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URBANISIERUNG UND STADTENTWICKLUNG IN BRASILIEN

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URBANISIERUNG UND STADTENTWICKLUNG IN BRASILIEN

BRASILIEN

_ca. 190 Mio. Einwohner

_ca. 8,5 Mio. km2

_22,5 Einwohner pro km2

RIO DE JANEIRO

SÃO PAULO

URBANISIERUNG

URBANISIERUNG

Brasilien zählt zu den am stärksten verstäd-terten Ländern Lateinamerikas

_ca. 190 Mio. Einwohner

_Wandel einer agrarisch geprägten Gesell-schaft zu einer städtisch dominierten

_seit 1960 abwandern der Landbevölkerung infolge der Industrialisierung

_immense Infrastrukturprobleme

_80% der Bevölkerung lebt in Städten

_Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Armut führten zu sozialer Polarisierung

sind (vgl. Abb. 2). Dementsprechend großist die Konzentration an Städten über250 000 Einw. Dabei liegen die in der Karteausgewiesenen Städte > 500 000 Einw. mitAusnahme des 80 km von São Paulo ent-fernten Campinas innerhalb der jeweiligenMetropolitanregionen. Die ebenfalls zu die-ser Großregion gehörenden Staaten MinasGerais und Espírito Santo sind bis auf denGroßraum Belo Horizonte weiterhin vorwie-gend agrarwirtschaftlich ausgerichtet, mitentsprechender Bedeutung des ländlichenRaums als Siedlungsgebiet.

Auch in Nordostbrasilien ist die Ver-großstädterung bereits weit vorangeschrit-ten, was sich ebenfalls in einer großen Zahlan Metropolen bzw. Millionenstädten äu-

ßert (vgl. Abb. 2). Fast jeder der verhältnis-mäßig kleinen Bundesstaaten – Ausnahme:Bahia mit 12,5 Mio. Einw. (1996) – verfügtüber eine eigene Metropole, nur die Haupt-stadt Sergipes, Aracaju, verfehlt mit428 000 Einw. noch diesen Status. Im Ge-gensatz zum Südosten liegt jedoch der Me-tropolisierungsgrad im Nordosten bei nur21,5 %, und ein relativ großer Teil der Bevöl-kerung lebt in kleineren Siedlungen, so daßder Gegensatz zwischen den großen Metro-polen an der Küste und dem ländlichen,meist noch stark traditionell geprägt Lan-desinneren auch weiterhin als charakteri-stisch gelten kann und mit der fortschrei-tenden Modernisierung einzelner Großräu-me sogar noch verstärkt wird.

Unter Einbeziehung der drei anderenGroßregionen, des Nordens (mit den Bun-desstaaten Amazonas, Roraima, Amapá,Pará, Acre, Rondônia und Tocantins; vgl.Abb. 2), Mittelwestens (Mato Grosso, MatoGrosso do Sul, Goiás und Distrito Federalmit Brasília) sowie Südens (Paraná, SantaCatarina und Rio Grande do Sul) ergibt sichinsgesamt folgendes Bild des aktuellenStädtesystems:� Der Hauptsiedlungsraum liegt seit derKolonialisierung an der Küste, wobei jedochim 20. Jh. eine Verlagerung des Schwer-punkts von Norden nach Süden stattgefun-den hat, die sich in der aktuellen Dominanzdes Raums São Paulo–Rio de Janeiro–BeloHorizonte ausdrückt.

658 R. Wehrhahn: Urbanisierung und Stadtentwicklung in Brasilien

100

65

25

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59

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3713

78

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0

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62

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5440

21

5234

15

PortoAlegre

Curitiba

Rio de Janeiro

Belo Horizonte

Campo Grande

Goiâna

Brasília

Manaus

São Luís

Teresina

Fortaleza

Natal

João Pessoa

Recife

Maceió

Salvador

0 250 500 1000 km

São Paulo: 9,8 Mio.

Rio de Janeiro: 5,6 Mio.

1 - 2,2 Mio Ew.

500.000 - < 1 Mio. Ew.

250.000 - < 500.000 Ew.

weit überdurchschnittlich

überdurchschnittlich

unterdurchschnittlich

weit unterdurchschnittlich

Bevölkerungsdichte (Ew. pro qkm):

Jährl. Zuwachsrate der Bev. 1991-96:< 10

10 - 30

30 - 65

65 - 100

137

> 300

Belém

Jaboatão

São Paulo

NovaIguaçu

Duque de CaxiasSão Gonçalo

Anteil urbaner Bevölkerung in %

Grad der Vergroßstädterung

Metropolisierungsgrad

1

2

3

4 5

1

2

3

4

5

AMAZONAS

MATO GROSSO

PARÁ

RONDÔNIA

ACRE

RORAIMA

AMAPÁ

TOCAN-TINS

BAHIA

MINAS GERAIS

MARANHÃO

PIAUÍ

CEARÁRN

PA

PE

AL

SE

GOIÁS

ES

PR

SCRS

SC

RS

PRES

SE

AL PE

PA RN

ALAGOAS

ESPÍRITO SANTO

PARAÍBA

PERNAMBUCO

PARANÁ

RIO GR. DO NORTE

RIO GRANDE DO SUL

SANTA CATARINA

SERGIPE

Osasco

Campinas

Guarulhos

Santo André

São Bernardodo Campo

MATO GR.DO SUL

Abb. 2: Verstädterung und Städtenetz in Brasilien 1996Die Angaben zur Bevölkerungszahl der Städte beziehen sich nur auf die Kernmunizipien; Angaben zur Verstädterung nur für Bundesstaaten mit mehr als 3 Mio. Einw. 1996;Grad der Vergroßstädterung: Anteil der Bevölkerung in Städten > 100 000 Einw. 1996; Metropolisierungsgrad: Anteil der Bevölkerung in Städten > 500 000 Einw. 1996Quelle: Eigener Entwurf nach IBGE 1997

Verstädterung und Städtenetz in Brasilien 1996

INFORMELLE SIEDLUNGEN

INFORMELLE SIEDLUNGEN

Der Begriff „Favela“ entstand in Rio de Janeiro am Ende des 19. Jahrhunderts

_1897 Errichtung einer Hüttensiedlung ehema-liger Söldner, auf dem „Morro da Providência“

_Forderung nach Land, besetzter Hügel „Morro da Favela“

_1902 Zerstörung preiswerter Mietwohnungen durch Stadtumgestaltung

_vertriebene Bewohner lassen sich auf den im Stadtgebiet versreuten Hügeln („morros“) nieder

- Beginn des Favelawachstums in Rio de Janeiro

_1964 bis 1979, gewaltsame Umsiedlungspro-gramme, Versuche die Favelas zu beseitgen

_ab 1983 erste Schritte zur Aufwertung der Favelas

_20-40% der brasilianischen Bevölkerung in den wichtigsten Städten, leben in Favelas

RIO DE JANEIRO

RIO DE JANEIRO

zweitgrößte Stadt und Zentrum Brasiliens

_ca. 11 Mio. Einwohner

_Einwohnerdichte 4640 EW pro km2

_ca. 30% der Bevölkerung lebt in informellen Siedlungen

_topographische Situation begrenzt die Sied-lungsfläche

Bevölkerungsdichte in Rios Favelasjeder Punkt entspricht 100 Einwohner

1991

2000

PROGRAMME IN RIO DE JANEIRO

„Favela-Bairro“ Programm

Phase I

_ab 1993, Sanierungs und Infrastrukturmaß-nahmen

_Schwerpunkt, technische Infrastruktur

_1994 Testphase mit städtischen Mitteln, in 15 kleineren Favelas

_300 Mio $ Kredit der „Banco Interamericano de Desenvolvimente“ (BID)

Phase II

_ab März 2000, weitere 180 Mio. $ vom BID

_Schwerpunkte, Schaffung sozialer Einrich-tungen, Maßnahmen zur Beschäfftigungsför-derung,Legalisierung des Grundbesitzes

Ziele

_Integration der Favelas in die städtebauli-chen und sozialen Strukturen der formellen Stadt

PROGRAMME IN RIO DE JANEIRO

„Favela-Bairro“ Programm

PROGRAMME IN RIO DE JANEIRO

Großes Favelas

_Große Favelas in Stadtbezirke Verwandeln

Bairrinho

_Favelas mit der übrigen Stadt verbinden

Morar Legal

_Legaliseirung des Grundbesitzes

Morar Sem Risco

_Umsiedlung in sichere Umgebung

Morar Carioca

_Förderung des Wohnungsbaus

Novas Alternativas

_Sanierung zur Aufwertung des Zentrums, Ziel Mischnutzung

Regularização Fundiária

_Legalisierung der Siedlungsflächen

JORGE MARIO JÁUREGUI

Architekt und Stadtplaner

_Mitwirkend beim „Favela-Bairro“ Programm

_seit 1996 Mitarbeit an Favela-Programmen

_2003 ausgezeichnet mit dem „Veronica Ma-rio Green Prize in Urban Design“für die Urbanisierung von Favelas

JORGE MARIO JÁUREGUI

Favela do Vidigal

_Schaffung soziale Einrichtungen

_langfristig gesehen neuer Stadtbezirk

JORGE MARIO JÁUREGUI

Complexo Manguinhos

_Masterplan

_Infrarstrukturmaßnahme

_Hochbahntrasse

_Vernetzung

_Innstädtische Grünflächen

_öffentlich Einrichtungen

_Wohnungsbau

FRANK MÖHR

Mit Baggern gegen RevolverIn Rio de Janeiro ist eines der größten Slum-Sanierungsprojekteangelaufen. Der brasilianische Staat will die Elendsviertel von den herrschenden Drogengangs befreien – und zwar ohneEinsatz von Gewalt. Die Betroffenen sind skeptisch.

aus Berlin stammender Architekt

_Projektleiter Favela Manguinhos

_nur angekündigte Besuche

_fotographieren und vermessen wird gestattet, keine Fotos von Drogenhändler

_wurde von der Regierung mit 107 Mio. Euro ausgestattet

_Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und Parks

_bessere Anbindung an den Nahverkehr, Seilbahn

_1300 bezahlte Jobs für die „favelados“

Spiegel Spezial Nr.4 2008

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ARMENVIERTELNach Schätzungen lebtmehr als ein Viertel aller Brasilianer – rund52 Millionen Menschen– in illegalen Siedlun-gen, in Favelas. Diemeisten kommen vomLand. Irgendwo in denGroßstädten errichtensie ihre provisorischeBleibe auf der Suchenach Arbeit, Ausbil-dung, Anschluss an dieModerne.

STÄDTEBAU

62 s p i e ge l s pe c i a l 4 | 2 008

wasserleitungen und teeren neue Straßen. Dabei be-schäftigen sie Anwohner: Etwa 1300 bezahlte Jobswinken den „favelados“. Auf dem „Morro doAlemão“, dem Elendshügel mit dem kuriosen Na-men „Berg des Deutschen“, lässt die Regierung eineSchneise für eine Seilbahn freischlagen, die bis zumGipfel führt. Stararchitekt Oscar Niemeyer, 100, hatder Favela Rocinha den Entwurf einer Fußgänger-brücke gestiftet. Und auch Manguinhos soll besseran den Nahverkehr angeschlossen werden.

Mit der Sanierung der Slums will die Regierungdie Herrschaft der Drogengangs brechen. „Die Stadtmuss die Favelas zurückerobern, bevor diese dieStadt einnehmen“, sagt Rios Vizegouverneur LuizPezão. Bislang bewegen sich die Verbrecher im La-byrinth der Elendsviertel wie Fische im Wasser. Vonden Dächern und Terrassen der Favelas überwachensie ihr Revier, halten Ausschau nach der Polizei undrivalisierenden Gangs.

Möhr führt die urbanistische Gegenoffensive an.Sein Chef, der einer staatlichen Baufirma vorsteht,hatte ihm die Stelle angeboten; er hält große Stückeauf ihn. Der Deutsche lebt seit 1996 in Rio, war miteiner Brasilianerin verheiratet und spricht perfektPortugiesisch. Vor allem gilt Möhr als Organisa-tionstalent und als Kommunikationsgenie. Seinjetziges Gehalt beträgt nicht einmal ein Fünfteldessen, was er in der Privatwirtschaft verdienenwürde. Doch nach einer schlaflosen Nacht schlug erein: „So eine Chance bekommt man nur einmal imLeben.“

Es ist die Chance, einen Slum in ein normalesWohnviertel zu verwandeln, die Chance, illegalenZuwanderern vom Land ein urbanes Zuhause zugeben, die Chance, aus verängstigten Slum-Bewoh-nern selbstbewusste Bürger zu machen. Und es istgleichzeitig die Herausforderung, buchstäblich Lichtins Dunkel zu bringen: mit Straßenlaternen, größe-ren Plätzen, offeneren, geraden Gassen, in denensich die Verbrecher nicht mehr verstecken können.Sehr hehre Ziele sind das.

Aber können bessere Straßen und bessere Häu-ser allein dafür sorgen, dass bessere Menschen dortwohnen?

Möhr kennt das Risiko, zu scheitern, es ist nichtsein erstes Favela-Projekt. Vor sechs Jahren hat er inJacarezinho, Rios Favela mit dem euphemistischenNamen „Krokodilchen“, an einem Projekt des Des-sauer Bauhaus mitgewirkt. Die Deutschen stelltenden Favela-Bewohnern ein tolles Bürgerzentrumhin, sie lockerten die Bebauung einiger Straßenzügeauf und errichteten ein Kino, das der Bürgermeistervon Rio persönlich einweihte.

Heute sitzen Drogenhändler in den schönen Räu-men. Besucher trauen sich nur mit Polizeischutzoder auf Einladung der Mafia in den Slum. Möhr:„Stadtplanung zur Vorbeugung von Kriminalitätfunktioniert nur, wenn der Staat dauerhaft Präsenzzeigt.“

Dass es funktionieren kann, weiß er aus Medellín,der einstigen Drogenmetropole Kolumbiens. Wie inRio herrschten die Drogenhändler und Jugendgangsdort auch in den Slums, und wie in Rio wuchsen die-se an den Hängen am Stadtrand empor – bis die Re-gierung die schlimmsten Elendsviertel sanierte. Manbaute eine Seilbahn, legte Wasser- und Stromlei-tungen, säumte Plätze und Straßen mit Bänken,Bäumen, Schaukeln. Die Einwohner wurden in dieBauarbeiten miteinbezogen, ihr Engagement wurdevon der Stadtverwaltung entlohnt.

Heute hat sich die einstige Hauptstadt des Mor-dens in eine blühende, lebenswerte Stadt verwan-delt; die Verbrechensrate ist deutlich gesunken. „Ausden Slum-Bewohnern von einst sind Mitbürger ge-worden, die sich in ihrem Viertel heimisch fühlen“,schwärmt Möhr. So ein Wunder schwebt ihm auchfür Manguinhos vor.

Doch in Medellín hatte der Frieden seinen Preis:Vor dem Beginn der Bauarbeiten schickte Kolum-biens Präsident das Militär in die Slums. 200 Men-schen kamen damals, 2002, ums Leben, bei wo-chenlangen Schießereien. Als Ruhe herrschte, ka-men die Architekten.

In Brasilien scheut die Regierung vor dem Einsatzder Streitkräfte zurück, sie überlässt den Drogen-krieg der Polizei. Doch die ist überfordert: Viele Be-amte sind korrupt und schlecht ausgerüstet. Sie trau-en sich nur im Panzerwagen in die Hüttenlabyrinthe.

„Die Stadtmuss die Fave-las zurück-erobern, bevordiese die Stadteinnehmen.“

Vizegouverneur Luiz Pezão

ARCHI 5 ARQUITETOS ASSOCIADOS

Favela de Parque Royal

_Durchlässigkeit des Straßensystems

_Öffentliche Gebäude und Plätze

_Neubelebung des Uferstreifen

SÃO PAULO

SÃO PAULO

_Stadtgründung 1554 durch die Jesuiten

_urbane Struktur gleicht portugiesischer Dorfstruktur

_20er Jahre, Peripherie hat keinen Anschluss mehr an das öffentlich Verkehrsnetz

_50er Jahre, Symbol der modernen brasil. Gesellschaft

_ca. 18 Mio. Einwohner

_eine der reichsten Städte des globalen Südens

SÃO PAULO PROJEKT

Favela Paraisópolis

Architektur und Stadtplanung: Vigliecca & AssocZeitraum des Projekts: 2004–2006 Bevölkerung: 80.000 Einwohner

Informeller UrbanismusFast eine Million Einwohner der StadtSão Paulo wohnen in Favelas ge-nannten Armenvierteln und nahezuzwei Millionen in informellen Sied-lungen. Seit den 1970er Jahren sinddies die Stadtteile mit der größten Dy-namik und dem größten Wachstum;sie haben die Informalität und dasUngeregelte von der Ausnahme zurRegel werden lassen. Das Wachstumder informellen Siedlungen übertrifftdasjenige der formellen Stadt beiWeitem. Dennoch hält sich der Glau-be beharrlich, die städtischen Armuts-siedlungen seien Ausnahmeerschei-nungen in der Stadtlandschaft.

Ein paradigmatisches Beispieldieser dualen Stadt ist das ViertelMorumbi/Paraisópolis im SüdwestenSão Paulos. Hier koexistieren und kol-lidieren zwei Situationen miteinanderund ignorieren sich dennoch gegen-seitig – trotz des Bewusstseins gegen-seitiger Abhängigkeit. Morumbi liegtsüdwestlich des Pinheiros-Flusses undgilt als eines der exklusivsten ViertelSão Paulos. Dort findet man riesigePrivatvillen, luxuriöse gated commu-nities mit ausgefeilten Sicherheitssy-stemen und elegante Hochhäuser mitprivaten Grünanlagen. Paradoxer-weise gibt es jedoch ebendort, mittenin Morumbi, auch eine der größtenrechtswidrig errichteten Siedlungender Stadt: die Favela Paraisópolis.Auf einem Gelände, das ein Gefällevon bis zu 35 Prozent aufweist undvon verschiedenen offenen Abwas-serkanälen durchzogen ist, zähltdieses Konglomerat von ein- bisdreigeschossigen Bauten annähernd82.000 Einwohner, von denen

Die Urbanisierung der Favela Paraisópolis,São Paulo

46.000 jünger als 14 Jahre sind. DieBesonderheit dieser Favela, dienahezu vollständig auf privatem Landgebaut ist, findet sich in ihremZentrum: Hier trifft man auf ein be-reits früher angelegtes städtischesWegenetz mit Straßen und kom-pletter Infrastruktur. Der für Favelasauffällig sorgsame Umgang mit denangrenzenden Gebäuden, ablesbardurch private Investitionen, sowie diesichtbare Vielfalt von Typen undGebrauchsformen lässt einen Zu-sammenhang zwischen privilegierterLage und Verantwortung erkennen.Doch bereits im Inneren der hierangrenzenden Häuserblöcke ver-schlechtert sich der Zustand derHäuser.

StädtebaulicheErneuerungsmaßnahmenKonventionelle Sofortmaßnahmen fürsolche städtische Brennpunkte be-schränken sich meist auf von Erd-rutsch oder Überschwemmung be-drohte Bauten; demgegenüber wer-den alle anderen Aktionen wieplanvollen Teilabriss zur Aufwertungdes Stadtraums als Verschwendungund als unverantwortlich abgelehnt.Die Gegebenheiten dieses Gebietessind jedoch unvereinbar mit her-kömmlichen Planungsmodellen, wiesie in „formellen“ Bereichen mithilfevon Verordnungen auf Grundlage ei-ner normativen Gesetzgebung statt-

finden können. Der Ausgangspunktfür unser Projekt war deshalb der„spontane Wille zur Verpflichtung ge-genüber der Stadt“.

Das Projekt verfolgt eine Strategieder räumlichen Hierarchisierung überein Wegenetz in Kombination mit derpunktuellen Setzung einzelner Groß-wohnbauten. Das Ziel dieser struktu-rierenden Maßnahmen ist es, durch„Infiltrationen und Motoren der Ur-banität“ einen kontinuierlichen Er-neuerungsprozess einzuleiten – ohnevorhandene soziale Strukturen zuzerstören.

Neue ZentrenInmitten der bestehenden Wohngebie-te wird im Abstand von jeweils zweiFeldern des Erschließungsrasters je einWohn- und Geschäftsriegel quer übereine Wegachse gesetzt. Diese mehr-stöckigen Riegel ersetzen einerseits diean der Stelle abgerissene prekäreWohnbebauung, wirken andererseitsals Katalysatoren auf ihr urbanes Um-feld: An den Kreuzungspunkten zwi-schen Wegen und Riegel entstehen öf-fentliche Räume, die das Blockinnerezugänglich machen und damit auf-werten. Der zu beobachtende positiveKonsolidierungsprozess an den Haupt-erschließungswegen soll dadurch nachinnen ausgeweitet werden.

Die Talsohlen und BerghängeAufgrund von Erdrutsch- und Über-schwemmungsgefahr wird die Wohn-bebauung in der Talsohle und in star-ken Steillagen vollständig abgerissen.Die alte Wohnbebauung wird hierdurch eine andere Wohntypologie er-setzt: bis zu acht Geschossen hoch indie Hügel eingebaut und jeweils überzwei Zugänge auf verschiedenen Ni-veaus erschlossen, so dass man aufteure Aufzüge verzichten kann. Dieneuen Freiflächen werden zum Teil inGrünanlagen und Freizeiteinrichtun-gen umgewandelt. Höfe und Treppen-anlagen dienen als Pufferzone zumSchutz vor Erdbeben.

Neue WohnquartiereInsgesamt schlägt dieser Entwurf vierneue Wohntypen vor: neue Zentrenals urbane Katalysatoren, Bauten fürdie Berghänge, Bauten für die Tal-sohlen und eine Wohnbebauung fürdie Abrissflächen. Da nicht alle Be-wohner wieder unmittelbar auf demgleichen Grundstück angesiedelt wer-den können, entsteht am Rand vonParaisópolis ein neues Wohnquartiermit 3.000 neuen Wohnungen in eineroffenen Bebauungsstruktur. Bei derEntwicklung dieser Wohntypen wur-den herkömmliche Modelle des sozia-len Wohnungsbaus nicht angewendet,da diese nicht auf die städtischen Be-sonderheiten ihrer jeweiligen Stand-orte eingehen können.

Lorem

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Héctor Vigliecca

Schaffung öffentlicher Räume: Wohn-und Geschäftsriegel (oben) und punktuelle Eingriffe zur Auflockerung (unten)

Urbaner Katalysator im Zentrumsgebiet der Favela, SkizzeDie Favela Paraisópolis im Bezirk Morumbi, umgeben von Luxusvillen

Eine der typischen Strassen im Inneren

Die an das bestehende Wegenetz angrenzenden Häuser zeigen sich deutlich selbstbewusster

Methoden der Umstrukturierung:zentrale urbane Katalysatoren, Bauten für die Berghänge und Verdichtung der Peripherie, Modell

Neue Hierarchisierung durch dasWegenetzDie wichtigste Maßnahme zur Struk-turierung des Gebietes ist die Einbin-dung des bestehenden Straßenrastersan das Verkehrsnetz der Umgebung,um die problematischen Zonen vonParisópolis an die neuen Wohnviertel(Córrego Antonico und Córrego doBrejo) anzuschließen. Die Wege funk-tionieren zugleich als Sichtachsen, dieklare Orientierung und kollektive Be-zugspunkte schaffen. Die Bauten, dieder Neustrukturierung weichen müs-sen, werden durch neue Wohn-,Dienstleistungs- und Geschäftsbautenin unmittelbarer Umgebung ersetzt.Über dem Córrego do Brejo wirdanstelle der Abbrissbauten ein Parkerrichtet.

Das Projekt wurde mit dem Preis des Instituts der Architekten Brasiliens (Instituto dosArquitetos do Brasil) in der Kategorie „städtische Intervention“ 2005–2006 – São Pauloausgezeichnet. / Team: Héctor Vigliecca, Luciene Quel, Ruben Otero, Ronald Werner Fiedler, Neli Shimizu, Lilian Hun, Thaísa Folgosi Fróes, Ana Carolina Damasco Penna,Rodrigo Parra Munhoz, Gabriel Azevedo Farias, Manuela Fernanda Marques Cabral /Verwaltung: Paulo de Arruda Serra, Luci Tomoko Maie /Mitarbeit: Ursula Troncoso

Die Urbanisierung der Favela Paraisópolis, Héctor Vigliecca

FAVELA PARAISÓPOLIS

Die Urbanisierung der Favela Paraisópolis, Héctor Vigliecca

FAVELA PARAISÓPOLIS

FAVELA PARAISÓPOLIS / MORUMBI

_eines der exklusivsten Viertel São Paulos

_luxuriöse gated communities