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Himmelslicht Die Glasmalkunst der Gotik Wilhelm Seggewiß, Daun ILF-Mainz, "Mathematik und Gotik", Neustadt/Weinstraße, 28.-29. Nov. 2007

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HimmelslichtDie Glasmalkunst der Gotik

Wilhelm Seggewiß, Daun

ILF-Mainz, "Mathematik und Gotik", Neustadt/Weinstraße, 28.-29. Nov. 2007

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Zu Beginn● Die Faszination der mittelalterlichen Glasmalerei, z.B. Chartres, Ste Chapelle, Metz, Freiburg, Regensburg

● Glasmalerei nicht unabhängig von der Architektur, Enge Verknüpfung mit der Entwicklung der Fensteröffnungen

● Dennoch nicht Übertragung von Bildern anderer Kunstgattungen auf Glas. "Vielmehr machen Material und Technik, welche die Glasmalerei weder mit der Wand-, noch mit der Tafelmalerei teilt, diese zu einer besonders vollkommenen Gattung mittelalterlicher Malerei, der einzigen, die das natürliche Licht zur künstlerischen Gestaltung zu nutzen vermag." (Rüdiger Becksmann, in: Deutsche Glasmalerei des MA I)

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Chartres, Notre Dame, Charlemagne, um 1215

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I. Die Technik der Glasmalkunst

● Theophilus Presbyter, um 1125 (Roger von Helmarshausen? ) Schedula diversarum artium (De diversis artibus) libri III Liber II: De arte vitriaria (Über die Kunst des Glasblasens)

● Glas in der Natur * von Lavaschmelzen: Obsidian, * aus dem Weltall: Tektite (Moldavit), * bei Blitzeinschlag: Fulgurit (Perlen) , * vom Mond: Glas, Perlen

Moldavit

Glas vom Mond

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● Die Natur des Glases * Glas = Siliziumdioxid SiO2 in besond. Zustand (+ Zusatzstoffe)

* SiO2 als Kristall: Quarz * SiO2 als "Flüssigkeit": Glas, - rasches Abkühlen (auf ca. 600 °C) verhindert Kristallentwicklung * Beimischung von Oxiden (zur Senkung des Schmelzpunktes, 1713 °C, und zur Reduktion der Sprödigkeit): - zunächst Pottasche: K2CO3 (Kalium- carbonat; aus Buchen-, Farnasche) - ab 18. Jh. Kalzium- und Natriumoxid, Kalk-Natron-Glas - s.a. Bleikristallglas (mit Bleioxid)

Quarz Quarzglas

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● Glasfärbung* Farbiger Quarz in der Natur: Rauchquarz, Rosenquarz, Amethyst* Zusatzstoffe (i.A. Oxide, typisch 0,1%) bewirken Färbung, z.B.: - Eisenoxid: grün/blaugrün und gelb (je nach Wertigkeit zwei-drei) - Kupferoxid: blau und rot (zweiwertig bzw. einwertig) - Chromoxid: grün - Cobaltoxid: intensiv blau - Silber: silbergelb - Gold: rubinrot, goldpurpur

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● Glasbläser * Blasen eines zylindrischen Gefäßes mit der Glasbläserpfeife (bis 50 l !), * aufschneiden und auswalzen. * Herstellung von Überfang- und Mehr- schichtengläsern durch Auftropfen des Überfanges oder Eintauchen

Überfangglas,

verlaufender Rotüberfang,Überfang mit Ausschliff

Hrabanus Maurus: De rerumnaturalis, 842-846

● Glasmaler * Bemalung der Glascheiben mit Schwarzlot: Oxidpulver (Eisen, Kupfer) + zerstoßenes Bleiglas, dazu Bindemittel (Essig, Terpentinöl), Einbrennen bei ca. 600 °C, seit 8. Jh. (?)

* Silbergelb (zitronengelb bis goldorange): Silbernitrat + Ton/Ocker, seit 14. Jh.

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SchwarzlotChartres, Notre Dame, 1. Chorkapelle NO,Martyrium des Hl. Pantaleon, 1220-1225

SilbergelbVictoria&Albert-Museum, London, Ruhe auf der Flucht, ehemals Kloster Mariawald, Kreuzgang, 1516-22

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● Glaskünstler * "Karton": Holzscheibe in Originalgröße, weiß grundiert, * aufreißen der Quereisen, der Windeisen, des Bleinetzes, grob die Binnenzeichnung eintragen, markieren der Farben, * auflegen der Farbgläser und übertragen der Linien mit Kreide, * zuschneiden der Glasstücke mit einem heißen Eisen, * bemalen und brennen der Gläser, * einfassen durch die -förmigen Bleiruten und verlöten, * einfügen in die Windeisen, * armieren an den Quereisen.N.B.: Bleinetz und Windeisen haben durchaus ästhetische Qualität!Bourges, Chorachskapelle, Windeisenanordnung, Fenster des Neuen Bundes, vor 1214 > >>

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II. Die Geschichte der GlasmalkunstII.1. Vor der Gotik: Von Lorsch nach Bücken● Karolingisch, frühromanisch * Zahlreiche schriftliche Zeugnisse * Erhalten blieben drei Scheibchen aus Lorsch (9. Jh.), Schwarzach (10. Jh.) und Weißenburg (um 1060?) * Augsburg, Dom, Langhaus (S XIIIf.), 5 Standfiguren von Propheten, um 1100, Fenster beim got. Umbau 1334-1343 verkleinert; Apostel gegenüber? * Wo sind die Glasfenster der großen Dome: Speyer, Worms, Mainz, Bamberg, Limburg, Magdeburg, Münster und Autun, Vézelay, Toulouse, Paray-le-Monial, Caen, Bayeux ???

Lorsch > Weißenburg >> (30/25 cm)

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● Romanische Reste * Wiederverwendungen in Neubauten * in Frankreich - Chartres: 3 Fenster im Westwerk, 1135/45 und "La Belle Verrière": 4 Scheiben, ca. 1180, in gotischem Lanzettfenster von 1215-20 - Le Mans, Poitiers, Metz

* in den Deutschen Landen - Straßburg, ca. 1170 bis um 1235, im Querhaus - Regensburg: Wurzel-Jesse-Fenster von 1230 (!) - Freiburg: 9 Medaillons vor 1218

* und zwei erhaltene Dreier-Fenster: - Köln, St. Kunibert, 1220/30 - Bücken, Stiftskirche, 2. Drittel 13. Jh.

La Belle Verriére, um 1180

Chartres, Notre Dame, Fenster im Westwerk, 1135/45

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II.2. Die GotikDie Fenster im Rahmender Architektur● Romanik: Löcher im Massivbau● Gotik: Durchlässe im Skelettbau

Romanik <<<<<<>>>>> Gotik

Einteilung der GotikFrankreich Deutsche Lande Frühgotik 1135 - 1195Hochgotik 1195 - 1260 Frühgotik 1235 - 1250

Hochgotik 1250 - 1350"Rayonannt 1260 - 1380Flamboyant 1360 - 1550 Spätgotik 1350 - 1520

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(A) Frühgotik in Frankreich: Von St Denis bis Bourges● Abtei St Denis, Fenster im Chorumgang Sugers, 1140-1144 (s.S. 30)● Chartres u. Bourges: letzte Kathedralen der Fühgotik (?), 1194/95

Notre-Dame de Chartres* Baubeginn nach Brand 1194 (erhalten u.a. Südturm, Königsportal u. einige Fenster)* Bau i.W. 1220 vollendet (Querhausportale bis 1245, Süd-/Nordrose 1230/1235)* Fenster: 185 Einzelfenster, (24 moderne Grisaillefenster) Gesamtfläche 6700 m2 (?)

Fensteraufbau Langhaus > Chor/Umgang >> Kapellenkranz >>>

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Wilhelm Seggewiß: Himmelslicht 13 ● Fensteraufbau (1) einzelne Lanzetten: Seitenschiffe und Kapellenkranz (2) zwei Lanzetten in Rundbogengewände zusammengefaßt und mit Loch- scheibenrose bekrönt: Obergaden und Chorumgang (40 Rosen) (3) drei große Rosen: Westfassade (1215, Lochscheibe) und Querschiff- abschlüsse (1230/35, Maßwerk)● Fensterinhalt: Erzählfenster <<<>>> Figurenfenster (1) Erzählfenster: kleinteilige Erzählungen des Heilsgeschehens, der Viten der Apostel und Heiligen, aus NT und AT; vorwiegend in den Seitenschiffen und im Chorumgang (2) Figurenfenster: i. W. große Einzelfiguren, Christus, Maria, Apostel, Propheten, Heilige, Stifter; im Obergaden

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Stifter: Schlachtergilde

< Der verlorene Sohn

5 Erzählfenster aus Bourges (vor 1214) mit Details

Figurenfenster ausChartres: Johannes Ev.auf Ezechiel, 1230

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(ad 1) Erzählfenster* NT und Apokryphen: Maria: Jugend, Verk., Empf., Schmerz, Verherrl.; Jesus: Wurzel Jesse, Geburt, Leben, Wunder, Passion, Auferstehung, Weltenrichter; Gleichnisse: Verlorene Sohn, Samariter; Leben der Maria Magd., der Apostel und Heiligen (Nikolaus, Martin, Karl der Große); * AT u.a. Schöpfung, Tierkreis, Monatsbilder, Noah, Abraham, Josef

Monatsbilder <<>> TierkreisChartres, Chorumgang, 1220

Bourges, Der Verlorene Sohn, vor 1214 Untergrund Zweiklang Blau-Rot, Figuren in Grün-Purpur-Weiß-Gelb, Große Köpfe, reicher Faltenwurf ("Mulden- faltenstil"), Bordüren und Teppichhintergrund, Schönes Detail: Pelzfutter im Mantel

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(ad 2) Figurenfenster*Südseite: Personen des NT <<>> Nordseite: Figuren des AT Engel, Christus, Maria, Anna; Väter Abraham, Josef, Moses, Aaron Apostel, Maria Magdalena; Propheten Isaias Nikolaus, Martin, Stephan; Könige David, Salomon, Nabuchodonosor, Pharao Kirchenväter: Augustinus, Gregor; Noah, Melchisedech "Ortsheilige": Pantaleon, Remigius, Lubinus, Eustachius, Dionysius, Germanus, Thomas Becket; Stifter* Lange Lanzetten führen zu: - Überdehnung der Figuren oder - Übereinandertürmen mehrerer Fig., - überhohen Baldachinen u. Tabernakeln, - Figuren nur in der Mitte (s.S. 20) zwischen Grisaillen

Chartres, Notre Dame, Figurenfenster unter der Nordrose, vor 1240, Hl. Annaund Könige des AT >Straßburg, Münster, Apost., um 1340 >>

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Wilhelm Seggewiß: Himmelslicht 17 ● Ikonographische Programme - z.T. verständlich * Typologische Fenster: Gegenüberstellung von AT und NT (vgl. Heilsspiegel und Armenbibel), z.B.: Erschaff. Evas <<>> Geburt Mariens; Königin von Saba <<>> Hl. Drei Könige; Opferung Isaaks <<>> Kreuzigung Jesu

Chartres, Westwerk, 1135/45 Chartres, Chor, Obergaden, 1210/20

* Saint Etienne de Bourges: Fenster im Chorumgang (vor 1214)

Jesus, Sohn Gottes Der verlorene Sohn Jüngstes Gericht Der barmh. Samariter Apokalypse Johannis Der reiche Prasser Apostel Thomas

* Notre Dame de Chartres

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● Der architekton. Sonderfall: Saint Etienne de Bourges

* Fünfschiffig, kein Querschiff

* Riesige Arkaden im Haupt- schiff geben Blick frei auf:

* Triforium und "Obergaden- fenster" an den inneren Seitenschiffen

* Wenig stilprägend, am deutlichsten in Toledo, leicht in Le Mans, Coutances

● Sonderstellung von Chartres und Bourges * Im Innern statt "preziöser Feingliedrigkeit" der Frühgotik (die bei der reduzierten Lichtmenge nicht auffallen würde!) findet man eine "kraftvolle Monumentalität". * Zwischen {Noyon, Paris, Laon} und {Reims, Amiens, Beauvais}

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(B) Hochgotik in Frankreich: Von Reims bis 2 x Troyes● Notre Dame de Reims bringt das Maßwerk hervor, 1211-1241● Cathédrale St-Pierre et St-Paul de Troyes, vor 1241 * Wo ist die Wand ? * Durchlichtung des Triforiums (gleichzeitig mit St Denis II) * Aufhellung des Raumes in Querschiff und Langhaus durch Grisaillen Details der feingliedrigen Architektur und der Ausgestaltung des Innenraums werden sichtbar!

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● Saint Urbain de Troyes, 1262-1266, Gründung Papst Urban IV. * Aufhebung des Triforiums, * Durchgängig Grisaillen mit Bildern inmitten * Zweischalige Wandung im Chor "Style rayonnant" * Und in Chartres nur nicht übersehen: St Pierre (ehem. Klosterk. St Père), Fenster von 1260 bis 1315

St. Urbain, zentrales Chorfenster,Obergaden, Kreuzigung Chor (o.), Langhaus (u.li.), Seitenkapelle (u.re.)

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(C) . . . und sonst in der Hochgotik?● Frankreich Ste Chapelle de Paris, 1241 - 1245/48: Gläserner Käfig Notre Dame de Paris, Nord- (und Süd-)Rose, ca. 1248-1260 Cathédrale de Metz: Geschichte der Glasfenster vom 12. - 20. Jh. St Ouen de Rouen (Chor, 1325-1338) und Cathédrale de Évreux (um 1340)● Deutsche Lande Größere Fensterfolgen in den "Französischen Kathedralen" : - Freiburg (Querhaus 1250/60, Langhaus ab 1270 u. 1320, Chor 1511-1530), - Köln (Chorkapellen 1260/65, 1280, nach 1322, Obergaden 1300) - Straßburg (1255-1260, 1330-1350) Weitere Zyklen - Niederhaslach (Chor vor 1287, Langhaus 1360-1420) - Regensburg (1300-1330 und 1360-1370, siehe (D)) - Königsfelden, Aargau, 1325-1330 (!!!) - Esslingen: Chöre der Stadtpfarrkirche (E. 13. Jh.) und der Frauenkirche (vor 1335) - Erfurt: Chor des Domes (1370-1416) - Oppenheim, St. Katharinen (14. Jh., Rose 1332/33) Größere Reste z.B. in Marburg, Halberstadt, nur 2 Scheiben von Liebfrauen in Trier erhalten >

Predigt de Hl. Stephanus,um 1250/60, London, V&A

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(D) Spätgotik: Von Regensburg nach Ulm● Dom in Regensburg: Lanzetten übergreifende Darstellung, 6 Fenster an den Langseiten des Hochchores, um 1370

Regensburg, Himmelfahrt, 1370 >Poitiers, Kreuzigung, ca. 1162 >>

* Der neue Stil mit Bahnen und Lanzetten übergrei- fenden Bildern

* N.B.: Rückgriff auf roma- nische Vorläufer, z.B. Le Mans und Poitiers

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● Zeit bekannter Künstler und Werkstätten * Werkstatt des Peter Hemmel von Andlau: Walburg, Colmar, Augsburg, München: Scharfzandtf., 1493 * Werkstattgemeinschaft von 4 Glasmalern ● Zeit der Maler * Enwürfe großer Maler in den "Kaufmannsstädten", z.B. Hans Baldung Grien, A. Dürer, Hans von Kulmbach● Zeit namhafter Stifter * Chartres (Vendôme Chap., 1415), Bourges (Chap. Sacré Cœur, 1425), * Ulm, Besserer-Kapelle, um 1429/30, Künstler Hans Acker (Hans von Ulm) * Nürnberg, St. Lorenz, Volckamerfenster, Werkstattgemeinschaft, um 1481

Ehem. Nürnberg, Karm.-Kirche,Hand Baldung, um 1505

Nürnberg, St. Lorenz, Volckamer-Fenster,Verlobung der Hl. Katharina mit demChristuskind, Werkstattgem., um 1481

● Erste profane Fenster * Lüneburg, Gerichtslaube, 1. H. 15. Jh.

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(E) Die neuen Orden und die Glaskunst

(1) Die Zisterzienser * Gründung von Cîteaux 1098, Anerkennung 1100, * 525 Klostergründungen im 12. Jh., 169 im 13. Jh. (das Leben der abgesonderten hl. Gemeinschaft) * Diktat des Bernhard von Clairveaux (1090-1153): - " . . . das dem Leib verhaftete Volk braucht ornamentis . . . - wir aber, die alle leiblichen Freuden für Schmutz halten, um Christus zu gewinnen . . . ", die Folge: "glasklare" Fenster oder Grisaillefenster * Franz. Zisterzienserklöster romanisch (Fontenay, Pontigny, Fontfroid) - außer Royaumont, gegründet 1228 von Louis IX., aber 1790 abgetragen. * Kloster Altenberg architekt. in dessen Nachfolge. * Geometrische Ornamentik vorherrschend (s. Anhang), * später aber wieder Einzug der Farbe (s. rechts). * Große Westfenster (Marienstatt, Maulbronn, Salem) Kloster Altenberg, Grisaillefenster ∧ (E. 13. Jh. bis M. 14. Jh.) Westfenster 1410 >>

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(2) Die Bettelorden * Franziskaner, 1210 - Dominikaner, 1215 - Karmeliter, 1247 - Augustinereremiten, 1256 * Orden "fürs Volk" als Prediger, Lehrer, Seelsorger * Fenster als "Armenbibel"

* In Frankreich die gotische Eglise de Jacobins in Toulouse einzigartig als Bettelordenskirche * In Deutschland zahlreiche gotische Bettelordenskirchen, aber vollständige Fensterzyklen nicht mehr erhalten. * Bedeutende Reste: - Köln, Dom, "Jüngeres Bibelfenster" aus der zerstörten Dominikanerkirche (erbaut durch Albertus M., 1280, s.u.) - Freiburg, Münster, aus zerstörten Dominikaner-Kirche, 1280/90 - Erfurt, Barfüßerkirche, 3 Chorf., Predigerkirche, 4 Ornmf., 1280, Augustinerkirche, 4 F., 1300-30 - Esslingen, ehem. Franziskaner- klosterkirche St. Georg, nur Chor erhalten, 1280-1300 (erstmals Silbergelb in D.) - Colmar, Dominikanerk., 1.H. 14. Jh,

Erfurt, Barf.-K., 1230/35Köln, Dom, 1280

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(F) England, Spanien, Italien● England - viel Internationalität * Ältere Fenster in York und Canterbury * Canterbury (Becket-Kult), 13. Jh. * York, 13. - 15. Jh., aber i.W. 14. Jh. * auch Wells und Oxford, 14. Jh.

● Spanien - viel Licht und Wärme * Herausragend mit ganzheitl. Eindruck Kathedrale von Leon, 3.D. 13.Jh. und 15. Jh. * Sevilla und Toledo glänzen im 15./16. Jh.

● Italien - viel Tafel und Wand * Glaskunst "im Schatten" der Tafel- und Fresko-Malerei (Cimabue, Giotto etc.) * Assisi, San Francesco, Oberkirche, 3 F. im Chor, deutsche Künstler (Erfurt oder Mainz?), 13. Jh. * Siena, Duomo, Occhio von Duccio, 1288 * Florenz, Sta Croce, 2.V. 13. Jh. und 14. Jh. * Sta Maria Novella, 15. Jh.

York Minster,Five Sisters,1260 (Nord-Querschiff)

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(G) Danach: Von Florenz zu Gerhard Richter● Renaissance in Italien u. Niederlande * Dom von Florenz, u.a. 6 Occhi von L. Ghiberti, 1444 * Dom von Mailand, 3 riesige Apsisfenster, 15. Jh. * Flandern/Niederlande (Tournai, Lier/Lierre, Gouda)● Zeit des Niedergang im 16. Jahrh.● Rückbesinnung im 19. Jahrhundert * Eugène Viollet-le-Duc, 1814-1879● Neubeginn im 20. Jahrhundert * z.B. Jan Thorn-Prikker (1868-1932) * Marc Chagall (1887-1985)

Florenz, Duomo Sta Maria del Fiore, Ghiberti 1444 ↑

< Köln, St. Georg, J. Thorn-Prikker, 1930

Metz, Cathedrale, Erschaffung . . . Marc Chagall, 1963 >

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● Gerhard Richters Fenster im Kölner Dom * Fenster im Südquerhaus, 19 m hoch, 113 m² * Richter (*1932): 11.500 Scheiben, 9,4 x 9,4 cm², 72 Farben, Zufallsverteilung, 370.000 €, 25.08.07 * Stellungnahme Kardinal Meisners: Fenster soll unseren Glauben widerspiegeln, >> Moschee - Erwiderung Richters: Keine Beziehung zum Islam! Wie sähe katholische Gestaltung aus? - Domprobst Feldhoff: Es schaft ein von Farben schillerndes Licht, es animiert, beseelt, regt an zur Meditation.

Köln, Dom,Gerhard Richter< 2007 >

Metz, Cathedrale, Südseite, Roger Bissiere, 1960

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III.1. Kathedralbau und Glaskunst * Seiten- und Hochschiffwände werden durch vielteilige Maßwerkfenster ersetzt. * Wand gibt es nur in den Arkadenzwickeln und in der Sockelzone der Seitenschiffe. * Der Raum öffnet sich nicht nach außen: Farb- fenster als raumabschließende durchleuchtete "Wände" - diaphane Gestaltung! * Farbverglasung wird zum integrierenden Bestandteil des gotischen Raumes. * Das farbige Lich gewinnt eine Stofflichkeit, die die Architekturformern ihrer Härte entkleidet. (R. Becksmann, in: Deutsche Glasmalerei des MA I) * Glasfenster sind ornamenta ecclesiae (wie Altäre, Statuen, Reliquiare, Bücher, Kelche) * Der Glaskünstler ist an Größe, Gestalt, Ort der Fenster (an die Architektur!) gebunden. * Künstler und Architekt arbeiten eng zusammen (siehe Architekturformen in den Baldachinen, Tabernakeln, Wimpergen der Figurenfenster). * Dimensionen der Fenster: ca. 6500 m² in Chartres, Bourges, Metz, Köln * Kosten? Ludwig IX. zahlte für die Ste Chapelle 40.000 Livre für Bau und Schmuck, aber 135.000 L für den Kauf der Dornenkrone und 100.000 L für den Schrein!

Autun, St Lazare Troyes, Cathedrale

III. Himmelslicht

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St Denis, Chorumgang, 1144

III.2. Das sichtbare Licht - Lichtästhetik● Zeugnisse alter Zeit * Venantius Fortunatus (um 600) * Abt Gozpert von Tegernsee (E. 10. Jh.) * Chronik von St Bénigne, Dijon (um 1060) * Theophilus Presbyter (1125) * Speculum virginum (nach 1140) * Hugues de St Victor (vor 1141)

● Abt Suger von St Denis (um 1081-1151) * Neubau von Westwerk (1135-1140) und Chor (1140-1140) von St Denis, Einbau "schönster und kostbarster Fenster" - Chorumgang erhalten, Fenster stark übergangen * Herausgabe von drei Schriften über Bau, Weihe, Verwaltung der Kirche Quo tota clarissimarum vitrearum luce mirabili et continua interiorem perlustrante pulchritudinem eniteret.

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Wilhelm Seggewiß: Himmelslicht 31

III.3. Das geistige Licht - Lichtmetaphysik● Die Kathedrale * Abbild und Vorbote des Himmlischen Jerusalem, * Ort der göttlichen Epiphanie, * Raum für den gestalteten Ritus

● Versinnbildlichung schon durch die Architektur (aber nur in abstrakten Begriffen) - unfaßbare Größe des Himmels <> Abmessung des Gebäudes - Harmonie <> Grundrißdisposition, - Vollkommmenheit <> fehlerlose Konzeption der inneren Raumschale (Arnold Wolff, in: Himmelslicht)

● Lichtmetaphysik - Lichtmystik - Lichtsymbolik * Gott ist Licht, Christus ist Licht - bezeugt durch die Hl. Schrift * Die Gläser der Kirchenfenster sind die Heiligen Schriften, indem sie die claritas der wahren Sonne, d.h. Gottes, in die Kirche, d.h. die Herzen der Gläubigen schicken. - Honorius Augustodunensis (um 1150), Durandus von Mende (ca. 1280) * Der schwerfällige Geist erhebt sich mit Hilfe des Materiellen zum Wahren. - Suger von St. Denis, De administratione, 1144

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● Im Urteil der neueren Kunsttheorie * Erwin Panofsky (1892-1968): Die gotische Architektur ist eine Umsetzung neuplato- nischer Lichtmetaphysik, eine Lichtarchitektur, in der das überirdische göttliche Licht in irdischer Materialität aufscheint und auf diese Weise dem menschlichen Intellekt den Aufstieg zur Erkenntnis Gottes ermöglicht. (Abbot Suger on the Abbey Church of St.-Denis and its Art Treasures, Princton 1946)

● Zurückführung auf Platon * Platon (427-347 v.Chr.): - Höhlengleichnis: Wir sehen nur die Schatten, nicht die Gegenstände im Licht. - Sonnengleichnis: Ihr Licht ermöglicht es dem Auge, Gegenstände zu sehen. Der Mensch kommt nur im Licht des Guten zu wirklicher Erkenntnis und Wahrheit. (Politeia, ca. 370 v.Chr.) * Aurelius Augustinus (354-430): Ich sah . . . über meinem Geiste das unwandelbare Licht. (Confessiones lib. VII, cap. X) * (Pseudo-)Dionysius Areopagita (um 500 n.Chr.): Das Licht zeigt sich als hevorragender Teil der göttlichen Schöpfung und bewirkt, "daß die unsichtbare Wirklichkeit Gottes durch das, was erschaffen worden ist, mit der Vernunft erkannt wird, seine ewige Macht und Gottheit." (De divinis nominibus, cap. IV §4)