Influenzapandemie - RKI

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6 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 3 2007 KATASTROPHENMEDIZIN de Einflüsse, wie bestimmte Planetenstellungen. Diese vermeintlichen extraterrestrischen Einflüsse wurden als „coeli influencia“ (himmlische Einflüsse) bezeich- net. Berichtigend sprach man später mit dem Begriff „influenza di freddo“ vom Einfluss der Kälte, da man einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Erkrankungen und niedrigen Umgebungstempe- raturen beobachtete. Im deutschen Sprachgebrauch wird die Bezeichnung „Grippe“ in heutiger Zeit häu- fig fälschlicherweise für so genannte „grippale Infek- te“ oder auch „Erkältungen“ verwendet, bei denen es sich um durch andere Viren verursachte und in der Regel deutlich harmloser verlaufende Erkrankungen als Influenza handelt. Das Wort für „Pandemie“ ist aus den grie- chischen Wörtern „pan“ (alles) und „demos“ (Volk) abgeleitet, es bezeichnet also etwas, das das ganze Volk trifft. Unter dem Begriff Pandemie versteht man eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektionskrankheit. Im Gegensatz zu einer Epidemie ist eine Pandemie somit örtlich nicht be- schränkt. Typisch für Pandemien ist eine schnelle Ausbreitung, die besonders in großen Populationen durch engen Kontakt der empfänglichen Individuen begünstigt wird. Historie Die schwerwiegendste Influenzapandemie des vergangenen Jahrhunderts war im Jahr 1918/19 die so genannte spanische Grippe (Influenza A, Subtyp H1N1), an der weltweit schätzungsweise 40 Millio- nen Menschen starben. Weitere Pandemien, mit aller- dings nicht annähernd so vielen Todesopfern, gab es in den Jahren 1957 (Asiatische Grippe, A/H2N2) und 1968 (Hongkong-Grippe, A/H3N2). Während Bedeutung Eine Influenzapandemie wird durch ein neuartiges Influenzavirus verursacht und führt zu Erkrankungs- und Sterberaten, welche saisonale, auch schwere In- fluenzawellen um ein Vielfaches übertreffen. Die Ent- stehung einer Influenzapandemie ist an das Auftre- ten eines viralen Subtyps gebunden, der bisher in der menschlichen Bevölkerung nicht oder vor so langer Zeit zirkulierte, dass die Bevölkerung über keine Rest- immunität mehr verfügt. Weitere Voraussetzungen für eine Pandemie sind, dass das Virus schwere Er- krankungen hervorrufen und sich effektiv von Mensch zu Mensch verbreiten kann (1). Influenzavirus-Infektionen sind weltweit ver- breitet. Während der jährlichen Grippewelle werden schätzungsweise weltweit 20% der Kinder und 5% der Erwachsenen infiziert. Jährliche Erkrankungen tre- ten regelmäßig während der Wintermonate in der nördlichen und der südlichen Hemisphäre auf. Trotz dieser ausgeprägten Saisonalität können sporadische Influenzaerkrankungen auch außerhalb der Grippe- wellen auftreten (2).Über die Epidemiologie von In- fluenza in tropischen Ländern ist wenig bekannt, je- doch hat sich gezeigt, dass Influenza das ganze Jahr über auftreten und auch mehrere Erkrankungswellen über das Jahr verteilt verursachen kann. Definition Die heute als „Influenza“ bekannte Krankheit wurde zuerst in Berichten aus dem 14. und 15. Jahr- hundert für eine sich seuchenhaft ausbreitende Atem- wegsinfektion des Menschen erwähnt. In einer Zeit, in der man noch nichts von Krankheitserregern wuss- te, vermutete man von außerhalb der Erde kommen- Influenzapandemie Begriff, Grundlagen, Entstehung Von Dr. Christian Braun, Dr. Sabine Reiter, Dr. Cornelius Bartels, PD Dr. Walter Haas

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KATASTROPHENMEDIZIN

de Einflüsse, wie bestimmte Planetenstellungen. Diesevermeintlichen extraterrestrischen Einflüsse wurdenals „coeli influencia“ (himmlische Einflüsse) bezeich-net. Berichtigend sprach man später mit dem Begriff„influenza di freddo“ vom Einfluss der Kälte, daman einen Zusammenhang zwischen dem Auftretender Erkrankungen und niedrigen Umgebungstempe-raturen beobachtete. Im deutschen Sprachgebrauchwird die Bezeichnung „Grippe“ in heutiger Zeit häu-fig fälschlicherweise für so genannte „grippale Infek-te“ oder auch „Erkältungen“ verwendet, bei denenes sich um durch andere Viren verursachte und in derRegel deutlich harmloser verlaufende Erkrankungenals Influenza handelt.

Das Wort für „Pandemie“ ist aus den grie-chischen Wörtern „pan“ (alles) und „demos“ (Volk)abgeleitet, es bezeichnet also etwas, das das ganzeVolk trifft. Unter dem Begriff Pandemie versteht maneine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitungeiner Infektionskrankheit. Im Gegensatz zu einerEpidemie ist eine Pandemie somit örtlich nicht be-schränkt. Typisch für Pandemien ist eine schnelleAusbreitung, die besonders in großen Populationendurch engen Kontakt der empfänglichen Individuenbegünstigt wird.

Historie

Die schwerwiegendste Influenzapandemie desvergangenen Jahrhunderts war im Jahr 1918/19 dieso genannte spanische Grippe (Influenza A, SubtypH1N1), an der weltweit schätzungsweise 40 Millio-nen Menschen starben. Weitere Pandemien, mit aller-dings nicht annähernd so vielen Todesopfern, gab esin den Jahren 1957 (Asiatische Grippe, A/H2N2)und 1968 (Hongkong-Grippe, A/H3N2). Während

Bedeutung

Eine Influenzapandemie wird durch ein neuartigesInfluenzavirus verursacht und führt zu Erkrankungs-und Sterberaten, welche saisonale, auch schwere In-fluenzawellen um ein Vielfaches übertreffen. Die Ent-stehung einer Influenzapandemie ist an das Auftre-ten eines viralen Subtyps gebunden, der bisher in dermenschlichen Bevölkerung nicht oder vor so langerZeit zirkulierte, dass die Bevölkerung über keine Rest-immunität mehr verfügt. Weitere Voraussetzungenfür eine Pandemie sind, dass das Virus schwere Er-krankungen hervorrufen und sich effektiv vonMensch zu Mensch verbreiten kann (1).

Influenzavirus-Infektionen sind weltweit ver-breitet. Während der jährlichen Grippewelle werdenschätzungsweise weltweit 20% der Kinder und 5%der Erwachsenen infiziert. Jährliche Erkrankungen tre-ten regelmäßig während der Wintermonate in dernördlichen und der südlichen Hemisphäre auf. Trotzdieser ausgeprägten Saisonalität können sporadischeInfluenzaerkrankungen auch außerhalb der Grippe-wellen auftreten (2).Über die Epidemiologie von In-fluenza in tropischen Ländern ist wenig bekannt, je-doch hat sich gezeigt, dass Influenza das ganze Jahrüber auftreten und auch mehrere Erkrankungswellenüber das Jahr verteilt verursachen kann.

Definition

Die heute als „Influenza“ bekannte Krankheitwurde zuerst in Berichten aus dem 14. und 15. Jahr-hundert für eine sich seuchenhaft ausbreitende Atem-wegsinfektion des Menschen erwähnt. In einer Zeit,in der man noch nichts von Krankheitserregern wuss-te, vermutete man von außerhalb der Erde kommen-

InfluenzapandemieBegriff, Grundlagen, Entstehung

Von Dr. Christian Braun, Dr. Sabine Reiter, Dr. Cornelius Bartels, PD Dr. Walter Haas

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enzaviren ist speziesspezifisch. Der Subtyp H1, H2und H3 tritt beim Menschen auf. Manche Tierspe-zies, wie z.B. das Schwein, weisen im Atemtrakt so-wohl Rezeptoren für humane als auch für aviäre In-fluenzaviren auf. In einzelnen Fällen kann es auchdurch aviäre Influenzaviren vom Subtyp H5, H7 oderH9 zu Erkrankungen von Menschen bei direktemKontakt mit infizierten Tieren kommen. Seit einemAusbruch von H5N1 in Hongkong 1997 ist be-kannt, dass aviäre Viren auch zu schwer verlaufendenoder tödlichen Infektionen beim Menschen führenkönnen (s.u.).

Nomenklatur

Die Benennung von den im Labor isoliertenInfluenzaviren erfolgt nach internationaler Überein-kunft nach einem einheitlichen Schema. Dies soll amBeispiel des aktuellen und u. a. auch wieder für dieSaison 2007/08 empfohlenen Impfstamm A/Wiscon-sin/67/05 (H3N2) erläutert weden. Der erste Buch-stabe bezeichnet den Typ des Influenzavirus (A, Boder C), dann folgt der Fundort des Virus, die lau-fende Nummer des Isolats, das Jahr der Isolierungund zum Schluss die Formel der Oberflächenantige-ne Hämagglutinin und Neuraminidase.

Struktur-Funktions-Beziehung

Das virale Hämagglutinin besteht aus einemglykolisierten Protein, das als 16 nm langer „spike“stäbchenförmig aus der Virusmembran in die Umge-bung ragt. Das Protein fungiert als Schlüssel für dieBindung an und die Aufnahme in die Wirtszelle. Dasentsprechende Schloss stellen Proteine auf der Ober-fläche der Epithelzellen des Respirationstrakts dar.Die Rezeptoren auf der Oberfläche der Zielzelle sindmeist terminale Sialinsäurereste an Membranglyko-proteinen und –glykolipiden.

Die Neuraminidase ist ebenfalls eine Oberflä-chenstruktur des Influenzavirus. Es ist ein homotet-rameres Molekül, welches als pilzförmiges Gebildemit seinem Stil in der Lipidmembran verankert ist.Die Neuraminidase ist ein Enzym, welches Sialinsäu-re spaltet und zwei wichtige Funktionen erfüllt: zumeinen setzt die Neuraminidase neu gebildete Virus-partikel frei, zum anderen kann sie das Virus von

der drei Pandemien des letzten Jahrhunderts betrugder Anteil aller pandemiebedingten Toten in der Be-völkerung unter 65 Jahren 99% (1918), 36% (1957)bzw. 48% (1968) an der jeweiligen Gesamtmortalität.Die drei Pandemien des letzten Jahrhunderts verlie-fen in mehreren Wellen, wobei am Beginn zunächsteine weniger starke Welle einer zweiten, stärkeren,etwa 4 bis 6 Monate vorausging (1). In der Vergangen-heit traten Influenzapandemien im Durchschnitt alle27,5 Jahre auf.

Der Erreger

Es handelt sich um ein behülltes einzelsträngi-ges RNA-Virus aus der Familie der Orthomyxoviren,das sich in die Typen A, B oder C unterteilen lässt.

Abb. 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme von Influenzaviren.(Quelle Abbildungen 1-3: RKI)

Bedeutend für Erkrankungen des Menschen sind le-diglich Influenza A- oder B-Viren. Für die Infektionmit Influenza A- und B-Viren wichtige Oberflächen-strukturen sind das Glykoprotein Hämagglutinin (HA)und die Neuraminidase (NA). Bei Influenza A-Virensind 16 verschiedene HA und 9 NA bekannt. Influen-za A-Viren werden nach Typ und Subtyp benannt,z.B. A/H3N2. Bei Influenza B gibt es keine Subtypen.

Das Reservoir der Influenza A-Viren sind Vögel,hauptsächlich Wasservögel. Die Infektion mit Influ-

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Mukopolysacchariden und Zelldebris im oberen Re-spirationstrakt befreien und somit die Infektion wei-terer Wirtszellen ermöglicht.

Die kontinuierliche Abwandlung der Oberflä-chenantigene von Influenzaviren wird als Drift be-zeichnet. Diese beruht auf einer schrittweisen An-häufung von Punktmutationen, die zu einer Ände-rung der Aminosäuresequenz des Moleküls führen.Hintergrund dieses Phänomens ist, dass den RNS-Po-lymerasen, die bei der Virusvermehrung in der Zelledas RNA-Genom kopieren, Regulierungsmechanismenfehlen, die „Kopierfehler“ vermeiden. MenschlicheAntikörper gegen das Virus können immer nur eineVariante des Virussubtyps erkennen, was dazu führt,dass es selbst bei kleinen Veränderungen zu Neuinfek-tionen- und Erkrankungen kommt. Daher könnendie kontinuierlich entstehenden Driftvarianten jährli-che Grippewellen auslösen. Demzufolge muss auchder Impfstoff jedes Jahr den aktuellen Driftvariantenangepasst werden. Das Auftreten der Drift kommtsowohl bei Influenza A- als auch bei -B-Viren vor.

Eine sprunghafte Antigenveränderung wird alsAntigen- „Shift“ bezeichnet. Da die Vermehrung derGensegmente unabhängig voneinander erfolgt, kannes bei einer simultanen Infektion einer Wirtszelle mitzwei verschiedenen Influenzaviren im Vermehrungs-prozess zu einer neusortierten Kombination der Gen-segmente kommen. Dabei entstehen Nachkommen,die Genomsegmente beider „Elternviren“ enthalten.Sind nun wiederum Gene ausgetauscht worden, wel-che für die Oberflächenantigene Hämagglutinin undNeuraminidase kodieren, so können Viren mit neuenAntigenstrukturen entstehen. Durch Antigenshiftentstehen neue Subtypen der Influenza A-Viren, diesich schnell über die ganze Welt ausbreiten und Pan-demien verursachen können. Die Bevölkerung be-sitzt dann keine Immunität und ist gegen eine Infek-tion ungeschützt.

Übertragung

Eine Übertragung von Viren auf andere Per-sonen ist schon vor den ersten Krankheitsanzeichenmöglich. Die sogenannte Tröpfcheninfektion, beider direkte erregerhaltige Expirationströpfchen in denRespirationstrakt gesunder Personen gelangen, giltals Hauptübertragungsweg. Darüber hinaus kann dieÜbertragung auch durch direkten Kontakt der Hän-de zu mit virushaltigen Sekreten kontaminierten Ober-flächen und anschließendem Hand-Mund/Hand-Nasen-Kontakt (z.B. durch Händeschütteln) erfolgen.

Abb. 3: Fiktives Beispiel eines Reassortments von Influenzavirendurch Doppelinfektion eines Wirts, in diesem Fall eines Menschen.

Drift und Shift

Die große genetische Variabilität der Influen-zaviren beruht einerseits auf der hohen Mutations-frequenz und andererseits auf der Fähigkeit, dass dieacht Gensegmente, die das Influenzavirus definieren,

Abb. 2: Influenzavirus: Darstellung der Virushülle mit den Ober-flächenstrukturen Hämagglutinin und Neuraminidase und der

im Inneren des Virus gelegenen Matrixproteine, der viralen Polymerase und des segmentierten viralen Genoms.

frei kombinierbar sind. Die für die Infektion relevan-te Antigenvariation der Influenza A-Viren des Hä-magglutinins und der Neuraminidase kommt durchverschiedene Mechanismen zustande.

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Vieles spricht dafür, dass eine Übertragung derInfluenzaviren von einem Individuum zum nächstenauch durch so genannte erregerhaltige Aerosole statt-finden kann. Diese Aerosolpartikel sind virushaltigeSchwebeteilchen mit einer Größe unter 5μm. DieseGröße erlaubt ihnen in die tieferen Lungenabschnittezu gelangen und dort Infektionen zu verursachen (3).Welcher Anteil auf die Aerosolübertragung zurückge-führt werden kann, ist allerdings nicht quantifizier-bar (4).

Klinik und Diagnostik

Erste Krankheitssymptome nach Infektion tre-ten nach einer Inkubationszeit von wenigen Stundenbis i.d.R. 1-3 Tagen auf. Die Influenza-typischeSymptomatik („influenza-like illness“ (ILI)) bestehtaus einem plötzlichen Krankheitsbeginn, Fieber über38.5 °C (oder Schüttelfrost), trockenem Husten undMuskel- oder Kopfschmerzen. Weitere Symptomekönnen allgemeine Schwäche, Schweißausbrüche undHalsschmerzen sein. Die Gefährdung durch Influenzaberuht nicht nur auf den Folgen der viralen Erkran-kung selbst, sondern durch eine bakterielle Superin-fektion kann es zu Komplikationen kommen.

Für den Nachweis einer Influenzavirusinfektionkönnen Abstriche des oberen Respirationstrakts ge-nommen werden. Bei entsprechender Indikation kannauch Material des unteren Respirationstrakts unter-sucht werden. Damit kann dann die Influenzaerkran-kung durch einen direkten Nachweis mittels Immun-fluoreszenz, ELISA oder so genannter Schnelltestsnachgewiesen werden. Bei den derzeit verfügbarenSchnelltests handelt es sich um Enzymimmunoas-says, welche meist nach 10 bis 20 Minuten in derLage sind, Influenza A und B nachzweisen.

Spezialisierten Zentren bleibt meist der Nach-weis der Influenzaviren mit Hilfe einer Polymerase-kettenreaktion (PCR) oder der direkte Erregernach-weis in der Zellkultur vorbehalten. Dies betrifftebenfalls die weitere Subtypisierung von InfluenzaA-Viren mittels Hämagglutinationstest sowie dieIdentifizierung zirkulierender Varianten von Influen-za A- und B-Viren durch Sequenzierung der Gene,die für das Hämagglutinin und die Neuraminidasekodieren. Die daraus gewonnenen Informationenstellen die Grundlage für die Empfehlung der Impf-stoffzusammensetzung dar.

Eine serologische Antikörpersuche ist für dieDiagnose der akuten Erkrankung nicht sinnvoll, dadiese meist erst nach einigen Tagen nachgewiesenwerden können. Diese diagnostische Möglichkeitwird daher häufig in epidemiologischen Studienund zur Aufklärung von Ausbrüchen eingesetzt.

Therapie

Die Behandlung der Influenza bei Personen,welche nicht zu den Risikogruppen gehören undbei denen somit ein unkomplizierter Verlauf erwar-tet werden kann, erfolgt überwiegend symptomatisch.Bei bakterieller Superinfektion sind Antibiotika indi-ziert. Eine spezifische Therapie ist nur bei Men-schen mit einem Risiko für einen schweren Verlaufund Komplikationen unter der Voraussetzung eineszeitnahen Therapiebeginns, das heißt innerhalb von48 Stunden nach Krankheitsausbruch, sinnvoll. Zudiesen Risikogruppen zählen Menschen mit chroni-schen Grundkrankheiten, Immungeschwächte,Kleinkinder und ältere Menschen.

Ein bereits lange bekannter Wirkstoff gegenInfluenza A-Viren ist Amantadin. Dieser M2-Mem-branproteinhemmer hemmt das virale Membranpro-tein und damit das Eindringen des Virus in denZellkern. Zu den Nachteilen dieser Substanzklassezählt eine häufige Resistenzbildung.

Zu einer neuen Substanzklasse der Neurami-nidasehemmer zur Therapie und Prophylaxe der In-fluenza zählen Oseltamivir und Zanamivir. Sie blo-ckieren die Aktivität der viralen Neuraminidase unddamit die Freisetzung neugebildeter Influenza A- alsauch Influenza B-Viren. Erwähnt werden sollte, dasses für Kinder im ersten Lebensjahr bisher keine zu-gelassene antivirale Therapie der Influenza gibt.Neuraminidasehemmer sind ab dem zweiten Le-bensjahr, Amantadin ab dem 5. Lebensjahr zur The-rapie zugelassen.

Impfung und Prävention

Die wirksamste präventive Maßnahme zurVerhinderung der saisonalen Influenza ist die Schutz-impfung, welche vorzugsweise in den Monaten Ok-tober und November durchgeführt werden sollte.Die Impfung wird insbesondere den Risikogruppen

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empfohlen. Entsprechend den Empfehlungen der Stän-digen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut zählen dazu alle Menschen über 60 Jahre so-wie Menschen aller Altersgruppen, die unter bestimm-ten Grunderkrankungen leiden, die das Risiko einesschweren Verlaufs einer Influenza und von Komplika-tionen erhöhen; zu diesen Grundkrankheiten zählenunter anderem Stoffwechselkrankheiten, Immunde-fekte, chronische Erkrankungen der Atemwege unddes Herz-Kreislaufsystems. Darüber hinaus ist die sai-sonale Impfung allen Menschen mit häufigen Kon-takten zu anderen Menschen empfohlen, insbeson-dere auch zu Menschen der Risikogruppen. Hierzugehören auch alle medizinischen und Pflegeberufe.Aufgrund des theoretischen Risikos von Doppelinfek-tionen ist die Impfung seit 2005 auch für Personenmit direktem Kontakt zu Geflügel und Wildvögelnempfohlen.

Bei gesunden und jungen Menschen beträgtder Schutz vor einer Infektion durch die Impfung biszu 90%. Bei älteren Menschen ist die Schutzrate voreiner Infektion niedriger. Jedoch sollten aufgrund dernachgewiesenen Reduktion von Komplikationen, Hos-pitalisierungen und Todesfällen in dieser Altersgruppegerade Menschen im höheren Alter diese präventiveMöglichkeit nutzen. Insgesamt wurden in den letztenJahren deutliche Fortschritte beim Impfschutz derdeutschen Bevölkerung erzielt, dennoch ist die Impf-quote in den Risikogruppen, die besonders von derImpfung profitieren können, weiter viel zu gering.

Unter den nichtmedizinischen Maßnahmensteht eine gute allgemeine Hygiene, insbesondere auchHändehygiene, sowie bei Kontakt mit erkranktenMenschen durch die Bedeckung von Mund und Nasebeim Husten und Niesen im Vordergrund.

Surveillance

Um die saisonalen Grippewellen einschätzenund auch um eine drohende Epidemie möglichstfrühzeitig erkennen zu können, ist ein gut funktionie-rendes Überwachungssystem akuter Atemwegserkran-kungen (Surveillance) notwendig. Die bundesweiteRoutinesurveillance stützt sich auf drei Säulen: diesyndromische Surveillance, die virologische Surveil-lance und die Meldedaten von Influenza-Nachweisennach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). In Deutsch-land werden Daten der syndromischen Surveillance

akuter respiratorischer Erkrankungen (ARE) über einSentinelsystem primärversorgender Ärzte durch dieArbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) erhoben. Die in-terpandemische Surveillance erfolgt in Deutschlandseit 2001 unter wissenschaftlicher Federführung desRobert Koch-Instituts. Die virologische Surveillanceerfolgt durch das Nationale Referenzzentrum (NRZ)für Influenza am RKI sowie in einigen Bundeslän-dern durch die Landesgesundheitsämter.

Saisonale Influenza

In der Saison 2004/2005 wurden alleine inDeutschland ca. 4,7-6,2 Millionen Erkrankungen ge-schätzt, die zu einem Arztbesuch führten. Etwa22.000-32.000 zusätzliche Krankenhauseinweisungenund 15.000-20.0000 Todesfälle wurden während derInfluenzawelle beobachtet. In ihrem Schweregrad kön-nen sich die jährlichen Grippewellen deutlich vonei-nander unterscheiden. Der saisonalen Influenza-Er-krankung fielen in den neunziger Jahren des 20. Jahr-hunderts in Deutschland jährlich durchschnittlich10.000 Personen zum Opfer (5), was einer höherenZahl als die der jährlichen Verkehrstoten in Deutsch-land entspricht. Nach Schätzungen verstarben in derSaison 1995/96 sogar 32.000 Personen in Deutsch-land an Influenza. Man spricht in Deutschland inden Fällen, in denen die saisonale Grippewelle zueiner höheren Krankheitslast führt als in durch-schnittlichen Jahren, von einer Grippe-Epidemie.

Aviäre Influenza

Das Reservoir aller Subtypen der Influenza A-Viren findet sich bei Wildvögeln, insbesondere beiwildlebenden Wasservögeln (s.o.). Die Infektionen ver-laufen hier meist asymptomatisch, wobei große Vi-rusmengen mit dem Kot ausgeschieden werden kön-nen, und der Hauptübertragungsweg zwischen denTieren fäkal-oral ist. Diese niedrig pathogenen aviärenInfluenzaviren ( „low pathogenic avian influenzavirus“; LPAIV) der Subtypen H5 und H7 besitzen,sofern sie auf hochempfängliches Hausgeflügel über-tragen werden, die Fähigkeit, infolge einer Mutationan einer funktionell bedeutsamen Stelle des Hämag-glutinin-Glykoproteines, zu einer hochpathogenenForm („highly pathogenic avian influenza virus“;

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HPAIV) zu mutieren. Erreger, die diese Mutationtragen, lösen die klassische Geflügelpest aus, die beiHühnervögeln nahezu 100%ig tödlich verläuft.

Aviäre Influenzaviren können in seltenen Fäl-len (als Zoonose) auch direkt, d.h. ohne Zwischen-wirt, auf den Menschen übertragen werden und dortu.U. auch Erkrankungen hervorrufen. Bei der durchA/H5N1-Viren hervorgerufenen aviären Influenza desMenschen treten klinische Symptome nach bisheri-gen Beobachtungen meist erst nach 4 Tagen und da-mit später als bei der saisonalen Influenza auf. Derklinische Verlauf der Erkrankung beim Menschen isthäufig sehr schwer. Nach den typischen Symptomeneiner ILI zu Beginn folgen meist respiratorische Symp-tome wie Husten und Atemnot. Es können aberauch gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Er-brechen und Durchfall im Vordergrund stehen. ImRahmen des häufig tödlichen Verlaufs der Infektiontreten meist eine primär virale Pneumonie mit Lun-genversagen sowie Blutbildveränderungen auf.

1997 erkrankten in Hongkong 18 Menschen in-folge einer Infektion mit Influenzaviren des SubtypsA/H5N1, sechs der Patienten starben. Die Übertra-gung erfolgte direkt von infiziertem Hausgeflügel aufden Menschen und stellte damit einen erstmals be-obachteten Speziessprung mit schweren Erkrankungenund Todesfällen beim Menschen dar. Bis zum 25.07.2007 wurden nach Angaben der WHO weltweit 319A/H5N1-Fälle beim Menschen bestätigt, darunter ver-liefen 192 (60,2%) tödlich. Die Letalität variiert starkin Abhängigkeit der betroffenen Gebiete, so beträgtsie in Indonesien 80% und in der Türkei lediglich35%. Bei den Todesfällen durch aviäre Influenza warenalle Altersgruppen betroffen, die höchste Inzidenzallerdings liegt bei jungen Menschen unter 40 Jah-ren (6). Die menschlichen Fälle von Infektionen mitA/H5N1 können fast immer durch eine Übertragungder Viren von Vögeln bzw. Hausgeflügel (bisher istnur in einem Fall eine Erkrankung durch Wildvögelbekannt) auf den Menschen bei engem Kontakt er-klärt werden. Übertragungen von Mensch-zu-Menschkommen nur in sehr seltenen Fällen als wahrscheinli-che Ursache in Betracht. Dies bedeutet, dass sich dasVirus genetisch noch nicht so an den Menschen an-gepasst hat, dass eine effektive Mensch-zu-Mensch-Übertragung stattfindet. Der aviäre Influenzavirus vomSubtyp H5N1 ist jedoch ein möglicher Kandidat fürdie Entstehung eines neuen Pandemievirus durch wei-tere Anpassung über Antigendrift oder Antigenshift.

Pandemie-Warnphasen

Experten sind sich einig, dass das Risiko einerPandemie weiterhin als hoch eingestuft werden muss,gerade im Hinblick auf die in 3 Kontinenten undmehr als 50 Länder verbreitete Vogelgrippe Influen-za A/H5N1. Der Zeitpunkt des Auftretens einerPandemie kann jedoch nicht vorausgesagt werden.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) un-terscheidet zwischen insgesamt sechs Pandemiewarn-phasen. Die erste Phase bezeichnet die Entdeckungeines Virussubtyps in Tieren, welcher möglicherwei-se zu einem früheren Zeitpunkt Infektionen beimMenschen verursacht hatte, wobei das Risiko mensch-licher Infektionen jedoch als niedrig eingestuft wird.In Phase zwei werden diese zirkulierenden Influenza-viren bei Tieren als potentiell gefährlich für Men-schen klassifiziert. Laut WHO befinden wir uns mo-mentan in der Pandemiewarnphase drei in Bezug aufdie Vogelgrippe (A/H5N1). Dies bedeutet, dass ver-einzelt Menschen infiziert werden. Es erfolgt aberkeine Übertragung von Mensch zu Mensch bzw. nursehr selten bei engem Kontakt, wie beispielsweise beiInfizierten und deren pflegenden Angehörigen. DiePhase vier kennzeichnet kleine, örtlich begrenzteKrankheitshäufungen (Cluster) mit Mensch-zu-Mensch-Übertragungen, so dass noch von einer unvollstän-digen Anpassung des Virus an den Menschen ausge-gangen werden muss. Die Phase fünf spiegelt ein er-hebliches Pandemierisiko wieder, mit großen, abernoch immer vereinzelten Häufungen von Infektionenmit örtlich begrenzten Mensch-zu-Mensch-Übertra-gungen. Eine bessere Anpassung des Virus an denMenschen muss in dieser Phase bereits erfolgt sein.Die letzte Phase sechs bedeutet den Beginn der Pan-demie mit einer wachsenden und anhaltenden Über-tragung von Mensch zu Mensch in der gesamtenBevölkerung (6).

Pandemiemodelle und -Auswirkungen

Bei der Minimierung der Gesamt-Morbiditätund -Mortalität spielen die Aufrechterhaltung eineradäquaten Gesundheitsversorgung sowie der öffentli-chen Ordnung und der Infrastruktur eine besondereRolle. Essentielle Dienstleistungen wie die Versor-gung mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln, Ener-giestrukturen, die Kommunikation und Informati-

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Quellen:

(1) Internetseite des Robert Koch-Instituts: Nationaler Pandemie-plan, Stand Mai 2007 (www.rki.de Infektionskrankheiten A-Z > In-fluenza > Influenza, Pandemieplanung, Vogelgrippe > Für Exper-ten)(2) Internetseite des Robert Koch-Instituts: RKI-Ratgeber Infektions-krankheiten – Merkblätter für Ärzte (www.rki.de Infektionskrankhei-ten A-Z > Influenza > RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten)(3) Shinya et al, Influenza virus receptors in the human airway; Na-ture 2006, 440, 435-436(4) Tellier, Review of aerosol transmission of Influenza A virus;Emerging Infectious Diseases 2006, 12, 1657-1662(5) Internetseite der AGI: Arbeitsgemeinschaft Influenza, Abschluss-bericht der Saison 2003/2004, Berlin 2004(www.influenza.rki.de/agi)(6) Internetseiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO)(www.who.int/csr/disease/avian_influenza/en/)(7) Murray et al, Estimation of potential global pandemic influenzamortality on the basis of vital registry data from the 1918-20 pande-mic: a quantitative analysis; Lancet 2006, 368, 2211-18

on, das Transportwesen und nicht zuletzt die innereund äußere Sicherheit, insbesondere auch das Ge-sundheitswesen sind durch pandemiebedingten Perso-nalausfall gefährdet.

Es gibt verschiedene Modelle, welche sich mitder Vorhersage wahrscheinlicher Todesfälle im Rah-men einer Influenzapandemie beschäftigen. Eine welt-weite Schätzung, welche auf der Grundlage vonDaten der Influenzapandemie aus den Jahren 1918/19basiert, rechnet, für eine neu auftretende Pandemie,mit etwa 64,5 Millionen Todesfällen weltweit. 96%dieser Todesfälle würden in der dritten Welt vor-kommen (7). Berechnungen von Experten des Ro-bert Koch-Instituts schätzen etwa 103 000 Todesfäl-le im Rahmen einer Pandemie in Deutschland beieiner mittleren Erkrankungsrate von 30%. In Abb. 4-6 sind die möglichen Auswirkungen bezüglich derzu erwartenden Anzahl und kumulativen Inzidenzvon Arztkonsultationen, Hospitalisierungen und To-desfällen dargestellt. Die Berechnungen basieren aufden Daten der Pandemien von 1957 und 1968(FluAid, CDC, Atlanta, USA), mögliche abschwä-chende Effekte von Interventionen wie Schulschlie-ßungen wurden hierbei nicht einbezogen. Um inDeutschland auf eine Influenzapandemie vorbereitetzu sein, haben Bund und Länder einen NationalenPandemieplan ausgearbeitet, welcher im Jahr 2007aktualisiert wurde und frei zugänglich im Interneteinsehbar ist (1).

Abb. 4-6: Darstellung der möglichen Auswirkungen einer Influenza-pandemie mit 30%iger Erkrankungsrate auf die BevölkerungDeutschlands.(Quelle: Nationaler Pandemieplan, RKI)

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