Indien I red - vollzeitreisen

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Die erste Nacht in Indien, mitten auf einem Feld, ist wunderbar ruhig. Kaum sind wir aber wach, tauchen - wie aus dem Nichts - zwei Männer auf. Sie stellen sich vor den Bulli, gucken und bleiben dort stehen, bis wir wegfahren. Englisch sprechen sie nicht. Amritsar, die erste Stadt nach der Grenze, verspricht gleich eine Sehenswürdigkeit besonderer Art, das größte Heiligtum der Sikhs, den goldenen Tempel. Auf dem Weg zum Tempel entern wir eine Fahrradrikscha. Kaum ist der Betrag vereinbart, bekommen wir eine schöne Stadtbesichtigung – um nur wenige Meter vom Parkplatz des Bulli wieder anzukommen. Die letzten Meter sollen wir laufen… so hatten wir das zwar nicht geplant, aber fürs Geld doch etwas bekommen. Der Tempel ist faszinierend, fast noch mehr jedoch die Menschen. Nach den vielen „islamischen“ Wochen genießen wir nun die bunten Gewänder, das offene Lachen der unverschleierten Frauen, die Turbane und langen Bärte der Männer, die Krummdolche der Gläubigen und die unglaublich friedliche Atmosphäre. 50.000 bis 60.000 Essen werden hier jeden Tag kostenlos an Besucher verteilt. Nach den anstrengenden Tagen in Pakistan brauchen wir dringend Ruhe und klare, frische Luft. Ab in die Berge nach Norden. Der Blick auf die ganz hohen Berge soll im November am Schönsten sein. im Sikh -Tempel müssen alle die Haare bedecken Indien I

Transcript of Indien I red - vollzeitreisen

Die erste Nacht in Indien, mitten auf einem Feld, ist wunderbar ruhig. Kaum sind wir aber wach, tauchen - wie aus dem Nichts - zwei Männer auf. Sie stellen sich vor den Bulli, gucken und bleiben dort stehen, bis wir wegfahren. Englisch sprechen sie nicht.

Amritsar, die erste Stadt nach der Grenze, verspricht gleich eine Sehenswürdigkeit besonderer Art, das größte Heiligtum der Sikhs, den goldenen Tempel. Auf dem Weg zum Tempel entern wir eine Fahrradrikscha. Kaum ist der Betrag vereinbart, bekommen wir eine schöne Stadtbesichtigung – um nur wenige Meter vom Parkplatz des Bulli wieder anzukommen. Die letzten Meter sollen wir laufen… so hatten wir das zwar nicht geplant, aber fürs Geld doch etwas bekommen.

Der Tempel ist faszinierend, fast noch mehr jedoch die Menschen. Nach den vielen „islamischen“ Wochen genießen wir nun die bunten Gewänder, das offene Lachen der unverschleierten Frauen, die Turbane und langen Bärte der Männer, die Krummdolche der Gläubigen und die unglaublich friedliche Atmosphäre. 50.000 bis 60.000 Essen werden hier jeden Tag kostenlos an Besucher verteilt.

Nach den anstrengenden Tagen in Pakistan brauchen wir dringend Ruhe und klare, frische Luft. Ab in die Berge nach Norden. Der Blick auf die ganz hohen Berge soll im November am Schönsten sein.

im Sikh -Tempel müssen alle die Haare bedecken

Indien I

Schon auf dem Weg nach Dalhousie fängt es an zu regnen. In Dalhousie, auf 2.000 m, regnet es dann ununterbrochen – bei 8 °C und Nebel. Nach einem kurzen Spaziergang erkunden wir den Ort mit dem Auto. Die Sträßchen sind sehr schmal, eines wird auf dem Weg nach unten immer enger. Bis wir nicht mehr durchkommen. Schluß hier. Wenden können hier nur die winzigen einheimischen Autos, darüber brauchen wir gar nicht nachzudenken. Also im strömenden Regen rückwärts den Berg wieder hoch. Neben jedem Rad genau 5 cm Platz. Auf halber Strecke streikt die Kupplung – zu heiß. Nun blockieren wir die ganze Straße. Nach 10 oder 20 Minuten geht es Gott sei Dank wieder weiter.

Aber der Tag bleibt aufregend. Wir finden einen Übernachtungsplatz

zwischen stehenden LKW, das Teewasser ist schon aufgesetzt, die Standheizung läuft bis einer klopft und ruft: „Fire“. Witzig, im strömenden Regen. Thomas sieht trotzdem nach und: wir stehen mit einem Reifen prompt auf glimmendem Feuer.

Natürlich ist auch die Nacht nicht ruhig. Donner folgen sekundenschnell auf die taghellen Blitze. Es schüttet in Strömen, Wasser kommt selbst durch ein geschlossenes Dachfenster. Zum Frühstück hagelt es dann. Die Straße ist weiß. Wir rechnen mit vielen Erdrutschen nach dieser Nacht. Die Straße ist aber schon gut geräumt, die Fahrt ins Tal kein Problem.

im „Supermarkt“

Unser nächstes Ziel – Dharamsala oder genauer: McLeod Ganj.

Auf den Straßen sehen wir in dunkles Rot gekleidete Mönche, auch Frauen, viele in warme Klamotten gemummelt, trotzdem barfuss in Schlappen oder kurzärmelig.

Traveller aus aller Herren Länder, manche in Funktionskleidung, andere in den guten, alternativen Aussteigerklamotten mit Dreadlocks. Manche mit dicker Mütze, aber knielanger Hose, gestrickten dicken Socken in Flipflops. Dazwischen die eigentlichen Bewohner des Ortes, Tibeter, die meisten in Tracht.

Viele Kulturen, zusammengewürfelt auf den Straßen von McLeod Ganj zwischen Verkaufsständen für tibetische Kunst, Kitsch und Lebensmittel. McLeod Ganj, Exil - Sitz des Dalai

Lama, mitten im Himalaya, liegt auf ca. 1.750 m Höhe, bietet Hotels, Internetcafes, Nutella und Wäschereien, kurz alles, was das Travellerherz so begehrt.

In den Restaurants kann man italienisch, indisch, chinesisch oder tibetisch essen. Man kann aber auch die Tempel besuchen, selbstverständlich kostenlos, vor den Gebäuden muss man die Schuhe ausziehen.

Hier können wir uns nun endlich erholen. Die Luft ist klar, aber auch kalt. Unsere Wäsche geben wir in eine Wäscherei und verbringen dann viele Stunden in einem Cafe mit WLAN bei feinstem Kuchen, edlem Kaffee und heißer Schokolade. Wir machen kleine Spaziergänge, verhandeln und kaufen in den Geschäften und genießen seit Wochen das erste Bier bei einem sehr guten Essen.

Nach drei Nächten zieht´s uns wieder in wärmere Gegenden.

Dann der Zufall. Übers Internet haben wir seit Wochen Kontakt zu Martin und Carmen Pistek, die mit einem alten Mercedes-Bus unterwegs sind. Eigentlich hatten wir zusammen im Konvoi durch Pakistan fahren wollen.

Auf dem Weg nach Shimla kommen sie uns nun entgegen. Kurzes persönliches Kennenlernen und ein Erfahrungsaustausch bei einem Tässchen Tee mitten auf der Straße. Dann trennen sich unsere Wege wieder.

Kurzer Zwischenstop in Mandi, einem lebendigen kleinen Städtchen. Auch zufällig, landen wir vor dem Gericht. In Indien, so lernen wir jetzt, sitzen die Anwälte an Schreibtischen vor den Gerichten. Thomas stellt sich als deutscher Kollege vor. Die Freude ist groß. Wir bekommen Tee und eine ausführliche Führung durch das neue Gerichtsgebäude.

Shimla, auf 2.150 m, begrüßt uns laut und hektisch in den engen Gässchen, als wir ankommen. In der Fußgängerzone präsentiert sich der Ort dann ganz anders. Nette kleine Lädchen in kleinen Gässchen auf einen steilen Berg gequetscht. Richtig romantisch, aber wieder eiskalt.

Trotzdem wandern wir am nächsten Morgen auf ca. 2.400 m zum Affentempel, der uns doch eher enttäuscht. Fasziniert hat uns die Landschaft, der erste Reif, der Blick auf die verschneiten Berge im Hintergrund, die kalte, klare Luft und die Bewegung. Nach geschichtsträchtiger Palastbesichtigung (Vizekönig, hier wurde Indiens

Unabhängigkeit vereinbart) fahren wir Richtung Flachland weiter.

Einen Übernachtungsplatz zu finden, hatten wir uns in Indien einfacher vorgestellt, denn es gibt hier keine kleinen Sträßchen, die ins „Irgendwo“ führen. Wenn es hier Seitenstraßen gibt, sind sie belebt. Trotzdem findet Thomas an diesem Abend einen Abzweig in einen Wald, wo wir ruhig und ungestört schlafen.

Am nächsten Morgen trauen wir unseren Augen nicht. Rund um den Bulli

eine ganze Affenherde. Schöne, große, graue Lemuren mit einem langen Schwanz. Ganz anders, als die braunen Affen (Makakken), die hier oft am Straßenrand sitzen oder durch die Orte turnen.

Die moderne und „un“-indische Stadt Chandigarh, auf 330 m, wurde von Le Corbusier geplant. Schon allein deshalb ist sie für uns ein Muss. Sie ist in viele rechteckige Sektoren aufgeteilt, die durch große, breite Alleen und Kreisverkehre miteinander verbunden sind. Wir besichtigen den ebenfalls von Le Corbusier geplanten „high court“ (Oberlandesgericht) und den Nek Chand Fantasy Rock Garden, eine Anlage, in der die unterschiedlichsten Bereiche aus Bauschutt erstellt wurden. Die Stadt ist recht sauber, kein Chaos wie sonst oft.

Den Abend verbringen wir mit zwei Deutschen in einer angesagten und modernen Bar bei lecker Bier, die Nacht dann mitten auf dem Parkplatz der Innenstadt.

Es geht weiter nach Patiala. Der Vater unseres ehem. Lemgoer Nachbarn, Herrn Sandhu, erwartet uns hier zusammen mit Schwiegertochter Neena, Enkelin Hargun und Enkel Iqbal. Nach Tee und Kuchen schlägt er vor, uns auf eine Hochzeit der Sikhs mitzunehmen.

Sikhs schneiden sich weder Haare noch Bart. Die Haare der Männer werden nach oben zu langen Zöpfen geflochten. Darüber kommt bei den Erwachsenen der Turban, bei den Jungs eine Art Tuch, so dass sie aussehen wie Schlümpfe (Beschreibung von Michael)

Hochzeiten werden in sogn. Hochzeitspalästen gefeiert. Bei den Sikhs beginnen die Hochzeiten vormittags und, enden am frühen Abend. Es wird sehr laute Musik gespielt, eine Unterhaltung ist eigentlich nicht möglich. Auf der Bühne tanzen engagierte Tänzer. Daneben sitzt das Brautpaar auf zwei Stühlen. Die Gäste geben dem Brautpaar nun Geld oder Geschenke und lassen sich mit ihnen fotografieren und filmen.

Weder Braut noch Bräutigam sehen in unseren Augen glücklich aus. Ob dies daran liegt, dass in Indien die meisten Hochzeiten von den Eltern arrangiert sind? Häufig hat das Brautpaar vor der Hochzeit noch nicht einmal miteinander gesprochen.

H. Sandhu

Hargun

Es werden Snacks gereicht, am Buffet kann man sich Essen holen. Viele Gäste, meist die Frauen, sitzen in langen Reihen vor der Bühne und dem Brautpaar – die Bestuhlung erinnert an Theater.

Die meisten Männer sind im Freien – obwohl es hier auch nicht leiser ist. Hier gibt es aber indischen Whisky.

Kaum angekommen, wollen uns die Anwesenden kennenlernen, d.h. die Männer wollen mit Thomas etwas trinken. Aber alle wollen gerne fotografiert werden – auch wenn wir die Fotos gar nicht zuschicken können.

Später werden auch wir mit dem Brautpaar fotografiert und gefilmt. Dann muss Thomas mit einigen anderen Männern auf die Tanzfläche. Die Frauen hatten ihren „Tanzabend“ wohl schon am Abend davor.

Den Abend verbringen wir bei Sandhus. Hier werden wir zum ersten mal mit tollem indischen Essen und vielen Vorspeisen verwöhnt. Vor allem Herr Sandhu ist doch etwas enttäuscht, als wir darauf bestehen, auch weiter in unserem Bulli-Bett zu schlafen.

Da uns die Turbane der Sikhs so gefallen, wird Thomas am nächsten Tag probegeschmückt.Soll er einen mitbringen?

Beim nachmittäglichen Besuch der Mutter und Tante von Neena lernen wir, dass Besucher nicht nur gut bewirtet werden sondern auch noch Geschenke bekommen, meist Kleidung. Wehren ist sinnlos. Völlig satt und schwer bepackt mit Hemd, Krawatte, Schal, Armreifen und Morgenmantel machen wir uns mitten in der Nacht auf den Heimweg.

Von Sandhus Abschied zu nehmen fällt uns richtig schwer, obwohl wir uns ja nur in Englisch verständigen konnten.

Unten ein typisches indisches Wohnzimmer der Mittelschicht, gar nicht so anders wie bei uns zu Hause- oder?

Am letzten Tag bringt Herr Sandhu (78) uns mit seinem Roller zur richtigen Ausfallstrasse. Eine letzte Umarmung, tschüss zu Iqbal und los gehts Richtung Rajastan in die Wüste.

Wir übernachten kurz vor der Grenze (es gibt in Indien innerstaatliche Zollgrenzen!) auf einem Ackerweg. Ein abendliches Klopfen überhören wir bewusst.

Morgens begrüsst uns der Klopfer mit einem Tee, er ist gelernter Anwalt und zeigt mit Stolz seine Farm, er hat tausende ! ! ! Saftorangenbäume. Nebenan wächst Baumwolle.

Der nächste Bericht kommt über Rajastan, Land der Könige oder Indien in klein.Diesen Teil Indiens haben wir auf mehrfache Empfehlung und wegen eines tollen Berichtes in Geo-Spezial besucht.

Wer bis dahin mal indisch essen möchte: Herr Sandhu in Lemgo, Tel. 777 777, kocht genau so lecker, wie wir hier essen.