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INA-Journal, Heft 1, Frühjahr 2006 1 INA-Journal der Internationalen Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökono- mie gGmbH (INA) an der Freien Universität Berlin Heft 1 Frühjahr 2006 In diesem Heft Das INA-Journal 1 Institut für den Situationsansatz (ISTA) Die Revolution in den Kitas 3 INA.KINDER.GARTEN gGmbH Mit Dreijährigen ins Museum? 5 School for Life Thai-Kultur und Situationsansatz 7 Institut für Community Education (ICE): Das Youth Empowerment Partnership Programme (YEPP) Lokal denken und handeln, inter- national vernetzen 10 EmpowerMediaNetwork 12 Nach Rhetorikkurs auf gleicher Augenhöhe 12 Das Institut für Innovationstrans- fer und Projektmanagement Wie findet man die optimale Kombination von Problemstellun- gen und Personen? Ein personal- politisches Modell 13 Fortsetzung auf Seite 2 Das INA Das INA Das INA Das INA-Journal Journal Journal Journal Seit ihrer Gründung vor 10 Jahren fördert die INA (die Inter- nationale Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie gGmbH an der Freien Universität Berlin) den Dialog zwischen den Disziplinen, zwischen der Forschung, der Weiterbildung und der Praxis, und zwischen verschiedenen Gruppen, Milieus und Kulturen. Sie hat dafür flexible in- stitutionelle Rahmenbedingungen und ein reichhaltiges In- strumentarium organisatorischer und intellektueller Mittel und Konzepte zur Überwindung kognitiver, sozialer und politischer Grenzen entwickelt. Diesen soll nun ein neues Forum zur Seite gestellt werden: das INA-Journal. Das INA-Journal wird in vierteljährlichem Rhythmus mit wech- selnden Schwerpunkten Ausschnitte und Mosaiksteine aus dem Leben der INA und der in ihr zusammengeschlossenen Men- schen und Institutionen vorstellen. Es wird ihre Probleme auf- greifen, Einblicke in ihre konkreten Tätigkeiten geben und für sie relevante Vorstellungen und Konzepte zur Diskussion stellen. Das INA-Journal wendet sich sowohl an die Mitarbeiter der INA als auch an die Menschen, die mit ihr in Berührung kommen oder an ihrer Arbeit interessiert sind. Es will nach innen wie nach außen die Transparenz der INA erhöhen, den internen Ideen- und Informationsaustausch verstärken und diesen gleich- zeitig in eine breitere Öffentlichkeit tragen. Um diese Zielsetzung zu verwirklichen, wird das INA-Journal den Jargon der üblichen Projektberichterstattung meiden, eine Mischung von Darstellungsmitteln einsetzen und Reportagen, Interviews, Geschichten, Features, Kommentare, Essays, Personalia, Hinweise fürs Schwarze Brett, Rezensionen, Portraits und Fotos präsentieren. Die INA ist ein wachsendes Netzwerk kleiner, selbständig arbeitender, flexibler Organisationseinheiten. Diese arbeiten gleichzeitig in lokalen Kontexten sowie auf der nationalen und

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INA-Journal, Heft 1, Frühjahr 2006 1

INA-Journal

der Internationalen Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökono-

mie gGmbH (INA) an der Freien Universität Berlin

Heft 1 Frühjahr 2006

In diesem Heft Das INA-Journal 1 Institut für den Situationsansatz

(ISTA)

Die Revolution in den Kitas 3 INA.KINDER.GARTEN gGmbH

Mit Dreijährigen ins Museum? 5 School for Life

Thai-Kultur und Situationsansatz 7 Institut für Community Education (ICE): Das Youth Empowerment Partnership Programme (YEPP) Lokal denken und handeln, inter-national vernetzen 10 EmpowerMediaNetwork 12 Nach Rhetorikkurs auf gleicher Augenhöhe 12 Das Institut für Innovationstrans-fer und Projektmanagement Wie findet man die optimale Kombination von Problemstellun-gen und Personen? Ein personal-politisches Modell 13

Fortsetzung auf Seite 2

Das INADas INADas INADas INA----JournalJournalJournalJournal Seit ihrer Gründung vor 10 Jahren fördert die INA (die Inter-nationale Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie gGmbH an der Freien Universität Berlin) den Dialog zwischen den Disziplinen, zwischen der Forschung, der Weiterbildung und der Praxis, und zwischen verschiedenen Gruppen, Milieus und Kulturen. Sie hat dafür flexible in-stitutionelle Rahmenbedingungen und ein reichhaltiges In-strumentarium organisatorischer und intellektueller Mittel und Konzepte zur Überwindung kognitiver, sozialer und politischer Grenzen entwickelt. Diesen soll nun ein neues Forum zur Seite gestellt werden: das INA-Journal. Das INA-Journal wird in vierteljährlichem Rhythmus mit wech-selnden Schwerpunkten Ausschnitte und Mosaiksteine aus dem Leben der INA und der in ihr zusammengeschlossenen Men-schen und Institutionen vorstellen. Es wird ihre Probleme auf-greifen, Einblicke in ihre konkreten Tätigkeiten geben und für sie relevante Vorstellungen und Konzepte zur Diskussion stellen. Das INA-Journal wendet sich sowohl an die Mitarbeiter der INA als auch an die Menschen, die mit ihr in Berührung kommen oder an ihrer Arbeit interessiert sind. Es will nach innen wie nach außen die Transparenz der INA erhöhen, den internen Ideen- und Informationsaustausch verstärken und diesen gleich-zeitig in eine breitere Öffentlichkeit tragen. Um diese Zielsetzung zu verwirklichen, wird das INA-Journal den Jargon der üblichen Projektberichterstattung meiden, eine Mischung von Darstellungsmitteln einsetzen und Reportagen, Interviews, Geschichten, Features, Kommentare, Essays, Personalia, Hinweise fürs Schwarze Brett, Rezensionen, Portraits und Fotos präsentieren. Die INA ist ein wachsendes Netzwerk kleiner, selbständig arbeitender, flexibler Organisationseinheiten. Diese arbeiten gleichzeitig in lokalen Kontexten sowie auf der nationalen und

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Das INA-Journal

Fortsetzung von Seite 1

Popularisierung 15 Office of Psychosocial Issues (OPSI, Büro für Psychosoziale Prozesse) Traumabehandlung und psychoso ziale Prozesse in Bosnien, Sierra Leone, Nepal und Palästina 15 Das Toolkit 16 Trauma und psychosozialer An satz 16 Tuzla 17 Sierra Leone 17 Nepal 18 Gaza 19 Ein israelisch-palästinensisches Schulbuch für den Geschichts-unterricht 20 Arbeitsbereiche der INA 20 __________________________

Das INA-Journal

IMPRESSUM

Herausgeber:

Internationale Akademie für in-novative Pädagogik, Psychologie, und Ökonomie gGmbH (INA) an der Freien Universität Berlin

Königin-Luise-Strasse 14195 Berlin

Tel.: 030 - 838 52 031 Fax: 030 – 838 52 130

e-mail: [email protected]

Internet-Adresse: http://www.ina-fu.org/ina-journal/

Redaktion: Michael Becker

feedback: [email protected]

internationalen Ebene. Einige dieser Institute der INA bilden selbst ein Dach für weitere Netzwerke und Institutionen. All diesen Einrichtungen ermöglicht die direkte oder indirekte Zu-gehörigkeit zur INA die Nutzung der Vorteile großer Kommu-nikations- und Kooperationsnetzwerke mit dezentralen Struktu-ren. Diese reichen vom Erfahrungsaustausch untereinander über die Geltendmachung einer Firmenidentität (Corporate Identity) bis hin zum Rückgriff auf ein differenziertes Arbeitsinstrumen-tarium, das in verschiedensten Situationen von einzelnen Insti-tutionen innerhalb der INA in Zusammenarbeit mit ihrer je spe-zifischen Klientel und ihren Kooperationspartnern sowie im Austausch mit anderen INA-Einrichtungen entwickelt wurde. Mit dem Wachstum der INA in den letzten zehn Jahren haben auch die sich hier bietenden Möglichkeiten zugenommen. Für deren optimale Nutzung reicht aber der Kommunikationsfluss innerhalb der Unterbereiche der INA und die Kooperation auf der Leitungsebene nicht mehr aus. Diese müssen daher durch weitere Elemente der Zusammenführung, Verarbeitung und Weitergabe von theoretischem und praktischem Wissen ergänzt werden. Dazu soll auch das neue INA-Journal in Zukunft einen Beitrag leisten. Das INA Journal erscheint zunächst nur in deutscher Sprache und wird sowohl als PDF-Datei sowie in einer Print-Version zu Verfügung gestellt werden. Das erste Heft des INA-Journals ist ein Anfang, ein erster Schritt bei der Vorstellung von Personen, Konzepten, Institutio-nen und Problemfeldern aus Teilbereichen der INA. Es hat etwa den doppelten Umfang späterer Hefte, die das Bild allmählich komplettieren werden. Darüber hinaus ist es ein erster Schritt bei der Erprobung eines Formats. Unsere Konzeption und ihre Umsetzung werden sich von Heft zu Heft weiterentwickeln. Wir rechnen dabei auf die Mithilfe unserer Leser, auf ihre akti-ven Reaktionen, Informationsangebote und ihre Kritik. Jürgen Zimmer Michael Becker _______________________________________________________

Noch nie zuvor wurde in Deutsch-land die frühe Kindheit einer gan-zen Generation von Kindern so systematisch beobachtet, so häufig fotografiert und jeder Entwick-lungsschritt so gründlich dokumen-tiert und durch gezielte Maßnah-men begleitet wie heute. Mehr dazu im Bericht auf Seite 3-4

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Das Institut für den Situationsansatz (ISTA)

Die Revolution in den KitasDie Revolution in den KitasDie Revolution in den KitasDie Revolution in den Kitas Der Pisa-Schock hat die Bildungsreform nach zwan-zig Jahren der Vernachlässigung und des erlahmten Interesses wieder auf die politische Bühne zurückge-holt und eine bundesweite Qualitätsdebatte über das deutsche Bildungswesen ausgelöst. Die neue Bundes-familienministerin von der Leyen fordert seit ihrem Amtsantritt bei jeder Gelegenheit die Abschaffung der Kita-Gebühren unter Verweis auf die ausschlag-gebende Bedeutung der Vorschulerziehung für den späteren Schulerfolg. Die Zunahme der Gewalt an einigen Schulen beunruhigt die Öffentlichkeit und auch hier wird der Schlüssel zur Lösung in einer in der frühen Kindheit einsetzenden Integration der Kinder von Migranten gesehen. Selbst die Folgen des demographischen Wandels der Alterstruktur Deutschlands für die sozialen Sicherungssysteme sollen die Kitas durch ein verbessertes Versorgungsangebot und dann vielleicht wieder wachsende Geburtenraten zu ent-schärfen helfen. Die großen Themen der Zeit, von den Globalisierungsfolgen und der wachsen-den internationalen Konkurrenz über die Finanzkrise des Staates, die Neubestimmung der staatlichen Prio-ritäten und die Stabilisierung des Sozialstaats bis hin zu Fragen nach dem Platz des Islams in westeu-ropäischen Gesellschaften, haben die Vorschuler-ziehung ins Zentrum des öffentlichen Interesses ge-rückt. Doch ist diese plötzlich erhöhte öffentliche Aufmerk-samkeit für die Kitas zumindest in der deutschen Ta-gespresse und im Fernsehen – anders als in dem breiter gefächerten Meinungsspektrum im Internet und in einschlägigen Fachgremien - erstaunlich pra-xisfern, vergangenheits- und gegenwartsblind. Pisa erscheint hier wie die Stunde Null der Bildungsre-form. Die Reformbewegung der siebziger Jahre und die von ihr ausgehenden Impulse sind noch nicht zum Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschung geworden, längst aber aus dem Blickwinkel der Gegenwart ge-raten. Und auch die in den letzten Jahren eingeleitete revolutionäre Umgestaltung des Alltagslebens von ca. zweieinhalb Millionen Kindern und vierhunderttau-send Erzieherinnen findet in der Tagespresse keinen Widerhall und keine kritische Begleitung. Einer der Hauptakteure des tief greifenden Umbruchs in deutschen Kitas ist das Institut für den Situations-

ansatz (ISTA) und sein von Christa Preissing geleite-ter Geschäftsbereich Forschung und Praxisentwick-lung. Dies kann nicht überraschen. Der Situationsan-satz erfreut sich seit den siebziger Jahren bei west-deutschen Erzieherinnen großer Beliebtheit und wur-de auch in den neuen Bundesländern nach deren Bei-tritt zur Bundesrepublik 1990 von vielen Kitas über-nommen, die dabei durch Fortbildungsveranstal-tungen des ISTA unterstützt und begleitet werden.

Mit dem Beitritt verstärkte sich auch die Forderung, allen Kindern zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr das Recht auf einen Kindergartenplatz zu garantieren. Die Durchsetzung ent-sprechender rechtlicher Regelungen erfolgte aber trotz schrumpfender Kin-derzahl schneller als die Ausweitung des Angebots von Halbtags- und Ganz-tagsplätzen, das sich immer noch am minimalen Betreuungsbedarf statt am Bildungsauftrag der Kitas orientiert. Dieser ist dennoch heute neben der traditionellen Betreuungsfunktion der Kitas und ihrem Beitrag zur

Entwicklung sozialer Kompetenzen der Kinder zu einem festen Bestandteil ihres Aufgabenbereichs geworden, auch wenn die Entwicklung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Kitas erst allmählich ihrem neuen Aufgabenspektrum und den an sie herangetragenen Erwartungen zu entsprechen beginnt. Ein so tief greifender Wandel der Praxis in den Kitas, der den neuen Qualitätsanforderungen gerecht werden soll, konnte natürlich nur in einer gemeinsamen, ko-ordinierten Anstrengung der zuständigen staatlichen Stellen, der Erzieherinnen, der Eltern und der Kita-Träger in Angriff genommen werden. Wesentliche Schritte dabei waren die 1999 vom Bundesfamilien-ministerium gestartete "nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder" und die Einführung von Bildungsplänen für die Kitas in einem Bundesland nach dem anderen, durch die in den letzten zwei Jahren verbindliche Bildungsstan-dards und -ziele für die Kita-Träger eingeführt wur-den. Das ISTA hat bei beiden Schritten eine wichtige Rolle gespielt, die Resultat und Ausdruck der dreißig-jährigen Diskussion und Weiterentwicklung des Si-tuationsansatzes war. 2003 wurde mit der Veröffentli-chung "Qualität im Situationsansatz – Qualitätskrite-rien und Materialien für die Qualitätsentwicklung in

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Das Institut für den Situationsansatz (ISTA)

Kindertageseinrichtungen" ein Steuerungsinstrumen-tarium für den komplexen Transformationsprozess der Kitas von einem Team unter der Leitung von Christa Preissing als Ergebnis von einem der Projekte der "nationalen Qualitätsinitiative" vorgelegt, dessen umständlicher, aber aussagekräftiger Titel "Entwick-lung von Kriterien zur Erfassung der Qualität der Ar-beit in Tageseinrichtungen für Kinder auf der Basis des Situationsansatzes sowie Erarbeitung und Er-probung von Instrumenten zur in-ternen und externen Evaluation" seine Zielsetzung treffend um-schreibt. Als nächstes legte das ISTA das "Berliner Bildungsprogramm für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Ta-geseinrichtungen bis zu ihrem Schuleintritt" im Auftrag der Se-natsverwaltung für Bildung, Ju-gend und Sport von Berlin vor sowie "Das Bildungsprogramm für saarländische Kindergärten" und die "Hamburger Bildungsempfehlungen", die vom ISTA im Auftrag dieser Bundesländer entwickelt wurden. Insbesondere das "Berliner Bildungspro-gramm" hat sich inzwischen zu einem pädagogischen Bestseller entwickelt, nicht zuletzt dank seiner über-sichtlichen, knappen und auch grafisch attraktiv gestalteten Präsentationsform. Man braucht nur den umfangreichen bayerischen "Bildungs- und Erzie-hungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung" daneben einmal kurz durchzublättern, um zu verstehen, warum Eltern und Erzieher eher zum "Berliner Bildungsprogramm" greifen. Eingebettet waren diese Publikationen in zahlreiche weitere Aktivitäten des ISTA, die von der Ausbildung von "Expertinnen und Experten für Qualität im Situa-tionsansatz (EfQS)" und "Multiplikatoren für die Ein-führung in das Berliner Bildungsprogramm und für die Begleitung von internen Evaluationen" über Be-ratungstätigkeiten und Kooperationen auf der lokalen, nationalen und internationalen Ebene bis hin zu "INA.KINDERGARTEN" reichen, einer Tochter-gesellschaft der INA und neuem Träger von Kitas in Berlin, dessen Senatsverwaltung eine Erhöhung des Anteils der Kitas in privater Trägerschaft auf 75% anstrebt. Doch bilden diese INA-Kindergärten nur einen winzigen Bruchteil des umfangreichen Enga-

gements des ISTA in allen Bereichen der eingeleite-ten Umgestaltung der Kitas in Deutschland. Am augenfälligsten sind die ersten Ergebnisse dieses Transformationsprozesses bei der Einführung von Beobachtungs- und Dokumentationssystemen, die das Erscheinungsbild einer wachsenden Zahl von Kitas prägen. Erzieherinnen haben überall die Qual der Wahl zwischen Beobachtungsanleitungen von Christa

Preissing, Fthenakis und weiteren Wissenschaftlern. Diese dienen der Ermittlung der besonderen Interessen und des Stands der Kompetenzentwicklung jedes ein-zelnen Kindes. Die aufbereiteten Beobachtungen des Kita-Teams dienen dann als Grundlage der Vereinbahrung individueller Lern-ziele und Förderungsangebote für jedes einzelne Kind und manifes-tieren sich in Lerntagebüchern, die in den Kitas ausliegen und die partnerschaftliche Zusammenar-beit mit den Eltern erleichtern, so-

wie in den zahlreichen Fotos an den Wänden der Kitas, die den Alltag der Kinder in der Kita begleiten. Nicht sichtbar ist dagegen die Verpflichtung der Ki-tas, - z. B. aller Kitas in Berlin bis Ende 2006 - ihre je eigene pädagogische Konzeption, ihre Ziele und Qualitätsansprüche in Übereinstimmung mit dem Bildungsprogramm ihres Bundeslandes auszuarbeiten und vorzulegen. Begleitet wird dieser Prozess schon jetzt durch Fachberatung und Fortbildungsveranstal-tungen sowie durch eine interne und eine externe Evaluation. Diese zu ermöglichen, haben sich viele Träger von Kitas bereits entweder selbst verpflichtet oder sie sind durch Rahmenvereinbahrungen zur Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten und deren Finanzierung und Leistungssicherstellung dazu ver-pflichtet worden. Noch nie zuvor ist die Entwicklung einer Generation von Kindern in Deutschland so systematisch beo-bachtet, fotografiert, dokumentiert und durch durch-dachte Anregungen fördernd begleitet worden. Und noch nie waren so viele Erzieherinnen in Deutschland davon durchdrungen, "auf dem Weg zu sein" und beständig nach Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Arbeit zu suchen und diese in immer neuen Anläufen in die Tat umzusetzen. (mb)

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INA.KINDER.GARTEN Lüneburger Strasse, Berlin

Mit Mit Mit Mit DreiDreiDreiDreijährigen ijährigen ijährigen ijährigen ins Museumns Museumns Museumns Museum????

Selbstportraits von Kindern des INA.KINDER.GARTENS Lüneburger Strasse, Berlin, nach Picasso: Dora Maar, 1937

Im Eingang des 'INA.KINDER.GARTENs Lüneburger

Strasse' in Berlin hängt ein Goethe-Zitat: "Man soll alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffendes Gemälde sehen und – wenn es möglich zu machen wäre – einige vernünf-tige Worte sprechen." In der INA-Kita Lüneburger Strasse ist es je einen Monat lang dasselbe Gedicht, dasselbe Lied und dasselbe Gemälde des Monats, das die Kinder sprechen, singen, hören, sehen oder auf das sie malend reagieren. Häufig steht es in einem Zusammenhang zu dem Projektthema, das je nach seiner Ergiebigkeit und dem Interesse der Kinder für ein oder zwei Wochen bis hin zu mehreren Monaten im Vordergrund der Tätigkeit der Kinder steht. Ein Gedicht kann man nachsprechen, ein Lied kann man singen, und beides kann man nach einem Monat der Einübung am letzten Freitag im Monat bei einer Veranstaltung des ganzen Kindergartens, an der auch einige Eltern teilnehmen, gemeinsam aufführen.

Damit das Gemälde des Monats die Aktivitäten der zwei- bis sechsjährigen Kinder auch vier Wochen lang übersteht, wird es zunächst laminiert. Darüber hinaus sind es im Grunde einfache, aber wirkungs-volle Ideen, die der künstlerischen Betätigung der Kinder Anregung und Ansporn verschaffen und sie strukturieren, Ideen, wie man sie z. B. in Christina Thräns "Meine Große Malschule - Tipps, Tricks und Übungen für alle, die Spaß am Malen haben " oder in Ursus Wehrlis "Kunst aufräumen" findet. Mal malen die Kinder mit der Mona Lisa vor Augen vorgegebene Konturen aus, mal motiviert sie ein Picasso-Gemälde Dora Maars, das sie im Original bei einem Besuch der Picasso-Ausstellung aus Paris in der Neuen Nationalgalerie gesehen haben, zu Selbstportraits. Und wenn dann auch noch der eigene Engel frei nach zwei kleinen Engeln auf einem Ausschnitt aus der Sixtinischen Madonna mit Hilfe

Engel von Kindern des INA.KINDER.GARTENS Lüneburger Strasse, Berlin, nach Rafael, Sixtinische Madonna (Ausschnitt)

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INA.KINDERGARTEN Lüneburger Strasse, Berlin

der Erwachsenen kopiert und zur Weihnachtskarte verarbeitet ist oder zur attraktiven Raumgestaltung beiträgt, hebt das das Zutrauen in die eigenen Kräfte und das Selbstbewusstsein. Ganz nebenbei haben die Kinder auch noch die Vorstellung von Engeln kennen gelernt, egal ob sie einer der Weltreligionen oder gar keiner Religion angehören. Und sie haben spielerisch begonnen, sich einen Kanon klassisch gewordener Bildideen anzueignen. Die Namen Picasso, Dora Maar, Leonardo oder Raffael werden sie nie mehr vergessen. Außerdem haben sie das reichhaltige Ausstellungs- und Museumsangebot Berlins ohne Schwellenangst als selbst-verständlichen Teil ihres Lebens zu nutzen begonnen. "Nein, die Zweijährigen in unse-rer Krabbengruppe nehmen wir noch nicht mit ins Museum, aber ein paar von den Dreijährigen, den Fischen, und alle dreiein-halb- bis Sechsjährigen, unsere Muschel- und unsere Seepferdchengruppe," sagt Frau Sandleben, die Leiterin der Kita. Wie wenig selbstverständlich das alles immer noch ist, zeigte ein Kurzbericht im Berliner Kurier, der drei Zweijährige schon auf dem Weg zum Genie und auf den Spuren Einsteins sah, nur weil sie erzählen konnten, was sie auf dem Mona-Lisa-Gemälde gese-hen hatten. Auch der museumspädagogische Dienst, der die Kleinen durch die Goya-Ausstellung führte, hatte ihr Interesse offensichtlich unterschätzt, denn die Kinder gaben sich keineswegs mit den ihnen vor-gestellten Bildern zufrieden, sondern stellten allerlei Fragen zu Bildern, die sie selbst im Vorbeigehen ent-deckt hatten und auf denen irgendetwas ihre Neugier und ihren Wissensdurst gefesselt hatte. Was wird aus diesen Kindern in der Schule werden? Wird sie diese Grundlagen ausbauen oder reichen diese ersten Impulse aus, die Kinder zu selbständigen Museumsbesuchern zu machen? In der National Gallery in London stößt man immer, in der Gemäldegalerie in Berlin nie, auf Säle, die vorüber-gehend abgesperrt sind, weil sich in ihnen Schul-klassen niedergelassen haben. Die Kita Lüneburger Strasse hatte schon einen Schwerpunkt bei der Kunsterziehung, bevor sie 2004 ein INA-Kindergarten wurde. Eine Kooperation mit

der UDK (Universität der Künste, Berlin) wird ange-strebt. Und natürlich werden auch die anderen Bil-dungsbereiche nicht vernachlässigt und bekommen ihren Anteil an den Projektthemen. Auch mit dem Situationsansatz hatten die Erzieherinnen schon längst gearbeitet, einige bereits in den siebziger Jah-ren, als die hinter dem Situationsansatz stehende Hal-tung noch mit den drei Schlagworten Solidarität, Autonomie und Kompetenz zusammengefasst wurde. Heute sind daraus 16 konzeptionelle Grundsätze ge-

worden, die wiederum in zahllose Qualitätsansprüche auf-gefächert sind. Selbst Jamie Olivers Campagne "Feed me better" gegen Junk Food und für gesünderes Schul-essen, die in England bereits zu einem Wandel bei den Selbstbe-dienungsautomaten in Schulen und in deren Budget für Schul-mahlzeiten geführt hat, und die

er letzten Herbst an einigen berliner Schulen vorge-stellt hat, ist hier nicht von Nöten gewesen: die Köchin kocht längst kindgerechte Vollwertkost. Außerdem spricht sie russisch und eine Erzieherin mit türkischen Sprachkenntnissen gibt es auch. Überraschend ist nur, dass es in dieser Kita, in der gut sechzig Prozent der Kinder ausländischer Herkunft sind, anscheinend überhaupt keine Sprachprobleme gibt. Der 10. Grundsatz des Situationsansatzes - 'für Integration, gegen jegliche Form von Ausgrenzung' – wird hier auf keine harte Probe gestellt. Die Kinder sprechen zu Hause ihre Muttersprache, z. B. russisch, türkisch, spanisch, chinesisch, englisch, oder ara-bisch, aber im Kindergarten sprechen sie deutsch. Auch ethnische Konflikte gibt es hier anscheinend nicht, weder zwischen den Kindern, noch mit den Eltern. Ein interkultureller Kalender informiert über die Festtage in verschiedenen Teilen der Welt. Wenn man Frau Sandleben erzählen hört, beginnt man sich zu fragen, ob es wirklich ein Ausländer-problem oder doch eher ein Armutsproblem in Deutschland gibt, das als Ausländerproblem wahrge-nommen wird. Zur Zweisprachigkeit sagt Frau Sand-leben, die sichere Beherrschung der Muttersprache sei eine wichtige Voraussetzung für den Erwerb einer Zweitsprache. Und für die Beherrschung der Mutter-sprache sorgen die Eltern der Kinder in der Lünebur-ger Strasse scheinbar mit Erfolg. (mb)

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Die School for Life in der Region Chiang Mai und die Beluga School for Life im Süden von Thailand

ThaiThaiThaiThai----Kultur und SituationsansatzKultur und SituationsansatzKultur und SituationsansatzKultur und Situationsansatz Die School for Life (www.School-for-Life.de) in Chiang Mai im Norden von Thailand nimmt seit Ende 2003 Kinder aus schwierigen Verhältnissen auf, Aids-waise, Kinder, deren Eltern auf der Flucht umge-bracht wurden oder verschollen sind, Gewalt-Opfer, traumatisierte Kinder. Früher hätte man gesagt, sie ist ein Waisenhaus. Außerdem beherbergt sie Voll- und Halbwaise aus dem Süden von Thailand, die Opfer des Tsunamis Ende 2004 wurden. Die Beluga School

for Life (www.beluga-schoolforlife.de) im vom Tsu-nami betroffenen Süden übernimmt das Konzept der School for Life in Chiang Mai, ihre Existenz ist im Gegensatz zu der des Mutterhauses für zehn Jahre gesichert. Die School for Life in Chiang Mai wurde aus dem Zusammentreffen einer Notlage und einer günstigen Kon-stellation geboren, konnte ihr Überleben zunächst nur durch kreative Improvisation sichern und befindet sich nun in einem Sta-dium der pädagogischen und finanziellen Konsolidie-rung. Zuerst kam der Situationsansatz nach Thailand. Dann gab es "Joy's House“, das kulturell sensitiven Tou-rismus und den Austausch mit anderen Kultur er-möglichen sollte. Zu Joy’s House gehört „Joy’s Farm“, die den ökologischen Anbau fördert. Dazu kam der Kontakt mit der INA und dann ein Doku-mentarfilm über "Joy's House – Reisen zu sich und anderen" von Nico Mesterharm von Krossover Media in der INA, der sich auch dem Thema Kinder und Aids widmete. Und dann gab es die ersten hilfebedürftigen Kinder, die zu Joy's House gebracht wurden. Hinzu kam ein Testament von Gisela Zimmer aus Lindau, das ein erstes finanzielles Engagement ermöglichte sowie die Bereitschaft von Neen "Joy" Worrawittayakun, ihre Farm und Joy's House dafür einzusetzen, diesen Kin-dern zu helfen. Die Anzahl der Kinder wuchs rasch. So wurde Ende 2003 die School for Life gegründet,

zunächst noch ohne ausreichende Finanzmittel oder passende Unterkünfte, einfach weil etwas getan werden musste. Der erste Bericht ein Jahr nach der Gründung der School for Life beginnt daher auch mit Kindergeschichten, Schilderungen von Einzelschick-salen von Kindern, die den Weng in die School for

Life gefunden hatten. Die Schule arbeitete zunächst als Home School unter dem organisatorischen Dach einer anderen Reform-schule. Seit Mai 2006 ist sie eine private Social Welfare School mit 100 dort betreuten Kindern. Zu

diesen kamen nach dem Tsunami bis auf weiteres 35 Kinder aus dem Süden. Thaneen „Joy“ Worrawittaya-kun und Jürgen Zim-mer waren nach dem Tsunami mit einigen Mitarbeitern ins Ka-tastrophengebiet ge-fahren, und die School

for Life hatte all ihre organisatorischen und konzeptionellen Erfah-rungen dafür einge-

setzt, um wenigstens einigen der betroffenen Kinder aus dem Süden zu helfen. Aus diesen Bemühungen entstand zusammen mit dem Bremer Unternehmer Niels Stolberg die Idee zur Gründung der Beluga School for Life, die seither von der Beluga Shipping GmbH Stolbergs gefördert wird. Kann man unter solchen Bedingungen sofort mehr als das Notwendigste tun? Macht Not und guter Wille wirklich erfinderisch? Es kommt wahrscheinlich auf die Umstände und die richtige Hilfestellung an. Beide waren bei der Entwicklung der Schools for Life güns-tig. Die thailändische Regierung hatte bereits 1999 eine Bildungsreform eingeleitet, die die Fächerfixie-rung auflösen und die Arbeit an realitätsnahen Pro-blemen in den Mittelpunkt schülerzentrierten Lernens rücken soll. Die Schools for Life und ihre Orientie-rung am Situationsansatz können in dieser Situation einen modellhaften Beitrag dazu leisten, die Lernin-halte des staatlichen Lehrplans in wichtige lokale und regionale Themen zu integrieren und praxisbezogener zu reorganisieren. Unter den gegebenen Bedingungen

INA-Journal, Heft 1, Frühjahr 2006 8

Die Schools for Life

ist es vielleicht sogar leichter als unter anderen Um-ständen, eine stärkere Gemeinschafts- und Praxisor-ientierung und die Einbeziehung der Schüler in die Gestaltung der Schule plausibel zu machen und ent-sprechende Konzepte zu verwirklichen. Die School for Life unterstützt die Kinder bei der Entwicklung eigener Projekte und ermöglicht ihnen ohne den Zwang der Existenzsicherung, unternehme-rische Ideen zu entwickeln und zu erproben. Das Curriculum folgt in seiner Struktur Lernbereichen, die sich in sieben Centers of

Excellence erschließen: “Organic Farming”; “Culture Sensitive Tourism”; “Health and Nutrition”; “Body and Soul”; “Cultural Heritage and Development”; “Technology, Crafts and Ecology”; “International Communication”. Charakteristisch für das Lernen, das sich weitgehend an Schlüsselsituationen orientiert, sind Merkmale wie: entdeckendes Lernen, Community Education und Entwicklung von Ideen unternehmerischen Handelns. Vgl.; Jürgen Zimmer: Dossier A: Konzept der School for Life; 2005.

Die fachliche Gesamtleitung des Projekts liegt bei Professor Jürgen Zimmer (INA), von thailändischer Seite sind die Foundation for Thailand Rural Re-construction Movement under Royal Patronage (TRRM), Professor Api-chai Puntasen (Rural and Social Management Insti-tute) beteiligt. Die Schulen haben auch die Möglich-keit, ihre eigenen Ab-schlüsse zu entwickeln.

Gegenwärtig sind ange-sichts der sehr unterschiedlichen Vorerfahrungen noch die 'Basics’ von 9.00 bis 16.00 Uhr vor-herrschend. Daneben gibt es Projekte und Workshops, aber auch genügend Zeit ohne Schule, die die Kinder selbst gestalten können. Mit der Weiterentwicklung des Curriculums wird auch der Unterricht in den

Grundlagen zunehmend in den Projektunterricht ein-gebunden werden können. Besucher der Schule aus Deutschland berichten vor allem über die starke Prägung des Alltags in der School for Life durch Elemente der thailändischen Kultur. Das zeigt sich von feststehenden Begrüßungs-ritualen über die Bedeutung von Gesang und Tanz bis hin zum Ausdruck der Freude bei Festen, bei denen Kinder Papierluftballons mit kleinen Feuerchen als Auftriebskraft in die Luft steigen lassen. Die Freude am Singen und die Bedeutung von Ritua-len machen sich der Unterricht in der Muttersprache und der Englischunterricht zunutze. In einer Schule, in der die Kinder ganz unterschiedliche Thaidialekte und die Sprachen der Berstämme sprechen, ist das besonders wichtig. So kann Sprachunterricht durch Alltagslernen und besondere Aktivitäten in alters-gemischten Gruppen unterstützt werden. Gefördert wird das zweisprachige Aufwachsen auch durch die Verfügbarkeit von Computern und die mögliche Nut-zung des Internets. Und während ein planvolles Angebot allmählich die Improvisation des Anfangs zu ersetzen beginnt und die Nutzung der sich anbietenden Möglichkeiten der Farm und der Region verbessert, spielen die gewach-senen Beziehungen eine mindestens ebenso große Rolle im weiteren Aufbau der Schule, die im Sinne einer großen thailändischen Familiengemeinschaft

funktionieren. Es gibt Ge-burtstagsfeiern, besondere Freundschaften, Schutz-engelbeziehungen, und es gibt ambivalente Gefühle, die die emotional geborge-nen Kinder nun auch zei-gen können, selten hand-feste Konflikte mit neu hinzugekommenen Kin-dern, deren Klärung Er-wachsene und Kinder ge-meinsam zu moderieren lernen. Im Zusammensein mit Gästen aus dem Aus-

land können die Kinder erste Englischkenntnisse erproben. Das Gebäudeareal wächst in Chiang Mai trotz des Geldmangels weiter. Provisorien werden durch Lern- und Wohnhäuser ersetzt, ein Basketballplatz ist im

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Die Schools for Life

Entstehen, neben dem Eingang zur Farm weist eine neue große Tafel auf die School for Life und ihre thai-ländische Trägerschaft hin. Im neu dazu gewonnenen Land bauen Kinder und Erwachsene im ökologischen Anbau Gemüse für den Eigenbedarf an. In den päda-gogischen Konzepten der Centers of Excellence wird dem Leben in der Natur ein herausragender Platz eingeräumt. Die Architektur der fast fertig gestellten Beluga School for Life gibt bereits eindrücklich Auskunft über den Charakter und den Anspruch auf Bildung in den Schools for Life. (mb/rh)

Zwei Brücken verbinden die Schools for Life mit der INA. Die eine führt zum Institut für den Situationsansatz, genauer: zum Bereich Weiter-bildung. Rita Haberkorn ist die Geschäftsführe-rin und zugleich Oberstudienrätin an der Fach-schule für Sozialpädagogik in Wiesbaden. Dort hat sie sich zunächst für zwei Jahre beurlauben lassen, um bei den Schools for Life die Adapta-tion und Entwicklung des Situationsansatzes zu begleiten. Sie arbeitet in beiden Welten: in Deutschland an der Weiterbildung von Fach-kräften für den Situationsansatz und in Thailand an der Entwicklung des Curriculum und der Fortbildung der thailändischen Erzieherinnen. Die zweite Brücke führt zum Institut für Inno-vationstransfer und Projektmanagement, seinem Gründer und Direktor Manfred Schönebeck und der Projektmanagerin Astrid Landero. Das IfI arbeitet an den Grundlagen für die Übertragung des Modells “Schools for Life” an andere Standorte, denn Anfragen gibt es schon jetzt da-nach. Ihnen können wir erst folgen, wenn die beiden Modellstandorte genügend Erfahrungen gesammelt, dokumentiert und evaluiert haben. An der Entwicklung eines Operational Manual beteiligt ist Andreas Dernbach, ein früherer Student von mir und nunmehr Berater der viet-namesischen Regierung bei einem umfänglichen Projekt der Bildungsplanung. Dr. Martin Muel-ler-Wolf, Unternehmensentwickler und -berater in Hamburg, ist für eine begleitende externe Evaluation des Projektes in Chiang Mai verant-wortlich. Jürgen Zimmer

Die Shaul und Hilde Robinsohn Stiftung, die mit der INA eng verbunden ist, fördert Arbeits-bereiche, in denen Shaul B. Robinsohn, einer der Gründungsväter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, wichtige Beiträge geleistet hat. Die Schools for Life stehen in der Tradition dieses ideengeschichtlichen und wissenschaftli-chen Erbes. Die Curriculumentwicklung und Lehrerbildung integriert Robinsohn’sche Posi-tionen und Konzepte. Die Stiftung hat 2004 beschlossen, das Projekt School for Life zu unterstützen. Sie verwaltet die eingehenden Spenden, sorgt für deren gemeinnützige und sachangemessene Verwen-dung und konnte im Jahr 2005 ein Spenden-aufkommen von insgesamt etwa 240.000 Euro nachweisen. Sie finanziert außerdem eine Schulleiterstelle sowie das Promotionsstipendium von Yothin Sommanonont, der in Deutschland und Thailand studierte, danach im thailändischen Ministry for Education für internationale Projekte zuständig war, nunmehr über die Curriculumentwicklung und Lehrerbildung der Schools for Life seine Dissertation schreibt und diese Entwicklungen auch leitet. Die School for Life in Chiang Mai ist auf Spender angewiesen, die das Projekt über einen längeren Zeitraum begleiten und damit deren Nachhaltigkeit sichern.

Spendenkonto: Hilde Robinsohn Stiftung Berliner Sparkasse BLZ 100 50 000, Konto Nr. 20 400 100 36 Kennwort: School for Life

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Institut für Community Education (ICE) und das Youth Empowerment Partnership Programme

Lokal denkenLokal denkenLokal denkenLokal denken und und und und handeln, international vernetzenhandeln, international vernetzenhandeln, international vernetzenhandeln, international vernetzen Mannheim ist eine Industriestadt, ein wichtiger Ver-kehrsknotenpunkt und mit weit über dreihunderttau-send Einwohnern die zweitgrößte Stadt Baden-Würt-tembergs im wohlhabenden Süden der Bundesrepu-blik Deutschland. Der überdurchschnittlich hohe Anteil an Industrie-arbeit hat aber die Anpassung an neue ökonomische Bedingungen in den letzten fünfzehn Jahren nicht un-beschadet überstanden. Ein Viertel der einmal vor-handenen Arbeitsplätze ging verloren. Diese Um-brüche haben auch die Stadtgesellschaft in Mann-heim tief- greifend verän-dert, wie man in der Neckarstadt-West sehen kann. In diesem ehemaligen Mannheimer Arbeiter-viertel gibt es 20% Er-werbslosigkeit und einen hohen Anteil von Men-

schen, die nur die Nach-teile dieser Veränderungen hinnehmen müssen und von den neu eröffneten Chancen ausgeschlossen sind. Viele Kinder und Jugendliche wachsen in einem Umfeld auf, das ihnen keine Perspektiven aufzeigt. Ihre Eltern beziehen Sozialhilfe, sind als Migranten besonders von sozialer Ausgrenzung bedroht oder sind in familiäre Konflikte verstrickt, unter denen auch die Kinder leiden. Oft führen unzureichende Deutschkenntnisse, fehlende Anerkennung und Schulen, die die entstandenen Probleme nicht bewäl-tigen können, zu schulischem Misserfolg und zu feh-lenden beruflichen Zukunftsaussichten: nicht gerade ein Grund zum Feiern, wenn die Stadt im kommen-den Jahr ihr vierhundertstes Jubiläum begehen will. Die Herangehensweise an diese Probleme, die die Akteure des Youth Empowerment Partnership Pro-

gramme YEPP in der Neckarstadt umsetzen, beruhen auf den Prinzipien von Empowerment Jugendlicher und ganzheitlicher Gemeinwesenentwicklung - unter aktiver Einbeziehung der Bewohner des Stadtteils. In Mannheim ist YEPP aktiver Partner des Quartierma-nagement, an dem sich viele lokale Initiativen und

Bewohner beteiligen. Ausgehend von den besonderen Bedürfnissen gerade der Einwanderer, stellt YEPP die Bereiche Sprachförderung und Stadtteilkultur in den Mittelpunkt der Arbeit in Mannheim. Sprachförde-rung fängt dabei bereits im Kindergarten an: Das "Rucksack-Projekt" konzentriert sich auf die ge-zielte Erweiterung des Wortschatzes von Kindern in Kindergärten unter Einbeziehung der Mütter, die ler-nen, die Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung auch zu Hause weiter zu fördern. Ein „Leseladen“

bietet ergänzend nicht nur Lektüre, sondern auch ei-nen Ort, wo man sich tref-fen und weiterbilden kann. In der Schule lernen die Schüler soziale Verant-wortung für einander zu übernehmen, in dem sie Jüngere bei den Haus-aufgaben unterstützen oder im Klassenrat gemeinsam Entscheidungen treffen und Konflikte demo-kratisch lösen. Und ein „Kunstladen“, in dem die

Kinder und Jugendlichen die Gelegenheit haben, mit erwachsenen Künstlern zusammenzuarbeiten und ihre Produkte zu präsentieren, stärkt die Kreativität sowie die sozialen Beziehungen in der Nachbarschaft. Viele dieser Projekte sind auf Dauer angelegt, indem Bewohner sie in Eigenregie übernehmen und einen eigenen Träger gründen (z.B. den „Kunstladen“-Ver-

ein) oder von Institutionen in ihre Alltagsarbeit inte-griert werden. Manche von ihnen haben auch einen natürlichen Abschluss gefunden wie z. B. das Musical "Neckarstadt West (Side) Stories", das von Jugendli-chen gemeinsam mit erwachsenen Theaterleuten ge-schrieben, eingeübt und aufgeführt wurde und das inzwischen als DVD vorliegt. Mannheim ist einer von insgesamt sieben Pro-grammstandorten von YEPP. In den anderen Standor-ten in Antwerpen (Belgien), Dublin (Irland), Kristi-nestad (Finnland), Tuzla (Bosnien und Herzegowina) und Turin (Italien, zwei Standorte) finden teils ähnli-che, teils spezifische Aktivitäten statt. Die lokalen

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Institut für Community Education (ICE) und das Youth Empowerment Partnership Programme

Programme werden ausgehend von einer Analyse des jeweiligen Bedarfs und der zur Verfügung stehenden Ressourcen gestaltet; dabei kommt lokalen Unterstüt-zungsgruppen eine zentrale Rolle zu. Gemeinsam ist der Arbeit in allen Standorten ein gemeinwesenorien-tierter Ansatz und die Zielsetzung von Youth Em-powerment. Was aber haben diese Zentren von der Zusammenar-beit miteinander und warum brauchen sie YEPP als Rahmen für ihre lokale Arbeit? YEPP bietet ihnen ein entwickeltes "Concept of Change", ein Modell für Veränderungen im Gemeinwesen, von der Situa-tionsanalyse über die Aktion bis zur Evaluation. YEPP bietet Weiter-bildungsmöglichkei-ten und - zusammen mit der OECD - in-terne und externe Evaluation. Und YEPP baut ein inter-nationales Netz. Die-ses ermöglicht Ju-gendlichen internatio-nale Begegnungen und Erfahrungen. Die Koordinatoren und Evaluatoren aus den Standorten lernen von Erfahrungen aus an-deren Ländern. Das internationale Netz-werk erleichtert es den lokalen Akteuren, vor Ort ernst genom-men und gehört zu werden. Und YEPP erleichtert die Beschaffung z. B. von EU-Mitteln, die nur von internationalen Koope-rationsprojekten beantragt werden können. Darüber hinaus gibt es gemeinsame internationale Projekte wie z. B. das „EmpowerMediaNetwork“, das deutlich die Wirkungskraft des internationalen Erfah-rungsaustausches zeigt. YEPP predigt nicht nur Youth Empowerment anderen, sondern praktiziert es selbst, indem es z. B. Jugendlichen nicht Programme überstülpt, sondern sie in allen Stadien und auf allen Ebenen an der Projektentwicklung beteiligt und ihnen vielfältige Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten bietet. Ein gutes Beispiel dafür sind die beiden YEPP Kon-ferenzen, die letztes Jahr in Berlin und dieses Jahr in Turin Stiftungsvertreter und Jugendliche aus den ver-

schiedenen sozialen Brennpunkten zusammenführten und ihnen ermöglichten, sowohl getrennt als auch gemeinsam sich über die bisherigen Erfahrungen mit YEPP auszutauschen und über den zukünftigen Kurs von YEPP zu beraten. Das laufende Jahr 2006 ist außerdem ein Jahr des Abschlusses, in dem nach fünf Jahren Schlussfolge-rungen gezogen werden, die in Form wissenschaftli-cher Arbeiten und eines praxisnahen Handbuchs ver-öffentlicht werden sollen. Ab dem Jahr 2007 ist ein Folgeprojekt geplant, das auf den bisherigen Erfah-rungen aufbaut und diese auf eine neue Stufe hebt. Insbesondere wird YEPP politischer: Alle Beteiligten

wollen ihre Anstren-gungen verstärken und systematisieren, um mehr als bisher auf politische Ent-scheidungen auf loka-ler und nationaler Ebene Einfluss zu ne-hmen. YEPP wurde von ei-nem Netzwerk euro-päischer und amerika-nischer Stiftungen ins Leben gerufen und wird vom Institut für

Community Education

an der Interna-

tionalen Akademie - in Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort - umgesetzt. Die

beteiligten Stiftungen planen, das Folgeprojekt zu unterstützen - unter anderem wegen der gelungenen Verknüpfung von lokaler Arbeit im Jugendbereich und der internationalen Zusammenarbeit der lokalen Zentren. Bill White, der Vorsitzende der amerikani-schen C.S. Mott Foundation, einer der wichtigsten Partner und Förderer von YEPP, formuliert es so: "In den vielen Jahren, die ich bei der Stiftung arbeite, habe ich viele Programme gesehen. Fast ohne Ausnahme sind die erfolgreichen Programme diejenigen mit einer starken lokalen Komponente. Eine der wesentlichen Stärken von YEPP ist, dass es mehrere lokale Standorte hat. Es hat mich beeindruckt, dass YEPP versucht, die Erfahrungen aus verschiedenen Ländern und Kulturen zusammenzubringen." (mb/pb/ks)

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Institut für Community Education (ICE) und das Youth Empowerment Partnership Programme

EmpowerMediaNetworkEmpowerMediaNetworkEmpowerMediaNetworkEmpowerMediaNetwork Vier Jugendliche aus Mannheim Neckarstadt-West haben einen Dokumentarfilm über einen kurdischen Künstler gedreht, der mit Kindern dieses Stadtteils arbeitet und ihnen hilft, ihre eigenen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln. Er hat sie mit seiner eigenen Farbenfreude angesteckt und gleich-zeitig dadurch selbst eine neue Bindung an diesen sozialen Brennpunkt entwickelt, der heute die neue Heimat dieses politischen Flüchtlings ist. Trotz seiner areligiösen Lebenseinstellung und westlichen Klei-dung wird er in seiner neuen Umwelt allerdings häufig für einen Muslim gehalten. Der Film zeigt eines von sechs verfilmten Personen-portraits, die Jugendliche in sechs europäischen Län-dern unter Anleitung erfahrener Filmemacher gedreht haben, die ihnen das technische Fachwissen dazu ver-mittelt haben. Die Protagonisten der anderen Filme sind ein Roma-Mädchen in Bosnien, ein italienischer Musiker, ein Jugendarbeiter in Dublin, ein afrika-

nischer Jugendlicher in Antwerpen und eine nor-wegisch-schwedische junge Erwachsene, die in Finn-land lebt. Die Filme sind das erste Produkt des „Empower-

MediaNetwork“, einer internationalen Initiative, in der professionelle Medienarbeiter und Fachleute für Gemeinwesenentwicklung zusammenarbeiten und sich dabei am Community-TV Ansatz orientieren, um Jugendlichen bessere Möglichkeiten zu verschaffen, ihre Bedürfnisse öffentlich zu artikulieren und zu präsentieren. Ins Leben gerufen wurde diese Initiative vor einem Jahr von YEPP (Youth Empowerment Partnership Programme). Bei der YEPP-Konferenz in Turin wurden die Filme mit großem Erfolg gezeigt.

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Nach Rhetorikkurs auf gleicher AugenhöheNach Rhetorikkurs auf gleicher AugenhöheNach Rhetorikkurs auf gleicher AugenhöheNach Rhetorikkurs auf gleicher Augenhöhe

YEPP-Community Conference und Jugendtreffen in Turin, 20.-24.März 2006 Wie kann man Jugendliche und junge Erwachsene aus sechs Ländern im Alter von 16 bis 24 Jahren dazu bewegen, sich in einer großen internationalen Konfe-renz mit insgesamt über 100 Teilnehmern aus 13 Ländern Gehör zu verschaffen? Und, wichtiger noch, wie kann man die anwesenden Wissenschaftler, Poli-tiker, Künstler, Stiftungsvertreter und Projektmitar-beiter dazu bringen, ihnen zuzuhören? Bei der Konferenz des Youth Empowerment Part-

nership Programme in Turin hieß die Antwort: Durch Empowerment der Jugendlichen! Entsprechend war ein Teil des Jugendtreffens als ein Training angelegt, bei dem die Teilnehmer Grundlagen des öffentlichen Redens erlernten. "Es ist normal, aufgeregt zu sein, es nützt nichts, dagegen ankämpfen zu wollen. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht", so eine der Botschaften der italienischen Trainerin. Die Jugendlichen konnten die neu erworbenen Fähig-keiten gleich einsetzen, z. B. bei einer Talk Show

Jugendlicher und Erwachsener aus sieben Nationen. Das gesamte Ereignis wurde gefilmt und gleich auf eine Leinwand übertragen. Der Moderator, eigentlich YEPP-Koordinator in einem Turiner Stadtteil, sorgte gekonnt für einen echten Meinungsaustausch, bei dem auf alle vorgetragenen Fragen und Argumente in der weiteren Diskussion wirklich eingegangen wurde. Dieses internationale Treffen hat Jugendlichen und Erwachsenen Anregungen und einen neuen Schub für die Arbeit in den Standorten gebracht. Wie schafft es der Jugendrat in Finnland, Jugendliche zu aktivieren? Wie kann Sprachförderung die Eltern einbeziehen, so wie in Mannheim? Wie können Jugendliche in einer Youth Bank Verantwortung lernen, so wie in Tuzla? Einer der jugendlichen Teilnehmer bringt es so auf den Punkt: "Jetzt nach der Konferenz habe ich so viele Ideen für Projekte - ich will unbedingt was ma-chen." Neben dem Motivationsschub und neuen Kontakten hatte er außerdem Gelegenheit, eine italie-nische Stadt kennen zu lernen. (mb/pb/ks)

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Das Institut für Innovationstransfer und Projektmanagement in der INA

Wie findet man die optimale Kombination von Problemstellungen

und Personen? Ein personalpolitisches Modell für Manager im

dritten Lebensabschnitt Die legendären "Silberpfeile" sollte es eigentlich gar nicht geben. Die Silberpfeile von Mercedes Benz wa-ren zunächst nur eine kreative Verlegenheitslösung, deren Aussehen und Erfolg zu ihrem Namen führten. Der Rennwagen, mit dem Manfred von Brauchitsch 1934 für Mercedes-Benz auf dem Nürburgring in das Eifelrennen gehen sollte, entsprach nicht den neuen Vorschriften der internationalen Sportbehörde über das zulässige Höchstgewicht. Daher entschloss sich das Team von Mercedes-Benz kurzfristig, den Lack des Rennwagens abzuschleifen und dadurch sein Ge-wicht so zu reduzieren, dass er doch noch zu dem Rennen zugelassen wurde, das von Brauchitsch dann überlegen gewann. Die Presse verpass-te dem siegreichen Automobil mit dem Silberglanz seines nackten Alumini-ums und seiner Pfeilgeschwindigkeit seinen neuen Namen, der dann zu einem Mythos des Auto-rennsports wurde und den Mercedes-Benz bis in die fünfziger Jahre beibehielt. Die Silberpfeile der INA gibt es wirklich nicht. Sie sind 'nur' eine zündende Metapher, die Manfred Schönebeck, der Gründer des Instituts für Innova-tionstransfer und Projektmanagement in der INA, zur einprägsamen Versinnbildlichung einer guten Idee, eines neuen personalpolitischen Modells in die Welt gesetzt hat. Von Daimler-Chrysler zur INA hatte er zwei neue ehrenamtliche Mitarbeiter als Mittler zwi-schen den Erfahrungswelten der Wissenschaft und der Wirtschaft geholt. Verallgemeinert wäre der Weg von der Wirtschaft an eine deutsche Universität eine para-digmatische Problemlösung durch Verkoppelung von zwei getrennten Problemfeldern, dem Wandel der Altersstruktur der Gesellschaft und dem Funktions-wandel der Universitäten. Das Institut für Innovationstransfer und Projektma-nagement ist eine Kommunikationsplattform, auf der Forschungsergebnisse mit Praxisanforderungen zu-sammengebracht, soziale Projekte lanciert und die Verständigung zwischen Wissenschaftlern, Politikern

und Wirtschaftmanagern erleichtert werden sollen. Es versteht sich als Transfer-Dienstleister von Lösungs-ansätzen, Ideen und Konzepten, der seine Auftragge-ber durch den "Konflikt einer fehlenden Lösung" be-gleitet. Neues setzt sich nicht von alleine durch, sondern er-zeugt zunächst Ängste und Widerstände, insbesonde-re in sozialen Projekten, die Denk- und Handlungsab-läufe in bestehenden Institution verbessern wollen. Unterschiedliche Begriffswelten produzieren Miss-verständnisse zwischen Politik, Wirtschaft und For-

schung, die daher häufig genug an einander vorbei agieren. Wenn man das ändern will, muss man geistes- und sozialwissen-schaftliche Kompe-tenz sowie Erfah-

rung im Prozessmanagement zusammenführen. Die Lösung des personalpolitischen Aspekts dieses Problems fand Manfred Schönebeck praktisch vor der Haustür. Am Standort Berlin gab es nicht nur die Freie Universität, die INA und sein vor vier Jahren gegründetes Institut, sondern auch das Labor "Tech-nik und Gesellschaft" für sozialwissenschaftliche For-schung der Daimler-Chrysler AG. Dort rekrutierte er zwei Forschungsdirektoren für sein Institut, die sich gerade nach neuen Betätigungsfeldern für den Le-bensabschnitt nach dem näher rückenden Ende ihrer Karriere bei Daimler-Chrysler umsahen. Der Fall ist verallgemeinerbar. In Deutschland schei-den heute Wirtschaftsmanager aus dem aktiven Ar-beitsleben in einem Alter aus, in dem sie noch weit entfernt vom Ende ihrer Leistungsfähigkeit sind und mit ihren bisher erworbenen Erfahrungen, Kompeten-zen und Kontakten für die Bewältigung vernachläs-sigter Aufgaben gebraucht würden, wenn es die ent-sprechenden Rollenmodelle schon gäbe. In den ansonsten mit sozialstaatlichen Schutzmecha-nismen schwächer ausgestatteten Vereinigten Staaten von Amerika gibt es im Unterschied zu Europa längst

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Das Institut für Innovationstransfer und Projektmanagement in der INA

Gesetze gegen Altersdiskriminierung. In Lebensläu-fen und Bewerbungsschreiben findet man dort heute in der Regel keine Angaben zum Geburtsdatum mehr. Dies trägt einer veränderten Realität Rechnung: Wäh-rend Menschen in Berufen, die sie nicht einem größe-ren physischen Verschleiß aussetzen, sich im 18. Jahrhundert oft schon gegen Ende des vierten Lebens-jahrzehnts als alt bezeichneten, fühlen sie sich heute in einem weit höheren Alter immer noch im Vollbe-sitz ihrer Kräfte und nehmen immer häufiger, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten, bis weit über das siebzigste Lebensjahr hinaus wichtige Aufgaben wahr. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung in der Erfül-lung einer sinnvollen Aufgabe und die Einbindung in ein soziales Netz von Erwartungen und Verpflichtun-gen macht sie auch in ehrenamtlichen Positionen bei anderweitig gesicherter Existenzgrundlage zu Mitar-beitern, die ihre Positionen ausfüllen. Darüber hinaus gibt es oft Aufgaben, für deren Übernahme niemand an ihrer Stelle so geeignet wäre. In vielen Bereichen der Universitäten wird heute ein guter Draht zur Wirtschaft immer wichtiger. Wie würden sich die Universitäten in Deutschland verän-dern, wenn Manfred Schönebecks Lösung seines Per-sonalproblems Schule machte! An den Universitäten könnten Ex-Manager ihre in anderen Zusammenhän-gen erworbenen Erfahrungen mit großen Freiheits-räumen und einem hohen Grad an Selbstbestimmtheit in einem Lebensabschnitt umsetzen, in dem sie wei-terhin auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit sind und für die Übernahme solcher Aufgaben zu Verfügung stehen. Dabei geht es nicht darum, an ein erfülltes Berufsleben noch ein paar Jahre ehrenamtli-cher Nebentätigkeit anzuhängen, sondern um Lauf-bahnmuster und Karrieren in einem neuen Lebensab-schnitt, die sich durchaus über zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre erstrecken können. Manfred Schönebecks Metapher von den Silberpfei-len ist ein rhetorisch geeignetes Mittel, um Diskussio-nen über ein zukunftsträchtiges Modell anzustoßen. Dessen Kernelemente sind die Entdeckung einer un-genutzten Kompetenzreserve, eines kostengünstigen Wegs, um sie zu erschließen, sowie drittens ein Kon-zept der Universitätsreform durch Rekrutierung eines Typs von Mitarbeitern, der nicht an irgend einem Punkt seiner akademischen Laufbahn steht, sondern

nach Jahrzehnten der Tätigkeit in der Wirtschaft nun in eine zweite Laufbahn in der Wissenschaft einstei-gen will. Dass man sich heute nicht darauf verlassen kann, ei-nen in der Jugend erlernten Beruf sein Leben lang auszuüben, ist ein Gemeinplatz. Ein Konzept, das die hybride Verknüpfung jahrzehntelanger Praxiserfah-rung mit einem Umstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn im fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt nicht als seltene Ausnahme, sondern als ein Kernele-ment zur Stärkung des Praxisbezugs der Forschung eher zur Regel machen will, dabei die Widerstände in der Wirklichkeit durch eine noch unübliche Nutzung ehrenamtlicher Tätigkeit umgeht, und deren Reize immaterieller Art erkannt hat, ist eine interessante, erprobenswerte Innovationsidee. Schönebecks neue Forschungsdirektoren würden sich natürlich nie als Silberpfeile bezeichnen und weisen dies weit von sich. Die Relevanz ihrer Erfahrungen bei Daimler für ihr neues Aufgabenfeld würden sie natürlich nicht bestreiten. Aber wer möchte schon als Mythos herumlaufen oder sich allein durch seine Herkunft und nicht durch seine gegenwärtigen Leis-tungen definieren lassen? Nun denken die neuen Forschungsdirektoren nicht mehr bei Daimler, sondern bei der INA über die früh-zeitige Entdeckung sozialer Problemfelder nach und über praxisrelevante Projekte, mit denen umsetzbare Lösungsansätze entwickelt werden sollen, die diese Probleme rechtzeitig entschärfen könnten. Einiges davon ist gegenwärtig noch nicht spruchreif, soll aber in nicht all zu ferner Zukunft der Öffentlich-keit vorgestellt werden. Bis man zu Ergebnissen kommt, braucht es Zeit. Gegenwärtig wollen die bei-den Forschungsdirektoren selbst das Thema, mit dem sie sich beschäftigen, vertraulich behandelt sehen. Engagiert haben sich das Institut und seine Geschäfts-führerin Astrid Landero aber bereits innerhalb der INA. So gibt es Ansätze zu einer Zusammenarbeit mit dem ISTA im Blick auf mögliche Übertragungen des Situationsansatzes aus dem Bereich der Vorschuler-ziehung auf neue Anwendungsbereiche und ein kon-kretes Projekt zur Erforschung der Grundlagen einer Übertragung des Modells der “Schools for Life” von Thailand auf andere Standorte, an dem bereits von verschiedener Seite großes Interesse besteht. (mb)

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Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI) – Beratung, Entwicklung, Forschung

PopularisierungPopularisierungPopularisierungPopularisierung Der bewusste Einsatz rhetorischer und didaktischer Hilfsmittel galt Jahrhunderte lang als Beiwerk wissenschaftlicher Tätigkeit, wenn nicht gar als Quelle der Verfälschung der Wahrheit. Populärwis-senschaftlichen Darstellungen und der journalisti-schen Betätigung von Wissenschaftlern haftete noch im 20. Jahrhundert ein Hauch des Unseriösen an. In einer Welt, in der immer mehr Menschen Experten für irgendetwas sind, gleichzeitig aber selbst ihre eigenen Spezialgebiete kaum noch überschauen kön-nen und in vielen Fragen auf die Antworten anderer angewiesen sind, wird die Aufbereitung und Vermitt-lung komplexer Zusammenhänge zunehmend zu einer zentralen Aufgabe der Forschung. Häufig führen erst zeitaufwendige und arbeitsintensive Recherchen, neue Erkenntnisse und ein tieferes Eindringen in die untersuchten Sachverhalte zu verständlicheren, aber

nicht verfälschenden Darstellungen, die eine wesent-liche Voraussetzung kooperativer und interdiszipli-närer Arbeit, der Politikberatung und der praktischen Umsetzung neuer Erkenntnisse sind. Die Wirkung der Kita Bildungsprogramme Berlins, Hamburgs und des Saarlands, die in den letzten zwei Jahren vom Institut für den Situationsansatz (ISTA) in der INA vorgelegt wurden, oder des Toolkits "Gender, Konflikttransfomation & der psychosoziale Ansatz", das vom Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI) in der INA für die Direktion für Entwicklung

und Zusammenarbeit (DEZA) erarbeitet wurde, beruht ganz wesentlich auf einer intensiven Arbeit an sachangemessenen, durchsichtigen Darstellungs- und Popularisierungsformen, die eine herausragende Rolle im Erkenntnisfortschritt und in der Erkenntnis-vermittlung der Gegenwart spielen. (mb)

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Traumabehandlung und psychosoziale Prozesse in

Bosnien, Sierra Leone, Nepal und Palästina Gewaltsame Konflikte, Krieg, Bürgerkrieg, militärische Ge-walt, Terror und Naturkatastro-phen gehören zur Alltagserfah-rung der überwältigenden Mehrheit der Menschheit in Asien, Afrika und Südamerika und sind nach einem halben Jahrhundert des inneren Frie-dens in Europa und Nord-amerika seit dem 11. September 2001 auch im Bewusstsein der Europäer und Nordamerikaner wieder verstärkt gegenwärtig. Ganz abwesend waren sie auch hier nie gewesen. Vor allem die Erinnerung an den zweiten Weltkrieg und den Holocaust, der kalte Krieg, Tschernobyl, Nordirland, das Baskenland, Israel und Palästina, Gewalt in bestimmten Milieus und Fami-lien, oder die Schicksale von

Flüchtlingen aus aller Welt und deren zunehmendes Zusam-menwachsen im Prozess der Globalisierung hatten den Ein-bruch von Gewalt und Katastro-phen nie zu einem Fremdkörper in der Erfahrungswelt des Westens werden lassen. Der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie Terror, Opfer und Traumatisierung in den letzten Jahren zeigt zwar die mangel-hafte Abgrenzung dieser Be-griffe, aber auch ein gewisses Verständnis dafür, dass es in Gewaltsituationen nicht nur um eine Beendigung der Gefahr und materielle Hilfe beim Wie-deraufbau geht, sondern auch um die Herstellung des Rechts und die psychische Verarbei-tung der Vergangenheit.

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Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI) – Beratung, Entwicklung, Forschung

Das Institut für psychosoziale Prozesse (Office of Psychosocial Issues – OPSI) widmet sich solchen Problemen und der Verbesserung psychosozialer Ar-beit durch Beratung und Evaluation, Fortbildung und Forschung vor allem in der Entwicklungszusammen-arbeit und in der Krisentransformation in verschiede-nen soziokulturellen Kontexten. Gewaltsam ausgetragene Konflikte entzweien Ge-meinschaften, zerstören ihre Lebensgrundlagen sowie ihre Sozialstruktur und erzeugen Angst. Projekte in Konfliktgebieten greifen immer auch in den Konflikt ein und agieren ohne den bewussten Umgang mit dem Konflikt, der Gefahr und der Zerstörung blind. Psy-chosoziale Aspekte lassen sich leider nicht aus der Tätigkeit in einem Krisengebiet ausgrenzen und an Experten zur Behebung von Krankheitssymptomen delegieren, sondern spielen überall eine Rolle. Das Toolkit "Gender, Konflikttransformation & der

psychosoziale Ansatz"

Da psychosoziale Aspekte daher von einer großen Zahl von dafür nicht geschulten Menschen bei ihrer Arbeit berücksichtigt werden müssen, hat das OPSI für die DEZA (die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in der Schweiz) einen Toolkit ent-wickelt, der in kurzen Texten grundlegende Konzepte und Ar-beitsinstrumente vorstellt, die die Umsetzung der Konzepte auch psychosozialen Laien ermöglicht. Darüber hinaus beschreibt es die zentralen Probleme verschiedener Zielgruppen und psychosozial relevante Maßnahmen in ver-schiedenen Sektoren vom Bil-dungs- und Gesundheitswesen über die Einkommenssicherung, Nahrungsmittel- und Wasserver-sorgung, bis hin zur Wohnraum-beschaffung und dem Einsatz nach Naturkatastrophen. Das Toolkit funktioniert wie eine Prüfliste, die an relevante Sach-verhalte erinnert, für sie sensibili-siert und es ermöglicht, diese ab-zufragen und aus den Antworten situationsspezifische Schlussfolgerungen für das eigene Handeln abzulei-ten. Jeder Abschnitt oder Baustein ist in sich ver-ständlich formuliert und setzt nicht die Lektüre des restlichen Toolkit voraus.

Dabei spielen Begriffe wie Programm-Management, Traumaverarbeitung oder der Umgang mit der Ver-gangenheit, Empowerment auf der individuellen, so-zialen und politischen Ebene oder die Wiedergewin-nung der Handlungsfähigkeit, der Wandel der Ge-schlechterbeziehungen (Gender) in Krisen und Kon-flikten, Konflikttransformation, das Verhältnis von innerer und äußerer Realität, Ausgrenzung, Fragmen-tierung und Isolation, Schweigen, Bedrohung, Angst, Zerstörung, Trauma, Verlust, Trauer, psychosoziales Feld, Gerechtigkeit, Rehabilitation, Erinnerungsarbeit und Konfliktfähigkeit eine entscheidende Rolle. Es kostet Zeit, sich auf andere Menschen einzulassen. Die Ziele dieser Arbeit im komplizierten Terrain psy-chosozialer Prozesse sind nicht eindeutig zu defi-nieren und eindeutige Erfolgskriterien gibt es auch nicht. Und manche Schritte sind unvermeidlich, aber ambivalent.

Trauma und psychosozialer Ansatz

Natürlich gibt es auch die Versuchung, sich auf Ab-kürzungswege, die nicht funktionieren, einzulassen. Einer davon ist das weit verbreitete Konzept der PTSD (Post-Traumatic-Stress-Disorder), eine Dia-

gnosekategorie im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) der American Psychiatric Association. Es ist ein rein individueller Symptomkata-log, der den sozialhistorischen Prozess und die Wechselwirkun-gen zwischen der individuellen Psychodynamik und den sozialen Verhältnissen völlig ausblendet. Das Toolkit stützt sich demgegen-über auf Hans Keilsons Begriff der sequentiellen Traumatisierung, den dieser anhand seiner Arbeit mit jüdischen Kindern, die die Verfolgung in Holland während des zweiten Weltkriegs überlebt hatten, entwickelte. Im Unter-schied zu Freud, der den Begriff

des Traumas aus der Medizin (im Griechischen: die Wunde, Läsion) in die Psychologie übertragen hatte, aber im Laufe seines Lebens immer mehr von der ausschlaggebenden Bedeutung des tatsächlichen Geschehens, das den traumatischen Prozess ausgelöst

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Tuzla

Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI) – Beratung, Entwicklung, Forschung

hatte, zugunsten der nachträglichen innerpsychischen Bewertung dieses Ereignisses abrückte, spielt das reale Geschehen in den von Keilson analysierten Fäl-len wieder eine größere Rolle in den innerpsychi-schen Prozessen, wobei das Trauma selbst schließlich als langfristiger Prozess wahrgenommen wird, also nicht als ein Ereignis mit Folgen, sondern als ein so-zialer und psychischer, sich wechselseitig bedingen-der Entwicklungsprozess, der über Generationen andauern kann. Im Toolkit erscheint der Kontinuitätsbruch durch das Trauma und die Erinnerungshemmung, das Ver-schweigen des traumati-schen Ereignisses weniger als ein Produkt der indivi-duellen Triebstruktur, denn als die Folge einer sozialen Tabuisierung und politi-schen Unterdrückung, die das Sprechen im öffentli-chen Raum über das, was geschehen ist, unterbindet und dadurch auf die indivi-duelle Psychodynamik wie auf die soziale Situation der Betroffenen einwirkt. Dementsprechend spielt die öffentliche Erinne-rungs- und Trauerarbeit in dem Toolkit für die Traumaverarbeitung eine heraus-ragende Rolle, deren rechtliche und soziale Bedeu-tung in der Konflikttransformation besonders deutlich wird. Die Lebensgrundlage, die individuellen Pro-zesse und die gesellschaftlichen Prozesse sind im sozialen Feld so miteinander verzahnt, dass ein Hei-lungsprozess nur in einem integrierten Herangehen, das alle drei Aspekte berücksichtigt, gelingen kann. (Das Toolkit erreicht man im Internet über http://www.deza.admin.ch/ -> Themen -> Gender-Gleichstellung -> Instrumente zur Gleichberechtigung -> thematische Arbeitsinstrumente -> Toolkit.) Der psychosoziale Ansatz und seine Anwendungs-möglichkeiten, um die es im Toolkit geht, erweist sich so als der Versuch, soziale und kollektive Pro-zesse immer gleichzeitig mit individuellen und intrapsychischen Vorgängen zu denken und in der Projektarbeit entsprechend zu berücksichtigen.

Praxis In das Toolkit sind die Erfahrungen jahrzehntelanger Arbeit eingeflossen, zunächst in Chile mit Folterop-fern, dann in Angola mit Kindersoldaten oder Erfah-

rungen in Nordirland. In den letzten Jahren war das OPSI vor allem in Tuzla in Bosnien, in Sierra Leone, in Nepal und im Gazastreifen tätig.

Tuzla

In Tuzla hat das OPSI seit fünf Jahren Vive Zene be-raten und den Aufbau und die fachlichen Entwick-lungsprozesse dieser Institution, deren Schwerpunkt bei der Betreuung kriegstraumatisierter Frauen liegt, mit Workshops, Fallbesprechungen, der Unterstüt-zung von Evaluationsprozessen und gelegentlich su-pervidierend kritisch begleitet.

Anfangs standen dabei Teamkonflikte, der emo-tionale Halt des Teams und dessen Selbstbewusstsein beim Aufbau einer für Bosnien neuartigen, auf Betreiben ausländischer Sponsoren ins Leben ge-rufenen Institution im Vor-dergrund der Arbeit sowie ein für die Arbeit nicht funktionales Hierarchiebe-wusstsein. Später ging es dann mehr um Wissensver-mittlung, Dokumentation, Forschung und von Vive

Zene organisierte Fortbildungsarbeit. Inzwischen hat das Team von Vive Zene seinen eigenen Arbeitsan-satz entwickelt und ein bewegendes Buch, "The Years of Support – Psychosocial Work in Bosnia and Her-zegovina – 1994-2004" über sich und seine Entwick-lung geschrieben, in dem auch der Werdegang sämtli-cher Mitarbeiter und ihre Aufgaben in Vive Zene dar-gestellt wird. Die Arbeit mit Vive Zene neigt sich dem Ende zu. Während ursprünglich diese Institution sehr abhängig vom externen Geldgeber war und in ihrer inhaltlichen Arbeit stark durch unkritisch importierte Traumatech-niken bestimmt wurde, ist es ihr inzwischen gelun-gen, nicht nur selbstbewusster und (auch ökono-misch) selbständiger zu werden, sondern auch einen kontextuell angepassten Ansatz zu entwickeln, der den spezifischen und andauernden Problemen in Bos-nien angemessen Rechnung trägt.

Sierra Leone In Sierra Leone, dem ärmsten Land der Welt, das darüber hinaus unter den Folgen eines grausamen Bürgerkriegs leidet, bildet das OPSI im Auftrag von

INA-Journal, Heft 1, Frühjahr 2006 18

Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI) – Beratung, Entwicklung, Forschung

Caritas International Vorschulerzieherinnen fort. Hier wird erstmals ernst gemacht mit dem Wissen, dass nicht Therapeutenheere die traumatisierten Kinder und Familien heilen werden, sondern wenn es über-haupt eine Veränderung geben soll, dies nur auf der Community-Ebene und insbeson-dere in den schulischen Einrichtun-gen stattfinden kann. Die Erziehe-rInnen, die zum Teil selbst schwer traumatisiert sind, und auch nicht unbedingt eine gute pädagogische Ausbildung hinter sich haben, ler-nen "on the job". Sie arbeiten mit dem Situationsansatz und integrie-ren mit der Hilfe von OPSI ein ei-genes Traumaverständnis in ihre tägliche Arbeit. In der Landesspra-che (kreolisch) haben sie inzwi-schen sieben eigene Wörter gefun-den, die spezielle Situationen be-schreiben, unter denen die Men-schen dort traumatisch leiden. Au-ßerdem haben sie begonnen, Handlungsalternativen und Bera-tungsangebote in ihre Arbeit einzubauen. All dies ist oft nicht einfach, weil es eben nicht nur um Kriegs-traumata und Armut geht, sondern auch um langjäh-rige und kulturell tief verankerte missbräuchliche Verhältnisse zwischen Reichen und Armen und zwi-schen Männern und Frauen. Wie geht z. B. eine Erzie-herin mit dem Problem um, dass einige Kinder nichts von zu Hause zu Essen mit-bekommen, während ande-re Kinder zwar etwas zu essen dabei haben, von ihren Eltern aber verboten bekommen haben, es mit anderen Kindern zu teilen? Oder was soll eine Erziehe-rin tun, wenn der neue Ortspfarrer darauf besteht, seine Ziegen auf dem Ge-lände des Kindergartens weiden zu lassen und die Kinder nun in dem Kot der Ziegen herumstapfen? Und wie reagiert sie, wenn nach ihrem monatelangen Kampf dagegen eines Mor-gens plötzlich alle Ziegen des Pfarrers gestorben sind und das ganze Dorf sich das nur damit erklären kann, dass die Erzieherin wohl eine Hexe sei und die Zie-gen verhext haben müsse?

Nepal In Nepal, das sich seit 10 Jahren in einem Bürgerkrieg zwischen maoistischen Aufständischen und den Re-gierungstruppen befindet, befasst sich OPSI nicht mit

spezialisierten psychosozialen Pro-jekten, sondern arbeitet den psy-chosozialen Ansatz in fünf normale Entwicklungsprojekte ein. Die Fra-ge lautet also, wie Projekte, die sich mit Berufsbildung, mit der Verbes-serung von Produktionstechnologie und Arbeitsbedingungen in Back-steinfabriken oder mit der Verwal-tung von gemeindeeigenem Wald beschäftigen, mit der psychosozia-len Fragmentierung in ihren Pro-jektgebieten besser umgehen kön-nen. In einer ersten Phase haben die MitarbeiterInnen dieser Projekte zu verstehen versucht, mit welchen Er-fahrungen und Problemen etwa ein angehender Schreiner in einem der Ausbildungszentren oder eine ver-

witwete Bäuerin in einer der Gemeindegruppen kämpfen und welche Auswirkungen dies auf das Projekt hat. Bisher hatten die MitarbeiterInnen danach nicht gefragt. Sie schützten sich so vor der Konfrontation

mit dem überwältigenden Leid der Betroffenen und der Hilflosigkeit, die diese auslösen. Nachdem die An-gestellten nun aber in der ersten Phase des von OPSI unterstützten Prozesses ei-nen persönlichen Kontakt zu den Betroffenen herstel-len konnten, sind sie motiviert, zusammen mit den ProjektteilnehmerInnen über die Auswirkungen des Krieges zu reflektieren und Maßnahmen zu erfinden, die der sozialen Fragmen-

tierung entgegenwirken und Menschen auch indivi-duell psychosozial stärken. Früher hätten sie die Vor-sitzende einer Müttergesundheitsgruppe, die zu einer Sitzung nicht erscheint, weil ihr Mann gerade umge-bracht wurde, einfach nur abgewählt und durch eine andere Vorsitzende ersetzt, ohne auf den Anlass ihres Fernbleibens einzugehen.

INA-Journal, Heft 1, Frühjahr 2006 19

Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI) – Beratung, Entwicklung, Forschung

Gaza

Im Gazastreifen berät OPSI ein Projekt, das sich das soziale und ökonomische Empowerment von Frauen auf die Fahne geschrieben hat, insbesondere von Frauen, die Opfer von Gewalt oder Missbrauch sind. Am Anfang der Zusammenarbeit stand eine begleitete Selbstevalua-tion, in der versucht wur-de, gemeinsame Perspek-tiven zu entwickeln im Rahmen einer sozialpoli-tischen Gesamtsituation, die widersprüchlicher und hoffnungsloser nicht sein konnte. Während Gaza einerseits ein großes Gefängnis ist, und Demütigung, Ver-folgung, Unterdrückung und willkürliche Ein-schränkungen zum täglichen Leben gehören, insbesondere für Frauen, muss gleichzeitig der Versuch gemacht werden, sinnvolle Überlebens-perspektiven zu entwickeln. Obwohl es keine Arbeit gibt, muss Einkommen geschaffen werden. Obwohl Opfer keinen rechtlichen Schutz genießen, ja noch nicht einmal öffentlich ihr Leid anprangern dürfen, muss Hilfe angeboten wer-den. Trotz Tod und Gewalt muss versucht werden, Kommunikationsmöglich-keiten zu entwickeln. In einer Gesellschaft, in der unter der Besatzung fast alle Aspekte des Alltags-lebens kontrolliert wurden, spielten die wenigen Berei-che, die man scheinbar noch selbst beeinflussen konnte, so vor allem die Familienehre, eine beson-dere Rolle. Es war daher für Frauen schwierig, Menschen zu treffen, die nicht in unmittelbarer Beziehung zur Familie standen oder Hilfe von Organisationen zu suchen, die sich explizit mit sozialen Tabus wie Gewalt gegen Frauen oder mit psychischen Krankheiten beschäftigten. Hier bilde-ten berufliche Ausbildungsangebote eine wichtige Brücke.

Aber diese Berufsfortbildungen waren zunächst zu eng gefasst, auf wenige Tätigkeiten konzentriert, die als typische Frauenarbeit galten, und nicht jeweils auf die einzelne Frau mit ihren besonderen Kenntnissen, Mög-lichkeiten und Interessen zugeschnitten. In der Beratungsarbeit setzt OPSI nun mit den

KollegInnen im Gaza-streifen nach und nach die gemeinsam ent-wickelten Arbeitsper-spektiven um. Dabei geht es vor allem darum, Frauen einerseits zu er-möglichen, in Frauen-gruppen einen geschütz-ten Raum zu finden und sich gegenseitig weiter-zuhelfen. Andererseits geht es darum, mit ihnen gleich-

zeitig gemeinsam spezifische Lebensalternativen und Überlebensstrategien zu entwickeln, die die allgemeine Zerstörung nicht reproduzieren und wirklich auf die einzelnen Frauen zugeschnitten sind. Individualisierte Hilfsangebote sollen ihnen dabei ermöglichen, sowohl

therapeutische Hilfe zu bekommen als auch ihre individuellen Kenntnisse und Interessen so zu ent-wickeln, dass sie dadurch auch ihre ökonomische Si-tuation auf die Dauer ver-bessern können. Natürlich werden auch bei individuell auf sie zuge-schnittenen Fortbildungsan-geboten nicht all diese Frauen plötzlich trotz einer Arbeitslosenrate von 60%

im Gazastreifen Arbeitsmöglichkeiten finden. Aber anstatt gemeinsam einfach irgendwelche Ausbildungs-kurse zu absolvieren, an deren Ende man Glasmalerei oder Frisieren gelernt hat, werden sie nun vielleicht eher kleine Nischen für sich entdecken und nutzen können. Die eine Frau überzeugte ihren Bruder davon, einen gemeinsamen Vogelhandel zu eröffnen, die ande-re lernte mit der Videokamera Hochzeiten zu filmen und spezialisierte sich auf den Teil, zu dem keine Männer zugelassen sind. (mb/db)

INA-Journal, Heft 1, Frühjahr 2006 20

Arbeitsbereiche der INA Ein israelisch-palästinensisches Schulbuch für den Geschichtsunterricht

Arbeitsbereiche der INA

Institut für den Situationsansatz (ISTA) www.ina-fu.org/ista/

Institut für Community Education (ICE) www.ina-fu.org/ice/

Youth Empowerment Partnership Pro-gramme (YEPP) / YEPP Newsletter / 2. YEPP-Konferenz / www.yepp-community.org/

Das Institut für Interkulturelle Erziehung www.ina-fu.org/ike/

Institut für Schulentwicklung (ISE) www.ina-fu.org/ise/

Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI) www.opsiconsult.com/

Paulo-Freire-Institut www.ina-fu.org/pfi/

Institut für Globales Lernen und Internationale Studien (IGLIS) www.iglis.de/

Institut für Innovationstransfer und Projektmanagement www.ina-fu.org/fip/

Arbeitsbereich für Sozialpädagogik www.ina-fu.org/sozpaed/

Arbeitsbereich Organisation und Management www.ina-fu.org/orgman/

Institut für Qualitative Forschung http://www.institut.qualitative-forschung.de/

Shaul-Robinsohn-Forschung www.ina-fu.org/robinsohn/

Krossover Medieninitiative www.ina-fu.org/krossover/ _______________________________________________

INA.KINDER.GARTEN gGmbH und die INA.KINDER.GARTEN Kindertagesstätte Lüneburger Strasse www.inakindergarten.de/

Die School for Life (in Chiang Mai) www.school-for-life.org/

Die Beluga School For Life www.beluga-schoolforlife.com _______________________________________________

INA-Journal http://www.ina-fu.org/ina-journal/

Ein israelisch-palästinen-

sisches Schulbuch für den Geschichtsunterricht

"Learning Each Other's Historical Narrative: Palestinians and Israelis" eine 'PRIME Publication', eine Veröffentlichung des 'Peace Research Institute in the Middle East' stellt drei heraus-ragende Ereignisse der israelischen und palästinensischen Ge-schichte, die Balfour Declaration von 1917, den Krieg von 1948, den Israelis den Unabhängigkeitskrieg und Araber "Al-Nakba", (die Katastrophe) nennen, und die erste Intifada in zwei nebeneinander abgedruckten Versionen aus israelischer und palästinensischer Sicht dar. Es sind zwei Erzählungen, die in der Auswahl der Tatsachen, in der Gewichtung, in den beschreibenden Kategorien, in der Interpretation und in dem präsentierten Gesamtbild weit auseinander liegen. Weitere Bändchen in der gleichen Art behandeln die zwanziger Jahre, die Zeit von 1936 bis 1948 und den Sechs-Tage-Krieg von 1967. Sie liegen in hebräischer, arabischer und englischer Sprache vor. Geschrieben wurden sie von einer Arbeitsgruppe von 12 Lehrern, je zur Hälfte Palästinenser und Israelis, und auf jeder Seite drei Männer und drei Frauen. Beteiligt waren außerdem fünf internationale Delegierte. Ausgewählt und zu-sammengebracht haben sie der Psychologe Dan Bar-On, und Sami Adwan, Mitbegründer von PRIME, sowie zwei Ge-schichtsprofessoren, Adnam Massallam (Universität von Beth-lehem) und Eyal Nave (Universität von Tel Aviv). Getroffen hat sich diese Gruppe 2002 und 2003 unter schwie-rigsten Bedingungen während der zweiten Intifada zu 5 mehr-tägigen Workshops. Von palästinensischer Seite nahmen nur Personen teil, die noch nie zuvor an einer Zusammenarbeit mit Israelis beteiligt waren. Getroffen hat man sich in der Altstadt von Jerusalem, wobei das extreme Machtungleichgewicht schon dadurch zum Ausdruck kam, dass die israelische Seite alle nur erdenklichen Hebel in Bewegung setzen musste, um den Palästinensern die Genehmigung der Besatzungsbehörde zur Teilnahme an diesen Treffen zu verschaffen. Zunächst hat man sich gegenseitig seine Lebensgeschichten er-zählt und sich mit einander bekannt gemacht. Dann wurden die Texte erarbeitet, übersetzt und von den 12 Lehrern an mehre-ren hundert israelischen und palästinensischen Kindern erprobt, die beide Geschichtsversionen kennen lernen sollten. Und dann wurden die Texte noch einmal überarbeitet. Trotz Widerstand dagegen, die "Propaganda" der anderen Seite unter schreckli-chen Konfliktbedingungen zu Kenntnis zu nehmen, überwog bei den Kindern die Neugier. Das Projekt wurde vorbei an den Erziehungsministerien beider Seiten realisiert. Für die Beteilig-ten drückt es den Wunsch nach einer Zwei-Staaten-Lösung aus.