Info-Blatt 71„Raubkopierer sind Verbrecher“ ist schlicht falsch. Nach § 12 StGB ver-steht man...

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Info-Blatt 71 Dezember 2007 Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e. V.

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Info-Blatt 71

Dezember 2007Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e. V.

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2 Editorial

Infoblatt 71

Impressum: Das Info-Blatt wird herausge-geben vom Ökumenischen Büro für Friedenund Gerechtigkeit e.V., Pariser Str. 13,81667 München.Telefon: 089 - 448 59 45Telefax: 089 - 48 76 73E-mail: [email protected]: www.oeku-buero.deKonto: 561 76 258, SSK München, BLZ 701 500 00Flugdienst: 089 - 89 22 49 61 / Fax -62E-mail: [email protected] und Layout: Andrés Schmidt (as),Angelika Haas (ah), Anja Ibkendanz (AI), BabsKwapkowski, Detlef von Bismarck, Eberhard Albrecht(ea), Eva-Maria Bach (emb), Klaus Pinzek, MarianneWalther (mw), Philip Zölls (pz), Raphael Kiczka (rk),Ruth Weizel, Sandra Eck (se), Vera Tietze, ZaraPfeiffer (zp)Fotos: Ökumenisches Büro

Druck: Ulenspiegel Druck GmbH, Andechs

Auflage: 1.000(Onlineausgabe unter www.oeku-buero.de)

V.i.S.d.P.: Klaus Pinzek (Ökumenisches Büro)Das Infoblatt des Ökumenischen Büroswird gefördert durch die

LandeshaupstadtMünchenKulturreferat

InhaltsverzeichnisSchwerpunkt:Geistiges Eigentum

Wer beraubt hier wen? 3

Freies Wissen - Freie Güter - Die Freie Soft-ware-Bewegung 5

Geistige Eigentumsrechte weltweit garan-tiert! 11

Glossar 15

Biopiraterie: die Einhegung und Priva-tisierung der Pflanzenvielfalt 18

El SalvadorWir sind immer in Bewegung, wie unsereBewegung sagt, denn wir verteidigenunsere Arbeit 22

Auf dem Weg zu einem neuen Inter-nationalismus 25

Entwicklungsarbeit versus Solidaritätsarbeitoder: Warum Entwicklungshilfe die Nord-Süd-Kluft vertieft 29

Terror in Suchitoto 33

HondurasDer Kampf einer Organisation gegen dasUngeheuer „Machismo“ 35

NicaraguaKatastrophen fallen nicht vom Himmel 37

Nicht der Staat, nicht die Parteien, nichtdie Kirchen - Ich entscheide mein Leben! 39

Liebe Leserinnen und Leser,

geistiges Eigentum ist das Thema,das sich die Redaktion des Infoblattesdiesmal vorgenommen hat. Angeregtwurden wir, von den Auswirkungen,die der Schutz geistigen Eigentums,wie er in internationalen Verträgenvereinbart wird, auf die Länder desSüdens hat. Die Ausweitung derPatentierung ist eine zentrale Stoß-richtung dieser Verträge, Biopirateriedie Praxis. Hiermit beschäftigt sichder Artikel „Biopiraterie: dieEinhegung und Privatisierung derPflanzenvielfalt“. Ein weiterer Artikelstellt dar, wie die mächtigen Handels-nationen ihre Interessen in bilateralenHandelsverträgen mit Ländern undRegionen durchsetzten und beschreibtam Beispiel CAFTA die Folgen fürZentralamerika.

Aber wir wollten uns nicht damitbegnügen, die Folgen von Paten-tierung und Sortenschutz zu geißeln.Mit dem Artikel „Wer beraubt hierwen?“ haben wir versucht, uns grund-sätzlich mit der Idee des geistigen Ei-gentums auseinander zu setzen. Vielevon Euch/Ihnen wird es wahrschein-lich zuerst einmal überraschen, wennIhr/Sie im Infoblatt einen Artikel überFreie Software findet/n. An der FreienSoftware hat uns die Idee gefallen,den Schutz geistigen Eigentums, wieer innerhalb des kapitalistischen Sy-stems mittels Schutzrechten betrie-ben wird, durch die Umkehrung der-selben auszuhebeln, und statt auf Kon-kurrenz auf Zusammenarbeit zu set-zen.

Ein Wegweiser durch den Dschun-gel der Begrifflichkeiten ist das Glos-sar.

Die Berichte zu El Salvador spie-geln zwei Themen wider:Entwicklungspolitik, das Thema mitdem sich die diesjährige Brigade in ElSalvador beschäftigt hat, und die Dis-kussionen beim El Salvador Bundes-treffen im November. Das ThemaEntwicklungspolitik wird in zwei Bei-trägen behandelt. Einer berichtet überden Diskussionstand zu diesem The-ma bei verschiedenen Nicht-regierungsorganisationen in El Salva-dor. Der andere Beitrag nimmt die Er-eignisse vom Juli in Suchitoto zumAnlaß, die deutsche Rolle bei der De-

zentralisierung des salvadorianischenWassersektors kritisch zu beleuchten.Im Zentrum des Berichts vom El Sal-vador Bundestreffen steht das Inter-view mit Martin Montoya, Vertreterder CD/DVD-Verkäufer SanSalvadors.Es illustriert, welche Kon-sequenzen das Thema Schutz geistigerEigentumsrechte in der Praxis deszentralamerikanischen Alltags hat.

Schon immer war Nicaragua einLand in einer Region, das von Natur-katastrophen bedroht wird. Der Hurri-kan Felix und die anschließenden wo-chenlangen Regenfälle im Septemberhaben vor allem den Norden des Lan-des schwer getroffen.

Bei dem zweiten Thema zu Nicara-gua, mit dem sich dieses Heft be-schäftigt, stellt sich das Land als ei-nes der vier Länder in der Welt, dieden Schwangerschaftsabbruch aus me-dizinischen Gründen bestrafen.

Dieses Blatt, die Nr. 71 ist das er-ste, das wir ohne unseren LayouterKlaus machen mußten. Klaus, wirdanken dir für deine Mitarbeit bei 70Ausgaben und hoffen, es bleibt dieeinzige Ausgabe ohne dich.

Das Redaktionskollektiv(ea, emb, mw, pz, zp)

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3Geistiges Eigentum

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(red_kol) „Raubkopierer sind Verbre-cher.“ Vor allem die Kinobesu-cher_innen unter uns werden sich andiese Kampagne erinnern, die seitNovember 2003 mit dem Slogan„Hart aber gerecht“ verbreitet, dass„raubkopieren“ mit bis zu fünf JahrenGefängnis bestraft wird. Was aller-dings verschwiegen wird, ist, dasssich das Strafmaß von bis zu fünf Jah-ren nur auf die kommerzielle Herstel-lung und Verbreitung von „Raub-kopien“ bezieht und somit die eigent-liche Zielgruppe der Kampagne garnicht betrifft. Verständlich, das erklär-te Ziel dieser Kampagne, die von derdeutschen Filmwirtschaft unter demDach der Zukunft Kino MarketingGmbH ins Leben gerufen wurde unddie mit Mitteln der Filmförderungs-anstalt (FFA) unterstützt wird, ist, dasUnrechtsbewusstsein mit zum Teildrastischen Kinospots1 , Plakaten undAktionen in der Bevölkerung zuschärfen, um so mittels Abschreckungdie weit verbreitete Aneignung digita-ler Medien einzudämmen.2

Tatsächlich taucht das Wort „Raub-kopie“ im deutschen Gesetz überhauptnicht auf, sondern ist eine rein um-gangssprachliche Bezeichnung fürrechtswidrig hergestellte oder ver-breitete Kopien. Meist handelt es sichhierbei um Medien wie Musik, Filme,Software und Bücher, die urheber-rechtlich geschützt sind. Aber auchProduktkopien wie Markenbekleidungoder Markenuhren, die ohne Lizenz-vertrag mit den Markeninhaber_innenhergestellt wurden, werden als Raub-kopien bezeichnet.

Auch die allgemeine Behauptung„Raubkopierer sind Verbrecher“ istschlicht falsch. Nach § 12 StGB ver-steht man unter einem Verbrechen,rechtswidrige Taten, die mit einerMindeststrafe von einem Jahr Frei-heitsentzug bedroht sind. Dieses Kri-terium trifft auf das rechtswidrigeHerstellen und Verbreiten von Kopienjedoch nicht zu, da dies in wenigerschweren Fällen auch mit Geldstrafenbelegt werden kann. Hinzu kommt,dass in Deutschland das Anfertigen

von Privatkopienunter bestimmtenVoraussetzungenerlaubt ist.

Juristisch undumgangssprach-lich steht Raubalso für ein Ver-brechen, bei demjemandem mittelsGewalt oder unterAndrohung vonGewalt etwasweggenommenwird. Im Falle der „Raubkopie“ wirdjedoch weder das Original wegge-nommen noch Gewalt angewendetoder angedroht.3

Hypothetische Verluste

Die Kampagne „Raubkopierer sindVerbrecher“ ist nur ein Beispiel fürzahlreiche unterschiedliche Maßnah-men der Industrie, die tagtäglich prak-tizierte Aneignung durch Kopien imBewusstsein der Menschen zu krimi-nalisieren, unabhängig davon, ob essich um das Herunterladen oder dasKopieren von Software, Musik, Fil-men etc. oder den Kauf von Produkt-kopien handelt. Der Grund, weswegendie Industrie, und auf deren Druckauch die Politik, so massiv gegen dasKopieren von Medien und Produktenvorgeht, sind die geschätzten hohenVerluste, die der Industrie durch dieseKopien angeblich entstehen. DieseSchätzungen beruhen auf der irrigenAnnahme, dass sämtliche Kopien auchzum Preis des „Originals“ über dieTheke gegangen wären. Sie vernach-lässigen die entscheidende Frage, obdiejenigen, welche Filme, Musik oderSoftware aus dem Internet laden oderkopieren, ohne dafür zu bezahlen,oder Produktkopien zu niedrigenPreisen kaufen, dies auch getan hät-ten, wenn sie dafür den „Original-preis“ hätten bezahlen müssen. Ausdiesem Grund ist die Rechnung, wel-che die geschätzte Summe der Kopienmit dem durchschnittlichen Verkaufs-preis multipliziert, sehr unrealistisch.

Anzunehmen ist stattdessen, dass vie-le derjenigen, die kostenlose Kopienverwenden oder preiswertere Kopienkaufen, die Produkte zum Original-preis gar nicht erst kaufen würden.

Wenn aber diejenigen, die Kopienverwenden entweder gar kein Interes-se haben oder nicht über die Mittelverfügen, das „Original“ zu kaufenund/oder zu benutzen, wird der Be-griff „Raubkopie“ ad absurdum ge-führt. Niemandem wird irgendetwasweggenommen, die entgangenen Ge-winne sind rein hypothetisch.

Für was bezahlen wir

eigentlich?

Wenn die Preisdifferenz zwischenKopie und Original so groß ist, dannstellt sich die Frage, für was wir denneigentlich bezahlen. Während es unterUmständen mehrere hundert Euro ko-sten kann, lizensierte Software zukaufen, kostet es praktisch nichtsoder nur sehr wenig, die gleiche Soft-ware mit gleichbleibender Qualität zukopieren. Es handelt sich folglich we-niger um einen Datenträger wie bei-spielsweise eine CD, die wir kaufen,sondern um das Recht, die Informati-on, die auf diesem Datenträger ge-speichert ist, in einem festgelegtenRahmen zu nutzen. Im Gegensatz zueiner Brezel oder einem Auto, diebeim Kauf den_die Eigentümer_inwechseln und immer nur von einer

Wer beraubt hier wen?

Für das Recht auf Kopien

eigentlich ganz einfach ...

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Infoblatt 71

Geistiges Eigentum

Person gegessen oder gefahren wer-den können, können eine Software,ein Song oder ein Film theoretischunbegrenzt zur Verfügung gestellt undzeitgleich verwendet werden. Wäh-rend bei einem Auto, zusätzlich zu denEntwicklungskosten, jedes einzelneAuto unter Material- und Zeitaufwandproduziert werden muss, kann eineSoftware nach ihrer Entwicklung un-ter geringen Kosten nahezu unendlichvervielfältigt werden. Der Preis fürdiese Software rechtfertigt sich folg-lich vor allem aus den Entwicklungs-kosten, die sich, so die häufig zu hö-rende Argumentation, auch rechnenmüssen. Diese Art der Argumentationbeschränkt sich nicht allein auf dieSoftware-, Musik- oder Filmindustrie,sondern findet sich in fast allen Be-reichen der Vermarktung geistigen Ei-gentums.

Ohne Schutz keine Ideen?

Eine weit verbreitete Ansicht ist des-halb auch, dass geistiges Eigentumgeschützt werden müsse, da es sichsonst nicht mehr lohnen würde, neueIdeen zu entwickeln. Die allgemeineSchlussfolgerung: kein Schutz, keinGewinn, keine Ideen.

Wie wenig zutreffend diese Ver-kettung ist, zeigt ein Beispiel aus Bra-silien: Die in den Favelas produzier-ten Musik-CDs, die ausschließlichüber den Straßenhandel vertriebenwerden, bringen es Schätzungen zu-folge auf etwa 80 Neuveröffentli-chungen pro Woche. BMG/Sony dage-gen bringt es auf gerade einmal 15Neuveröffentlichungen brasiliani-scher Musik pro Jahr.4 Die Vermu-tung liegt folglich nahe, dass der„Schutz geistigen Eigentums“ keinenFreiraum für neue Ideen schafft, son-dern im Gegenteil Kreativität und Ent-wicklung in ein enges Korsett zwängt.

In die gleiche Sackgasse wie dieBehauptung, dass der Schutz geistigenEigentums der Garant für die Ent-wicklung neuer Ideen sei, führt dashäufig verwendete Argument, dass esnotwendig sei, geistiges Eigentum zuschützen, damit diejenigen, die ihreZeit damit verbringen, Filme zu ma-chen, Software zu entwickeln etc., vondieser Tätigkeit leben können. DieFrage könnte aber auch lauten, wievie-le Ideen auf Grund der Tatsache verlo-

ren gehen, dass viele Menschen imAlltag weder über die Zeit noch überdie Ressourcen verfügen, diese zuentwickeln.

Wer beraubt hier wen?

Statt also nach Gründen zu suchen, diedie Notwendigkeit geistigen Eigen-tums untermauern, sollten wir uns lie-ber die Frage stellen, wie es seinkann, dass es so etwas wie geistigesEigentum überhaupt gibt. Ist die Vor-stellung nicht abwegig, dass Gedan-ken, Ideen, Wissen etc., die zumindesttheoretisch allen unbegrenzt zur Ver-fügung gestellt werden könnten, mit-tels technischer Manipulationen undrechtlicher Regelungen verknappt undzum Eigentum einiger weniger ge-macht werden? Innerhalb der kapitali-stischen Verwertungslogik macht die-se Zugangsbegrenzung durchaus Sinn,zielt doch der Schutz geistigen Eigen-tums in erster Linie auf die Vermark-tung und nicht die Veröffentlichungvon Wissen in seinen unterschiedli-chen Formen. Welche Konsequenzendiese Logik mit sich bringt, lässt sichan einigen Beispielen verdeutlichen:

Vom Zoll entdeckte Produkt-kopien wie beispielsweise Marken-turnschuhe, Markenuhren, kopierteSoftware, Filme etc. landen zu tausen-den unwidersprochen im Schredder.5

Dieselbe Logik führt dazu, dassbezahlbare Generika nicht oder nureingeschränkt hergestellt und vertrie-ben werden dürfen, obwohl sich welt-weit viele Menschen, die auf diesegünstigeren und teilweise lebenswich-tigen Medikamente angewiesen sind,die patentgeschützten und teurenOriginalpräparate nicht leisten kön-nen.6 (Siehe auch Artikel TRIPs undCAFTA, S.11) Einen Schritt weitergeht die Patentierung von lokalemWissen und biologischen Ressourcendurch transnationale Konzerne oderWissenschaftseinrichtungen. Hierwird bisher frei zugängliches Wissengewissermaßen privatisiert.7 (Sieheauch Artikel zu Biopiraterie, S.18)

Wenn der Zugang zu Wissen, dasallen zugänglich sein könnte, begrenztwird und wenn Wissen, das bisher all-gemein und frei zugänglich war, priva-tisiert wird, dann wird die Frage er-laubt sein, wer hier eigentlich wen be-raubt? Nicht ohne Grund lautet die la-

teinische Wurzel des Wortes privat,privare, was ins Deutsche übersetztabsondern, rauben bedeutet. Beraubtwird die Allgemeinheit, indem sie vonder Benutzung dessen ausgeschlossenwird, was privatisiert ist.8

Die Gedanken sind frei!

Trotz der Bemühungen, die geistigenEigentumsrechte mit internationalenVerträgen auszudehnen und zu ver-schärfen, trotz hoher Strafandrohun-gen und diverser Kampagnen, die ab-schreckend wirken sollen, ist die Zahlderjenigen, die sich auch durch geisti-ge Eigentumsrechte nicht davon ab-halten lassen, Wissen anzueignen,nach wie vor sehr hoch. Eine weltwei-te Bewegung, die Millionen von Men-schen verbindet, die den Kapitalismusdurch Nichtbeachtung geistiger Ei-gentumsrechte zu Fall bringen möch-te? Wohl kaum. Die Motive dürftenhöchst unterschiedlich sein: finanzielloder politisch, es kann um Sammel-leidenschaft gehen, um die Existenzoder ums Prinzip etc.

Auch wenn es illusorisch ist,jede_n Softwarekopierer_in zur_zumWiderstandskämpfer_in gegen die ka-pitalistische Verwertung von Wissenzu stilisieren, kann es widerständigesPotential haben, an diese Formen derAneignung anzuknüpfen und das Co-pyright als Recht auf Kopien umzu-deuten.

1 So wurde im Jahr 2004 beispielsweise einKinospot mit dem Slogan „Hart aber gerecht“ausgestrahlt, in dem sich zwei Gefängnis-insassen auf die „knackigen Ärsche“ zweier jun-ger Männer („Raubkopierer“) freuen, die geradeneu ins Gefängnis eingeliefert werden.2 Vgl. http://www.hartabergerecht.de [23. 11.2007]3 Vgl. http://www.raubkopierer-sind-verbrecher.de [23. 11. 2007]4 Vgl. Meretz, Stefan: Der Kampf um die Waren-form. Wie Knappheit bei Universalgütern herge-stellt wird.http://www.balzix.de/sm%200705%20Kampf.html[4. 12.2007]5 Vgl. http://www.zoll.de/f0_veroeffentlichungen/c0_produktpiraterie/index.html [30. 11. 2007]6 medico international e.V.: Eine Frage des Ge-meinwohls. Plädoyer für eine radikale Wende inder globalen Medikamentenpolitik. http://www.medico-international.de/kampagne/gesundheit/ [30. 11. 2007]7 http://www.biopiraterie.de/ [30. 11. 2007]8 Vgl. http://www.biopiraterie.de/fileadmin/pdf/hintergrund/Biopiraterie_G8_Hintergrund.pdf[30. 11. 2007]

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Vorbemerkung

Die kapitalistische Warenproduktionist die zur Zeit weltweit dominierendeWirtschaftsweise. Sie ist auf ständigeSteigerung der Profite angewiesen.Diese kann sie in der Konkurrenz derUnternehmen nur erreichen, wenn dieProduktionskosten durch Rationali-sierung der Produktion oder Senkungder Löhne verringert werden können,wenn neue Erfindungen zu besondersprofitablen Waren entwickelt werdenkönnen, wenn neue (Rohstoff-)Märk-te militärisch erobert oder politisch-kulturell erschlossen und dort die Re-geln der Kapitalverwertung durchge-setzt werden, oder wenn staatlich-öf-fentliche Güter (z. B. Bildung, Wis-senschaft, Straßen, Bibliotheken, öf-fentliche Verwaltung, Wasserversor-gung, Gesundheitswesen) in Privatei-gentum bzw. Waren zwecks kapitali-stischer Verwertung umgewandeltwerden (vgl. Hirsch, Joachim 2004und 2005).

Kapitalistische Verwertung bedeu-tet immer die Herstellung von Knapp-heit. Nur knappe Güter können einenPreis haben und als mittels Lohnar-beit produzierte Waren über denMarkt Profite realisieren.

Der folgende Text beschäftigt sichmit der Umwandlung von Wissen inWare – speziell Software für Compu-ter – und der kapitalistischen Verwer-tung des Wissens als so genanntes„Geistiges Eigentum“ und mit demVersuch, mit Freier Software Wider-stand gegen den kapitalistischenVerwertungsprozess zu leisten.

In diesem Text wird unter FreierSoftware alle Software verstanden,

die unter derGNU-General Pu-blic License(GPL) lizenziertist. Diese und derBegriff Copyleftwird weiter untengenauer erläutert.

Zur

(Vor-)Geschichte

der Freien Soft-

ware

Die Vorgeschichte derFreien Software be-ginnt nach dem „Sput-nik“-Schock 1957 undder anschließend vomamerikanischen Vertei-digungsministerium ge-gründeten AdvancedResearch ProjectsAgency (ARPA). Mitdiesem Projekt verbun-den war die Einbindung zivilerForschungsprojekte in die militäri-sche Forschungsstrategie der USAund das Interesse der Forscher am of-fenen Austausch der Forschungser-gebnisse. 1977 wurde UNIX zumeinflussreichen „offenen“ Betriebssy-stem, weil es weitgehend unabhängigvon Hardware einsetzbar war, 1984endete die Geschichte des „offenen“Betriebssystem UNIX. Betriebssy-stem-Software wurde ab diesem Zeit-punkt – unabhängig von Hardware –„geschlossen“ von Software-Unter-nehmen verwertet/verkauft. (vgl.Meretz, Stefan 2000: 9ff)

Die Freie Software Bewegung

GNU/LinuxMit der Gründung des GNU-Projek-tes 1984 (GNU is not Unix), der FreeSoftware Foundation 1985 und der

Ent-wicklung der General Public License(GPL) durch Richard Stallman 1989beginnt die Geschichte der FreienSoftware-Bewegung. Diese will, dassSoftware offen, veränderbar und freizugänglich ist und bleibt. Freie Soft-ware ist also – nur – in dieser Hin-sicht eine Gegenbewegung zur kapita-listischen Verwertung und der damitverbundenen Verknappung von Soft-ware.

Zentrum der Bewegung ist seitherdas GNU/Linux-System. Es setzt sichzusammen aus dem von Linus Tor-valds seit 1991 gemeinsam mit ande-ren entwickelten Kernel Linux undverschiedenen GNU-Komponenten.Heute umfasst die Bewegung eineVielzahl von Freie Software-Entwick-lungs-Projekten/Programmen, z. B.KDE, GNOME, Debian, Ubuntu,Knoppix, SAMBA u. v. m.

Logos von Creative Commons-Lizenzversionen

Freies Wissen -

Freie Güter -

Die Freie Software-Bewegung

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Geistiges Eigentum

Wie funk-tioniert dieFreie Soft-ware-Bewe-gung?Die FreieSoftware-Be-wegung istheute einweltweit ver-

teiltes Netzwerk verschiedener infor-meller und formeller Organisationenund Gruppierungen/Projekten. DieKooperation geschieht grundsätzlichfreiwillig, nicht-hierarchisch undmeistens ohne Vergütung. DieMotivation der Akteur_in-nen umfasst politische,moralische und instrumen-tell/technische Motive.

MotivationIm Vordergrund steht dasMotiv, gut funktionieren-de, stabile, offene und freieSoftware zu produzieren. Da-bei geht es nicht zuletzt darum,Software zu entwickeln, die einindividuelles Bedürfnis der jewei-ligen Entwickler_innen befriedigt.Wenn dadurch auch die Bedürfnisseanderer Nutzer_innen/Entwick-ler_innen befriedigt werden können,macht diese Arbeit noch mehr Spaß.Ein weiterer Aspekt der Motivationist auch, der monopolistischen Markt-dominanz der Firma Microsoft entge-gen zu wirken. (zur Motivation derAkteur_innen siehe Hertel, Guido et.al. 2003)

Was ist an Freier Software frei?In den Anfängen der Software-Ent-wicklung war der ungehinderte undfreie Austausch von Informationen

und Programmen unter Wissenschaft-ler_innen selbstverständlich. Vonfreier Software zu sprechen wurdeerst notwendig, als Betriebssystemeund Programme unfrei gemacht wur-den, indem sie von Unternehmen ge-

trennt von der Hardware als eigen-ständige Waren – und damit unfrei –auf den Markt gebracht wurden. DieseUnfreiheit, d. h. die Begrenzung vonNutzung und Verteilung, wurde da-durch möglich, dass Programme (dervon speziellen Computerprogram-men in binären Code umgewandelteQuellcode-Text) ausschließlich indieser binären Form (d. h. nur vomComputer intern lesbarer, binärerProgrammcode) an die Kund_innenoder Interessent_innen ausgeliefertwurden, der Quellcode selbst aber ge-

heim gehal-ten wurde. Der Quellcode-Text ist dervon Programmierer_innen immer zu-erst von Hand geschriebene Text inForm mathematischer Formeln, einText also, der deshalb auch von allenanderen Menschen gelesen werdenkann. Programmierer_innen und ande-re Menschen können die (Fehl-)-Funktionen von Computerprogram-men im Computer jedoch nur verste-hen und Programme weiter entwik-

keln, wenn der Quellcode-Textverfügbar ist und gelesen wer-den kann. Freie Software be-deutet nun, dass der Quellcode-Text der Programme immerfrei zugänglich sein muss, dasser beliebig benutzt, verändert,kopiert und frei verteilt werdenkann.

Eine Folge der Einführung nicht-frei-er/kommerzieller (d. h. proprietärer)Hard- und Software war, dass die Frei-heit der Freien Software ihrerseitseingeschränkt werden musste, um ihre

Freiheit zu erhalten und ihre miss-bräuchliche Nutzung durch privat-kommerzielle Aneignung und Aus-tausch gegen Geld zu verhindern. Dies

geschah und geschieht durch die Bin-dung von Freier Software an eine vonRichard Stallman und der Free Soft-ware Foundationinitiierte Lizenz, die GNU GeneralPublic License (GPL). Deren Prin-zipien können kurz folgendermaßenbeschrieben werden:� Das Programm kann frei herunter-

geladen und benutzt werden.� Es können beliebig viele Kopien

des Programms erstellt und – mitQuellcode – verbreitet werden.

� Das Programm kann beliebig ver-ändert werden.

� Veränderte Programme können be-liebig – mit dem neuen Quellcode– verbreitet werden.

Allerdings gelten gleichzeitig die fol-genden Einschränkun-gen:� Der Quelltext

muss jederzeitfrei verfügbarsein und bleiben.

� Die an das Pro-gramm gebundeneGPL-Lizenz darfnicht geändertwerden.

� Das an dieGPL gebunde-ne Programmdarf nicht Bestandteil nicht-freier(kommerzieller) Software werden.

Um den Unterschied zu dem vonprofitorientierten Unternehmen ver-wendeten „Copyright“-Verwer-tungsrecht zu charakterisieren, wirddas Verwertungsrecht der GPL auch„Copyleft“ genannt.

ProduktionsweiseBasis der Produktion sind persönlicheInteressen und Vorlieben der Produ-zent_innen. Im Vordergrund steht da-bei die Maxime des „Mach es selbst“und veröffentliche möglichst schnell

Logo des

GNU-Projekts

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dein funktionierendes Programm. Esfinden sich dann aufgrund der Veröf-fentlichung und Nutzung des Pro-gramms Gruppen von interessiertenund engagierten Entwickler_innen,Dokumentator_innen, Übersetzer_in-nen, Bugreporter_innen (d. h. Men-schen, die mit Fehleridentifizierungund -berichten beschäftigt sind), diegemeinsam an einem Produkt arbeitenund weiter entwickeln. Dieser Pro-zess der Kooperation und Kommuni-kation wird hauptsächlich über das

Internet ausgeführt.

Struktur und Produktionswei-

se Freier Software am Beispiel

des KDE-Projektes

KDE (K-Desktop-Environment) isteines der großen und weit verbreite-ten Projekte der Freie Software-Be-wegung für den privaten und kommer-ziellen Einsatz. Mehr als 50 in KDEintegrierte Anwendungen ermöglichenInternetrecherche, das Erstellen vonDokumenten am Computer, das Er-stellen von CDs etc. Die populärstenAnwendungen sind Konqueror (einWebbrowser und Dateimanager) unddas E-Mail-Programm KMail. (vgl.Hirsch, Hans Frieder 2004)

Menschen, die KDE machen –Akteur_innen und OrganisationDie Menschen sind vorwiegend jung(Altersdurchschnitt ca. 27 J.), männ-lich, haben Hochschulbildung, eineabgeschlossene IT-Ausbildung odereine entsprechende Berufstätigkeit.Sie arbeiten freiwillig ohne Vergü-tung, spendenfinanziert oder bezahltim Auftrag von Unternehmen oderOrganisationen für KDE. Sie sind mitProgrammentwicklung (Quellcode),

Programmdokumentation,Übersetzung von Dokumen-tationen, Fehleridentifi-zierung und -berichten, Feh-lerkorrektur, Öffentlich-keitsarbeit, Webseiten-administration u. v. m. be-schäftigt.

Die einzelnen Projektesind nicht-formell hierar-chisch organisiert, es gibtjedoch eine informelle Ein-flussstruktur aufgrund vonMenge, Qualität und Bedeu-tung der geleisteten Beiträgezum Projekt. Diese werdenhäufig koordiniert von so ge-nannten Maintainer_innen, Menschen,die ein Projekt gestartet haben und/oder sich mit Zustimmung aller Be-teiligten darum kümmern, dass dasProjektziel im Mittelpunkt der ge-meinsamen Aufmerksamkeit bleibtund die gemeinsam akzeptierten Stan-dards, Regeln und Termine eingehal-ten werden. Oft haben die Projekt-Gründer_innen diese Rolle.

Welche neuen oder weiter entwik-kelten Programme nach Abschluss ih-rer Entwicklungsphase schließlich ak-zeptiert und ins KDE-Programmsys-

tem aufgenommenwerden, wird in einem Entschei-dungsprozess geregelt, in dem dieMöglichkeit zur Beeinflussung derEntscheidung von der Reputation(Zahl und Qualität der Beiträge) derjeweiligen Teilnehmer_innen abhängt.Die Regelung von Konflikten und not-wendige Entscheidungen erfolgenmöglichst im Konsens. In Ausnahme-fällen ist eine Entscheidung durchMaintainer_innen nach ausführlicherDiskussion notwendig. Dabei ist zubeachten, dass bei freiwilliger Partizi-pation und Kooperation die „Macht“von Maintainer_innen sehr begrenztist.

Freie Software, ihre Produkte

und sozialen Wirkungen

Es ist eine faszinierende soziale Wir-kung der General Public License

(GPL), dass sie Menschen zusam-menführt, ohne andere auszuschlie-ßen, dass sie Kreativität und arbeits-teilige, offene Kooperation fördert.Weil das unter der GPL veröffentlich-te Wissen (hier: Freie Software) freizugänglich und kommunizierbar ist,gibt es keine Konkurrenz um Profitund Reichtum, sondern Wettbewerbum Ideen und um den elegantesten

und sichersten„Code“. FreieSoftware erzeugtneue soziale Ge-bilde, Projekte,Communities,

Institutionen und Gruppen nicht übermit Exklusivität verbundene Geld- undGewinnerwartungen, sondern über dieLust an und die Notwendigkeit zur Zu-sammenarbeit. Entwickler/innen Frei-er Software brauchen freie Partner/in-nen, weil der Umfang der Arbeit mitder Zeit vielleicht zu groß wird oderandere Ideen und spezielle Fähigkei-ten benötigt werden. Die Belohnungfür die Arbeit am Programm kannauch mit Geld verbunden sein, wenn-gleich das Programm selbst – auf-grund des „Copyleft“ – nur ohne Ein-schränkung der Freiheiten verkauftwerden kann (vgl http://www.gnu.org/philosophy/selling.de.html). Es ist so-mit auch möglich, mit freier Softwaredirekt oder indirekt Geld zu verdie-nen. Man kann freie Software im Un-ternehmen selbst nutzen und so z. B.Lizenzkosten sparen. Man kannDienstleistungen anbieten, z. B. durch

Logos aus der Freie Software-Bewegung:

www.gvu-online.de

Gnu.tux-Bildschirmschoner

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Geistiges Eigentum

Anpassung von Software an besondereBedürfnisse der Anwender/innen,durch Handbücher oder Vertrieb vonNebenprodukten.

Durch die Mitwirkung von Unter-nehmen wie SuSE, Red Hat, IBM,Sun, TrollTech u. a., die das Konzeptder Freien Software akzeptieren, sindFreie High-Tech-Software-Program-me entstanden, die einen Vergleichmit Microsoft Windows-Programmennicht zu scheuen brauchen und in Pri-vathaushalten wie Unternehmen zumproduktiven Einsatz kommen. Dazugehören beispielsweise der Webser-ver APACHE, das betriebssystem-übergreifende Dateiverwaltungspro-gramm SAMBA, das Datenbankpro-gramm MySQL, das BüroprogrammOPEN OFFICE, der WebbrowserFIREFOX, das Bildbearbeitungspro-gramm GIMP u. v. a. m. Diese und an-dere Programme werden vielfach inkleinen und großen Unternehmen (z.B. Karstadt AG) und Behörden (z. B.Auswärtiges Amt, Stadt München) er-folgreich genutzt.

Widersprüche der Koexistenz

freier und privat-kapitalisti-

scher Waren (Software)

Die gegenwärtige Krise der Kapital-verwertung1 äußert sich nicht nur inder politisch-militärisch gewaltsamenErschließung und/oder Sicherung vonMärkten und Rohstoffen, sondernauch in der mit politisch-juristischenMitteln durchgesetzten erweitertenUnterwerfung öffentlicher Güter undWissensbestände unter den Zwang derkapitalistischen Verwertung. So wird– bisher schon – erfolgreich versucht,natürliche und freie Ressourcen zupatentieren (z. B. Patente auf Gene).Dasselbe Ziel verfolgen die Bestre-bungen, Patente auf Software zu er-möglichen, sowie die Erweiterung

von Verwertungsrechten (Copyright)bezüglich Umfang, Dauer und Gegen-stand. Letztendlich sollen damit auchnoch die letzten Refugien nicht-kapi-talistisch regulierter und verwerteteröffentlicher Bereiche (z. B. Wissen,Bildung und Gesundheit, Freie Soft-ware) dem Privateigentum und damitdem Diktat des kapitalistischen Wa-rentausches und der Profitmaximie-rung unterworfen werden.

Um Freie Software auch der kapi-talistischen Verwertungsmaschinerieverfügbar zu machen, wurde 1998 die„Open Source Initiative“ (OSI) ge-gründet (Eric. S. Raymond, BrucePerens) mit dem Ziel, das „Copyleft“der General Public License (GPL)zwar zu umgehen, die Vorzüge des of-fenen Quellcodes aber trotzdem zuerhalten. In der Folgezeit haben sichdann auch Big-Player-Firmen wieIBM, Hewlett Packard, Dell, SUNMicrosystems und Novell der OpenSource-Software, aber auch FreierSoftware zugewandt und erfolgreichin ihre Geschäftsmodelle integriert(vgl. Gabriel, Richard P.; Goldman,Ron 2003).

Kann das Prinzip Freier Software aufandere Güter übertragen werden?

GüterGüter müssen folgende allgemeineEigenschaften haben (vgl. Meretz,Stefan 2007a, Wikipedia: „Güter“):� Sie müssen aus einem physika-

lisch-chemischen Material beste-hen und/oder mit einem anderenMaterial verbunden werden, vonihm umhüllt oder in es eingeprägtsein.

� Sie müssen von der sie produzie-renden Instanz unabhängig werden/sein.

Güter unterscheiden sich:

� durch den zu ihrer Herstellung/Produktion erforderlichen Ar-beitsaufwand und den dafür erfor-derlichen Aufwand an Zeit undGeld,

� bezüglich ihrer materiellen Le-bensdauer in Abhängigkeit von ih-rem Gebrauch und

� bezüglich des Aufwands, der fürdie Herstellung von vielen Exem-plaren (Kopien) eines Gutes er-forderlich ist.

WarenWenn Güter mittels kapitalistischer(Lohn-)Arbeit produziert werden,werden sie Waren. Waren sind jeneGüter (einschließlich Lohnarbeit), dieauf dem Markt gegen Geld einge-tauscht werden und zwar so, dassmehr Geld eingenommen wird als zurProduktion und Verteilung der Wareneingesetzt wurde.

Softwareprogramme als digitaleGüter (d. h. auf Trägermedien gespei-cherte digitale Daten) sind als Warenzwar mit anderen Gütern wie z. B. Au-tos vergleichbar, unterscheiden sichvon ihnen aber wesentlich durch fol-gende Eigenschaften:� Die Kosten für die notwendigen

Produktionsmittel (Computer)sind relativ gering.

� Sie sind unbegrenzt vermehrbar(Kopie).

� Die Kosten ihrer Verteilung (überdas Internet) sind vernachlässigbar.

� Sie unterliegen (fast) keinem phy-sikalischen Alterungsprozess (Ver-schleiß).

Daraus folgt, dass Softwareprogram-me und anderes digitalisiertes Wissen(Texte, Bilder, Musik) nicht knappsein können. Diese besonderen Ei-genschaften sind es, die kapitalisti-sche Unternehmen dazu treiben, Soft-ware und andere digitalisierte Datenaus Profitstreben absichtlich zu ver-knappen. Dazu benutzen sie techni-

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9Geistiges Eigentum

Infoblatt 71

sche Mittel (Digital Rights Manage-ment (DRM) Systeme) sowie die Un-terwerfung unter das Copyright oderunter Patente. Freie Software, die un-ter der General Public License (GPL)oder Texte, die unter der GNU FreeDocumentation License (GFDL) ver-öffentlicht ist (wie dieser Text), kön-nen nicht verknappt werden und lei-sten somit erfolgreich innerhalb desKapitalismus Widerstand gegen priva-te, kapitalistische Aneignung, Aus-grenzung und Verwertung. (vgl. Me-retz, Stefan 2007a und 2007b)

Computer und Software sind zwar engverknüpft mit der kapitalistischen Ex-pansion als derzeit bestimmendemMoment der Globalisierung, abernicht deren Ursache. Sie sind aber Ur-sache für die verschärften Auseinan-dersetzungen um das so genannte„Geistige (Privat-)Eigentum“. Dietendenzielle Aufhebung der Beschrän-kung von Zeit und Ort und die drama-tisch gestiegene Fähigkeit zur Verar-beitung und Speicherung großer Da-tenmengen eröffnen neue Möglich-

keiten der Erzeugung von freiem Wis-sen und Informationen, der Koopera-tion und der Verteilung (Distribution).Gleichzeitig werden aber auch völligneue Mechanismen der Überwachung,Kontrolle, Ausgrenzung und Ausbeu-tung zu Gunsten machtgesteuerter, ka-pitalistischer Verknappung erzeugtund angewandt, gegen die sich aller-

dings Widerstand regt.Freie Software, entstanden aus

dem Bedürfnis, Verknappung aufzuhe-ben, wird künftig noch viel stärkereBedeutung als Modell der arbeitsteili-gen, freien Kooperation und als ihrMittel bekommen. Sie selbst bietet

durch ihre Offenheit die Gelegenheitzum Lernen und Erfahren, von der Be-nutzung bis zur Programmierung. Dasihr zugrunde liegende Konzept selbstund ihre technischen Möglichkeitenwerden Unterstützung leisten könnenfür die Verbreitung von Wissen undBildung und die Möglichkeiten zurKooperation verbessern.

Diese Entwicklung bietet jedochauch Ansatzpunkte für die Befreiungvon anderen Gütern. So könnte/kannvergegenständlichtes Wissen in Formvon Konstruktionsplänen, Material-listen, Prozessbeschreibungen, Mu-sik, Noten, Filmen und Bildern, Re-zepten, medizinischem Wissen undTherapien, wissenschaftlichen Textenunter eine freie Lizenz gestellt und sofür alle Menschen verfügbar und nutz-bar gemacht werden. So könnte auchder Biopiraterie entgegen gewirktwerden, indem das Wissen über Pflan-zen aufgezeichnet und unter der GNUFree Documentation License (GFDL)– wie dieser Text – oder einer ande-ren Lizenz veröffentlicht wird.

Allerdings können auch freie Gü-ter (z. B. Freie Software) nicht ohnedie Inanspruchnahme von Macht-strukturen – insbesondere staatlicherMacht und staatlicher Institutionen(Recht) – existieren. So benutzt FreieSoftware das Urheberrecht, um mit

Hilfe einer darauf aufbauenden Lizenzihre profitorientierte Verknappung zuunterbinden. Die Existenz freier Gü-ter ist also von Macht und aktuellenKräfteverhältnissen in der kapitalisti-schen Gesellschaft abhängig.

Die Frage, ob die Produktions-und Verteilungsmechanismen sowiedie besondere Form der Lizenzierungauf andere „materielle“ Güter übertra-gen werden können und somit weitereFormen freier Güter entstehen könn-ten, wird seit einiger Zeit intensiv dis-kutiert, unter anderem bei Oekonuxe.V. (http://www.oekonux.de). Dochdas erweist sich als nicht so einfach.

Wie oben gezeigt ist bei Gütern,die Wissen in binärer Form enthalten– wie die Freie Software – die Ver-bindung von Wissen mit einer Lizenzvergleichsweise einfach. Man fügtdem Quelltext und/oder der Binärco-de-Datei auf der CD ROM einfach dieLizenz hinzu. Wie ein Sack Weizendagegen unter einer GPL-ähnlichenLizenz frei verteilt und genutzt wer-den könnte, ist allerdings unklar.Trotzdem bestehen aktuell viele Mög-lichkeiten, die Voraussetzungen fürdie Produktion freier Güter zu schaf-fen. Ohne eine Veränderung der Ei-gentumsverhältnisse – insbesonderean Grund und Boden – und ohne Ab-schaffung des politisch-ökonomi-schen Zwangs zur Lohnarbeit und Wa-renproduktion, ist eine Gesellschaftin der alle Güter frei produziert, bear-beitet und verteilt werden können,aber kaum zu realisieren.

Egal was es ist -

Raubkopien werden geschreddert !

Und auch immer wieder hergestellt und verkauft

Bilder: http://images..google.de/raubkopien

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Infoblatt 71

Geistiges Eigentum

Ausblick

Wenn Globalisierung auch Deregulie-rung und kapitalistische Verwertungfreier und öffentlicher Güter durchPrivatisierung bedeutet (vgl. Altvater,Elmar 2003) und Teil der (imperialis-tischen) Gegenmaßnahmen des Kapi-tals gegen die Schwierigkeiten ist,sich profitabel zu verwerten (vgl.Hirsch, Joachim 2004, 2005), so be-deutet derzeit „Befreiung der Güter“alle Aktionen und Handlungen, die dasZiel haben, die kapitalistische Ver-wertung freier und öffentlicher Güterzu verhindern oder sie rückgängig zumachen. Aber: „(...) Solange derZweck der herrschenden Wirt-schaftsweise nicht zur Dispositionsteht, kann es also nur darum ge-hen, den offenen Zugang zu Wissenzu erhalten und zu erweitern. Diesist aber nicht einfach eine Fragevon alternativen Geschäftsmodellen,sondern von sozialen Kämpfen umein öffentliches Gut. DerartigeKämpfe sollten sich nicht auf dasThema Software beschränken.“(Heller, Lydia, Nuss, Sabine 2004)

Es bedarf also der Entwicklungund Verbreitung anderer Gesinnungen,Verhaltensweisen, Gewohnheiten undRegeln des Zusammenlebens und -ar-beitens, damit über die derzeit nochdominierenden kapitalistischen ge-sellschaftlichen Verhältnisse hinausgeblickt werden kann und Bilder einerveränderten Gesellschaft ansatzweiseentdeckt werden können. Das ProjektFreie Software ermuntert zu Fantasienüber einen Weg dahin und machtWegbegleiter_innen vorstellbar, diediesen Weg mitgehen könnten.

Den Anfang eines neuen Weges zufinden ist einfach. Die Nutzung FreierSoftware auf dem eigenen PC/Note-book ist gut möglich. Dann machtman nicht nur Erfahrungen mit sehrguten Programmen, sondern hat auchdie Chance, interessante und hilfrei-che Verbindungen zu den Communi-ties der Freie Software-Bewegungaufzunehmen.

CreditsFür kritisch zugewandte und hilfrei-che Anregungen und Einwände dankeich der Redaktion des Infoblatts herz-lich.

Frieder HirschVersion 1.0.702.12.2007Copyright + LizenzCopyright © Frieder Hirsch2007Permission is granted tocopy, distribute and/ormodify this documentunder the terms of theGNU FreeDocumentationLicense, Version1.2 or any laterversion publishedby the Free Software Foundation;with no Invariant Sections, no Front-Cover Texts, and no Back-CoverTexts. A copy of the license isavailable at: http://www.gnu.org/licenses/fdl.htm

Literatur:– Altvater, Elmar (2003), What happens whenpublic goods are privatised? http://www.wem-gehoert-die-welt.de/engl/01/altvater_0312.pdf;zuletzt besucht: 29. 05. 2004, 21:47 Uhr– Brucherseifer, Eva (2004), Die KDE-Entwickler-gemeinde – wer ist das? in: Open Source Jahr-buch 2004, Zwischen Softwareentwicklung undGesellschaftsmodell; Gehring, Robert A.;Lutterbeck, Bernd (Hrsg.) (http://ig.cs.tu-berlin.de/Think-Ahead.ORG/OpenSourceJahrbuch2004.pdf; zuletzt besucht:26. 03. 2004, 10:17 Uhr– Gabriel, Richard P.; Goldman, Ron (2003), OpenSource: Beyond the Fairytales SunMicrosystems http://opensource.mit.edu/papers/gabrielgoldman.pdf– Heller, Lydia; Nuss, Sabine (2004), OpenSource im Kapitalismus: Gute Idee – falsches Sy-stem? in: Open Source Jahrbuch 2004 (http://ig.cs.tu-berlin.de/Think-Ahead.ORG/OpenSourceJahrbuch2004.pdf), zuletzt besucht:26. 03. 2004, 10:17 Uhr– Hertel, Guido et.al. (2003), Motivation of Soft-ware Developers in Open Source Projects: AnInternet-based Survey of Contributors to theLinux Kernel, Guido Hertel, Sven Niedner, Stefa-nie Herrmann, University of Kiel http://opensource.mit.edu/papers/preso-hertel.pdf– Hirsch, Hans-Frieder (2004), KDE - Ein Über-blick, in: http://www.cercos.de/Texte/html/Was_ist_KDE.html– Hirsch, Joachim (2004), Was ist eigentlich Im-perialismus?, in: links-netz (Onlinezeitschrift)http://www.links-netz.de; zuletzt besucht: 25. 05.2004– Hirsch, Joachim (2005), MaterialistischeStaatstheorie. Transformationsprozesse des ka-pitalistischen Staatensystems, VSA-Verlag,Hamburg 2005– Holtgrewe, Ursula (2004), Heterogene Inge-nieure – Open Source und Freie Software zwi-schen technischer und sozialer Innovation in:Open Source Jahrbuch 2004.pdf, S. 354 (http://ig.cs.tu-berlin.de/Think-Ahead.ORG/OpenSourceJahrbuch2004.pdf); zuletzt besucht:26. 03. 2004, 10:17 Uhr)

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migen Artikels auf http://www.balzix.de/el 0707 Wert des

Wissens - kurzfassung.html– Luthiger, Benno (2004), Al-

les aus Spaß? Zur Motiva-tion von Open-Source-Entwicklern, BENNOLUTHIGER in: OpenSource Jahrbuch 2004,http://ig.cs.tu-berlin.de/Think-Ahead.ORG/OpenSourceJahrbuch2004.pdf;zuletzt besucht: 26. 03.2004, 10:17 Uhr)

– Meretz, Stefan (2000), „Linux & Co – FreieSoftware – Ideen für eine neue Gesellschaft“;AG SPAK Publikationen, Neu-Ulm 2000 (http://www.leibi.de/spak-buecher) und http://www.kritische-informatik.de/fsrevol.htm– Meretz, Stefan (2007 a), Universalgüter,Informationsgüter als genuin gesellschaftlicheGüter, in: Streifzüge 40/2007, http://www.streifzuege.org/texte_str/str_07-40_me-retz_imwo_universalgueter.htm; zuletzt besucht:23.10.2007– Meretz, Stefan (2007 b), Der Kampf um dieWarenform. Wie Knappheit bei Universalgüternhergestellt wird, in: Krisis 31/2007,www.balzix.de; zuletzt besucht: 23.10.2007– Nuss, Sabine (2006), Copyright & Copyriot –Aneignungskonflikte um Geistiges Eigentum imInformationellen Kapitalismus, Verlag Westfäli-sches Dampfboot, Münster 2006– Thie, Hans (2004), „Den Druckpunkt treffen“in: Freitag vom 24. 5. 2004 http://www.freitag.de/2004/22/04220401.php; zuletzt besucht: 24. 05.2004

Weitere Links zum Thema (alle zuletzt besucht:11. 11. 2007)– Privatisierung: http://www.who-owns-the-world.org/wp/langswitch_lang/de– Die deutsche Website von KDE: http://www.kde.de– Die Debian Website – Prinzip nur Freie Soft-ware zu verwenden: http://www.de.debian.org/devel/constitution– Diskussionsforum zur Möglichkeit der Über-tragung der GPL-Prinzipien auf andere gesell-schaftliche Bereiche: http://www.oekonux.de– Die General Public License: http://www.gnu.org/copyleft/gpl.html– Freie Software verkaufen: http://www.gnu.org/philosophy/selling.de.html-– Aktion gegen Software-Patente: http://eupat.ffii.org/index.de.html– Die Free Software Foundation Europe: http://www.germany.fsfeurope.org/– Die Website der Free Software Foundation:http://www.fsf.org

1 Unter Kapitalverwertung wird hier der Zwangverstanden, dem sämtliche kapitalistischen Un-ternehmen unterworfen sind, das eingesetzteKapital zu verwerten, indem Waren auf demMarkt gegen Geld getauscht werden und zwarso, dass mehr Geld eingenommen wird als zurProduktion und Verteilung der Waren eingesetztwurde (G-W-G’).

Tux, das Linus-Maskottchen

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11Geistiges Eigentum

Infoblatt 71

(ea) Obwohl seit 1995 mit TRIPs einAbkommen existiert, das weltweit diePatente der Reichen gegenüber denArmen schützt und durchsetzt, werdenin den Freihandelsverträgen, die inden letzten Jahren von den Handels-großmächten USA und EU geschlos-sen worden sind, immer weitergehen-de Schutzbestimmungen zu Gunstenihrer transnationalen Konzerne durch-gesetzt.

Freihandelsverträge sind in

Überall werden gerade Freihandels-verträge verhandelt oder sind vor kur-zem abgeschlossen worden: zwischenPanama und Singapur, Nicaragua undTaiwan, USA und Südkorea usw. Be-sonders aktiv waren in den letztenJahren die USA. Vor 2003 hatten dieUSA überhaupt nur mit vier LändernFreihandelsverträge, u. a. mit Kanadaund Mexiko, mit denen sie die nord-amerikanische FreihandelszoneNAFTA (North American Free TradeAgreement) bildet. Seit 2003 habendie USA außer mit Südkorea noch mit13 weiteren Einzelstaaten Verträgeabgeschlossen, oder sie sind dabei, zuverhandeln. Neben den erwähnten bi-lateralen Verträgen haben sie auch mitder Gruppe der fünf zentral-amerikanischen Länder und der Do-minikanischen Republik das regionale

Abkommen DR-CAFTA (DominicanRepublic-Central America-UnitedStates Free Trade Agreement) abge-schlossen. Von den 19 Ländern mitdenen die USA nach 2003 in Verhand-lungen waren oder noch isind, liegenzehn in Lateinamerika. Das hängt mitdem Scheitern der gesamt-amerikanischen FreihandelszoneALCA (Área de Libre Comercio delas Américas) zusammen. Als es im-mer unwahrscheinlicher wurde, dassALCA sich würde verwirklichen las-sen, sind die USA dazu übergegangen,ihre Handelsinteressen mit bilateralenVerträgen zu verfolgen.

Aber auch die EU setzt im Augen-blick auf bilaterale und regionaleFreihandelsverträge. Im Oktober die-ses Jahres haben die Verhandlungenmit Zentralamerika begonnen undauch mit den so genannten AKP-Staa-ten (Gruppe von Ländern Afrikas, derKaribik und des Pazifiks, zumeistehemalige Kolonien) sollen in Zu-kunft die wirtschaftlichen Beziehun-gen in Freihandelsverträgen geregeltwerden.

Fast alle beteiligten Länder, diesich so um mehr Freihandel bemühen,sind Mitglieder der Welt-handelsorganisation WTO (WorldTrade Organization). Das überraschtzuerst, denn wir wissen ja, die Libera-lisierung des Handels ist das Hauptan-

liegen der WTO. Wastreibt also besonders diegroßen Wirtschafts- undHandelsmächte - USAund EU - zu bilateralenVerhandlungen? An demBeispiel des Kapitels 15:„Rechte an geistigem Ei-gentum“ des DR-CAFTA-Abkommens1 soll ver-sucht werden, darauf eineAntwort zu geben.

T R I P s

Im Falle von DR-CAFTAsind alle beteiligten Län-der Mitglieder der WTO

und damit auch des TRIPs-Abkom-mens (Trade Related Aspects ofIntelectual Property Rights), zudeutsch des Abkommens überhandelsbezogene Aspekte geistigerEigentumsrechte. In Kraft getretenam 1. Januar 1995, gilt TRIPs inzwi-schen in 151 Staaten. Das heißt vorallem, dass all diese Staaten die Ver-einbarungen des Abkommens, wie z.B. Schutzfristen in nationales Rechtumsetzen mussten. Wenn man be-denkt, dass der UN 192 Staaten ange-hören, kann man sagen, dass TRIPs in-zwischen die geistigen Eigentums-rechte fast weltweit garantiert.

Auch dieser Aspekt der weltweitenGültigkeit rechtfertigt die Bezeich-nung geistige Monopolrechte stattgeistige Eigentumsrechte, wie sie ineiner Publikation von Bökeler, Mol-denhauer, Rubbel2 verwendet wird.Folgendermaßen begründen die Auto-ren die Wahl des Begriffes: „Wir leh-nen den Begriff des »geistigen Eigen-tums« als Kampfbegriff der Befür-worter der Ausweitung geistiger Mo-nopole ab. Zum einen steht »Eigen-tum« juristisch für eine Breite anRechten, die für das »geistige Eigen-tum « glücklicherweise (noch) nichtdurchgesetzt ist. Die positive Konno-tation des Begriffs »Eigentum« dientzum anderen dazu, solchen Rechteneinen Anschein von Legitimität zu

TRIPs und CAFTA

Geistige Eigentumsrechte weltweit garantiert!

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Geistiges Eigentum

verschaffen. Wissen sollteaber gerade kein exklusi-ves Eigentum sein, son-dern der Allgemeinheitdienen. Viel treffender istdaher der Begriff der gei-stigen Monopolrechte.“Bei dem TRIPs-Abkommen,handelt es sich wieder einmalum ein internationales Abkommen.welches den reichen Norden vor demarmen Süden schützt. Von dem Schutz,den TRIPs u. a. Patenten, Marken undgewerblichen Mustern gewährt, profi-tieren vor allem die Patent-inhaberInnen, von denen über 90% ih-ren Sitz in den reichen Ländern desNordens haben. Bei einem Großteilvon ihnen handelt es sich um trans-nationale Konzerne.

Am Beispiel Patente kann gut ge-zeigt werden, wie vorbildlich dasTRIPs-Abkommen den Interessen desNordens, d. h. der transnationalenKonzerne, dient.

Neben der fast weltweiten Gültig-keit erfüllt das Abkommen auch nochdrei weitere zentrale Interessen derPatentinhaberInnen. Dieses sind:• eine möglichst lange Zeitspanne

für den Patentschutz,•· dessen strikte Durchsetzung und• die Patentierbarkeit so weit als

möglich auszuweiten.

In allen drei Bereichen bietet TRIPsden PatentinhaberInnen eine Menge.Was die Zeitspanne des Patentschut-zes betrifft, so ist sie im Artikel 33des Abkommens mit 20 Jahren fest-gelegt3 . Ein derartig langer Zeitraumgarantiert nicht nur den patent-haltenden transnationalen Konzerneneine bequeme Verwertung ihrerMonopolrechte, sondern führt auch zuZweifeln am liberalen Diskurs, der jaden freien Handel als Motor desTechnologietransfers vom Norden inden Süden propagiert.

Strikte Durchsetzung

Die Möglichkeit mit dem Streit-schlichtungsmechanismus der WTOden Schutz der geistigen Monopol-rechte durchzusetzen, ist wahrschein-lich im Sinne der PatentinhaberInnen,die größte Attraktion des TRIPs-Ab-kommens. Außer dass das Abkommengenaue Vorschriften über Strafen und

Entschädigungen enthält, dievon den Mitgliedern in natio-

nales Recht umgesetzt wer-den müssen, ist in Artikel

64 festgelegt, dass imKonfliktfall die in derWTO vereinbarte

Streitschlichtung zur Anwendungkommt. Dies ist ein sehr wirkungs-voller Mechanismus, der bis zur Ver-hängung von Handelssanktionen füh-ren kann. Vor TRIPs gab es auf inter-nationaler Ebene schon seit 1883die Pariser Verbandsüber-einkunft. Später kam dieUNO-SonderorganisationWIPO (World IntellectualProperty Organization),die Weltorganisation fürgeistiges Eigentum, hinzu.Beide Organisationen kannten keiner-lei internationale Sanktions-mechanismen bei Verstößen. Konflik-te wurden vor nationalen Gerichtenverhandelt. Dies ließ den Ländern desSüdens, den PatentnehmerInnen, eini-gen politischen Spielraum. Zum Bei-spiel hat Indien 1970 ein Patentgesetzverabschiedet, das bei Medikamentendie Schutzdauer generell auf 7 Jahreverkürzte und Ausnahmen bei derPatentierung festlegte. Mit diesenMaßnahmen gelang es in kurzer Zeitdie Versorgung des indischen Marktesdurch im eigenen Land hergestellteMassenmedikamente (Generika) von25 % auf 70 % zu steigern und zwarauf einem Preisniveau, das dem Ein-kommen der Bevölkerung angemes-sen war (Corinna Heineke)4 .

Ausweitung der

Patentierbarkeit

Bei der Patentierbarkeit, so wie siedas TRIPs-Abkommen definiert, sinddie transnationalen Konzerne, die hin-ter den Regierungen des Nordens ste-hen, mit dem Erreichten nicht zufrie-den. Zwar wird im Artikel 27 „Patent-fähige Gegenstände“ eine generellePatentierbarkeit definiert, denn esheißt dort, „dass Patente für Erfindun-gen auf allen Gebieten der Technik er-hältlich sind, sowohl für Erzeugnisseals auch für Verfahren“. Aber im Ab-satz (3) werden noch Ausnahmen zu-gelassen und zwar für die Bereiche „a)diagnostische, therapeutische undchirurgische Verfahren für die Be-

handlung von Menschen oder Tieren“und für „b) Pflanzen und Tiere“. Dochdiese Ausnahmen für Pflanzen undTiere haben wieder Einschränkungen,die den multinationalen Saatgut-konzernen dienen. Pflanzen dürfenvon der Patentierung nur ausgenom-men werden, wenn ein entsprechenderSortenschutz besteht. Über die Artund Weise, wie der Sortenschutzdurchzuführen sei, ist aber

nichts ausgesagt. Es ist also durchauszulässig, Sortenschutz über die natio-nale Rechtsprechung zu regeln unddamit immer noch möglich, eine na-tionale Agrarentwicklung zu betrei-ben. Da alle »nicht-biologischen undmikrobiologischen Prozesse« nichtunter die Ausnahmen fallen, bedeutetdies, dass für alle genetisch veränder-ten Pflanzen in jedem Fall Patente er-teilt werden müssen.

Ausnahmeregelung bei

Medikamenten

Unter bestimmten Bedingungen, dieim Artikel 31 b mit „nationalem Not-stand oder sonstiger Umstände vonäußerster Dringlichkeit“ bezeichnetwerden, können Regierungen soge-nannte Zwangslizenzen ausstellen5 .Diese Ausnahme hat ihre praktischeBedeutung bei der Produktion vonGenerika. Normalerweise kann einbilliges Generikum als Alternative zueinem Markenmedikament nur dannauf den Markt gebracht werden, wennkein Patentschutz vorliegt, oder wennein vorhandener Patentschutz abgelau-fen ist. Die Möglichkeit der Zwangs-lizenzen wird von einigen Ländern desSüdens genutzt, um ihre Bevölkerungin Notfällen mit bezahlbaren Medika-menten versorgen zu können. OhneLizenzgebühren lassen sich Generikazu einem Bruchteil der Kosten, teil-weise für weniger als ein Zehntel,produzieren. Da Zwangslizenzen abernur für „die Versorgung des Binnen-markts“ gestattet sind, ist aber das

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13Geistiges Eigentum

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Problem noch lange nicht gelöst,denn viele Länder sind nicht in derLage, eine eigene Pharmaindustrie zurProduktion von Generika aufzubauen.Bis 2002 hätte die WTO dieses Pro-blem, dessen Lösung nur in der Zulas-sung einer grenzüberschreitendenGenerikaproduktion bestehen kann,eigentlich erledigen sollen, dies istaber bis heute nicht geschehen.6

Mit diesen kurzen Ausführungenist natürlich das TRIPs-Abkommennicht erschöpfend behandelt. Sie kon-zentrieren sich auch nur auf die Teile,die im DR-CAFTA-Abkommen einewichtige Rolle spielen.

Das Beispiel DR-CAFTA

Seit dem Inkrafttreten des TRIPs-Ab-kommens 1995 sind inzwischen mehrals zehn Jahre vergangen, in denen dieLänder des Südens und des Nordensversucht haben, Nachbesserungen zuihren Gunsten zu erreichen. Beide ha-ben keine wesentlichen Erfolge er-zielt. Da die mächtigenHandelsnationen desNordens in der WTOauch auf anderen Gebie-ten, wie z. B. bei densogenannten Singapur-Themen7 , nicht weitergekommen sind, habensie ihre Strategie geän-dert und sind dazu über-gegangen, bilateraleFreihandelsabkommenabzuschließen. DieseVerträge, vor allemwenn sie mit kleinenLändern ohne großespolitisches Gewicht ab-geschlossen wurden,enthalten Abschnittezum Schutz des geisti-gen Eigentums, derenBestimmungen überdiejenigen des TRIPs-Abkommens weit hinausgehen. So istes auch in dem Abkommen DR-CAFTA, zwischen den USA und denzentralamerikanischen Staaten und derDominikanischen Republik, das seitkurzem in Kraft ist.

Am Text des Kapitels 15 des DR-CAFTA-Abkommens: „Rechte an gei-stigem Eigentum“ ist erkennbar, dasses den USA gelungen ist, die zentralenInteressen der patenthaltenden trans-

nationalen US-Konzerne über TRIPshinaus zu befriedigen. Wie schon er-wähnt, sind die drei wichtigsten Inter-essen der Konzerne die lange Schutz-dauer für Patente, die rigide Durch-setzung des Schutzes und die Auswei-tung der Patentierbarkeit. In allen dreiBereichen wurden Erfolge erzielt.

Gleich zu Beginn des Vertragstextesim Artikel 15.1 „Allgemeine Bestim-mungen“ verpflichten sich die Ver-tragsparteien zur Ratifizierung vonzehn verschiedenen Verträgen. Neundavon sind Verträge im Rahmen derWIPO, der zehnte ist das Internationa-le Übereinkommen zum Schutzpflanzlicher Züchtungen im Rahmender UPOV (Union internationale pourla Protection des ObtentionsVégétales). Die WIPO-Verträge be-handeln eine breite Palette, vom Ur-heberrecht über Patente, Marken, biszur Anerkennung der Hinterlegungvon Mikroorganismen für die Zweckevon Patentverfahren. Die größte Be-

deutung für die zentralamerikanischenLänder hat die Unterzeichnung desUPOV Abkommens (Siehe auch denArtikel Biopiraterie: Die Einhegungund Privatisierung der Pflanzen-vielfalt). Im konkreten Fall handelt essich um UPOV ´91. Der internationa-le Verband zum Schutz von Pflanzen-züchtungen (UPOV), ein 1961 in Eu-ropa geschaffenes Übereinkommenüber die Sortenschutzrechte von

Pflanzenzüchtern, gestattet in seinerFassung von 1978 Landwirten denfreien Nachbau auch geschützter Sor-ten. In der Revision von 1991 wurdedieses sogenannte „Landwirteprivileg“eingeschränkt und ein Sortenschutzähnlich dem von Patenten eingeführt“(Ute Sprenger).8 . Hiervon waren allelateinamerikanischen Länder des DR-CAFTA-Abkommens betroffen, ent-weder waren sie keine Mitglieder derUPOV oder wie im Fall von Nicara-gua der älteren Konvention von 1978beigetreten. Die Folgen sind gravie-rend, da die letzten Möglichkeiten,sich dem Zugriff der Saatgut-Multiszu entziehen, wie sie das TRIPs-Ab-kommen einigen armen Länder nochzugestand, beendet werden. Denn „dieunlängst seitens WTO/TRIPs einge-räumte Fristverlängerung bis 2013 zurRegelung handelsbezogener geistigerEigentumsrechte wird damit etwa fürNicaragua, das zu den ärmsten Län-dern der Welt zählt, gegenstandslos“(Ute Sprenger).

Exklusive Medikamente

Die Hilfsorganisation Ärzte ohneGrenzen (MSF)9 hat im Jahr 2001 inGuatemala ein Programm gestartet, indem 1600 AIDS-Kranke mit einerantiretroviralen Therapie behandeltwurden. Dies war finanziell nur mög-lich, weil ein Generikum verwendetwurde, das die Kosten pro Person auf350 US-$ im Jahr begrenzte. Eine Be-

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Geistiges Eigentum

handlung mit dem Orginalmedikamenthätte die Kosten auf fast 5000 $ imJahr getrieben, ein Betrag, der in ei-nem Land wie Guatemala nicht be-zahlt werden kann. Dieses Programmwäre heute nach dem Inkrafttreten vonDR-CAFTA nicht mehr möglich.

Die USA haben auf Drängen ihrerPharmaindustrie die sogenannte Ex-klusivität für Zulassungs-daten bei Medikamenten (undAgrochemikalien) durchge-setzt. Bei der Registrierungeines neuen Arzneimittelslegt der Hersteller der Be-hörde Daten vor, die Wirk-samkeit und Unschädlichkeitdes Präparates nachweisen.Diese Daten werden jetzt mitdem Artikel 15.10 des DR-CAFTA-Vertrages fünf Jahre(bei Agrochemikalien zehn)geschützt. Dies gilt nicht nurfür das Land in dem das Me-dikament registriert wordenist, sondern allgemein dann,wenn in irgendeinem Landeine Registrierung erfolgte.Und Registrierung mussnicht Patentierung heißen, d.h. hiermit erhalten auch le-diglich registrierte Medika-mente faktisch einen Patent-schutz von fünf Jahren. Da-mit ist die Herstellung vonGenerika in Zentralamerikasehr erschwert worden. Nichtnur in dem Fall, in dem einGenerikum bisher problem-los auf den Markt gebracht werdenkonnte, weil das Original im Landnicht vertrieben wurde, sondern auchin dem Fall, wo es über Zwangslizen-zen eingeführt wird, ist dies jetzt fünfJahre lang praktisch nicht möglich.

Bisher war es bei der Generika-produktion üblich, dass die Herstellerbei der Registrierung eines Präparatesmit den Zulassungsdaten desOrginalproduktes arbeiten konnten.Es genügte, nachzuweisen, dass diechemische und biologische Zusam-mensetzung mit der des Originalsübereinstimmte. Dieses Verfahren istein Grund dafür, dass Generika häufigsehr viel billiger als die Originalesind, denn die Zulassungsdaten mitklinischen und präklinischen Studienusw. zu erzeugen. ist sehr teuer10 .

Bisher wurde zu diesem Thema im Ar-tikel 39.3 von TRIPs schon gefordert,dass die Zulassungsdaten „vor unlau-terem gewerblichen Gebrauch“ ge-schützt werden müssen. Es liegt alsonahe, dass der Artikel 15.10 nicht sosehr den Schutz geistigen Eigentumsbezweckt, sondern vor allem der US-amerikanischen Pharmaproduktion

die zentralamerikanische Generika-konkurrenz vom Hals schaffen soll.Aus Guatemala wird inzwischen schonder erste Fall einer Klage des US-Pharmakonzerns Pfizer gegen einenGenerikahersteller berichtet11 .

Einstieg in die Patentierung

von Pflanzen

Auch auf dem Gebiet derPatentierbarkeit haben die USA mitdem DR-CAFTA-Abkommen gegen-über den TRIPs-Vereinbarungen Fort-schritte gemacht. Dies betrifft vor al-lem die Patentierung von Pflanzen. ImArtikel 15.9.2 heißt es dazu: „Nichtsin diesem Kapitel ist so zu verstehen,als ob eine Partei daran gehindertwürde Erfindungen von derPatentierbarkeit auszuschließen, so

wie es in den Artikeln 27.2 und 27.3des Abkommens TRIPs festgelegt ist.Jedoch wird jede Partei, die zum Zeit-punkt des Inkrafttretens dieses Vertra-ges keinen Patentschutz auf Pflanzengewährt, alle angemessenen Bemühenaufbieten, diesen Patentschutz zu er-teilen. ..“. Wenn man bedenkt, dass imArtikel 27.3 von TRIPs steht: „Die

Mitglieder können von derPatentierbarkeit auch aus-schließen .. b) Pflanzen undTiere, ..“, dann wirkt dieserAbschnitt höchst widersprüch-lich, denn ganz offensichtlichkollidiert der Text des DR-CAFTA-Vertrages mit denTRIPs-Vereinbarungen, auf dieer sich bezieht, aber den USAwar es anscheinend wichtig,diesen Einsteig in diePatentierung von Pflanzen ge-schafft zu haben. Dass dies inDR-CAFTA erreicht wurde, istbesonders lukrativ, denn diebiologische Vielfalt Zentral-amerikas ist berühmt.

Fazit

Das Kapitel 15 „Rechte angeistigem Eigentum“ in demDR-CAFTA-Vertrag ist Teileiner Strategie, die seit eini-gen Jahren von der US-Regie-rung verfolgt wird und diekurz mit TRIPs-Plus bezeich-net wird12 . Es geht darum inbilateralen und regionalen

Freihandelsverträgen noch schärfereBestimmungen für die geistigenMonopolrechte durchzusetzen, als sieschon im TRIPs-Abkommen festge-legt wurden. Damit sollen Fakten ge-schaffen werden, die später in derWTO Früchte tragen werden, d. h.,dass sie später in die internationalenVereinbarungen des TRIPs-Abkom-mens eingeführt werden sollen. Zen-trale Anliegen sind dabei:• die Ausdehnung der

Patentierbarkeit auf Pflanzen undTiere

• die verbindliche Eingliederung desAbkommens UPOV 91 in das Ver-tragswerk

• die Einführung der Daten-exklusivität für die Zulassung vonMedikamenten undAgrochemikalien.

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15Geistiges Eigentum

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All diese Ziele sind im DR-CAFTA-Abkommen erreicht worden. Dies er-kennen auch Repräsentanten der US-Konzerne an, wie man einem Berichtaus dem Jahre 2004 zu den Vorschrif-ten über geistiges Eigentum im DR-CAFTA-Abkommen 13 entnehmenkann. Es ist offensichtlich, dass dieseBestrebungen nur den Profit-interessen der Konzerne der USA die-nen. Der offensichtliche Kampf ge-gen die Generikahersteller ist einKampf gegen die Versorgung der Ar-men Zentralamerikas mit bezahlbarenMedikamenten. Der Kampf für diePatentierung von Pflanzen und dieEinführung eines rigiden Sorten-schutzes ist ein Kampf gegen dieKleibäuerInnen Zentralamerikas, dienicht mehr wie bisher das Saatgut alsTeil ihrer Ernten gewinnen, sonderndie es jährlich bei den Saatgut-konzernen kaufen und dabei immerwieder deren Lizenzgebühren zahlenmüssen. Das wird auf die Dauer ihrepersönliche Existenz in der Landwirt-schaft in Frage stellen und dieNahrungsmittelsicherheit der Länderder Region weiter gefährden.Patentierung der Pflanzen wird aberauch dazu führen, dass sich die US-Konzerne der Branchen Saatgut undPharmazeutik die enorme biologischeVielfalt der Region aneignen werden,um sie auszubeuten.

Aber die USA und DR-CAFTA sindnur ein Beispiel. Wie schon gesagt,haben in diesen Tagen Verhandlungenzwischen der EU und Zentralamerikazum Abschluss eines Assoziierungs-abkommens begonnen. Wichtiger Teildieses Abkommens wird ein Frei-handelsvertrag sein, der selbstver-ständlich auch ein Kapitel zum Schutzdes geistigen Eigentums enthaltenwird. Aller Wahrscheinlichkeit nachwird es darin um die gleichen Proble-me gehen: die EU wird vor allem diePatentinteressen der europäischentransnationalen Konzerne vertreten.Wir werden die Verhandlungen inner-halb eines AK des Ökumenischen Bü-ros beobachten und darüber berichten.

1 Zitate aus dem DR-CAFTA-Abkommens sindvom spanischen Text übersetzt worden: http://www.minec.gob.sv/tlc/tlc_web/pdf/Usa/capitulo15.pdfEine englische Version findet sich unter: http://www.ustr.gov/assets/Trade_Agreements/Bilate-ral/CAFTA/CAFTA-DR_Final_Texts/

asset_upload_file934_3935.pdf2 Bödeker, Sebastian/Molden-hauer, Oliver/Rubbel, Benedikt(2005): Wissensallmende https://www.attac.de/wissensallmende/basistext/3 Unter http://archiv.jura.uni-saarland.de/BGBl/TEIL2/1994/19941730.2.HTML findet man einedeutsche Übersetzung des TRIPs-Abkommens.4 Der Beitrag „Adventure TRIPS– Die Globalisierung geistiger Ei-gentumsrechte im Nord-Süd-Kon-flikt“ ist Teil der Publikation derBundeszentrale für politische Bil-dung, Band 552: Wissen und Ei-gentum, http://www.bpb.de/files/MJPQ2J.pdf5 Details hierzu siehe die Veröf-fentlichung der EU unter http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l21168.htm6 Zu weiteren Informationen, wiez. B. hinsichtlich der direktenEinflussnahme US-amerikanischerUnternehmen der Branchen Saat-gut und Pharmazeutik auf das Zu-standekommen des Abkommens,sowie die Auswirkung von TRIPsauf die für die Länder des Südensso immens wichtige Generika-produktion im Medizinbereich, seiauf den sehr lesenswerten Beitragvon Corinna Heineke verwiesen.7 Seit der WTO Konferenz 1996in Singapur versuchen die Länderdes Nordens vergeblich „Fort-schritte“ in ihrem Sinne bei denThemen Investitionen, Wettbe-werb, öffentliches Beschaffungs-wesen und Handelserleichte-rungen innerhalb der WTO zu er-reichen8 Zitiert nach Gen-ethischer In-formationsdienst 173 Dezember2005, Ute Sprenger: Von multi- zubilateralen Handelsabkommen,http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4229 Die Informationen dieses Ab-schnittes entstammen dem Be-richt, den MSF im Jahre 2004 demUS-Kongress vorgelegt hat http://www.msf.es/images/CAFTA_InformeCongresoEEUU_040505_ES_tcm3-3514.pdf10 Zu dem komplizierten ThemaDatenexklusivität gibt es einen gu-ten Artikel der Deutschen Aids-Hilfe http://www.hivreport.de/media/de/2007_03_HIVReport.pdf11 “A un año del TLC…Recuentodel los daños” http://www.ciid-gt.org/info/informetlc1.pdf12 Siehe z. B. die http://www.grain.org/rights/tripsplus.cfm13 Industry Functional AdvisoryCommittee on Intellectual PropertyRights for Trade Policy Mattershttp://www.grain.org/rights_files/ifac03%20on%20CAFTA.pdf

Glossar

Geistige Eigentumsrechte

Geistige Eigentumsrechte bezeichnen Exklu-sivrechte an immateriellen Gütern, z.B. Wis-sen oder Ideen. Immaterielle Güter sindnicht endlich und können ohne Qualitäts-verlust beliebig oft gebraucht werden. Siekönnten deshalb von beliebig vielen Perso-nen gleichzeitig genutzt und extrem kosten-günstig vervielfältigt werden. Um dennocheine kapitalistische Verwertung sicherzustel-len, wird durch geistige Eigentumsrechteeine künstliche Verknappung erzeugt. DerSchutz des geistigen Eigentums ermöglicht

dem Rechteinhaber anderen Personen die Ver-wendung, Nachahmung oder Nutzung zu ver-bieten oder dafür Lizenzgebühren zu erheben.Durch die Ausweitung der geistigen Eigen-tumsrechte wird zunehmend freies Wissen zumonopolisiertem Privateigentum.1

Öffentliches Gut

Der Begriff der öffentlichen Güter stehtdem Begriff der Ware diametral gegenüber.Der Zugang zu öffentlichen Gütern sollgrundsätzlich allen Mitgliedern einer Gesell-schaft, unabhängig von ihrem Einkommen,offen stehen.Im Rahmen eines Konzepts von Essentialitätmüssen Arzneimittel und andere lebenswich-tige Bereiche der Daseinsvorsorge als öf-fentliche Güter begriffen werden. Folglichsollten sie prinzipiell vom Patentschutz aus-genommen sein. Ein Blick auf die Arznei-mittelforschung zeigt, dass Arzneimittel alsöffentliches Gut keine Utopie bleiben müs-sen. Der Großteil der Grundlagenforschungwird bereits in staatlichen Einrichtungen ge-leistet. Auch klinische Studien werden ver-mehrt von öffentlichen Einrichtungen durch-geführt. In letzter Zeit haben auch in den Na-turwissenschaften öffentliche Forschungs-

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Geistiges Eigentum

projekte, die mit ähnlichen Schematawie Open-Source im Softwarebereicharbeiten, große Erfolge erzielt. Da imBereich der umstrittenen und starkkommerzialisierten Biotechnologiekaum noch eine Neuentwicklungmöglich ist, ohne Patente andererForscher zu verletzen, hat sich dasProjekt zur Entschlüsselung desmenschlichen Erbgutes zum Grund-satz gemacht, den freien Austauschvon Wissen wieder in den Vorder-grund zu stellen. Die Vorteile werdenschnell deutlich. Der Zugang zu Datenist einfach und sie können öffentlichund weltweit von anderen Forscherndiskutiert werden. Fehler werdenschneller entdeckt und der For-schungsprozess ist transparent,schneller, billiger und qualitativ hoch-wertiger.

Dies gilt ebenso für den Pharma-sektor. Mit dem Ausbruch des SARS-Virus kam es weltweit zu einer beein-druckenden Kooperation vieler Wis-senschaftler bei der Bestimmung desErregers und der Entwicklung von Ge-genmaßnahmen. Auch die unabhängigeNon-Profit-Organisation DNDi(Drugs For Neglected Diseases Initia-tive) hat mit der Markteinführung ei-nes neuen Malaria-Medikaments be-wiesen, dass die Entwicklung neuer

Medikamente auch ohne Patentschutzmöglich ist. DNDi hat sich zum Zielgesetzt hat, wirksame Arzneimittelgegen Krankheiten zu entwickeln, andenen vor allem Menschen in ärmerenLändern leiden. Analog zum Open-Source-Gedanken darf jedes Pharma-unternehmen diese Medikamente pro-duzieren.1

Patent

Ein Patent ist ein hoheitlich erteiltesgewerbliches Schutzrecht auf Erfin-dungen. Es wird ein meist 20-jährigesAusschlussrecht gewährt, um damitdie Forschungs- und Entwicklungsko-

sten amortisieren zu können. Das be-deutet aber auch ein Monopol aufWissen. Darüber ob oder unter wel-chen Bedingungen dieses Wissen vonDritten genutzt werden darf, entschei-det der Patentinhaber. Dieses Mono-pol ermöglicht der Pharmaindustriedie Medikamentenpreise zu diktierenund künstlich hoch zu halten. Damitbleiben lebenswichtige Arzneimittelfür Arme unerreichbar oder werdenerst gar nicht erforscht. Patente alsAnreizstruktur zur Entwicklung neuerWirkstoffe funktionieren nur inkaufkraftstarken Marktsegmenten.Diese finden sich hauptsächlich in In-dustrieländern. So werden 90% derForschungsmittel für Krankheitenausgegeben, die nur 10% der weltweitverlorenen gesunden Lebensjahre aus-machen. Eine Forschung zur Behand-lung von sog. Armutskrankheiten wieMalaria oder Tuberkulose, die prak-tisch ausschließlich die Entwick-lungsländer betreffen und deren kom-merzielles Potential gering ist, findetvon Seiten der profit- und patent-orientierten Pharmakonzerne kaumstatt.

Stattdessen werden Forschungs-gelder, laut Zahlen des amerikani-schen Pharma-Verbandes PhRMA, zu70% in Scheininnovationen investiert.Diese Nachahmerprodukte von er-folgreichen Medikamenten der Kon-kurrenz werden auch als me-too-Pro-dukte bezeichnet. Sie bringen keinenzusätzlichen therapeutischen Nutzen,sind aber patentiert, teuer und gut fürdie Bilanz der Unternehmen. Da me-too-Präparate im Grunde überflüssigsind, wird dafür umso mehr für Wer-bung ausgegeben. So verwundert eskaum, dass Pharmaunternehmen imSchnitt für Forschung nur halb so vielGeld ausgeben wie sie in die Werbungstecken.

Die wenigen neuen Medikamente,die wirklich einen medizinischenFortschritt bringen, stammen haupt-sächlich aus der öffentlich finanzier-ten Grundlagenforschung. Dennochstrebt die deutsche G8-Präsident-schaft eine weitere Ausweitung undVerschärfung des Patentschutzes an“.1

Zwangslizenz

Zwanglizenzen wurden auf Druck derafrikanischen Staaten, als Schutzrech-te für die öffentliche Gesundheit in

das Welthandelsrecht integriert. ImNovember 2001 verabschiedeten dieWTO-Mitgliedstaaten in Doha eineErklärung zum TRIPS-Abkommen,nach der Ausnahmen des Patentschut-zes aufgrund schwerer öffentlicherGesundheitsprobleme erlaubt sind.D.h. alle WTO-Mitgliedstaaten habenzur Bewältigung von Krisen im öf-fentlichen Gesundheitswesen dasRecht mit Hilfe von ZwangslizenzenGenerika von patentgeschützten Me-dikamente herzustellen oder zu im-portieren. Jeder Mitgliedstaat darf da-bei selbst festlegen, was einen natio-nalen Notstand oder einen anderenUmstand äußerster Dringlichkeit dar-stellt. Krisen durch HIV/Aids, Tuber-kulose, Malaria oder anderen Epide-mien können solche Situationen sein.Allerdings wurden Zwangslizenzenvon wirtschaftlich ärmeren Ländernwegen der Komplexität des Verfah-rens bisher kaum eingesetzt. WeitereHindernisse bestehen für Länder ohneausreichende Pharma-Produktionska-pazitäten, da sie notwendige Arznei-mittel nicht einfach importieren kön-nen, sofern diese im Exportlandpatentgeschützt sind. Außerdem wer-den Zwangslizenzen weiter von derUS-Regierung und der Pharmaindu-strie bekämpft. Um Zwangslizenzenabzuwenden und ihre Etablierung zuverhindern, sahen sich einige Pharma-firmen gezwungen „freiwillige Lizen-zen“ zu erteilen. Zwar wird dann meistauf die Zahlung von Lizenzgebührenverzichtet, aber die Macht über dasPatent und die Generikaproduktionbleibt den Pharmakonzernen erhal-ten.1

Urheberrecht

Mit Urheberrecht wird in einemRechtssystem der Schutz eines Werksfür seinen Urheber bezeichnet. DieserSchutz berücksichtigt die wirtschaftli-chen Interessen und die Ideale des Ur-hebers am Werk, wird aber zur Wah-rung der Interessen der Allgemeinheiteingeschränkt (Schranken des Urhe-berrechts, z. B. Zitatrecht und Privat-kopie).

Das Urheberrecht schützt geistigeund künstlerische Leistungen, z. B.Kompositionen, Gemälde, Skulptu-ren, Texte, Theaterinszenierungen,Fotografien, Filme, Rundfunks-endungen, Musik- und Tonaufnahmen.

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Ein urheberrechtlicher Schutz ist nurdann möglich, wenn die geistige oderkünstlerische Leistung eine angemes-sene Schöpfungshöhe aufweist, alsovereinfacht ausgedrückt ‘kreativ’ ge-nug ist. Ist dies nicht der Fall, bleibtdas Werk gemeinfrei d. h. der Urhe-ber hat keinen Anspruch auf einenSchutz. Das Urheberrecht muss nichtangemeldet werden, es entsteht imMoment der Schaffung.

Dem Urheber steht das Recht derVerwertung seines Werkes zu, diesesbeinhaltet die Vervielfältigung, dieVerbreitung, die Ausstellung, die öf-fentliche Wiedergabe und die Bear-beitung des Werkes. Er darf die Rah-menbedingungen der Verwertung fest-legen, er hat somit das Recht auf dieErstveröffentlichung und auf die ersteInhaltsmitteilung. Zudem ist dieUrheberrechtsbezeichnung geschützt,so darf niemand ohne Einwilligungdes Urhebers den Namen oder denKünstlernamen des Urhebers an einOriginal oder an eine Kopie anbringenoder das Werk entstellen.

Eine Reihe von wichtigen Merk-malen des Urheberrechts (Umfangder Verwertungsrechte, Schutzdauer,Übertragbarkeit ...) sind in verschie-denen Ländern unterschiedlich gere-gelt. [...]2

Copyright

Das Copyright [...] ist die anglo-amerikanische Bezeichnung für dasImmaterialgüterrecht an geistigenWerken. Es ist dem deutschen Urhe-berrecht ähnlich, unterscheidet sichjedoch in wesentlichen Punkten. Be-reits der Ansatz ist ein anderer: Wäh-rend das deutsche Urheberrecht denUrheber als Schöpfer und seine ideel-le Beziehung zum Werk in den Mittel-punkt stellt, betont das Copyright denökonomischen Aspekt. Es dient vorallem dazu, wirtschaftliche Investitio-nen zu schützen. Vor diesem Hinter-grund kommen das angloamerikani-sche und das kontinentaleuropäischeRecht in zahlreichen Rechtsfragen zuunterschiedlichen Ergebnissen.

Im Copyright des angloamerika-nischen Rechtssystems werden imGegensatz zum kontinentaleuropäi-schen Urheberrecht die Entscheid-ungs- und Verwertungsrechte über einWerk oft nicht dem Urheber (zumBeispiel dem Künstler) zugestanden,

sondern den wirtschaftlichen Rechte-verwertern, zum Beispiel dem Verlag.Der Urheber behält dann einge-schränkte Veto-Rechte, die den Miss-brauch des Copyrights seitens derRechteverwerter verhindern sollen.[...]2

Copyleft

Das Copyleft-Logo. Es ist ein vertikalgespiegeltesCopyright-

Zeichen (©), eines also, das nachlinks statt nach rechts geöffnet ist.

Copyleft (direkt übersetzt:„Kopierlinks“) ist ein Wortspiel mitdem englischen Begriff „Copyright“(„Kopierrecht“) – wie auch dem „left“im Sinn von „überlassen“ (Partizip von„to leave“). Es ist ein Verfahren, dasUrheberrecht zu verwenden, um eineunbeschränkte Verbreitung von Kopi-en und veränderten Versionen einesWerkes sicherzustellen. Die Bedin-gung hierbei ist, dass man den Perso-nen, an die man Kopien oder verän-derte Versionen weitergibt, dieselbenFreiheiten gewähren muss, die manselbst dabei hatte.

Dieses Schutzverfahren kommt inbestimmten Lizenzen, meistens sol-che für freie Software und freie Inhal-te, zur Anwendung, welche Weiterver-breitung und Modifikationen erlau-ben. Eine der bekanntesten Copyleft-Lizenzen ist die GNU General PublicLicense (GPL). [...]2

Creative Commons

Creative Commons [...] ist eine ge-meinnützige Gesellschaft, die imInternet verschiedene Standard-Li-zenzverträge veröffentlicht, mittelsderer Autoren an ihren Werken, wiezum Beispiel Texten, Bildern, Musik-stücken usw. der Öffentlichkeit Nut-zungsrechte einräumen können. An-ders als etwa die von der Freie-Soft-ware-Szene bekannte GPL, sind dieseLizenzen jedoch nicht auf einen ein-zelnen Werkstyp zugeschnitten, son-

dern für beliebige Werke. Ferner gibtes eine starke Abstufung der Frei-heitsgrade: von Lizenzen, die sichkaum vom völligen Vorbehalt derRechte unterscheiden, bis hin zu Li-zenzen, die das Werk in die PublicDomain stellen, das heißt, bei denenauf das Urheberrecht so weit wiemöglich verzichtet wird. [...]2

Sortenschutz

Der Sortenschutz schützt das geistigeEigentum an Pflanzenzüchtungen. AlsZüchter oder Entdecker einer neuenSorte kann man den Sortenschutz aufGrundlage des Sortenschutzgesetzesbeim Bundessortenamt beantragen.Hierbei handelt es sich um ein eigen-ständiges geistiges Eigentumsrechtbzw. geistiges Monopolrecht undnicht um ein Patent. Schutzfähig isteine Sorte wenn sie folgende Kriteri-en erfüllt:• Neuheit• Homogenität• Beständigkeit• Unterscheidbarkeit• eintragbare Sortenbezeichnung [...]2

Marke (Rechtsschutz)

[...] Eine Marke – früher auch unterdem Begriff Warenzeichen bekannt –ist ein besonderes, rechtlich ge-schütztes Zeichen, das dazu dient,Waren oder Dienstleistungen einesUnternehmens von Waren und Dienst-leistungen anderer Unternehmen zuunterscheiden. Häufig werden Markenmit einem ® (wenn die Marke amtlichregistriert, d. h. in einem zumindestnationalen Markenverzeichnis erfolg-reich registriert wurde) oder ™(trademark – sagt jedoch nichts überden Status einer Registrierung, ledig-lich über den Einsatz der Marke imGeschäftsverkehr aus) gekennzeich-net. Eine Marke, die nicht zu einemProdukt sondern zu einem Dienst ge-hört, heißt Service Mark, Kenn-zeichenSM. [...]

Markenrechte sind ähnlich wie Pa-tente und Urheberrechte geistiges Ei-gentum [...]2

1: http://www.medico-international.de/kampagne/gesundheit/glossar.asp?medium=print&Stand: 30. November 2007, 18:14 Uhr2: http://de.wikipedia.org/wiki/Stand: 5. November 2007, 12:06 UhrCartoon: http://images.google.de

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BUKO-Kampagne gegen BiopiraterieMais dient in Deutschland in erster Li-nie als Futtermittel. Ganz anders in Me-xiko, dort ist Mais ein Grundnahrungs-mittel mit einer unüberschaubaren Viel-zahl von Sorten und hat – vor allem fürdie indigene Bevölkerung – eine hohekulturelle Bedeutung. Dass sich mitMais auf dem internationalen Agrar-markt viel Geld verdienen lässt, hat bei-spielsweise DuPont erkannt, einer derweltweit größten Saatgut-Konzerne.DuPont erhielt im Jahr 2000 vom euro-päischen Patentamt (EPA) ein Patentauf Maispflanzen, deren Körner einenbesonders hohen Ölgehalt aufwiesen.Die patentierten Pflanzen waren vonDuPont durch Kreuzungen gezüchtetworden. Allerdings gibt es Maissortenmit einem derart hohen Ölgehalt schonseit langem, hervorgebracht durch züch-terische Arbeit von BäuerInnen. Das er-teilte Patent hätte bewirkt, dass DuPontEigentumsrechte auch an diesen tradi-tionellen Maissorten hätte geltend ma-chen können. Beim Patentamt wurdemit Erfolg Einspruch gegen das Patenteingelegt: die Beschwerdekammer desEuropäischen Patentamts erklärte esletztlich für ungültig.

Der Ölmais ist kein Einzelfall

2003 erteilte das EPA dem KonzernMonsanto ein Patent auf eine Weizen-sorte mit besonderer Backqualität, dieursprünglich in Indien gezüchtet wur-de. Monsanto war es gelungen, Genab-schnitte in der Pflanze zu beschreiben,die für besondere Backeigenschaftenverantwortlich sein sollen. Diese Ent-deckung der natürlichen Gen-Kombi-nation ließ sich Monsanto als Erfin-dung patentieren. Das Patent umfasstein faktisches Monopol auf die Pflan-zen selbst, Kreuzungen daraus und dasaus ihnen gewonnene Mehl sowie alle

Backprodukte. Es wurde für 13 euro-päische Staaten gleichzeitig erteilt unddarüber hinaus auch in Japan, Austra-lien und Kanada angemeldet, in denUSA bestand es bereits seit 1999. DerKonzern kann in diesen Ländern jegli-chen Handel mit entsprechendem Saat-gut kontrollieren - andere Züchter undLandwirte dürfen mit dem patentiertenSaatgut nicht mehr arbeiten.

Ähnliche Beispiele gibt es viele.Immer wieder werden Patente aufPflanzenmerkmale erteilt, weil einKonzern beansprucht, eine Erfindunggemacht zu haben. Eine ähnliche Ent-wicklung ist mittlerweile auch im Be-reich der Nutztiere im Gange. So hatMonsanto ein Patent auf ein Schwei-ne-Gen beantragt, das sich auch inSchweinerassen findet, die nicht vonMonsanto gezüchtet worden sind undschon seit langem existieren.

Neokolonialismus des

21. Jahrhunderts

Ein weltweiter Wettlauf der großenKonzerne um die genetischen Ressour-cen ist im Gange. Wurde im 18. und 19.Jahrhun-dert in Eu-ropa dasLand ein-gehegt undprivati-siert, sosteht der-zeit diePrivatisie-rung derPflanzen-vielfalt –jedenfallssoweit siekommerzi-ell ver-wendbar

ist – auf der Tagesordnung. Dabei habenüber 90% der Patentinhaber ihren Sitzin den Industriestaaten. Die Patente be-finden sich weitgehend in der Hand we-niger dort ansässiger transnationalerKonzerne. Die größte biologische Viel-falt befindet sich allerdings in dennicht-industrialisierten Ländern.

Die Wissenschaftstheoretikerin undTrägerin des alternativen NobelpreisesVandana Shiva bringt die Kritik an derPatentierung von Lebewesen so auf denPunkt: „Die Gentechnik und diePatentierung von Leben stellen jedeForm des Kolonialismus, die wir bis-lang kannten, in den Schatten. Es werdenheutzutage Räume kolonialisiert, vondenen man früher nie zu träumen wagte.Lebensgrundlagen, Zellen, Tiere, Pflan-zen. Alles aufgrund der neuen techni-schen Möglichkeiten. Die Genpatentesind die Kanonenkugeln von heute.“

Biopiraterie bezeichnet die Aneig-nung von Pflanzen, Tieren oder Genendurch geistige Eigentumsrechte. Pa-tente, Sortenschutzrechte und Mar-kenrecht geben dem Inhaber dasRecht, eine bestimmte Idee, Erfin-dung, Pflanzen oder einen Namen in

Biopiraterie: die Einhegung

und Privatisierung der

Pflanzenvielfalt

Globaler Neokolonialismus im 21. Jahrhundert

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einem Land ausschließlich zu nutzen.Andere Nutzungsinteressenten kön-nen höchstens Lizenzen beim Rechte-inhaber beantragen, für die sie dannGebühren bezahlen müssen. GeistigeEigentumsrechte verleihen dem Inha-ber also eine Art Monopol zurKommerzialisierung bestimmter Ide-en und daraus hergestellter Produkte.

Häufig ist bei der Patentanmeldungder konkrete kommerzielle Nutzen ei-nes bestimmten Stoffs oder Gen-Ab-schnitts noch nicht klar. Der “run” aufdie Patentierung von Genen mit unge-wisser Ausbeute erinnert an das Ab-stecken von Claims in Zeiten einesGoldrauschs. Wissen, DNA-Strukturenund biologische Prozesse werden zurprivaten strategischen Zukunftsres-source, die den Patentinhabern zukünf-tig Gewinne sichern und heute schonden Unternehmenswert steigern soll.

Objekt der Begierde: Heil-

und agrarische Nutzpflanzen

Neben den wichtigen Agrarpflanzengeht es den Biopiraten vor allem um dieVerwertung traditioneller Heilpflanzen.Pharma- und Biotech-Konzerne suchennach pflanzlichen Ausgangsstoffen unddem dazugehörigen traditionellen Wis-sen, um “neue” gewinnbringende Medi-kamente und Nahrungsergänzungsmittelzu entwickeln.

Ein bekanntes Beispiel für paten-tierte Heilpflanzen ist die Ayahuasca-Liane aus dem Amazonasgebiet. Siegilt vielen indigenen Gemeinschaftenals heilig und wird u.a. als halluzino-gene Arzneipflanze genutzt. 1986 ließsich Loren Miller das PatentUS5751P darauf erteilen. Nach einergroßen internationalen Kampagne wardas Patent 1999 zunächst außer Kraftgesetzt, doch 2001 wieder für gültigerklärt worden.

In Indien ist es der Neembaum mitseinen heilenden und desinfizierendenWirkungen, der mittlerweile mit über1000 Patenten auf seine Einzelbe-standteile belegt ist. Aus dem südli-chen Afrika stammt der Hoodia-Kak-tus, dessen Extrakt als natürlicher Ap-petithemmer patentiert wurde. Gelb-wurzel, schwarzer Pfeffer, Basmati-reis, Quinoa und Ingwer sind nur wei-tere Beispiele in einer langen, zumTeil kaum bekannten Liste von Pflan-zen, auf die Patente erteilt wurden.

Mehr Macht für

weniger Konzerne

Die Konzentrationsprozesse bei Phar-ma-, Agrochemie- und Saatgut-konzernen verlaufen atemberaubendschnell. Gab es vor 30 Jahren nochTausende kleiner Saatgutfirmen, sokontrollierten 2003 die 10 größtenSaatgutfirmen ein Drittel, die zehngrößten Pharmakonzerne 53%, unddie 10 größten Agrochemieunter-nehmen sogar über 80% des jeweili-gen Weltmarktes. Manche trans-nationalen Konzerne sind in den Be-reichen Pharma, Saatgut und Agro-

chemie gleichermaßen aktiv, was dieMachtkonzentration zusätzlich ver-schärft. Pharmacia/Monsanto, Syn-genta, Aventis (Bayer), Dupont (Pio-neer) und Dow etwa gehörten 2003 inallen drei Sparten zu den zehn größtenKonzernen.

Durch zielstrebige Firmenauf-käufe in den letzten Jahren hat bei-spielsweise Monsanto seine Vor-machtstellung im Saatgut- undAgrochemiebereich weiter ausgebaut.Monsanto ist einer der führendenHerbizidhersteller, marktführend fürGemüse-Saatgut, hält große Anteiledes Saatgutmarkts für Mais undBaumwolle und ist außerdem derweltgrößte Anbieter von genetischverändertem Saatgut. Diese Markt-und Machtkonzentration ermöglichtpolitische Einflussnahme auf allenEbenen.

Im Paragraphendschungel

Wie funktioniert weltweiteBiopiraterie nun rechtlich? Patenteund andere geistige Eigentumsrechtewerden auf nationaler Ebene rechtlichgeregelt. Ein Patent gilt zunächst nurin dem Land, für das die jeweilige na-

tionale Patentbehörde das Patent er-teilt hat. So hat beispielsweise ein Pa-tent des US Patent and Trademark Of-fice in Europa keine Gültigkeit.

Patentgesetze schreiben vor, dassnur patentiert werden kann, was neuist, einen erfinderischen Schritt ent-hält, gewerblich anwendbar und aus-reichend beschrieben ist. Als neu giltin manchen Patentgesetzen alles, wasnoch nicht schriftlich festgehalten ist.Anerkannt wird damit nur das Wissen,das im westlichen, wissenschaftlichenSystem verschriftlicht wurde. Mündli-ches traditionelles Wissen und Kul-turüberlieferungen, etwa die Rezepte

der Jahrtausende alten ayurvedischenMedizin aus Indien, sind damit – so-lange sie nicht aufgeschrieben werden– zur Ausbeutung freigegeben.

Die nationalstaatliche Souveränitätzur Ausgestaltung des Patentrechteswurde mit der Errichtung der Welthan-delsorganisation WTO Anfang 1995eingeschränkt. Jedes WTO-Mitgliedmuss den TRIPS-Vertrag über “handels-bezogene Aspekte geistiger Eigentums-rechte” unterzeichnen und verpflichtetsich damit auf bestimmte Mindest-normen seines Patentrechtes und ande-rer Schutzrechte für immaterielle Gü-ter. Damit gelang es, nach jahrelangerharter Lobbyarbeit vor allem der Phar-ma-, Biotech- und Softwarekonzerne,das Patentrecht in den Industrieländernzu erweitern und in den Entwicklungs-ländern überhaupt neu einzuführen.

Die Durchsetzung und Verschär-fung geistiger Eigentumsrechte blei-ben auch ansonsten auf der Agendader G8-Staaten. So verhandelt die EUderzeit mit den AKP-Staaten über sogenannte “Economic PartnershipAgreements” (EPAs). Diese sollen bisEnde des Jahres unterzeichnet werdenund auch Klauseln über verschärftegeistige Eigentumsrechte enthalten.

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Geistiges Eigentum

Enteignung der BäuerInnen

durch Sortenschutzgesetze

Neben dem Patentrecht ermöglichenauch Sortenschutzrechte die privateAneignung von Pflanzen. Dieses gei-stige Eigentumsrecht gibt es seit guteinem halben Jahrhundert, wobei essich anfangs noch deutlich vom Pa-tentrecht unterschied: Die herkömm-liche Praxis der BäuerInnen, einenTeil ihrer Ernte im folgenden Jahr alsSaatgut wieder auszubringen, der so-genannte Nachbau, war im Sorten-schutzrecht verbrieft, genauso wie dieSelbstverständlichkeit unterBäuerInnen, Saatgut zu tauschen undweiter zu züchten.

Auch die Verschärfung des Sorten-schutzrechts geschah über die Grün-dung internationaler Organisationen.Nachdem in den 60er Jahren Deutsch-land, die Niederlande und Großbritan-nien die Organisation UPOV für dieVereinheitlichung und Verstärkung derRechte an Pflanzenzüchtungen ge-gründet hatten, traten im Laufe der1970er und 80er Jahre weitere EU-Länder und andere Industriestaatenbei. Nach 1991 wurde die UPOV auchauf Osteuropa und auf Entwicklungs-länder ausgedehnt. Besonders jedochdie Revision des UPOV-Vertrags von1991 – und nur dieser Version könnenNeumitglieder beitreten – näherte dasSortenschutz- dem Patentrecht an unddegradierte alte bäuerliche Rechte aufNachbau und Weiterzüchtung zu(noch) geduldeten Ausnahmeerschei-nungen. Eine weitere Verschärfungmit der völligen Annullierung der al-ten Rechte droht in den nächsten Jah-ren als “UPOV 2011” durchgesetzt zuwerden.

Von dieser Situation im internatio-

nalen Sortenschutzrecht profitierenweltweit agierende Saatgutkonzerne,die immer größere Mengen an Saatgutverkaufen. Der Anbau von sorten-schutzrechtlich geschütztem und pa-tentiertem Saatgut hat sich vor allemin der industrialisierten Landwirt-schaft durchgesetzt. Global betrachtetverwenden allerdings noch zwischen70 und 80% der BäuerInnen traditio-nelle, lokale, freie Sorten. Das erklärtdas große Interesse der Agrarkon-zerne, zur Zeit vor allem in Afrika, ander sogenannten “Entwicklung” derLandwirtschaft, einer “zweiten Grü-nen Revolution”. Gelingt es dort, un-ter dem Vorwand der Modernisierungeiner rückständigen Landwirtschaftden Einstieg der BäuerInnen in ge-kaufte Hybrid- und Gentechsorten zubewirken, gewinnen die Saatgut- undAgrarkonzerne einen großen Marktdazu. Die BäuerInnen verlieren damitdie Kontrolle über ihr Produktions-mittel Saatgut und einen Teil ihrer Au-tonomie.

Die Konvention über

biologische Vielfalt (CBD)

Ein weiteres internationales Ab-kommen, das für biologische Vielfalt,ihre Verwertung und Kommodifizie-rung eine zentrale Rolle spielt, ist die1993 in Kraft getretene “Konventionüber biologische Vielfalt” (CBD). Mitihr verknüpften ursprünglich vieleNaturschutzorganisationen, viele Re-gierungen sogenannter Entwicklungs-länder und indigene Gemeinschaftengroße Erwartungen. Erstere erhofftensich den Schutz der Biodiversität unddie Regierungen erwarteten eine zu-sätzliche Einnahmequelle durch diese“neue” Ressource. Die indigenen Ge-meinschaften hofften auf die Aner-kennung ihrer Rechte an der biologi-

schen Vielfalt und dem damit verbun-denen traditionellen Wissen. Sie spie-len in dieser Diskussion eine speziel-le Rolle, da die größte biologischeVielfalt sich häufig in den Regionenbefindet, in denen Menschengruppenseit Jahrtausenden nach ihren traditio-nellen Mustern leben, die Pflanzen-vielfalt gefördert und enormes Wis-sen über sie gesammelt haben.

Ursprünglich stand der Gedankedes Schutzes von Biodiversität alsganzer, d.h. der Artenvielfalt, der Viel-falt der Ökosysteme und der geneti-schen Vielfalt, im Mittelpunkt. Aller-dings wurde von Anfang an derSchutzgedanke mit dem Gedanken derNutzung verbunden: Nur wenn Vielfaltökonomisch nutzbar werde, seienMenschen auch bereit, sie zu schüt-zen. Ignoriert wird dabei, dass lokaleund indigene Gemeinschaften schonimmer die zu schützende Vielfalt ge-nutzt haben, wenn auch nicht im kapi-talistischen Sinne. Gerade durch ihrenichtkapitalistische Lebensweise ha-ben sie in ihren Regionen die hohebiologische Vielfalt entwickelt underhalten.

Eine der Hauptstreitfragen bezüg-lich der CBD dreht sich um das soge-nannte “Access and Benefit Sharing”(ABS), d.h. den Zugriff auf und denVorteilsausgleich für die Nutzung vongenetischen Ressourcen.Forschungsinstitutionen und Konzer-ne (in der Regel aus den industriali-sierten Ländern) sind am Zugang zugenetischen Ressourcen interessiert,während das jeweilige Land, in demsich das biologische Material befin-det, Ausgleichszahlungen für die Nut-zung einfordert.

Indigene BeobachterInnen derCBD-Verhandlungen sind in ihrer Po-sition zu ABS-Regelungen gespalten.Einig sind sie sich in der Ablehnung

BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie

Die BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie in Deutschland versteht sich als Teilder Proteste gegen Biopiraterie und verbreitet seit 5 Jahren Informationen überBiopiraterie. Mit der Kampagne “Von G8 zu COP 9” sollen Zusammenhängeder beiden internationalen Großevents in Deutschland deutlich gemacht wer-den. Bei der COP 9 geht es um die konkrete Verteilung der Nutzungsrechte anbiologischer Vielfalt. Die Kampagne beteiligt sich an Protestaktionen und Dis-kussionen und führt Informationsveranstaltungen und Aktionen durch. Sie freutsich über neue engagierte MitstreiterInnen! Mehr Informationen unter:www.biopiraterie.de

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21Geistiges Eigentum

Infoblatt 71

von Patenten auf Leben, gegen diesich die CBD nicht ausspricht. Für ei-nige indigene VertreterInnen bedeutetdaher die Zustimmung zu ABS-Ver-handlungen und zu ABS eine Legiti-mierung von Patenten auf Leben.Wenn man einmal Ausgleichszahlun-gen für die Fortgabe von biologi-schem Material und Wissen akzeptierthabe, könne man alles Weitere, wasdamit passiert, nicht mehr kritisieren,so ihre Argumentation. In ihrer Ableh-nung von ABS finden sie sich jedochan der Seite von VertreterInnen vonForschung und Wirtschaft, die ausGewinninteresse gegen eine verbind-liche Einführung von ABS-Regelnsind. Deshalb wollen sich andereindigene Vertreter auf ABS-Verhand-lungen einlassen und für eine Beteili-gung an den Profiten kämpfen, umwenigstens ein paar Krümel vom Ku-chen abzubekommen.

2008: CBD-Konferenz in

Bonn (COP9)

Obwohl die CBD ursprünglichökologische und soziale Aspekte inBezug auf den Schutz von Biodiversi-tät aufgegriffen hatte, stehen zuneh-mend und fast ausschließlich der Zu-gang und die Handhabung von geneti-schen Ressourcen im Vordergrund.Die deutsche Regierung, die der Gast-geber der COP 9 in Bonn sein wird,

will sichin umwelt-politi-schen Fra-gen profi-lieren,nennt dieKonferenzeinfachNatur-schutz-konferenzund ver-schleiertdamit dieim Zen-trum ste-hende po-litischeMachtfra-ge um dieNutzungbiologi-scher Res-

sourcen. Sie blendet die Rolleindigener und lokaler Gemeinschaftenaus, lässt die Verletzung ihrer Rechteund ihre Ausbeutung unsichtbar werden.

Die großen Naturschutzorganisa-tionen freuen sich und fordern mehrNaturschutzgebiete, häufig ohne zuerwähnen, dass diese Gebiete be-wohnt sind. Den Forschungsinstitu-tionen und Konzernen kommt die Ein-führung von Naturschutzgebieten ge-rade recht, dienen sie ihnen doch alsgroße Freiluftlabore zur Erforschungvon biologischer Vielfalt.

Für die betroffene Bevölkerungbedeutet die Einrichtung von Natur-schutzgebieten letztlich die Zerstö-rung ihrer Lebensgrundlage. Oft dür-fen die Menschen ihre ursprünglichenTerritorien nicht mehr betreten, nichtmehr darin jagen oder Pflanzen sam-meln. Nicht selten werden sie im Na-men des Naturschutzes umgesiedeltoder vertrieben.

Dabei ist die wichtige Rolle vonindigenen Gemeinschaften und klein-bäuerlichen Strukturen für die biolo-gische Vielfalt längst klar. Subsistenz-wirtschaft und kleinteilige ökologi-sche Landwirtschaft erhält und fördertdie Vielfalt landwirtschaftlicher Sor-ten. Industrialisierte Landwirtschaftmit Monokulturanbau und groß-flächigem Pestizideinsatz zerstört siedagegen. Es ist keine neue Erkenntnis,dass das herrschende kapitalistische

Entwicklungsmodell, das auf Indu-strialisierung und ungebremsten Ver-brauch von natürlichen Ressourcenmit Wachstumssteigerung undGlobalisierung setzt, verantwortlichfür den Verlust von biologischer Viel-falt ist. Die stattfindende Homogeni-sierung der Kulturen beschleunigtdiese Zerstörung noch, denn letztlichist biologische Vielfalt nur bei geleb-ter kultureller Vielfalt möglich.

Proteste gegen Biopiraterie

und Alternativen

Weltweit regt sich Widerstand ge-gen die immer weiter gehende Mono-polisierung der Kontrolle über biolo-gisches Material. Ein Beispiel für er-folgreichen Protest ist die Cupuaçu-Frucht aus Brasilien. Ein japanischesUnternehmen hatte sich den Namenals Marke schützen lassen, so dassbrasilianische Konfitüre-Produzent-Innen ihr Cupuaçu-Gelee nicht unterdiesem Namen in Europa vertreibendurften. Durch gemeinsamen Protestin Deutschland und Brasilien gelanges, die Registrierung von “Cupuaçu”als Markenname aufzuheben. EinPatentantrag der gleichen Firma aufeine in Brasilien längst bekannteVerarbeitungsmethode der Frucht-kerne konnte zum Erlöschen gebrachtwerden.

Auch die Regierungen von Ent-wicklungsländern sind teilweise aktivgeworden: Die indische Regierung hatbeispielsweise eine öffentlich zugäng-liche Datenbank mit traditionellenAyurveda-Rezepten angelegt. Dadurchsoll verhindert werden, dass mündlichüberlieferte Rezepte von Pharma-konzernen patentiert werden können.

In vielen Ländern arbeiten Men-schen an der Erhaltung von Vielfaltvon Nutzpflanzen und -tieren. LokaleSaatguterhaltungsinitiativen erhaltenund vermehren lokale Sorten (undRassen), tauschen freies Saatgut un-tereinander und bemühen sich um dasWiedererlernen und Weiterentwik-keln von traditionellen Anbau-,Züchtungs- und Verarbeitungsmetho-den. Sie behaupten so ihre Unab-hängigkeit und Kontrolle über ihreProduktionsmittel und widersetzensich zudem den Monopolisierungs-bestrebungen der profitorientiertenKonzerne.

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Infoblatt 71

El Salvador

Interview mit Martin Montoya, einemAktivisten der Bewegung der Straßen-verkäuferInnen unlizenzierter CDsund DVDs in El Salvador

F: Du bist als Repräsentant der Be-wegung der VerkäuferInnen vonunlizenzierten CDs und DVDs undanderen Markenartikeln aus El Sal-vador auf einer Informations-rundreise in der BRD. Warum habtihr euch gegründet und wer ist beieuch organisiert?

Ich repräsentiere hier den infor-mellen Sektor in El Salvador, in demmittlerweile über die Hälfte der Be-völkerung tätig ist. In unserem Landgibt es als Folge der neoliberalen Po-litik keine Arbeit, weshalb wir sozusa-gen gezwungenermaßen zu Verkäufer-Innen [im informellen Sektor] wur-den. Wir suchen nach einem Weg, wiewir überleben können, indem wir ver-schiedene Produkte verkaufen. Heuteverkaufen wir CDs und DVDs. Wirprofitieren von der Technologie unddas ermöglicht es uns, hier in El Sal-vador zu überleben. Die Regierunghingegen schafft keine Arbeitsplätze.Und wenn es Arbeit gibt, dann zu mi-serablen Löhnen.

Unsere Organisation ist 2005 ent-standen. Wir haben damals zu einerersten Versammlung vonVerkäuferInnen von CDs/DVDs undanderen Markenprodukten aufgerufen.Zum ersten Treffen kamen auch Per-sonen aus ganz El Salvador und soentstand die Bewegung. Das war am18. November 2005. Unsere ersteDemo haben wir am 25. November2005 gemacht. Sie führte zum Parla-ment, wo wir die Regierung und die

Abgeordneten bitten wollten, uns zuerklären, was der Freihandelsvertragmit den USA, CAFTA, ist. Außerdemsollten sie uns die Gesetzesänderun-gen erklären, die vor dem Inkrafttre-ten des CAFTA notwendig waren. Beidieser ersten Demo sind TausendeVerkäuferInnen mitgegangen. Als wirbeim Parlament angekommen waren,haben wir darauf gewartet, dass sieuns hineinließen, aber nur die FMLNkam heraus und machte uns die Türenauf. So hat der Kampf begonnen.

In El Salvador gibt es mittlerweile65.000 VerkäuferInnen von unlizen-zierten CDs und DVDs. Sie bilden dieBasis unserer Bewegung. Hinzu kom-men Compañeros/as, die andere nach-gemachte Markenprodukte verkaufen,wie zum Beispiel Kleider, Schuheoder Uhren. Aber unsere Bewegungunterscheidet sich sehr von einemVerein mit festen Strukturen. Wir mo-bilisieren nur und daraufhin kommendie Leute. Unseren Kampf führen wiraus Überzeugung. Deshalb kann ichauch keine Mitgliederzahl nennen.Die VerkäuferInnen gehen zu Tausen-den zu unseren Demos, weil sie einpolitisches Bewusstsein haben undihre Arbeit verteidigen.

F: Was sind eure Anliegen, für waskämpft ihr als Bewegung?

Unsere Forderung ist, dass uns derStaat arbeiten lässt, dass wir unserenLebensunterhalt verdienen können.Der Freihandelsvertrag CAFTA hat be-wirkt, dass wir kriminalisiert werden,dass wir als Illegale bezeichnet wer-den. Also tun wir uns zusammen, umfür den Erhalt unserer Arbeit, die wiruns geschaffen haben, zu kämpfen.

In El Salvador ist der Freihandels-vertrag seit eineinhalb Jahren, seitdem 1. März 2006, in Kraft. Zunächstglaubten wir, dass der Freihandels-vertrag gut sei, da er von freiem Han-del spricht. Aber dann wurde uns klar,dass der Vertrag strengere Gesetzemit sich bringt, unter anderem gegenStraßenhandel, damit die Leute in dengroßen Supermärkten kaufen. Damitwurden die CD/DVD-VerkäuferInnenkriminalisiert. Aber wir sind nicht nurVerkäuferInnen, sondern auchStaatsbürgerInnen. Unsere Organisati-on will, dass uns die Regierung eineLösung bietet.

F: Welche Teile des CAFTA betreffeneuch am meisten?

Der Freihandelsvertrag schadetuns, weil die Mehrheit der Straßen-verkäuferInnen so genannte unerlaub-te Produkte verkauft. Das ist aber eineMöglichkeit für uns, Geld zu verdie-nen. Die USA haben von El Salvadordie Modifikation und Verschärfungvon 70 Gesetzen gefordert. Zum Bei-spiel fallen die CDs/DVDs, die wirverkaufen, unter den Punkt GeistigesEigentum. Wer diese Produkte ver-kauft, reproduziert, kauft, kann bis zusechs Jahre ins Gefängnis kommen,ohne die Möglichkeit, auf Kautionfreizukommen. Diese Gesetze, wiesie auf die arbeitende Bevölkerungangewandt werden, sind sehr hart.DrogenhändlerInnen oder echteVerbrecherInnen hingegen werdennicht so streng behandelt. Diese Be-handlung der ehrlichen Leute, wie wirVerkäuferInnen es sind, hat uns dazugebracht, uns zu organisieren und zudemonstrieren. In El Salvador muss

Wir sind immer in Bewegung,

wie unsere Bewegung sagt,

denn wir verteidigen

unsere Arbeit

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man auf die Straße gehen, Straßen-sperren errichten, Kundgebungen ver-anstalten, damit die Regierung unsereForderungen hört und sie beachtet.

Uns StraßenverkäuferInnen bietetdie Regierung keine Lösungen an, ob-wohl das ihre Aufgabe ist. Stattdessenantwortet sie mit Repression, indemsie das Anti-Terror-Gesetz verab-schiedet, nach dem bereits Demon-strationen und Straßensperren ter-roristische Taten sind. Sie haben auchkürzlich Strafrechtsreformen durch-gesetzt, die für Störungen der öffent-lichen Ordnung Freiheitsstrafen vonsechs Monaten bis zu acht Jahrenohne Bewährung vorsehen. Für unsAnführerInnen ist die Strafe sogardreimal so hoch, also 24 Jahre ohneBewährung. Das soll dazu dienen, dasswir nicht protestieren.

F: Im Mai 2007 kam es zu einerRepressionswelle gegen euch. Wasist da genau passiert?

Wir als Bewegung kämpfen seitzwei Jahren und sind der Sektor, dervon den Autoritäten am meisten Re-pression erfährt. Die Absicht ist es,uns auszuschalten. Wir haben einigeGespräche mit dem Wirtschaftsmi-nisterium erreicht. Aber bis jetzt gabes dabei keine Ergebnisse, sie habensich nur über uns lustig gemacht. DieBevölkerung steht aber unseremKampf mit Wohlwollen gegenüber, dawir billige Produkte verkaufen, die siesich trotz der schlechten wirtschaftli-chen Lage leisten können. Aber dieRegierung hat immer versucht, uns inden Medien schlechtzumachen, z. B.durch Manipulationen wie am12. Mai.

An diesem Tag beschlagnahmtensie unsere Waren, nicht wie üblicher-weise im Morgengrauen, sondern amhelllichten Tag, um halb drei nachmit-tags. Die VerkäuferInnen verteidigtensich, um ihre Ware nicht zu verlieren,und die Polizei musste abziehen. Kurzdarauf stoppten acht vermummte Ju-gendliche, vermutlich von der Polizei,auf einer sechs Block weit entferntenStraßenkreuzung ein Polizeiauto undzündeten es an. „Zufällig“ war einAuto von TCS Noticias, einem regie-rungsnahen Sender, am Brandort. Derganze Hergang wurde von ihnen ge-filmt. Auch andere Autos wurden an-

gezündet. Ich aber frage: Wie konntedas geschehen, dass die PolizistInneneinfach ihr Auto verließen und nichtstaten, obwohl sich nur ca. 80 Meterentfernt eine Wache mit über 40PolizistInnen befand? Deshalb redenwir von einer Manipulation. Damit sieuns die Schuld in die Schuhe schiebenkönnen. An diesem Tag wurden 19Personen verhaftet, drei oder vier vonihnen VerkäuferInnen aus dem Zen-trum. Die anderen Personen warenAngestellte von Privatunternehmen,Leute, die auf eigene Rechnung arbei-ten, wie Maurer und Bauarbeiter, undPassantInnen.

Von der Regierung und den Me-dien wurden wir des Terrorismus undWandalismus beschuldigt. Glückli-cherweise haben wir gelernt zu kämp-fen und uns zur Wehr zu setzen. Amdarauffolgenden Montag hielten wireine Pressekonferenz ab und konntenso die Machenschaften der Regierungentlarven. Gleichzeitig präsentiertenwir als CD/DVD-VerkäuferInnen ei-nen Vorschlag, mit dem wir den Kon-flikt politisch lösen wollen.

Danach verstärkte sich die Repres-sion. Die Belästigung durch die Poli-zei ging weiter, es tauchten verdächti-ge Fahrzeuge mit verdunkelten Schei-ben auf, die uns verfolgten. Gegen 97von uns wurden Ende Mai Haftbefehleausgeschrieben, darunter auch gegenmich und meine Ehefrau – angeblich,weil wir TerroristInnen sind. Aber wirhaben uns in Bewegung gesetzt und

haben die Sache publik gemacht undKlage eingereicht. Dank unseres Ein-satzes und dank der internationalenSolidarität haben wir erreicht, dassdie Haftbefehle aufgehoben wurden.Aber 30 unschuldige Personen warenvier Monate im Knast und wurden nunauf Kaution freigelassen. Sie müssenweiterhin mit einem Verfahren wegenTerrorismus rechnen.

Wir sind ständig bei Versammlun-gen, wir sind immer in Bewegung, wiedie Bewegung der CD/DVD-VerkäuferInnen sagt. Ich glaube, dashaben wir gut formuliert, denn sie hal-ten uns immer in Bewegung. Aber wirwerden unseren Lebensunterhalt, un-sere Arbeit verteidigen, bis es eineLösung gibt.

F: Eure Stände wurden in der Ver-gangenheit oft beschlagnahmt. Wirddas immer noch gemacht und wiereagiert ihr darauf?

Bevor die Bewegung gegründetwurde, hat es im ganzen Land täglichBeschlagnahmungen gegeben. Andau-ernd, das ging ganz schön an die Ner-ven. Seit es die Bewegung gibt, habendie Beschlagnahmungen abgenom-men. Als Bewegung erfahren wir Re-pression, aber jetzt verkaufen wir wei-ter. Weil wir darauf reagieren. Aufeine Beschlagnahmung folgt eine Ak-tion. Wir gehen auf die Straße, wir de-monstrieren, halten eine Pressekon-ferenz. Wenn einE KollegeIn verhaf-

Straßenstand mit unlizenzierten CDs im Stadtzentrum von San Salvador

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El Salvador

tet wird, geht eine Gruppe von Ver-käuferInnen zum Gericht und damiterreichen wir, dass die Richter den/die KollegenIn freilassen. Anschei-nend gefallen der Regierung die „Un-ruhen“ nicht. So nennen sie unserenKampf. Damit versuchen sie, uns zudelegitimieren. Aber wir haben er-reicht, dass es weniger Beschlagnah-mungen gibt. Wir verkaufen weiter,weil wir kämpfen.

F: Was beinhaltet euer Vorschlag,den ihr der Regierung unterbreitethabt?

Gemäß unserem Vorschlag sollenalle ins Land eingeführten Rohlingemit einer Steuer von 70 US-Cent be-legt werden. Dadurch können jährlich14 Millionen US-Dollar eingenom-men und auf vier Bereiche verteiltwerden: ein Viertel, also 3,4 Millio-nen US-Dollar, für die Plattenprodu-zentInnen, ein Viertel für die einhei-mischen KünstlerInnen, ein weiteresViertel geht an den Fiskus und derletzte Teil fließt an eine Kreditkassefür den informellen Sektor. VieleSektoren der Bevölkerung und selbstder Vorsitzende der Handelskammerhaben den Vorschlag gut aufgenom-men. Aber die Regierung hat sich bisjetzt nicht dazu geäußert.

F: Euer Vorschlag bedeutet, dass sichdie CDs verteuern würden. Ist dasdenn für die Bevölkerung tragbar?

Ja. Bevor wir den Vorschlag ge-macht haben, haben wir uns mit derBevölkerung beraten, mit StudentIn-nen, Hausfrauen, mit KollegInnen, diein Internetcafés arbeiten. Alle habenuns gesagt, dass sie unseren Vorschlagunproblematisch finden. Der Preisder CDs würde nicht sehr steigen. Jetztkosten sie einen US-Dollar. Danachwürde eine Musik-CD z. B. 1,5 US-Dollar kosten und eine Film-CD zweiUS-Dollar. Unsere KundInnen habengesagt, zwei Dollar für einen Film wä-ren immer noch ein Riesenvorteil ge-genüber 18, 20 oder 26 US-Dollar füreinen Blockbuster im Original.

F: Wie hätten die einzelnen Sekto-ren, die mit der Steuer von 70 Centpro CD-Rohling begünstigt würden,Zugang zu dem Fonds?

Das liegt in der Verantwortung derRegierung. Sie wird die Steuern ander Grenze erheben und muss die Ein-nahmen daraus in den Fonds einbrin-gen. Dafür benötigen wir noch eineVerhandlungsrunde. Mit am Tisch sit-zen sollten VertreterInnen aus demBereich der Menschenrechte, BischofRosa Chávez für die katholische Kir-che, VertreterInnen der Handelskam-mer, vom UnternehmerInnenverbandANEP, die Wirtschaftsministerin fürdie Regierung, VertreterInnen derVerkäuferInnen, der einheimischenKünstlerInnen und auch der Platten-produzentInnen. Eine verantwortungs-volle Runde mit VertreterInnen aller,die vom Thema geistiges Eigentumbetroffen sind. Wenn sich der Vor-schlag der 70 Cent pro CD als gang-bar erweist, könnten von dem Geldvier Bereiche profitieren. Wenn dieRunde einen eigenen Vorschlag hat,umso besser.

Mit unserem Vorschlag wollen wirzumindest erreichen, dass wir nichtmehr kriminalisiert werden, und beider Anwendung des Gesetzes zumSchutz des geistigen Eigentums ver-langen wir zumindest ein Moratorium.Wir müssen damit anfangen, alle zu-sammen eine Lösung zu finden. Wirsind mit einem guten Vorschlag ange-treten. Warum glauben wir, dass ergangbar ist? Weil sich die Piraterieniemals beseitigen lassen wird. Des-halb ist unser Vorschlag lebensfähig.Warum ist die Piraterie nicht zu be-seitigen? Weil jeder Mensch, der ei-nen PC zu Hause hat, einen Film, einMusikstück aus dem Internet her-unterladen kann. Das ist die Piraterie.Die Piraterie werden sie niemals be-siegen. Deshalb halte ich unserenVorschlag für machbar.

F: Bei anderer Gelegenheit hast duerwähnt, dass die Plattenprodu-zentInnen mit eurem Vorschlag mehrGeld verdienen würden als jetzt.Weil sie fast keine Originale verkau-fen, die Einnahmen aus dem Fondsaber höher wären. Was ist deren Po-sition zu eurem Vorschlag?

So ist es, in El Salvador machen dietransnationalen PlattenproduzentInnenim Augenblick nur Verluste. Das sagensie selber. Heute ist ihr Verdienst auf55.000 US-Dollar gefallen. Mit dem

Vorschlag würden sie 3,4 MillionenUS-Dollar im Jahr verdienen. Aber daswollen sie nicht. Sie wollen, dass dasGesetz angewendet wird.

F: Wie funktioniert eigentlich dieHerstellung der CDs und DVDs?

Die CDs und DVDs, die im Landverkauft werden, werden mit einemDVD-Multibrenner für sieben bis achtCDs hergestellt. Da steckst du eineMaster-CD von einem Film oder ei-nem Musikstück rein und innerhalbvon Minuten hast du sieben CDs. Die-jenigen, die die CDs und DVDs bren-nen, setzen ihren Ehrgeiz daran, dieProdukte auf den Markt zu bringen,bevor sie (legal) ins Land kommen.Von dort gehen die CDs und DVDs zuden ZwischenhändlerInnen. Und danngibt es noch die VerkäuferInnen, dassind wir. Das Ganze ist eine Kette, dieArbeitsplätze schafft.

F: Auf welche Weise kann die inter-nationale Solidarität euch unter-stützen?

Ich mache diese Rundreise, um fürunsere Situation und unseren Kampfinternationale Öffentlichkeit zuschaffen. Wir brauchen die internatio-nale Solidarität, um unseren Forde-rungen Nachdruck zu verleihen, zumBeispiel durch Eilbriefaktionen.Wenn jemandem aus der Bewegungetwas passiert, wenn sie weiter unsereBewegung unterdrücken, dann mussüber Briefe Druck auf das Parlament,den Präsidenten, den Polizeidirektor,den Obersten Gerichtshof aufgebautwerden. Wichtig sind auch die bezahl-ten Zeitungsanzeigen. Damit wirddeutlich, dass wir nicht allein sind.Wir, die wir die Bewegung anführen,sind besonders bedroht. Die Todes-schwadronen wurden reaktiviert. Da-her bitten wir euch, wenn uns etwaspassiert, dass ihr unseren Kindern beiihrer Ausbildung helft. Für uns ist esklar, dass wir unseren Kampf fortset-zen werden. Von dieser Rundreisekehre ich mit dem Wissen heim, dasswir nicht alleine sind.

Interview und Bearbeitung:Angelika Haas, Übersetzung: Eber-hard Albrecht und Eva-Maria Bach

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Interview mit Angel Ibarra, Präsi-dent des salvadorianischen Umwelt-dachverbandes UNES (UnidadEcológica Salvadoreña) und Mit-glied in verschiedenen Netzwerkender sozialen Bewegungen inZentralamerika

Im Juli war Angel Ibarra zu Besuchin Deutschland und referierte in ver-schiedenen Veranstaltungen in Bay-ern, unter anderem in München (Öku-menisches Büro) und Nürnberg (Mit-telamerika-Tag der ev.-luth. Kirche inBayern), zu Klimawandel, Wasser undWasserprivatisierung sowie zum Wi-derstand in Zentralamerika.

F: In Südamerika wurden in denvergangenen Jahren linke Regierun-gen diverser Ausrichtungen ge-wählt. Zentralamerika ist aber über-wiegend in rechter Hand. Warum?

In Zentralamerika erleben wirdurch die neoliberalen Politiken eineZeit der Konterrevolution (AngelIbarra bezieht sich hier auf die”contrarevolución de masas” nachFranz Hinkelammert). Das neolibe-rale Projekt ist in der Offensive undhat die Plünderung der Staaten in derRegion vorangetrieben, deren Situati-on – mit Ausnahme von Costa Rica –ohnehin schon prekär war. Die öffent-lichen Dienstleistungen wurden abge-baut, die Landwirtschaft wurde in denRuin getrieben und damit die Bewe-gung der Kleinbauern und -bäuerinnengeschwächt und viele Leute wurden indie informelle Ökonomie abgedrängt.Deshalb kann man keine starke Arbei-terInnenbewegung erwarten. Aberauch die Angestellten im öffentlichenDienst sind bedroht. Diese Konterre-volution hat nun ihren Höhepunkt er-reicht, beginnt aber, ihre Vorherr-schaft zu verlieren.

Die sozialen Bewegungen inZentralamerika (mit Ausnahme von

Costa Rica und in geringerem Maßauch Honduras) haben außerdem einelange Zeit der Repression und derBürgerkriege hinter sich. In Guatema-la wurde 1996 ein langer Krieg been-det, in El Salvador dauerte der grausa-me zwölfjährige Krieg bis 1992 undeinige Jahre vorher gab es den Con-tra-Krieg in Nicaragua – wobei dieKrieg führenden Regierungen und dieContras alle durch die USA beratenund finanziert wurden. Dies schuf Be-dingungen, welche die politischeRechte begünstigten. Ich glaube, dassdas der Grund ist, warum es in Zentral-amerika eine Vorherrschaft der neo-liberalen Politiken gibt und warum sieauf keinen sozialen Widerstand gesto-ßen sind. Trotzdem gibt es in CostaRica gerade eine wachsende Bewe-gung, welche die sozialen Errungen-schaften seit 1948 verteidigt. Eineziemlich breit angelegte soziale Bewe-gung kämpft gegen die Freihan-delsabkommen, gegen die Privatisie-rung der Sozialversicherung, der Ener-gie und der Telekommunikation. InGuatemala entsteht eine klein-bäuerliche und indigene Bewegung, inHonduras sieht man eine schnelle Aus-breitung der kommunalen und klein-bäuerlichen Bewegung, in El Salvadorist es eher eine kommunale städtischeund halbstädtische Bewegung. Wir sindalso dabei, die fünfzehn Jahre der Kon-terrevolution zu überwinden, sind aberstrategisch im Nachteil.

F: Haben die politischen Verände-rungen in Südamerika Auswirkun-gen auf die sozialen Bewegungen inZentralamerika?

Sie zeigen, dass andere Wegemöglich sind, wir könnten sogar sa-gen, dass sie die zentralamerika-nischen Volksbewegungen beleben.Aber sie determinieren sie nicht. Inden 1980er-Jahren war Zentral-amerika die Region, in der politisch

am meisten in Bewegung war. Undman konnte eine ziemlich starke so-ziale Basisbewegung beobachten.Diese revolutionäre Situation inZentralamerika ging vorbei und heutegibt es sie in Südamerika. Wir schau-en mit großer Aufmerksamkeit undSympathie auf das, was im Süden pas-siert, es belebt uns, aber es bestimmtuns nicht. Inwiefern die sozialen Be-wegungen in Zentralamerika weiterwachsen, das wird mit den speziellenBedingungen der Region zu tun haben.

F: Über welche Themen findet der-zeit Mobilisierung statt?

In den letzten Jahren gab es einenRückschritt in Bezug auf das Erreich-te. Arbeitsrechte, wirtschaftliche undsoziale Rechte wurden zurückgenom-men, Partizipationsmöglichkeiten inder repräsentativen Demokratie ein-geschränkt etc. Die Hoffnung auf einbesseres Leben sieht ein großer Teilder Bevölkerung heute darin, in dieUSA zu emigrieren.

Wenn irgendwelche Themen dieLeute heute mobilisieren, dann habensie mit ihren unmittelbaren Lebensbe-dingungen zu tun. Es ist keine abstrak-te Idee der Revolution, sondern esgeht um Kampf um das Leben, Kampfum das Wasser, Kampf um ein Dachüber dem Kopf, Kampf um Land,Kampf gegen erneute Vertreibung, ge-gen die Bedrohung durch die Privati-sierung der wichtigsten öffentlichenDienstleistungen, Kampf um dieRechte der Frauen. Diese Art vonKonflikten bewegt die Leute, sich ander Organisierung zu beteiligen. InGuatemala und zunehmend in Hondu-ras findet Mobilisierung auf demLand mehr über die ethnische Zuge-hörigkeit statt.

Es gibt jetzt soziale Kämpfe, diees vor der Kriegszeit nicht gab. Diesoziale Zusammensetzung der Regionhat sich nach dem Krieg verändert und

Auf dem Weg zu einem

neuen Internationalismus

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Infoblatt 71

El Salvador

mit den neoliberalen Maßnahmen ver-ändert sie sich immer mehr. Man kannsagen, dass durch die neuen sozialenBewegungen ein neues soziales Sub-jekt geschaffen werden könnte.

Im Fall von El Salvador stehenUmweltprobleme und die daraus ent-stehenden sozialen Konflikte im Mit-telpunkt der sozialen Organisierung.Die Leute organisieren sich, prote-stieren und kämpfen um das Wasser,um die Gesundheitsversorgung. Dasbringt uns dazu, uns wegen andererThemen zu mobilisieren, zum Bei-spiel gegen die Freihandelsabkommenoder gegen so abstrakte Bedrohungenwie die Regelungen zum geistigen Ei-gentum auf Patente, Saatgut oder gen-technisch veränderte Organismen.

Wir sind aber in der Anfangsphase,wir müssen noch mehr Visionen ent-wickeln, müssen all diese Forderun-gen in einen breiteren soziopoliti-schen Kampf integrieren. Ich glaube,dass wir in einer Phase des Wider-standes sind, der Sammlung der Kräf-te, der Reifung, die eine vielseitige,hoffentlich breite soziale Bewegunghervorbringen kann. Das Ziel ist dann,wieder die Offensive zu übernehmenund erfolgreich gegen die neolibe-ralen Politiken anzugehen, die uns dieLuft zum Atmen nehmen.

F: Viele Leute, die an diesenTeilbereichskämpfen teilnehmen,schaffen sich so erst ein politischesBewusstsein. Organisieren sie sichdann weiter oder ist ihnen das Er-reichte genug?

Viele Leute politisieren und orga-nisieren sich, indem sie nach Lösun-gen für alltägliche Probleme suchen,und kommen so in Berührung mit an-deren sozialen Kämpfen. Das bedeu-tet aber nicht notwendigerweise, dassder nächste Schritt einer sein muss,der hin zu einem emanzipativen sozia-len Projekt führt. Aber ja, es ist dieKeimzelle.

Ob man dazu kommt, ein emanzi-patorisches und revolutionäresBewusstsein zu haben, hängt von derpolitischen und ideologischen Bil-dung und der Organisierungsarbeit ab.Die Teilbereichskämpfe für sich allei-ne leisten das nicht. Der Kampf umalltägliche Dinge, das ist wahr, der hatdie breiteste Basis. Aber wenn er

nicht in größern Bahnen stattfindet,dann bleibt er isoliert, dann bestehtdie Gefahr, dass er auf der Stelle trittund konservativ wird. Diejenigen, de-nen das Wasser fehlt, diejenigen, diedie Abholzung ihres Waldes verhin-dern wollen, die sich gegen die Ver-seuchung durch irgendetwas wehrenetc., können das erreichen und sichdamit zufriedengeben. Ich glaube,dass man dieses natürliche Risikoeingehen muss, dass es aber stark von

den Strategien der Organisierung ab-hängen wird, vom ideologischen Ge-rüst und von den Alternativvorschlä-gen, ob sich dadurch mehr Leute demrevolutionären Kampf anschließen.

Es geht darum, den Widerstand,der vereinzelt entsteht, wieder zu ver-einen. Dann werden wir breitere Alli-anzen bilden. Ich glaube, das ist die

unmittelbare Herausforderung für diesoziale Bewegung in El Salvador. Ichglaube, dass die sozialen Sektoren vonder Notwendigkeit einer breitensoziopolitischen Allianz überzeugtsind, um 2009 die Arena-Partei aus derRegierung zu vertreiben. Diese Über-zeugung teilen wir, auch wenn wir poli-tisch unabhängig sind und uns auchnicht eingeladen sehen, am politischenLeben teilzunehmen. Ein Sieg derFMLN wird uns helfen, in unserem

Kampf voranzukommen, auch wenn wirwissen, dass das nicht alles ist.

F: Wie sind die Beziehungen der so-zialen Bewegungen zu linken Partei-en?

Man kann nicht sagen, dass allesozialen Bewegungen in dieser Hin-

Angel Ibarra bei seinem Besuch in München im Juli 2007

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sicht gleich sind. Es gibt soziale Be-wegungen, und ich verorte mich indenselben, den Umweltbewegten, dieihre eigene autonome Agenda schaf-fen wollen. Wir sind nicht gegen Par-teien, aber wir glauben, dass die Poli-tik nicht nur den PolitikerInnen über-lassen werden darf. Ich glaube, dass esein Erbe der Nachkriegszeit ist, dassman eine linke politische Position ha-ben kann, sozial partizipieren und po-litisch aktiv sein kann, ohne notwendi-gerweise einer politischen Partei an-zugehören. Aber es gibt eine andereStrömung, die eine große Nähe zu denlinken Parteien aufweist. In El Salva-dor zum Beispiel gibt es Compa-ñeros/as und soziale Organisationen,die sehr mit der FMLN verbundensind. Ich kann nicht behaupten, dassdie Frente diese Organisationen steu-ern oder ihnen Inhalte diktieren wür-de, aber es gibt ein sehr enges Bandzwischen beiden.

Es wäre nicht abwegig, dass imWahlkampf für 2009 eine breite linkesoziopolitische Allianz entstehenkönnte, in der sowohl die FMLN alsauch die sozialen Bewegungen einewichtige Rolle spielen. Ich glaube,dass dieser Vorschlag im Raum steht,und meine, dass er umsetzbar ist; eskönnte eine politische Agenda für dienächsten fünf Jahre geschaffen wer-den, mit der die neoliberalenPolitiken gebremst werden, mit derdie Idee einer dem Gemeinwohl ver-pflichteten Regierungsführung wie-derbelebt wird und bei der die Interes-sen der Bevölkerung die Richtungvorgeben.

F: Gibt es in den sozialen Bewegun-gen die Befürchtung, dass die politi-schen Parteien die Leute absorbie-ren könnten?

Wir in El Salvador haben währenddes Bürgerkriegs die Erfahrung ge-macht, dass es keinerlei Raum für de-mokratische Partizipation gab – unddass gerade auch die linken Aktivis-tInnen völlig im Geheimen arbeitenmussten. Das bedeutet, dass wir hiernicht von einem Land sprechen, indem es Toleranz gegenüber Anders-denkenden gibt. Das ist der histori-sche Hintergrund, den wir haben.

Durch den Krieg wurden dannRäume für politische Teilhabe gewon-

nen, die der Rechten entrissen wur-den. Diese neue Situation fordert eineForm der politischen Praxis, die fürdie sozialen Bewegungen, aber auchfür die politischen Parteien neu ist.Es geht darum, die Vielfalt und Auto-nomie anzuerkennen und auf der Basisdieser Verschiedenheit etwas aufzu-bauen. Das ist der Punkt. Ohne zusam-menzuarbeiten gibt es keinerlei Be-ziehungen untereinander.

Wenn du eine soziale Bewegungaufbaust, darfst du keine Angst haben,mit den linken Parteien zusammenzu-arbeiten, vielmehr ist es eine Heraus-forderung. Wir kommen, historischgesehen, aus zentralistischen Abläu-fen, wo die Partei – „die Avantgarde”– Befehle erteilt und dir eine politi-sche Linie vorgegeben hat. Aber heutebefinden wir uns in einer anderen Si-tuation.

Das Problem ist, wenn du dich ei-ner parteipolitischen Agenda unter-wirfst, lässt du dich auch auf eine vor-gegebene traditionelle Art der Macht-ausübung ein. Klar, dass das eine so-ziale Bewegung lähmen kann, wenn esschlecht läuft. Das sind Erfahrungen,die die sozialen Bewegungen in Süd-amerika bereits gemacht haben, etwamit der Frente Amplio in Uruguayoder aber mit Lula und der PT(Partido dos Trabalhadores) in Brasi-lien. Diese Erfahrungen können unsweiterhelfen. In Brasilien zum Bei-spiel hat die LandlosenbewegungMST bei den Wahlen mit Lula zusam-mengearbeitet, damit auf keinen Falldie Rechte an die Macht kommt, dochsie hat dabei ihre Autonomie bewahrtund hat ihre Ziele und Inhalte nichtaufgegeben.

Die Tatsache, dass eine linke Re-gierung an die Macht kommt, garan-tiert noch keine strukturellen Verän-derungen. Deswegen braucht es einestarke soziale Bewegung, die Druckausübt und die Regierung in diePflicht nimmt.

F: Welche Rolle spielen die Frauenin den sozialen Bewegungen?

Die Mehrheit der Frauen ist mitschweren Einschränkungen konfron-tiert, die es ihnen eigentlich nicht er-lauben teilzunehmen. Trotzdem sindes die Frauen, die am aktivsten an denoben erwähnten Kämpfen beteiligt

sind. Die AktivistInnen, die am mei-sten Energie in die Basisarbeit stek-ken und die viel Sorgfalt in die Erfül-lung der Aufgaben legen, sind norma-lerweise die Frauen. Aber je höherman in der Hierarchie kommt, destoweniger Frauen sind präsent. Das istkeine Willenssache, sondern einestrukturelle Frage, wie Familien orga-nisiert sind, welche Arbeiten denFrauen zugewiesen werden, etc.

F: Inwiefern sind die sozialen Bewe-gungen in den Gesellschaften inZentralamerika verankert?

Zuerst einmal müssen wir unsklarmachen, dass wir in Zeiten leben,in denen die sozialen Bewegungennicht die politische Initiative haben,sondern dass wir, ganz im Gegenteil,erst mal Widerstand leisten müssen,damit uns der Neoliberalimus nichtvöllig überrollt. Davon ausgehendmüssen wir uns in mindestens dreiBereichen entwickeln: 1. AlternativeDenkprozesse schaffen, in einenKampf der Ideen eintreten und zumNeoliberalismus alternative Ideenentwickeln; wenn wir aufhören, alter-native Ideen zu haben, dann haben wirden Kampf schon verloren. 2. Alterna-tive Formen der Organisierung, desLernens und der Mobilisierung auf-bauen und 3. diese Alternativen zumneoliberalen Modell in die Praxis um-setzen und alternative Ideen, Organi-sationsformen und emanzipatorischePraxis derart verbinden, dass sie sichim täglichen Leben umsetzen lassen.

Die Herausforderung, besteht dar-in, dass wir unser Denken nicht vonneoliberalen Ideen vereinnahmen las-sen dürfen. Beispielsweise dürfen wirnicht mit den Konzepten arbeiten, dieuns die internationalen Finanz-organisationen oder die „internationa-le Gemeinschaft” vorgeben. Wir dür-fen uns nicht darauf einlassen, ihreBegrifflichkeiten zu verwenden.Wenn wir das nämlich tun, haben sieuns schon besiegt. Stattdessen müs-sen wir uns inmitten dieser ganzenLawine die Fähigkeit bewahren, dieDinge kritisch zu betrachten.

Der Neoliberalismus versucht,sich als die Lösung darzustellen, zuder es keine Alternativen gibt. Und soschwierig es auch sein mag, du musstGegenvorschläge, Visionen und Ideen

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finden und dafür kämpfen. Die Leutemüssen erkennen, dass es Alternativenzum Neoliberalismus gibt.

Ich glaube, dass wir als soziale Be-wegungen eher an dieser Sache arbei-ten, als die Parteien das tun. Dasschafft Widerstand, neue Formen derOrganisierung. Du hast vorher dieFrage nach der Beteiligung der Frauenangesprochen. Aber es geht nicht nurdarum, sondern auch darum, dass dieForm der Organisierung eine neuesein muss, in Bezug auf horizontaleStrukturen, auf Inklusion und demo-kratische Partizipation. Das sind The-men, die auf der Agenda der sozialenBewegungen stehen.

Abschließend: Man darf nicht aufden Triumph der Weltrevolution war-ten, um eine Alternative aufzubauen.Alternativen können aus dem Alltagheraus entwickelt werden auf der Ba-sis eines anderen Konzeptes vonMacht. Macht übernimmt man nicht,Macht baut man auf. Die Macht ist einVerhältnis, das du verändern kannst.Darum geht es. Daran, dass die Leutebemerken, dass sie Macht haben,wenn sie sich organisieren, dass ihreMacht stärker ist, wenn sie sich verei-nen, müssen wir arbeiten. Nicht war-ten, sondern eine Gegenmacht von un-ten aufbauen – das sind unsere Aufga-ben.

F: Welche Perspektiven haben diesozialen Bewegungen?

Wir bewältigen gerade die schwie-rigsten Zeiten überhaupt. In Bezug aufdie Implementierung neoliberaler Pro-jekte sind wir auf Grund gelaufen, dieNeoliberalen selbst haben eine großesoziale Krise herbeigeführt. Wir sehenuns, was El Salvador betrifft, einer dra-matischen politischen Krise gegen-über. Obwohl die Finanzoligarchiesämtliche Macht innehat und fast ganzEl Salvador besitzt, ist das Land kaummehr regierbar. Die Machthabendenmüssen zu harten Repressionsmittelngreifen, denn ihr Projekt ist nicht mehrhegemonial. Daraus eröffnen sich fürdie sozialen Bewegungen Möglichkei-ten voranzukommen.

Mit den Erfahrungen der vergange-nen Jahrzehnte und den Lehren ausder Nachkriegszeit können wir eineAlternative aufbauen. In diesem Sinnebin ich optimistisch, dass wir in einer

verhältnismäßig kurzen Zeit in die po-litische Offensive gehen und wichtigeKämpfe in El Salvador und der mittel-amerikanischen Region freisetzenkönnen.

Eine weitere Neuerung in den so-zialen Bewegungen El Salvadors istdie Öffnung hin zu den sozialen Be-wegungen weltweit.

Einer der Fehler, die wir bislang inEl Salvador gemacht haben, war lei-der, dass wir dermaßen mit unsereninneren Angelegenheiten beschäftigtwaren, dass wir nur wenig darauf ge-achtet haben, was draußen vor sichging, sei es in Lateinamerika oder imRest der Welt. Heute sehen wir, dassunser Kampf mit anderen Kämpfenverbunden ist, und ich glaube, diesePerspektive haben unter anderem wirUmweltaktivistInnen eingebracht. Indieser historischen Etappe, die wir er-leben, ist der Weg frei für einen wahr-haftigen Internationalismus. Dieserdrückt sich in einer Solidarität aus,die sich nicht darauf beschränkt, Un-terstützung von anderen zu empfan-gen. Vielmehr bieten wir im Kampfgegen gemeinsame Feinde auch selbstunsere Solidarität an. Ich glaube, dasist ein qualitativer Sprung nach vorne.

F: Und wie lässt sich diese Solidari-tät in der gemeinsamen Arbeit reali-sieren?

Wir müssen gemeinsame Aufga-ben mit unterschiedlichen Verant-wortlichkeiten finden. Das heißt, esgibt Phänomene, bei denen es heutenicht mehr Regierungen und auch kei-ne lokalen Mächte mehr sind, die unsunterdrücken, sondern das passiert zu-nehmend auf internationaler Ebene.

Gewisse soziale und arbeitsrecht-liche Errungenschaften gehen sowohlin der nordamerikanischen Gesell-schaft als auch hier oder in Europaverloren. Das ist der Feind, dem wiruns gemeinsam entgegenstellen müs-sen, das können weder die salvadoria-nischen noch die lateinamerikani-schen ArbeiterInnen alleine schaffen.Also gilt es, an diesen Diskussionenweiterzuarbeiten.

Wahrer Internationalismus undwahre Solidarität bedeutet, die loka-len mit den globalen Kämpfen zu ver-binden. Das ist meiner Meinung nacheine andere Vorstellung von Solidari-

tät als die, die wir in früheren Jahrenhatten, wo nur der Süden Not gelittenhat und der Norden die Möglichkeithatte, Hilfe zu leisten, auch finanziel-ler Art. Heute geht es darum, zusam-men zu kämpfen.

Ich meine damit die globalisie-rungskritische Bewegung seit Seattle,die gegen die Treffen der G8, derWeltbank, des Internationalen Wäh-rungsfonds etc. etc. kämpft. Solchegroßen Mobilisierungen können nichtdie Hauptaufgabe sein, denn wir kön-nen nicht von einem Treffen zumnächsten rennen. Wenn sich Leutetreffen, um die Weltpolitik zu bestim-men, dann ist es sicher wichtig, dieTagesordnung dieser Leute zu beein-flussen, ihnen die Welt ein wenig un-gemütlicher zu machen und ihnendort, wo sie sich treffen, Widerstandentgegenzusetzen und mit gemeinsa-mer Stimme zu sprechen.

Trotzdem glaube ich nicht, dassdie Weltforen, wie etwa das Welt-sozialforum, so etwas wie die Kathe-drale unserer Bewegungen sind; sieerscheinen mir wichtig als Raum fürDiskussion, für Begegnung, Austauschund zusammen Feiern, aber jedeREinzelne sollte von dort weggehen,um dann eigene konkrete politischeZiele zu verwirklichen. Das vereintuns, es ruft uns zusammen im Geistdes „Eine andere Welt ist möglich”,aber es stellt keinerlei Avantgarde dar.

Geführt im Juli 2007 von AngelikaHaas. Übersetzung und Bearbeitung:Andrea Bertele, Miriam Stumpfe,Sandra Eck, Angelika Haas

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Einschätzungen aus El Salvador.

(ah, ai, se) – Fünfzehn Jahre nach demEnde der Hochzeit der Solidaritätsbe-wegungen mit Nicaragua und El Salva-dor organisiert das ÖkumenischeBüro immer noch Solidaritätsbriga-den nach Zentralamerika. Unbeteilig-te, die darauf stoßen, denken dabeiheute sofort an Entwicklungshilfe1 .Ganz im Gegenteil, sagen wir. Wirmachen eben nicht Entwicklungshilfe,sondern wir sind solidarisch mit Be-wegungen, die sich für ein besseresLeben und die Schaffung einer ge-rechteren Gesellschaft organisieren.Das Ausbeutungsverhältnis und dieArmutsschere zwischen den Länderndes Nordens und des Südens wurdenin den letzten Jahrzehnten durch dieEntwicklungen des Weltwirtschafts-systems immer weiter vertieft. Ge-meinsam mit emanzipatorischen Be-wegungen im Süden wehren wir unsdagegen, indem wir die politische Di-mension des Problems in den Mittel-punkt und die Vision einer anderen,gerechteren Welt dagegen stellen.

Dennoch: Manchmal liegen Ent-wicklungshilfe und Solidaritätsarbeittatsächlich nah beieinander. So man-cheR Soli-Bewegte fand später Arbeitin der Entwicklungshilfe und brachtedort den Solidaritätsgedanken ein. An-dererseits machen viele ehemaligeSolidaritätsgruppen heute eher karitati-ve und assistentialistische2 Arbeit. Undnatürlich gibt es ein breites Spektruman Entwicklungshilfe, das von NGOsmit politischem Anspruch bis hin zustaatlichen und Finanzorganisationengeht, die damit vorrangig die Interes-sen der Geberländer befriedigen.

1947 leitete US-Präsident Trumanden Paradigmenwechsel vom Koloni-al- zum Entwicklungsdiskurs ein. DieDichotomie entwickelt–unterentwi-ckelt wurde eingeführt. Den Menschenwurde gleichzeitig die Verantwortungauferlegt, selbst verantwortlich für ihreEntwicklung oder Unterentwicklung zusein. Diese Verantwortung wurde mitdem Versprechen gekoppelt, dass Ent-wicklung durch Wirtschaftsentwick-lung garantiert werden könne. Vor demHintergrund der Blockkonfrontationsollte Entwicklungshilfe auch die Län-der des Südens in den westlichenBlock einbinden und die neokolonialeAusbeutung vorantreiben.

Die Entwicklungspolitiken der1970er und -80er Jahre waren einer-seits geprägt durch rigide neoliberaleZurichtungen wie die Strukturanpas-sungsprogramme des IWF, anderer-seits durch die linken politischen Soli-daritätsbewegungen dieser Zeit. Be-griffe wie Partizipation und Selbsthilfewurden durch die Linken eingebracht,ebenso wie politische Diskussionenum Entwicklung. In den 1970er Jahrenentwickelten der WeltbankpräsidentRobert McNamara, Stratege des Viet-namkrieges, und der ehemalige Anar-chist und Kriegsgegner John Turner,ein britischer Architekt, zusammen fürdie Weltbank das Konzept der Unter-stützung der Selbsthilfe: „Die Lobprei-sung der Selbsttätigkeit der Armenwurde zum Deckmantel für die Auf-kündigung der historischen Verpflich-tungen des Staates, Armut und Obdach-losigkeit zu beseitigen.“3

Seit 1990 ist auch die Entwick-lungspolitik am neoliberalen Ende der

Geschichte angekommen: Mit demKapitalismus als weltweite, quasi na-turgegebene Rahmenbedingung werdennur noch praktische Problem-lösungswege und „best practices“ ge-sucht. Politische Positionierung istverpönt. Gesellschaftliche und politi-sche Machtstrukturen werden sowohlin der naiven Wahrnehmung von Parti-zipation und Selbsthilfe als Allheilmit-tel als auch im Terminus Entwick-lungszusammenarbeit ausgeblendet.Hingegen wechseln sich die Mode-themen und gültigen Projektplanungs-standards in der Entwicklungszusam-menarbeit munter ab, denen das Grosder AkteurInnen hinterher hechelt undmit deren ununterbrochenen Neu-Ent-wicklung nicht wenige sich ihren Le-bensunterhalt sichern.

Die Entpolitisierung der Diskus-sionen um Entwicklung betrifft aller-dings die Solidaritätsbewegung ingleichem Maße. „Die Konjunktur desNGO-Begriffs reflektiert das Verblas-sen der großen Veränderungsperspek-tiven.“4 Nicht wenige, die in den 80erJahren die Revolution als einzigeMöglichkeit für eine Verbesserungder Lebensumstände propagiert haben,schlagen sich heute an ihrem schlechtbezahlten Arbeitsplatz in kleinenNGOs mit den täglichen Fragen derUmsetzung konkreter Projekte her-um, finanziert von der EuropäischenUnion oder der Bundesregierung.

Wie sich diese Entwicklungen inEl Salvador niedergeschlagen haben,wie Entwicklungshilfe und Solidari-tätsarbeit von Linken in El Salvadorwahrgenommen werden, wie sie sieeinordnen und mit auftauchenden Wi-

Entwicklungshilfe versus

Solidaritätsarbeit oder:

Warum Entwicklungshilfe

die Nord-Süd-Kluft vertieft.

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dersprüchen umgehen, dies wollte dieSolidaritätsbrigade „Resi Huber“ wäh-rend ihres El Salvador-Aufenthaltes2007 herausfinden. Die langjährigenKooperationspartnerInnen des Öku-menischen Büros kommen fast alleaus der Guerillabewegung der 1980erJahre, viele aus der lutherischen Kir-che und der kommunistischen Partei.Einige sind heute in der von ihnenselbst gegründeteten NGO OikosSolidaridad aktiv und versuchen, überdie in der Regel von ausländischenGeldgebern finanzierten Projekteemanzipatorische Arbeit in ländlichenGebieten fort zu führen. Die Unter-schiede und Gradwanderungen zwi-schen Solidaritätsarbeit und Entwick-lungshilfe sind also etwas, mit demunsere KooperationspartnerInnen al-lein durch ihre Arbeitsweise konfron-tiert sind. Grundlegende Kritik wirddabei häufig schon am Entwicklungs-begriff als solchem laut.

Entwicklung als scheinheiliger

Diskurs

„Die grundlegende Frage zum Be-griff Entwicklung ist – muss man denüberhaupt benutzen?! Die Leute wol-len einfach gut leben!“ So AngelIbarra vom Umweltverband UNES,San Salvador. Der offizielle Ent-wicklungsbegriff sehe dagegen ganz

anders aus: „Was in El Salvador in denletzten 200 Jahren als Entwicklungverkauft wurde, war die Förderung derExportproduktion, Indigo, Zuckerrohr,Kaffee. Diese hat zwar den wirt-schaftlichen Eliten des Landes unddurch die billigen Rohstoffpreise denLändern des Nordens genützt, abernicht dem Wohlergehen der Bevölke-rung.“ Ganz im Gegenteil, denn „dieAusbeutung der Ressourcen und derMenschen sind weiterhin die Basisdes Systems. Entwicklung heute be-deutet Export von Menschen – oft il-legal – in die USA, die durch dieÜberweisung von Geld die Wirtschaftdes Landes aufrecht erhalten, bedeu-tet den Aufbau von Maquila-Industri-en, den Ausbau von El Salvadors Hä-fen zu strategischen Umschlagplätzenim Rahmen von Freihandelsab-kommen, ein neues Fieber des Abbausvon Edelmetallen. Es ist schwierig, indiesem Kontext einen Diskurs um denBegriff der nachhaltigen Entwicklungzu führen, weil es hier im Land keineEntsprechung dafür gibt … sieben Pla-neten wie die Erde würden gebraucht,um allen einen Lebensstil wie in denreichen Ländern zu ermöglichen.“

Gerade in Lateinamerika bläst demherkömmlichen Entwicklungsbegriffallerdings von vielerlei Seiten ein ei-siger Wind ins Gesicht. „Entwicklung

als Begrifflichkeit enthält immer auchein Element der Negation: Etwas istnicht mehr dies oder das, aber auchnoch nicht jenes. Ländliche Gemein-den stellen sich zum Teil gegen dasKonzept Entwicklung als Fortschritts-begriff. Denn die Frage ist immer,wer profitiert letztlich von diesemFortschritt, dieser Entwicklung? DieArmen, die Gemeinden, eben oft nicht…“ (Dagoberto Guiterrez, linker In-tellektueller und Universitätsdozent)

Um solche dichotome, abwertendeLogiken von Unterentwicklung versusEntwicklung zu umgehen, bevorzugenes unsere GesprächspartnerInnen, vonLebensqualität und Würde zu spre-chen.

Entwicklungshilfe als

Herrschaftsinstrument

Auch in der Einschätzung von Ent-wicklungshilfe stimmen unsereGesprächspartnerInnen überein. Ent-wicklungshilfe spiegele die bestehen-den Ausbeutungsverhältnisse wider.Innerhalb des ungerechten Welthan-delssystems könne Nord-Süd-Koope-ration niemals gerecht sein, es könnenicht einmal von Zusammenarbeit ge-sprochen werden. Entwicklungshilfebediene die Interessen salvadoriani-scher GroßunternehmerInnen, trans-nationaler Konzerne und der Regie-rungen der Länder des Nordens. Die-se lägen im ökonomischen, ideologi-schen und militärischen Bereich. Da-mit würde Entwicklungshilfe zumHerrschaftsinstrument. Dadurch wirdzudem die zunehmend repressive Re-gierungspolitik gestützt – mit fatalenFolgen für die Bevölkerung. SeitKriegsende werden in El Salvadormassiv neoliberale Politikmaßnahmendurchgesetzt. Elektrizitätswesen, Te-lekommunikation, Altersvorsorgesind bereits privatisiert. Um die Pri-vatisierung des Gesundheitswesensund der Wasserversorgung finden ak-tuell große Auseinandersetzungenstatt. Die deutsche Kreditanstalt fürWiederaufbau (KfW) hat sich in ei-nem mit Entwicklungshilfegeldern fi-nanzierten Projekt an der Dezentrali-sierung der Wasserversorgung in elfDepartments beteiligt. Viele sozialeBewegungen in El Salvador befürch-ten, dass die Dezentralisierung mit

El Salvador hat heute knapp sechs Millionen EinwohnerInnen, davon schätzungs-weise drei Millionen in der Migration. Im Januar 1992 wurde das Friedensab-kommen zwischen der Regierung und der Guerilla FMLN nach zwölf JahrenBürgerkrieg und 70.000 Toten unterzeichnet. Das Abkommen enthält weit rei-chende Regelungen zur Demilitarisierung, Demokratisierung und nationalenVersöhnung. Seit 1992 ist die rechte Partei ARENA an der Regierung. DieFMLN hat sich zur linken Oppositionspartei gewandelt. Weite Teile desFriedensabkommens wurden nie umgesetzt. Bis heute gibt es Verfolgung vonlinken Oppositionellen bis hin zu Ermordungen. Die Todesschwadronen sindnie völlig verschwunden. Eine Generalamnestie verhindert seit 1993 die Auf-klärung der Massaker und Ermordungen durch die Armee während des Krieges.Wahlbetrug ist an der Tagesordnung. Heute wie bereits vor 200 Jahren sindeinige wenige große Familien die HaupteigentümerInnen und MachthaberInnendes Landes. Die Kluft zwischen arm und reich ist heute größer als vor demKrieg in den 1970er Jahren. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft ist weitge-hend zerstört und nicht konkurrenzfähig. Viele SalvadorianerInnen begegnendem durch illegale Einwanderung in die USA. Anfang 2009 stehen die nächstenParlaments- und Präsidentschaftswahlen an. Die politische Situation ist ex-trem polarisiert. Bereits in diesem Jahr kam es zu einer Verschärfung der Re-pression gegenüber sozialen Bewegungen. Im Juli 2007 wurden Proteste ge-gen die Wasserprivatisierung brutal nieder geschlagen und festgenommeneAktivistInnen sollen unter dem 2006 verabschiedeten neuen Antiterrorismus-gesetz angeklagt werden.

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Privatisierung einhergeht, da dieKommunen in der Regel weder die fi-nanziellen Ressourcen noch die fach-liche Kompetenz haben, die Wasser-versorgung zu übernehmen und sie da-her an private AnbieterInnen verkau-fen bzw. Konzessionen vergeben. Eswird befürchtet, dass die Wasser-preise in der Folge steigen und dasVersorgungsniveau sich besonders aufdem Land weiter verschlechtert, wosich Investitionen in die Netze für dieBetreiberInnen finanziell nicht loh-nen. Die KfW behauptet, in Deutsch-land mit Dezentralisierung sehr guteErfahrungen gemacht zu haben. Dassmittlerweile auch hier der Wasser-markt privatisiert wird, bleibt von derKfW unerwähnt. Das Wasserde-zentralisierungsprojekt der KfW in ElSalvador ist beendet. Die KfW ziehtsich somit ganz aus dem Bereich zu-rück, anstatt beispielsweise die alter-nativen Konzepte der Gewerkschaftenoder der UNES zu fördern oder sichauf andere Weise mit dem starken öf-fentlichen Druck nach den Verhaftun-gen von Protestierenden gegen dieWasserprivatisierungen in El Salvadorim Juli 2007 auseinander zu setzen.

Dies nämlich würde als politischeEinmischung und heikler Streitfallmit der Regierung gelten, während dieUnterstützung der Politik einer rech-ten Regierung in El Salvador, dienachgewiesenermaßen die Menschen-rechte missachtet, als nicht-politi-sche, technische und finanzielle Zu-sammenarbeit bezeichnet wird.

Zur Legitimierung dieser angeb-lich unpolitischen und unparteiischenUnterstützung dienen runde Tische, andenen VertreterInnen der „Zivilge-sellschaft“ mit RepräsentantInnen ausRegierung und Wirtschaft unter Anlei-tung gut meinender Konfliktmodera-torInnen nur endlich erkennen müs-sen, dass sie doch eigentlich alle andem selben Problemlösungsstrangziehen wollen. Die Red Sinti Techan,ein Netzwerk globalisierungskriti-scher Organisationen in El Salvador,hat sich der Teilnahme am rundenTisch zur Aushandlung des geplantenAssozierungsabkommens zwischenZentralamerika und der EU verwei-gert. „Der runde Tisch ist durch nichtslegitimiert. Die Red Sinti Techan istzu solchen Verhandlungen nicht be-

reit, um nicht eine Politik zu legiti-mieren, die wir nicht machen wollen.Solche Verhandlungen machen nurSinn, wenn man selbst auch Macht hat,sonst ist und bleibt man Legitima-tionsfigur.“ (Raul Moreno, Red SintiTechan).

Zudem ignoriert die Idee eines run-den Tisches in vielen Fällen die politi-schen Realitäten El Salvadors. DeysiCheyne, Vertreterin der Frauenorga-nisation IMU, sagte bezüglich einesTreffens von VertreterInnen salvadoria-nsicher NGOs mit der EU-Kommissi-on: „Die EU fordert unter dem Schlag-wort Synergie eine enge Zusammenar-beit von NGOs und Regierung; das isttotal absurd und weltfremd. Die mei-sten NGOs hier sind in ständigemKonflikt mit der Regierung. Die Re-gierung verwendet zudem Entwick-lungshilfegelder für ihren eigenenWahlkampf. Über das Red Solidaria(Solidarisches Netz) stellt die EU fürdie Zeit von 2006 bis 2013 einenFonds von 60 Millionen Euro zur Ver-fügung. Besonders arme Familien kön-nen in das Programm des Red Solida-ria aufgenommen werden und erhalten

Die Brigade Resi Huber im Gespräch mit Raul Moreno von der Red Sinti Techan

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dann monatliche Zahlungen von weni-gen Dollars. Die Regierung, besser ge-sagt die VertreterInnen der Regie-rungspartei ARENA vor Ort, verteilendieses Geld als Regierungsgeschenkund machen damit Wahlkampf.“

Das Dilemma

Natürlich stellt eine solche Ein-schätzung von Entwicklungshilfe vieleOrganisationen in El Salvador, dieebensolche erhalten, vor ein Dilem-ma. Denn einerseits brauchen sie dieGelder, um ihr eigenes Überleben zusichern und ihre eigene politischeOrganisierungsarbeit fortzuführen,andererseits wissen sie um die Ge-fahr, damit das Herrschaftsverhältniszu legitimieren und sich zur linkenHand der Rechten zu machen. Wie ge-hen sie nun mit diesem Dilemma um?

Benjamin Alas von Oikos sagtdazu: „Wir definieren unsere Arbeitinnerhalb von Machtstrukturen. Des-halb arbeiten wir daran, Gegenmachtaufzubauen. Unsere Projekte im Be-reich der Nahrungsmittelsicherheitund der Katastrophenprävention sinddabei nur Mittel zum Zweck. DieserZweck ist, dass die Leute ihr Lebenselbst in die Hand nehmen und ge-meinsam mit anderen für ihre Rechteeintreten.“ Deshalb hat Oikos auchschon Projekte abgelehnt, wenn ihnen

von GeldgeberInnen als Bedingungpolitische Arbeit und Positionierunguntersagt werden sollte. So haben siedem CHF International und demCatholic Relief Service (CRS) [nicht-staatliche Hilfs- und Entwicklungs-organisationen] in der Vergangenheitschon Projektabsagen erteilt.

Alle während der Reise der Brigadebesuchten NGOs in El Salvador bewe-gen sich letztlich in diesem Dilemmazwischen der Notwendigkeit von Fi-nanzierung und dem Aufrechterhaltender eigenen Unabhängigkeit, das demhiesiger linker NGOs so unähnlichnicht ist. Die starke politische Polari-sierung in El Salvador bringt es abermit sich, dass eine politische Einord-nung fast zwangsläufig erfolgt, sowohlvon Seiten der Bevölkerung in denDörfern als auch der Regierung, diedie Arbeit von NGOs immer wiedermit dem angeblichen Wiederaufbauvon Guerillastrukturen stigmatisiert.

Solidaritätsarbeit heute?

Vor diesem Hintergrund, nicht zu-letzt im Hinblick auf die Präsident-schafts-, Parlaments- und Gemeinde-wahlen 2009, stehen für unsereGesprächspartnerInnen in El Salvadordie Notwendigkeiten größerer politi-scher Veränderungen an erster Stelle.Inwieweit eine linke Regierung der

FMLN wirklichden Spielraum hät-te, andere, gerech-tere politische undwirtschaftlicheStrategien zu ver-folgen, ist eineFrage, die letztlichauch im Kontextder Entwicklung inanderen Ländernmit links gerichte-ter Regierungs-mehrheit in Latein-amerika zu beant-worten sein wird.

Nichtsdesto-trotz ist und bleibtdie Bejahung derNotwendigkeit po-litischer Verände-rungen und der

Kampf darum das

entscheidende Unterscheidungs-kriterium zwischen Entwicklungshilfeund Solidaritätsarbeit. Letztere stelltdie Frage nach bestehenden gesell-schaftlichen Machtstrukturen, siezielt ab auf politische Positionierungauf Seiten derer, die sich für eine ge-rechte und menschenwürdige Welteinsetzen, und sie weiß darum, dassgesellschaftliche Veränderungen im-mer das Ergebnis von politischenKämpfen um konträre Interessen sind.Statt sich an einen runden Tisch zu set-zen, arbeitet deshalb z. B. die Red SintiTechan an einem Konzept, die ökologi-sche, soziale und historische Kolonial-schuld Europas vor einem internatio-nalen Gerichtshof einzuklagen.

„Die wichtigste Kooperation fürEl Salvador ist die mit dem Süden“,sagten unsere GesprächspartnerInnen.Süden sei dabei aber kein geographi-sches, sondern ein politisches Kon-zept: Es gehe um eine Identifizierunggemeinsamer Problemfelder. Die ein-zige Kooperation mit dem Norden seidie zwischen der Bevölkerung in Nordund Süd, ein gemeinsamer Kampf ge-gen ein System, das alle unterdrückt.Dabei erwarte man kein Geld, wie ei-ner unser GesprächspartnerInnen sag-te, sondern dass man Kämpfe z. B. ge-gen G8 und WTO gemeinsam aus-fechte. Dies sei langfristig die einzigeForm der Zusammenarbeit, die tat-sächlich die Chance habe, sich weiterzu entwickeln.

1 Der Begriff Entwicklungshilfe wird in diesem Arti-

kel bewusst anstelle des Begriffs Entwicklungs-

zusammenarbeit verwendet, da er das Ausbeutungs-

verhältnis weniger verschleiert.

2 Wie Sergio Saenz vom Movimiento Comunal de

Matagalpa aus Nicaragua erklärt, ist Assistentia-

lismus, wenn Projekte durchgeführt werden, die die

Bevölkerung zwar zufrieden stellen, die aber keine

Prozesse bei ihr anstoßen. Dann nämlich entwickeln

die Begünstigten die passive Haltung: „Danke, mehr

davon!“, beginnen aber nicht, ihre Rechte aktiv einzu-

fordern.

3 Gottfried Oy: Im Zeitalter der Slums in SZ, 23.

Juli 2007 (Buchbesprechung zu Mike Davis „Der Pla-

net der Slums“)

4 J. Hirsch: Des Staates neue Kleider – Nicht-

regierungsorganisationen im Prozess der Internationa-

lisierung des Staates in: U. Brand, A. Demirovic, Ch.

Görg, J. Hirsch (Hrsg.), Nichtregierungsorganisa-

tionen in der Transformierung des Staates, Münster

2001, S.15.

BewohnerInnen von Piedra Azul und die Brigade Resi Huber beim

Ausheben von Anti-Erosionsgräben

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33El Salvador

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(rk) Die Polizei schießt Gasbom-ben und Gummigeschosse auf friedli-che Demonstrant_innen, verfolgt sieüber Stunden, geht nicht auf Media-tions- und Verhandlungsversuche ein,durchsucht Häuser ohne legale Befug-nis. Am Ende des Tages sind über 80Menschen verwundet, 25 durch Gum-migeschosse und 18 durch Tränengasschwer verletzt. 14 Personen werdenfestgenommen. Bei 13 von ihnen wirddas im September 2006 vom Parla-ment verabschiedete Anti-Terrorge-setz angewendet, sie werden des Ter-rorismus angeklagt.

Was war geschehen an diesem 2.Juli 07 in Suchitoto? Verschiedene Ba-sisorganisationen, darunter CRIPDES,die Vereinigung ländlicher GemeindenEl Salvadors, und auch die Wasserge-werkschaft SETA, hatten zu einer fried-lichen Demonstration aufgerufen. DerProtest richtete sich gegen die Dezen-tralisierungspolitik des PräsidentenSaca. Dieser wollte mit verschiedenenFunktionsträger_innen an diesem Tagin Suchitoto ein öffentliches Wasser-system einweihen und damit gleichzei-tig seine Dezentralisierungspolitik fürEl Salvador ankündigen.

Nach Ansicht der sozialen Bewe-gungen ist diese Dezentralisierungs-politik im Wassersektor aber nur einMittel, um öffentliche Güter weiterzu privatisieren. Nach den sehr negati-ven Erfahrungen mit der Privatisie-rung im Elektrizitäts- und Tele-kommunikationssektor sollte eineähnliche Entwicklung im Wasser-sektor verhindert werden.

Doch die Proteste werden von Re-pression überzogen. Vier Mitarbeit-er_innen von CRIPDES, unter ihnendie Präsidentin und die Vizepräsiden-tin, erreichen noch nicht einmal dieDemonstration. Sie werden schon vorSuchitoto von der Polizei angehaltenund aus ihrem Auto gezerrt. Als die

Gefangennahme der CRIPDESAktivist_innen bekannt wird, machtsich ein Teil der Demonstrant_innenauf, um für die Freilassung der Gefan-genen einzutreten. Doch entgegen er-sten Zusagen verhandelt die Polizeinicht. Stattdessen attackieren Spezial-truppen die Demonstrant_innen ohneVorwarnung.

Einige Gefangene berichten nachAngaben des Menschenrechtsbürosder Erzdiozöse von San Salvador vonpsychischen und physischen Miss-handlungen während der Festnahmeund Überführung in die Haftanstalt.Beim Abtransport im Hubschrauber z.B. sei den Gefangenen gedroht wor-den, sie aus dem Hubschrauber zuwerfen. Auch die Haftbedingungenseien unmenschlich. Ein Festgenom-mener muss aufgrund von Misshand-lungen während seiner Festnahme insKrankenhaus eingeliefert werden.

Waffen oder andere Beweise füreine kriminelle bzw. terroristische Tä-tigkeit, die ihnen vorgeworfen wird,konnten nicht gefunden werden. Trotz-dem wurden am 7. Juli für 13 der An-geklagten drei Monate Sicherungsver-wahrung angeordnet, ohne die Mög-lichkeit, durch Kaution auf freien Fußzu kommen. Die Terrorismusanklagewurde aufrecht erhalten. Obwohl am26. Juli die letzten neun der Gefange-nen gegen Auflagen erstmal auf freienFuß kamen, ist die Lage immer nochangespannt und äußerst ernst. EndeSeptember verlängerte ein Sonderge-richt der Staatsanwaltschaft die Fristzur Beweisaufnahme für eine Anklagewegen Terrorismus um vier Monate.Da sich die Anklagepunkte auf dasAntiterrorgesetz berufen, sind sehrhohe Haftstrafen möglich. Die sozia-len Bewegungen und Organisationender internationalen Solidarität sind derMeinung, dass dies alles dazu dienensoll, legitimen Protest gegen Regie-rungspolitik zu kriminalisieren und die

Menschen durch Repression einzu-schüchtern. So beurteilt auch der Ehe-mann der Angeklagten Marta LorenaAraujo Martínez das Verfahren folgen-dermaßen: „Damit sendet die Regie-rung eine Botschaft: Protestiert nicht!“

Allerdings scheint der Druck dersozialen Bewegung im In- und Auslandeine gewisse Wirkung zu zeigen. Ob-wohl im Fall Suchtitoto die Terror-ismusanklage nach wie vor im Raumsteht, so hat die Regierung bemerkt,dass das Antiterrorgesetz nicht ohneweiteres zur Einschüchterung der so-zialen Bewegungen herangezogen wer-den kann. Dafür wurde wenige Wochennach dem Vorfall in Suchitoto dasStrafgesetzbuch verschärft und z. B.die Strafe für öffentliche Unruhe-stiftung deutlich erhöht.

Auf den ersten Blick scheint esein salvadorianisches Problem mitsalvadorianischen Akteur_innen undweit entfernt zu sein. Aber die Ursa-chen für diese Situation liegen näherals gedacht. Der Dezentralisierungs-plan, der von der sozialen Bewegungkritisiert wird, ist nämlich nicht alleinvon Saca & Co ausgeheckt, sondernwird auch von der deutschen Entwick-lungshilfe unterstützt und forciert.Ausführender Arm in diesem Fall dieKfW Bankengruppe, früher Kreditan-stalt für Wiederaufbau. Die KfW istAuftraggeberin des Entwicklungspro-jektes „Ländliche Wasser- und Sani-tärversorgung II“ in El Salvador. Die-ses sieht den dezentralen Betrieb vonelf rehabilitierten und ausgebautenTrinkwasserver- und zwei Abwasser-entsorgungssystemen in elf ländli-chen Gemeinden in El Salvador vor.

Nun sehen die sozialen Bewegun-gen in El Salvador von zwei Seiten dieGefahr einer Wasserprivatisierung:Zum einen über die Dezentralisierungländlicher Wassersysteme und zumanderen über die Konzessionierung

Terror in Suchitoto

Was die Repression gegen die sozialen Bewegungen in El Salvador mit der deutschen

Entwicklungshilfe zu tun hat

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Infoblatt 71

El Salvador

der großen städtischen Wasser-systeme (vgl. Infoblatt 69).

Deshalb startete das Öku-Büroeine Eil- und Protestbriefaktion mitdem Ziel, nicht nur die ARENA-Re-gierung unter Druck zu setzen, son-dern auch die KfW. Diese wurde auf-gefordert, die Folgen ihrer Dezentra-lisierungspolitik zu überdenken undsich aus diesen Projekten herauszu-ziehen. Die KfW bestreitet jedoch ve-hement die Vorwürfe, mit ihrer Poli-tik die Privatisierung im Wasser-sektor voranzutreiben. Tatsächlich istes schwer geworden, Investor_innenzu finden. Während in den 1990erndie multinationalen Wasserkonzerneim Glauben an große Gewinne auf dieMärkte der „Entwicklungsländer“ vor-drangen, scheint die Privatisierungs-dynamik seit einigen Jahren ins Stok-ken geraten zu sein. Widerstand derBevölkerung, hoher Investitionsbedarfund geringe Zahlungsmöglichkeiten

der Konsument_innen, die ihre Rech-nung einfach nicht begleichen können,machen es für die großen Wasser-konzerne wenig profitabel, in „Ent-wicklungsländer“ zu investieren, gera-de, weil die lukrativen Städte schon„geerntet“ wurden. Die Beteiligungdes Privatsektors wurde von der(inter)nationalen Entwicklungshilfeallerdings als entwicklungspolitischeNotwendigkeit gesehen, propagiertwurde die „Entwicklungspartner-schaft“, die Public- Private Partner-ship (PPP), zwischen Entwicklungs-hilfe und Privatwirtschaft. Mit dieserPartnerschaft wurde geglaubt, Privat-

investitionen anzuziehen und die Was-serversorgung effektiver und kosten-günstiger organisieren zu können.Doch das Ergebnis dieser Politik warernüchternd: die großen Konzernenahmen die Gelder aus der Entwick-lungshilfe gerne an, investierten auseigener Kasse allerdings wenig. DasZiel einer besseren Versorgung derarmen Bevölkerung durch Privatisie-rungsvorhaben wurde nicht erfüllt.

Die Ergebnisse dieser Politikkonnten auch von der Entwicklungs-hilfe nicht übergangen werden. Dashäufig von der KfW verschriebene„Allheilmittel“ Privatsektorbetei-ligung hatte zu viele offensichtliche,negative Wirkungen hervorgerufen.Generell abgelehnt wird Privatisie-rung allerdings auch nicht. Die KfW-Entwicklungsbank gibt sich jetzt ganzundogmatisch und entscheidet nachAussagen der Mitarbeiter_innen vonSituation zu Situation, wie der Was-

sersektor an-derer Länderreformiertwerden soll.

Ob es alsowie befürchtetzu einer Priva-tisierung desWassersek-tors über dieDezentralisie-rung der klei-neren Wasser-systemekommt, oderob die rhetori-sche Wende,Privatsektor-

beteiligung im Wassersektor auch malkritisch zu sehen, eine wirklichenachzieht, bleibt abzuwarten. Zumin-dest wurde in den Verträgen zwischendem staatlichen WasserversorgerANDA und den dezentralen Betrei-ber_innen rechtlich Privatisierungausgeschlossen.

Allerdings ist auch die Dezentrali-sierung in El Salvadors Wassersektornicht unproblematisch, selbst wenn esnicht zur Privatisierung kommen wür-de. Wie kommunale Entscheidungs-träger_innen oder die Zivilgesell-schaft einbezogen werden sollen,

bleibt undeutlich. Ob die Kommunenfinanziell ausreichend ausgestattetwerden und das nötige Know-How ha-ben um die Wasserversorgung zu or-ganisieren, bleibt zweifelhaft. Dezen-trale Betreiber_innen haben im Ver-gleich zu einem großen staatlichenUnternehmen nur ein kleines Versor-gungsgebiet. Dies minimiert dieChance von Quersubventionierung in-nerhalb eines Betreibers, die sozialeTarife, eine sozial gerechtere Lasten-verteilung ermöglichen kann. Bei ei-nem Gespräch mit Vertreter_innender KfW in Frankfurt äußerte sich einMitarbeiter dazu nur lapidar: “Tja, dasist Prioritätensetzung.“

Auch die Forderung nach kosten-deckenden Preisen, die die KfWgebetsmühlenartig vorbringt, scheinteher neoliberalen Dogmen als sozialenoder entwicklungspolitischen Zielengeschuldet. Staatliche Subventionensind von der KfW nicht erwünscht.Ein_e dezentrale_r Betreiber_in imländlichen Bereich kann ohne Subven-tionen aber nur kostendeckend arbei-ten, wenn die Preise drastisch erhöhtwerden und, da die Möglichkeit derQuersubventionierung gering ist, aufdiese Weise die arme Bevölkerungausgeschlossen wird.

Bislang wurden nur kleine, tenden-ziell nicht lukrative Wassersysteme inEl Salvador dezentralisiert. Die Syste-me der größeren Städte hingegen wur-den nicht angetastet. Abzuwartenbleibt deshalb, ob die Befürchtungvon salvadorianischen Expert_innenzutrifft, dass die Dezentralisierungder kleineren Systeme auch die de-facto-Privatisierung mittels der Kon-zessionierung der Wassersysteme dergrößeren Städte legitimieren soll. Ausdiesem Grunde richtet sich die sozia-le Bewegung in El Salvador entschie-den gegen die vermeintlich bürger-orientierte Dezentralisierungspolitik.

Die Wasserpolitik hält also nochviel sozialen Sprengstoff bereit, derauch von der KfW-Entwicklungsbankdurch ihre neoliberale Politik allesandere als entschärft wird. Umsowichtiger ist es, jetzt politisch zu in-tervenieren und Druck aufzubauen,Repression sichtbar zu machen undentschlossen zu bekämpfen.

Suchitoto: Die willkürlich Verhafteten beim Abtransport auf dem Polizei-Pickup

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35Honduras

Infoblatt 71

Nicola Philipp hat ein Jahr lang beider Frauenrechtsorganisation CasaLuna (Mondhaus) in Honduras ge-arbeitet. In ihrem Beitrag erzählt sievom Leben in Tocoa, der Hauptstadtdes an der Nordküste liegenden De-partments Colón, und vom EinsatzCasa Lunas für die Anerkennungder Rechte der Frauen.

Tocoa ist eine Stadt mit ca. 30.000Einwohner_innen. Ihr Zentrum er-kennt man an den sechs geteertenStraßen. Diese liegen zwischen dem„alten Boulevard“, der zum Markt undBusbahnhof führt, und der „carretera“,der Überlandstraße, die Tocoa diago-nal durchzieht. Außer dem Zentrumgibt es seit einigen Monaten zweiweitere geteerte Straßen: die Straßezum Rathaus (benannt nach dem aktu-ellen Bürgermeister) und die, die zumstaatlichen Krankenhaus führt. DerRest der Stadt verfügt über – mitSchlaglöchern durchzogene – Sand-und Schotterstraßen. Es gibt nur weni-ge Straßennamen und nur selten Haus-nummern. Man orientiert sich anhandder Namen der Viertel und der Anzahlder Blöcke, ausgehend von in derNähe liegenden größeren Straßen, Lä-den oder öffentlichen Einrichtungen,und an Farbe und Bauweise der Häu-ser. So lautete meine Adresse: An derGrenze zwischen Blumenviertel unddem Viertel 18. September, hinterdem Mini-Supermarkt „Rapalo“, imzweistöckigen Apartmenthaus.

Es ist heiß in Tocoa und die Luft-feuchtigkeit ist sehr hoch. Schwitzengehört zum Alltag, von 7:00 bis 21:00Uhr. Die zahlreichen Geländejeepsund Busse wirbeln viel Staub auf, vondem Fußgänger_innen und Rad-fahrer_innen eingenebelt werden undder in alle Räume eindringt. Bei Re-gen verwandeln sich die Straßen ent-weder in kleine Flüsse oder sind von

Pfützen durchzogen und man mussaufpassen, dass man von den Jeepsund Bussen nicht nassgespritzt wird.Hitze, Staub und Matsch ziehen einennicht nur einmal am Tag unter die Du-sche. Aber nicht jeder Haushalt ver-fügt jederzeit über Leitungswasser,manchmal fehlt der nötige Druck. DasWasser kommt aus dem Fluss, derdurch Tocoa fließt, bei gutem Wetterist es relativ klar, bei Regen wird esbraun, da durch den höheren PegelErdreich aufgewirbelt wird. Strom-ausfälle überraschen einen zu jederUhrzeit und es ist meist ungewiss, wielange sie dauern werden.

Diese Situation bedingt viele Ver-haltensweisen des Alltags. Ein anbe-raumtes Treffen findet bei starkemRegen nicht statt, vor allem dannnicht, wenn die eingeladenen Perso-nen von weiter her kommen und zahl-reiche Flüsse zu Fuß oder mit demFahrrad durchqueren müssen, die beiRegen schnell anschwellen und dieQuerung gefährlich machen. Brückengibt es nicht überall. Und auch dieStädter_innen, die kein Auto besitzen,gehen bei Regen möglichst nicht aufdie Straße.

Schutz vor Sonne,

aber nicht vor Anmache

Genau wie den Regen meiden dieTocoaner_innen auch die pralle Mit-tagssonne. Man sieht um diese Zeitweniger Personen auf den Straßen, dieFrauen sind alle mit Regenschirmenausgerüstet, die nicht umsonst eher„sombrilla“ (kleiner Schatten) als„paraguas“ (fürs Wasser) genannt wer-den. Nicht selten passen die Regen-schirme exakt zum Outfit der Frauen,genau so wie Schmuck, Haarbänder,Schuhe oder Handtasche so gut wieimmer perfekt abgestimmt sind. AlsFrau muss man wohl schön sein?

Männer schützen sich gegen Son-ne oder Regen mit Baseballmützen.Sie tragen lange Hosen mit Gürtelnund Hemden oder T-Shirts. Und wosie gehen, stehen oder fahren, schen-ken sie der Damenwelt ihre Aufmerk-samkeit mit Sprüchen und Pfiffen. Esvergeht nicht ein Tag, an dem mannicht als junge Frau von Männern an-gesprochen oder angemacht wird.Egal ob zwölf oder 80 Jahre, sie ver-suchen, deine Aufmerksamkeit zu er-langen. Und dabei spielt es überhauptkeine Rolle, ob man dem Schönheits-ideal entspricht. Einzige Bedingungist: „junge Frau“. Als Mann muss manwohl „Macho“ sein?

Dieses Verhalten der Männerweltnervt, nicht nur mich, sondern alleFrauen, mit denen ich gesprochenhabe. Und wenn man, wie ich, in einerFrauenorganisation arbeitet, die sichfür die Rechte der Frau einsetzt, dannbekommt man manchmal einen Hassauf diese Unverblümtheit, dieses Ge-habe, diese Reduzierung der Frau aufein Objekt der Begierde.

Umso wichtiger und anerkennens-werter ist es, dass es in Tocoa die„Asociación Casa Luna“ (VereinigungMondhaus) gibt. Sie besteht aus achtaktiven Frauen, die sich für die Rech-te der Frauen und gegen Gewalt gegenFrauen einsetzen. Ein Kampf, den sie,wie sie selbst sagen, gegen ein großesUngeheuer führen. Die Strategie derVereinigung ist dabei ein ganzheitli-cher Ansatz aus Beratung, Bildung undWeiterbildung. Und sie versuchen, dienationale Frauenpolitik umzusetzen,die aber oft nur aus Vorschlägen undnicht aus Gesetzen besteht.

Kostenlose Beratung für jede

Frau und jeden Mann

Jede Person, die bei Casa Luna Ratsucht, findet ein offenes Ohr bei Maria

Der Kampf einer

Organisation gegen

das Ungeheuer „Machismo“

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Infoblatt 71

Honduras

de la Luz Sarmiento und EliceldaYadira Guardado, den Beraterinnen vonCasa Luna. Sehr selten sind es Männer,die Rat suchen. Meist kommen Frauen,weil sie Opfer von häuslicher Gewaltsind und die Kraft gefunden haben, et-was dagegen zu unternehmen. Oder dieGewalt gegen sie hat einen Höhepunkterreicht, den sie nicht mehr ertragenund schweigend hinnehmen.

Zum Beispiel der Fall vonCarolina (Name geändert): Jahrelanglitt sie unter der krankhaften Eifer-sucht und Kontrollsucht ihres Man-nes, der sie keinen Schritt aus demHaus ließ. Er kaufte für sie die Klei-dung, er begleitete sie zum Friseurund suchte den Schnitt für sie aus. Erbestimmte über sie und ihren Körper.Sie verlernte, für sich Entscheidungenzu treffen. Eines Tages, bei einemStreit, schlägt er sie. Es ist die erstephysische Gewalt, die er anwendet,und das öffnet ihr die Augen. Sie gehtzu Casa Luna und holt sich Rat. Sieerfährt, dass es vielen Frauen so geht,dass nach der physischen Gewalt ofteine Entschuldigung kommt, aber dieGewalt dann nach und nach wieder zu-nimmt, bis ein neuer Höhepunkt er-reicht wird, der oft heftiger ausfällt.Dann wieder die Entschuldigung, einpaar Monate Ruhe und der Gewalt-zirkel geht wieder von vorne los.

Oder der Fall von Victorina. IhrMann lebte und arbeitete jahrelang inden USA und schickte Geld, damit sieund die gemeinsamen Kinder überle-ben konnten. Als er zurückkommt,will er nicht mehr für seine Familiesorgen und setzt sie auf die Straße. Dadas Haus nur auf seinen Namen einge-tragen ist, steht sie erst mal ohneDach über dem Kopf da und muss beiVerwandten unterkommen.

Die Beraterinnen von Casa Lunazeigen diesen Frauen die verschiede-nen Handlungsmöglichkeiten auf, diesie laut Gesetz haben, und informierensie über Instanzen und Behörden, andie sie sich wenden können. Dabei ach-ten Maria de la Luz und Elicelda dar-auf, dass die Frauen die Entscheidungüber ihr Handeln selbst treffen. Undsie wissen, dass einige Frauen wieder-kommen werden, denn der Weg durchdie Instanzen, in deren Entscheidungs-positionen oft auch Männer sitzen, istschwierig und aufreibend. Häufig ent-scheiden sich Frauen nach einiger Zeit

dafür, ihr altes Leben an der Seite ihresMannes wieder zu ertragen, statt als al-lein erziehende Frau gegen Arbeitslo-sigkeit, Hunger und schlechtes Anse-hen zu kämpfen.

Um im Vorhinein solche Situatio-nen zu vermeiden, bildet Casa LunaFrauen in ihren Rechten aus. Die Aus-bildung zur Rechtspromotorin gibt esseit 1996. Im Moment wird sie von der24-jährigen Maria Adanelis Escoba ge-leitet, selbst eine Schülerin von CasaLuna. Mit Hilfe von partizipativen Me-thoden lehrt sie nicht nur die Inhalteder verschiedenen bereits bestehendenGesetze, die Frauen schützen. Es gehtvor allem auch darum, dass die Frauenlernen, sich selbst wertzuschätzen undsich etwas zuzutrauen. Denn nur werweiß, dass er etwas wert ist, wird sichauch verteidigen. Viele Honduranerin-nen lernen das erst in Casa Luna, daihre Eltern ihnen beigebracht haben,dass eine Frau dem Mann treu zu die-nen hat und er die Entscheidungentrifft. Auch über den Körper der Frau.

Inzwischen ist Casa Luna nichtmehr die einzige Beratungsstelle fürFrauen im Department Colón. Dankkontinuierlicher Arbeit gibt es endlichin allen zehn Landkreisen des Depart-ments Frauenbeauftragte, die an dieGemeindeverwaltungen angegliedertsind. So schlägt es die nationaleFrauenpolitik vor, ohne es jedoch inGesetzen zu verankern. Darummussten die Mitarbeiterinnen vonCasa Luna jahrelange Überzeugungs-arbeit leisten, bis die Gemeinderätesich schließlich auf die Einsetzung ei-ner Frauenbeauftragten einließen.Doch diese haben es nach wie vorsehr schwer, vom Gemeinderat alsMitglied anerkannt und in die Sitzun-gen einbezogen zu werden. Keine be-kommt bisher ein angemessenes Ge-halt oder verfügt über ein eigenesBudget. Darum werden sie von einemdurch Casa Luna ins Leben gerufenenKomitee unterstützt, das sich aus etwa20 Frauen der jeweiligen Gemeindezusammensetzt und sich einmal imMonat trifft. Sowohl die Frauen-beauftragten als auch einige Mitglie-der des Unterstützungskomitees wer-den von Casa Luna weitergebildet. Sokönnen sie sich auch vernetzen undüber ihre Arbeitssituation austau-schen. Dieses Projekt wird kommen-des Jahr weiter finanziert werden,

durch eineN internationaleNGeldgeber_in.

Schritt für Schritt zu mehr Un-

abhängigkeit

Die Abhängigkeit von internationa-len Geldgebern ist groß und es istnicht so einfach, Instanzen zu finden,die Bildungsprojekte für Frauen bezah-len oder deren strategische Ausrich-tung mit der von Casa Luna überein-stimmt. Es ist sehr zeitaufwändig,mögliche Geldgeber_innen zu suchenund die Anträge, Zwischenberichte undAbrechnungen nach den unterschiedli-chen Vorschriften zu verfassen. Um ir-gendwann in der Zukunft mehr Unab-hängigkeit zu erlangen, versucht CasaLuna Schritt für Schritt finanziell aufeigenen Füßen zu stehen. Die Rechts-promotorinnen zahlen für ihre Ausbil-dung im Monat 100 Lempira, umge-rechnet etwa vier Euro, und zusätzlich100 Lempira für die Einschreibung.Dafür bekommen sie aber ein Mittag-essen, sodass nicht sehr viel übrigbleibt, um die anfallenden Verwal-tungskosten zu zahlen. Der bezahlteBetrag bleibt damit eher ein symboli-scher. Casa Luna will zwei Dinge errei-chen. Einmal soll klargestellt werden,dass die Zeit des Übermaßes an Fi-nanzmitteln, die den Nichtregierungs-organisationen nach Hurrikan MitchEnde 1998 zur Verfügung standen, vor-bei ist. Zweitens geht Casa Luna davonaus, dass die Bereitschaft, etwas fürsLernen zu bezahlen, gleichzeitig einehöhere Lernmotivation mit sich bringtund die öffentliche Anerkennung desLehrgangs erhöht.

Eine schon gut funktionierende,Einkommen schaffende Maßnahme istder kleine Gastroservice von CasaLuna, geführt von Norma Leticia CruzOrtíz. Jeden Tag wird Mittagessen ver-kauft und auf Bestellung beliefert CasaLuna andere Organisationen in Tocoamit Essen. Vom Gewinn der Küchewerden im Moment vor allem laufendeKosten wie Strom, Trinkwasser, Tele-fon und anfallende Reparaturen be-zahlt. Eine Perspektive für die Zukunftbietet für Casa Luna das noch leereTerrain hinter dem Bürogebäude. Hierkönnte etwas aufgebaut werden, daseine Finanzierung der Arbeit gewähr-leistet, beispielsweise ein Konferenz-raum oder ein Apartmentgebäude.

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37Nicaragua

Infoblatt 71

Der Hurrikan Felix und die folgendenanhaltenden Unwetter sind eine Na-gelprobe für die Ortega-Regierung inNicaragua. Wer aber ist für dieSchadensbeseitigung verantwortlich?

(as) „Seine Heiligkeit hat tief be-trübt die traurige Nachricht über dievielen Opfer und die materiellenSchäden erhalten, die der Hurrikanverursacht hat“, erklärte KardinalTarcisio Bertone vom Sekretariat desHeiligen Stuhls in Rom1 .

Dieses recht gelassene Ausspre-chen des Mitgefühls ist nicht unge-wöhnlich für eine Reaktion aus demreichen und sicheren Norden. Zumin-dest, solange nicht geklärt ist, worindie Ursache für die rasante Zunahmeder Hurrikane in Zahl und Intensitätseit den 1970er Jahren besteht.

Treibhausgase – Erd- und

Wassererwärmung –

Hurrikane

Die Frage, inwieweit die globaleErderwärmung hierfür verantwortlichist, wird derzeit zum Gegenstandhandfester Interessen in internationa-len Verhandlungen zum Klimaschutz.Anerkannte Tatsache ist, dass hoheOberflächentemperaturen in den tro-pischen Meeren Voraussetzung für dieEntstehung von Hurrikanen sind.Nachweisbar ist weiterhin, dass dieseTemperaturen analog zur globalenErderwärmung ansteigen.

Die Vermutung liegt nahe, dass derZusammenhang Treibhausgase –Erderwärmung – Wassererwärmung –Zunahme von Hurrikanen trotzdemimmer noch kontrovers diskutiert

wird, weil die Anerkenntnis diesesZusammenhangs schwerwiegende po-litische Folgen haben könnte: Mitwelchem Recht könnte man denhurrikangebeutelten Ländern Mittel-amerikas und der Karibik zum Bei-spiel den Anspruch auf Entschädi-gungszahlungen verweigern?

In den Jahren seit 1998 ist es zuüber zehn schweren Hurrikan-Kata-strophen in der Karibik, Mexiko undMittelamerika und dem Süden derUSA gekommen, die meisten davon inden Jahren 2004, 2005 und 2007.

Das von Armut und politischen Kri-sen geschüttelte Nicaragua hatte diebisher schwerste Hurrikan-Saison 2005einigermaßen glimpflich überstanden.Dieses Jahr ist es stark betroffen:

Am Morgen des 4. September trafder Hurrikan Felix auf die nördliche

Katastrophen fallen nicht

vom Himmel

Zerstörte Brücke in Matagalpa aus: nicanet.org

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Infoblatt 71

Nicaragua

Atlantikküste Nicaraguas. Er wurdemit Windgeschwindigkeiten von biszu 300 km/h in die höchste Kategorie5 eingestuft (nicht zu verwechseln mitder hierzulande üblichen Messung inWindstärken). Starke Zerstörungengab es ebenfalls in Honduras, wohinder Hurrikan später abzog.

In der Hafenstadt Bilwi (PuertoCabezas) wurden 90 Prozent der Gebäu-de zerstört, selbst der Kontrollturm desFlughafens stürzte ein. Schlimmer nochtraf es die landeinwärts gelegenen,größtenteils von Indigenas bewohntenGemeinden. Viele waren über längereZeit von der Außenwelt abgeschnitten,sodass das gesamte Ausmaß der Schä-den erst nach und nach deutlich wurde:

Laut offiziellen Statistiken sindca. 200.000 Menschen betroffen.Bisher wurden 102 Tote und weitere133 Vermisste gemeldet. Der größteTeil der Infrastruktur in den betroffe-nen Städten und Gemeinden wie Stra-ßen, Stromnetz, Telefonkabel, Funk-türme, Hafenanlagen wurde ganz oderteilweise zerstört. Außerdem wurden90 bis 100 Prozent der erwartetenErnten in den betroffenen Gebietenzerstört und das Trinkwasser in denBrunnen kontaminiert. Ebenfallsschwer beschädigt sind die Fischerei-Ausrüstungen der Küstenbewohner-Innen. Laut Umweltministerin JuanaArgeñal ist das Bosawas-Biosphä-renreservat, das 1997 von derUNESCO zum Schutzgebiet derMenschheit erklärt worden war, vomHurrikan Felix verwüstet worden.Bosawas, das 10 Prozent derBiodiversität der Welt enthält, wirdals das wichtigste Naturschutzgebietin Mittelamerika betrachtet.

Der staatlichen Katastrophen-schutzbehörde SINAPRED zufolgewerden 30 Millionen US-Dollar So-forthilfe benötigt, um den unmittelba-ren Bedarf für die Wiederherstellungder grundlegenden Infrastruktur fürdie Betroffenen zu decken. Nahrungs-mittelhilfe werde mindestens für dienächsten fünf Monate notwendig sein.

Nicaraguanische und interna-

tionale Hilfeleistungen

Innerhalb Nicaraguas gab es großeSpendenkampagnen und viele Freiwil-lige beteiligten sich an den Aufräum-

arbeiten. SINAPRED und das nicara-guanische Militär leisteten Nothilfe,ebenso Teams kubanischer Ärzte. Et-liche internationale Organisationenbeteiligten sich mit Spenden undHilfsleistungen, ebenso die Regierun-gen von Honduras, El Salvador, denUSA, Venezuela, Kanada, der Europäi-schen Union, Kolumbien und Panama.In Deutschland gab es unter anderemSpendenaufrufe von medico interna-tional und verschiedenen kirchlichenOrganisationen.

Die Regierung Ortega legte zweiWochen nach dem Hurrikan einenPlan zur Wiederherstellung der Regi-on vor. Verglichen mit dem Verhaltenseines Vorgängers Arnoldo Alemánbeim Hurrikan Mitch stellten dieKommentatorInnen der unabhängigenMedien Nicaraguas der jetzigen Re-gierung gute Kritiken aus. Es fehlte je-doch an einer funktionierenden Kata-strophenprävention, wie sie z.B. 1989bestanden hatte, als im Südosten desLandes bereits vor dem Eintreffen desHurrikan „Juana“ der sandinistische Zi-vilschutz die Bevölkerung evakuierte.

Angehörige der Opfer des Hurrikansbeklagten vor der Ständigen Men-schenrechtskommission (CPDH), dassviele Tote hätten verhindert werdenkönnen, wenn ein funktionierender Ka-tastrophenplan bestanden hätte. So sei-en Fischer ungewarnt ausgefahren, ob-wohl das Eintreffen des Hurrikans be-reits bekannt war.

Regenfälle: Die schleichende

Katastrophe danach

Nach dem Hurrikan kam es in vie-len Gegenden Nicaraguas wochenlangzu sintflutartigen Regenfällen. Ursachewaren der Hurrikan selbst und zweiweitere tropische Tiefdruckgebiete.Die Niederschlagswerte lagen über de-nen, die im Jahr 1998 beim HurrikanMitch gemessen wurden. Landesweitsind ca. 40.000 Familien betroffen, eskam zu Erdrutschen, Überschwemmun-gen, Ernteverlusten und Zerstörungenwichtiger Verkehrswege. Am schlimm-sten betroffen sind die RegionenChinandega und Leon im Nordwestensowie Matagalpa im Norden.

In Matagalpa trat der Rio Grandede Matagalpa über die Ufer und rich-tete verheerende Schäden im Gebiet

von Matagalpa Stadt an. In den Notun-terkünften wurden 1.037 Menschengezählt.

Unterdessen hat die RegierungOrtega den Katastrophenzustand ausge-rufen. Sie kündigte an, Reis und Bohnenzu säen, um einer Hungersnot durchweitere Ernteausfälle vorzubeugen, al-lerdings ohne zu konkretisieren, wiediese Maßnahme vonstatten gehen soll.Vorübergehend wurde die Streichungdes Einfuhrzolls auf Bohnen angeord-net, die eines der Grundnahrungsmitteldarstellen und durch die aktuellen Ern-teausfälle im Land knapp werden.

Ortega steht in Verhandlungen mitden nationalen Banken, angesichts desakuten Mittelbedarfs für Notmaßnah-men und Wiederaufbau die Rückzah-lung der internen Staatsschulden zustunden.

Mit Sicherheit war dies nicht dieletzte Katastrophe dieser Art, die überdie Region hereinbrach. Neben denvielen Toten und Verletzten und denvolkswirtschaftlichen und ökologi-schen Schäden ist es besonders diehohe Wahrscheinlichkeit weiterer Ka-tastrophen, die die BewohnerInnen derRegion belastet. Die Bedrohlichkeitsolcher Katastrophen ist in Regionen,wo die Menschen ohnehin schon unterArmutsbedingungen leben, weit höherals in Ländern mit Sozialsystemen undVersicherungsschutz.

Aber die Katastrophen fallen nichtvom Himmel. Es wäre an der Zeit zufragen, ob die Länder mit hoherAtmosphärenbelastung nicht für denAusgleich solch enormer Schädenstärker in die Verantwortung genom-men werden müssten, da ihre Beteili-gung an deren Ursache kaum noch vonder Hand zu weisen ist.

Aber auch Regierungen wie dievon Daniel Ortega sind weit entferntdavon, diese Zusammenhänge beimNamen zu nennen. Für ihn sind dieNaturkatastrophen „unberechenbar“.Sein Katastrophenmanagement hebtsich jedoch wohltuend von dem ab,was Arnoldo Alemán beim HurrikanMitch 1998 in dieser Hinsicht gebo-ten hatte: Er ließ die Betroffenenweitgehend allein und bereichertesich an den Hilfsleistungen.

1 laut der nicaraguanischen Tageszeitung „El Nuevo

Diario“ vom 9. September 2007

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Infoblatt 71

Schwangerschaftsabbruch aus medizi-nischen Gründen (aborto terapéutico)bleibt in Nicaragua weiter unter Stra-fe. Die Kampagne „Yo decido mi vida– Ich entscheide mein Leben“ gehtweiter.

Die Vorgeschichte:

Am 26. Oktober 2006, wenigeTage vor den Präsidentschafts- undParlamentswahlen in Nicaragua be-schlossen die Abgeordneten, dass derseit über 100 Jahren erlaubte medizi-nische Schwangerschaftsabbruch un-ter Strafe gestellt wird. Alle anderenIndikationen für Schwangerschaftsab-brüche sind in Nicaragua sowieso ver-boten. Ein Thema, das als Wahlkampf-thema tabu sein sollte, wurde inner-halb kürzester Zeit ins Parlament zurAbstimmung eingebracht und trotzzahlreicher Proteste verabschiedet.Seitdem müssen Frauen, deren eige-nes Leben bedroht ist, mit einer Ge-fängnisstrafe von vier bis acht Jahrenfür einen Schwangerschaftsabbruchrechnen, die ausführenden Ärzt_innenmit bis zu sechs Jahren Haft sowiedem Entzug ihrer Lizenz.

Drei Monate sind vergangen, seitder Hamburger Nicaragua Verein inZusammenarbeit mit dem „Movimien-to Autónomo de Mujeres“ (MAM) dieKampagne zur Wiedereinführung desmedizinischen Schwangerschaftsab-bruchs (aborto terapéutico) in Nica-ragua gestartet hat. Seitdem sind Hun-derte von Protestmails und unter-schriebene Protestpostkarten beim Ni-caragua Verein eingegangen und hof-fentlich ähnlich viele direkt bei der ni-caraguanischen Botschaft. Der Aufruf„Ni una muerta más! – Keine einzigeTote mehr!“, der die Kampagne beglei-tet, hat derzeit bereits an die 60 promi-

nente Unterstützer_innen.Das ist natürlich ein Erfolg, doch

das Ziel, durch den internationalenProtest das nicaraguanische Parla-ment bei einer erneuten Besprechungdes Themas zu einer Rücknahme derGesetzesänderung vom Oktober 2006zu bewegen, ist vorläufig gescheitert:Am 13. September 2007 bestätigtedas Parlament das Verbot des medizi-nischen Schwangerschaftsabbruchs.

Am Tag zuvor hatten sich die Re-gierungspartei FSLN (Frente Sandi-nista de Liberación Nacional), sowiedie Oppositionspartei PLC (PartidoLiberal Constitucionalista) aus „drin-gendem Anlass“ getrennt voneinanderund unter Ausschluss der Öffentlich-keit getroffen, um die Parteiposi-tionen zum medizinischen Schwan-gerschaftsabbruch zu definieren undinnere Uneinigkeiten zu bereinigen.Zu der am nächsten Tag einberufenenAbstimmung erschienen viele Abge-ordnete erst gar nicht, sei es aus Des-interesse oder dass sie sich so aus derAffäre gezogen haben. Die anwesen-den Abgeordneten machten allerdingsihre Position zu dem Thema mehr alsdeutlich:

Von den insgesamt92 Abgeordneten wa-ren nur 66 anwesend,und nur die drei Abge-ordneten der MRS(Movimiento deRenovación Sandi-nista) stimmten fürdie Wiedereinführungdes medizinischenSchwangerschaftsab-bruchs. Damit bleibtder medizinischeSchwangerschaftsab-bruch in Nicaraguastrafbar!

Das Verbot jeder Form von Abtrei-bung ist ein massiver Verstoß gegendie Menschen- und Frauenrechte. Seitder Einführung des Verbots sind lauteiner Untersuchung der Menschen-rechtsorganisation Human RightsWatch mindestens 80 Frauen aufGrund der Verweigerung einer medi-zinisch indizierten Abtreibung umge-kommen. Die Zahl derer, die sich ausAngst vor Strafverfolgung gar nichtmehr ins Krankenhaus begeben, istwahrscheinlich weit höher.

Insofern gilt es nach wie vor, dieProteste der nicaraguanischen Frau-en- und Menschenrechtsorganisa-tionen zu unterstützen.

Das Ökumenische Büro ruft daherweiterhin zur Unterstützung der Kam-pagne „Yo decido mi vida!“ auf. Aufderen deutscher Homepage(www.yodecidomivida.org) bestehtdie Möglichkeit, Protestpostkartenund -emails an die verantwortlichenStellen zu senden. Eine deutscheÜbersetzung eines offenen Briefesder Kampagne mit der Bitte um Soli-darität gibt es auf unserer Homepage(www.oeku-buero.de)

Nicht der Staat, nicht die

Parteien, nicht die Kirchen –

Ich entscheide mein Leben

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Page 40: Info-Blatt 71„Raubkopierer sind Verbrecher“ ist schlicht falsch. Nach § 12 StGB ver-steht man unter einem Verbrechen, rechtswidrige Taten, die mit einer Mindeststrafe von einem

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