudoitalianismen

entscheidender Bedeutung. die Verbindung der Wertschätzung der italienischen gastronomie mit der dauerpräsenz italienischer sprach-muster in der österreichischen Metropole hat auch dazu geführt, dass neuere transferenzen aus dem Italienischen ins österreichische deutsch insbesondere im kulinarischen und gastronomischen Bereich (penne, Balsamico, stracciatella) erfolgt sind und diese mittlerweile bereits auch zum aktiv verfügbaren Wortschatz von teilen der Wiener Bevölkerung gehören. In diesem zusammenhang ist nochmals auf die Bedeutung der schriftlichkeit für die Wahrnehmung der jeweiligen Muster zu verweisen. es ist nicht auszuschließen, dass der von sedlaczek beob-achtete zunehmende ersatz der als austriazismus geltenden pluralform „Melanzani“ durch einen dem Italienischen entsprechenden plural „Melanzane“ (selaczek 2004:246) auf den wiederholten Kontakt mit den in italienischer sprache oder zweisprachig verfassten speisekarten in italienischen restaurationsbetrieben zurückzuführen ist. diese aussage erlangt insbesondere vor dem hintergrund geltung, dass es zumindest im zentrum Wiens kaum möglich ist, ein italienisches Ristorante oder eine Pizzeria zu besuchen, ohne mit der italienischsprachigen Version des angebots in der öffentlichkeit sowie auf den speisekarten in den lokalen selbst konfrontiert zu werden.

empfehlung des Kochs: Il cuoco consiglia,

lichtensteg

124 Karl Ille

a u s B l I c K

der präsenz der italienischen sprache in der gastronomischen und kommerziellen öffentlichkeit der österreichischen Metropole kommt insofern eine besondere rolle zu, als diese nicht nur für die in Wien lebenden Italienerinnen und Italiener eine Möglichkeit darstellt, sich weit über die numerische Bedeutung der gruppe hinaus ihrer sprache in selbstbewusster Weise zu bedienen, sondern auch den deutschspra-chigen und anderssprachigen teilen der Wiener Bevölkerung einen vorteilhaften Kontext bietet, mit der genannten gruppe und darüber hinaus mit den zahlreich nach Wien reisenden italienischen touristin-nen und touristen differenzierter zu kommunizieren. das frequenter gewordene anbringen italienisch einsprachiger speisekarten und Werbetafeln in der Wiener Innenstadt ist in diesem Kontext nicht nur als ein banales touristisches angebot zu werten, sondern auch als ein angebot an die Mehrheitsbevölkerung, sich kulinarisch einzuver-leibendes auch kulturell anzueignen. die Besetzung von wichtigen teilen der „linguistic cityscape“ von Wien durch zeichen „von unten“ konstituiert gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur ausbildung einer multikulturellen Identität der österreichischen Metropole. diese raum-belegung ist keinen direkten Machtverhältnissen, sondern der kreativen erreichung hegemonialer positionen zuzuschreiben, die in ausgewähl-ten teilbereichen der gastronomie und des handels erreicht wurden. der vorliegende Beitrag hat zeigen können, dass dem Italienischen in diesbezüglich präzise bestimmbaren teilbereichen ein so hohes prestige zugestanden wird, dass aus verkaufsstrategischen gründen sogar von nichtitalienischer seite versucht wird, dieses prestige für die erreichung eigener Verkaufsziele nutzbar zu machen. hierzu werden immer noch hybridbildungen und andere pseudoitalianismen verwendet, deren hauptaufgabe die evokation einer weiterhin positiv besetzten Italianität im dienste der erreichung eines höheren Markterfolges bleibt. es wird weiteren studien vorbehalten sein, nachzuweisen, ob sich die hier auf-gezeigten entwicklungslinien der ein- und mehrsprachigen Belegung wichtiger segmente des gastronomisch und kommerziell kontrollierten öffentlichen raums durch die Italienerinnen und Italiener in Wien als nachhaltige trends bestätigen lassen, oder ob diese im horizont einer Verschiebung der aktuellen Konfigurationen der in Wien in Kontakt befindlichen sprachen und Kulturen noch umkehrbar sind.

125Italianismen und Pseudoitalianismen

l I t e r a t u r

a.g. I. a. (2009): associazione gelatieri Italiani in austria. http://www.agia.at, 09-03-10

Berruto, gaetano (41999): fondamenti di sociolinguistica. roma/Bari: laterzacampanale, laura (2006): I gelatieri veneti in germania: un’indagine sociolinguistica.

frankfurt am Main: peter langdemattio, frederike (2006): Italienisches Wien. Wien: Metro-Verlagebner, Jakob (21980): Wie sagt man in österreich?: Wörterbuch der österreichischen

Besonderheiten. Mannheim/Wien/zürich: Bibliographisches Institutgorter, durk (2006): the study of the linguistic landscape as a new approach to

Multilingualism. In: International Journal of Multilingualism 3/1: 1–6grassi, corrado (1987): la componente italiana nel linguaggio tedesco della pubblicità.

In: dressler, Wolfgang u./grassi, corrado/rindler-schjerve, rosita/stegu, Martin, hg.: parallela 3: linguistica contrastiva/linguaggi settoriali/sintassi generativa. atti del 4° incontro italo-austriaco dei linguisti a Vienna 15–18 settembre 1986. tübingen: gunter narr: 159–172

Jacob, Julius (1929/1980): Wörterbuch des Wiener dialektes mit einer kurzgefaßten grammatik. nachdruck. dortmund: harenberg Kommunikation

John, Michael/lichtblau, albert, hg. (1990): schmelztiegel Wien – einst und jetzt: zur geschichte und gegenwart von zuwanderung und Minderheiten. Wien/Köln: Böhlau

Kowar, herbert (1988): fremdsein – daheimsein in Wien: Italiener in Wien. Wien: selbstverlag

landry, rodrigue/Bourhis, richard.Y. (1997): linguistic landscape and ethnolinguistic vitality: an empirical study. In: Journal of language and social psychology 16: 23–49

lichtscheidl, olivia (1995): ‚Il gelato artigianale‘: ein Beitrag zu geschichte und ge-genwart der italienischen eisverkäufer in Wien. dipl.-arbeit, universität Wien

opll, ferdinand (1987): Italiener in Wien. In. Wiener geschichtsblätter, Beiheft 3: 3–12

ricaldone, luisa (1986): Italienisches Wien. aus dem italienischen Manuskript über-tragen von peter pawlowsky. Wien/München: herold

schmöe, friederike (1998): Italianismen im gegenwartsdeutschen unter besonderer Berücksichtigung der entlehnungen nach 1950. phil. dissertation universität Bamberg

schuster, Mauriz (21985): alt-Wienerisch. ein Wörterbuch veraltender und veralteter Wiener ausdrücke und redensarten. Wien: österreichischer Bundesverlag

sedlaczek, robert (2004): das österreichische deutsch. Wien: Verlag carl ueberreu-ter

statistik austria (2007): Bevölkerung 1971 bis 2001 nach ausgewählter staatsan-gehörigkeit und Bundesländern. http://www.statistik.at/web_de/static/bevoelke-rung_1971_bis_2001_nach_ausgewaehlter_staatsangehoerigkeit_und_bun_022887.pdf, 07-09-20

Wandruszka, adam (1984): die Italiener in der habsburgermonarchie. In: schriften des Instituts für österreichkunde 43: 94–102