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IM STUDIO I Honda CL 77 Scrambler 305 24 MOTORRAD CLASSIC 10/2015 www.motorrad-classic.de

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IM STUDIO I Honda CL 77 Scrambler 305

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In den 1960ern boomten die ebenso offroad- wie straßentauglichen Scrambler-Modelle. Honda handelte also nur logisch und konsequent, als sie den 305-cm2-Motor aus dem Straßensportler CB 77 Super Hawk ins Fahrwerk der bereits bekannten 250er CL 72 pflanzten und so die CL 77 erschufen. Text: Gerhard Eirich; Fotos: Jacek Bilski

KLETTER- MAXE

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Mit dem 305-cm³-Motor der CL 77 konnte man den britischen 500er-Twins Paroli bieten

Untertreibung: Die Honda hat fünf Kubikzenti-meter mehr Hubraum als auf dem Tanklogo ausgewiesen. Wer am weit herausge zogenen Einfüllstutzen Öl nachkippen will, riskiert, sich bei heißem Motor trotz Hitzeschutzblech am Auspuff die Finger zu verbrennen

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Im Sattel der Scrambler muss der Spaß nicht am Ende asphaltierter Straßen aufhören

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Das auf den beiden Rohren aufgeschweißte Auspuff-Endstück belegt, dass es sich um eine späte Version der von 1965 bis 1968 gebauten CL 77 handelt. Der drehfreudige 180-Grad-Zwei zylinder atmet über zwei 26er-Keihin-Vergaser ein und gilt als ungemein zuverlässig. Die bis 100 Meilen/Stunde reichende Tacho-Skala wird bei Höchstgeschwindigkeit nahezu ausgenutzt

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One Size fits all – eine Größe passt für alle. Amerikaner mögen es gern universell. Des-

halb baute man bei Honda ein Bike für alle Einsatzgebiete – straßen-, gelände-, einfach alltagstauglich. Nicht nur, aber vor allem für die USA. Die Scrambler- Modelle kamen gut an, und mit der CL 77 hatte man eine kräftige Version am Start – mit dem 305-cm³-Motor der Straßen- Version CB 77. Die Motor-Spenderin war das sportliche Topmodell im Programm mit 305 cm³, wenn auch die Plakette auf dem Tank nur 300 cm³ ausweist. Die auch als Super Hawk bekannte CB 77 war klar europäisch beeinflusst und hatte die bri-tischen 500er im Visier, mit denen sie es auch in Sachen Power und Fahrleistungen durchaus aufnehmen konnte.

Ein Bike zum PferdestehlenDie Scrambler-Variante CL 77 hingegen hat klar amerikanische Wurzeln, gebaut für die weiten Landstriche, die Schotter-pisten und die Offroadwege der USA. Im Grunde ist die 305er nur eine vergrößerte Version der bereits drei Jahre zuvor, also 1962, erschienenen CL 72 Scrambler mit 250 cm³. Auch die CL 72 stellte eine offroad taugliche Variante der Straßen-maschine dar, in diesem Fall der CB 72 Hawk. Wobei Honda nie eine reine Cross-Maschine im Sinne hatte, vielmehr sollten

Honda CL 77 ScramblerMOTOR: luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Motor, 180 Grad Hubzapfenversatz, zwei Ventile pro Zylinder, Bohrung 60 mm, Hub 54 mm, 305 cm³, Verdichtung 9,5 : 1, 28,5 PS bei 9000/min, zwei 26er-Keihin-Vergaser, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, Kettenantrieb

FAHRWERK: Einschleifen-Rohrrahmen, Teleskopgabel vorn, Zweiarmschwinge hinten, Duplex-Trommelbremse vorn und hinten, Reifen vorn 3.00-19, hinten 3.50-19, Radstand 1330 mm, Trockengewicht 145 kg

BAUZEIT: 1965 bis 1968

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die Scrambler dieser Zeit Allroundmotor­räder sein, die einfach überall durch­kamen, und die sowohl im Alltag für den Weg zur Arbeit taugen sollten als auch für den Ausflug am Wochenende, ohne dass der Spaß mit dem Ende der asphaltierten Straßen aufhören musste. Was macht aber den Unterschied zur Straßenversion ei­gentlich aus: Nun, schon der Einschleifen­Rohrrahmen mit den dickeren Rahmen­rohren sorgte angesichts des verstärken­den Unterzugs für mehr Stabilität. Weil das Rahmenrohr dort entlangführte, wo bei der Straßenversion der E­Starter Platz fand, verzichtete man, auch um Gewicht zu sparen, auf den Elektrostarter und beschränkte sich auf den guten alten Kickstarter. Für mehr Bodenfreiheit soll­ten auch die hochgezogenen Krümmer und die linksseitig hoch verlegte Auspuff­anlage sorgen. Ebenso für Geländetaug­lichkeit wie auch die „Universals“, etwas grob stolligere Reifen, die 19 Zoll (vorn und hinten) anstelle der 18 Zoll bei der CB 77 maßen. Gekürzte Schutzbleche und Faltenbälge an der Gabel sind weitere Er­kennungsmerkmale der Scrambler, eben­so der breite Endurolenker mit Zwischen­strebe. Gewicht sparen sollte schließlich noch der kleinere Benzintank.

Unser wenig gefahrenes, unrestaurier­tes Foto­Bike wurde uns freundli cher­weise von Klassiker­Spezialist PREMIUM­MOTORRAD in Böblingen (www.premi­

ummotorrad.de) zur Verfügung gestellt (an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank dafür). Dort steht sie zum Verkauf, denn Besitzer Jürgen Sartori möchte sich aus gesundheitlichen Gründen von seiner Sammlung trennen, die unter anderem auch C 110, CB 92, CB 450 (K0 und K1) so­wie eine seltene Fünfgang­Version der CB 77 umfasst. Der 68­Jährige hat die Scram­bler einst in den USA mit geringer Lauf­leistung gekauft, seither sind nicht all zu viele Meilen hinzugekommen. Auch ihn hat stets der tolle Sound des vor allem in der Mitte spürbar kräftigeren 305er­Motors begeistert, der mittels vergrößerter Boh­rung (von 54 auf 60 mm) von 247 auf 305 cm³ getrimmt wurde und so zusammen mit den größeren Vergasern (26 statt 22 mm) mehr Leistung und Dreh moment lie­fert. Dank 180 Grad Kurbelwellenversatz gibt sich der Zweizylinder bei enormer Drehfreude auch relativ kultiviert, und erst bei hohen Drehzahlen im Bereich der Höchstleistung bei 9000 Touren stellt sich das berühmte feine Kribbeln in den Lenker­enden ein.

Schnell und standfest – perfektGutes Fahrwerk, starker Motor, hohe Zu­verlässigkeit – dies schienen damals auch geeignete Voraussetzungen für Rennein­sätze zu sein. So errangen die beiden Fah­rer Larry Berquist und Gary Preston mit einem Honda­Scrambler (mit der 350er­

Nachfolgerin) 1968 einen grandiosen Sieg bei der Baja 1000, einem der härtesten Offroad­Rennen der Welt. Dies unter­mauerte den Ruf der Honda­Scrambler­Modelle als ausdauernde, offroadtaug­liche Bikes.

Stichwort Zuverlässigkeit: Es ist wohl auch kein Zufall, dass Autor Robert M. Pirsig auf seiner zweimonatigen Motor­rad­Reise durch die USA, welche die Basis für sein weltberühmtes Buch „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“ war, ausgerechnet auf die zuverlässige Honda CB  77 vertraut hatte. Apropos Berühmt­heiten: Ebenso wie Schauspielerlegende Steve McQueen untrennbar mit dem Na­men Triumph verbunden bleibt, hat auch die Honda CL 77 (weitere) prominente Be­sitzer vorzuweisen. Jim Morrison, legen­därer Sänger der Doors, besaß eine, für die  zuletzt um die 75 000 Dollar geboten worden sein sollen. Bei Auktionen wur­den für dieses Bike zuvor schon höhere Preise aufgerufen, jedoch nicht erzielt.

Die hierzulande seltener als in den USA anzutreffenden CL 77­Exemplare dürften kaum zu solchen Summen gehan­delt werden. Preise im oberen vierstelli­gen Bereich sind wohl eher realistisch. Auch Besitzer Sartori ist sich darüber im Klaren. Wobei er sicher nichts dagegen hätte, wenn die Gebote für seinen Honda­Klettermaxe in maximale Regionen klet­tern würden.

Ein Lenkungsdämpfer war Mitte der 1960er noch eine Sensation. Rechts-links-Schwäche? Vom rechts montierten Bremspedal wird die Kraft per Achse nach links verlagert und dort per Seilzug an die hintere Trommelbremse weitergegeben. Der wenig filigrane Bremslichtschalter gibt das Signal an das zeitgenössisch elegant gestylte Rück-/Bremslicht weiter

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