Indogermanische Sprachwissenschaft Volume 34 || V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen A. Allgemeines W 100. Das Wort ist das wichtigste Element einer Sprache. In ihm mani- festieren und treffen sich die phonetischen, phonologischen, morphologi- schen, syntaktischen, lexikalischen und stilistischen Ebenen. Alle Wörter zusammen bilden das Lexikon einer Sprache. Jeder Teil- nehmer einer Sprechergemeinschaft hat sich im Laufe seines Spracher- werbs einen mehr oder minder großen Teil des Lexikons angeeignet und ist in der Lage, die Wörter in der zur Zeit sprachüblichen Weise zu verste- hen und zu gebrauchen. Ein Mißgriff im Wortstamm ist dabei folgenreicher als ein Mißgriff in der Flexion. Das erste kann eine Verständigung sofort unmöglich machen, z.B. wenn man gut und böse verwechselt. Die meisten Wörter übernimmt i.d.R. das Kleinkind beim Spracherwerb von den Eltern und der Familie. Die ihrerseits haben es von ihren Eltern usw. Auf Grund dieser Tradition führen die meisten Wörter über Genera- tionen in die Vergangenheit zurück. Das Lexikon ist vermutlich im Gehirn nach Sachthemen, Satzmustern und Assoziationsketten geordnet, so jedenfalls stellt man sich das meistens vor. Der heute übliche Eintrag nach dem Alphabet ist nicht sprachgerecht, aber sehr praktisch und wirkungsvoll. Ein Lexikon ist keine unverrückbare Größe. Es ist – wie das menschli- che Leben überhaupt – einer dauernden Fluktuation unterworfen. Es hängt vom Konsens der Sprechergemeinschaft ab. Das Lexikon steht jederzeit für den Ausdruck neuer Inhalte offen. Zum einen lassen sich innersprachlich Wörter anhand von bereits vor- liegenden Wortbildungsmustern und vorhandenen Elementen analogisch neu bilden. Vgl. z.B. die gr. Ableitungsreihe ‘Herrschaft’, ‘Führer’ und ‘bin ’. Unter Umgehung von und direkter Verknüpfung von mit konnten die Sprecher analog dazu zu ‘Rat’ ein ‘sich beraten’ bilden (ein * ist nicht bekannt). — Ferner kann der Inhalt eines bereits vorhandenen Wor- Brought to you by | University of Illinois Chicago (University of Illinois Chicago) Authenticated | 172.16.1.226 Download Date | 5/28/12 1:44 PM

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen

A. Allgemeines

W 100. Das Wort ist das wichtigste Element einer Sprache. In ihm mani-festieren und treffen sich die phonetischen, phonologischen, morphologi-schen, syntaktischen, lexikalischen und stilistischen Ebenen.

Alle Wörter zusammen bilden das Lexikon einer Sprache. Jeder Teil-nehmer einer Sprechergemeinschaft hat sich im Laufe seines Spracher-werbs einen mehr oder minder großen Teil des Lexikons angeeignet und ist in der Lage, die Wörter in der zur Zeit sprachüblichen Weise zu verste-hen und zu gebrauchen. Ein Mißgriff im Wortstamm ist dabei folgenreicher als ein Mißgriff in der Flexion. Das erste kann eine Verständigung sofort unmöglich machen, z.B. wenn man gut und böse verwechselt.

Die meisten Wörter übernimmt i.d.R. das Kleinkind beim Spracherwerb von den Eltern und der Familie. Die ihrerseits haben es von ihren Eltern usw. Auf Grund dieser Tradition führen die meisten Wörter über Genera-tionen in die Vergangenheit zurück.

Das Lexikon ist vermutlich im Gehirn nach Sachthemen, Satzmustern und Assoziationsketten geordnet, so jedenfalls stellt man sich das meistens vor. Der heute übliche Eintrag nach dem Alphabet ist nicht sprachgerecht, aber sehr praktisch und wirkungsvoll.

Ein Lexikon ist keine unverrückbare Größe. Es ist – wie das menschli-che Leben überhaupt – einer dauernden Fluktuation unterworfen. Es hängt vom Konsens der Sprechergemeinschaft ab. Das Lexikon steht jederzeit für den Ausdruck neuer Inhalte offen.

Zum einen lassen sich innersprachlich Wörter anhand von bereits vor-liegenden Wortbildungsmustern und vorhandenen Elementen analogisch neu bilden. Vgl. z.B. die gr. Ableitungsreihe ������ ‘Herrschaft’,�������‘Führer’ und ���� �� ‘bin ������’. Unter Umgehung von ������ und direkter Verknüpfung von ������ mit ���� �� konnten die Sprecher analog dazu zu ;����‘Rat’ ein ;� ���‘sich beraten’ bilden (ein *;��� ist nicht bekannt). — Ferner kann der Inhalt eines bereits vorhandenen Wor-

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tes erweitert (übertragen) oder sogar durch einen neuen ersetzt werden, vgl. lat. ariês ‘Widder’, übertragen ‘Sturmbock’ (das Kriegsgerät ist in seiner Wirkung einem Widder vergleichbar) und lat. testa ‘irdenes Ge-schirr, Topf, Krug, Scherbe’, in den rom. Sprachen ‘Kopf’ (statt des vor-nehmen Wortes caput wird testa neu auch zur Bezeichnung des Schädels verwendet und entwickelt sich dann zur Bezeichnung des Kopfes schlecht-hin). Die lat. Beispiele stammen von H. Rix: % Gentilnamensystem 1972 p. 714.

Zum andern können von außen jederzeit Fremdwörter in das eigene Le-xikon inkorporiert werden. Sobald das fremde Wort in Orthographie, Lau-tung und Flexion an die übernehmende Sprache angepaßt ist, spricht man von Lehnwörtern: % Bussmann Lexikon der Sprachw. 1990 p. 253. Aus dem Lat. vgl. das Lehnwort *ampora ‘zweihenkliges, enghalsiges Tonge-fäß, unten spitz zulaufend’ < gr. Akk.Sg. ��.(� �� (vermutlich in der Aus-spracheform - *eá; der Akk. bildet deswegen die Basis, weil er im wirt-schaftlichen Alltag bei Aufzählungen, bei Rezepten usw. der übliche Nenn-kasus war; dabei Ersatz von im Lat. unüblichen p£ durch p und Integration in die typisch lat. -â-Deklination). Der Beweis für die komplette Integrati-on des Wortes als Lehnwort ins Lat. ist die rein innerlat. Neubildung des Diminutivs ampulla ‘Salbenfläschchen, Flasche’. Das Basiswort *amporaist schließlich klass.-lat. in der Form amphora (mit Ersatz von p durch phin erneuter Anlehnung an das Gr.) neu als Fremdwort kenntlich gemachtworden. Vgl. ferner oben zu lat. mâchina in E 507 Abs. 3.

Jedes Wort ist zu einem bestimmten Zeitpunkt für einen bestimmten In-halt neu geschaffen worden. Einmal geschaffen, zeigt jedes Wort seine eigene innersprachliche Geschichte (es kann zum Alltagswort werden, es kann auf eine bestimmte Stil- oder Sprachschicht beschränkt sein, es kann im Laufe der Zeit unüblich werden und dann ganz aus dem Wortschatz ausscheiden usw.). Wortschöpfung (Etymologie) und Wortgeschichte (franz. Histoire des mots) sind nicht voneinander zu trennen: % Seebold Etymologie 1981 p. 58. — Es ist das erklärte Ziel der sog. Etymologie, die ‘wahre’ erste Bedeutung (Motivation) eines Wortes zu bestimmen und daraus dann Auskünfte über das ‘wahre’ Wesen des so Bezeichneten zu bekommen. Dies ist aber nur naives Wunschdenken. Sprache ist immer arbiträr, und so lassen sich nie Auskünfte über das ‘wahre’ Wesen be-kommen, sondern im besten Fall Auskünfte über die Beweggründe, die die damaligen Sprecher veranlaßt haben, einen Gegenstand u.a.m. gerade so und nicht anders zu benennen: % Rix Termini der Unfreiheit 1994 p. 9f mit der Lit. in Anm. 21. In den meisten Fällen kommen wir nicht bis zum Schöpfungsakt zurück, vgl. z.B. uridg. *�(u)¾Ön ‘Hund’, wo wir zwar

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A. Allgemeines 415

dank der Entsprechungsgleichungen in den idg. Einzelsprachen (s.o. E 507 Abs. 5) mit Sicherheit den Schluß ziehen können, daß das Wort bereits uridg. gewesen ist. Was wir aber nicht mehr mit Sicherheit in Erfahrung bringen können, ist, wie der ‘Hund’ zu seinem uridg. Namen gekommen ist. So vermutet E. P. Hamp einen Zusammenhang mit uridg. *pé�u-‘Vieh’ und leitet *��ón- aus einer Grundform *pe��-on- her (der Hund wäre dann der mit dem Vieh betraute; dagegen:% Mayrhofer Lautlehre 1986 p. 118). Andererseits ist beim Wort für ‘Zahn’, *h1d-��-, dank dereinzelsprachlichen Entsprechungen das uridg. Alter gesichert, die Existenz der Verbalwurzel uridg. *h1��- ‘beißen, essen’ gibt uns aber hier zusätzlich die Möglichkeit, uridg. *h1d-��- als partizipiale Ableitung i.S.v. ‘Beißen-der’ zu verstehen.

Was i.d.R. auch dann bleibt, wenn Alter und/oder Motivation nicht mehr rekonstruierbar sind, ist (je nach Lage der Dokumentation) die Mög-lichkeit, das einzelsprachliche Schicksal des betreffenden Wortes eine mehr oder weniger lange Strecke verfolgen zu können.

Lit.: — a) Allgemein: % Wörterbücher 1-3 1989-1991. — b) Speziell uridg.: % Pokorny IEW 1959; C. Watkins u.a. Indo-European roots in The American Heritage Dictionary of the English Language, hrsg. von W. Morris. Boston u.a.O. 1969 [1980] p. 1505-1550. — c) Einzelne Ge-sichtspunkte zur Rekonstruktion des uridg. Wortschatzes: % Stud. z. idg. Wortschatz 1987; R. Wachter Wortschatzrekonstruktion auf der Basis von Ersatzbildungen in Fachtagung Innsbruck 1996 [1998] p. 199-207. — d) Zum Lat.: % Leumann / Hofmann / Szantyr Allg. Teil 1965 p. 74*ff.; Szemerényi Lat. Wortschatz 1989. — e) Zum Gr.: % Meier-Brügger Gr. Sprachw. II 1992 p. 7ff.

W 101. Während sich die altidg. Einzelsprachen je nach Dokumentations-lage besser oder schlechter für synchrone semantische Untersuchungen und Wortfeldforschungen eignen, sind die Rekonstruktionsmöglichkeiten für das Uridg. gerade in diesem Bereich sehr begrenzt.

Aussagen zu Sachgruppen lassen sich aber doch machen, so zu den Verwandtschaftsbezeichnungen, zu den Körperteilbezeichnungen, zu den Elementen (Feuer, Wasser, Licht usw.), zu Haus und Familie u.a.m., s.o. E 512 Abs. 3 mit der dort genannten Literatur.

W 102. Etymologie und Wortgeschichte haben seit jeher großes Interesse gefunden. Alle einzelsprachlichen etymologischen Wörterbücher bieten immer auch Aussagen zum Uridg. Aussagen wie ‘ererbt’ oder ‘vorgriech.’ laufen bereits unter dem Stichwort Etymologie, obwohl eigentlich erst

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Aussagen zur Entstehung eines Wortes etymologischen Wert beanspru-chen können: % A. Bammesberger Geschichte der etymologischen For-schung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Sprachgeschichte 1 1998 p. 755-786. — Zu den Einzelsprachen vgl. unter anderem: % Etymologi-sches Wörterbuch 1983 (mit Beiträgen zu verschiedenen idg. Sprachen); Walde / Hofmann LEW 1965; Ernout / Meillet DELL 1959; Frisk GEW 1960-1972; Chantraine DELG 1968-1980; Mayrhofer EWAia; Tischler HEG; Puhvel HED; CHD; Kluge / Seebold 1995; Seebold Etymologie 1981; Vries AnordEW 1962; EWAhd; Vasmer REW 1953-1958; Fraenkel Lit. etym. Wörterbuch 1962-1965; Demiraj Alban. Etymologien 1997; �vgl. jetzt oben die Leidener Reihe von etymologischen Wörterbüchern in den bibl. Nachträgen 18. — Sehr nützlich ist die ‘Checkliste’ zur Aufstel-lung bzw. Beurteilung etymologischer Deutungen von K. Hoffmann und E.Tichy: % Hoffmann Aufsätze III 1992 (Publikation von 1980) p. 761ff.

W 103. Ob das uridg. Lexikon bereits Fremd- oder Lehnwörter besessen hat, ist nicht auszumachen, es ist aber, wie es sich für jede lebendige Spra-che gehört, gut möglich. Wenn ja, ist fraglich, wer denn hätte Geber sein können: Man hat schon an Finno-Ugrier (s.o. E 436) oder an Hamito-Semiten (s.o. E 437) gedacht.

B. Zur Wortbildung

1. Allgemeines

W 200. Die Schaffung von neuen Wörtern geschieht i.d.R. nur nach Vor-bild. Im Normalfall nimmt der Sprecher bestehendes Material aus seinem Lexikon zum Modell und holt daraus auch die Grundlagen für die Abstrak-tion von Wortbildungsregeln, s.o. das gr. Beispiel ;� ���in W 100.

Die Analogie kann in der Wortbildung beliebig neue Bezüge schaffen und neu etablieren. Sie ist nicht an die tatsächlich abgelaufenen Entwick-lungslinien gebunden, vgl. lat. Stoffadjektive auf -no- wie îlignus ‘eichen’ und aênus ‘aus Bronze, ehern’ (< *a�es-no-, s.o. L 215 Abs. 1). Entspre-chend wäre zu terra ‘Erde’ ein Stoffadjektiv *terrâ-no- ‘aus Erde’ zu er-warten. Das tatsächlich belegte terr-ênus ‘aus Erde, erdig, irden’ zeigt, daß die Sprecher hier das bei den -es-Stämmen aus -es-no- entstandeneund morphologisch falsch abgetrennte Suffix -êno- verwendet haben. —

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B. Zur Wortbildung 417

Durch solche Umgliederungen konnten neue Suffixe und ganze Suffixkonglomerate entstehen, vgl. z.B. neben -êno- lat. -tôrium: Bei regu-lären Ableitungsreihen wie audîre ‘zuhören’, audîtor ‘Zuhörer’ undaudîtôrium ‘Zuhörrerraum’ wird neu ein direkter Bogen von audîre zu audîtôrium ‘Ort, wo man zuhört’ geschlagen (sog. Gliederungsverschie-bung) und darauf bauend zu dormîre ‘schlafen’ ein dormîtôrium ‘Schlaf-raum’ gebildet, ohne Rücksicht darauf, ob das eigentlich erforderliche Zwischenglied dormîtor in diesem Fall üblich war: % Leumann / Hofmann / Szantyr Allg. Teil 1965 p. 72*. — Bereits uridg. Alter beanspruchen Suffixkonglomerate wie *-ih2- und *-��2-, s.u. W 204 Abs. 1

W 201. Die altidg. Einzelsprachen sind wortbildungsmäßig gut erforscht. Grundsätzliche Lit. zu allen Bereichen der altidg. Wortbildung: — a) Zum Lat.: % M. Leumann Gruppierung und Funktionen der Wortbildungssuffi-xe des Lateins in Leumann Kleine Schriften 1959 (in einem Aufsatz von 1944) p. 84-107; Leumann LLFL 1977 p. 273ff. (Stammbildung des No-mens), p. 383ff. (Nominalkomposition). — b) Zum Gr.: % Debrunner Gr. Wortbildung 1917; Chantraine Formation des noms 1933; Schwyzer Gr. Gr. I 1939 p. 415-544 (Einführendes, Wurzelnomina, Nominalkomposi-tum, Nominalsuffixe); Risch Wortbildung 1974. — c) Zum Ved.: % J. Wackernagel Einleitung zur Wortlehre, Nominalkomposition bzw. A. Debrunner Die Nominalsuffixe in Wackernagel / Debrunner Ai. Gramm. II / 1 1957 bzw. II / 2 1954. — d) Zum Heth.: % Rieken Nom. Stammbil-dung 1999. — Weitere Lit. folgt an den betreffenden Stellen.

Im folgenden werden einzelne Suffixe und Bildungen von Nominal-komposita mit nachweislich uridg. Alter vorgestellt. Ich erlaube mir, zu diesem Zwecke der in Meier-Brügger Gr. Sprachw. II 1992 p. 20ff. gebo-tenen Übersicht zu folgen und mich auf Hinweise auf die uridg. Grundla-gen der Suffixe und der Typen von Komposita zu beschränken.

2. Wortbildung mit Suffixen; Suffixsysteme

W 202. Adjektive, von Substantiven abgeleitet:

1) Adjektive der Zugehörigkeit i.S.v. ‘zu dem und dem gehörend, zu dem und dem in Beziehung stehend’: — Das Suffix mit der weitesten Verbreitung in den altidg. Einzelsprachen ist *-io-. Zur Diskussion steht aber, wie denn dieses *-io- genau zu verstehen ist.

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen418

�Theoretisch sind mindestens drei Formen als Ausgangspunkt denkbar: I) *-�o-; II) *-i(�)-o-, III) *-iH-o-. Es gibt Befürworter für eine solche Polygenese: % Peters Laryngale 1980 p. 131 in Anm. 79; Mayrhofer Lautleh-re 1986 p. 161 mit Anm. 267; A. Har“arson in FS Rix 1993 p. 164 mit Anm. 25. Die drei Autoren denken an mindestens vier verschiedene Suffixe, nämlich an ein verbales *-�o- ; an ein nominales *-�o- mit blasser Bedeutung (genetisch vermutlich eine Thematisierung von -i-Stämmen); an ein nominales *-ih2-o-mit spezieller Bezeichnung der Zugehörigkeit (genetisch eventuell eine -o-Ableitung von einem *-ih2-Abstraktum: % G. Klingenschmitt in Fachta-gung Regensburg 1973 [1975] p. 154 in Anm. 10; oder -o-Ableitung von -ih2

Die exakte Bestimmung der Einzelheiten ist aber erschwert durch bereits grundsprachliche Wechselformen in Abhängigkeit von der vorangehenden Silbenstruktur bei den Formen vom Typ I (zum Wechsel von *-�o- mit *-i�o-s.o. L 218 Abs. 1 zum Gesetz von Sievers), durch einzelsprachlichen Schwund von H, der beim Typ III zum Zusammenfall mit Typ II führt, schließlich durch einzelsprachliche Verallgemeinerungen von *-i�o- bei Typ I, so daß schlußend-lich nach Schwund der Laryngale unter einem *-i�o- sowohl echte *-i�o-Formen als auch ursprüngliche *-�o- und *-ih

-Bildungen vom Typ ved. vμkÏ: % Rubio Orecilla Sufijo de derivación nominal 1995 p. 316f.); an ein nominales lokativisches *-i(�)-o- (genetisch -o-Ableitung von nominalen Lok.Sg.-Formen. auf -i, vgl. den Typ ved. dámiya- ‘im Haus befindlich’).

2o-Formen vereinigt sein können. — Wie komplex die Sachlage ist, zeigt das uridg. Beispiel *ph2-�-i�o-‘dem *ph2��- zugehörig, beim *ph2��- befindlich, vom *ph2��- kommend’ = lat. patrius = gr. ��������= ved. pítriya- usw. Geht man in diesem Fall von ursprünglichem Suffix -�o- aus (das Ital. empfiehlt bei der Sondergruppe der Patronymika diese Grundform: % Rix Gentilnamensystem 1972 p 718f. mit Anm. 60), dann erwartet man lautgesetzlich eigentlich ein *ph2��-�o-; die von den drei Einzelsprachen aber befürwortete Doppelkonsonanz -tr- statt -��- ist dann verständlich, wenn sie bereits grundsprachlich in Analogie zur Nominal-flexion vom Typ Gen.Sg. *ph2�-és neu gestaltet ist; die Variante *-i�o- statt *-�o- wäre dann nur die lautliche Konsequenz von doppelkonsonantischem -tr-. Das einzelsprachlich empfohlene *-��o- kann aber ebensogut auf ein uridg. *-ih2-o- zurückgehen, ferner ist nicht auszuschließen, daß im Uridg. sowohl lokativische *-i(�)-o-, als auch *-�o- und *-ih2-o-Ableitungen von *ph2�- be-standen haben und dann miteinander zusammengefallen sind. — Vgl. ferner die Problematik von lat. dîus = gr. myk. di-wi-jo / di-u-jo i.e. di¾i�on (sekun-där innermyk. auch di��on) ‘der zu *����- gehörige (sc. Bezirk)’, ‘Zeusheiligtum’ und di-wi-ja / di-u-ja i.e. di¾i�â (sekundär innermyk. auch di��â) weibliche Gottheit ‘zu *����- gehörig’, ‘Tochter von *����-’ = ved.

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B. Zur Wortbildung 419

div(i)yá- (RV+) ‘himmlisch, göttlich’. Vom Adjektiv zu trennen ist das Sub-stantiv hom. �����= ved. devÏ. Lit.: % Risch Kleine Schriften 1981 p. 580f.; Mayrhofer EWAia I p. 727 (betont mit Recht, daß die ved. Form devÏ mit gr. ���� nicht urverwandt sein kann); Har“arson in FS Rix 1993 p. 164-166. Spe-ziell zum Myk.: % Aura Jorro DMic I 1985 p. 178ff.; A. Leukart in Mykenaïka 1992 p. 394 Anm. 44. Zur Sondergruppe der Patronymika s.u. W 302 Abs. 3.

Einen neuen Ansatz zur gesamten Problematik bringt I. Balles: % Sprache 39 1997 [2000] p. 141-167. Der Beitrag beruht auf einer Wiener Diplomar-beit, die die Autorin 1996 unter der Leitung von J. Schindler vorgelegt hat. Ich fasse die Ergebnisse tabellarisch zusammen:

I-�o-

II-i(�)o-

A) -o-Abl. von -i-St.

������< *ló¾k�-o-�����0myk. tu-rjo)< *tuHr�-ó-vgl. av. tuiri- n. ‘Molke’

B) -o-Abl. von Lok. -i

a) Relationsadj.

*med��-o- > . ��0� �*al�-o- > �%���

mediusalius

b) Komposi-tionssuffix

�(������

c) denom. Adj. *sokýh2-�o- > *sok�o- >

,���������socius�tertius

d) Verbaladj. �%� ��� < *�-per-�o-

ved. ajur-yá- 12x (-ia-1x)

�+'��&�inferius,eximiusved. mád-ia- 12x (-ya- 1x)

Kommentar: Die Autorin postuliert a.O. p. 161f. als gemeinsamen Aus-gangspunkt für die ganze Gruppe einzig die -o-Ableitung von Lokativen auf -i (B). Davon zu trennen sind die nicht sehr zahlreichen -o-Ableitungen von -i-Stämmen (A), vgl. ������(Theophrast) ‘weißer Kern im Tannen-holz’ < *lo¾k�-o- ‘Weiße [*lo¾ki-] besitzend’ (weiteres Balles a.O. p. 162 Anm. 44). Von B aus sowohl Bildung der seltenen Relationsadjektive (Ba) als auch des produktiven Zugehörigkeitsadjektivs mit verschiedenen Untergruppen (Bb-Bd). In Ba wäre die Realisierung der Ableitung -i-o-als -�-o- das Lautgesetzliche (genauso in Bc und bei gr. �%� ��� in Bd), i.d.R. (vgl. Bb-Bd) hätte sich aber die silbische Form -i-o- aus morphologischen Gründen und aus Gründen der Deutlichkeit durchgesetzt (unter Füllung

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen420

des Hiats mit einem Gleitlaut neu -i�o-). Ein Spezialfall ist dagegen Bd, wo bei den ved. Verbaladj. die Form -i�o- in langen Wortformen zu-�o- ge-kürzt wird. � Ich bin heute geneigt, der Autorin zu folgen.

2) Eine weitere, vermutlich ebenso uridg. Bildemöglichkeit zur Markie-rung der Zugehörigkeit belegt uridg. *d-e-��-ó- ‘zum Himmel gehörig’ = altlat. (Duenos-Inschr.) deivo- und klass.-lat. deus / dîvus (s.o. L 217 Abs. 3) = ved. devá- (< *da��á-) ‘himmlisch; Gott’ = aav. daêuua- ‘Dämon’ = lit. di^vas u.a.m.: % Mayrhofer EWAia I p. 742f. Uridg. *d-e-��-ó- ist als sog. Vμddhi-Ableitung (man hat sie schon als -o-Ablei-tung mit zusätzli-cher -e-Infigierung beschrieben) zu uridg. *d��¾-/ *di¾- ‘(Tages)himmel(sgott)’ zu bewerten: % Darms Vμddhi 1978 p. 376ff. — Genauso deutbar ist uridg. *n-é-¾-o- ‘jetzig; neu, jung’ zum Temporaladverb uridg. *nu‘jetzt, nun’. Weitere Lit. zu dieser im Indoiranischen geläufigen und syste-matisierten Erscheinung: % Wackernagel / Debrunner Ai. Grammatik II / 2 1954 § 34ff. — Den Locus classicus zu dieser Ableitungsform hat W. Schulze verfaßt: % Schulze Kleine Schriften 1966 p. 60ff. (in einem Auf-satz von 1907). Schulze behandelt das Beispiel uridg. *s�!�uró- (mit *��!�- < *s¾-e-e�-) i.S.v. ‘der zum Schwiegervater Gehörige’ = ‘Sohn des Schwiegervaters’ mit urgerm. Fortsetzer *��!Y�&- (vgl. dt. Schwager) als Ableitung von uridg. *s¾é�uro- ‘Schwiegervater’ (zu uridg. *s¾é��-h2

3) Stoffadjektive: — Uridg. *-é�-o-, vgl. lat. aur-eus ‘golden’, gr. klass. ���'�����‘silbern’ (die kontrahierte Form geht auf -éo- bzw. -é�o-[so myk.] zurück; die hom. Akzentuierung vom Typ Nom.Sg. ���'�� �vs. Dat.Sg. ���'� ��< sekundär nach dem Schema �%�,�����vs. ���,�����<�gestaltet; das ältere Muster *���'� ���vs. ���'� ��<�wird indi-rekt durch die klass.-att. kontrahierten Formen nachgewiesen), ved. hira°y-áya-. — Lit.: % I. Hajnal Die frühgriechische Flexion der Stoffad-jektive und deren ererbte Grundlagen in Fachtagung Zürich 1992 [1994] p. 77-109 (der Autor postuliert nach A. Heubeck von den myk. Verhältnissen mit den Suffixformen -e-(j)o, -(i-)jo ausgehend die Existenz einer uridg. Femininform *-ih

‘Schwiegermutter’ s.o. L 217 Abs. 4) mit urgerm. Fortsetzer *��éÌuro-(vgl. hdt. Schwäher). Zum Lautlichen s.o. L 421 Abs. 1, vgl. ferner Kluge / Seebold 1995 p. 657 s.v. ‘Schwager’ und ‘Schwäher’. — Vgl. ferner oben L 331 Abs.3 (zu luw. siŸ¾al).

2

4) Adjektive zur Bezeichnung der Fülle i.S.v. ‘reich versehen mit’: Zu uridg. *-¾ent- s.u. W 305.

- neben mask. und neutr. *-é�-o-). — Zum Lat.: %Leumann LLFL 1977 p. 286f. (-eus) und p. 321 (-inus).�

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B. Zur Wortbildung 421

5) Kleinere Gruppen: — Zu den Zeitadjektiven: % O. Szemerényi Latin hîbernus and Greek � �. �����&�The formation of time-adjectives in the Classical languages in Szemerényi Scripta Minora III 1987 (in einem Auf-satz von 1959) p. 1141-1159.

W 203. Adjektive, von Verben abgeleitet:

Uridg. *-tó-, *-nó- und *-ló- bilden Verbaladjektive. Sie sind z.T. ein-zelsprachlich als Ptz. Perf. Pass. (oder Intrans.) in das Verbalsystem einge-gliedert worden. Der Einsatz der drei Suffixe ist einzelsprachlich verschie-den, vgl. etwa *-lo-, das im Slav. das Ptz. Perf. Akt. bildet, im Gr. aber nurselten Verwendung fand: % Risch Wortbildung 1994 p. 107. Beim Ptz. Perf. Pass. wechseln die Sprachen mit *-to- und *-no-, vgl. zu ersterem das Lat., Gr. und Ved., zu letzterem das Slav.: % Leumann LLFL 1977 p. 611. Weitere Lit. zu *-to- und *-no-: % Szemerényi Einführung 1990 § 351f.

Trotz der beschränkten Verwendung von *-no- gibt es auch gemeinsa-me, dem Uridg. zuzuweisende Bildungen, vgl. uridg. *p©h1-nó- = lat. plênus statt *plânos = ved. pûr°á- ‘voll, gefüllt’ = got. fulls und dt. voll <urgerm. *fulna- <vorurgerm. *fulHno- = lit. pìlnas: % Mayrhofer EWAia II p. 156.

W 204. Substantive, von Substantiven oder Adjektiven abgeleitet:

1) Bezeichnung weiblicher Wesen, sog. Motionsfeminina: — Die Suffixe *-i-h2- und *-e-h2 sind mit Sicherheit uridg. Datums. Sie stellen -h2

An Beispielen für *-e-h2- vgl. unter vielen uridg. *né¾-��2- ‘(die) neue (sc. Frau o.ä.)’ = lat. nova = gr. � �� = ved. návâ- usw. Manche anschei-nend uridg. Bildungen sind aber erst einzelsprachlich, s.o. E 506 Abs. 5.

-Bildungen zu -i- und -o-Stämmen dar, s.o. F 323 Abs. 2 und F 312.

Die Materiallage für *-i-h2- ist komplexer. Das Ved. kennt zwei ver-schiedene Flexionstypen: I) Typ devÏ-, II) Typ vμkÏ-. — Zu I: ursprüngli-che Musterflexion (% MacDonell Vedic Grammar 1910 p. 274) mit Nom.Sg. devÏ, Akk.Sg. devÏm; Nom.Pl. devÏs, Akk.Pl. devÏn, Instr.Pl. devÏbhis usw. vs. Gen.Sg. devyÄs, Dat.Sg. devyÄi und Instr.Sg. devyÄ: %Mayrhofer EWAia I p. 744 s.v. devÏ. — Zu II: ursprüngliche Musterflexi-on (% MacDonell Vedic Grammar 1910 p. 270ff mit Kennzeichen B) mit Beispiel rathÏ- (hier m.!) ‘Wagenlenker, Wagenkämpfer’: Nom.Sg. rathÏs(mit -s!); Dat.Pl. rathÏbhis usw. vs. Akk.Sg. rathíyam (geschrieben rathyàm), Gen.Sg. rathíyas (-yàs), Dat.Sg. rathíye (-yè), Instr.Sg. rathÏ;Nom.Akk.Pl. rathíyas (-yàs). — Zu Gebrauch und Flexion von I (fast

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen422

durchweg außerhalb der -a-Stämme zu finden) und II (bezeichnet bei -a-Stämmen weibliche Wesen und ist beliebt als Fem. von Possessivkom-posita): % Wackernagel / Debrunner Ai. Gramm. III 1930 p. 163ff. und II / 2 1954 p. 368ff.; Mayrhofer EWAia II p. 570f. s.v. v¶ka-; ders. Zu irani-schen Reflexen des vμkÏ-Typus in Mayrhofer Kleine Schriften II 1996 (in einem Aufsatz von 1980) p. 353ff. — Der Typ I ist in der Indogermania i.d.R. gut vertreten. An Beispielen vgl. unter vielen die Feminina der Ptz. Präs. Akt. auf -nt- mit uridg. *h1�-�t-ih2- ‘existierend’ = urgr. *-ehat-�a >gr. myk. -ehassa = ved. sat-Ï- (zum Verbum uridg. *h1��- s.o. E 502ff.; weiteres zu den gr. Belegen des fem. Partizips: % Meier-Brügger Gr. Sprachw. II 1992 p. 63). — Der Typ II ist zunächst einmal vedisch. Außerind. Beispiele sind selten, vgl. zwar ved. puruºÏ- (RV+) ‘Frau’ zu púruºa- (RV+) ‘Mensch’ und ved. naptÏ- ‘Enkelin’ zu nápât- ‘Enkel’; aber ved. ahÏ- ‘Mutterkuh’ mit Entsprechungen in aav. und jav. azî- und ved. vμkÏ- mit der Entsprechung in altwestnord. ylgr ‘Wölfin’. — Herkunftsmä-ßig ist das Flexionsparadigma von I problemlos verständlich: Nom.Sg. dev-Ï- / Gen.Sg. dev-yÄ-� < uridg. *dé��-ih2- / *di¾-���2-s (der Akzent des Nom.Sg. ist sekundär statt *dévî-). Aus dem Gr. gehört hom. �����dazu (der Akzent des Nom.Sg. ist zwar bewahrt, die Stammgestalt stammt aber aus den schwachen Kasusformen). Lit.: % H. Eichner in Sprache 20 1974 p. 28. — Weiteres zur Form des Suffixes *-ih2- und *-���2-: schwundstu-figes *-ih2- ergibt einzelsprachlich lautlich *-î- (so im Ved., so im Lat. verbaut im Suffix -tr-î-k-, s.o. F 101 Abs. 2), oft hat sich aber von -���2-aus neu ein *-��2- mit konsonantischem � ergeben (so im Gr. mit Normal-form -�a, Restformen auf -î- sind aber noch nachweisbar, vgl. Nom.Sg. *'����-�6- ‘Zunge’ (dazu hom. '����6�� i.S.v. ‘Spitze des Jochriemens’; im Sandhi ist über den Akk.Sg. -în V- i.S.v. -în’ V- sekundär ein -în-Stamm gebildet worden; die Akzentuierung des Suffixes ist ebenfalls sekundär) vs. ion. Gen.Sg. '������� (mit erwartetem schwundstufigem Stamm und mit -ss- [att. übrigens -tt-] < *-k£-�-; dagegen klass. att. Gen.Sg. '��������mit Vollstufe der Wurzel und Akzentuierung nach dem Nom.Sg.; die normale Nom.Sg.-Form '�������zeigt zwar die erwartete Vollstufe und den erwar-teten Akzent, die konsonantisch anlautende Suffixform stammt aber aus dem schwachen Stamm ��— Zum Typ II gibt vermutlich das altwestnord. Beispiel ylgr Hinweise auf seine Herkunft: % Mayrhofer Kleine Schriften II 1996 p. 354 mit Anm. 12. Man erwartet nämlich von der vom Ved. empfohlenen Vorform *¾©k�e� aus zunächst lautgesetzlich ein *ylfir; die tatsächlich vorliegende Entlabiovelarisierung von ký zu g ist aber nur vor konsonantischem � verbürgt; diese lautliche Konstellation ist möglich, wenn wir erstens annehmen, daß der Typ II ursprünglich auf einem

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B. Zur Wortbildung 423

hysterodynamischen Typ mit Nom.Sg. *¾©ký-���2-s und Gen.Sg. *¾©k-ih2-és aufgebaut war, und zweitens, daß Form und Suffix des schwa-chen Stammes und die Akzentuierung des starken Stammes i.d.R. verall-gemeinert worden sind (so im Ved.): % Kuiper Ved. Noun-Inflexion 1942 p. 12f.; Mayrhofer a.a.O. in Anm. 12; R. S. P. Beekes Le type gotique bandi in Laryngales 1990 p. 49-58. — Zu weiteren Vermutungen über das Suffix -ih2-: % Mayrhofer a.a.O. p. 356; G. Klingenschmitt in Fachtagung Regensburg 1973 [1975] p. 154 Anm. 10 (-i-h2- letztlich als Kollektivbil-dung [und, daraus entwickelt, als Femininbildung] auf -h2- zu Adjektiven auf -i-, die die Zugehörigkeit bezeichnen; dazu letztlich auch die Zugehö-rigkeitsadjektive auf *-ih2-o-, s.o. W 202 Abs. 1); Leumann LLFL 1977 p. 283 (zu den lat. Resten des Typs); R. Lühr in FS Schmid 1999 p. 299-312(zu den Kontinuanten von Typ I und II im Baltischen). �vgl. jetzt auch P. Widmer „Der altindische vμkÏ -Typus und hethitisch �����-: Der indoger-manische Instrumental zwischen Syntax und Morphologie“ in Sprache 45/1- 2 (2005 [2007]) p.190-208.

2) Verkleinerungs- und Koseformen: — Uridg. *-ko- und *-lo- (bei -o-Stämmen -e-lo-). Zu ersterem: % Meier-Brügger Gr. Sprachw. II W 408 Abs. 2; zu letzterem: % Meier-Brügger Gr. Sprachw. II W 408 Abs. 3, ferner Risch Wortbildung 1974 p. 107 Anm. 93.

3) Abstrakta vom Typ *ne¾ó-���2

4) Ortsbezeichnungen: — Hierher gehört das von K. Hoffmann entdeckte Suffix uridg. *-Hon-: % Hoffmann Aufsätze II 1976 (in einer Arbeit von 1955) p. 378ff. Das Suffix hat possessive Bedeutung und kann (mit uridg. *-¾ent- vergleichbar, s.u. W 305) Ortsnamen charakterisieren, die Verwen-dung ist aber breiter. E. P. Hamp plädiert für die Bestimmung von *-Hon- als *-h

�- ‘Neuheit’ = lat. novitât- = gr. � ����-:% Meier-Brügger Gr. Sprachw. II W 410 Abs. 3 und Rix a.a.O. in W 205 Abs. 2 p. 737.

3

W 205. Substantive, von Verben abgeleitet:

on-, s.o. die kritischen Bemerkungen in L 329 Abs. 2. Weiteres zu diesem Suffix: % N. Oettinger in Arbeitstagung Erlangen 1997 [2000] p. 393-400(zum ai. GN Pûºan-); G.-J. Pinault in BSL 95 / 1 2000 p. 61-118 (zu ved. dámûnas-).

1) Bezeichnung des Täters (sog. Nomina agentis): — Zu uridg. *dh3-tér-‘okkasioneller Geber’ vs. *déh3-tor- ‘habitueller Geber’: % Tichy Nom. ag. auf -tar- 1995 (zum Ved.). Ein lat. Beispiel oben in F 101 Abs. 2.

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen424

2) Verbalabstrakta (sog. Nomina actionis): — Eine Liste von uridg. Bil-dungen bietet H. Rix in FS Szemerényi *65 II 1979 p. 737f.: darunter figurie-ren solche mit Suffixen wie *-ti- (s.o. F 317 Abs. 7), *-tu-; der -o-stämmige Typ mit Beispielen wie uridg. *ró¾d£-o- ‘Jammern’; Feminina vom Typ *b£ug-éh2

3) Bezeichnungen für Werkzeug, Mittel und Ort: — Zu uridg. *-tr-o-,*-tl-o-, *-d£r-o- und *-d£l-o- (sie haben im Grunde ihren Ausgangspunkt in den -o-Ableitungen zu den Nomina agentis auf -ter- / -tor-, auf Grund der vorangehenden Wurzelgestalt z.T. dissimilatorisch zu *-tl-o- oder *-d£r-o-oder *-d£l-o- verändert): % Risch Wortbildung 1974 p. 41; Olsen Instrument Noun Suffix 1988; M. V. Southern in MSS 60 2000 p. 89-133 (zu lat. tabulaund zum Suffix -��/-). Ferner s.o. L 347 Abs. 2.

- ‘Flucht’; Wurzelnomina vom Typ *né�- ‘Vernichtung’ und -t-Bildungen vom Typ *stu-t- ‘Lobpreisung’; ferner -es-Neutra vom Typ *tép-es- ‘Hitze, Wärme’.

W 206. Suffixsysteme / Suffixverbände: — Grundsprachliches Alter zei-gen mit Sicherheit Teile des nach W. Caland benannten Phänomens.

1) W. Caland hat bei der Behandlung von jav. xruu-i-drau- ‘der eine bluti-ge, grausige Holzwaffe führt’ darauf aufmerksam gemacht, daß die av. Adjek-tive auf -ra- und -ma- im Vorderglied von Komposita das -ra- rein deskriptiv durch ein -i- ersetzen, vgl. zum genannten Kompositum das Adj. xrû-ra- ‘blu-tig, grausig’ oder vgl. das jav. Adjektiv d��z-�- ‘fest, stark, tüchtig’ neben dem jav. Kompositum d��z-i-raÁa- ‘der einen festen, starken Wagen hat’: %KZ 31 1892 p. 267 und 32 1893 p. 592 („es ist mir jetzt warscheinlich, dass diese eigentümlichkeit schon in die indo-êranische periode hineinreicht“). — J. Wackernagel hat in seinem Beitrag �$D��K$�S>�� und Genossen in Wak-kernagel Kleine Schriften I 1969 (die Arbeit stammt aus dem Jahre 1897) p. 770 das Phänomen als uridg. erwiesen („Die Calandsche Regel ist somit ge-mein-indogermanisch“). Wackernagel verweist auf gr. Beispiele wie Adjektiv ���'�����‘weiß, hell, weißglänzend, schnell’ (� argó- galt damals als aus*arg-ró- diss.; heute setzt sich die Ansicht aber immer mehr durch, daß es direkt uridg. *h2

2) Um es gleich zu sagen: Das Phänomen ist synchron sicher richtig be-schrieben, nur lief es historisch umgekehrt ab: Das -i- in der Komposition ist alt, bei der Bildung der Adjektive wurde das -i- aber durch Suffixe wie -ro-usw. ersetzt. Zur Darstellung dieser Einsicht muß ich aber weiter ausholen.

μœ-ó- fortsetzt, s.o. L 333 Abs. 1) neben Kompositum ���'-�-� ������‘der den hellglänzenden Blitz hat’.

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B. Zur Wortbildung 425

3) In der Nachfolge von Caland und Wackernagel wird heute vom *-ro-/*-mo-/*-i-Kern ausgehend eine ganze Reihe von mehr oder weniger damit verbundenen Suffixen unter dem Namen Caland zusammengefaßt. Sie sind zum Teil erst einzelsprachlich dazu gebildet. Neben den Adjektivbildun-gen auf *-ro-/*-mo- und den dazugehörigen Kompositionsvordergliedern auf *-i- gehören dazu u.a. die stativischen -��1

4) �Wir verdanken die in Abs. 3 angedeuteten Erkenntnisse Jochem Schindler, A. J. Nussbaum und ihrer Schule. Wie A. J. Nussbaum im Unter-richt (u.a. im Berliner Blockseminar vom März 2001) immer wieder deutlich gemacht hat, steckt hinter dem Caland-System ein seit uridg. Zeit lebendigerProzeß von internen und externen Ableitungen mit Substantiven, davon abge-leiteten possessiven Adjektiven und daraus wieder neu gebildeten Substanti-ven. — Die externe Ableitung definiert sich als Ableitung mittels Suffixen wie -ro- oder -no-. — Bei der internen Ableitung wird der Wortstamm nicht ver-ändert, dafür aber der Flexionstyp. Ein mit guter Sicherheit rekonstruiertes Schlüsselbeispiel dafür ist das akrostatische Abstraktum uridg. *�&/�

-Verben, die -es-Neutra mitsamt den Komparativen auf *-�os- und den Superlativen auf *-is-to-: % Risch Wortbildung 1974 p. 65ff. und p. 218f.; Meier-Brügger Gr. Sprachw. II 1992 p. 31f.; Jasanoff Stative and Middle 1978 p. 125 mit Anm. 13 (Hinweise auf Arbeiten von C. Watkins, J. Schindler und auf die Harvard-Diss. von A. Nuss-baum); J. Schindler in Fachtagung Wien 1978 [1980] p. 390 und p. 392 mit Anm. 23; T. Meissner in Fachtagung Innsbruck 1996 [1998] p. 237-254 (zum Gr.). � vgl. jetzt auch Balles Cvi 2006 und Rau Decads and Caland 2009.

1u- ‘Fülle’ mit starkem Stamm *�&/�1u- und schwachem Stamm *��/�1u-. Durch Wech-sel in die proterodynamische Flexion ensteht daraus das proterokinetische pos-sessive Adjektiv *��/�1u- i.S.v. ‘*�&/�1u- besitzend’ mit starkem Stamm *��/�1u- und schwachem Stamm *p©h1é¾-: % Nussbaum Two Studies 1998 p. 147ff. — Nebenbei: Restformen dieser internen Ableitungen zeigen letztlich auch die durch Akzentwechsel kenntlich gemachte Differenzierung zwischen Adjektiv und Personnennamen oder zwischen Adjektiv und Substantiv, vgl. das gr. Adjektiv '����� ‘blau’ und den daraus gebildeten PN D����� oder vgl. ein Nomen wie gr. �%�,���� ‚Mensch‘, wo zur Substantivierung die ur-sprüngliche angestammte Endbetonung *-�����durch einen Anfangsakzent ersetzt wurde. Vgl. dazu ferner uridg. *¾©kwó- mit wohl bereits uridg. Rück-zug des Akzents auf die erste Silbe zur Markierung des Substantivs, s.o. L 418 Abs. 2. � Vgl. jetzt Schaffner Vernersches Gesetz 2001 p. 328ff. (zur opposi-tiven Akzentverschiebung bei Substantivierung eines attributiven Adjektivs mit Beispielen aus dem Germanischen).

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen426

5) Ein Beispiel von A. J. Nussbaum in tabellarischer Form:

A. Wn. B. Adj. C. Abstr. D. Adj.uridg. st.*kró¾h2-, a.*#��2-ró- st.*#&��2i-, *#��2i-nó-

schw. *#��2-´ b.*kró¾h2-o- schw.*kré¾h2i-später av. xrû- a. av. xrûra-

b. dt. rohav. VG xruui- lit. krùvinas

Kommentar zur Tabelle: — Das Wn. *#&��2- (A) = jav. xrû- ‘blutiges, rohes Fleisch’ steht am Anfang dieser Ableitungskette. Von ihm aus sind die beiden possessiven Adjektive *#��2-ró- (Ba) = aav. und jav. xrûra-‘blutig, grausig’ und *kró¾h2o- (Bb) = dt. roh extern abgeleitet. Vom Adj. *kró¾h2o- (Bb) aus führt der externe Weg über den Ersatz von -o- durch ein -i- weiter zum akrostatischen Abstraktum *kró¾h2i- (C). Es tritt in der Komposition im VG von Komposita in die schwundstufigen Form *#��2i-= jav. xruui-drau- ‘der eine blutige Holzwaffe führt’ (vgl. oben Abs. 1).Das Abstraktum auf -i- läßt sich indirekt in der possessiven ved. -o-Ableitung kravyá- ‘blutig’ (< *kro¾h2�-ó- ‘*kró¾h2i- besitzend’) nachwei-sen. Von ihm geht es wieder weiter zu possessivischem *#��2

Ein weiteres Beispiel mit Material zu C und D ist bereits in Abs. 4 an-gedeutet: Das akrostatische Abstraktum vom Typ *�&/�

i-nó- (D) = lit. krùvinas ‘blutig’ etc. Zu Einzelheiten: % A. J. Nussbaum in GS Schindler 1999 p. 402.

1u- / *��/�1u-‘Fülle’ gehört zu C, das zu D zu stellende proterokinetische possessivischeAdjektiv *��/�1u- / *p©h1

6) Zum weiteren Verständnis des Caland-Phänomens ist die Einsicht zentral, daß die ersten Grundmuster der Komposita zu einem Zeitpunkt gebildet worden sind, als es noch keine voll ausgebildeten Adjektive gab und an ihrer Stelle deren abstrakten Vorstufen („unterspezifizierte Lexemefür Eigenschaftskonzepte“ wie die Abstrakta auf -i-, s.o. F 323) vorlagen. Ein Beispiel: Das bereits mehrfach genannte Kompositum xruui-drau- ist zunächst i.S.v. ‘dessen (Holz)waffe durch Blut, durch Grausamkeit cha-rakterisiert ist’ zu verstehen. Das -i-Abstraktum kam aber bald außer Ge-brauch, dem VG wurde adjektivischer Wert beigemessen und xruui-drau-i.S.v. ‘der eine blutige (Holz)waffe besitzt’ gedeutet. Von der Optik des gebräuchlichen Adj. xrûra- aus erwuchs daraus sekundär der Anschein, alsob es auch im VG (unter Ersatz von -ra- durch -i-) vorläge.

é¾- ‘Fülle besitzend, viel’ ist intern aus dem Ab-straktum von C hergeleitet.

7) � Drei Informationen zu den -u-stämmigen Adjektiven:

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B. Zur Wortbildung 427

a) Grundmuster ist das in Abs. 5 dargestellte proterokinetische possessi-vische Adjektiv *��/�1u- / *p©h1

b) Im Gegensatz zu den -ro-Adjektiven wie xrûra- sind die Adjektive auf *-u- auch in der Komposition möglich, vgl. gr. hom. ����-��- � (von Pfer-den) ‘mit schnellen Füßen’ und ved. â¹u-ratha- ‘einen schnellen Wagen ha-bend’. Das Paradox erklärt sich aber leicht. Hier war bereits das zuerst als VG eingesetzte Abstraktum -u-stämmig. Das zum Abstraktum dazugehörige selbständige Adjektiv war dank der internen Ableitung ebenfalls -u-stämmig und so entsteht aus späterer Warte der Anschein, als ob das weiterhin produk-tive -u-Adjektiv auch im VG vertreten sei.

é¾- ‘Fülle besitzend, viel’.

c) Die -u-Adjektive haben in den altidg. Sprachen i.d.R. in der Wurzel denschwundstufigen Stamm im ganzen Paradigma verallgemeinert, vgl. gr. ;����‘schwer’ <*�wμh2-u-. Im Suffix ist dagegen der Wechsel vom starkem Stamm -u- zum schwachem -e¾- lebendig geblieben, vgl. gr. Nom.Sg. ;�������vs. Gen.Sg. ;��� �� (< -é¾-os). Noch anders der Akzent: Er ist von den schwa-chen Formen ausgehend im ganzen Paradigma als Kolonnenakzent auf dem Suffix verallgemeinert worden. — Neben dem Normaltyp ;���� mit schwundstufiger Wurzel gibt es aber auch einige interessante archaische Reste von -e-Stufen in der Wurzel, vgl. lat. tenu-i- ‘dünn’ oder dt. viel, got. filuu.a.m. < urgerm. *felu-. Vgl. ferner oben L 307 Abs. 2 zu mollis. — Ganz auffällig und singulär ist die -o-Stufe von gr. ����. Sie�wird dann verständ-lich, wenn das Adjektiv als Archaismus direkt das genannte akrostatische Ab-straktum *pólh1u- fortsetzt (mit Erhalt des Wurzelvokalismus, aber internem Wechsels des Akzents auf das Suffix). Als Vorbild für -o- sind alternativ auchdie sicher häufigen Komposita mit VG ‘Vielheit’ denkbar. Man müßte dann aber annehmen, daß dort im VG statt der schwachen Form *pelh1u- die star-ke Form *pólh1u- im Einsatz war. Versuche, eine lautliche Herleitung von pol-aus *p©h1- zu erzwingen, können so jedenfalls entbehrlich werden. � Vgl. ausführlich zu den verschiedenen -e- und -o-Stufen Widmer Weites Feld 2004 p. 80ff. Weiterhin skeptisch Lamberterie Rez. 2002 p. 114.

3. Wortbildung durch Komposition

W 207. Die Möglichkeit der Bildung von Komposita ist uridg. Dabei wer-den i.d.R. zwei nominale Stämme miteinander verbunden. — Der zuerst eingesetzte Stamm heißt Vorderglied (= VG), der danach folgende Stamm heißt Hinterglied (= HG). Das VG besteht i.d.R. aus dem reinen Stamm, das HG ist flektierbar: entweder wird der ererbte Stamm direkt verwendet,oder er wird durch ein Suffix (sei es nun *-o-, *-i-, *-io- oder andere) er-gänzt. Das neue Nomen erhält einen eigenen Akzent und eine neue Bedeu-

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen428

tung. — Uridg. Alter haben die sog. Possessivkomposita (= PK, nach ai. Terminologie sog. Bahuvrîhi: der ai. t.t. ist ein Kompositum i.S.v. ‘viel Reis habend’ und wird u.a. als Epitheton von Landschaften verständlich) und die sog. verbalen Rektionskomposita (= VRK). Das Uridg. selbst kennt bei beiden Grundmustern bereits mehrere fest etablierte Typen.

�Im Fall der PK wie gr. . ����-���- liegt ein Nominalsatz mit Dat. des Besitzers + �+��� . ���� ‘(ihm ist / gehört) das schwarze Pferd’ zu-grunde. Das daraus gebildete Kompositum . ����-���- ‘ein schwarzes Pferd habend’ dient der Charakterisierung einer Person, ‘die ein schwarzes Pferd besitzt / die auf einem schwarzen Pferd reitet’.

Im Fall der VRK vom Typ gr. ��-���(- liegt ein Verbalsatz mit Nom. + ������� �( ��‘(die Amme) nährt ein Kind’ vor. Das neue Wort charakterisiert i.d.R. wieder eine Person: ‘(Person,) die mit dem Ernähren von Kindern beschäftigt ist / die Kinder ernährt’.

Die Grundmuster der hier anhand des Gr. veranschaulichten Komposi-tionstypen sind bereits in voruridg. Zeit erfolgt: % J. Wackernagel in Wackernagel / Debrunner Ai. Gramm. II / 1 1957 (erste Aufl. 1905) p. 289 (zu den PK) und p. 186 (zu den VRK); Risch Kleine Schriften 1981 (in einer Arbeit von 1945) p. 124 Anm. 21.

Die Terminologie zur Komposition ist nicht ganz einheitlich. Auf der einen Seite gibt es eine relativ ausführliche ai. Terminologie, die aber ganz auf die dortigen klassischen Verhältnisse abgestimmt und rein von der in-haltlichen Seite her aufgebaut ist: % J. Wackernagel in Wackernagel / Debrunner Ai. Gramm. II / 1 1957 p. 140-142. Auf der anderen Seite hat sich innerhalb der Indogermanistik unter Fortentwicklung der ai. eine eige-ne Terminologie entwickelt, wie sie E. Risch seit seinen frühesten Arbeiten mit Possessivkompositum = PK, verbalem Rektionskompositum = VRK, Determinativkompositum = DK (s.u. W 211) und Präpositionalem Rekti-onskompositum = PrRK (s.u. W 210) verwendet: % Risch Kleine Schrif-ten 1981 (in einem Beitrag von 1944) p. 5 und p. 36 und (in einem Beitrag von 1945) p. 112f.; Risch Wortbildung 1974 p. 182.

Eine ausführliche Darstellung der uridg. Komposition fehlt. Der Tod hat J. Schindler leider gehindert, den geplanten Band im Rahmen der Idg. Gr. zu vollenden. Zugänglich ist immerhin der Plan seines Madrider Vor-trages: % Zur internen Syntax der indogermanischen Nominalkomposita in Kolloquium Delbrück Madrid 1994 [1997] p. 537-540.

Neuere Lit.: % Mikkola Kompositum I 1971; V. Sadovski in Arbeits-tagung Erlangen 1997 [2000] p. 455-473 (zu den sog. entheos-KP und den PrRK im RV); G. E. Dunkel On the origins of nominal composition in

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B. Zur Wortbildung 429

IE in GS Schindler 1999 p. 47-68; � Lindner Lat. Komposita 2002, s.o. bibl. Nachträge 10.

W 208. Weiteres zu den Possessivkomposita (= PK): — Der Inhalt der altidg. PK bewegt sich im Bereich Aussehen, Besitz und Ruhm, Schönheit, Kraft. Die VG können Substantive (später auch Adjektive), Zahlwörter, aber auch Präpositionen sein, vgl. lat. con-cord- ‘das Herz zusammen ha-bend’ i.S.v. ‘einmütig’, gr. ���-��- ‘drei Füße habend’ i.S.v. ‘Gefäß mit drei Füßen’ oder ved. su-¹rávas- ‘guten, kräftigen Ruhm habend’ i.S.v. ‘ruhmreich’; usw. — Zum VG vgl. auch oben W 206 Abs. 6.

Lit.: % Risch Wortbildung 1974 p. 182ff.; J. Schindler Zu den homeri-schen �2��������-Komposita in FS Risch 1986 p.393-401; J. Uhlich Der Kompositionstyp ‘Armstrong’ in den indogermanischen Sprachen in HS 110 1997 p. 21-46.

W 209. Weiteres zu den verbalen Rektionskomposita (= VRK): — Es sind mindestens zwei verschiedene Bildungen als uridg. einzustufen.

1) VRK mit verbalem Vorderglied vom Typ gr. �� �-���-��‘der, welcher junge Pferde hält’ und ved. trasá-dasyu- ‘der, der seine Feinde zum Zittern bringt’. Lit.: % Risch Wortbildung 1974 p. 190ff.

2) VRK mit verbalem Hinterglied: — Eine archaische Gruppe stellen die sog. Wurzelkomposita vom Typ lat. prîn-ceps < *prîmo-cap- ‘der, welcher den ersten Teil od. welcher als erster nimmt’ und con-iug- ‘zusammengebun-den’, gr. � ��-��;- (bereits myk. als ke-ni-qa i.e. k£err-nigý- ‘(Wasser), das die Hände wäscht’ und ved. havir-ád- ‘Opferspeise essend’. Das HG ist nicht, wie gemeinhin angenommen, ein Wn., sondern direkt die Verbalwurzel: %Scarlata Wurzelkomposita im ·g-Veda 1999 p. 765f. Lit.: % neben Scarlata speziell Benedetti Composti radicali 1988. — Altidg. geläufig ist dagegen der Typ gr. �����(� (s.o. W 207) und ved. puº»im-bhará- ‘Nahrung, Gedei-hen bringend’.

W 210. Eine weitere bereits grundsprachliche Möglichkeit ist die Bildung von sog. präpositionalen Rektionskomposita (= PrRK) und Ableitungs-komposita vom Typ lat. êgregius ‘auserlesen < *aus der Herde herausge-nommen’ oder lat. suburbânus ‘nahe bei der Stadt (sc. Rom)’, wo die Ausdrücke ê grege bzw. sub urbe mit Hilfe der Suffixe -io- bzw. -âno-nominalisiert sind: % Leumann LLFL 1977 p. 264f. — Aus dem Gr. vgl. hom. ���-���-���‘im Meere befindlich’ (von Meertieren) zum präpositio-nalen Ausdruck ����2����‘im Meer drin’: % Risch Wortbildung 1974 p.

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen430

187f. Lit.: % E. Risch Griechische Komposita vom Typus . �-������und�2.-'��������in Risch Kleine Schriften 1981 (der Aufsatz stammt von 1945) p. 112-124. — Zu ved. tri-vats-á- s.o. L 217 Abs. 1. — Zu dieser Gruppe zählen letztlich auch die sog. (Zahlwort-)Komplexivkomposita vom Typ ved. tri-div-á- ‘der Komplex der drei Himmel’: % Sommer No-minalkomposita 1948 p. 46; Hoffmann Aufsätze II 1976 (in einem Aufsatz von 1952/1956) p. 356f.

W 211. Die sog. Determinativkomposita (= DK) stellen gerade im Dt. den Großteil der Komposita, vgl. unter vielen Gießkanne, Teekanne und Kaf-feekanne. Bei den DK wird das Hinterglied (meist ein nicht näher spezifi-ziertes Appellativum) durch das Vorderglied präzisiert (determiniert): Im Gegensatz zum Simplex Kanne bezeichnen Komposita wie Gießkanne eine Unterabteilung des Gattungsbegriffs. In den altidg. Sprachen sind solche DK auffallend selten. Man nimmt wohl mit Recht an, daß sie im Uridg. noch nicht üblich waren. — Von den echten DK zu unterscheiden sind sog. Zusammenrückungen wie *déms pot- ‘Herr über das Anwesen / über den Familienclan’. Wie ein Vergleich der gr. und ved. Formen zeigt (vgl. gr. � ������ und ved. pátir dán neben dámpati-), ist der Ausdruck *dems pot- (pot- ‘Herr über’ mit Gen.) zwar uridg. Alters, die Zusammen-rückung und Univerbierung aber erst einzelsprachlich. Zum archaischen Gen.Sg. uridg. *dém-s s.o. F 320 Abs. 1a.

Lit.: % E. Risch Griechische Determinativkomposita in Risch Kleine Schriften 1981 (in der in IF 59 Heft 1 1944 und IF 59 Heft 3 1949 publi-zierten Habilitationsschrift) p. 1ff. (dank des Indexes zu den Kleinen Schriften wird ein Großteil der Beispiele erstmals erschlossen).

W 212. Zu den sog. ámre”ita vom Typ ved. divédive ‘Tag für Tag’ s.o. F 310 Abs. 5 und F 318 Abs. 6a (am Schluß des Abschnittes).

C. Zum Namensschatz

1. Allgemeines

W 300. Gegenüber dem Wort als Appellativ hat das Wort als Name einen eigenen Stellenwert. „Each word of a language is a ‘name’ with regard to

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C. Zum Namensschatz 431

the act of designation“: % B. Schlerath Name and Word in Indo-European in FS Hamp II 1997 p. 164-169.

Mit Sicherheit uridg. ist das neutrale Abstraktum *h1néh3-m�- i.S.v. ‘Name, Benennung, qualification’ (= lat. nômen, gr. %�.�&�ved. nÄman-,heth. lâman-, got. namo, aksl. im<� usw.: % Mayrhofer EWAia II p. 35-37und s.o. F 317 Abs. 10).

Nach Ausweis der Einzelsprachen ist ferner der Ausdruck *h1néh3-men-+ *d���1- ‘jemandem einen Namen zulegen oder geben’ bereits Bestandteil des Uridg. Der i.d.R. vom Vater vollzogene Akt der Namengebung wird bei der Benennung eines neugeborenen Kindes besonders deutlich und ist vermutlich am neunten Tag oder nach Ablauf von neun Tagen erfolgt: %R. Schmitt in Namenforschung 1 1995 p. 616.

W 301. Eigennamen nehmen im Wortschatz einer Sprache eine besondere Stellung ein. Sie bezeichnen im Gegensatz zu den Appellativa nicht die Klasse (die Gattung), sondern das Individuum.

Die Markierung des Individuums ist nicht nur unter den Menschen zent-ral, sondern genauso bei der Benennung von Personengruppen, bei der Bestimmung eines bestimmten Flusses oder Gebirges usw.

Die folgenden Ausführungen sind notgedrungen kurz. Zur Gesamtpro-blematik: % Namenforschung 1-2 1995-1996.

2. Zu den Personen- und Götternamen

W 302. Die heute in unseren westlichen Breitengraden übliche Benennung einer Person besteht i.d.R. aus dem sog. Vornamen und dem sog. Fami-liennamen. Der Vorname (Rufname oder Individualname, engl. first name,franz. prénom) dient der Identifizierung der Person. Der Familienname(Zuname, engl. family name, franz. nom de famille) legt i.d.R. die ab-stammungsmäßige Zugehörigkeit der betreffenden Person zu einer be-stimmten Familie offen.

Die Vornamen werden von den Eltern (vom Vater) nach der Geburt festgelegt und haften i.d.R. bis zu ihrem Tod an der betreffenden Person. Die Vornamenwahl der Eltern ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Eine Rolle spielen u.a. die Tradition in der Familie (der Sohn soll den Na-men des Großvaters weitertragen u.a.m.), die Vision, das Lebenspro-gramm der Eltern für ihr neugeborenes Kind (der Sohn soll erfolgreich sein u.a.m). Während die Vornamen frei wählbar sind, sind die Familiennamen vorgegeben und nicht variierbar.

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen432

Die heutige europäische Benennungspraxis mit Vorname und Familien-namen hat sich in einem langen Entwicklungsprozeß vom 12. Jh. n.Chr. an ausgebildet. Der Familienname war zunächst nur Beiname zum Vornamen einer Person, wurde dann aber erblich. Ein Lit.-Hinweis unter vielen: %Bach Deutsche Personennamen 1943.

1) Alles deutet darauf hin, daß in altidg. Zeit (und noch lange danach) allein der Besitz eines einzigen Individualnamen üblich gewesen ist, vgl. die gr. hom. Praxis mit -����� ��&�TK����&�#���������(mit -ês < *-é¾ês; statt des Vollnames ist aber die gekürzte Namensform�#��������üblich [sie ist von der Vokativform #������ �aus gebildet; diese selbst ist die gekürzte Vokativ-form statt *#������ �, vgl. bei Hom. neben häufigem Vok. #������ �die seltener verwendete vokativische Vollform #������ �� mit -e�s < *-ees] u.a.m., vgl. die ahd. Praxis mit Hildebrand und Heribrand im Hildebrandlied (zur Herkunft dieser Namen: % Lühr Hildebrandlied I 1982 p. 356ff.) usw.

2) Die altidg. Individualnamen sind i.d.R. entweder zweistämmig kompo-niert (vgl. oben gr. #���-�����) oder einstämmig (vgl. oben gr. TK�-��� ��Mehrsilbige Namen werden in der Alltags- und Familiensprache gern verkürzt. Gegenüber den Vollnamen ist hier deshalb von Kurznamen zu spre-chen. Individualnamen können ferner durch Suffixe eine Kose-Konnotation bekommen und gelten dann als Kosenamen. Für Einzelheiten: % R. Schmitt Entwicklung der Namen in älteren indogermanischen Sprachen in Namenfor-schung 1 1995 p. 616-636; ders. Morphologie der Namen: Vollnamen und Kurznamen bzw. Kosenamen im Indogermanischen a.a.O. p. 419ff.

3) Uridg. Datums ist ferner die Präzisierung des Individuums durch die An-gabe des Vaters, syntaktisch ausgedrückt entweder durch Zusatz des im Gene-tiv stehenden Vatersnamen i.S.v. ‘(Sohn) von X’ oder durch Zusatz eines vom Vatersnamen abgeleiteten Adjektivs der Zugehörigkeit (sog. Patronymikon), vgl. zu ersterem Hadubrand Heribrandes suno, zu letzterem gr. myk. a-re-ku-tu-ru-wo e-te-wo-ke-re-we-i-jo i.e. Alektru¾ôn Ete¾okle¾ehi�os ‘Alektru¾ôn, Sohn des Ete¾okle¾ês’ und russ. Nikolaj Sergejevi’. — In Rom hat sich aus den Patronymika auf -ios (jünger -ius) das sog. Nomen gentile entwickelt. Der erste Schritt dazu ist die Vererbung des eigentlich bei jeder Person durch den Namen des Vaters festgelegten Patronymikons auch auf den Sohn der betreffenden Person. — Das System vom Typ Gaius Iulius (Caesar)mit Gaius = Praenomen (dies ist der alte Individualname), Iulius = Nomen Gentile (und Caesar = Cognomen) ist in ganz Mittelitalien verbreitet. Ausführ-lich dazu: % Rix Gentilnamensystem 1972 passim (zur bereits grundsprachli-chen Funktion des -io-Suffixes p. 71). — Zu den gr. Patronymika: % Meier-Brügger Gr. Sprachw. II p. 21 (in Abschnitt 3 unten).

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C. Zum Namensschatz 433

4) Bei der Individualnamengebung ist in der Regel von männlichen Perso-nen freien Standes die Rede. — Die Individualnamen von Frauen haben ihre eigene Problematik und hängen direkt mit der sozialen Stellung der Frau in den altidg. Gesellschaften zusammen. Diese zeigt sich unter anderem in den Anre-deformen. Während der Mann mit dem Individualnamen angeredet wird, ge-nügt bei der Frau i.d.R. ein einfaches ‘O Frau’. „Das Weib wird mehr als Gat-tungswesen, der Mann als Individuum behandelt“: % J. Wackernagel Über einige antike Anredeformen in Wackernagel Kleine Schriften II 1969 (in einem Aufsatz von 1912) p. 970ff. und einschlägig p. 993 (Wackernagel macht deut-lich, daß die gleiche gesellschaftliche Praxis für die Anrede von Gottheiten übernommen worden ist). Daß die Urindogermanen nicht viel anders als die Römer und Griechen verfahren sind, ist wohl keine allzu gewagte Vermutung. — In Rom trugen die Frauen i.d.R. nur das Nomen gentile, vgl. Cornelia,Iulia usw.: % Rix Gentilnamensystem 1972 p. 704. — Bei den Griechen sind die Frauennamen i.d.R. bloße Femininbildungen von männlichen Individual-namen, vgl. bereits myk. a-re-ka-sa-da-ra i.e. Aleksandrâ (zu *Aleks-anôri.S.v. ‘der die Männer abwehrt’), hom. -����.���� (zu einem -�����.���i.S.v. ‘der mit den Männern kämpft’) usw. usw.: % G. Neumann (p. 132 a.O. in Abs. 5); O. Masson Remarques sur les noms de femmes en grec in MH 47 1990 p. 129-138. — � Indogermanische Frauennamen, von K. Stüber, U. Remmer, Th. Zehnder, Heidelberg 2009. Zum Indoir. s.o. in der normalen Bibliographie beim Stichwort Iranisches Personennamenbuch den Nachtrag von Band 3 mit Ulla Remmer, Frauennamen im Rigveda und im Avesta. 2006.

5) Weitere Lit.: % Solmsen Eigennamen 1922; R. Schmitt Indogermani-sche (Personen-)Namen: nur Schall und Rauch? in Fachtagung Innsbruck 1996 [1998] p. 69-86; Namenforschung 1 1995 mit Kapitel VIII. Historische Entwicklung der Namen (darin Beiträge zu verschiedenen altidg. Einzelspra-chen: Autoren sind unter anderem E. Seebold zu Wortgeschichte und Etymo-logie, R. Schmitt zum Alt- und Mittelindoarischen, O. v. Hinüber zu Indien, O. Masson zum Griechischen, H. Rix zu den Etruskern und Römern, J. Unter-mann zu den Randzonen des alten Italien, K. H. Schmidt zum Keltischen); DNP s.v. Personennamen. — Zu den Gr. und Römern: % H. Rix in Kl. Pauly 4 Sp. 657-661; Meier-Brügger Gr. Sprachw. II 1992 p. 39-44; Greek Personal Names I-III A 1987-1997; G. Neumann Wertvorstellungen und Ideologie in den Personennamen der mykenischen Griechen in Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreich. Akademie der Wiss. 131 1994 p. 127-166 (weitere Lit. p. 158-161); DNP 9 2000 s.v. Personennamen (J.-L. García-Ramón zu Grie-chenland, H. Rix zu Rom). — Zu den Iraniern: % Iranisches Personennamen-buch; Mayrhofer Altiranische Namen 1979; S. Zimmer Zur sprachlichen Deu-tung sassanidischer Personennamen in Altorientalische Forschungen 18 1991

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen434

p. 109-150. — Zu Kleinasien: % Zgusta Kleinasiatische Personennamen 1964. — Zu den Germanen: % R. Lühr Germanische Personennamen in ihrer zeitli-chen Staffelung, Zwei Aspekte der althochdeutschen und voralthochdeutschen Namenüberlieferung in Fachtagung Leiden 1987 [1992] p. 271-282. — Zu den Kelten: Uhlich Komponierte Personennamen des Air. 1993.

W 303. Die Götternamen unterscheiden sich deutlich von den menschli-chen Individualnamen. Auch die Götter sind zwar i.d.R. als agierende In-dividuen gedacht. Die Vorstellungen überdauern aber das Leben des Men-schen und verleihen ihnen den Anschein von Unsterblichkeit.

Die altidg. Götternamen sind i.d.R. Personifikationen von Appellativa (konkreter und abstrakter Begriffe). Ebenso kommen unter anderem Bil-dungen mit dem Suffix uridg. *-Hno- vor und geben dann den Herr-schaftsbereich einer Gottheit an, vgl. lat. Neptûnus und urgerm. *Wô“anaz. Man darf nicht zwischen konkreter appellativischer Bedeutung und Personifikation trennen. Ein wesensmäßiger Unterschied besteht nicht. Weiteres zu dieser Problematik: % B. Schlerath in Fachtagung Innsbruck 1996 [1998] p. 92ff.

Uridg. Alter beansprucht mit Sicherheit der mit dem Appellativum *d(i)�é¾- ‘Tageshimmel’ zusammengehörende (gern vokativisch angerufe-ne) *d(i)�é¾ ph2�� ‘Vater Himmel’, s.o. E 512 Abs. 3 und F 318 Abs. 6a. — An weiteren bereits uridg. Appellativa mit Personifikation ist vermutlichebenso zu nennen uridg. *h2é¾s-os- (schwacher Stamm *h2��-s-: % Mayr-hofer EWAia I p. 236 und s.o. F 321 Abs. 2) ‘Aufleuchten des Tageslich-tes, Morgenröte’ und ‘Göttin Morgenröte’ = lat. Aurôra, gr. hom. ������-I���, ved. uc��-.

W 304. Entsprechend dem unterschiedlichen Charakter sozialer und öko-nomisch bestimmter Personengruppen gibt es Stammesnamen, Völkerna-men, Namen von Kriegergruppen u.a.m.

Es ist darauf zu achten, ob ein Völker- oder Stammesname die eigene Bezeichnung darstellt oder von den Nachbarn herstammt, vgl. bei den Griechen die klass.-gr. Selbstbezeichnung TK���� � vs. lat. Graecî (Name aus der Sicht Italiens, von wo aus der gr. Stamm der im Epirus lebenden Graecî die lat. Bezeichnung für alle Gr. abgegeben hat): % Biville Emprunts II 1995 p. 178 Anm. 39 mit weiterer Lit.

Wieweit Gruppen-, Stammes- oder Völkernamen bereits uridg. Datums sind, ist nicht eindeutig festzustellen. Alt ist z.B. die iir. Selbstbezeichnung *ar(i)�á-, s.o. E 404. Zur Problematik: % Mayrhofer EWAia I p. 174f.; F. Bader Les noms des aryens: Ethniques et expansion in langues indo-

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C. Zum Namensschatz 435

européennes 1994 p. 65ff. — Die myk. Griechen nannten sich vermutlich Ak£a��ó-: % Chantraine DELG I 1968 p. 149; Latacz Troia und Homer 2001 p. 150ff. (zu den hom. Bezeichnungen Akhaiói, Danaói und Argéioi).

3. Zur Bildung der Ortsnamen

W 305. Neben den Individuen und ihren Gruppierungen sind die den Men-schen umgebende Landschaft und die von ihm bewohnten Orte wichtige Orientierungspunkte: Berge, Flüsse, Gewässer, Siedlungen und Städte u.a.m. Die Namen dieser Lokalitäten sind stabil und werden über Genera-tionen weitergegeben.

Während die idg. Einzelsprachen in eindeutig zu bestimmende Regionen gehören, fehlt diese Sicherheit für die Zeit des Uridg., s.o. E 512. Es ist deshalb so gut wie unmöglich, bestimmte Ortsnamen als bereits uridg. zu bestimmen.

Im Vergleich der einzelsprachlichen Gepflogenheiten der Ortsnamenbil-dung läßt sich aber immerhin bei mehrsprachigen Übereinstimmungen vermuten, daß bereits die Sprecher des Uridg. so verfahren haben. Zu die-ser Kategorie gehört mit Sicherheit die Verwendung des uridg. Suffixes *-¾ent- (mit starkem Stamm *-¾ent-; z.T. holodynamisch mit -o-stufigem *-¾ont-; der schwache Stamm lautet *-��t- und das Fem. *-��t-ih2-) i.S.v.‘reich an’ zur Charakterisierung von typischen Vorzügen eines bestimmten Ortes, vgl. den myk. ON Dat.Sg. sa-ri-nu-wo-te i.e. Salin-¾ont-e� ‘(Ort,) wo Selleriegemüse reichlich wächst’ (statt Sal- im alphabet. Gr. � �-; zur Problematik: % Leukart Frühgr. Nomina 1994 p. 116f. Anm. 233); vgl. den iir. Fluß- und Regionsnamen *saras-¾at-iH (= ved. sárasvatî, jav. haraxvaitî-) i.S.v. ‘(Fluß bzw. Region,) wo viele Sümpfe vorhanden sind’; vgl. den lyk. ON Xada-w„ati- (gräzisiert ��������) i.e. *Ÿadá-¾antî‘(Ort,) reich an Getreide’ (% Hajnal Lyk. Vokalismus 1995 p. 88). Lit.: %R. Schmitt in Namenforschung 1995 p. 633f.

1) Die Ortsnamen stammen i.d.R. aus dem Bereich der Appellativa, vgl. den ved. Flußnamen síndhu- ‘der Indus’, ursprünglich ein Appellativ i.S.v. ‘Strom’: Der Indus ist in seiner Region der Strom schlechthin, genauso wie Nil oder Rhein.

2) Stammesnamen können für Ortsangaben verwendet werden, vgl. gr. F �(���als Stammesname mit Akk.Pl. der Richtung ‘zu den Delphern’ und Dat.Lok.Pl. F �(����‘bei den / unter den Delphern’��Da die Delpher eine be-

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V. Zum Wortschatz des Urindogermanischen436

stimmte Region und einen bestimmten Ort bewohnen, können Akk. und Dat.Lok. direkt auch diese(n) bezeichnen: F �(���i.S.v. ‘Stadt in Phokis am Fuß des Parnaß’. Vergleichbar ai. Lok.Pl. madréºu i.S.v. ‘beim / unter dem madrá-Volk’ = ‘in dem Land, wo das madrá-Volk siedelt’. Man geht wohl nicht fehl, wenn man diese Gleichsetzungsmöglichkeit von Stammesname und Ortsverweis bereits dem Uridg. zuspricht.

3) Ortsnamen und Vorgeschichte: Da die Ortsnamen zu den stabilen Na-men zählen und zäh an einmal benannten Objekten haften, sind sie für die Vor-geschichte eines Ortes aufschlußreich. Neben den aus der jeweils vor Ort ge-sprochenen Einzelsprache heraus deutbaren Ortsnamen gibt es i.d.R. immer auch solche, die sich jeder solchen einzelsprachlichen Interpretation verwei-gern. Wenn sie alt sind, darf man mit gutem Recht annehmen, daß deren Bil-dung auf eine Zeit zurückgeht, als die Einzelsprache vor Ort noch nicht be-kannt und noch eine andere Sprache in Gebrauch war. Wenn weitere Doku-mente von der so erschlossenen Vorsprache fehlen, ist es aber praktisch un-möglich, von den Ortsnamen aus Rückschlüsse irgendeiner Art auf sie zu ma-chen. Man muß mit Anpassungen an die übernehmende Sprache u.a.m. rech-nen. — Beispiel Griechenland: Vom Gr. aus unverständliche Ortsnamen wie �����,� oder �-�,����� sind im Gegensatz zu den verständlichen Ortsnamen wie � ����� (i.S.v. ‘reich an Sellerie’, s.o. zu Beginn des Paragraphen) älter als die Landnahme durch die Griechen und werden zu Recht als vorgr. einge-stuft: % E. Risch Ein Gang durch die Geschichte der griechischen Ortsnamen in Kleine Schriften 1981 (in einem Aufsatz von 1965) p. 145ff. — Beispiele europäischer Hydronymie: Flußnamen wie Elbe oder Rhein sind vom Germ. aus nicht deutbar und müssen deshalb vorgerm. Alters (ev. kelt.?) sein. Ob sie aber auf uridg. Sprachmaterial aufbauen und damit von damals in der Region lebenden uridg. Sprechern geschaffen worden sind, ist umstritten, s.o. E 513 Abs. 3.

4) Weiterführende Lit. zu den Ortsnamen: % J.-L. García-Ramón in DNP 4 1998 Sp. 930-934 s.v. „Geographische Namen“; Namenforschung 2 1996 mit Kapitel X (Namengeographie) und den Kapiteln XV-XVII (Ortsnamen I: Siedlungsnamen; Ortsnamen II: Flurnamen; Gewässernamen); Tischler Klein-asiatische Hydronymie 1977; Zgusta Kleinasiatische Ortsnamen 1984; Klein-asiatische Onomastik in Namenforschung 1995 p. 636ff.; RGA s.v. Länder-und Landschaftsnamen.

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