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ICPC-2: Fluch oder Segen?
Thomas Kühlein,
Schloss Zeillern, 23.Juni.2018
Die Wirklichkeit
…wird ungern gezeigt
Der Mythos des guten alten Hausarztes
Luke Fields 1873-1927
Der Mythos der modernen Medizin
Die Moderne
Wahrscheinlichkeit vor dem nächsten Geburtstag zu sterben http://understandinguncertainty.org/lifespans
Die Ideologie der Moderne:
Totale Kontrolle der Natur
Durch Vernunft und Wissen
„In technology we trust“
Ohne Fortschritt und Wachstum geht es nicht
Das Schlagwort: Innovation
Unser Umgang mit dem Tod:
die moderne Strategie, „…mit ihrem charakteristischen Streben die Sterblichkeit zu ‚dekonstruieren‘; das heißt, den Kampf gegen den Tod in eine sich immer ausweitende und unerschöpfliche Schlacht gegen einzelne Krankheiten und Bedrohungen des Lebens aufzulösen; und, den Tod von seiner weit entfernten Position am endgültigen jedoch weit entfernten Horizont der Lebensspanne mitten hinein ins Leben zu rücken, dabei Letztere mit Abwehrmaßnahmen gegen nicht-endgültige, relativ kleinere und daher im Prinzip ‚lösbare‘ Gesundheitsrisiken füllend“
Stanford University Press, Stanford 1992, S. 10
Lebensgefühl mancher Patienten?
Lebensgefühl des Hausarztes
(fehlende) Organisation: Generalist/Spezialist
The Journal of Medicine and Philosophy, 1976;1:51-71
Unwissenheit Unfähigkeit
Pneumokokkenimpfung in den letzten 10 Jahren dokumentiert
geimpft; 8
ungeimpft; 69
Zufrieden?
Können Sie mir beweisen, dass es in Ihrer Praxis
besser aussieht?
Angesichts der jämmerlichen Bluthochdruckkontrolle erweist sich unser pharmakologisches Wissen als Armut. Die traurige Wahrheit ist: Während die meisten Menschen mit Bluthochdruck auf dieser Welt unbehandelt sind, und bei denen die behandelt werden, der Blutdruck nicht ausreichend kontrolliert ist, veranstalten wir Mega-Studien um herauszufinden, ob bei denen die behandelt und unter Kontrolle sind (vermutlich weniger als 10%) ein Austausch des initialen konventionellen Antihypertensivums in ein neueres wesentlich teureres Medikament vielleicht irgendwelche Vorteile bringen könnte. Das ist in etwa vergleichbar mit einem Feuerlöschzug, der anfängt die Fenster zu putzen, während das Haus abbrennt.
Ein ethisches, kein medizinisches Problem
Auf jeder Ebene ist dies die Geschichte einer unerträglichen Gier: Der Gier derjenigen die in den reichen Ländern der Erde wohnen nach einem immer längeren Leben und, vor allem, die Gier die die kommerziellen Gesetzmäßigkeiten der pharmazeutischen und medizintechnologischen Industrien antreibt.
Würden Sie als Gesellschaft/Patienten uns Ärzten noch trauen?
Ein kulturelles Problem?
Ein politisches Problem?
Egoismus?
Neoliberalismus?
Die Auswirkungen in der Hausarztpraxis:
White 1961 / Green 2001. The ecology of medical care/ -revisited NEJM 1961/ 2001;344:2021-2025
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Können wir als ÄrztInnen unseren Gesellschaften und ihren politischen
Vertretern noch trauen?
Der Hausarzt stirbt aus
Der Hintergrund
Die Situation in Österreich (soweit ich verstanden habe)
Neue rechtliche Rahmenbedingungen für
primärmedizinische Versorgungszentren
Bedingung des Gesundheitsministeriums:
Kodierung und Evaluation
Professionalität
Das Verhältnis der Profession zur Gesellschaft
oder
Was ist eine Profession?
The University of Chicago Press, Chicago 1988
The University of Chicago Press, Chicago 1970
Im ausgehenden 20. Jahrhunderts „… stand die Universitätsausbildung nur in geringem Maße mit der professionellen Praxis und ihrem Wissen in Verbindung. …‘Bildung’ stellte sich in einer entschieden anti-professionellen Pädagogik dar. Berufsvorbereitende Lehrinhalte wurden als ‘Brotstudium’ verspottet (S. 197). …im Gegensatz dazu fehlte zur gleichen Zeit den amerikanischen Universitäten diese intensive Abneigung der Europäischen Universitäten gegenüber „nützlichen“ Themen in der studentischen Ausbildung“ (S. 206, eigene Übersetzung).
Abbott A. The system of professions – An essay on
the division of expert labor. The University of Chicago
Press, Chicago 1988
Warum sind wir nicht professionell?
Kein Thema im Studium
Professionalität:
„…nach Abschluss ihres Studiums stellen junge Mediziner erstaunt fest, dass sie ihr gesammeltes Lehrbuchwissen angesichts der Probleme der klinischen Praxis nahezu vollständig im Stich lässt. Erst durch die Überwindung dieses Wissens und die Adaptation der Lösungswege und Verhaltensweisen erfahrener Kliniker werden Studenten zu Ärzten“ (eigene Übersetzung, sinngemäß)
Princeton University Press, Princeton 1991
Kein Thema in der Weiterbildung und auch
nicht in der berufspolitischen
Diskussion
Professionalität:
Evidenzbasierte Medizin
Outcome statt Pathophysiologie
Relevanz statt Signifikanz
Trennung der Spreu vom Weizen
Individuelle Medizin
Stattdessen: Leitlinien als Mittel der Deprofessionalisierung
Summometer:
Würden Sie einer Patientin mit mittelgradiger depressiver Episode ein Antidepressivum anbieten?
Das Beispiel Depression
Ihre Patientin hat 34 Punkte auf einer 60 Punkteskala:
Wie groß müsste der Nutzen eines
Antidepressivums mindestens sein, damit Sie bereit wären, es einzusetzen?
40
41
42
Sind 2,7/60 Punkte relevant?
Warum stehen in unseren Leitlinien keine Effektgrößen von Therapien?
Warum dulden wir Werbung auf Waschmittelniveau in unseren Fachzeitschriften?
Warum unterscheiden wir nur zwischen wirkt/wirkt nicht?
Professionalität heißt souveräner Umgang mit Wissen im individuellen Fall
Nicht ärztliche Willkür Noch einmal Andrew Abbott: „Eines ist sicher, die Behauptung dass alle Probleme (eines Fachgebietes) keine Routinefälle seinen, überzeugt externe Kritiker nicht. … eine Profession die sich rein esoterisch darstellt, hat Schwierigkeiten ihre kulturelle Legitimität im Sinne ihrer Effektivität nachzuweisen“ (Abbott 1988, S.51, eigene Übersetzung).
Eine Profession ist rechenschaftspflichtig!
Sind wir in der Lage Rechenschaft abzulegen?
Ist es richtig, dass man uns dazu zwingen muss?
Akerlof: Nobelpreis Wirtschaftswissenschaften 2001
Sind wir Exemplare des Homo Ökonomikus?
Primärarztsystem + Professionalität
Die Lösung?
Beim Militär ist der Generalist der
General
Primärarztsystem:
Ziel der Modell-Praxis:
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Hausärztliche Identität sichtbar
machen
Professionalität
Abbildung der eigenen Arbeit
Klinische Qualitätssteuerung
Adäquate elektronische Dokumentationssysteme
Geeignete Klassifikationen…
Meine These: Wir ÄrztInnen haben eine unterentwickelte Diskussionskultur. Beweisen Sie mir das Gegenteil!