Infocheck: Armut und Bettelei

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Infocheck Umgang mit anspruchsvollen Situationen auf Reisen Armut und Bettelei „Der ahnungslose Tourist, der mit dem Portemonnaie voller Geldscheine durch Lima oder Tananarive bummelt, ist für die heillos verarmten Einwohner keine Person, er ist eine goldene Gans. Ob er will oder nicht, der Tourist präsentiert sich als Herold der Überflussgesellschaft.“ D UCCIO C ANESTRINI |1

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Informationen zum Umgang mit schwierigen Situationen auf Reisen - herausgegeben von respect-Institut für Integrativen Tourismus und Entwicklung, Wien-Österreich

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InfocheckUmgang mit anspruchsvollen Situationen auf Reisen

Armut und Bettelei

„Der ahnungslose Tourist, der mit dem Portemonnaie voller Geldscheine durch Lima oder

Tananarive bummelt, ist für die heillos verarmten Einwohner

keine Person, er ist eine goldene Gans. Ob er will oder nicht, der

Tourist präsentiert sich als Herold der Überfl ussgesellschaft.“

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Infocheck 1 – Armut und Bettelei 2

Neues und Unbekanntes zu erleben, ist ein wichtiger Be-standteil von Reisen. Diese Erfahrungen müssen aber nicht zwangsläufi g angenehm sein. Infocheck greift Themen auf, die Reisende immer als schwierig erfahren. Wir wollen Hintergründe und regionale Besonderheiten beleuchten, zum Verstehen beitragen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Königswege oder absolute – in jedem Fall rich-tige – Verhaltenstipps gibt es nur in sehr wenigen Fällen. Der „beste Umgang“ ist eine individuelle Entscheidung und hängt von der jeweiligen Situation und den Akteuren/innen ab. Wir wollen vorbereiten auf neue Situatio nen und Reisenden die Unsicherheit nehmen. Man fürchtet auf Rei-sen nicht die unbekannte oder neue Situation, sondern die Unfähigkeit des Umgangs damit.

Impressum:Infocheck – Umgang mit anspruchsvollen Situationen auf ReisenAusgabe 1: Armut und Bettelei

Text: Marcus BauerLayout : Hilde Matouschek, Marcus BauerTitelbild: ILO/Gianotti E.Herausgeber:respect–Institut für Integrativen Tourismus und Entwick-lung, A-1150 Wien, Diefenbachgasse 36/3, www.respect.at

Wien, 2006

Wir freuen uns über Erfahrungsberichte, Anregungen und Kritik. Bitte per e-mail an [email protected]

Wenn wir im Urlaub das „Ursprüngliche“ und „Authenti-

sche“ suchen, sind neue Technologien ein ungewohnter

Anblick. Für die Bewohner dieses Dorfes stellt Elektrizität

einen wichtigen Entwicklungsschritt dar.

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INHALT

Armut nah und fern 3

Kann man Armut messen? 4

Armutsbekämpfung –Eine globale Herausforderung 5

Arme Länder – Reiche Eindrücke 5

Das reichste Volkder Welt 5

Billig weg gekommen? Urlaub in Entwicklungsländer 5

Entwicklung durch Tourismus 6

Unsere Hilfe ist gefragt – Bettelei 7

Echte und vorgetäuschte Armut 7

Der Bettelberuf 8

Gedanken zum Umgang mit Armut auf Reisen 9

Reiche arme Länder 9

Auf dem Land ist vieles anders 9

Wunderwelt Großstadt 9

Die Bühnen der Bettelei 10

Das Geschäft mit Angst und Scham – Aggressives Betteln 10

Ungefragte Hilfe 10

Große Last auf kleinen Schultern 10

Geld ist nicht alles 11

Was bekommen für’s Geld 11

Vor Ort entscheiden 11

Profi s beim Helfen unterstützen 12

Zu Hause gegen Armut kämpfen 12

Weiter informieren 12

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3 Infocheck 1 – Armut und Bettelei

I gaze out on wet, destitute slums. Wherever one can build a shanty, someone has. Wherever one could be pissing, someone is. The poverty‘s on a mind–blowing, overwhelming scale, and you feel so helpless. The money in your pocket right now, handed to any one person out the-re beyond the window, would be life–changing. But you can‘t save a billion people and turn the fortunes of this massive country. (You’re not Gandhi, you know.)

SE T H ST E V E N S O N

Armut nah und fern

Armut gibt es überall, auch in in-dustrialisierten Ländern wie Ös-

terreich. Hier nicht so offensichtlich. Selten wird man in Europa mit Armut direkt konfrontiert, durch Obdachlose am Hauptbahnhof oder durch Bettelkin-der in der Straßenbahn. Meistens spielt sich die Armut im Privaten ab – und ist damit fremden Blicken entzogen.

Viele Arten von Armut, die bei uns vorkommen, nimmt man nicht wahr. In den westlichen Industrieländern ist Armut subtil:• Ein Mann geht in den wohlverdien-

ten Ruhestand, die Rente reicht nur für Miete und Grundnahrungsmittel. Auf neue Kleidung, Schuhe, Frisör etc. wird verzichtet. Staatliche Un-terstützung lehnt er ab, dafür ist er zu stolz. Schließlich hat er ein Leben lang gearbeitet.

• Eine Frau hat einen Unfall und ist fortan auf fremde Hilfe und Medi-kamente angewiesen. Die Versiche-rung trägt nur einen Teil, den Rest spart sie sich vom Mund ab.

Meist sieht man diese Art von Armut nicht und nur wenige denken an solche Aspekte, wenn sie über Armut nachden-ken. Die Armut, mit der wir (manch-mal) im Fernsehen, im Radio oder in der Tageszeitung konfrontiert werden, ist eine andere. Sie ist weit weg – in

der „Dritten Welt“ – und da ist die Rede von Hungerskatastrophen, Flüchtlings-lagern und Cholera-Epidemien. Es gibt also in unserer Wahrnehmung verschie-dene Qualitäten von Armut.

Als armutsgefährdet gilt in Europa, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss. Laut Statistik Austria bedeutet das für Österreich weniger als 848 EUR monatlich. Es existieren soziale Syste-me, die eine gewisse Grundversorgung gewährleisten. Diese tragen dazu bei, dass die schlimmsten Auswirkungen von Armut bei uns nicht so prekär wie in anderen Ländern sind. Hungerka-tastrophen, unkontrollierte Epidemien oder verseuchtes Trinkwasser sind in den westlichen Industriestaaten kaum mehr anzutreffen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war dies anders. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts waren viele der oben beschriebenen Umstände in West-europa bittere Wirklichkeit. Verursacht wurde Armut durch Naturkatastro-phen, Missernten, Diktatur und Krieg.

Mit diesen Faktoren werden wir in un-serem gewohnten Umfeld kaum mehr direkt konfrontiert. Global betrachtet sind sie für viele Menschen nach wie vor Realität. Korruption, Überschul-dung, Mangel an bezahlbarer Energie, Staatsversagen, technologischer Rück-stand, Bildungsrückständigkeit oder ein zu starkes Bevölkerungswachstum – all das können Gründe für Armut sein. In einigen wirtschaftlich schnell wachsenden Staaten ist feststellbar, dass auch „Fortschritt“ Armut verstär-ken kann. Der übermäßige Einsatz von Kunstdüngern oder das Ableiten von ungeklärten Industrieabwässern können dazu führen, dass das natürliche Um-feld die Menschen nicht mehr ernäh-ren kann oder sie krank macht. Immer mehr Menschen wandern in die Städte ab, aber für viele erfüllt sich dort die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht. Die Slums der Mega-Städte wachsen unaufhaltsam, 2007 werden zum ersten Mal mehr Menschen in Städten leben als auf dem Land.

Weltweit leben zurzeit ca. 1,1 Mil-liarden Menschen, etwa 21 % der Weltbevölkerung, von weniger als ei-nem US–Dollar pro Tag. Damit gel-ten sie als extrem arm. Selbst wenn sie in den Städten ein höheres Ein-kommen haben und damit nicht mehr als extrem arm gelten, bleibt frag-lich, ob ihre Situation dort besser ist.

Bettelnde Familie in Österreich

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Slum in der Elfenbeinküste

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Infocheck 1 – Armut und Bettelei 4

In vielen Gesellschaften produzie-ren die Menschen gerade soviel, wie sie zum Leben brauchen. Diese Sub-sistenzwirtschaft wird (aus westlicher Sicht) meist mit Armut gleichgesetzt. Zwar haben diese Menschen genug, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedi-gen: Sie pfl anzen und ernten ihre Nah-rungsmittel, bauen ihre Häuser und fertigen ihre Kleidung selbst aus natür-lichem und lokal vorhandenem Mate-rial. Sie produzieren aber nicht genug, um Überschüsse verkaufen zu können. Kritiker/innen werfen der Armutsmes-sung anhand wirtschaftlicher Kriterien vor, dass dieses Verständnis von Armut zu Lasten der Umwelt und der Sozial-systeme geht. Unbedingtes Wirtschafts-wachstum sehen sie als Krankheit, die aber von internationalen Finanzorgani-sationen als Arznei verordnet wird.

„Poverty is hunger. Poverty is lack of shelter. Poverty is being sick and not being able to see a doctor. Poverty is not having ac-cess to school and not knowing how to read. Poverty is not ha-ving a job, is fear for the future, living one day at a time. Poverty is losing a child to illness brought about by unclean water. Poverty is powerlessness, lack of representa-tion and freedom.”

W W W.W O R L D B A N K.O RG

Obwohl in vielen Ländern die Men-schen sich selbst versorgen können, haben sie dennoch keinen Zugang zu wichtiger Infrastruktur. Das Recht auf Schulbildung ist ein verbrieftes Men-schenrecht. In vielen ländlichen Gebie-ten gibt es aber keine oder zu wenige Schulen. Ähnlich verhält es sich mit der Gesundheitsversorgung. Krankheiten, die relativ einfach zu behandeln wären, bedeuten dort vielfach Lebensgefahr.

Kann man Armut messen?

Um einen Überblick über die „Ent-wicklungsschritte“ einzelner Län-

der zu bekommen, hat die Weltbank die Ein-Dollar-Grenze als Messlatte festge-legt. Dieses Messverfahren erfasst nur wirtschaftliche, nicht aber soziale As-pekte wie Bildung oder Gesundheit. Der Human-Development-Index, der jährlich vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) er-hoben wird, erfasst dagegen auch Be-reiche wie z.B. Kindersterblichkeit, Lebenserwartung oder Alphabetisie-rungsrate. In weitergehenden Armuts-defi nitionen ist die Begrenzung von Verwirklichungs- oder Entfaltungs-möglichkeiten eingeschlossen. Durch diese Erweiterungen des Armutsbegrif-fes wird die moralische Verpfl ichtung zur Armutsbekämpfung deutlicher. Würde es nur darum gehen, dass „arme Menschen“ mehr Geld haben sollen,

wer wäre bereit zu helfen? Wenn klar wird, dass Armut auch Krankheit, man-gelnde Bildung oder ein Gefangensein in der eigenen Situation bedeutet, ist die Wahrnehmung von Armut als Un-gerechtigkeit weitaus größer.

„The basic purpose of deve-lopment is to enlarge people‘s choices. In principle, these choices can be infi nite and can change over time. People often value achievements that do not show up at all, or not immedia-tely, in income or growth fi gures: greater access to knowledge, bet-ter nutrition and health services, more secure livelihoods, security against crime and physical vio-lence, satisfying leisure hours, political and cultural freedoms and sense of participation in community activities. The objec-tive of development is to create an enabling environment for people to enjoy long, healthy and crea-tive lives.“

MA H B U B U L HA Q–UNDP

Selbstversorgerhof in Indien

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Kanalarbeiter auf den Philippinen

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5 Infocheck 1 – Armut und Bettelei

Armutsbekämpfung –Eine globale Heraus-forderung

Das erste der Millenniums-Ent-wicklungsziele der Vereinten Na-

tionen ist die Halbierung der extremen Armut bis zum Jahr 2015. Die Zahl der Menschen, die unter die ein US-Dollar Einkommensgrenze fallen, ist in den letzten Jahrzehnten stark gesunken. Experten/innen erachten daher die Er-reichung dieses Ziels als realistisch. Wenn in China und Indien, den bei-den bevölkerungsreichsten Staaten der Welt, das gegenwärtige Wirtschafts-wachstum anhält, werden diese das gesteckte Ziel erreichen können, auch wenn sich die Armutsquote in anderen Ländern weiterhin verschlechtert und mit ungeklärten Folgen für Umwelt und Gesellschaft in beiden Staaten. Geld – der Maßstab dieses Ziels – ist nicht alles. Momentan hat weltweit über eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Im Jahr 2050 werden es mindestens zwei Milliarden Menschen sein.

And after all , back in Bangalore we hung out with highly paid I T guys who worked for Infosys. There’s a lot of wealth in India, too.

SE T H ST E V E N S O N

Arme Länder – Reiche Eindrücke

Selbst wenn wir uns bewusst sind, dass wir weltweit mit Armut kon-

frontiert werden, so ist sie doch nur ein Teil der Wirklichkeit. Äthiopien bietet fantastische Naturschutzgebiete und ei-ne christliche Tradition, die älter ist als die des Abendlandes. Im Sudan gibt es mehr Pyramiden als in Ägypten und in Nicaragua locken Kaffeeplantagen und die Vulkaninsel Ometepe. Der sagen-hafte Reichtum Indiens lässt sich an prunkvollen Gebäuden, außergewöhn-lichen Naturlandschaften und moder-nen Bürogebäuden ablesen. Es ist eine

Frage der persönlichen Gewichtung, welche Eindrücke wir aus dem besuch-ten Land mitnehmen. Wer nur die Bil-der von Armut mitnimmt, der hat eine große Chance verpasst, die Vielfalt ei-nes bereisten Landes wahrzunehmen. Kontraste veranlassen uns, bestimmte Länder zu besuchen. Und die Kon-frontation mit genau diesen Kontrasten stellt uns unterwegs immer wieder vor Herausforderungen. Wäre die Altstadt von Marakkesh attraktiver, wenn dort keine (armen) Einheimischen ihr Brot mit Geschichten erzählen verdienen würden? Die Mönche, die in den Vor-orten Bangkoks kurz nach Sonnenauf-gang Almosen erhalten, leben in Armut. Ist es nicht dennoch faszinierend ihnen zuzuschauen? Und wie viele Reisende suchen weltweit das einfache Leben in Klöstern, um für eine Zeit „arm“ zu sein und Abstand vom gewohnten Alltag zu gewinnen?

Das reichste Volkder Welt

Wir haben bestimmte Vorstellun-gen von Armut und nehmen die-

se in die Länder mit, die wir bereisen. Dabei sind dort vielleicht die Vorstel-lungen von Armut und auch von Reich-tum ganz andere. Auf Papua-Neuguinea haben Einheimische vor hundert Jahren reichlich vorhandenes Gold gegen Kau-

ri-Muscheln eingetauscht und sind so – nach ihrem Verständnis – unermesslich reich geworden. Auch in Afrika bezahl-te man noch bis in die 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts mit Kauri-Wäh-rung. Auf der mikronesischen Insel Yap wird Reichtum nach wie vor über den Besitz mühlsteingroßer Steinräder defi -niert. Als in den 80-er Jahren des zwan-zigsten Jahrhunderts die Viehhirten der Sahelzone wegen einer Dürrekatastro-phe in die Küstenstädte fl üchten muss-ten, konnten sie nicht nachvollziehen, dass sie als arm angesehen wurden. Sie selbst hatten sich für das reichste Volk der Welt gehalten.

Billig weg gekommen? Urlaub in Entwicklungs-länder

Wir reisen in ferne Länder auch deswegen, weil Urlaub dort so

günstig ist. Das hängt damit zusammen, dass der Entwicklungsstand des Landes gering ist. Die Preise in dem Land sind geringer als in unserem gewohnten Um-feld. Daraus resultiert, dass Arbeitskräf-te dort „billig“ verfügbar und die Ein-kommen „entsprechend gering“ sind. Während des Urlaubes profi tieren wir davon. Wenn wir aber direkt mit den Auswirkungen „dieser ökonomischen Vorteile“ konfrontiert werden, sind wir unzufrieden. Eigentlich unlogisch?

Straßenmusikanten auf Kuba

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Infocheck 1 – Armut und Bettelei 6

Wer sich, ohne währenddessen zu arbeiten, für einige Tage oder Wochen bedienen lässt, wird zurecht als reich angesehen. Ist es verwerfl ich, wenn ein armer Mensch versucht, einen Teil von diesem Reichtum abzubekommen.

Um die Touristen/innen vor allzu großer Aufdringlichkeit zu schützen, wählen viele Tourismusunternehmen den Weg, Zäune zu errichten und Si-cherheitspersonal zu engagieren. Die Touristen/innen sind eingeschlossen und lernen das Land „bewacht“ aus dem Bus kennen. Diese „hermetisch gesicherten Reisen“ und ein „zu sehr zur Schau gestellter Luxus“ können ei-ne Ursache für Gewalt gegen Touristen sein. Ob ein solcher Tourismus durch immer höhere Zäune und mehr Secu-rity-Personal langfristig aufrecht zu

erhalten und von den Touristen/innen gewünscht ist, erscheint fraglich.

Eine andere Möglichkeit ist es, die lokale Bevölkerung gleichberechtigt am Tourismus zu beteiligen und die Einnahmen auf möglichst viele Per-sonen (auch „arme“) zu verteilen. Das ist nicht einfach, aber auf lange Sicht sinnvoll. Es gibt Modelle, die den Nut-zen der lokalen Bevölkerung an den Tourismuseinnahmen erhöhen. Beob-achtungen legen nahe, dass Touristen/innen und Einheimische profi tieren. Erstere von geringerer Aufdringlich-keit, zweitere durch höhere Einnahmen und beide durch einen freundlicheren Umgang miteinander.

Entwicklung durch Tourismus

Der Gedanke, Tourismus als Ein-kommensquelle und Entwick-

lungsmotor zu benutzen, ist nicht neu. Bereits 1936 schrieb der Italiener Sem Benelli: „Afrika könnte auch zur Passi-on von Touristen werden – und der Tou-rismus ist das Geld, das auf dem Rü-cken des Neugierigen daherspaziert.“ Ist es genug, in Urlaub zu fahren, und alleine dadurch trägt man schon zur Ar-mutsbekämpfung bei? Ganz so einfach ist es nicht. Dass durch Tourismus Geld verdient wird, ist richtig. Entscheidend ist, wem es zugute kommt: Verdienen nur lokale Eliten und ausländische Investoren/innen oder profi tieren breite Teile der Bevölkerung vom Tourismus? Die „Armen“ sind Teil der Gebiete, die wir besuchen. Es ist nur fair, auch sie an den „Eintrittsgeldern und Nutzungsge-

bühren“ zu beteiligen. Ende der Neunziger Jahre begannen

Wissenschaftler/innen, sich eingehend mit der Frage zu beschäftigen, wie Tourismus einen möglichst großen so-zialen Wohlfahrtsnutzen („net benefi t“) für arme Teile der Bevölkerung erzie-len kann. Dieser „Pro-Poor Tourism“ ist kein spezielles Produkt, das man bu-chen kann. Vielmehr können auf allen Ebenen der Tourismusindustrie– und Politik Entscheidungen und Prozesse „pro-poor“ gestaltet werden.

Beispiele für Pro–Poor–Ansätze:• „Fair Trade Tourism South Africa”

bietet ein freiwilliges Zertifi zie-rungsprogramm für Tourismusun-ternehmen an. Im Gegensatz zu an-deren Labels, die Umweltaktivitäten als Hauptkriterium ansehen, liegt der Schwerpunkt auf den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismus.

• „Worldhotel Link” ist eine Bu-chungsmaschine für Übernachtun-gen. Sie wurde entwickelt, um Tou-rismusangeboten aus Entwicklungs-ländern einen verbesserten Zugang zum internationalen Tourismusmarkt zu ermöglichen. Die Plattform bün-delt viele Unternehmen, die Armuts-bekämpfung und Nachhaltigkeit im Tourismus ein besonderes Augen-merk schenken.

• In Vietnam passt die Nationale Tou-rismusadministration die Gesetzge-bung hinsichtlich der Anforderungen an, die sich durch die Millenniums-entwicklungsziele, die bessere Ein-bindung armer lokaler Arbeitskräfte und Mitbestimmung der Bevölke-rung ergeben.

• In Gambia erreichte die Associa-tion of Small Scale Enterprises in Tourism (ASSET), dass Hotelanla-gen lokalen Anbietern den Verkauf von Waren und Dienstleistungen (Taxifahrten, Ausfl ugstouren etc.) erlauben. Die Qualität der Produkte wurde sichergestellt, die Händler/innen zu unaufdringlichem Verhal-

Touristen unter sich...

...oder zu Gast bei Freunden.

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Hauptsache billig oder

wertvolle Erfahrungen?

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7 Infocheck 1 – Armut und Bettelei

ten angehalten. Die Touristen/innen wurden ermutigt, die Angebote zu nutzen. Sie fühlen sich seitdem we-niger „belästigt” und die Einnahmen der Händler/innen haben deutlich zu-genommen.

Die Welttourismusorganisation UN-WTO hat die Erkenntnisse und Erfah-rungen zur Armutsbekämpfung durch Tourismus aufgenommen und das Pro-gramm ST–EP (sustainable tourism – eliminating poverty) ins Leben geru-fen. Durch die Aufklärungskampagne „Tourism enriches“ werden Reisende informiert, wie ihr Geld die Wirtschaft in den Urlaubsgebieten unterstützt und wie diese Unterstützung möglichst groß ausfallen kann.

The thing is, if you go to India as a tourist, you’ll have to make some sort of peace with all this. Because it’s one thing to see poverty on tele-vision, or to get direct mail that asks for your charity. It’s different when there are tiny, starving children grabbing your wrists and asking for money wherever you go.

SE T H ST E V E N S O N

Unsere Hilfe ist gefragt – Bettelei

Armut – auch wenn sie offensicht-lich ist – kann sehr hintergründig

und unaufdringlich sein. Bettelei hin-gegen wird direkt an andere Menschen adressiert. Unabhängig davon, wie auf-dringlich die Form der Bettelei ausfällt, immer sind wir direkt angesprochen zu helfen. Kann man sich bei Armut noch damit „herausreden“, dass man als Einzelperson sowieso nichts ausrich-ten kann, so appelliert Bettelei immer an das Gewissen. Verstärkt wird dieser Appell, wenn die bettelnde Person alt, krank, verletzt, behindert ist, ein Kind ist oder ein Kind bei sich hat.

Spätestens hier kommt die Frage auf, ob die Gründe für die Bettelei echt oder vorgetäuscht sind.

Echte und vorge-täuschte Armut

Wer arm ist, muss nicht unbedingt betteln und ein Bettler muss

nicht zwingend arm sein. Möglicher-weise muss die „normal“ gekleidete Frau, die uns um Geld fragt, Essen für ihre Kinder kaufen. Und der bedürf-tig aussehende junge Mann mit den

„zerlumpten“ Kleidern, der auf der Bahnhofsbank sitzt, ist vielleicht ein fi nanziell gut gestellter Selbständiger. Bettelei ist selten eine stolze Tätigkeit. Unbekannte – im Extremfall auf Knien – um Unterstützung zu bitten, fällt nie-mandem leicht, auch nicht „professio-nellen“ Bettlern.

Manchmal dauert Bettelei fünf Mi-nuten, manchmal fünfzig Jahre. Um „erfolgreich“ zu betteln, muss man sich entsprechend zu verhalten, zu kleiden, zu maskieren und zu platzieren wis-sen. Bettler/innen haben „ihre Revie-re“ und man kann sich „hocharbei-ten“. Die Attraktivität der Reviere hat mit dem zu erwartenden Verhalten der „Kunden/innen“ zu tun. Wer aus einem bekannten Restaurant kommt, wird nur schwer einen hungrigen Mann zurück-weisen. Und neben dem Fahrkartenau-tomaten ist zwangsläufi g Kleingeld zu erwarten.

Je herzzerreißender die Geschich-te von Bettelnden, desto größer die Bereitschaft zu geben. Ob wirklich jemand bedürftig, obdachlos oder todkrank ist, ist für Vorübergehende kaum nachvollziehbar. Die Zahlungs-bereitschaft hängt zusammen mit der „schauspielerischen“ Leistung. Es ist verwirrend, dass Menschen mit den

Bettlerin in chinesischem Tempel

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Tourismus kann für Gäste und

Gastgeber bereichernd sein

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Infocheck 1 – Armut und Bettelei 8

„besten Geschichten“ oftmals nicht be-dürftig sind, während andere in großer Not sind und wenig erhalten, weil sie „schlecht schauspielern“. Jeder muss selbst entscheiden, was „echt“ und was „falsch“ ist. Einem Mann ohne Beine wird man eher abnehmen, dass er keine Alternative hat, als einem „gesunden“. Einer alten Frau wird man eher glau-ben, dass sie der Hilfe bedarf, als einer jungen. Behinderung, Krankheit und Alter sind „unverschuldete“ und klar erkennbare Tatsachen. In diesen Fällen ist Mitgefühl selten fehl am Platz. Ob Zwangsverstümmelungen nur Horror-geschichten sind oder vorgetäuschte Verletzungen die seltene Ausnahme, ist nicht eindeutig zu klären.

Die Vorspiegelung falscher Tatsa-chen beim Betteln ist „unmoralisch“, aber nicht verboten.

Der Bettelberuf

In Europa wird in mehreren Städten überlegt, professionelle Bettler/innen

per Verordnung zu vertreiben. Um ei-ne rechtliche Grundlage zu schaffen, wird nachgeprüft, ob die Spenden in dunklen Kanälen einer „Bettelmafi a“ verschwinden. Auch wenn sich vie-le Bürger/innen angesichts kniender Bettler/innen offenbar in ihrer Würde angegriffen fühlen, ist ein generelles Verbot nicht einfach. Auch in vielen an-

deren Ländern tut man sich schwer mit den Bedürftigen. Echte Bedürftige nicht zu verurteilen und „Betrüger/innen“ zu verbannen, ist eine schwierige Heraus-forderung. Es geht um das Image der Innenstädte, die Hauptanziehungspunkt für Bettler/innen ebenso wie Touristen/innen sind. In Vietnam hat das Touris-musministerium eine „Armee junger Freiwilliger“ eingestellt, die Besucher/innen an besonders betroffenen Punk-ten vor Diebstahl und Belästigung schützen sollen. In China denkt man über ein Verbot von Bettelei in be-stimmten Gebieten nach, um der gro-ßen Zahl professioneller Bettler/innen entgegenzuwirken. Angeblich kommen ganze Dorfbevölkerungen in die Städte, um dort zu betteln. Und Zeitungen in Shanghai berichten von wohlhabenden Bettlern/innen, die mit dem Taxi „zur Arbeit kommen.“ Eine Broschüre soll helfen, die wirklich Bedürftigen bes-ser zu erkennen. In Asien trifft man auf Mönche, die aus religiöser Überzeu-gung ausschließlich von Almosen le-ben. Andere Menschen dort folgen der Familientradition – schon der Vater war

Bettler. Trotz dieser tiefen religiösen und kulturellen Verankerung von Bette-lei gibt es auch in Indien ein „Panhand-ling Elimination Department“ – eine Behörde zur Abschaffung der Bettelei.

Buddhistische Mönche in Tibet

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Reich an Eindrücken – Einkaufsstraße in Indien

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It is very diffi cult to generali-ze how and where panhand-ling begins in the life of a be-ggar. Some inherited from their ancestors. There are all kinds of beggars whose period of begging spans from fi ve minutes to fi f-ty years. A boy was begging for peanuts on the street, but when someone offered him money, he refused. „I like peanuts,“ he said ran away - his needs being very specifi c. The eight year old of a maid-servant who was instruc-ted to play outside was begging the passers by for small change and bought candy. When I asked a strongly built man why he couldn‘t work, I was told that he was merely continuing his family tradition!

K. L. KA M A T

Page 9: Infocheck: Armut und Bettelei

9 Infocheck 1 – Armut und Bettelei

Gedanken zum Umgang mit Armut auf Reisen

Reiche arme Länder

Wenn wir in andere Länder fahren, sollten wir möglichst viele Ein-

drücke mit nach Hause nehmen. Armut kann ein solcher Eindruck sein. Aller-dings sollte man nicht nur die Armut, sondern auch den Reichtum eines Lan-des wahrnehmen. Essen, Kultur, Reli-gion, Gespräche… können reich und bereichernd sein, auch wenn ein Land „arm“ ist. Über die Armut, auch wenn sie „auf der Straße liegt“, kann man „hinweggehen“, wenn man auf ande-re Weise etwas gegen sie unternimmt.

Auf dem Land ist vieles anders

In ländlichen Gebieten haben Men-schen oft wenig Geld, aber dennoch

genug, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Geld wird benötigt, um Dinge zu kaufen, die man nicht selbst herstellen oder eintauschen kann. Und das sind oft Dinge, die neue Errun-genschaften darstellen. Dazu können Schule, medizinische Versorgung, Elektrizität und Information gehören.

In abgelegenen Gebieten, in denen Radio, Fernsehen und Tageszeitungen selten sind, sind es oft die Reisenden, die Wünsche hervorrufen. Diese haben tolle Kleidung, feste Schuhe, Radios und Taschenlampen – Dinge, die für viele Einheimische (noch) unerreich-bar sind. Die Wahrnehmung der eige-nen „Armut“ wird auch mit verursacht durch die Reisenden.

Wunderwelt Großstadt

Viele Menschen auf dem Land ver-sprechen sich ein besseres Leben

in der Stadt. Für die meisten endet dieser Weg in den Randbezirken, wo sie mit einer Vielzahl von „Gleich-gesinnten“ um das konkurrieren, was die „reiche Gesellschaft“ übrig lässt. Auch wenn die Geldeinnahmen höher ausfallen als auf dem Land, kostet ein städtisches Leben auch ein Vielfaches. Der Weg zurück ist schwierig, nachdem man die Familie „im Stich gelassen“ hat. Dass in den Dörfern zurückgelas-sene „Alte“ den Freitod wählen, um der Schande zu entgehen, ist keine Selten-heit. Um den Abwanderungswünschen die Grundlage zu entziehen, müssen auch auf dem Land Chancen geschaf-fen werden. Bildung, medizinische Versorgung und eine gesicherte Exis-tenz müssen auch der Landbevölkerung zur Verfügung stehen. Nur so kann dem fatalen Irrglauben von der Wunderwelt Großstadt Einhalt geboten werden.

Straßenkind in Marokko

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Große Verantwortung – Bettelnde Kinder und asiatische Touristinnen

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Page 10: Infocheck: Armut und Bettelei

Infocheck 1 – Armut und Bettelei 10

Die Bühnen der Bettelei

Bettelei konzentriert sich dort, wo Geld zu erwarten ist: Einkaufs-

straßen, Verkehrsadern, Sehenswür-digkeiten. In Nebenstraßen der Vor-städte oder in Dörfern, in die selten Fremde kommen, ist Bettelei weniger präsent. In manchen Gebieten oder Zo-nen kann es vorkommen, dass der Fra-ge nach Geld mit Gewalt (-androhung) Nachdruck verliehen wird. Vom Be-such bestimmter Viertel wird aus die-sem Grund oftmals abgeraten. Es gilt zu entscheiden, ob man auf den Haupt-straßen bleibt und dort Bettelei in Kauf nimmt, oder ob man einen Blick hinter die Kulissen wagt. Wer mit Schmuck behängt und mit aus der Hose schauen-den Geldscheinen in der Nacht durch dunkle Seitenstraßen läuft, die/der provoziert. Aus Angst alle Nebenstra-ßen zu meiden und sich nur am Tage zu bewegen, ist aber nicht die Lösung. Nicht protzen und die Augen offen hal-ten, ist ein besserer Weg. Vielleicht ist eine einheimische Begleitung bereit, auch die Seiten seiner Stadt zu zeigen, die man alleine nicht besuchen wollte oder sollte. Das Internet bietet die Mög-lichkeit, Personen zu fi nden, die gerne Besuchern/innen aus dem Ausland ihre Heimat zeigen.

Das Geschäft mit Angst und Scham – Aggressives Betteln

Wer am späten Abend vom Geld-automaten kommt, hat Geld

in der Tasche. Vor der Bank höfl ich um Geld gefragt, ist es wahrschein-lich, dass der/die Angesprochene et-was gibt, schon um Gewaltandrohung bzw. „Schlimmeres“ zu vermeiden. So jedenfalls scheint die Logik „aggressi-ver“ Bettler/innen zu sein. Zu diesen zählen auch solche, die wild gestiku-lierend auf Passanten/innen einschrei-en. Sie machen sich Ängste bzw. die Peinlichkeit der Situation zunutze. Almosen werden zu Schweige- bzw.

Lösegeldern und Bettelei zum Tausch-geschäft. Ruhe und Frieden werden er-kauft. Die „Bittsteller/innen“ wissen um die Unbeholfenheit der Reisen-den: Diese sind meist Orts unkundig, wissen nicht, wie man in der Landes-sprache um Hilfe ruft, haben Schwie-rigkeiten, die Täter/innen genau zu identifi zieren, sind vom Procedere bei der Polizei überfordert… Genau diese Unbeholfenheit nutzen sie und gegen derartige Bettelpraktiken kann man sich nur schwer wappnen. Es ist nicht ratsam, den Helden/die Heldin zu spie-len, wenn man bedroht wird. Wenn die Unbeholfenheit der/dem „Angreifen-den“ nicht groß genug erscheint, wird sie/er vielleicht ablassen. Vieles ist eine Frage der Vorbereitung. Ein paar Sätze in der Landessprache wirken nicht nur im Notfall Wunder.

Ungefragte Hilfe

Wer einfach Geld verteilt, braucht sich nicht zu wundern, wenn

er/sie um Geld gefragt wird. Die Zahl der Nachfragenden wird sogar mit je-dem Geben wachsen. Ähnlich ist es mit Süßigkeiten, mit Kugelschreibern, mit Bonbons oder mit wortlos im Bun-galow zurückgelassenen Kleidern. Im Grunde ist es egal, ob die Horde Kin-der, die uns nachläuft nach „one dollar“ oder „un caramelo“ fragt. Ohne beson-deren Grund etwas herzugeben, ist in keiner Kultur üblich. Das wird klar, wenn wir uns vorstellen, dass uns ein reicher Amerikaner durch das Fenster seines Cadillac einen 10 Dollar-Schein in die Hand drückt. Wir würden uns fragen, warum er das tut. Vermutlich würden wir das Geld zwar nehmen, aber dann denken: „Verrückte Ameri-kaner!“. Es ist gut gemeint, nur wird es auch verstanden? Warum nicht einen Zettel dazulegen, der erklärt, warum man die Kleider dagelassen hat, oder sie persönlich übergeben? Wenn man Kinder statt durch Geld durch Einla-dungen zum Essen unterstützen will, sollte man die Sicht der Eltern über-

denken. Kann das Kind seinen Eltern erklären, wieso ein/e Fremde/r es zum Essen eingeladen hat. Und würden die Eltern die Erklärung auch verstehen?

Große Last auf kleinen Schultern

An bettelnden Kindern einfach vor-beizugehen, erscheint besonders

hart. Gibt man ihnen Geld, so kann Bettelei mit der Zeit zum Beruf wer-den. Mit der Zahl der „Berufsjahre“ sinken die Einnahmen: Je jünger, desto mitleidserregender. Für andere Arbeit fehlen die Voraussetzungen und Kennt-nisse. Der Ausweg ist oft die Kriminali-tät. Es darf nicht sein, dass ein Kind die Familie ernähren muss. Vielmehr soll-te die Familie das Kind ernähren. Man sollte sich selbst – und wenn die Spra-che es erlaubt, auch das Kind – fragen, warum nicht die Eltern kommen und um Hilfe bitten. Unsere wirtschaftliche Situation würde es in vielen Ländern er-lauben, gemeinsam mit den Eltern das Kind für eine Schule anzumelden und die kompletten Kosten der Ausbildung dort direkt zu zahlen. Damit würde den Familien aber vielleicht eine Hauptein-nahmequelle wegfallen.

Millenniums-Entwicklungsziel Nr. 2:

Bis zum Jahr 2015 sicherstellen, dass

Kinder in der ganzen Welt, Jungen

wie Mädchen, eine Primarschulbildung

vollständig abschließen können.

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Page 11: Infocheck: Armut und Bettelei

11 Infocheck 1 – Armut und Bettelei

„Das größte Problem in der Welt ist Armut in Verbindung mit feh-lender Bildung. Wir müssen da-für sorgen, dass Bildung alle er-reicht.“

NE L S O N MA N D E L A

Den Kindern eine Ausbildung zu er-möglichen und den Eltern den Sinn zu vermitteln, ist keine leichte Aufgabe. Ein/e Urlauber/in, der/die nur wenige Tage oder Wochen bleibt, wird diese kaum alleine lösen können. Zumindest könnte sie/er nicht kontrollieren, ob al-le Absprachen eingehalten werden. Es gibt in sehr vielen Ländern Initiativen, die sich gezielt der Ausbildung von Straßenkindern widmen. Eine Spende an eine solche Organisation ist sinn-voller, als ein wenig Bargeld in der Kinderhand. Der Dank für eine Spende fällt vielleicht nicht so persönlich aus wie der durch ein bettelndes Kind. Das sollte in Kauf genommen werden, weil durch Spendengelder größere Projekte ermöglicht werden. Diese bieten lang-fristig Perspektiven – und das ist bes-ser, als ein Geben von der Hand in den Mund.

Geld ist nicht alles

Wer kein Geld hat, hat vielleicht Zeit. Für uns in Europa ist es

eine ungewöhnliche Vorstellung, uns mit Fremden „ohne Grund“ zu unter-halten. Gerade diese Unterhaltungen stellen in vielen Gebieten, die nicht täglich durch die Presse mit „Wis-senswertem aus aller Welt“ versorgt werden, eine willkommene Abwechs-lung dar. Dass dabei Hintergedan-ken im Spiel sind, entspringt oft un-serer Phantasie. Vertrauen – ebenso wie Lächeln – ist eine Währung, die international „hoch im Kurs“ steht.Vor allem Kinder sind neugierig. Sie sehen eine/n Fremde/n und wollen mit ihr/ihm reden. Nur worüber? Die Frage nach Geld bietet sich an, weil Touristen/innen immer Geld haben.

Sie haben aber vielleicht auch anderes anzubieten. Eine Geschichte, ein Lied, Fotos von ihrer Heimat oder Kunststü-cke wie Jonglieren. Wer derartiges zu bieten hat, dessen/deren Geld ist zweit-rangig.

Was bekommen für’s Geld

Viele Menschen empfi nden Bet-teln als entwürdigend. Wenn sie

eine Gegenleistung bieten – und sei sie noch so gering – ist die Situation eine andere. Indem wir kleine Waren und Dienstleistungen nachfragen, unterstüt-zen wir diese Menschen. Es geht nicht nur um Souvenirs – niemand kann oder will kistenweise Mitbringsel kaufen. Lokale Süßigkeiten, Snacks, Früchte oder Getränke können direkt verzehrt werden. Wer sein Reisegepäck vor Ort nach Bedarf ergänzt, vermeidet unnüt-zen Ballast und unterstützt die Wirt-schaft des Urlaubslandes. Auch den Haarschnitt muss man nicht unbedingt vor dem Urlaub erledigen, im Reiseland gibt es Friseure/innen. Eine Rasur pro-fessionell ist bequem und unterhaltsam. Eine Fahrradrikscha benutzen, sich die Zukunft voraussagen oder die Schuhe

putzen lassen, die Unterhaltung durch einen Straßenmusikanten mit ein paar Münzen würdigen… Die Möglichkei-ten „einfache Leute“ direkt zu unter-stützen sind vielfältig und meistens ein spannendes Erlebnis. Aber bitte auch hier bedenken: Kinderarbeit ist Reali-tät, dennoch ist sie verboten.

Vor Ort entscheiden

Lokale Anbieter/innen – von Rund-reisen, Unterkünften, Transport

oder Essen – müssen nicht schlecht sein, nur weil sie nicht in Reiseführern erwähnt sind. Im Gegenteil: Verant-wortungsbewusste Reisejournalisten/innen, die einheimische Kontakte nut-zen, verschweigen Angebote, um einen übermäßigen und damit schädlichen Ansturm von Besuchern zu vermeiden. Wer wirklich interessiert ist, ein Land kennen zu lernen, für den sind diese Angebote interessant. Auch wenn sie nicht auf international und low bud-get machen oder in Gebiete führen, die nicht in Reiseführern stehen. Ein-heimische Gastgeber/innen können ein besseres Verständnis – auch für Armut – ermöglichen als so manche „Bibel der Reisenden.“

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Menschen vor Ort direkt zu unterstützen

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Infocheck 1 – Armut und Bettelei 12

Profi s beim Helfen unterstützen

Die Besichtigung von „Armenvier-teln“ ist unmoralisch. Es macht

einen Unterschied, ob man Armut nur sehen oder zu deren Beseitigung beitra-gen will. Vielerorts gibt es Hilfsprojek-te, die man im Vorfeld eines Aufenthal-tes kontaktieren kann. Zu einer gründ-lichen Vorbereitung gehört es auch, sich zu überlegen, ob man mit den Zielen und Methoden der Organisation ein-verstanden ist. Ist dies sichergestellt, so fi nden sich bestimmt Wege, diese zu besuchen und dort für einige Tage mit-zuarbeiten. So leisten Reisende konkret einen Beitrag gegen Armut. Man sollte aber tolerieren, wenn Projekte keine freiwilligen Helfer/innen wünschen. Besucher/innen bedeuten viel Orga-nisationsaufwand und sie stellen eine Ablenkung vom eigentlichen Projekt dar. Ein Abweisen kann also auch eine Konzentration auf die Hauptaufgaben der Organisation bedeuten.

Zu Hause gegen Armut kämpfen

Die Unterstützung von Bedürftigen muss nicht enden, wenn der Ur-

laub vorüber ist. Wer regelmäßig spen-det, bleibt dem besuchten Land länger-fristig verbunden. Besonders schön ist das, wenn man persönliche Erfahrungen mit der Organisation und deren Projekt-arbeit im Ausland gemacht hat. Beson-ders Erfolg versprechend sind Projekte, die eine langfristige Perspektive verfol-gen und sich dem „Aufbau von Kapazi-täten“ widmen. Bildungsprojekte legen den Grundstein für einen fairen Ein-stieg in den Arbeitsmarkt. Mikrokre-dite stellen für „einfache“ Leute ein Grundkapital dar, das sie in der Regel sehr erfolgreich vervielfachen. Es gibt viele Wege, etwas gegen Armut zu tun, auf Reisen und zuhause. Man braucht – genau wie für die Reiseplanung selbst – Zeit und Interesse, den persön-lich sinnvollsten Weg herauszufi nden.

Weiter informieren

Kulturschock – Mit anderen Augen sehen – Leben in fremden Kulturen – Hanne Chen, Hendrik Jäger (Hrsg.), Reise Know-How Verlag Peter Rump, Bie-lefeld, 2003

Schiessen Sie nicht auf den Touristen! – Duccio Ca-nestrini, 1. Aufl age, diaphenes, Zürich–Berlin, 2006

Achtung Touristen – Christian Adler, Reise Know-How Sachbuch, 3. Aufl age, Peter Rump Verlag, Bielefeld, 1988

Respektvoll reisen – Harald A. Friedl, 1. Aufl age, Reise Know–How Verlag Peter Rump, Bielefeld, 2002

Tourismusethik – Theorie und Praxis des umwelt- und sozialverträglichen Fernreisens – Harald A. Friedl, Schriftenreihe Integrativer Tourismus und Entwick-lung, Profi l Verlag, München-Wien, 2002

Armut – Katalog zur 298. Sonderausstellung des histo-rischen Museums der Stadt Wien, 2002

Wie kann Armut beseitigt werden? – Vandana Shiva, ZNet – 24.05.2005; Kritische Sicht einer indischen Bürgerrechtlerin auf den weltweit gültigen Armuts-begriff und die aktuellen Ansätze der Armutsbe-kämpfung.www.all4all.org/2005/05/1868.shtml

Armutszeugnis – Millennium Development Goals 2015; Plattform zu den Millennium Development Goals, ihren Ansprüchen und der (momentanen) wirklichen Situation bei deren Umsetzung.www.armutszeugnis.at

Armut in Österreich – Zentrum Polis – Politik ler-nen in der Schule – Polis Aktuell Nr. 3, 2006; Informationen zu verschiedenen Arten von Armut, zur Armutsgefährdung und zu Projekten gegen Ar-mut in Europa. Die Broschüre schildert viele kon-krete Beispiele von armen oder armutsgefährdeten Menschen in Österreich.www.politische–bildung.at/goto/sep/C222/to/I2200

Armut – Wikipedia Online-Enzyklopädie; Beschrieben werden verschiedene Arten von Armut, Ursachen, Armutsgrenzen, das Ausmaß der Armut und die Zu-sammenhänge zwischen Armut und Umwelt. Zudem viele weiterführende Links, z.B. zur Armutsmessung, Hunger, Armutsbekämpfung. http://de.wikipedia.org/wiki/Armut

Insel der Glücklichen in einem „Ozean von Not“ – Christoph Heinzle; Bericht über das enge Neben-einander von (extremer) Armut und (luxuriösem) Reichtum im Indien der Bauern und High–Tech–Konzerne. www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID

3645298_TYP6_THE_NAVSPM1_REF1_BAB,00.html

Causes of Poverty; Umfangreiche Hintergrundinforma-tionen, Daten und Fakten zu Armut. www.globalissues.org/TradeRelated/Poverty.asp

Poverty Net der Weltbank; Portal mit Defi nitionen, Konzepten der Armutsmessung, Armutsbekämp-fung, Konzeptansätzen internationaler Organisatio-nen u.v.m. Im Bereich „Voices of the Poor“ sind In-terviews mit „armen“ Menschen verfügbar, die nach ihrer Sicht von Armut befragt wurden. www.worldbank.org/poverty

The Begging Profession Interviews with Poverty – Of Beggars and Begging – K.L. Kamat; Hintergründe der Bettelei in Indien und sich Themen wie „Berufs-bekleidung”, Bettelfürsten und Liebesleben der Bett-ler. Diese Seite verdient mehr als einen oberfl ächli-chen Blick, wenn man plant, nach Indien zu reisen.www.kamat.com/kalranga/bhiksha/begging.htm

Trying Really Hard To Like India – Seth Stevenson; Reiseberichte “von der Front”. Der Autor berichtet am 27. Sept. 2004 über seine Eindrücke in Indien und sagt: „Es ist OK, einen Platz zu hassen.“ www.slate.com/id/2107063/entry/2107071/

A Fistful of Rupees: Coping with Begging on Third World Trails – Jeff Greenwald; Der Autor beschreibt in dem Artikel konkrete Situationen, die uns auf Rei-sen begegnen können und nennt viele Erfahrungen, wie er in diesen Situationen verfährt.www.ethicaltraveler.com/fi stful.php

Ist Betteln rechtswidrig? – Dr. Dieter Bindzus, Je-rome Lange; Die Autoren des historischen Ab-risses, der sich mit den Gesetzen hinter der Bettelei beschäftigt, fürchten, dass sich die leidvolle Geschichte des Bettelns wiederholen könnte. Es bleibt die Frage „welche Grenze man Mensch gegen Mensch zwischen den Lustreisen vornehmer Personen und dem Umherziehen arm-seliger Bettler ziehen sollte.“ www.jurawelt.com/aufsaetze/strafr/3554

Beispiele für Hilfsprojekte(während der Recherche durch umfangreiches erklärendes

Hintergrundwissen und/oder durch bemerkenswerte Projek-

tansätze aufgefallen)

Project Why; eine ausschließlich über Spendengel-der fi nanzierte Initiative, die Straßenkindern in der indischen Hauptstadt Delhi eine Ausbildung ermöglicht. www.projectwhy.org

Don Bosco Aktion „Fußball für Straßenkinder“; kirch-liche Organisation, die an mehr als 100 Standorten Einrichtungen für benachteiligte Kinder und Ju-gendliche unterhält.www.fussball–fuer–strassenkinder.de

Terre des Hommes – Schwerpunkt: Straßenkinder; Auf der Webseite werden beispielhaft Projekte für Stra-ßenkinder vorgestellt und außerdem Hintergrundin-formationen zum Thema angeboten.www.tdh.de

Human Help Network e.V.; hilft weltweit Kindern auf der Strasse. Ziel der Arbeit ist nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe, verwirklicht von einheimischen Helfern durch Straßenpädagogik, Ausbildungsprogramme und Lobbyarbeit. www.hhn.org

Ökohimal e.V.; internationale Nichtregierungsorganisa-tion, die gemeinsam mit lokalen Basisinitiativen und Dorfgemeinschaften daran arbeitet, die Lebensbe-dingungen in der Himalayaregion nachhaltig zu ver-bessern, z.B. durch den Programmschwerpunkt Ar-mutsbekämpfung und Erhaltung der Biodiversität.www.ecohimal.org

Weltweit gibt es ca. 70 000 Mikrokreditinstitute, die meisten aus Mitteln der Entwicklungszusammen-arbeit fi nanziert. In der Wikipedia–Enzyklopädie fi nden sich viele Angaben zu Hintergründen, Funk-tionsweise und Anbietern.http://de.wikipedia.org/wiki/Mikrokredit

Das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen/DZI dokumentiert in seinem Wohlfahrtsarchiv etwa 2.100 Spendenorganisationen. Die Informationen werden wissenschaftlich ausgewertet. Zu grund-sätzlichen Fragen zu Spenden bietet das DZI Hin-tergrundwissen.http://www.dzi.de/spendber.htm