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Editorial e 97
Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs und Entwicklungsprozesse im Kindesalter Stephanie Bahr u. a. e 98
„Mitschwingen und Resonanzbereitschaft …“ Eine Studie zu den theoretischen Konzeptionen und beruflichem Selbstverständnis von Psychomotoriktherapeutinnen Susanne Amft, Brigitta Boveland, Kathrin Hensler Häberlin, Beatrice Uehli Stauffer e 110
Auf der Suche nach der sinnvollen Einheit Individualpsychologische Impulse für die Motologie Kimon Blos e 118
Digitales Spielen – Exergames im Vergleich mit traditionellen Trainingsformen bei Älteren Michael Kroll, Andreas Neubrand e 124
AD(H)S – im Gehirn oder im Körper? Die Entdeckung der exekutiven Funktionen Peter Schlink und Klaus Fischer e 131
Psychomotorik im Kontext der Gesundheits förderung – eine Sicht von außen Gabriele Hanne-Behnke e 140
moto.logisch – Neues aus dem BVDM e 145
Laudatio e 146
Summaries + Résumés e 147
Inhalt
Titelbild: www.kompetenzprofil-bik.de
Die Zeitschrift MOTORIK wird auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Bei dieser chlorfreien Bleiche des Zellstoffs entstehen keine chlorierten organischen Verbindungen, die die Abwässer belasten könnten.
Zeitschrift für Motopädagogik und Mototherapie Offizielles Organ des Aktionskreises Psychomotorik e. V. mit Mitteilungen des Berufsverbandes der Motologen – Diplom/Master e. V.Herausgeber: Aktionskreis Psychomotorik e. V. Geschäftsstelle: Kleiner Schratweg 32, 32657 Lemgo Tel. (0 52 61) 97 09 70, Fax (0 52 61) 97 09 72Geschäftsführender Redakteur: Prof. Dr. phil. Klaus FischerRedaktion: Dipl.-Motologin Dorothee Beckmann-Neuhaus Wiss. Mitarb. Dr. Melanie Behrens Prof. Dr. phil. Ruth Haas Prof. Dr. Holger Jessel Prof. Dr. Astrid Krus Prof. Dr. phil. Heinz Mechling Prof. Dr. phil. Renate ZimmerAnschrift der Redaktion: Prof. Dr. Klaus Fischer Haselhecke 50, 35041 Marburg Tel. (0 64 21) 2 33 32 (p), Tel. (02 21) 4 70 46 73 (d) Fax (0 64 21) 2 56 92 (p), Fax (02 21) 4 70 50 85 (d) E-Mail: [email protected]: VierteljährlichBezugsbedingungen: Jahresabonnement (4 Ausgaben inkl. Versandkos ten) e 48,40; Vorzugspreis für Studierende e 44,–; Einzelheft e 12,– (zuzügl. Versandkosten). Für die Mitglieder des Aktionskreises ist der Bezugspreis der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. Die Abonnement-Rechnung ist sofort zahlbar rein netto nach Erhalt. Der Abonnement-Vertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen, falls nicht ausdrücklich anders vereinbart. Abbestellungen sind nur zum Jahresende möglich und müssen spätestens 3 Monate vor dem 31. Dezember beim Verlag eintreffen. Unregel- mäßigkeiten in der Belieferung bitte umgehend dem Verlag mitteilen. Der Versand und die Abonnement-Bearbeitung erfolgen über EDV. Für diesen Zweck sind die dafür notwendigen Daten gespeichert. Die Post sendet Zeitschriften auch bei Vorliegen eines Nachsendeantrags nicht nach! Deshalb bei Umzug bitte Nachricht an den Verlag mit alter und neuer Anschrift.Vertrieb: Anschrift siehe Verlag Telefon (0 71 81) 402-124 E-Mail: [email protected]: Anschrift siehe Verlag Telefon (0 71 81) 402-124, Fax (0 71 81) 402-111 [email protected] Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste vom Januar 2012Gesamtherstellung: Druckerei Djurcic, D-73614 SchorndorfInternational Standard Serial Number: E 7518 ISSN 0170-5792Copyright: © by Aktionskreis Psychomotorik e. V. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch in Über- setzungen, nur mit Genehmigung der Redaktion. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge geben nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktions behält sich vor, Leser- briefe gekürzt zu veröffentlichen und Manu- skripte redaktionell zu bearbeiten.Verlag: Hofmann-Verlag GmbH & Co. KG Postfach 1360, D-73603 Schorndorf Tel. (0 71 81) 402-0, Fax (0 71 81) 402-111 E-Mail: [email protected]
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„Die diesjährige Jahrestagung des AKP nimmt sich in Praxis und Theorie der psychomotorischen Arbeit mit älteren Menschen an. In Seminaren und Workshops werden sowohl Veränderungen im Alter und darauf abgestimmte psychomotorische Angebote vorgestellt als auch die spezifische Psychomotorik als Medium des Kontakts und der Begegnung mit demenzkranken Menschen thematisiert“ (Programmheft 2012). Damit stellt sich der AKP zum wiederholten Male der Aufgabe, stimmige Konzepte für die Arbeit in der späten Lebensspanne zu präsentieren. Tatsächlich haben die Konzeptdiskussionen und praktischen Anwendungen in den letzten zwei Jahrzehnten die gesamte Lebensspanne erobert, stand doch in den 70er und 80er Jahren vorrangig die Kindheit im Fokus des Fachinteresses. Diese Ausgabe der Motorik stellt einige Forschungsarbeiten der gesamten Lebensspanne vor.Das BMBFForschungsverbundprojekt „Bewegung in der frühen Kindheit“ der Universitäten Köln und Dortmund sowie der Hochschulen Koblenz und Niederrhein geht der Frage nach, welchen Stellenwert der Bildungsbereich Bewegung in den aktuellen Professionalisierungsprozessen der Kindheits
Editorial
pädagoginnen im Fachakademie und Hochschulbereich findet. Die Autorengruppe Stephanie Bahr u. a. stellt in diesem Beitrag nach Sichtung der internationalen und interdisziplinären Fachdiskurse ein vierdimensionales Klassifikationssystem von Bedeutungsfeldern der Bewegungs und Entwicklungsprozesse im Kindesalter vor. Diese dient als Grundlage differenzierender Fragestellungen. Die Autorinnengruppe um Susanne Amft beschreibt die Ergebnisse einer Studie, die das fachliche Selbstverständnis von Psychomotoriktherapeutinnen in der gegenwärtigen Neu organisation der Schweizer Schullandschaft eruiert. Gefragt wird nach den Bezugstheorien und spezifischen Arbeitsweisen, die die Psychomotoriktherapie als eigenes Berufsfeld identifizieren.Auch der dritte Beitrag entstammt dem Schweizer Diskussionsfeld. Kimon Blos stellt die Begründungslinien seiner Dissertationsstudie vor. Sie stellt einen Beitrag zur psychomotorischen/motologischen Theoriekonstruktion dar, der Konzeptbausteine der Individualpsychologie Adlers in den psychomotorischen Fachdiskurs transferiert.Michael Kroll und Andreas Neubrand stellen eine Studie zum Thema digitales Spielen (Exergames) mit älteren
Menschen vor. Das interaktiv gestaltete Training zielt auf eine Verbesserung von Kraft und Koordination. Die Studie unterstreicht die Bedeutung von Exer games für die Verbesserung physiologischer Parameter und stellt das Instrument ins Licht generationsübergreifender Trainingsmethoden.Der Beitrag von Peter Schlink und Klaus Fischer diskutiert die Förderung hyper aktiver Kinder unter der Perspektive neurowissenschaftlicher Erklärungsansätze und stellt das Konzept der exekutiven Funktionen ins Zentrum der Betrachtungen. Danach sind besonders bewegungsbezogene und spielerische Aneignungsweisen geeignet, einen Beitrag zur Förderung verschiedener Kontrollprozesse (Handlungsplanung, Impulskontrolle, Aufmerksamkeitssteuerung) von Kindern zu leisten, die in der Forschung als AD(H)SKinder beschrieben werden.Abgeschlossen wird das Heft durch den Beitrag von Gabriele Hanne-Behnke, die als Hochschullehrerin in der Physiotherapie einen Blick von außen auf die Gesundheitsdebatte im Bereich der Psychomotorik/Motologie wirft.
Klaus Fischer
Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse im Kindesalter
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bildungsinitiative „AWiff Frühpädago-gische Fachkräfte“2 zu sehen, deren übergreifendes Ziel die fundierte Analyse der Entwicklung und Ausdiffe-renzierung des Aus- und Fortbildungs-systems für diesen Bereich darstellt. Es ist Teil der bundesweiten Bemühun-gen einer stärkeren Strukturierung und Professionalisierung der gesamten frühen Bildung. In dem Forschungs-projekt wird als Grundlage für eine mögliche Neukonzeption von fach-spezifischen Qualifikationen in einem ersten Schritt der Frage nachgegangen, ob der gegenwärtig international und interdisziplinär hoch bewertete
2 Die Ausweitung der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (AWiFF) ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem deutschen Jugend-institut e. V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungs-system in Deutschland mehr Transparenz herzu- stellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern.
Der Beitrag ist eingebettet in das Forschungsverbundprojekt „Bewegung in der frühen Kindheit (BiK)“, das auf der Grundlage von sog. Bedeutungsfeldern der Bewegung ihren Stellenwert in der frühpädagogischen Bildung, insbesondere in der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für diesen Bereich analysiert. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse einer systematischen Sichtung und Analyse von internationalen interdisziplinären Fachdiskursen zur Bedeutung der Bewegung und Körperlichkeit für Bildungs- und Entwicklungsprozesse in der Kindheit dargestellt und kommentiert.
Stephanie Bahr, Kristin Kallinich, Wolfgang Beudels, Klaus Fischer, Gerd Hölter, Christina Jasmund, Astrid Krus, Stefanie Kuhlenkamp
Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse im Kindesalter
Einleitung
Das Forschungsprojekt „Bewegung in der frühen Kindheit“1 ist im Zusammen- hang mit der Ausweitung der Weiter-
1 Die Veröffentlichung ist im Zusammenhang mit dem BMBF-Projekt „Bewegung in der frühen Kindheit“ (Fördernummer: 01NV1104) entstan- den. Das Projekt wird von der Universität Köln (Prof. Dr. Klaus Fischer) koordiniert und im Verbund der Technischen Universität Dortmund (Prof. Dr. Gerd Hölter/Dr. Stefanie Kuhlenkamp) und den Hochschulen Koblenz (Prof. Dr. Wolf- gang Beudels) und Niederrhein (Prof. Dr. Christina Jasmund/Prof. Dr. Astrid Krus) durchgeführt. http://www.kompetenzprofil-bik.de/ Als Mitarbeiter/Innen gehören dem Projekt standortbezogen folgende Personen an: Köln: Dr. Melanie Behrens (bis 30.6.2012), Petra Graul-Mayr, Kristin Kallinich (bis 31.8. 2012), Joachim Klein, Michaela Koch (Projekt- koordina tion). Dortmund: Judith Freitag, Dr. Stefanie Kuhlenkamp, Dr. Anke Lengning (bis 30.9.2011), Marina Moll (bis 31.5.2012), Lena von Zabern (seit 1.10.2011). Koblenz: Sabine Bremser, Nicola Böcker, Dr. Janine Stahl- von Zabern. Mönchengladbach: Stephanie Bahr, Aida Kopic (ab 1.1.2012), Katrin Nowak (bis 31.12.2011), Sylvia Siems.
Stellenwert der Bewegung für inklusive frühkindliche Bildungs- und Entwick-lungsprozesse einen adäquaten Niederschlag in den aktuellen Profes-sionalisierungsprozessen pädagogischer Fachkräfte im Fachakademie- und Hochschulbereich findet. Dazu wird eine differenzierte Ist-Stand-Analyse vorgenommen. Der Beitrag repräsentiert den grund-legenden Teil des Projektes als unab-dingbare Verständigung auf zentrale Definitionselemente des „Bedeutungs-phänomens Bewegung“. Als Muster wurde zunächst von der in der deutsch-sprachigen Leibeserziehung und Sportpädagogik seit über 40 Jahren systematisch entwickelten analytischen Reduktion des Bewegungsphänomens nach Bildungsmotiven und Sinnrichtun-gen (Grupe 1976; 1984), nach Sinn-dimensionen und Handlungsfeldern (Kurz 1979) bzw. nach Funktionen (Funke-Wieneke 2004) vorgegangen, d. h. nach Entwürfen in der Sportdidak-tik, die sich unter dem Stichwort „Mehrperspektivität des Bewegungs-handelns“ zusammenfassen lassen. Zunächst wurde durch eine systemati-sche fachspezifische Analyse von Bildungs- und Orientierungsplänen sowie Ausbildungscurricula in der Kindheitspädagogik deren Plausibiltät und Gültigkeit auch für diesen Bereich überprüft. Um interdisziplinären Ansprüchen zu genügen, wurde die
Forschungsteam „BiK“
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Recherche auf die Analyse der wissenschaftlichen Diskurse zur Bedeutung der Bewegung in den Disziplinen Sportwissenschaften, Erziehungswissenschaften, Medizin, Neurowissenschaften sowie Psychologie ausgeweitet, dabei neben ausgewiesenen Monografien und Sammelwerken die letzten 10 Jahrgänge von 76 internationalen Fachzeitschriften ausgewertet. Die erarbeiteten Kategorisierungen von Zielen, Sinn und Bedeutung von Bewegung für Bildungs und Entwicklungsprozesse lassen sich interpretativ den folgenden vier Hauptkategorien bzw. Bedeutungsfeldern zuordnen.
„Bewegung als Lerngegenstand“„Bewegung als Medium zur Gesund-heitserziehung“„Bewegung als Medium des Lernens“„Bewegung als Medium der Entwick-lungsförderung“
Im Weiteren werden diese vier „Bedeutungsfelder“ mit ihren theoretischen Grundlagen und praktischen Bezügen präzisiert.
Bewegung als Lerngegenstand
Dieses Bedeutungsfeld umfasst die Vorstellung, dass Bewegung in der frühen Kindheit eine lebenslange Teilhabe an Bewegungs, Spiel und Sportkulturen gewährleisten soll (vgl. Fikus 2012, 3). Fokussiert wird hier auf die frühpädagogische Aufgabe der „Erziehung zur Bewegung“. Die Ausbildung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten steht im Mittelpunkt. Zum einen sollen Grundtätigkeiten des SichBewegens erlernt werden, zum anderen die Mitgestaltungskompetenz (z. B. Kooperations und Kommunikationsfähigkeiten) gefördert werden. Diese Grundlagen ermöglichen dem Individuum die Teilhabe am kulturellen System „Bewegung, Spiel und Sport“. Gleichzeitig dienen sie der individuellen und sozialen Selbstverwirklichung. „Bewegung als Lerngegenstand“ umfasst somit die notwendigen Grundlagen, um selbst Sport ausüben zu können, die Hinführung zum Sport sowie die Grundlagen des Sports.Um sich bewegen zu können, müssen zunächst die Grundtätigkeiten des Bewegens erlernt werden. Dazu zählen
z. B. greifen, gehen, laufen, springen, klettern, werfen. Diese Grundtätigkeiten bilden wiederum die Bewegungsvoraussetzungen für das spätere Sporttreiben. Das Verhältnis von Sport treiben und sich bewegen kann wie folgt beschrieben werden: Wer lebenslang Sport treiben möchte, muss sich bewegen. „Wer Sport treibt, der bewegt sich nach Wettkampfregeln und folgt bestimmten Leistungsanforderungen, oder er bereitet sich auf Wettkämpfe im Rahmen eines Trainings vor. Wer etwas anderes tut, was nicht von Wettkämpfen, ihren Regeln und ihrem Training maßgeblich strukturiert wird, der ‚bewegt sich‘“ (FunkeWieneke 2004, 6). SichBewegenKönnen bedeutet sowohl den Erwerb der Grundtätigkeiten des Bewegens als auch Bewegung als Werkzeug und Instrument zu erfahren. Illustriert werden kann dies anhand
der Entwicklung des Greifens. Nach dem Abbau des Greifreflexes gelangt das Kind zu der Erkenntnis, dass seine Hände zu ihm gehören und willentlich steuerbar sind. Über zahlreiche Erfahrungen lernt das Kind gezielt nach Dingen zu greifen, diese zu umfassen, z. B. zum Mund zu führen, an andere zu über geben und auch wieder loszulassen. Später lernt es zu werfen und zu fangen. Ohne diese elementaren Fähigkeiten wäre beispielsweise ein späteres Basketball oder Handballspielen nicht möglich. Diese phänomenologische Sichtweise beruht auf motorischen Grundeigenschaften, wie den konditionellen Fähigkeiten (z. B. Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit) und den koordinativen Fähigkeiten (z. B. Gleich gewichtsfähigkeit, Kopplungs fähigkeit, Umstellungsfähigkeit, Differenzierungsfähigkeit, Reaktions fähigkeit, Orientie
r Bild 1: Bewegung als Lerngegenstand (van Zoest)
Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs und Entwicklungsprozesse im Kindesalter
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rungsfähigkeit, Rhythmisierungsfähigkeit). Diese bilden ebenfalls eine Voraussetzung um Sport treiben zu können. An diesem Beispiel wird deutlich, dass im Mittelpunkt dieses Lernfeldes der Weg von den fundamentalen Bewegungen hin zum elementaren und sportbezogenen SichBewegen steht. In der Praxis konkretisiert sich dieses Bedeutungsfeld beispielsweise in den ElternKindTurnangeboten wie dem „KinderturnClub“ des Deutschen TurnerBundes. Die zweite wichtige Voraussetzung um sich bewegen zu können bildet die Mitgestaltungskompetenz. SichBewegen bedeutet auch im Kontext zu anderen zu stehen. Daher sind neben den motorischen Voraussetzungen auch soziale Grundlagen wie z. B. die Kooperationsfähigkeit von entscheidender Relevanz. Offensichtlich wird dies beispielsweise bei den Mannschaftssportarten. Um hier teilhaben zu können, müssen sich Individuen in eine Mannschaft integrieren, Teamfähigkeit zeigen, sich aufeinander bei Spielzügen beziehen, für die anderen mitdenken.
Hier zeigt sich, dass sowohl Selbst und Sozialkompetenz als auch kognitivtaktische Grundlagen als Elemente der Mitgestaltungskompetenz benötigt werden.
Bewegung als Medium der Gesundheitserziehung
Bewegung als Medium der Gesundheitserziehung hat im Diskurs unterschiedlicher Fachdisziplinen eine lange Tradition, die in ihren Anfängen auf die Philosophen der Antike zurückgeht. Bereits Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) erkennt in seinem Werk „Politik“ (1998) die Gymnastik als körperlich wohltuend und der Gesundheit dienend an. Gesundheit beschreibt nach der Defi nition der WHO (1948, 2) „einen Zustand des völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“. Eine Erweiterung dieses eher statischen WHOGesundheitsbegriffs nimmt Hurrelmann vor, der Gesundheit als „ein Stadium des
Gleichgewichts von Risiko und Schutzfaktoren bezeichnet, das dann eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt“ (Hurrelmann 2005, 2). Diese Definition impliziert bereits die Vielschichtigkeit und ganzheitliche Sicht von körperlichen, psychischemotionalen und sozialökologischen Gesundheitsfaktoren, die sich gleichfalls im Bedeutungsfeld „Bewegung als Medium der Gesundheitserziehung“ abbilden. Die Förderung physischer Gesundheitsressourcen durch Bewegung ist eins der Kernthemen, das in den Sport/Bewegungs und Gesundheitswissenschaften (Riedel/Zimmermann 2008; Fischer 2007) diskutiert wird. Physische Gesundheitsressourcen umfassen u. a. Aspekte von Kraft und Ausdauer, Koordination und Haltungsschulung sowie allgemeine Fitness. Bewegungsaktivitäten im Kindesalter fördern nicht nur die Leistungsfähigkeit des HerzKreislauf und ImmunSystems, sondern
r Bild 2: Bewegung als Medium der Gesundheitserziehung (Beudels)
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insbesondere die Kräftigung der Muskulatur und Körperhaltung zur Vorbeugung gegen Haltungsschwächen und störungen. Die Körperkonstitution und motorische Handlungskompetenz bestimmen maßgeblich die Bewältigung der sozialen und materiellen Anforderungen des kindlichen Alltags (vgl. Krell/Bös 2012). Die Körperkonstitution wird dabei nicht allein durch Bewegungsaktivitäten beeinflusst, sondern in gleichem Maße durch die Ernährung, die im Rahmen der Gesundheitserziehung zunehmend mehr eine zentrale Rolle spielt. Die Themen Gesundheit, Körper/Bewegung und Ernährung sind mittlerweile untrennbar miteinander verbunden. Bundesweite Erhebungen zur Kinder und Jugendlichengesundheit belegen, dass 15% der 3 bis 17Jährigen unter Übergewicht leiden und davon 6,3% eine Adipositas mit Krankheitswert aufweisen (Kurth/Schaff rath 2007). Die Ursachen dafür sind in einem Zusammenspiel verschiedener Risikofaktoren wie möglicher genetischer Prädisposition, Migrationshintergrund, einem niedrigen sozialen Status sowie sich verändernder Lebensbedingungen (übermäßige Zufuhr von Kalorien und fettreicher Nahrung bei zunehmender körperlicher Inaktivität) zu sehen. Auch die Sicherheitserziehung spielt unter diesem physischen Aspekt der Gesundheitsförderung eine wichtige Rolle. Wahrnehmungs und Bewegungsangebote führen nicht nur zu einer verbesserten Körperkontrolle sondern schulen gleichermaßen die Konzentration, differenzierte Wahrnehmung und realistische Einschätzung von Situationen. Hierdurch können Gefahren früher erkannt, bessere Reaktionen durch eine differenzierte Handlungsfähigkeit hervorgerufen und damit das Unfallrisiko gesenkt werden (Dordel 2005). Pädagogisch bedeutsam sind dabei die Entwicklung einer Risikokompetenz, die Minimierung der Verletzungsgefahr und das Eingehen von Risikowagnis. Kinder müssen z. B. lernen zu fallen, mit Höhen und Tiefen sowie Gefahren umzugehen (Kuhnen 2004; LensingConrady 2004; 2005; Vetter 2004).Die Fokussierung der Wahrnehmung und die Konzentration auf den eigenen Körper sind darüber hinaus zentrale Elemente der Entspannung. Entspan
nung und Wellness beinhalten die Erfahrung des Wechsels von Anspannung (aktive Phasen) und Entspannung (ruhige Phasen) und die daraus resultierenden positiven Wirkungen von situativem Wohlbefinden, Stressabbau und Auseinandersetzung mit Körperreaktionen. Diese bilden eine Grundvoraussetzung für die Bewältigung der sich aus Zeit und Leistungsdruck ergebenden psychischen Belastungen und fördern den Aufbau eines posi tiven Selbstkonzeptes (vgl. Quante 2000; 2003).Eine weitere Perspektive der mehrdimensionalen Betrachtung von Bewegung im Kontext der Gesundheitserziehung fokussiert auf die Betrachtung unter den Konzepten der Salutogenese und der kindlichen Resilienz. Beide Ansätze thematisieren physische wie psychische Gesundheit unter dem Aspekt eines dynamischen Modells der Bewältigung von Anforderungen, die in einer Balance zwischen Risiko und Schutzfaktoren angesiedelt sind. Der amerikanische Medizinsoziologe Antonovsky (1997) entwickelte in den 1970er Jahren das salutogenetische Modell, welches die Gesunderhaltung des Menschen in den Mittelpunkt rückt. Ausschlaggebend für die Gesunderhaltung des Menschen ist das so genannte Kohärenzgefühl (sense of coherence), das „eine globale Orientierung ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind und einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen und zugleich diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengungen und Engagement lohnen“ (Antonovsky 1997, 36). Diese Überzeugung der Sinnhaftigkeit im eigenen Leben und Tun ist von zentraler Bedeutung, da „alle Maßnahmen, die Kindern helfen, selbstbewusste, sozial geachtete Persönlichkeiten zu werden, somit eine herausragende gesundheitliche Bedeutung haben“ (Liebisch/Quante 2006, 386). Diese These wird durch Ergebnisse der Resilienzforschung aus psychologischer Sicht untermauert, die den Fokus auf die protektiven Faktoren
(Stärken und Ressourcen) der Kinder oder ihrer Umwelt richtet, „welche die Wirkung von Risikofaktoren moderieren und so die Wahrscheinlichkeit für die Herausbildung von Störungen senken können“ (Opp/Fingerle 2007, 14). Perso nale Ressourcen wie z. B. kognitive, soziale und emotionale Kompetenzen, Temperamentsmerkmale sowie körperliche Ressourcen als auch soziale Res sourcen (z. B. Beziehungen, Erziehungs und Familienklima, soziale Unterstützung) stehen in Wechselwirkung mit Risikofaktoren, zu denen u. a. Übergewicht/Adipositas, Bewegungsmangel, veränderte Lebensumwelten, fehlende familiäre oder soziale Unterstützung, Migration, Arbeitslosigkeit der Eltern, Armut, Einflüsse neuer Medien zählen (vgl. Opp/Fingerle 2007).Der Stellenwert von Bewegung rückt in den Mittelpunkt der salutogenetischen Gesundheitsförderung und der Stärkung der kindlichen Resilienz. Durch Bewegung können die Ressourcen und Kompetenzen entwickelt und erweitert werden, die notwendig sind, um erfolgreich mit belastenden Lebensereignissen umzugehen. Es werden Bewältigungsstrategien entwickelt, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden können (vgl. Zimmer 2006, 309) und damit den Aufbau generalisierter Kontrollüberzeugungen und eines positiven Selbstkonzeptes unterstützen (vgl. Krus 2006; Zimmer 2006). Allen Fachdisziplinen gemeinsam ist die Betonung der Relevanz der sozialräumlichen Lebenswelt des Kindes und seiner Familie für die Förderung der Gesundheit durch Bewegung. Veränderungen im Bewegungsangebot und umfang ergeben sich durch sozioökonomische Einschränkungen, welche die Teilnahme an z. B. Sportvereinen erschweren, beengte Wohn und Lebensverhältnisse, eine zunehmende Partikularisierung der alltäglichen Lebensführung (Verinselung nach Zeiher 1983), eine hohe zeitliche und räumliche Koordination der Vielfalt an außerschulischen Betreuungs und Betätigungsmöglichkeiten sowie intensiven Medienkonsum. Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft ebenso das Wohnumfeld. An dem Ort, wo Kinder leben, muss auch Spiel und vor allem Bewegungs und Explorationsraum vorhanden sein. Geringe Freiflächen für bewegungsintensive Spiele ebenso wie
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normierte Spielgeräte, die nur geringes exploratives Handeln ermöglichen, schränken die Bewegungslust, aktivitäten und damit auch die Risikokompetenz und Selbstsicherungsfähigkeit maßgeblich ein.
Bewegung als Medium des Lernens
In der aktuellen Bildungsdiskussion wird das Kind weitgehend einvernehmlich als sich in großen Teilen selbstbildendes Wesen verstanden, das zwar der Begleitung und Unterstützung des Erwachsenen sowie einer anregenden Umgebung bedarf, ansonsten aber in der Lage ist, von der Geburt an aktiv, reflexiv und selbstgesteuert die Welt zu erschließen. Wenn auch im Elementarbereich unterschiedliche und kontrovers diskutierte Bildungsansätze auszumachen sind, hier ist v. a. auf die Auseinandersetzung zwischen den Vertretern des sog. „Selbstbildungsansatzes“ (u. a. Schäfer 2005) und denen des „Kompetenzansatzes“ (u. a. Fthenakis/Textor
2000) zu verweisen, so scheint es doch unstrittig, dass kindliche Aktivität und kindliches Handeln als entscheidende Triebfedern in der und für die kognitive Entwicklung anzusehen sind. Die Betrachtung von Wirkzusammenhängen zwischen Bewegung bzw. Aktivität und dem Aufbau kognitiver Kompetenzen bzw. Vermittlung von Wissen sind nicht neu. Eine systematische theoretische Analyse von Erziehungsprozessen und die Erforschung der zugrundeliegenden Faktoren finden seit der Aufklärung statt. V. a. seit Mitte des 18. Jahrhunderts (es bezeichnet sich selbst als „Das pädagogische Jahrhundert“) führten die dabei gewonnenen Erkenntnisse nicht nur zu Konzepten der pädagogischen Methodik und Didaktik, sondern trugen auch dazu bei, dass Erziehung insgesamt der gesellschaftlichen und öffentlichen (Mit)Verantwortung übergeben wurde. Damit einher entstand die Notwendigkeit zum Aufbau eines nach Standards geregelten Bildungswesens. Dies konnte jedoch nur Sinn machen, wenn damit auch Fragen danach gestellt wurden, wie
Kinder lernen, wie sie Wissen und Kompetenzen aufbauen, was Lernen fördert und hemmt, aber auch danach, welche Anteile daran das Kind selbst bzw. die „Erzieherinnen“ haben. Mit den Ansätzen und Konzepten, die die kindliche Selbsttätigkeit und ein multisensorisches Erfahrungslernen als zentrale Medien des Lernens ansehen, lässt sich ein großer Bogen von der Aufklärung über die Reformpädagogik bis hin zur aktuellen Frühpädagogik spannen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei hier z. B. Séguin (18121880) erwähnt, dessen sog. „Physiologische Methode“ das Ziel verfolgte, mit Hilfe von Sinnesmaterialien im Zusammenspiel von Bewegung, Intelligenz und Wille Bildungs und Lernprozesse v. a. bei Kindern mit einer geistigen Behinderung zu initiieren. Auch die „Philanthropen“, allen voran Basedow (1724–1790), Vieth (1763–1836) und GutsMuths (1759–1839) betonten immer wieder die überragende Bedeutung der „Sinne“ und des „Leibes“ bei der „Erkenntnis der Welt“. Ihr pädagogi
r Bild 3: Bewegung als Medium des Lernens (Schönrade)
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sches Angebot sollte die Trennung von Körper und Geist aufheben und kann als die erste planmäßige Leibeserziehung angesehen werden. Darüber hinaus ist Pestalozzis (1746–1827) Forderung nach „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ längst zu einem geflügelten Wort geworden. Auch Montessori (1870–1952) verwies auf die überragende Bedeutung selbstgesteuerten Handelns v. a. in den drei ersten Lebensjahren. So sieht sie z. B. die Entwicklung der Hand in enger „Verbindung mit der Entwicklung der Bewegung und Intelligenz, des aufrechten Ganges und der Sprache sowie der emotionalsozialen und sittlichmoralischen Dimension des kindlichen Menschen“ (Holtstiege 2004, 31) und zieht daraus Konsequenzen für die Gestaltung des Erziehungsprozesses bzw. des pädagogischen Angebots (z. B. Angebote zum Tasten, Berühren und Greifen, Betätigung der Hand und Impulse zur Entwicklung des Gleichgewichtsvermögens usw.).Aus lern bzw. entwicklungspsychologischer Sicht wurde die Bedeutung kindlicher (Eigen)Aktivität bzw. Bewegung im Konstruktionsprozess von Wissen durch Piaget (1896–1980) erstmals systematisch erforscht und beschrieben. Die Ergebnisse seiner Arbeiten hatten und haben nach wie vor großen Einfluss nicht nur auf die Gestaltung von Unterricht, sondern auch auf das Arrangement von Bildungsangeboten in Kindertageseinrichtungen, aber auch auf die Konzeption und Praxis von Maßnahmen für Kinder mit spezifischem Förderbedarf. Trotz der Verschiedenheit des Settings liegt dank Piaget den pädagogischen Bemühungen die Einsicht zugrunde, dass nicht nur „pädagogische Einwirkung am Kopf des Kindes endet“ (Schäfer 2011), sondern erfolgreiche Bildung und nachhaltiges Lernen v. a. im frühen Kindesalter an Eigenaktivität und Handeln bzw. an Bewegung geknüpft sind.In aktuellen Bildungs und Förderansätzen im Elementarbereich werden diese Zusammenhänge berücksichtigt und genutzt. Bewegung, Spiel und Eigenaktivität werden als zentrale Medien des Lernens angesehen, haben aber zu einer Praxis geführt, die sich in einem Spannungsfeld von „Programmatischen und stark strukturierten Angeboten“ auf der einen Seite – mit einer Tendenz zur „Scholarisierung“ der Kindertagesstätte
(vgl. Textor 2009) – bis hin zu sich selbst überlassenen Kindern im vermeintlich „freien Spiel“ auf der anderen Seite ansiedelt. Dennoch ist erkennbar, dass viele Einrichtungen den großen „pädagogischen Freiraum“ sinnvoll nutzen und variable multisensorische Erfahrungs und Lern räume bieten, in denen Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Sprechen und SichBewegen gleich wertige (und oft gleichzeitige) Rollen spielen (vgl. Beins/Cox 2001; Beins 2005; Zimmer 1993; 2003a).Bewegung unter dieser Perspektive nimmt damit nicht die Ausbildung und Vermittlung (sport)motorischer Fähig und Fertigkeiten in den Blick, die ja auch immer verbunden wäre mit einer entsprechend notwendigen physischen Belastung. Vielmehr wird Bewegung hier primär verstanden als die spielerische, experimentierende, explorierende Handlung des Kindes in der Auseinandersetzung mit und Erschließung der dinglichen und perso nalen Umwelt. Bei diesen Lernprozessen sind „immer Wahrnehmung und Emp finden, Fühlen und Denken, Handeln und Denken beteiligt“ (Zimmer, 2004a, 42).Lernen in der frühen Kindheit bedeutet in allererster Linie „Erfahrungslernen“. Der Aufbau grundlegender und überdauernder intellektueller, motorischer, sozialer und emotionaler Kompetenzen vollzieht sich dabei in einem Prozess der „Selbstbildung“ in für das Kind sinnvollen Zusammenhängen (vgl. Beudels/Braun 2008). Es ist ein Prozess, in dem Handeln, Empfinden, Fühlen, Denken, Werte, sozialer Austausch, subjektiver und objektiver Sinn miteinander in Einklang gebracht werden müssen“ und der „Selbst und Weltbilder zu einem mehr oder weniger spannungsvollen Gesamtbild verknüpft“ (Schäfer 2005, 15). Das Erfahrungslernen vollzieht sich dabei bei Kindern in unterschiedlichen Aktivitäten und Tätigkeiten, die nur idealtypisch voneinander abgrenzbar sind. Dies sind „Spiel“, „Bewegung“, „Sammeln und Sortieren“, „Bauen und Konstruieren“, „Basteln“, „Bildnerisches Handeln“, „Musikalisches Handeln“ (vgl. Brenne 2008, Beudels/Braun 2008).In der Praxis führt ein solches ganzheitliches Lernen mit und über Bewegung sowohl zur Entwicklung basaler
Kompetenzen bzw. Lernvoraussetzungen wie auch zum Erwerb von Wissen in sämtlichen Bildungsbereichen. „Denken vollzieht sich zunächst in Form des aktiven Handelns; über die praktische Bewältigung von Problemen gelangt das Kind dann zu ihrer gedanklichen Beherrschung“ (Breithecker 2001, 212). Konkretes Handeln und unmittelbare leiblichkörperliche Rückmeldungen führen zur formalen, verinnerlichten Handlungskompetenz. So bilden z. B. „grundlegende Raumerfahrungen […] die Basis für die Ent wicklung des Orientierungsvermögens, für die Begriffsbildung und den Umgang mit Zahlen“ (Zimmer, 2004b, 12). Ver schiedene RaumLagePositionen vermitteln Beziehungen zum eigenen Körper sowie zu Objekten der Umgebung. Dabei dient das Körperschema als Grundlage räumlicher Orientierung mit ein und mehrdimensionaler Geometrie.Im Bereich der Mathematik bzw. des Rechnens und der Physik können in Bewegung Längen und Massen durch den eigenen Körper erfahren, geometrische Figuren dargestellt, im Raum gefunden und zugeordnet werden. Ebenso werden Naturphänomene (z. B. Schwerkraft und Gefälle) durch Bewegungshandeln erlebbar und hinsichtlich ihrer UrsacheWirkungsZusammenhänge verstehbar gemacht. Sprachliche und begriffliche Kompetenzen werden erworben, geübt und erweitert, z. B. dadurch, dass Buchstaben, Zahlen, Formen mit Materialien oder menschlichen Körpern ausge legt werden. Wörter und Begriffe werden gleichsam ganzkörperlich erfasst und abgebildet (vgl. Müller/Obier, 2001). Im gemeinsamen Spiel ergeben sich zahlreiche Sprachanlässe, die genutzt werden (müssen), um dasselbe aufrechtzuerhalten und/oder zu einem Ergebnis bzw. Produkt zu kommen.Vor allem (zunehmend) komplexe Bewegungs und Spielsituationen fördern einen Transfer von Bewegungserfahrungen auf den Bereich basaler schulischer sowie metakognitiver Kompetenzen. So haben Problemstellungen in Bewegungssituationen nicht nur einen hohen Aufforderungscharakter und bieten verschiedene Schwierigkeitsstufen mit möglicherweise unterschiedlichen Lösungsmög
Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs und Entwicklungsprozesse im Kindesalter
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lichkeiten, sondern erfordern (und fördern auch) Aufmerksamkeit sowie psychische Ausdauer und tragen ebenso zur Erweiterung strategischer und planerischer Fähigkeiten bei. Zur Erklärung von Wirkzusammenhängen zwischen Bewegung und Lernen unterscheidet Seewald (2003) bewegungsorientierte Ansätze, die strukturelle Ähnlichkeit von Bewegung und Lernen betonen und eine direkte Verbindung zwischen beiden postulieren („Strukturaffine Ansätze“), von Ansätzen, die Effekte durch Bewegung auf Lernleistungen durch indirekte Zusammenhänge plausibel belegen („Nichtstrukturaffine Ansätze“). Zur ersteren Kategorie zählt er Ansätze bzw. Modelle mit einer „Strukturgenetischen Perspektive“, bei der Erfahren und Erkennen der Welt über einen direkten körperlichen Umgang mit den Dingen geschehen. V. a. in der frühen Kindheit stehen Bewegung und Lernen in einem unlösbaren Zusammenhang), sodann Ansätze mit einer „Symboltheoretischen Perspektive“ (Lernen und das Lösen von Problemen finden unter Zuhilfenahme bzw. unter Verwendung des eigenen Körpers, d. h. „kinästhetisch“, statt der oder neben der sprachlichen und logischmathematischen Symbolisierung), ebenso Ansätze mit einer „Phänomenologischen Perspektive“ (Lernen und Verstehen vollziehen sich durch ein „SichzueigenMachen“ bzw. durch „Einleibung“ über virtuelle Bewe gungen und Bewegungsphantasien) und schließlich „Neuropsychologische Konzepte“ (spezielle Bewegungsaufgaben und übungen verbessern basale sensorische Integrationsleistungen und schaffen Voraussetzungen für höhere kognitive Leistungen).Zur zweiten Kategorie gehören die „Reizhungerhypothese“ (der natürliche kindliche Bewegungsdrang ist Ausgangspunkt und Voraussetzung von Lernprozessen), die „Kompensationshypothese“ (sinnlichmusischesgestalterischesbewegtes Lernen bietet einen Ausgleich zum einseitig kognitiv ausgerichteten Sitzunterricht), die „Schulklima und Schulkulturhypothese“ (Bewegung als wichtiger Teil der Schulkultur, Schule wird damit nicht nur als „Leistungsanstalt“ erlebt) und die „Selbstwertstabilisierungshypothese“ (Bewegung, Spiel und Sport vermitteln Erfolgserlebnisse, die zur
sozialen Anerkennung, zu einem positiven Selbstbild beitragen und dadurch auch die Lernmotivation verbessern).Unterstützt wird die Hypothese, dass Bewegung direkte positive Effekte auf das Lernen und die Lernleistung ausübt durch Befunde aus der Neurobiologie bzw. den Neurowissenschaften. So sorgt Bewegung offensichtlich für eine ausgewogenere Funktionsweise des zentralen Botenstoffsystems. Körperliches Training verbessert insgesamt die Gehirnvaskularisierung, die so genannte „SpineProduktion“ sowie die Synapsenbildung und die Neurogenese. Auch konnten über Bewegungsprogramme eine Erhöhung der Widerstandfähigkeit und Funktionssteigerung von Neuronen festgestellt werden. Über körperliche Bewegung werden Botenstoffe (Dopamin, Serotonin) aktiviert, so dass darüber eine Erhöhung des Adaptationsniveaus im Zentralen Nervensystem angenommen werden kann (vgl. Hollmann et al. 2003). Auch TeuchertNoodt (2000) verweist darauf, von welch hoher Bedeutung gerade frühkindliche Bewegungserfahrungen im Hinblick auf die allgemeine Neuroplastizität des Gehirns sind. Fehlen entsprechende Bewegungserfahrungen oder sind diese unzureichend, sind spätere, dann schwer kompensierbare Lernschwierigkeiten wahrscheinlich.Empirische Belege für die Wirksamkeit „Bewegten Lernens“ liegen derzeit fast ausschließlich aus dem Bereich der Schulforschung vor. Eine Reihe von z. T. sehr unterschiedlichen schul und unterrichtsintegrierten bewegungsorientierten Angeboten konnte positive Auswirkungen auf das (Lern)Verhalten und die Verbesserung von Lernvoraussetzungen bzw. kognitiver Leistungsfähigkeit nachweisen. So stellten Wamser/Leyk (2003) fest, dass sich über ein Aerobictraining die Konzentrationsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 6–9 signifikant steigern ließ. Auch Dordel/Breithecker (2003) konnten in ihrer Untersuchung der Aufmerksamkeitsleistung bei Kindern dreier Schulklassen im Verlauf des Schulvormittages z. T. hochsignifikante Unterschiede zwischen den Kindern zeigen, deren Schulalltag eher bewegungsaktiv abläuft, und jenen, die am herkömmlichen Unter
richt teilnahmen. Signifikant hohe Korrelationen zwischen Konzentrationsleistungen und Körperkoordination ergaben sich auch in einer Studie von Graf et al. (2003) bei 668 Grundschülern. Olson (1994) wies in seiner Studie nach, dass sportliche Kinder im Ver gleich zu weniger sportlichen Altersgenossen in (schulischen) Prüfungen signifikant besser abschnitten.
Bewegung als Medium der Entwicklungsförderung
Bewegung und Körperlichkeit haben aus interdisziplinärer Perspektive in den letzten eineinhalb Jahrzehnten eine erhöhte Aufmerksamkeit und Aufwertung erfahren. Gegenwärtig etabliert sich im interdisziplinären Fachdiskurs ein dynamischsystemisches Entwicklungsverständnis (Goldfield/Wolff 2004; Thelen/Smith 2006), das den Bereichen Bewegung und Körperlichkeit eine fundamentale und verbindende Bedeutung für alle Entwicklungsdomänen zuschreibt (Michaelis 2003; Krist 2006; Kubesch/Walk 2009). Es geht darum, die Wechselwirkung von Bewegung, Kognition und sozialemotionaler Kompetenz zu verstehen und für Prozesse der kindlichen Bildung und Entwicklungsförderung zu nutzen (Berthoz 2000; Nelson 2007; Posner/Rothbart 2007; Kastner 2010).Damit einher geht ein verändertes wissenschaftliches Verständnis der menschlichen Motorik. Die klassische Denkweise in Bezug auf die körperliche Bewegung ging von der reifungsbiologisch gestützten Sichtweise aus, dass der zerebrale Cortex alle neuromuskulären Funktionen kontrolliert. Bewegungsverhalten war danach die Reaktion des Organismus auf sensorischen Input und motorische Aktivität quasi die Folge zentraler Programmierung. Dem Kind wurde dabei lange Zeit die Rolle des passiven Rezipienten zugeschrieben. Es wurde zum Adressaten motorischer Lernprogramme. Die neue Denkweise sieht den Entwicklungsprozess der menschlichen Motorik als nichtlinear und diskontinuierlich an (Michaelis 2003). Über die Rezeption der wegweisenden Arbeiten des russischen Physiologen Bernstein (1967) entwirft Reed (1982) eine allgemeine
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Theorie der Bewegungsaktivität, die Bewegungsentwicklung und Bewegungslernen nicht infolge von motorischen Programmen, sondern als handlungsbezogene PersonUmweltBeziehung thematisiert. Unauflöslich damit verbunden ist die Sichtweise der engen Kopplung von Wahrnehmung und Handlung (actionapproach) (Krist 2006, 153), die auf die ökologische Wahrnehmungspsychologie von James und Eleanor Gibson zurückgeht. Danach ist Handeln Erkundungsaktivität und Wahrnehmungslernen (Fischer 2008) als aktives Suchen des Kindes nach sinnvollen Angeboten (affordances) in der Umgebung zu verstehen, um seine Handlungsziele zu verwirklichen (Krist 2006; Fischer 2009, 127). In der Entwicklungsforschung hat das Prinzip der Eigenaktivität unwidersprochene Akzeptanz gefunden. „Entwicklung erfolgt wesentlich über die Eigenaktivität des Kindes in der Interaktion mit Personen und Gegenständen“ (Ohrt 2006, 146). Bewegung wird somit zum Mittler von Entwicklungsprozessen und die Art
des Gestaltungsprozesses zu einer bedeutsamen didaktischen Kategorie. In kindheitspädagogischen Kontexten wird diesbezüglich von Selbstbil dungsprozessen gesprochen (Schäfer 2005).In internationalen Publikationen hat sich dafür der Begriff „embodiment“ (Körperlichkeit) etabliert. Nach langer Zeit der Fragmentierung entwicklungsbezogener Fragestellungen, findet gegenwärtig ein Umdenkprozess statt, bei dem die Körperlichkeit (embodiment) eine Art Integrationsfaktor darstellt. „… embodiment is the most central of these basic concepts, because embodiment is a concept of synthesis that bridges and integrates biological, sociocultural, and personcentered approaches to psychological inquiry“ (Overton 2006, 47–48). Die Bedeutung des Körpers geht dabei weit über die physischen körperlichen Strukturen hinaus; „embodied action“ ist vor allem gelebte Erfahrung, die sich aktiv mit der Welt soziokultureller und physikalischer Objekte verbindet. In dieser Sichtweise erhält das Konzept den Status einer
„Metatheorie in der Entwicklungsforschung“ (Overton 2006, 47) und Bewegung und Körperlichkeit werden zur „einigenden Perspektive“ entwicklungsbezogener Forschung (Glenberg 2010, Fischer 2011, S. 6). Dieses gilt für alle Bereiche der Entwicklung (v. Hofsten 2001; Fleig 2008; Goldman 2009). Für den kognitiven Entwicklungsbereich werden dabei die Unter themen der Planungs und Handlungsfähigkeit, der Wahr neh mungsent wicklung und der Körper /Raumrepräsentation differenziert, für den sozialen Entwicklungsbereich stehen die Themen soziale Sensibilität, Toleranz/Rücksichtnahme, Kontaktfähigkeit, Kooperations und Kommunikationsfähigkeit und für den emotionalen Entwicklungsbereich die Themenfelder Bindung/Beziehung, Selbstwirksamkeit und Selbstkonzeptentwicklung im Vordergrund. Auch der motorische Entwicklungsbereich hat in jüngerer Zeit eine differenziertere Aufmerksamkeit zur Entwicklung motorischer Kompetenzen über die Entwicklungsspanne erfahren (Krist 2006; Haywood/Getchel 2005;
r Bild 4: Bewegung als Medium der Entwicklungsförderung (Beudels)
Bedeutungsfelder der Bewegung für Bildungs und Entwicklungsprozesse im Kindesalter
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(das Körperselbst oder das sensorische Selbst);
•Erfahrungen der Wirksamkeit des eigenen Verhaltens;
•Folgerungen aus dem SichVergleichen und SichMessen mit anderen;
•Zuordnung von Eigenschaften durch andere.
Die Informationen über das Körperselbst können als elementar bezeichnet
werden, da diese als Basis zur Bewusstwerdung der eigenen Person notwendig sind. Das Kind lernt durch diese Wahrnehmungen zwischen Ich und NichtIch (Umwelt) zu differenzieren. Die Körperlichkeit des Kindes gewinnt als Bindeglied zwischen „innen“ und „außen“ die zentrale Bedeutung im Identitätsbildungsprozess (vgl. Zimmer 2001, 63). Hatte sich Zimmer in ihrem ursprünglichen Konzept auf die kognitiven und emotionalen Elemente des Selbstkonstrukts konzentriert, erweitert sie ihren Ansatz in jüngerer Zeit (2006, 51 ff.) um den motivationalen Aspekt der Selbstwirksamkeit. Diese repräsentiert das Gefühl der Gewissheit einer Person, Kontrolle über das eigene Leben zu haben und sich seiner Kompetenzen zur Bewältigung möglicher Probleme gewahr zu sein. Kontrollüberzeugungen bzw. Selbstwirksamkeiten entstehen, wenn Kinder sich selbst als „Urheber von Handlungen“ oder als „Verursacher von Handlungseffekten“ erleben. Durch sein Handeln kann das Kind sich ein Bild von seinen persönlichen Möglichkeiten machen, „ein erstes Konzept eigener Fähigkeiten“ konstruieren. Die positiven oder negativen Erfahrungen, die ein Kind bezüglich der Erreichung oder Verfehlung von Handlungszielen macht, haben Auswirkungen auf sein Selbstwertgefühl sowie auf seine Leistungsmotivation (vgl. Krus 2004, 54 f.); als (Miss)Erfolgserwartungen sind sie auf zukünftige Ereignisse gerichtet und modifizieren das Verhalten. So wird Bewegungsaktivität zu einem kindgerechten Mittel bei der Moderierung der Selbstwirksamkeitsüberzeugung und beim Aufbau des Selbstkonzeptes (vgl. Zimmer 2001b, 59 f., nach Fischer 2009, 88–89).
Es wird deutlich, dass insbesondere im Kindesalter die Handlungserfahrung als Strukturierungshilfe der kindlichen Persönlichkeit anzusehen ist. Dabei wird zunehmend der Blick auch auf die mikrogenetischen Prozesse des „Handlungsspielraumes“ für eigene Entscheidungen sowie Erkundungs und Planungsprozesse gerichtet, bei denen auch der atmosphärische Appellcharakter des physikalischen Raumes selbst mit seinen materialen Beschaffenheiten und Erfahrungsmöglichkeiten als Bedeutungsträger für Entwicklungsprozesse eine Berücksichtigung findet (Seeger/Seeger 2011).
Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden als Ergebnis einer systematischen Recherche von unterschiedlichen Quellen, die sich zum Bereich der Bewegung in der frühen Bildung äußern, vier sog. Bedeutungsfelder näher beschrieben. Diese spiegeln unseres Erachtens den aktuellen fachspezifischen Diskussionsstand zu diesem Bereich gut wider.Die beschriebenen Bedeutungsfelder dienen zur Zeit als Such und Forschungsraster, um auf empirischem Weg herauszufinden, welche Akzente in den Bildungs und Orientierungsplänen sowie in den fach und hochschulischen Lehrplänen der Bundesländer im Hinblick auf diese Bedeutungsfelder gesetzt werden. Die Ergebnisse der bisherigen Analysearbeiten zeigen erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die quantitative und qualitative Gewichtung. Hierüber soll einschließlich möglicher curricularer Konsequenzen in einem weiteren Beitrag berichtet werden.
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„Mitschwingen und Resonanzbereitschaft …“
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Susanne Amft, Brigitta Boveland, Kathrin Hensler Häberlin, Beatrice Uehli Stauffer
„Mitschwingen und Resonanzbereitschaft …“Eine Studie zu den theoretischen Konzeptionen und beruf-lichem Selbstverständnis von Psychomotoriktherapeutinnen
Susanne AmftProf., Diplom Motologin, Leiterin des Departements Pädagogisch-therapeu-tische Berufe der Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Therapeutin für Tanztherapie und Konzentrative Bewegungstherapie.
Anschrift der Verfasserin:Schaffhauserstr. 239, 8050 ZürichTelefon: 04 41 44 3 17 11 60E-Mail: [email protected]
Brigitta BovelandPh.D. Environmental Psychology, City University of New York, ist Lehrbeauftragte und Mitarbeiterin im Forschungsprojekt im Bereich Psycho-motoriktherapie der Hochschule für Heilpädagogik Zürich.
Anschrift der Verfasserin:Gerechtigkeitsgasse 14, 8001 ZürichE-Mail: [email protected]
Einleitung
Die jüngsten Entwicklungen in der Schweizer Schullandschaft sehen unter anderem eine Neuorganisation der sonderpädagogischen Fördermaß-nahmen vor. Während diese bis dahin vorwiegend in separaten therapeuti-schen Settings stattfanden, sollen Schülerinnen und Schüler mit Verhal-tens- und Lernstörungen vermehrt im Rahmen der Regelklasse gefördert werden. Der Leitgedanke der Integration vor Separation wurde in verschiedenen neuen kantonalen Gesetzgebungen zur Volksschule festgeschrieben und kommt insbesondere in der frühen schulischen Laufbahn der Kinder zum Tragen. Mit der Neuorientierung der Regel schule hin zu mehr Integration muss sich auch die Psychomotorik auseinandersetzen. Psychomotoriktherapeutinnen werden in Zukunft immer mehr in der Schule tätig sein, wo sie Hand in Hand mit den Lehrpersonen die kindliche Entwicklung fördern, um möglichen schulischen Problemen entgegenzuwirken. Diese veränderte bildungspolitische Landschaft bildet den Hintergrund für ein mehr-dimensionales Projekt zur Erforschung des Potentials der Psychomotorik zur Förderung sozio-emotionaler Kompe-tenzen bei Kindern im Vorschul- und frühem Schulalter, das gegenwärtig an
der Zürcher Hochschule für Heilpädago-gik (HfH) durchgeführt wird.1 Im Rahmen dieser Forschung wurde auch eine Gruppe Psychomotorik-therapeutinnen und -therapeuten nach ihren theoretisch-philosophischen Konzeptionen befragt, nach denen sie ihr therapeutisches Handeln ausrichten. An der schriftlichen, offen zu beant-wortenden Befragung beteiligten sich siebzehn Psychomotoriktherapeutinnen (darunter ein Psychomotoriktherapeut2), alle mit Arbeitsort in der deutschen Schweiz, darunter Berufsanfängerinnen, aber auch Therapeutinnen mit bis zu 30-jähriger Berufspraxis. Die meisten unter ihnen sind Absolventinnen der Hochschule für Heilpädagogik (HfH) bzw. deren Vorgängerin, dem Heil-pädagogischen Seminar (HPS) in Zürich und brachten vor ihrer Ausbildung bereits pädagogische Berufserfahrung aus ihrer früheren Tätigkeit als Kinder-gartenlehrperson oder Lehrperson, Hortnerin, Sozialpädagogin oder Heilpädagogin mit. Auch wenn es sich hier nicht um eine systematische und
1 Weitere Informationen zum Forschungsprojekt ist unter folgendem Link zu finden: http://www.hfh.ch/forschung/
2 Im weiteren Text sprechen wir immer von Psychomotoriktherapeutinnen, schließen dabei aber immer auch den Psychomotorikthera-peuten mit ein.
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repräsentative Erhebung handelt, waren die Antworten der beteiligten Psychomotoriktherapeutinnen reichhaltig und differenziert und ließen, ein anschauliches Bild ihres konzeptionellen Denkens nachzeichnen. Nachfolgende Darstellung dieses theoretischen Wissens und der professionellen Grundsätze bewegt sich auf der Ebene des Deskriptiven und lässt sich als eine Art Landkarte lesen, welche einer Gruppe von Psychomotorik therapeutinnen in ihrem Alltag Orientierung gibt. Diese abzustecken,
ist das Ziel und mag zur Klärung des beruflichen Selbstverständnisses von Psychomotoriktherapeutinnen in einer im Wandel begriffenen Bildungslandschaft beitragen. Im Folgenden beschreiben wir die theoretischen Orientierungspunkte und die sich daraus ableitenden Handlungs und Erklärungsmuster für eine psychomotorische Praxis, wie sie die an der Studie teilnehmenden Psychomotoriktherapeutinnen formuliert haben. Inwieweit die hier vorgenommene Demarkierung aussagekräftig für die Psychomotoriktherapie in der Schweiz – und für Deutschland – ist, muss eine Diskussion unter Fachleuten weisen oder allenfalls in einer Nachfolgestudie systematisch überprüft werden.
Die theoretischen Konzeptionen von Psycho-motoriktherapeutinnen
Es lassen sich vier, in sich verschränkte Themenbereiche aus den Aussagen
der Psychomotoriktherapeutinnen herausschälen. Diese betreffen die Bezugs theorien, die Arbeitsweisen, die Therapieziele und die Beziehung zwischen Therapeutin und dem Kind und dessen Umfeld.
BezugstheorienBei den Bezugstheorien fällt die relative Bedeutung des Gedankenguts auf, das
sich der humanistischen Psychologie zuordnen lässt. Manche Therapeutinnen erwähnen explizit das humanistische Menschenbild, das für sie wegweisend ist, wie beispielsweise jene Therapeutin, die sagt:
„Meine sozial und sonderpädagogische Grundausbildung sowie meine Ausbildung an der Hochschule für Heilpädagogik sind stark durch die humanistische Psychologie und das humanistische Menschenbild geprägt. Die kindzentrierte psychomotorische Entwicklungsförderung orientiert sich an diesem Menschenbild und sieht das Kind als ein aktives Wesen, das ein Bedürfnis nach sinnvollem Dasein hat und nach Autonomie und Unabhängigkeit strebt.“
Andere nennen den humanistischen Psychologen Carl Rogers als theoretischen Orientierungspunkt, vor allem, wenn das eigene Verhalten gegenüber dem Kind thematisiert wird, das von „Wertschätzung und Achtung vor der Individualität des Kindes“ geprägt ist. Wiederum andere betonen die „ganzheitliche Betrachtungsweise“ in ihrer Sicht auf den Menschen und die „Wechselbeziehung emotionaler, sozialer, motorischer, kognitiver und somatischer Prozesse“ und unterstreichen damit Aspekte, welche zentrale Anliegen der humanistischen Psychologie darstellen. Insbesondere auch in den Aussagen zur kindlichen Entwicklung finden sich deutliche Anklänge an das humanistische Menschenbild. Eine Therapeutin spricht für viele, wenn sie sagt: „Ich verstehe das Kind als Wesen, das einerseits aus sich selbst heraus wächst und sich andererseits durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelt. Der Mensch ist dabei ein aktives, sich selbst organisierendes Wesen. Die Richtung der Entwicklung soll hinführen zu Autonomie und Selbstbestimmung, zu Kontakt und Beziehungsfähigkeit und zu verantwortlichem Handeln.“ Und eine andere ergänzt: „Ich sehe Entwicklung als dynamischen, lebenslangen Prozess, in dem subjektiv bedeutungsvolle und sinnvolle Erfahrungen prägend sind für die sich entwickelnde Person und deren Selbstkonzept.“Kommt es zu eigentlichen Bezugstheorien was die kindliche Entwicklung angeht, dann steht bei vielen Erik Erikson mit seinem Konzept der krisen haften Entwicklung an prominenter Stelle. Vereinzelt finden Jean Piaget, Donald Winnicott, Robert Havighurst, Jean Ayres, HansChristoph Steinhausen, Richard Davidson und Daniel Goleman Erwähnung. Aber auch die Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori mit dem Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“ und der in der Pädago gik wirksame Psychologe Lew Vygotski mit seinem Verständnis der kindlichen Entwicklung als eine in sozialen und kulturellen Kontexten eingebundene, sind genannt. Eine Therapeutin führt die Neurowissenschaftler Gerhard Roth und Joachim Bauer an, dies im Zusammenhang mit der Entwicklung von Emotionen und der Bedeutung früh
Kathrin Hensler HäberlinMSc, Psychomotoriktherapeutin und Erziehungswissenschaftlerin, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Heilpädagogik Zürich.
Anschrift der Verfasserin:Schaffhauserstr. 239, 8050 ZürichTelefon: 04 41 44 3 17 12 26EMail: [email protected]
Beatrice Uehli StaufferDr. phil., Psychologin, Leiterin des Studiengangs Psychomotoriktherapie der Hochschule für Heilpädagogik Zürich.
Anschrift der Verfasserin:Schaffhauserstr. 239, 8050 ZürichTelefon: 04 41 44 3 17 11 79EMail: [email protected]
„Mitschwingen und Resonanzbereitschaft …“
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kindlicher Bindung zur Emotionsentwicklung. Eine andere nennt die Autoren Karen Olness und Daniel Kohen im Kontext von Hynotherapie und Kinderhypnose.Von besonderem Interesse ist die Frage, wie das Fachgebiet der Psychomotoriktherapie im engeren Sinne in den theoretischen Konzeptionen der Psychomotoriktherapeutinnen abgebildet ist. Im Gegensatz zur Vielfalt der Autoren und theoretischen Richtungen aus anderen Fachgebieten, sind es innerhalb der Psychomotoriktherapie vergleichsweise wenig theoretische Referenzpunkte, auf die sich die Psychomotoriktherapeutinnen beziehen. Vereinzelt sind die Begründerin der Psychomotoriktherapie in der Schweiz, die sich am Tanz und Musikimprovisation orientierende Susanne Naville sowie der französische Psychomotoriker Bernard Aucouturier und seine Schülerin Marion Esser genannt, die dessen psychoanalytischen Ansatz im deutschsprachigen Raum zu verbreiten sucht. Dieser werde zunehmend aufgegriffen. So schreibt eine Therapeutin, „ … dass das Interesse an einer tiefenpsychologisch orientierten Psychomotorik in
letzter Zeit vor allem in Deutschland … deutlich zugenommen hat.“ Sie erwähnt die Autoren Gerd Hölter, Hans Becker, Hans von Lüpke und Bernd Hachmeister, welche in Deutschland diesen tiefenpsychologisch ausgerichteten Ansatz repräsentieren. Im Unterschied zu den oben aufgeführten und nur vereinzelt genannten Autoren und Autorinnen findet sich in Renate Zimmer eine Autorin innerhalb der Fachrichtung Psychomotoriktherapie, die viele der an der Studie beteiligten Therapeutinnen als theoretischen Referenzpunkt angeben. Renate Zimmer gelingt es, die diversen und oftmals unvereinbaren theoretischen Richtungen im Rahmen ihres „kindzentrierten Ansatzes“ zusammenzufügen, den eine Therapeutin folgendermaßen beschreibt:
„Der kindzentrierte Ansatz wurde und wird im Feld der Psychomotorik vor allem von Renate Zimmer weiterentwickelt. Bewegung und Spiel werden als wichtige Medien gesehen, durch welche Kinder zu einer positiven Einschätzung ihrer
Person gelangen sollen. Im Vordergrund steht dabei weniger die reine Verbesserung der motorischen Funktionen, sondern das Verändern der Selbstwahrnehmung des Kindes und seines persönlichen Ausdrucks.“
Zimmers Ansatz klingt auch bei anderen Therapeutinnen an, wenn sie beispielsweise ihre Arbeit als „kindzentrierte Entwicklungsförderung“ mit „kindzentrierten Angeboten“ in einem „individuellen, auf die Bedürfnisse des Kindes zugeschnittenen Rahmen“ beschreiben. Im Zentrum von Renate Zimmers Arbeit steht die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts. Auch für die meisten der hier zu Wort kommenden Therapeutinnen bedeutet die Förderung bzw. Stärkung des kindlichen Selbst ein zentrales Anliegen, wobei die Vielfalt der genannten Aspekte und Facetten des Selbst erstaunt. So wird die Förderung der Selbstbestimmung, Selbstständigkeit, Selbstaktivität, Selbstentfaltung, Selbstwirksamkeit, aber auch des Selbstwerts und des Selbstvertrauens erwähnt. In der Betonung des Selbst und die verschie
Entwicklungs-psychologie
Piaget
Steinhausen
Ayres
Winnicott
Havighurst
Erikson
Menschenbild
Humanistische Psychologie
BeziehungRogers
Psychomotorik
Esser von Lüpke
Hölter
Becker
Hachmeister
Zimmer
Naville
Aucouturier
PädagogikNeuro-
wissenschaftenDavidson &Goleman
Roth
Bauer
Montessori
Vygotski
r Abb. 1: Theoriebezüge der Psychomotoriktherapeutinnen
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denen Facetten des Selbst, die mit den vielen Wortkombinationen zum Ausdruck gebracht werden, mag sich wiederum die breite Resonanz widerspiegeln, die diese Autorin mit ihrem kindzentrierten Ansatz im Berufsfeld der Psychomotoriktherapie findet. Es spiegelt sich hierin aber auch ein Selbstverständnis der Psychomotoriktherapeutinnen, wonach ihre Arbeit nicht allein eine Anleitung zur Verbesserung der Motorik darstellt, sondern dass diese Arbeit ganz zentral auch auf die Stärkung des kindlichen Selbst zielt und dass dieses Selbst in all seinen Facetten – sozialen, emotionalen und kognitiven Facetten – zu fördern sei.Die Abbildung 1 fasst die Theoriebezüge unter Berücksichtigung ihrer Anzahl Nennungen zusammen. Zentrale Bezugswissenschaften, Theorien und Autoren sind in der Mitte abgebildet und unterscheiden sich zu weniger bedeutsameren durch die Darstellungsgröße.
ArbeitsweisenDie Praxis der Psychomotoriktherapie ist gekennzeichnet durch ein pragmatisches, vielfältiges Vorgehen, das sich, ganz im Sinne des kindzentrierten Ansatzes von Zimmer, an den Bedürf
nissen des Kindes oder einer Gruppe von Kindern orientiert. Kaum formuliert hingegen sind eine spezifische therapeutische Methode und sich daraus ableitende, klar definierte Arbeitsweisen. Sicher, die kindliche Bewegung und das Spiel sind Elemente eines psychomotorischen Vorgehens. Wie aber genau diese Elemente eingesetzt werden und welchen Platz sie im therapeutischen Geschehen der Psychomotoriktherapie einnehmen, bleibt im Ermessen der einzelnen Therapeutin. Angesichts einer fehlenden verbindlichen Methodik überrascht es nicht, dass die Antworten der Studienteilnehmerinnen eine beachtliche Vielfalt von möglichen Arbeitsweisen aufweisen. So betonen manche Therapeutinnen in ihren Arbeitsweisen beispielsweise das Üben einer Fertigkeit und die mit der Wiederholung gewonnene Sicherheit. Andere arbeiten eher am kreativen Ausdruck des Kindes. Oder sie beschreiben die Möglichkeit des Kindes, im geschützten Rahmen der Psychomotoriktherapie seine Probleme verstehen und bearbeiten zu können. Sie knüpfen an den Stärken und der Motivation des Kindes an, helfen ihm, Konflikte zu lösen und Herausforderungen zu meistern. Sie schulen die Körperwahrnehmung und über die
Körperwahrnehmung die Fähigkeit, sich psychisch und sozial zu steuern. Sie helfen dem Kind, seine in der Therapie gemachten Erfahrungen zu versprachlichen und reflektieren und fördern so ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kompetenz. Es scheint, als wähle jede Therapeutin entsprechend ihrer theoretischen Orientierungen, ihrer Erfahrungen und ihrer Interpretation der spezifischen Situation des Kindes, das zu ihr in die Therapie kommt, ein jeweils eigenes Vorgehen, wobei durchaus auch per sönliche Vorlieben oder so etwas wie der eigene Stil die Therapiestunde mitgestalten können. Manche haben zusätzliche Ausbildungen in spezifischen therapeutischen Ansätzen und Techniken und bringen dieses Wissen in ihre Arbeit ein. Eine Therapeutin beschreibt beispielsweise die tiefenpsychologisch orientierte Sandspieltherapie als eine wertvolle Ergänzung ihrer psychomotorischen Arbeit. Eine andere Therapeutin arrangiert in ihrer Therapiestunde Interventionen, welche von der Hypnotherapie und Kinderhypnose inspiriert sind. Die äußerst individuellen und kaum auf einen Nenner zu bringenden Arbeitsweisen lassen bei genauem Hinsehen aber durchaus etwas Gemeinsames, ein
Bezieh
ung
Bewegung & SpielPositives
Selbstkonzepterlebnis- und handlungs-
orientiertes Lernen
üben
verstehenverarbeiten
versprachlichenreflektieren
r Abb. 2: Therapeutische Arbeitsweisen
„Mitschwingen und Resonanzbereitschaft …“
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einigendes Muster erkennen. Fast alle der hier zu Wort gekommenen Therapeutinnen beschreiben nämlich das am Erleben und Handeln des Kindes anknüpfende Lernen als ihr zentrales Anliegen. So soll das therapeutische Arbeiten „erlebniszentriert“, „erfahrungs und handlungsorientiert“ sein, „Mut, Spaß und Lust am Ausprobieren, Explorieren, Entdecken, Experimentieren“ ermöglichen. Diese Betonung der Subjektivität des Kindes gibt den scheinbar so disparaten Vorgehensweisen einen einigenden Fokus. Der Referenzpunkt ist das subjektive Erleben des Kindes, welches sich im Kontext seiner individuellen Lebenswelt ereignet und aus ihr Sinn bezieht. Aussagen wie „sinnverstehendes“ Arbeiten oder „die Themen des Kindes“ entdecken, zielen dann auf die Erkundung der inneren Welt des Kindes. So sollen auch die Gestaltung des Spielgeschehens und des Bewegungsangebots in der Therapiestunde einen Bezug zur Erlebniswelt des Kindes haben und dadurch Erfahrungen ermöglichen, die mit der Lebensgeschichte des Kindes zu tun haben und bedeutungsvoll sind. Eine Therapeutin drückt es so aus: „Zentrales Leitmotiv meiner Arbeit … ist die Suche nach dem psychologischen und emotionalen Verständnis der individuellen (Lebens)Geschichte des Kindes. Welches sind die Motive seines Handelns? Wie sind seine Spielthemen, seine Handlungen, sein Verhalten, seine Aussagen zu verstehen? “ Und mit Rekurs auf die Lebensgeschichte kann sogar das wiederholte Üben einer Hand lung im Sinne einer reinen Verbesserung der Funktionstüchtigkeit durchaus zu einer sinnvoll erlebten Erfahrung werden. „So ist es mir auch bei der grafomotorischen Förderung wichtig, dass es Raum für das Kind gibt, in dem es aktiver werden kann“ schreibt eine Therapeutin und beruft sich auf das humanistische Menschenbild, ein Menschenbild, das die erlebende Person und die Sinnhaftigkeit ihres Tuns ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt.Abbildung 2 fasst einerseits die genann ten Arbeitsweisen zusammen, andererseits stellt sie diese in Bezug zu den psychomotorischen Medien Spiel und Bewegung und zum positiven Selbstkonzept als Therapieziel.Es ist unschwer zu erkennen, dass die hier beschriebenen Arbeitsmodalitäten
die unterschiedlichen – psychologischen – Bezugstheorien widerspiegeln, welche tiefenpsychologische, verhaltenstherapeutische und kognitive Ansätze umfassen. Diese werden aber nicht beliebig eingesetzt. Im Fokus dieser Arbeitsmodalitäten steht das sich erlebende Kind in seiner Lebenswelt und seiner Geschichte. Hierin drückt sich wiederum der prägende Einfluss der humanistischen Psychologie aus, den viele Therapeutinnen für sich reklamieren. Auch klingt hier Zimmers kindzentrierter Ansatz an, der sich gerade durch die Offenheit gegenüber den verschiedenen pädagogischtherapeutischen Methoden auszeichnet, je nach Bedürfnislage des Kindes. Ganz in diesem Sinne schreibt eine Therapeutin: Ich orientiere „meine Arbeitsweise an den Bedürfnissen und Zielsetzungen der Kinder“ und sie fährt fort „folgende Ansätze sind in meiner Arbeit zentral:
• VerstehenderundkindzentrierterAnsatz: Hier steht der psychosoziale Prozess im Vordergrund (z. B. Aufarbeitung sozialer Konflikte oder die Verarbeitung negativer Erlebnisse).
• Erlebnis-undhandlungsorien-tierter Ansatz: Durch das Erleben, Erkunden und das Handeln soll das Kind die eigene Umwelt ,begreifen’ dürfen.
• FunktionalerAnsatz:Hierliegtder Schwerpunkt auf der Erweiterung der Bewegungskompetenzen wie auch auf das Erlernen von Fähigkeiten und Fertigkeiten im grob, fein und grafomotorischen Bereich.
• VerschiedeneAnsätzeausderVerhaltenstherapie: Vermitteln von Strategien (Selbstregulator); ausarbeiten eines individuellen TokenProgramms (Belohnungssystem) für die Lehrperson (vorwiegend bei Kindern mit einer hyperkinetischen Störung und Verhaltensauffälligkeiten).
• VerschiedeneElementeausderHypnotherapie.
• KognitiveTherapieansätze:Vermittlung von Arbeitstechniken und Entwicklung von Lernmotivation und Lerntrainings. Entwicklung grundlegender Denk und Lernprozesse.“
Ein solchermaßen differenziertes Arbeiten setzt neben differenzierten Fachkenntnissen ein unvoreingenommenes Einlassen auf das Kind und seine Problematik voraus. Dieselbe Therapeutin schreibt, dass der Beginn des Therapieprozesses dem Vertrauens und Beziehungsaufbau gewidmet ist, und spricht damit eine Ebene an – die Beziehung zwischen Therapeutin und Kind – die bei vielen eine zentrale Stelle in ihrer psychomotorischen Praxis einnimmt.
Beziehung
Die Beziehung zwischen Therapeutin und KindDie Mehrzahl der an der Studie teilnehmenden Therapeutinnen machen in ihren Statements Aussagen zu ihrem Beziehungsverständnis und unterstreichen damit die weitreichende Bedeutung, die sie ihrer Beziehung zum Kind beimessen. Einige weisen explizit auf die zentrale Stellung der therapeutischen Beziehung hin. So sagt eine Therapeutin: „Die Grundlage und Basis meiner psychomotorischen Arbeit ist die Beziehung zwischen dem Kind und mir.“ Und eine andere: „Die Grundlage für mein Schaffen bildet die therapeutische Beziehung.“ Und wieder eine andere: „Die Beziehung erachte ich als wichtigste und effektivste Ebene in der Arbeit mit dem Kind und den Eltern.“Geht es um die Beziehungsgestaltung, dann bemerkt man den Einfluss Carl Rogers, den dieser mit seinen Anforderungen an eine therapeutische Beziehung formuliert hat, und auf den sich manche der hier beteiligten Psychomotoriktherapeutinnen ausdrücklich beziehen. Aber auch wenn nicht explizit erwähnt, finden sich Rogers Maxime in den Äußerungen vieler Therapeutinnen wieder. „Die Beziehung ist geprägt von Wertschätzung und Achtung vor der Individualität des Kindes, seiner Lebens geschichte und seines sozio kulturellen Hintergrundes.“ Eine „teilnehmende, verlässliche, positiv zutrauende, Selbst wert stärkende Haltung“ sind ebenso wichtige Elemente dieses Beziehungsverständnisses wie „kongruentes Verhalten bzw. Echtheit“ der Therapeutin.
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Innerhalb dieses Beziehungsverständnisses nach Carl Rogers lassen sich drei Typen von Beziehungen, wie Abbildung 3 aufzeigt, unterscheiden, je nachdem, wie aktiv die Therapeutin im therapeutischen Geschehen involviert ist und dieses gestaltet – die leitende Beziehung, die begleitende Beziehung und die dialogische Beziehung. Es scheint, dass die Studienteilnehmerinnen sich auf keinen Typ festlegen, sondern die verschiedenen Typen entsprechend der jeweiligen konkreten Therapiesituation variieren. So kann einmal eine „klare, vertrauensvolle Führungsrolle“ übernommen, oder das Kind in seiner Entwicklung begleitend „unterstützt und befähigt“ werden, oder ein „fort schreitendes Handeln“ (also Handlungskompetenz) nach dem dialogischen Prinzip durch „Vorschlag und Gegenvorschlag“ erreicht werden. Manche Therapeutinnen suchen bewusst eine ausgesprochen nahe Beziehung zum Kind. So schreibt eine Therapeutin, „dem Kind soll deutlich werden, dass ich mich freue, dass es zu mir in die Therapie kommt. Es soll in jeder Stunde eine möglichst intensive Begegnung zwischen dem Kind und mir statt finden … Auch wenn ich mich zurückhalte, bin ich immer als Person anwesend.“ Eine andere sieht sich zwar nicht als „Heilerin“, ist aber „in ständigem Kontakt mit dem Kind auf dem Weg, so dass es neue Entwicklungsschritte gehen kann.“ Dass nicht allein die physische Nähe gesucht wird, sondern vor allem auch eine emotionale, macht nachfolgende Aussage deutlich: „Das ‚Öffnen’ und Bereitsein des emotionalen Filters des Kindes ist die grundlegende Voraussetzung für ein effektives Lernen. Die emotionale Teilhabe der Therapeutin, das ‚Mitschwingen’ – Resonanzbereitschaft ist ein grundlegendes Element der TherapeutinKindBeziehung.“ Hier ist die therapeutische
Beziehung nicht bloßer Rahmen, in dessen geschützter Atmosphäre Entwicklungsförderung stattfinden kann, sondern die Beziehung selbst wird zum Instrument, das den therapeutischen Prozess in Gang setzt, vorantreibt und gestaltet.
Das Kind in seinem UmfeldDass das Kind nicht isoliert von seinem Kontext zu betrachten sei, betont knapp die Hälfte der an der Studie beteiligten Psychomotoriktherapeutinnen. Diese Therapeutinnen bekennen sich zu einem „systemischen Ansatz“, der „zentral“ in ihrem therapeutischen Tun sei, wobei insbesondere die Zusammenarbeit mit der Familie und Schule im Rahmen der Psychomotoriktherapie gepflegt werden soll. Doch während die Therapeutinnen die Beziehung zum Kind in lebendigen, mit Metaphern bestückten Worten schildern, sind spezifische Aussagen, wie die soziale Umwelt des Kindes in die Arbeit mit einzubeziehen sei, rar. So bedeutet der Einbezug des kindlichen Umfeldes zwar ein wichtiges Anliegen, doch ohne konkrete Details bleiben diesbezügliche Aussagen auf fallend blass. Im Gegensatz zur Mehrzahl schildern zwei Therapeutinnen ausführlich, wie sie das systemische Denken in ihrer Arbeit umsetzen. Eine Therapeutin schreibt: „Für mich ist es wichtig, das Kind in seinem ganzen System zu erfassen. Ich investiere relativ viel Zeit für Gespräche mit den Eltern, unterstütze diese in ihrem Handeln und berate sie in erzieherischen Belangen. Ich führe auch fachlichen Austausch mit Lehrpersonen und Berufskolleginnen.“Dieser Austausch mit Personen aus dem kindlichen Umfeld kommt einerseits bei der gründlichen Diagnostik der Problematik des Kindes in der Anfangsphase der Therapie zum Tragen. Eben zitierte Therapeutin integriert beispielsweise in
dieser Phase Eltern in die Therapiestunde. Aber nicht allein in der Anfangs phase, sondern während des gesamten therapeutischen Prozesses, betrachtet sie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den relevanten Bezugspersonen und Fachpersonen als förderlich für die Bewältigung wichtiger Entwicklungsschritte des Kindes. Eine zweite Therapeutin bezeichnet ebenfalls die Arbeit mit dem Umfeld des Kindes als einen Kernpunkt ihrer therapeutischen Arbeit: Es „ergeben sich für meine Arbeit zwei Hauptschwerpunkte. Die Arbeit mit dem Kind und seinen Entwicklungsthemen sowie die Arbeit mit dem Umfeld des Kindes im entsprechenden familiären, schulischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext.“Was sie unter dem „kulturellen und gesellschaftlichen Kontext“ beispielsweise versteht, macht sie in ihrem kritischen Kommentar zu heutig gängigen Erziehungspraktiken deutlich: „Kinder werden oft aus der Erwachsenensicht gesehen und mit Wertungen, Feindseligkeiten und Zuschreibungen ‚überdeckt’. Andererseits wird die Führung des Kindes zu wenig übernommen, wichtige Rahmenbedingungen und Grenzen, die für den Schutz und die Sicherheit des Kindes wichtig sind, werden zu wenig gesetzt. Das Kind steht in einer eher partnerschaftlichen Beziehung zu den Eltern und erhält wenig sichere, Halt gebende Führung. Ich beobachte, dass den Kindern einerseits sinnvolle Verantwortung oft abgenommen wird, andererseits werden den Kindern Entscheidungen übergeben, die sie noch gar nicht fällen können.“ Mit diesem kritischen, über die engere Therapiesituation hinausgehenden Blick bleibt diese Stimme unter den hier zu Wort kommenden Therapeutinnen jedoch allein.
Leitende Rolle in Beziehung Begleitende Rolle in Beziehung Dialogische Beziehung
Akzentuierungen im Beziehungsverständnis
r Abb. 3 : Akzentuierungen im Beziehungsverständnis
„Mitschwingen und Resonanzbereitschaft …“
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Zusammenfassung und abschließende BemerkungenWill man ein Resümee der theoretischen Konzeptionen der an der Studie beteiligten Psychomotoriktherapeutinnen ziehen, dann fällt die übergeordnete Bedeutung des humanistischen Gedankenguts auf. Diese Denktradition unterstreicht die typisch menschlichen Qualitäten unserer Existenz wie Selbstbewusstsein, die Fähigkeit, Werte und Ziele zu setzen, Sinn zu stiften, Urteile zu fällen. Sie betrachtet den Menschen als fähig, einen eigenen Weg im Leben zu wählen, ohne von den Realitäten seiner Umwelt oder seiner inneren Dispositionen überwältigt zu werden. In der humanistischen Tradition zeichnet sich der Mensch durch sinnhaftes Handeln aus. Er plant und strukturiert seine Lebensumstände im Versuch, eine optimale Selbstverwirklichung zu erreichen. Es ist dieses Menschenbild, und ins besondere dessen Ausformulierungen in der humanistischen Psychologie, zu dem sich viele der Therapeutinnen bekennen. Aber nicht nur beim Menschenbild, sondern auch bei der Zielsetzung des therapeutischen Arbeitens fungieren die Leitsätze der humanistischen Psychologie an prominenter Stelle. So stellt für nahezu alle Befragten die Arbeit am Selbst ein zentrales Ziel dar. Die hier zu Wort gekommenen Psychomotoriktherapeutinnen wollen das Kind in seinem Bestreben nach Verwirklichung seiner Möglichkeiten unterstützen, d. h. es soll im Rahmen der Therapie seine Ressourcen kennen lernen, so dass es gestärkt den eigenen Weg beschreiten kann. Auch bei der Betrachtung der Arbeitsweisen der Studienteilnehmerinnen finden wir einen starken Widerhall wichtiger humanistischer Konzepte. Viele Therapeutinnen betonen in ihren Interventionen die Bedeutung des subjektiven Erlebens und das Anknüpfen an die Lebensgeschichte des Kindes als Voraussetzung für sinnhafte und damit motivierende Alltagssituationen in der Therapiestunde. Und von ganz offensichtlicher Bedeutung ist die humanistische Psychologie, wenn es um die Gestaltung der Beziehung zum Kind geht. Zwar nicht immer mit Namen erwähnt, prägen die Leitsätze
des humanistischen Psychologen Carl Rogers die therapeutische Grundhaltung der Studienteilnehmerinnen gegenüber dem Kind. Das humanistische Denken und die humanistische Psychologie lassen sich also als die große Klammer der theore tischen Orientierungen der Studienteilnehmerinnen lesen. Damit ist aber ein weites, das menschliche Verhalten und Erleben noch wenig nach spezifisch psychomotorischen Kriterien bearbeitetes Territorium abgesteckt. Es überrascht deswegen kaum, dass sich die hier befragten Psychomotoriktherapeutinnen innerhalb der großen Klammer des humanistischen Denkens einer ganzen Bandbreite spezifischer theoretischer Ansätze aus dem großen Fundus pädagogischpsychologischen Wissens bedienen. Für diese Gruppe von Psychomotoriktherapeutinnen trifft offenbar der Befund zu, den Klaus Fischer (2011) für die Psychomotorik allgemein feststellt, wenn er schreibt: „Die Psychomotorik ist weit davon entfernt ein einheitliches Erklärungskonzept als Bezugsgrundlage zu formulieren. Einig ist die Scientific Community darin, die Schlüsselbegriffe Bewegung, Wahrnehmung, Körper/Leib, Beziehungsgestaltung, Selbst konzept/Identitätsbildung und soziale Kompetenz unter einer Entwicklungs bzw. Förderperspektive zu betrachten (S. 97). Maßgabe ist allein das Kind und seine Bedürfnisse. Mit dem Fokus auf dem Kind lassen sich divergierende und durchaus auch widersprüchliche theoretische Konzepte in Einklang bringen, solange sie dem Wohle des betroffenen Kindes dienen. So kann man das Fehlen eines „einheitlichen Erklärungskonzepts“ (Fischer, s. o.) in der Psychomotorik beklagen, oder aber diese Leerstelle als Aufforderung begreifen, die verschiedenen theoretischen Ansätze und methodischen Vorgehensweisen für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Problemstellung des Kindes zu nutzen. Denn diese Offenheit gegenüber der Vielfalt der Ansätze und Methoden ermöglicht „… einerseits das Aufbrechen eingefahrener Denkmuster und Beurteilungsschemata zum Zweck eines besseren Verständnisses des Kindes. Andererseits eröffnet sie die Chance einer Variation der eigenen Verhaltensweisen im Hinblick auf die spezifischen Erforder
nisse des Kindes“ (Zimmer, 2006, S. 50). Die hier Befragten folgen bei ihrem pragmatischen und sich keiner einzelnen Theorie verpflichtenden Vorgehen dem Vorbild Renate Zimmers, die mit genau diesem theoretisch und methodisch offenen Ansatz, der auch als „kindzentriert“ bezeichnet wird, das Feld der Psychomotorik offensichtlich auch in der Schweiz maßgeblich beeinflusst.Eine zweite Beobachtung betrifft das berufliche Selbstverständnis der befragten Psychomotoriktherapeutinnen. Liest man ihre Statements unter dem Gesichtspunkt von beruflicher Identität, dann kann man feststellen, dass diese von der Betonung einer therapeutischen Haltung geprägt sind. Die Betonung des therapeutischen Aspektes der beruflichen Identität mag an unserer Fragestellung gelegen haben (wir fragten nach den theoretischen Konzepten, die den therapeutischen Alltag leiten), berücksichtigt man aber die Eloquenz und Wortwahl, mit welcher die Therapeutinnen ihre Beziehung zum Kind und ihre Zielorientierung an der kindlichen Selbstentfaltung beschreiben, dann scheint die Vermutung berechtigt, dass das hier zum Ausdruck gebrachte therapeutische Selbstverständnis nicht allein ein Artefakt unserer Befragung ist. Das therapeutische Selbstverständnis zeichnet sich in deutlichen Konturen ab: Die Psychomotoriktherapeutin nutzt ihr Wissen um die Probleme der kindlichen Entwicklung und richtet ihre Interventionsangebote danach aus. Sie setzt ihr spezifisches Wissen um die kindliche Bewegung und die Materialität von Erfahrung ein, um dem Kind Räume für sinnliche und lustvolle Erlebnisse zu eröffnen. Sie möchte eine tragfähige Beziehung aufbauen und im Rahmen dieser Beziehung dem Kind Sicherheit geben, seine nächsten Entwicklungsschritte zu wagen. Sie beschreiben es als ihre Aufgabe, die Probleme des Kindes zu erkennen und zu verstehen und ihm im geschützten Rahmen der Psychomotoriktherapie zu helfen, diese zu meistern. Die hier befragten Psychomotoriktherapeutinnen drücken ein Vertrauen in die eigene fachliche Kompetenz aus, die ihnen erlaubt, genau diese Rolle als Therapeutin wahrzunehmen.
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Angesichts dieser, vom therapeutischen Selbstverständnis geprägten Berufsidentität bedeuten die Veränderungen in den Aufgaben der Psychomotoriktherapie aufgrund der neuen Volksschulgesetzgebung eine Herausforderung, die mit Achtsamkeit angegangen werden sollte. Denn das im neuen Gesetz geforderte, integrative und präventive Arbeiten, Seite an Seite mit der Lehrerin oder Kindergärtnerin im Klassenzimmer im Rahmen des normalen Unterrichts bedeuten nicht nur eine andere Arbeitsweise, sondern auch eine Perspektivenerweiterung die auch Bildungsziele beinhaltet. Diese Veränderungen müssen von den Psychomotoriktherapeutinnen akzeptiert, verinnerlicht und in die berufliche Identität integriert werden, damit die anvisierten Reformen erfolgreich reali siert werden können.Neben den veränderten Aufgabenstellungen und der Anpassung der beruflichen Identität, erscheint es uns zudem notwendig eine Theoriediskussion zu führen, so wie sie auch Klaus Fischer fordert, die eine „… Verschmelzung von Behandlungsaspekten mit (heil)pädagogischen, persönlichkeitsbildenden Zielsetzungen …“ (Fischer,
2011, S. 98) konzeptualisiert. Damit aber eine solche konzeptionelle Verknüpfung der Perspektiven in der Praxis fruchtbar wird, braucht es, so argumentiert Fischer weiter, auch eine Bildungsdebatte. Denn nur „unter einem erweiterten Bildungsbegriff, der nicht allein auf Wissensentwicklung unter einer fachdidaktischen Perspek tive zielt, erhält die Psychomotorik eine Schlüsselfunktion in der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen als Konzept der Allgemeinbildung und als körperorientierte Theorie der Erfahrung“ (Fischer, 2011, S. 98). Und nur im Rahmen eines solchermaßen erweiterten Bildungsbegriffs kann die Psychomotorik ihr spezifisches Potential für eine allgemeine Entwicklungsförderung in einem schulischen Setting zum Wohle des Kindes einlösen. Eine letzte Beobachtung betrifft die Sprache der Studienteilnehmerinnen. Beim Lesen der vorgestellten theoretischphilosophischen Konzeptionen fällt der ungewöhnliche Gebrauch der Sprache auf, die bemerkenswert oft mit bildhaften Ausdrücken wie „Entwicklungsthemen der Kinder“, „Raum geben“, „Wesen des Kindes“, „Kind abholen, wo es steht“, „seine Themen
finden“, „Mitschwingen und Resonanzbereitschaft“, „emotionalen Filter öffnen“, „Schlüssel sein für …“ operiert. Auch diese metaphorische Sprache deutet darauf hin, dass Psychomotorikerinnen in der Schweiz sich in ihrer Identität einem therapeutischen Berufsverständnis zugehörig fühlen. Möglicherweise kann hier ein „psychomotorischer Fachdiskurs“ ansetzen, der aus einem funktionierenden Praxisfeld hervorgeht und daraus einen wissenschaftlichen Diskurs ableitet und bereichert. Ein Diskurs, der mit Metaphern arbeitet, ist vielleicht in besonderer Weise geeignet, genau dieses Praxisfeld in all seiner Reichhaltigkeit, Breite und auch Offenheit abzubilden.
LiteraturFischer, K. (2011). Meilensteine und
Erkenntnisfortschritte des psychomotorischen Paradigmas. Motorik, 34, 2, 96–101.
Zimmer, R. (2006). Handbuch der Psychomotorik: Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung von Kindern. Freiburg im Breisgau: Herder.
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Auf der Suche nach der sinnvollen Einheit
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Umwelt ein ganzheitliches Beziehungsgefüge bilden sieht (vgl. 1982, S. 81). Jene Einheiten sind durch Minderwertigkeits oder Ohnmachtsgefühle Erschütterungen ausgesetzt, die das Individuum auszugleichen versucht: In diesem entwicklungsrelevanten Kompensationsverhalten strebt es danach, die nämliche Einheit über die Erweiterung autonomer (kompetenzorientierter) oder sozialer (beziehungsorientierter) Ressourcen wiederherzustellen. Unter jener Zielausrichtung
Die Individualpsychologie (IP) spielt im Fachdiskurs der Motologie/Psychomotorik bisher kaum eine Rolle, obwohl sie deren Kriterien für eine Bezugnahme umfassend erfüllt. Der Autor skizziert die theoretischen Grundlagen der IP und stellt mit ihrem Bestreben, das Individuum über Organdialekt und Bewegungsgesetz ganzheitlich zu verstehen, wertvolle Anknüpfungspunkte für die Motologie/Psychomotorik heraus. Er verweist mit der Psychomotorischen Prioritäten- und Teleoanalyse auf einen neuen Fachansatz, der sich den individualpsychologischen Erkenntnissen bedient und die individuellen Problemlösungsstrategien in den praxeologischen Fokus nimmt.
Kimon Blos
Auf der Suche nach der sinnvollen EinheitIndividualpsychologische Impulse für die Motologie
Dr. phil. Kimon BlosStudium der Sportwissenschaften (Köln) und Motologie (Marburg). Leiter der PsychomotorikTherapiestelle und der Schuldienste (Fachbereiche der Logopädie, Psychomotoriktherapie und Schulpsychologie) in CHWillisau/LU. Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte: Selbst und Identitätsentwicklung in der Postmoderne, leibliche Aspekte der Individualpsychologie, Praxeologie psychomotorischer Ansätze sowie die Entwicklung der Psychomotorischen Prioritäten und Teleoanalyse.
Anschrift des Verfassers:Schuldienste Willisau/ Psychomotorische TherapiestelleSchlossstrasse 4, Schulhaus Schloss 26130 Willisau/LU, SchweizTelefon: 00 41 / (0) 41 972 62 58EMail: kimon.blos.psychomotorik@
willisau.ch
Die bisher gesponnenen Beziehungsfäden zwischen Motologie und Individualpsychologie (IP) gründen insbesondere auf zwei renommierten Vertretern, müssen aber noch als eher dezent beschrieben werden: Auf Seiten der Motologie hat sich Ernst J. Kiphard, v. a. im Hinblick auf Erziehungs und Beziehungsgestaltung bzw. im Umgang mit aggressivem Verhalten, wiederkehrend auf individualpsychologische Autoren bezogen (vgl. z. B. Kiphard 1990, S. 38 f., S. 101 ff. bzw. 1983, S. 282) und eine intensivere Auseinandersetzung mit deren Gedankengut angeregt. Auf Seiten der IP hat Toni Reinelt (2004) Verbindungen zwischen der Tiefenpsychologie und v. a. der französischen Psychomotorik geknüpft, dabei jedoch gleich einschränkend die Frage aufgeworfen, „ob deren theoretische Konzeptionen und Praxisanleitungen noch als Psychomotorik im originä ren Sinne verstanden werden können“ (S. 87). Dieser Beitrag zielt darauf, die psychomotorische Praxis um Interpretationsmöglichkeiten des Bewegungsverhaltens unserer Klientel vor dem Hintergrund individualpsychologischer Konstrukte zu erweitern. Dafür ist zunächst darzulegen, inwieweit die infrage stehende Theorie sich in ihrer Erkenntnissuche auf die motologierelevanten Parameter Körper, Leib oder Bewegung bezieht (vgl. Seewald 2009, S. 33). Nach einem entsprechenden Einblick folgt der Transfer dieser individualpsychologischen Impulse in die Theorie und Praxis der Motologie,
der wiederum zur Psychomotorischen Prioritäten und Teleoanalyse führt.
Skizze der theoretischen Grundlagen der Individualpsychologie
Die Individualpsychologie betont die nicht zu teilende (in dividere) Einheit des Menschen. Ihr Name darf also keinesfalls als etwaiger Hinweis auf eine Vernachlässigung der sozialen Komponente fehlgedeutet werden, die mit dem Gemeinschaftsgefühl sogar eine herausragende Stellung im Theoriegebilde der IP einnimmt. Gemäß Antoch (1981, S. 42, kursiv im Original) handelt es sich bei diesem „um eine prinzipielle Zugewandtheit, die als Kontakt, Nähe und Aufgeschlossenheit der Welt, dem Leben und den Mit-menschen gegenüber zu begreifen ist“ und orientiere sich an einem echten Interesse an einer konstruktiven Problemlösung. So dient es zum einen dem einzelnen Individuum als Ressourcenpool zur Kompensation eigener Unzulänglichkeiten und ermöglicht zum anderen auch jedem Individuum seinen Beitrag für die gemeinsame Entwicklung einzubringen. Denn jene Einheit, auf die die IP verweist, besteht auf zwei Ebenen: der intrapsychischen, auf der Adler die Freud’sche Teilaspektanalyse nach Ich/Es/ÜberIch ablehnt (vgl. z. B. 1973, 76 f.) und eben der interpsychischen, auf der er das Individuum mit seiner sozialen und lebensweltlichen
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entwirft und konkretisiert sich der Mensch, der entsprechend nur über seine Wirk oder Gestaltungs absicht innerhalb seiner Lebensumwelt ver standen werden kann.Die IP sucht somit nach dem Ziel individuellen Handelns, mit der der Mensch die Wiederherstellung seiner Einheit anstrebt. In diesem selbst kreierten Konstrukt von problematisierter Lebensweltinterpretation (Probleme „stehen in direkter Korrelation zu unserem Selbstverständnis. Denn Probleme werden auf dem Niveau wahrgenommen, auf dem wir uns selbst begreifen.“, Gerhardt 1999, S. 47, kursiv im Original) und eigenem Lösungsansatz nimmt die Sinndimension des Individuums Gestalt an („Wie einer sich bewegt, so ist sein Sinn des Lebens“, Adler 1973, S. 77), denn in seinen Bewegungen kommen seine Befürchtungen, Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck („Nur in der Bewegung ist Wahrheit“, Adler 1912, 1972, S. 139), gewinnen ideelle Werte konkrete Form („Bewegung wird gestaltete Bewegung: Form. – So ist Menschenkenntnis aus Form möglich, wenn wir die gestaltete Bewegung in ihr erkennen“, Adler 1973, S. 67).Damit hat Adler die naturwissenschaftlich argumentierende Triebpsychologie zugunsten einer Werteorientierung verlassen: Nicht kausale Zwänge begründeten unser Tun, sondern die an Kant angelehnte Selbstbindung an ein eigenes Ziel. Mit jenem zielsetzenden Anfang aber entschieden wir uns für folgerichtiges Handeln (Kausalität durch Freiheit), eben dieses Ziel auch zu erreichen (vgl. Vetter 1991) und manifestieren jene intrapsychische Einheit, der gemäß Adler sämtlich individuelle Strukturen folgen. Dabei kommt dem Spüren, dem leiblichen Wahrnehmen und Unterscheiden eigener Befindlichkeiten, prägende Bedeutung zu: In der Differenzerfahrung (Seewald 2000, S. 100) zwischen ich bin und ich bin nicht, zwischen angenehm/unangenehm, zwischen wichtig/unwichtig, zwischen Bedürfnis und Befürchtung entwickelt der Mensch gemäss Adler (1973, S. 95) „die seiner Haltung zugrunde liegende Meinung vom Leben, weder in Worte gefasst noch gedanklich ausgedrückt (…).“ In diesem Verständnis dient der Leib als Quelle der Selbstinterpretation und
Selbstgestaltung, sind Leib und Lebenserfahrungen identisch: „Ich bin reflexiv uneinholbar dieser Leib“ (Kühn/Titze 1991, S. 207, kursiv im Original), in dem „alles Tun von diesem fundamentalen ‚Leibwissen’ begleitet ist“ (Heisterkamp/Kühn 1995, S. 292 f.): „In Zorn, Angst, Trauer oder jeder anderen Emotion, immer spricht der Körper; und der Körper jedes Individuums spricht in seiner eigenen Sprache (Adler 1979, S. 42).
Adlers Organdialekt und individuelles Bewegungsgesetz
Innerhalb der skizzierten Leiborientierung verdienen aus motologischpsychomotorischer Sicht mit Organdialekt und Bewegungsgesetz zwei Teilaspekte besondere Beachtung, da sie uns Einblick in das Verständnis sowohl der individuellen Ganzheit als auch der theoretischen Entwicklung Adlers gewähren.
„Dabei stossen wir auf den Sinn, auf die Meinung der Ausdrucksbewegungen, die Worte, Gedanken, Gefühle und Handlungen sein können. Wie sehr aber auch der Körper unter diesem Bewegungsgesetz steht, verrät der Sinn seiner Funktionen, eine Sprache, meist ausdruckvoller, die Meinung deutlicher aufzeigend als Worte es vermögen, aber immerhin eine Sprache des Körpers, die ich Organ dialekt genannt habe“ (Adler 1973, S. 57).
Adler (1870–1937) war Mediziner und hat sich dem menschlichen Körper zunächst unter funktionalen Gesichtspunkten genähert. Im Kreise Freuds, dessen Mittwochsgesellschaft er von 1902 bis 1911 angehörte, beschäftigte er sich dann aber verstärkt mit psychiatrischpsychologischen Fragestellungen. Dabei führte er Krankheitsursachen neben exogenen Faktoren, wie Infektion oder Vergiftung, auch auf endogene zurück. Bestimmte Organe, die er als minderwertig bezeichnete, zeigten sich anfälliger als andere. Auf besondere Beanspruchung reagierten diese entsprechend ihrer abweichenden Lage, Form oder Funktion mit einer im Vergleich zu vollwertigen Organen
erhöhten Reaktionsbereitschaft, dienten somit entweder als Orte vornehmlicher Krankheitslokalisation oder aber auch möglicher Kompensation und Überkompensation.Gemäß Adler wirken sich andauernde psychische Spannungen und Erschütterungen am Ort des geringsten Widerstands auch funktional aus. Das minderwertige Organ reagiert mit einer Auffälligkeit auf die psychische Irritation, die sich ihrerseits in dieser körperlichen Auffälligkeit ausdrückt. Während Rattner (1974, S. 24) bereits dieses Phänomen als Organdialekt im Sinne Adlers bezeichnet, präzisiert Schmidt (1995, S. 361 f.), dass erst eine psychische Barriere, die ein Gefühl als unzulässig und somit unerlebbar blockiert, die Voraussetzung für die gemeinte Körpersprache bildet. Der Organdialekt beschreibe also somatisch, was psychisch nicht zugänglich war. In diesem Prozess der Konversion (Freud 1905/1971, S. 127), der Transformation psychischer Konflikte in körperliche Symptome, prägen sich die individuellen „Blockierungen originärer Lebens oder Selbstbewegungen“ (Heisterkamp 1990, S. 86) aus, die tiefenpsychologisch den „körperlichen Phänomenen und Bewegungsmustern Ausdrucks und Mitteilungscharakter“ (Reinelt 2004, S. 82) verleihen. Der Organdialekt verweist demnach nicht lediglich auf eine körperliche Schwachstelle, sondern kommuniziert einen individuellen Bedeutungsgehalt und appelliert damit an die Unterstützung seiner sozialen Gemeinschaft.Mit der Organminderwertigkeit geht Adler zunächst von einer objektiven Prädisposition für individuelles Reaktionsverhalten aus, die im Organdialekt eine rein subjektive Ausdruckskomponente gewinnt („Je mehr man von dem Aufbau seelischer Struktur versteht, umso mehr wird man begreifen, dass es Symptome, die das Gleiche bedeuten, nicht gibt“, Adler 1936, S. 174), sich im späteren Minderwertigkeitsgefühl aber auf einen möglichen, jedoch unnötigen Kompensationsimpuls reduziert. Nun reicht die persönliche Interpretation der Lebenswelt aus, eine die eigene Einheit destabilisierende Problemkonstellation zu entwerfen, die es entweder bereits antizipatorisch abzuwehren oder aber reaktiv zu überwinden gilt. Dieser Prozess steht unter dem Einfluss des
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individuellen Bewegungsgesetzes. Darunter fassen Adler und seine IP das persönliche Problemlösungsschema zusammen, wobei daran zu erinnern wäre, dass auch schon die Herausbildung jener zu begegnenden Probleme als Teil der darin verorteten Gesetz mäßigkeiten zu verstehen sind. Im Bewegungsgesetz „sind alle früheren Erfahrungen und Entscheidungen des Individuums aufgehoben“, es „legt die gegenwärtigen und zukünftigen Wahrnehmungen, Erinnerungen und Gefühlserlebnisse nahe“ und stellt „eine Abstraktion von der Vielfalt der konkreten Erlebnisse, eine Selektion von aktiven und perzeptiven Reaktionsmöglichkeiten und eine Generalisierung über Personen und Situationen hinweg dar“ (BruderBezzel 1991, S. 178).
Die Prioritäten
Das Bewegungsgesetz rückt die Motiva tionsbedingungen in den Vordergrund, warum wir uns bewegen, bewegen lassen oder auch bewegt werden. Dahinter stehen zwei einfache Grundprinzipien, die die angesprochene Bewegungsausrichtung bestimmen: Annäherung (an eine erhoffte Bedürfniserfüllung) und Rückzug (von einer vermeintlichen Gefährdung). Darauf aufbauend haben Kefir/Corsini (1974) ihre Persönlichkeitstheorie der Prioritäten vorgestellt. Ihre Metastudie zu den Grundzügen menschlichen Verhaltens arbeitet eine Typologie heraus, die vier polar angeordnete Verhaltenspräferenzen oder Problemlösungsstrategien unter dem Fokus eines Bewegungsimpulses („hin zu“ – „weg von“) kategorisiert (siehe Tab. 1).Diese Prioritäten spiegeln die persönlichen Erfahrungen (v. a. der frühen Kindheit) wider, welches Verhalten die günstigste Prognose bezüglich Bedürfniserfüllung oder Befürchtungsabwehr erwarten lässt. Dabei beschreiben sie zunächst prinzipiell lediglich
eine Tendenz, eine Vorliebe für einen bestimmten Lösungsweg, der abweichende Alternativen und Varianten so lange nicht ausschließt, wie das eigene Selbstwertgefühl untypische Aspekte tolerieren und integrieren kann. In diesen tendenziellen Ausprägungen dient die Priorität der konstruktiven Problemlösung, ist Mittel zum Zweck und eröffnet ein breites Handlungsspektrum. Ihr gegenüber steht die fixierte Form, in der ein instabiles Selbstwertgefühl die prioritäre Problemlösungsstrategie als Schutzreaktion verabsolutiert. Hier konzentriert sich die Aufmerksamkeit nur noch um die Abwehr der Befürchtung, was den Handlungsspielraum stark begrenzt. In dieser Ausprägung dient sie lediglich dem Selbstzweck der aktuellen Sicherung und verengt die individuelle Entwicklungsperspektive (vgl. Blos 2012a).Adler (1934, 1935) selbst hat innerhalb seines Bewegungsgesetzes ebenfalls charakterisierende Unterscheidungen vorgenommen, denn „unsere Beurteilungen gewinnen an Schärfe, wenn wir eine rationale Klassifizierung wie die von Typen einführen und anschliessend ihre besonderen Ausprägungen untersuchen“ (1978, S. 55), in denen „der Einzelfall in seiner Einmaligkeit gefunden werden muss“ (1973, S. 30). So skizziert er anhand der Komponenten (1.) Ausprägungsgrad der sozialen Integration bzw. Nützlichkeit (konstruktiv – destruktiv) und (2.) der Bewegungsform bzw. Geschwindigkeit (aktiv – passiv) vier Kombinationen als nützlich, herrschend, nehmend oder vermeidend, worauf wir zurückkommen werden (vgl. Tab. 2). Um möglichen Verwechslungen vorzubeugen sei hier festgehalten, dass diese Einteilung nicht mit den Prioritäten gleichzusetzen ist, sondern dass „jeder von Adlers Typen in jeder der vier Prioritäten (…) gesehen werden kann“ (Pew 1978, S. 124, kursiv im Original). Das heißt, dass jede Priorität aktivkonstruktive
wie auch passivdestruktive Anteile beinhaltet und ermöglicht. Jede Priorität verspricht demnach Gewinne und Verluste, vereint Vor und Nachteile, deren Gesamtbilanz nur individuell bewertet werden kann.
Transfer in Theorie und Praxis der Motologie/Psychomotorik
Gemäß der IP entspannt sich die individuelle Sinndimension zwischen der die Einheit des Individuums erschütternden Problemkonstellation und der aus dem eigenen Bewegungsgesetz abgeleiteten prioritären Lösung: Welche Bedingungsgefüge werden dem Individuum zum Problem und unter welchen Handlungsentwürfen scheinen sie selbstverträglich zu bewältigen? Das Individuum spürt die Erschütterung seiner ursprünglichen Einheit und richtet seine Bestrebungen dahingehend aus, jene Einheit wieder herzustellen bzw. gegen perspektivische Ohnmachtsgefühle zu erweitern. Dafür umschließt es in einem intentionalen Akt bzw. Prozess den als wertvoll erachteten Kompensationsgegenstand. In dessen Einverleibung erweitert sich der Körper raum in den Leibraum, womit die Einheit mit der Lebenswelt vollzogen wird. Im Hinblick auf individuelle Entwicklungsverläufe scheint es hilfreich, das Verhalten unserer Klientel soweit zu verstehen, dass etwaige Förderfaktoren oder Barrieren absehbar und therapeutisch nutzbar sind. Dazu gilt es, unsere Beobachtungen in der Praxis immer wieder auf die (1.) intra wie die (2.) interpsychische Einheit des begleiteten Menschen abzustimmen, um die jeweiligen Teilaspekte in den Gesamtkontext einordnen zu können.Zu (1.): Teilelemente wären hier bspw. motorische Fähig und Fertigkeiten, intellektuelle Kompetenzen oder soziale Ressourcen. Beschreiben wir den Menschen anhand dieser Gesichtspunkte, so erhalten wir ein summatives Bild aus Einzelaspekten, das wir, je nach deren Anzahl, grob oder feinkörniger anlegen können. Dabei werden jene Einzelaspekte sowohl interindividuell an allgemeinen Erwartungen gemessen (schneller oder langsamer als andere, besseres oder schlechteres Verständnis logischer Zusammenhänge bzw. höhere oder niedrigere Integration im Klassen
Tab. 1: Polar angeordnete Prioritäten
Bedürfnis („hin zu“) Befürchtung („weg von“)Überlegenheit BedeutungslosigkeitKontrolle Ausgeliefertsein, (unerwartete) ErniedrigungGefallenwollen AblehnungBequemlichkeit Belastung, Überforderung, Verantwortung
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verbund) als auch intraindividuell aufeinander bezogen (der langsame Läufer verfügt über ein gutes logisches Verständnis, jedoch nur über wenige Freunde). Doch was verraten uns diese punktuellen Hinweise über das Individuum und seine Entwicklungsprognose? Tatsächlich so lange sehr wenig, wie wir sie isoliert betrachten und an allgemeinen Erwartungen und Wahrscheinlichkeiten abgleichen. Hat der langsame Läufer nur wenige Freunde, weil diese Schnellere bevorzugen? Schließt er nur mit wenigen Mitschülern Freundschaft, weil nur diese seinen logischen Über legungen folgen können? Oder bestehen gar keine Zusammenhänge zwischen diesen willkürlich herausgestellten Aspekten: Hat er gar nur wenige Freunde, weil er aufgrund nachlässiger Hygiene unangenehm riecht? Interessiert ihn die Anzahl der Kontakte überhaupt nicht, da er sich in der Intensität der vorhandenen Freundschaften umfänglich geborgen fühlt? Das geschilderte Beispiel mag ausreichen, den Spekulationsspielraum zu umreißen, den Erklärungsversuche bisheriger oder gar zukünftiger Entwicklungen anhand von Teilaspekten eröffnen. Größere diesbezügliche Sicherheit gewinnen wir nun aber nicht, indem wir mit schärferer Lupe weitere Teilaspekte fokussieren, da sich weder die Ungewissheit „in dem Maße
verringert, wie die Exaktheit wächst“ (Lyotard 2009, S. 135),1 noch ein Mehr „desselben die höchste Stufe der Sicherheit verspricht“ (Antoch 1995, S. 222). Ein alternatives Verstehen des Individuums verlangt vielmehr ein Öffnen der Beobachtungsperspektive, die das ganzheitliche Subjekt in seinem Lebenszusammenhang zu erfassen versucht, in dem es agiert, in dem es in Kontakt, in Beziehung tritt. Denn „wir machen unsere Bewegungen nicht in einem ‚leeren’, zu ihnen beziehungslosen Raum, sondern in einem, der zu ihnen in ganz bestimmter Beziehung steht; Bewegung und Hintergrund sind eigentlich nur künstlich voneinander trennbare Momente eines einheitlichen Ganzen“ (Goldstein 1923, S. 162, kursiv im Original). Das Ganze, so wird in diesem Zitat deutlich, umfasst die individuelle Bewegung in ihrer Wirkabsicht auf ihre Umwelt.Zu (2.): Diese Wirkabsicht wird in den Prioritäten deutlich, die die Beziehungsgestaltung des Akteurs zu seiner Lebenswelt kennzeichnet. Auf der Grundlage ihrer polaren Anordnung und dem Einbezug der Adler’schen Typen
1 Sie wächst in dem Maße mit, wie weitere Teilaspekte die Kombinationsmöglichkeiten etwaiger Abhängigkeiten erhöht, ohne aber über tatsächliche subjektiv bestehende Zusammenhänge Auskunft geben zu können.
differenzierung seines Bewegungsgesetzes lassen sich die in Tabelle 2 aufgeführten Ausprägungen ableiten. Dabei sind den beschriebenen Verhaltensweisen jeweils beispielhafte Benennungen zugeordnet, um das entsprechende Erscheinungsbild greifbarer darzustellen. Diese Vereinfachungen erlauben zweifelsohne Diskussionsspielräume. Ihre Funktion liegt jedoch nicht in einer umfänglichen Erfassung des Gemeinten, sondern lediglich in einer anschaulichen Annäherung, die ich für ausreichend gegeben halte.Das beschriebene Verhalten lässt sich in unserer Praxis beobachten (vgl. Tab. 3, wobei hier lediglich die Priorität, nicht ihre Binnendifferenzierung erfasst wird). Die so skizzierte Prioritätenanalyse bietet Anhaltspunkte, typische Verhaltensweisen in verschiedenen Beobachtungsbereichen aufzuspüren und einzuordnen, um auf der Grundlage der in ihr vermittelten Bedürfnisse und Befürchtungen passende Interventionsangebote unterbreiten zu können. Doch auch dabei müssen die Einzelbeobachtungen aus einem Betrachtungsfeld immer wieder mit den Hypothesen aus anderen Sequenzen verglichen werden, da sich individuelle Komplexität transparenter Eindeutigkeit entzieht und somit gleiches Verhalten durchaus unterschiedlichen Absichten
Tab. 2: Differenzierung prioritätstypischer Verhaltensweisen anhand der ADLER’schen Bewegungstypen
Prioritäten
Bewegungstypen nach Adler
Überlegenheit versus Bedeutungslosigkeit
Kontrolle versus Ausgeliefertsein
Gefallenwollen versus Ablehnung
Bequemlichkeit versus Überforderung
Aktivkonstruktiv/Sozial nützlich
Setzt engagiert die eigenen Fähigkeiten zum Wohle aller ein (Idealist)
Gruppe kontrollieren und sichern (Regisseur)
Aufmerksam die Gruppenatmosphäre harmonisieren (Diplomat)
Vermittelt Genügsamkeit im sozialen Anspruchsverhalten (Fürsprecher/ Begutachter)
Aktivdestruktiv/Herrschend
Setzt eigenes Machtpotenzial konsequent durch (Tyrann)
Leistungen kontrol lieren und reglementieren (Schiedsrichter)
Opportunistisches Standpunktwechseln (Populist)
Delegiert Verant wortung an andere (Verpächter)
Passivkonstruktiv/Nehmend
Erwartet bedingungslose Mittelpunktrolle und Bewunderung (Prinz)
Ansprüche kontrol lieren und einfordern (Erbsenzähler)
Erwartungen der anderen bedienen, Akzeptanz erhalten (Schauspieler)
Genießt nach seinen Optionen (Hedonist)
Passivdestruktiv/Vermeidend
Stellt Behauptungen bezüglich vermeintlicher Handlungs optionen auf, die meist nicht in die Praxis übertragen werden können (Angeber)
Anforderungen kontrollieren und minimieren (Minimalist)
Selbstverleugnende Unterwerfung (Mitläufer)
Zieht sich in sein Phlegma zurück (Ignorant)
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dienen kann. Erst in der Gesamtschau, in der die Teilaspekte sich zur Priorität zusammenfinden, eröffnet sich die individuelle Sinndimension.Dieser nähern wir uns einerseits über die bereits vorgestellte Prioritätenanalyse (vgl. Blos 2009), die das individuelle Bewegungsgesetz anhand definierter Kategorien abstrahiert und typisiert sowie andererseits über die Teleoanalyse, die sich in jenen allgemeinen Kategorien wieder dem konkret
Individuellen, dem spezifisch Wesentlichen widmet, um die individuell abweichende Begründung für ähnliches prioritäres Verhalten zu finden (siehe Tab. 4). Die Prioritätenanalyse sucht demnach die interindividuelle Einheit verschiedener Menschen gleichen Verhaltens, die Teleoanalyse hingegen die intraindividuelle Einheit des einen Menschen, in der seine Ressourcen, Biografie und Lebensumstände als ursächliche oder verstärkende Elemente
jenes Verhaltens zum Vorschein kommen, in der die Teilaspekte einen Einblick in seine Ganzheit eröffnen.Die darauf abgestimmten Interventionsangebote (vgl. Blos 2012b) zielen v. a. darauf, entwicklungshemmende fixierte Prioritätsausprägungen zugunsten einer größeren Handlungsvariabilität zu überwinden, um die eigenen Möglichkeiten zu erhöhen, sich gegen perspektivisch wiederkehrende Erschütterungen zu wappnen.
Tab. 3: Kurzüberblick: Prioritätenanalyse gemäß praktischer Betrachtungsfelder
Priorität
Betrachtungsfelder
Überlegenheit – Bedeutungslosigkeit
Kontrolle – Ausgeliefertsein/Erniedrigung
Gefallenwollen – Ablehnung
Bequemlichkeit – Überforderung/Verantwortung
Rollenspiel Dominieren, herrschen: Chef, Löwe
Kontrollieren, regeln, einteilen: Polizist, Verkäufer, Bauer (Einzäunen)
Umsorgen, sozial angesehene Rolle übernehmen: „Mutter“ (einkaufen, Essen bereiten, trösten)
Klein sein, schlafen; verantwortungs und fähigkeitsfrei genießen, Beachtung und Fürsorge erfahren (Baby, junge Tiere)
Wettkampf/Regelspiel
Ziel: gewinnen! Verlangt Revanche bei Niederlage
Ziel: nicht verlieren Gemäßigte Reaktion auf Sieg oder Niederlage
Eher unmotiviert
Bewegungsaufgabe Fragt nach anderen (Vergleichsobjekte)
Flucht in (unproduktive) Scheinaktivität
Bemüht sich Fordert rasch Hilfe oder Erleichterung
Frei/Kreativspiel Wählt eher über eigenem Leistungsniveau, explorierend, in Besitz nehmend, dehnt Handlungsrahmen
Sucht eher unter eige nem Leistungsniveau; stereotyp, schafft sich Handlungsrahmen, häufig „Arbeiten“ („Das macht man so!“)
Wählt v. a. Bekanntes; unsicher, vorsichtiges entwickeln: was ist erlaubt? Sucht Handlungsrahmen, möglichst Imitation
Abwartend, träge, füllt Handlungsrahmen nicht aus
Gestalterischer Ausdruck(Malen, Tonen, Tanzen, Musizieren, …)
Dirigiert, gibt „den Takt“ an, baut/malt „das Schönste“ bzw. relativiert Erzeugnisse des/der anderen
Abhängig vom Leistungsniveau:Hoch: sehr korrekt, genau, exaktNiedrig: vorschnell, ausweichend, stereotyp
Bemüht: Sucht nach „objektiver“ (allgemeingültiger) Schönheit
Schnell zufrieden
Umgang mit Fremdimpuls
Abwertend Abwehrend Annehmend Differenzierend
Leibliche Resonanz Polare Emotionalität: zwischen Euphorie und Niedergeschlagenheit, (latent) aggressiv, lobt sich selbst, überschäumend, drängend, Körperspannung folgt emotionaler Befindlichkeit: Anspannung im „Kampf“, Entspannung bei Erfolg und z. T. auch Misserfolg
Wachsam, formal, rigide, unflexibel, (latent) aggressiv, hohe Körperspannung
Wenig profiliert, schwer fassbar, clownesk, angepasst, gehemmt, maskenhaft, hohe Körperspannung bei freiem Handlungsfeld, Entspannung bei anerkanntem Handlungsmuster
Wenig anstrengungsbereit, ausweichend, verbal kompensierend, geringe Körper spannung
Sprachliche Begleitung
Ausschweifend, kommunikativ
Initiativ: anweisend Reaktiv: meist spärlich und knapp erläuternd
Floskelhaft, schematisch, spiegelt oft leibliches Empfinden nicht wider
Als kompensierende Ersatzhandlung und notwendige Motivationserläuterung oft differenziert entwickelt
I
Fachqualifikation Psychomotorik mit älteren Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungendakp
Diese neue Fachqualifikation der Deutschen Akademie für Psychomotorik richtet sich an alle, die in Einrichtungen der stationären Altenpflege arbeiten und sich um die psychosoziale Begleitung der Bewohnerinnen und Bewohner kümmern.Jeder kennt das lähmende Schweigen und die Bewegungslosigkeit, die oft vorherrschen. Wie können wir dem entgegenwirken? Wie können wir anregen, motivieren, Freude bereiten? Angesichts der persönlichen subjektiven Lebensbedingungen der Menschen dort keine einfache Aufgabe. Wertvolle Hilfestellung kommt aus der Psychomotorik.Im ersten Modul wird das „Handwerkszeug“ vermittelt, mit dem wir diesen Anspruch verwirklichen können. Wir zeigen auf, dass durch psychomotorische Angebote Körper, Geist und Seele gleichermaßen berührt – und damit bewegt werden.Auch wenn der Geist schwindet, bleibt doch: „der Mensch“. Menschen mit Demenz machen uns oft hilflos, wir kön
nen sie nicht verstehen und nicht erreichen. Hier werden Wege gezeigt, wie wir – über Bewegung – Zugang zu ihnen finden und sie durch unsere Angebote stützen und stärken, trotz ihrer Demenz. Und so beschäftigt sich das zweite Modul mit Menschen mit Demenz und Psychomotorik.Im dritten Teil werden theoretische Kenntnisse vertieft und erweitert, der Schwerpunkt liegt darin, das „Handwerkszeug“ und die „Haltung“ in eigenes Handeln umzusetzen und zu üben. Wir arbeiten daran, wie es gelingen kann, über Bewegung Beziehung aufzubauen.Die 60 Stunden umfassende Fachqualifikation setzt sich aus drei ausgewiesenen Modulen mit je 20 Unterrichtsstunden zusammen. Alle 3 Module müssen komplett gebucht werden! Nach der erfolgreichen Teilnahme an den ausgewiesenen Pflichtkursen erhalten Sie das dakpZertifikat: Fachqualifikation Psy-chomotorik mit älteren Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungendakp.
Kursgebühr der gesamten Fachqualifikation:
Mitglieder AKP € 525,Nichtmitglieder € 615,
Modul A1: „Zuerst muss die Seele bewegt werden“ – Basiswissen MotogeragogikKurs: 13A11Kurstermin: Fr 30.08. – So 01.09.2013Kursort: Evangelische Bildungsstätte für die zweite Lebenshälfte, Bad OrbPreis: Kursgebühr + + 95,– Unterkunft und VerpflegungLeitung: Dr. Marianne Eisenburger
Modul A2: „Ich versteh die Welt nicht mehr …“ – Psychomotorische Arbeit mit demenzkranken MenschenKurs: 13A21Kurstermin: Do 03.10. – Sa 05.10.2013Kursort: Institut für Sportwissenschaften und Motologie, Marburg Unterkunft: Hotels, Pensionen, JugendherbergePreis: KursgebührLeitung: Dr. Marianne Eisenburger
Modul A3: „Vom Sandsäckchen zur Begegnung“ - Umsetzungsmöglich-keiten im eigenen HandlungsfeldKurs: 14A31Kurstermin: Fr 14.02. – So 16.02.2014Kursort: Evangelische Bildungsstätte für die zweite Lebenshälfte, Bad OrbPreis: Kursgebühr + € 95, Unterkunft und VerpflegungLeitung: Dr. Marianne Eisenburger
Die kompletten Ausschreibungen und Anmeldemöglichkeiten finden Sie auf der dakp-Homepage bei den Fachqua-lifikationen unter: www.dakp.de
Aktuelles aus der Akademie
II
Oktober 2012
Themenkurs: Begriffsentwickler und Wortkonstrukteure – psychomotorische Begleitung des Projekts Sprach-entwicklungKurs: 12507Kurstermin: Fr 19.10. – So 21.10.2012Kursort: Caritas Förderzentrum St. Laurentius und
Paulus, LandauLeitung: Silvia Bender, Silke Hendriks
Themenkurs: G-Fipps: Grafomotorische Förderung für Gruppen. Ein praxisnahes Konzept für Kinder im Alter von 4 bis 6 JahrenKurs: 12508Kurstermin: Fr 26.10. – So 28.10.2012Kursort: Institut für Sportwissenschaft und Motologie,
MarburgLeitung: Prof. Dr. Martin Vetter, Karoline Sammann
November 2012
Berufsqualifikation Psychomotorikdakp – Kurs 1 Entwicklung wahrnehmen – Entwicklung bewegenKurs: 12108Kurstermin: Mo 26.11. – Fr. 30.11.2012Kursort: DJK Sportschule, MünsterLeitung: Hubert Bisping, Silvia Bender
Themenkurs: „Ob der Philipp heute still, wohl bei Tische sitzen will?“ Psychomotorik bei Kindern mit Aufmerksam-keitsproblemenKurs: 12509Kurstermin: Fr 02.11. – So 04.11.2012Kursort: Jugendherberge Bad HomburgLeitung: Gabi SeidlJerschabek, PGLTeam
Januar 2013
Berufsqualifikation Psychomotorikdakp – Kurs 1 Entwicklung wahrnehmen – Entwicklung bewegenKurs: 13101Kurstermin: Mi. 30.01. – So 03.02.2013Kursort: PallottiHaus, NeunkirchenLeitung: Silvia Bender, Kerstin Twellmeyer
Fortbildungsübersicht dakp Oktober 2012 – Januar 2013
Themenkurs: Kleine Weltentdecker – Bewegung als Motor für Entdeckung von Wirksamkeit und InteraktionKurs: 13501Kurstermin: Fr 18.01. – So 20.01.2013Kursort: Institut für soziale Berufe, RavensburgLeitung: Silke StorchSchöbinger
Detaillierte Informationen zu den Kursen finden Sie unter www.dakp.de
Das neue Fortbildungsprogramm für 2013/2014 ist erschienen. Sie können es kostenlos bei der Geschäftsstelle bestellen: Deutsche Akademie für PsychomotorikKleiner Schratweg 32, 32657 LemgoTel. 05261 970971, Fax. 05261 [email protected]
Impressionen und Eindrücke aus den Kursen der dakpIch habe viele Impulse bekommen über die eigene Arbeit und meine Motivation nachzudenken. Meine Blickwinkel wurden durch die Fortbildung immer mehr auf ressourcenorientiertes Arbeiten gerichtet.Durch die ständige Verknüpfung von Theorie und Praxis kann ich ganz viel im Kindergarten umsetzen.
Fachveranstaltungen des AKP Oktober 2012 – Januar 2013
Oktober 2012
„Gewalt bewegt – Wege aus der Gewalt: Wie wir in der Psychomotorik mit Gewalt umgehen können“Veranstaltung: HEHS1012Termin: 06.10.2012Ort: EschbornReferent: Prof. Dr. Holger Jessel
„Rund um den Mund! – Beobachtung und Unterstützung von Kindern mit Problemen der Mundmotorik und Sprache“Veranstaltung: SA1012Termin: 06.10.2012Ort: DresdenReferent: Marius Rosenow
„Bewegung von Anfang an“Veranstaltung: BY1012Termin: 13.10.2012Ort: NürnbergReferentin: Annette Röttger
„Achtsamkeit, Resilienz und safe place in der Psychomotorik“Veranstaltung: BWNW1012Termin: 27.10.2012Ort: BacknangReferent: Stephan Kuntz
November 2012
„Stockkampf - Stocktanz für Kinder und Jugendliche – Die eigene Kraft finden“Veranstaltung: HEHN1112Termin: 03.11.2012Ort: MarburgReferentin: Gaby Löschner
„Bewegte Begegnung“ Motogeragogik – Psychomotorik im AlterVeranstaltung: NSNO1112Termin: 10.11.2012Ort: SalzgitterBadReferentin: Claudia DrastikSchäfer
„Bewegung von Anfang an“ – motorische Kompetenzen im KleinkindalterVeranstaltung: HEHS1112Termin: 10.11.2012Ort: DarmstadtKranichsteinReferentin: Annette Röttger
„Schwarzlicht“Veranstaltung: KB1112Termin: 17.11.2012Ort: NiederzierReferenten: Franz Ridderbecks/Gotthard Vaaßen
„Das Autismus-Spektrum“ – Psychomotorik als Form der Förderung (belegt)Veranstaltung: WL1112Termin: 17.11.2012Ort: DortmundReferentin: Yvonne Borggräfe
„Wir raufen uns zusammen“ – Raufen und Kämpfen in der PsychomotorikVeranstaltung: NR1112Termin: 24.11.2012Ort: DüsseldorfReferent: Wolfgang Müller
Januar 2013
„Das Autismus-Spektrum“ – Psychomotorik als Form der Förderung (Wiederholung)Veranstaltung: WL0113Termin: 19.01.2013Ort: DortmundReferentin: Yvonne Borggräfe
Detaillierte Informationen zu allen Veranstaltungen finden Sie unter www.psychomotorik.comAktionskreis Psychomotorik Kleiner Schratweg 32, 32657 LemgoTel. 05261 970970, Fax. 05261 970972 [email protected]
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Das neue Buch aus dem Verlag Aktionskreis Psychomotorik
Ein bewegtes Leben – Psychomotorisches Arbeiten mit älteren Menschen und Menschen mit DemenzAstrid Krus (Hrsg.)
Der vorliegende Tagungsband bietet eine reichhaltige Fülle an theoriefundierten Beiträgen und Erfahrungsberichten für Fachleute in der Theoriediskussion und – psychomotorischen – Praxis mit älteren Menschen und Menschen mit Demenz. Die Artikel von Claudia DrastikSchäfer, Amara Renate Eckert, Marianne Eisenburger, Klaus Fischer, Ruth Haas, Joachim Klein, Eckhart Knab, Olesja Müller, Frank Nickel, Helen Schneider, Thorsten Späker und Thesi Zak spiegeln die Herausforderungen und vielfältigen Ansätze und Arbeitsweisen in diesem Handlungsfeld wider. Ruth Haas verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung mit dem Alter, seinen Veränderungsprozessen, Möglichkeiten und neuen Lebensformen bereits im mittleren Erwachsenenalter beginnt und zeigt auf welchen Beitrag die Psychomotorik zur Neuorientierung leisten kann. Neue Perspektiven aber auch sensorische wie motorische Veränderungen im Alter und die daraus resultierenden Konsequenzen
für die Gestaltung psychomotorischer Angebote beschreibt Helen Schneider in ihrem Bericht. Marianne Eisenburger, deren grundlegendes Konzept der Motogeragogik sich als roter Faden durch alle Beiträge zieht, fokussiert auf die gesellschaftliche Notwendigkeit sich mit dem Alter aus einanderzusetzen und insbesondere die vernachlässigten leiblichen Aspekte in der Betreuung älterer und an Demenz erkrankter Menschen zu beachten. Eine nicht nur an zeitlichökonomischen Pflegemaßstäben ausgerichtete Versorgung und Betreuung in Alten und Pflegeheimen muss auf gesellschaftspolitischer Ebene um die Frage nach der Effektivität und KostenNutzenRela tion derartiger Maßnahmen erweitert werden. Eckhart Knab, Joachim Klein, Marianne Eisenburger und Klaus Fischer stellen mit SPES Motogeragogik ein Instrument zur systematischen psychomotorischen Effektesicherung und dessen Einsatzmöglichkeiten vor.Psychomotorisches Arbeiten mit älteren Menschen erfordert und eröffnet vielfältige Zugangsweisen, wie sie Thesi Zak und Olesja Müller aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben. Beide Autorinnen reflektieren durch ihre authentischen Berichte aus der alltäglichen Praxis insbesondere die Rolle der Psychomotoriker/in in all ihren irritierenden, belastenden und bereichernden Facetten. Amara Renate Eckert betrachtet diesen dialogischen Prozess zwischen den Handelnden aus der verstehenden Perspektive und veranschaulicht die theoretischen Grundlagen des „Verstehens“ anhand der psychomotorischen Praxis. Thorsten Späker erweitert das psychomotorische Handlungsspektrum um die Perspektive der Natur als Erfahrungsfeld. Dabei stehen neben theoretischen Grundlagen und konkreten Anregungen für die Praxis auch die Berück
sichtigung raumplanerischer Gestaltungselemente im Vordergrund. Der Depression im Alter widmet sich der Beitrag von Frank Nickel, der zunächst durch eine veränderte Sichtweise auf die „Krankheit“ Depression im Alter neue Perspektiven eröffnet und zugleich Ansätze psychomotorischen Arbeitens aufzeigt. Claudia DrastikSchäfer beschreibt die Auswirkungen dementieller Erkrankungen für die Betroffenen und ihre Handlungsweisen. Anhand eines konkreten Fallbeispiels aus der psychomotorischen Praxis veranschaulicht sie den bewegten Zugang zu den Kompetenzen und Erinnerungen der Menschen. Die Beiträge aller Autoren verdeutlichen sehr markant und anschaulich, dass der leibliche Kontakt und die leibliche Kommunikation bewegte Bilder entstehen lassen und damit den älteren und an demenzerkrankten Menschen einen Zugang zu inneren Bildern und zu Erinnerungen eröffnen, die zugleich die Basis einer gemeinsamen Kommunikation sind. Der Tagungsband ist eine Schatztruhe an anschaulich präsentierter Theorie, die das eigene Handeln fundieren kann und vielfältigen Anregungen für die eigene praktische psychomotorische Arbeit. Darüber hinaus ist dieses Buch eine Würdigung der langjährigen, konzeptionellen Grundlagenarbeit von Marianne Eisenburger und ein Werk voller Lebensfreude, Perspektiven und interessanter, bewegter und bewegender Begegnungen.
Verlag Aktionskreis Psychomotorik (2012), Preis: 9,90 € (plus Porto und Verpackung)
Zu beziehen über: Verlag Aktionskreis PsychomotorikKleiner Schratweg 32 | 32657 [email protected]
123motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
Tab. 4: Prioritäten und Teleoanalyse
Prioritätenanalyse Teleoanalyse1. Ebene: vielfältige Bewegungsbeobachtungen gemäß definierter Kategorien (Bewegungsfelder, Prioritäten)
2. Ebene: Interpretation der kategorisierten Beobachtung gemäß individueller Parameter (Ressourcen, Biografie)
Abstraktion des individuellen Bewegungsgesetzes Wesensdeutung gemäß dem individuellen BewegungsgesetzAllgemeines im Konkreten (Kategorisierung von Details) Konkretes im Allgemeinen (Spezifizierung von Details)Typisierung (Kind spielt Polizist, Kind will kontrollieren) Einzelfall (Kontrollierender Polizist wird nicht ausgelacht)Verhaltens, Lösungs, Kompensationsstrategie (Wie?) Zielfiktion (Was bzw. warum?)Ähnliches (prioritäres) Verhalten als Symptom Abweichende (individuelle) Begründung bzw. Bedeutung als Ursache
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Digitales Spielen – Exergames im Vergleich mit traditionellen Trainingsformen bei Älteren
124 motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
nachgewiesen werden, dass sich beim Spielen auch der Energieumsatz des Spielers/der Spielerin erhöht (Biddiss/Irwin 2010; Graves u. a. 2008; LanninghamFoster u. a., 2006; Unnithan u. a. 2006) und demnach von einer gewissen sportlichen Aktivität ausgegangen werden kann. Zusätzlich dazu ist der Spaßcharakter von digitalen Spielen mit Ganzkörperbewegungen zu berücksichtigen, so dass das Ziel von Exergames klar wird: Attraktive und leicht zugängliche Angebote schaffen, die einen Zugang zu sportlicher Aktivität ermöglichen und somit helfen, einen Beitrag zur Gesundheit zu leisten. In Beziehung auf Kinder und Jugendliche soll somit vor allem dem zunehmenden Anteil von Adipositas und Bewegungsarmut auf moderne und für Jüngere oft sehr
In diesem Beitrag wird eine wissenschaftliche Studie zum Thema digitales Spielen (Exergames) und Ältere und die physiologischen Auswirkungen dieses interaktiv gesteuerten Trainings auf Kraft und Koordination vorgestellt und mit einer her-kömmlich angeleiteten Trainingsform verglichen. Kraft und Koordination sind im Alter, vor allem in Bezug auf eine Sturzprophylaxe, essentiell und lassen sich auch im Alter noch gut trainieren. Allerdings sind herkömmliche Trainingsprogramme oftmals aus den verschiedensten Gründen für Teilnehmer nicht attraktiv genug (u. a. Angebot, Motivation, Barrieren), um mit diesen zu beginnen oder sie regel-mäßig auszuüben. Es wurde daher nun in dieser Studie untersucht, ob sich Kraft und Koordination bei gesunden älteren Personen durch ein achtwöchiges Training mithilfe der Ganzkörper-Eingabesteuerung Microsoft Kinect verbessern lassen.
Michael Kroll, Andreas Neubrand
Digitales Spielen – Exergames im Vergleich mit traditionellen Trainingsformen bei Älteren
Michael KrollJg. 1986, B.Sc. Sportwissenschaft 2009 an der RuhrUniversität Bochum.M.A. Sport und Bewegungsgerontologie 2011 an der Deutschen Sporthochschule Köln.Lebt in Köln und arbeitet dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Sporthochschule Köln im EUForschungsprojekt „iStoppFalls“ (www.istoppfalls.eu)
Anschrift des Verfassers:Leinsamenweg 81, 50933 KölnEMail: m.kroll@dshskoeln.de
Einleitung
Die positiven Auswirkungen körperlicher Aktivität auf den alternden Menschen sind mittlerweile durch zahlreiche Untersuchungen nachhaltig belegt. Neben physiologischen Anpassungen der Ausdauer, Kraft und Koordinationsfähigkeit (ChodzkoZajko u. a. 2009) können vor allem alltagsrelevante Parameter wie die Lebensqualität (Klavestrand/Vingard 2009), das Wohl befinden sowie die geistige Leistungsfähigkeit (Rosenbaum/Sherrington 2011) positiv beeinflusst werden. Auch in Bezug auf das Auftreten von vielfältigen Erkrankungen kann regelmäßiger sportlicher Aktivität mittlerweile eine stark präventive Rolle zugesprochen werden (Vogel et al. 2009) und ist demnach als eine zentrale nichtmedikamentöse Maßnahme für ein erfolgreiches Altern anzusehen. Leider lässt sich bei älteren Personen oft eine deutlich verringerte Teilnahme an dementsprechenden Sportangeboten feststellen, die mitunter auf fehlendes Interesse, Rücksicht auf bestehende Sportgruppen oder teilweise auch auf Vorbehalte gegenüber Fitnessstudios zurückzuführen sind (Costello u. a. 2011).Eine Alternative bietet seit einigen Jahren die Möglichkeit, körperliche Aktivität interessanter, individueller und leichter zugänglich zu gestalten: durch
sogenannte Exergames. Dieser Begriff entstand in den letzten Jahren durch weitreichende technische Neuentwicklungen innerhalb der computerbasierten Spielindustrie. Besonders die Einführung der Nintendo Wii (siehe Abb. 1) im Jahre 2006 hat der digitalen Spiel industrie einen enormen Schub versetzt. Statt des traditionell bekannten Gameboys oder der klassischen Spielkonsole mit Controller, welche beide primär im Sitzen gespielt wird, sieht man Kinder und Jugendliche heutzutage eher stehend und aktiv vor dem Fernseher, während sie z. B. versuchen mit einer BowlingBewegung möglichst viele Kegel auf dem Bildschirm zu treffen. Es ist zudem möglich, dass eine Skisprungbewegung im Wohnzimmer real ausgeführt wird und die virtuelle Spielfigur zeitgleich auf dem Fernsehschirm von einer originalgetreuen Schanze in den Alpen exakt so kraftvoll und dosiert abspringt wie der Spieler im Wohnzimmer es mit seiner Bewegung vorgibt. Auf diese Weise prägte sich der Begriff „Exergame“, der die Kombination aus sportlicher Betätigung (to exercise = trainieren) und spielen (game = Spiel) vereint.Da diese neue Generation von digitalen Spielen auf den klassischen Controller verzichtet und zur Eingabesteuerung große Muskelgruppen involviert sind, konnte in vielen Untersuchungen
125motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
ansprechende Art und Weise entgegengesteuert werden. Doch auch die ältere Bevölkerung kann von diesem innovativen Ansatz profi tieren. Von besonderer Relevanz ist in diesem Zusammenhang die Trainierbarkeit bezüglich Kraft und Koordination – zwei Parametern, die besonders stark mit Stürzen in Verbindung gebracht werden (Moreland u. a. 2004). Diese Fähigkeiten gilt es gerade im Alter unbedingt zu trainieren, um das Auftreten von Stürzen und die häufig damit verbundenen weitreichenden Folgen für das Leben von Älteren vermeiden zu können. Neben der offensichtlichen Verletzungsgefahr eines solchen Vorfalls führen Stürze in den meisten Fällen zu erhöhter Sturzangst, die Ältere oftmals unbewusst dazu veranlasst, ihre Wohnung immer seltener zu verlassen und insgesamt noch inaktiver werden lässt (Delbaere u. a. 2004). Diese erhöhte Inaktivität führt in der Folge natürlich zu einer weiteren Abnahme der Leistungsfähigkeit, womit sich das Risiko zu stürzen erneut erhöht – ein Teufelskreis, der einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität von Älteren haben kann. Da neben den individuellen Folgen verminderter Leistungsfähigkeit im Alter auch das gesamte Gesundheitssystem belastet wird, ist es daher auch von hohem öffentlichem Interesse, diesen Belastungen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels möglichst effektiv entgegenzuwirken. Hier könnten Exergames daher sehr gut direkt im häuslichen Umfeld der älteren Menschen als kostengünstiges
Trainings mittel für eine wirksame Sturz prophy laxe eingesetzt werden.Sportliche Aktivität bei Älteren unterliegt im Vergleich zu jüngeren Personen jedoch gewissen Risiken, die es bei der Übungsauswahl und –ausführung zu beachten gibt. Ungünstige Gelenkwinkelstellungen während einer Kniebeuge, zu hohe Geschwindigkeit beim Joggen oder lediglich die falsche Körperhaltung sind in diesem Zusammenhang nur einige Beispiele, auf die es während des Sports zu achten gilt. Digitale Spiele, die auf der bereits erwähnten Platt formen Nintendo Wii (oder ähnlichen wie der Playstation Move) gespielt werden, haben demzufolge einen großen Nachteil: Ihre Bewegungs steuerung basiert auf Sensoren, die in den Controllern
integriert sind und demzufolge auch nur auf die Bewegung des Controllers reagieren. Greift man das Beispiel des Bowlings auf, ist es demnach auch möglich, das Spiel weiterhin im Sitzen zu spielen oder eine falsche Bewegung auszuführen, solange der Controller an sich bewegt wird. Eine Kontrolle und Rückmeldung von Seiten des Gerätes erfolgt demzufolge nicht, weshalb gesundheitsschädigende Bewegungsausführungen auch gar nicht erst erkannt werden können. Für die Zielgruppe der jüngeren Anwender mag das auch noch ausreichen, da diese Personen in den wenigsten Fällen bereits an Gelenkschmerzen, Vorschädigungen oder anderen Erkran kungen leiden. Im Falle der älteren Benutzer stößt das Gerät dies bezüglich
jedoch an seine Grenzen und kann ein risikofreies
Trainieren nicht mehr gewährleisten. An dieser Stelle kommt daher eine Neuerung im
Bereich der digitalen Spiele zum
Zuge, die seit November 2010 als Zusatzgerät für die Xbox 360 erhältlich ist: die Microsoft Kinect (siehe Abb. 2). Mit der Zusatzsteuerung Kinect für die Xbox wird komplett auf den Einsatz eines Controllers verzichtet, so dass der Nutzer die Menuführung nur noch durch Gestik und Handbewegungen r Abb. 2: Die Zusatzleiste „Kinect“ für die Xbox 360
r Abb. 1: Senioren im Umgang mit der Nintendo Wii
Digitales Spielen – Exergames im Vergleich mit traditionellen Trainingsformen bei Älteren
126 motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
steuert. Die Zusatzleiste wird zu diesem Zweck auf den Bildschirm postiert und erfasst mithilfe verschiedener Sensoren den Spieler an über 20 Punkten des Körpers, wodurch die Bewegung auch in der Tiefe des Raumes (3D) beurteilt werden kann. Durch diese neue Form der Bewegungserfassung bei Exergames ist es möglich, eine Art „digitalen Trainer“ in das Spiel einzubinden, der die Bewegungen des Übenden fortwährend erfasst und Rückmeldung gibt, sobald etwas nicht den Vorgaben entspricht. Ob diese Möglichkeiten jedoch auch in der Praxis zutreffen, bedarf der weiteren Klärung, da der Einsatz der Kinect bisher nicht wissenschaftlich untersucht worden ist. Doch selbst die generelle Trainierbarkeit von Kraft und Koordination durch Exergames ist bisher nahezu unerforscht. Lediglich Kliem und Wiemeyer (2010) sowie eine Arbeitsgruppe um Sohnsmeyer (2010) konnten erste positive Effekte in diesen Bereichen zeigen. Diese Studien unterliegen jedoch methodischen Mängeln, so dass fortführende Arbeiten in diesem Bereich notwendig sind. Das Ziel der hier im Folgenden dargestellten Studie war es demnach, die physiologischen Auswirkungen eines Exergames unter Einsatz der Microsoft Kinect bei gesunden, älteren Personen zwischen 60 und 80 Jahren zu untersuchen. Um parallel den Vergleich zu traditionellen Trainingsformen ziehen zu können, wurden die Trainingsinhalte darüber hinaus noch in Form von Personal Training vermittelt, so dass eine direkte Gegenüberstellung der Ergebnisse erfolgen konnte.
Methodischer Zugang
Für das wissenschaftliche Experiment, das im Rahmen zweier Masterabschluss arbeiten durchgeführt wurde, wurden Probanden über das Institut für Bewegungs und Sportgerontologie der Deutschen Sporthochschule Köln1 rekrutiert. Die Untersuchung wurde als randomisierte Interventionsstudie mit
1 An dieser Stelle möchten wir Herrn Prof. Dr. Heinz Mechling für die hilfreichen Anmerkungen bei der Fertigstellung dieses Artikels sowie Dr. Sabine Eichberg für die Betreuung der Abschlussarbeiten danken.
Kontrollgruppe und Prä/Postmessung über acht Wochen durchgeführt. Die Gesamtstichprobe umfasste N = 18 Probanden, die per Zufall den folgenden vier Gruppen zugewiesen wurden:1. Die Trainingsgruppe „Kinect 1“
(n = 5, 4 w, 1 m, 67,02 ± 1,13 Jahre) absolvierte zweimal wöchentlich für 35–40 Minuten ein Einzeltraining an der Microsoft Kinect mit einem standardisierten Trainingsplan und dem Spiel „Your Shape – Fitness Evolved“ von Ubisoft. Der genaue Trainingsablauf wird weiter unten noch näher beschrieben.
2. Die Gruppe „Kinect 2“ (n = 5, 2 w, 3 m, Median = 62 Jahre) absolvierte dasselbe Trainingspensum, jedoch unter Hinzunahme von Zusatzgewichten in den Händen und an den Fußgelenken, welche individuell nach Ausgangsniveau und progressiv nach Trainingsentwicklung angepasst wurden. Dies geschah, um Exergames auch hinsichtlich der Intensität beurteilen zu können.
3. Die Trainingsgruppe „Personal“ (n = 4, 2 m, 2 w, 66,30 ± 3,05 Jahre) führte inhaltlich die gleichen Übungen und dasselbe Trainingspensum wie die beiden interaktiv trainierenden Gruppen durch, erhielt jedoch eine individuelle sport/train ingswissenschaftlich begründete Anleitung während der Trainingseinheiten in Form eines Personal Trainings.
4. Die letzte Gruppe „Kontroll“ (n = 4, 2 w, 2 m, 66,30 ± 3,05 Jahre) erhielt hingegen zwischen der Prä und Postmessung kein Trainingsprogramm und diente als Kontrollgruppe, um die Effekte der Studie im Nachhinein besser beurteilen zu können. Dabei wurden lediglich vorgegeben, dass, sofern vorhanden, die bisherigen (sportlichen) Aktivitäten im gewohnten Maß fortgeführt werden sollten.
Um die Auswirkungen des Trainings auf Kraft und Koordination messbar zu machen und den Vergleich zum klassisch angeleiteten Trainingsprogramm herstellen zu können, wurden bei allen vier Gruppen mithilfe von kontrollierten Tests Parameter für die Kraftfähigkeit, das Reaktionsvermögen und die Gleichgewichtsfähigkeit vor und nach der Studie erhoben.
Dabei wurde die Maximalkraft der Beinmuskulatur an der Bein und die Maximalkraft der Oberarme und des Brustmuskels an der Brustpresse jeweils isometrisch erfasst (beide Geräte von Mechatronic, Hamm, Deutschland). Die Gleichgewichtsfähigkeit wurde sowohl im beidbeiniggeschlossenen als auch im Tandemstand auf dem Posturomed (Haider Bioswing, Pullenreuth, Deutschland) gemessen. Die Erhebung der Reaktionsfähigkeit erfolgte mit einer Einfach und einer Wahlreaktion am Wiener Testsystem (Schuhfried, Mödling, Österreich).
Trainingsinhalte
Das Exergame „Your Shape – Fitness Evolved“ der Firma Ubisoft ist vom Grundprinzip ähnlich ausgerichtet wie das allseits bekannte Telegym. Ein auf dem Bildschirm abgebildeter Trainer demonstriert die verlangte Übung, leitet sie per Sprachansage an und der Spieler macht mit. Der große Vorteil des Exergames ist es allerdings, dass der Spieler sich ebenfalls auf dem Bild
Andreas NeubrandJg. 1984, B.A. Sportwissenschaft 2009 an der Eberhard Karls Universität Tübingen.M.A. Sport und Bewegungsgerontologie 2011 an der Deutschen Sporthochschule Köln.Lizenzierter Knie und Hüftschullehrer.Lebt in Freiburg im Breisgau und arbeitet in Wittnau als Sporttherapeut in einer Rehabilitationsklinik für orthopädische und neurologische Indikationen
Anschrift des Verfassers:Kaiserstuhlstr. 24a, 79106 FreiburgEMail: [email protected]
127motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
schirm neben dem Trainer abgebildet sieht (siehe Abb. 3), so dass es direkt möglich ist, die eigene Bewegung mit der des Vorbildes zu vergleichen. Die Kameraausrichtung der Kinect tut darüber hinaus ihr übriges und identifiziert falsche Bewegungen, die dann von der Trainerstimme korrigiert werden. Die durchgeführten Spielinhalte und Übungen wurden dabei unter Berücksichtigung des Alters der Probanden ausgewählt und nach trainingswissen
schaftlichem Hintergrund in den jeweiligen Trainingseinheiten platziert. Übungen, die viel Aufmerksamkeit und Konzentration verlangen (Gleichgewichts und Reaktionsfähigkeit), wurden am Anfang einer jeden Einheit absolviert, Kraft und Kraftausdauerübungen bildeten dementsprechend den zweiten Teil des Trainings. Die Übungen selbst, wie z. B. die klassische Kniebeuge (siehe Abb. 4), beinhalteten allerdings kaum Verletzungsrisiko, da die Studien
teilnehmer beim Spielen des Exergames auf sich allein gestellt waren und keine Anleitung seitens der Testleiter erhielten. Es war jedoch stets ein Trainer anwesend, der bei gesundheitsschädlichen Übungsausführungen korrigierend eingreifen konnte. Die Probanden wählten die Übungen mithilfe eines jeweils für die aktuelle Trainingseinheit vorbereiten Trainingsplans selbstständig im Menü des Spiels aus. Die Gruppe, die das Personal Training erhielt, absolvierte sowohl den zeitlich gleichen Umfang wie die beiden digital trainierenden Gruppen als auch inhaltlich die gleichen Übungen. Es wurde darauf geachtet, dass die einzelnen Übungen und Spiele des Spiels „Your Shape – Fitness Evolved“ nahezu „eins zu eins“ in eine reale Trainingssituation übertragen werden konnten. Anstatt des virtuellen Trainers war nun ein realer Übungsleiter als Personal Trainer anwesend, der die Übungen anleitete und korrigierend sowie motivierend und sportpädagogisch sinnvoll mit den Probanden arbeitete.
Ergebnisse der Studie
Die statistische Bedeutsamkeit der Ergebnisse wurde durch die Berechnung einer 4 x 2 Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung überprüft. Die Grup penzugehörigkeit (Kinect 1, Kinect 2, Personal, Kontroll) wurde als Zwischensubjekt und die Zeit (prä, post) als Innersubjektfaktor bestimmt. Zusätzlich wurde vorab eine multivariate Varianzanalyse aller allgemeinen Probandenmerkmale und Eingangsmesswerte zur Überprüfung der Randomisierung durchgeführt. Als Signifikanzniveau wurde stets α < .05 festgelegt, bei den Normalverteilungstests 10% Irrtumswahrscheinlichkeit angenommen.Hinsichtlich der Kraftfähigkeit der Beine und des Oberkörpers konnte im Zuge dieser Analyse festgestellt werden, dass besonders die Beinkraft von dem absolvierten Training profitieren konnte (siehe Abb. 5). Dabei konnte ein statistisch signifikanter Unterschied über die Zeit (p = .009, η2
par = .418) sowie ein Interaktionseffekt auf Trendniveau (p = .081) festgestellt werden. Für die weiteren Parameter konnten hingegen keine statistisch auffälligen Unterschiede festgestellt
r Abb. 3: Ansicht während des Training mit eigenem Abbild (rechts)
r Abb. 4: Umsetzung des Personal Training
Digitales Spielen – Exergames im Vergleich mit traditionellen Trainingsformen bei Älteren
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werden, was durch verschiedene Faktoren zu erklären ist (siehe Diskussion). Eine weitere Auffälligkeit sollte jedoch dennoch aufgezeigt werden, die sich auf die Entwicklung der Brustkraft bezieht. So ist in Abbildung 6 gut zu erkennen, dass die Gruppen Kinect 2 und Personal in diesem Bereich Verbes serungen in beobachtbarem Ausmaß erzielen konnten, was sich allerdings nicht in der statistischen Auswertung zeigte. Für die koordinativen Parameter konnten sich ebenfalls keine statistisch bedeutsamen Unterschiede ausmachen lassen.
Diskussion
Abschließend konnte durch den Einsatz eines Exergames bei älteren Anwendern noch nicht die erhoffte Wirksamkeit aufgezeigt werden, was jedoch vor dem Hintergrund verschiedener Randbedingungen der Studie relativiert werden muss. Zum einen kann geschlossen werden, dass sich durch die sehr kleine Gesamtstichprobe (N = 18) zwangsläufig Probleme bei der statistischen Überprüfung ergeben mussten und dass signifikante Unterschiede in diesem Fall nur sehr schwer erzielt werden konnten. Betrachtet man exemplarisch jedoch vor allem die Kraftwerte im Prä/Post Vergleich an, so deutet sich gerade dort eine eindeutige Tendenz an. Sowohl die virtuellen trainierenden Gruppen als auch die persönlich angeleiteten Probanden verbesserten ihre Kraft in den Beinen (Personal: + 28%; Kinect 2: + 17%; Kinect 1: + 16%), und den Armen bzw. der Brustmuskulatur (Personal: + 25%; Kinect 2: + 14%), wohingegen die Kontrollgruppe jeweils keine Veränderungen zwischen Prä und Postmessung aufwies. Die Zunahme der Beinkraft verwundert nicht, da alle Übungen im Stehen ausgeführt wurden und viele Programmpunkte die Kniebeuge oder eine Variation dieser beinhalteten. Bei der interaktiv trainierenden Gruppe ohne Zusatzgewichte konnte allerdings bei den Kraftwerten der Arm/Brustmuskulatur kein Anstieg festgestellt werden, was darauf hinweist, dass die Intensität zu niedrig war. Teilweise ließen die Probanden ihre Arme entgegen der eigentlichen Spielausrichtung nach unten hängen und wurden vom
Programm nicht dahingehend korrigiert, was in der persönlich angeleiteten Gruppe durch den Trainer entsprechend verändert werden konnte. Die Nichtverbesserung der Koordina tionsfähigkeit hingegen scheint hauptsächlich an den Programmen und Übungen selbst zu liegen, deren Anforderungen und Reize nicht spezifisch genug waren, um eine Verbesserung herbeizuführen.Zusammenfassend lässt sich jedoch eindeutig sagen, dass die heutige Generation von Technik und Spielprogrammen der Exergames durchaus viel Potenzial für die Verbesserung von Kraft und Koordination bei Älteren beinhaltet, jedoch momentan nicht uneingeschränkt als empfehlenswert anzusehen ist. Wenn allerdings
Schwachpunkte wie altersgerechtere Übungen und eine verbesserte Bewegungskontrolle mit optimierter Rückmeldefunktion ausgemerzt werden können, so würden Exergames einen weitere Möglichkeit der körperlichen Aktivität im Alter darstellen. Dies ist besonders im Hinblick auf die Sturzprophylaxe anzunehmen, da bereits in dieser Studie deutlich wurde, dass die Beinkraft – mitunter der zentrale Parameter in der Sturzvorbeugung – durchaus schon jetzt durch Exergames trainiert werden kann. Um jedoch gesicherte Erkenntnisse in diesem Bereich zu erlangen, sind weitere Wirksamkeitsstudien vonnöten, die mit einer größeren Anzahl an Probanden und einem altersspezifischen Exergame durchgeführt werden müssten. Im
r Abb. 5: Entwicklung der Beinkraft im Prä-/Post-Vergleich
r Abb. 6: Entwicklung der Brustkraft im Prä-/Post-Vergleich
129motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
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LanninghamFoster, L./Jensen, T./Foster, R./Redmond, A./Walker,
Hinblick auf die demografische Veränderung unserer Gesellschaft und die immer eindringlichere Implementierung von Technik in unseren Alltag kann dieser Trend jedoch unmöglich ignoriert werden, da er eine kostengünstige und einfach anzuwendende Möglichkeit bietet, Sport zu treiben und die eigene Gesundheit somit zu fördern.Unabhängig von der weiteren und in größerem Rahmen durchzuführenden Überprüfung der Wirksamkeit von Exergames sollte zudem der Aspekt der generationsverbindenden Wirkung beim gemeinsamen Spielen solcher digitalen Spiele untersucht werden. Die Zusammenführung von Jung und Alt und ein Austausch der Generationen beim gemeinsamen ExergamesTraining bieten eine große Chance, die oftmals vorhandenen Vorurteile und Berührungsängste zwischen Jungen und Älteren abzubauen und die Generationen einander für beide Seiten gewinnbringend näherzubringen. Deutschlandweite Projekte wie „Generationen verbinden“ (www.wiisenioren.de), bei dem Schul klassen vor Ort in Altenheimen mit den Bewohnern gemeinsam Exergames spielen, sind mit Sicherheit ein sinnvoller Ansatz und können zum gegenseitigen, besseren Verständnis der Genera tionen beitragen. Ein häufig angebrachtes Argument von zu Exergames eher kritisch eingestellten
Personen ist, dass das Training an der Konsole zu Hause zu einem verstärkten sozialen Rückzug von älteren Menschen führen kann, da alleine und ohne soziale Interaktion mit anderen vor dem Fernseher trainiert wird. Diesem kann gegenübergestellt werden, dass das ExergamesTraining unter anderen auch das Ziel verfolgt, dass ältere Menschen durch das Spielen eine solche körperliche Verfassung (wieder)erlangen können, die es ihnen ermöglicht, das Haus selbstständig zu verlassen und am sozialen Leben teilzunehmen. Das digitale Training kann dabei ein erster Einstieg und eine Vorbereitung für ein weiteres Üben außerhalb des Hauses in einer Gruppe oder Ähnlichem sein. Zudem bieten Exergames sowohl die Möglichkeit, alleine zu trainieren, beinhalten aber gleichzeitig auch die Chance, in der Gruppe mit und gegeneinander zu spielen und sprechen so das gemeinsame, sportliche Erlebnis wie bei einem herkömmlichen Training an. Ob dies gelingt und diese Art von Training tatsächlich zu einer höheren Selbstständigkeit und einer größeren sozialen Interaktion führen kann, muss zweifelsfrei noch untersucht werden.Auch ein Einsatz von Exergames als pädagogisches und therapeutisches Konzept im Bereich der Psychomotorik, beispielsweise in Rehabilitationskliniken als Erweiterung der bestehenden
Übungsprogramme ist durchaus denkbar. Der spielerischmotivierende und auffordernde Charakter dieser Spiele könnte dazu beitragen, bisher eher weniger aktive Personen, ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, an die Bewegung heranzuführen und im Bereich der Wahrnehmungs, Reaktions und Entscheidungsschulung eingesetzt zu werden. Auch die Verwendung im Rahmen der motorischen und kognitiven Förderung von behinderten Kindern ist durchaus denkbar. Eigene wissenschaftlich entwickelte und programmierte Spiele könnten zudem im Sinne von „gamebased learning“ bzw. „games for education“ die Verbindung von (Spiel) Spaß, Simulation und Lernen produktiv und lernwirksam nutzen. Es bleibt jedoch abzuwarten und anhand langfristig angelegter Studien zu überprüfen, inwieweit eine anfängliche Begeisterung für die digitalen Spiele von längerfristiger Dauer ist und wie schnell sich eine erhöhte Motivation mit fortlaufender Spielzeit abnutzt.Insgesamt sind die Einsatzmöglichkeiten von Exergames enorm, die Idee der produktiven Nutzung des Spielspaßes sehr vielversprechend, sodass auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren mit Sicherheit einige Forschungsreihen durchgeführt werden, um dieses Phänomen wissenschaftlich besser erfassen zu können.
Digitales Spielen – Exergames im Vergleich mit traditionellen Trainingsformen bei Älteren
130 motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
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Steinwasenstraße 6–8 • 73614 Schorndorf • Telefon (0 71 81) 402-125 • Fax (0 71 81) 402-111 Internet: www.hofmann-verlag.de • E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis unter www.sportfachbuch.de/7029
Dr. Udo Wohnhas-Baggerd
ADHS und PsychomotorikSystemische Entwicklungsbegleitung als therapeutische Intervention
Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) gehört mit den aggressiven Verhaltensstörungen zu den häufigsten diagnostizierten psychischen Störungen im Kindesalter. Das ADHS ist durch Störungen der Auf-merksamkeit, der Impulskontrolle und der motorischen Unruhe gekennzeichnet. Ein großes öffentliches Interesse an diesem Phänomen ist aus dem hohen Leidensdruck der betroffenen Kinder und der tangierten Umwelt entstanden. Das grundlegende Problem bei der Behandlung dieses Störbildes ist die Effizienz der Behandlungsmethoden, die im direkten Zusammenhang mit dem Leidensdruck der betrof-fenen Kinder steht.Format 17 x 24 cm, 216 Seiten
ISBN 978-3-7780-7029-1 Bestell-Nr. 7029 E 21.90
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Interventionsformen zur personalen Kontrollgewinnung in den Vordergrund (s. auch Fischer 2011).
Exekutive Funktionen bei AD(H)S
Trotz der unterschiedlichen Standpunkte hat sich in den letzten Jahren der Konsens verstärkt, „dass es sich bei ADHS weniger um eine Aufmerksamkeitsproblematik im engeren Sinne als vielmehr um eine Störung der selbstregulativen Fähigkeiten handelt“ (Gawrilow/Schmitt/Rauch 2011, S. 43). Unter Selbstregulation versteht man im Allgemeinen die Regulation der Gedanken, Gefühle und Handlungen durch die eigene Person. Annäherungs und Vermeidungstendenzen gelten in Bezug darauf als Systeme höherer Ordnung, welche untergeordnete Systeme wie z. B. Aufmerksamkeits
Der Beitrag beschreibt die Bedeutung der exekutiven Funktionen für die Erklärung des Konstrukts AD(H)S und die Förderung von betroffenen Kindern. Nach Klärung der neurowissenschaftlichen Grundlagen werden praxistaugliche Konzepte der Fachdiskussion für die praktische Arbeit nutzbar gemacht. Dabei werden auch exemplarische Forschungsbefunde bisheriger psychomotorischer Wirksamkeits-studien berücksichtigt.
Peter Schlink und Klaus Fischer
AD(H)S – im Gehirn oder im Körper? Die Entdeckung der exekutiven Funktionen
Grundlagen
Die Zahl der Kinder mit AD(H)S hat in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Als grober Richtwert kann davon ausgegangen werden, dass drei bis sieben Prozent der Schulkinder betroffen sind, was in etwa ein bis zwei Kindern pro Klasse entspricht (Lauth et al. 2009). Das Verhalten von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit/HyperaktivitätsSyndrom ist durch unterschiedlichste Einzelsymptome gekennzeichnet und wird daher als multimodale Störung beschrieben. Als Grundmerkmale können bei den Betroffenen Aufmerksamkeitsschwächen, Organisationsprobleme, eine veränderte Körperwahrnehmung und Entwicklungsrückstände in ihren empathischen Fähigkeiten auftreten (Skrodzki 2005). Darüber hinaus benennt die Fachliteratur die Aspekte Impulsivität, Hyperaktivität und Aggressivität als weitere Leitsymptome (Krowatschek 2003). Die Betroffenen werden daher häufig als ablenkbarer, unbedachter, voreiliger und unruhiger als andere Kinder beschrieben. Kinder mit ADHS können aufgrund ihres erhöhten Muskeltonus vorwiegend dem hypertonen Typus zugeordnet werden, während Kinder mit ADS eher dem hypotonen Typus mit schlaffer Körperhaltung entsprechen. Darüber hinaus ist ihre Feinmotorik nicht altersentsprechend (Skrodzki 2005). Die beschriebenen Verhaltensweisen und probleme variieren allerdings je nach Kind sowohl in Qualität als auch in Quantität und unterliegen einer starken Situations
abhängigkeit, so dass Lauth et al. (2009) eine dynamische Betrachtung einfordern. Zur Ursachenbegründung wird heute ein multifaktorielles Erklärungsmodell zugrunde gelegt, das sowohl genetische als auch soziokulturelle Faktoren einschließt. Aus Sicht der Neurobiologie haben sich Unterschiede in der Struktur des Gehirns und den Funktionen dieser betroffenen Areale herauskristallisiert. Diese Auffälligkeiten, die vor allem im Stirnhirn beobachtet werden konnten, scheinen mit einer Störung des Neuro transmittersystems in Zusammenhang zu stehen (Krowatschek 2003; Lauth et al. 2009). Dieser Sachverhalt wird auch vielfach im Kontext mit der Vergabe von Methylphenidatderivaten diskutiert. Neben diesen genetischen Prädispositionen sind aber ebenso soziale Bedingungen für die Entwicklung eines AD(H)Syndroms entscheidend. Die sozialen Einflüsse der Familie, Schule und anderen Bereichen dürfen daher nicht vernachlässigt werden. Überblickend kann festgehalten werden, dass die Ätiologie des Aufmerksamkeitsdefizit/HyperaktivitätsSyndroms noch nicht gänzlich aufgeklärt ist (Biedermann 2005). Interessant ist in der gegenwärtigen Fachdiskussion, dass die lang geglaubte Bedeutung pharmakologischer Interventionsstrategien nach Untersuchungen des USamerikanischen national Institute of Mental Health einen Rückschritt in der Bewertung erfahren hat: Pillen haben nur eine begrenzte Wirksamkeit (Reinberger 2012, S. 34). Stattdessen rücken spielerische
Peter SchlinkStudium – Lehramt Sonderpädagogik in Köln. Momentan Referendariat an den FriedrichvonBodelschwinghSchulen/ Gymnasium Sek. I im gemeinsamen Unterricht in Bielefeld.
Anschrift des Verfassers:Wall 8, 32756 DetmoldEMail: [email protected]
AD(H)S – im Gehirn oder im Körper?
132 motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
und auch motorische Prozesse steuern und überwachen (ebd.). Diese Motivsysteme spielen für die Zielverfolgung eine wichtige Rolle und aktivieren weitere Subsysteme. Dazu zählen unter anderem Prozesse der kognitiven Kontrolle, die die Kognition steuern und das Verhalten beeinflussen. Die kognitive Kontrolle ist ein mehrdimensionales Konstrukt, in dem den exekutiven Funktionen eine besondere Bedeutung zukommt (Gawrilow et al. 2011). Exekutive Funktionen beschreiben Hampel et al. (2009) als metakognitive Prozesse, die der Handlungskontrolle dienen. Sie ermöglichen die Ausführung zielgerichteter Handlungen und dienen einer optimalen Anpassung des Individuums an die Anforderungen seiner Umwelt (Hampel et al. 2009). Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle ist grundlegend für die Durchführung und das Gelingen einer Aufgabe. Nur so ist es möglich, ein Ziel im Gedächtnis präsent zu halten, sich die nötigen Schritte bis zum Erfolg zu
vergegenwärtigen und sich gleich zeitig zum Handeln zu motivieren. Eine solche Handlungsplanung und durchführung ist aber nur möglich, wenn störende Gedanken und Impulse unterdrückt werden können (Krowatschek 2003). Bei jüngeren Kindern ist häufig lautes Sprechen bei der Vorbereitung und Durchführung komplexer Handlungsabläufe zu beobachten. Es dient ihnen zum Erinnern von Zwischenschritten und zur Selbstreflexion, ist aber auch für das Befolgen von Regeln und beim Problemlösen wichtig. Die laute Sprache hilft ihnen durch Unterdrückung von Launen bei der Verhaltens anpassung und ermöglicht emotionale und motivationale Selbstkontrolle. Bei älteren Kindern werden diese Prozesse durch inneres Sprechen abgelöst. Kinder mit AD(H)S verfügen über diese Sprache nur selten. Dieses Selbstregulationsdefizit wird in dem vielfach zitierten neuropsychologischen Modell von Barkley (1997) aufgegriffen und mit unzulänglich ausgeprägten Hemmungsmechanismen (Inhibition) erklärt. Die Störung des präfrontalen Kortex, der für die Inhibitionssteuerung verantwortlich ist, führt zu sekundären Defiziten in den exekutiven Funktionen. Die mangelhafte exekutive Funktionsfähigkeit beeinträchtigt hingegen die Qualität der internalisierten Handlungsplanung und kontrolle, wodurch eine adäquate Verhaltenssteuerung unmöglich wird (Gawrilow et al. 2011). Exekutive Funktionen beinhalten eine Vielzahl komplexer kognitiver Prozesse, die in einer gewissen Abhängigkeit zueinander stehen und für ein zweckmäßiges, zielgerichtetes und selbstreguliertes Verhalten entscheidend sind (Petermann/Toussaint 2009). Dazu zählen unter anderem Fähigkeiten wie Impuls bzw. Inhibitionskontrolle, Handlungsplanung und initiierung, Entscheidung für Prioritäten, emotionale Regulation, Flexibilität in der Aufmerksamkeitssteuerung, motorische Steuerung, Fehleraufdeckung und Selbstkorrektur (Röthlisberger et al. 2010). „Diese Fähigkeiten basieren auf Kompetenzen, denen exekutive Funktionen (EF) des Stirnhirns zugrunde liegen“ (Kubesch/Walk 2009, S. 309). Aus pädagogischer und entwicklungspsychologischer Sicht werden die exekutiven Funktionen mit Planen,
Organisieren, Lernleistungsfähigkeit, Selbstkontrolle und steuerungsfähigkeit assoziiert (Denckla 2007). Aus medizinischer Sicht werden die exekutiven Funktionen vor allem mit Aufmerksamkeitsleistungen und Gedächtnisprozessen in Verbindung gebracht. Die exekutiven Funktionen umfassen zahlreiche Subkomponenten. Die Gesamtheit aller beteiligten Komponenten und Prozesse ist bisher aber noch nicht bestimmt und wird uneinheitlich definiert (Hampel et al. 2009; Toussaint et al. 2011). Übereinstimmend wird in der Fachliteratur allerdings von drei zentralen Teilkomponenten berichtet, die zwar voneinander unterscheidbar sind, sich aber überlappen (Röthlisberger et al. 2010). In englischsprachigen Artikeln werden die Komponenten mit „updating“, „inhibition“ und „shifting/switching“ bezeichnet (Denckla 2007; Röthlisberger et al. 2010), während in deutschen Beiträgen die Subkomponenten Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität unterschieden werden (Kubesch/Walk 2009). •Das Arbeitsgedächtnis dient dazu
Informationen vorübergehend zu speichern und aufrechtzuerhalten, ist an der Entstehung komplexer kognitiver Funktionen (z. B. Sprache) beteiligt und hilft dabei sich an Zwischenschritte eigener Handlungspläne oder Instruktionen anderer Personen zu erinnern (Kubesch/Walk 2009). Diese Anpassung und Überwachung der Arbeitsgedächtnisrepräsentationen und prozesse ist eine zentrale Aufgabe der exekutiven Funktionen (Röthlisberger et al. 2010).
•Eine weitere wichtige exekutive Funktion ist die Inhibition bzw. Selbstregulation. Hierunter versteht man die Steuerungsfähigkeit der Aufmerksamkeit und des Verhaltens, indem bestehende Impulse unterdrückt und auftretende Ablenkungsreize bei der angestrebten Zielverfolgung ignoriert werden. Dadurch können vorschnelle oder automatisierte Antworten unterdrückt (Röthlisberger et al. 2010) und soziales sowie selbstdiszipliniertes Verhalten unterstützt werden (Kubesch/Walk 2009).
•Die dritte Subkomponente der exekutiven Funktionen ist die
Klaus FischerProfessor für Bewegungserziehung und Bewegungstherapie in der Heilpädagogik an der Universität Köln; Arbeitsschwerpunkte: Psychomoto rische Entwicklungstheorie und bewegungs orientierte Entwicklungsförderung in den Entwicklungsspannen der Kindheit und der Jugend; Qualitätsentwicklung in der Psychomotorik
Anschrift des Verfassers:Universität zu KölnHumanwissenschaftliche FakultätLehrstuhl für Bewegungserziehung/therapieGronewaldstr. 2a50931 Köln
133motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
kognitive Flexibilität, die auf dem Arbeitsgedächtnis und der exekutiven (inhibitorischen) Kontrolle aufbaut (ebd.). Sie ermöglicht es einerseits, sich schnell auf neue Situationen und Anforderungen einstellen zu können und lässt andererseits eine Betrachtung von Personen und Zuständen aus unterschiedlichen Perspektiven zu.
Ein Hauptunterschied im Verhalten von Kindern und Erwachsenen kann darauf zurückgeführt werden, dass die exekutiven Funktionen bei Kindern noch nicht vollständig entwickelt sind. Als Einflussfaktoren, die auf die Exekutivfunktionen einwirken, können neben dem Alter und dem Geschlecht auch die Sprache im Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status der Familie und viele andere Individualfaktoren genannt werden (Röthlisberger et al. 2010). Das System der exekutiven Funktionen unterliegt einer Entwicklung auf der Basis von genetischen Faktoren und Umwelt bzw. Lernprozessen. Die exekutiven Funktionen sind Basis der Selbstregulationsfähigkeit, die nach Ansicht vieler Lehrkräfte als ein besonders wichtiger Faktor für einen erfolgreichen Übergang vom Kindergarten in die Schule angesehen wird und umfasst neben kognitiven Prozessen ebenso sozialemotionale, motivationale und psychische Aspekte. Aus diesem Grund gewinnen die Exekutivfunktionen im pädagogischen Kontext zunehmend an Bedeutung und werden verstärkt mit der allgemeinen Schulbereitschaft, vor allem aber auch mit dem späteren Schulerfolg von Kindern in Zusammenhang gebracht und diskutiert (Röthlisberger et al. 2010). Darüber hinaus kann der Stellenwert der exekutiven Funktionen für die sozialemotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen kaum überschätzt werden, da die Funktionsfähigkeit des Exekutivsystems ebenso das Sozialverhalten von Kindern moderiert und sich in Gruppensituationen niederschlägt (Kubesch/Walk 2009). Eine gut entwickelte Inhibitionskontrolle redu ziert die Gefahr aggressiven Verhaltens und fördert empathisches Verhalten. Die Fähigkeit zur Kontrolle störender emotionaler Impulse bzw. die Selbstregulation fördert Aufmerksamkeits sowie Arbeitsgedächtnisleistungen und ermöglicht selbstverantwortliches,
eigenaktives und selbstwirksames Lernen bzw. Arbeiten. Heute wird angenommen, dass schlecht ausgebildete exekutive Funktionen im Zusammenhang mit dem Aufmerksamkeitsdefizit/HyperaktivitätsSyndrom stehen. Im Kontext der exekutiven Funktionen können die zentralen Symptome des Aufmerksamkeitsdefizit/HyperaktivitätsSyndroms als Störung des Arbeitsgedächtnisses, der Impulskontrolle, der Selbstregulation und der Aufmerksamkeitssteuerung aufgefasst werden, weshalb auch vom „dysexekutiven Syndrom“ gesprochen werden kann (Kubesch 2008; Spitzer/Kubesch 2011, S. 9).
Körperlicher Ausdruck eines AD(H)-Syndroms
Bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit/HyperaktivitätsSyndrom sind fast immer auch motorische bzw. psychomotorische Auffälligkeiten zu beobachten. Aufgrund dessen zählt die Motorik auch zu den Leitsymptomen der AD(H)S Merkmale. Die Auffälligkeiten zeigen sich durch Schwierigkeiten in der Körperwahrnehmung, der Bewegungs, Handlungs sowie Verhaltenssteuerung und kontrolle (Panten 2005). Nach von Lüpke (2005) läuft kein körperlicher Prozess ohne die geistige Dimension ab und umgekehrt auch kein geistiger ohne Vorgänge im Körper. Dies macht es lohnenswert einen genaueren Blick auf die motorischen Fertigkeiten von Kindern mit AD(H)S zu werfen und Auffälligkeiten, Überschneidungen sowie Korrelationen der exekutiven Dysfunktionen und dem körperlichen Ausdruck des Syndroms zu unter suchen.Die motorischen Probleme von Kindern mit AD(H)S sind in drei Bereichen beobachtbar: Grobmotorik, Feinmotorik und Visuomotorik. Dabei müssen die Auffälligkeiten „nicht zugleich in verschiedenen Bereichen auftreten, sondern können sich z. B. auf die Feinmotorik beschränken“ (Hahn/Pieper 2005, S. 100). Die Bewegungskontrollstörung bei den betroffenen Kindern wird dadurch ersichtlich, dass sie Schwierigkeiten haben Bewegungen zu verlangsamen oder zu stoppen, sie sich mehr, großräumiger und mit zu
hohem Kraftaufwand bewegen und darüber hinaus eine Vorliebe für primitivarchaische Bewegungsmuster wie Rollen, Wälzen, Wackeln, Hüpfen oder Fußscharren haben (Panten 2005; Hahn/Pieper 2005). Die feinmotorischen Defizite spiegeln sich in der AugeHandKoordination, Fingergeschicklichkeit und Schreibmotorik wider (ebd.). Des Weiteren können Schwächen in der statischen und dynamischen Balance, der Körperwahrnehmung und Körperkoordination bzw. im Bewegungs und Rhythmusgefühl sowie in der Körperhaltung und Reaktionsfähigkeit benannt werden (Skordzki 2005; Hahn/Pieper 2005). Skordzki (2005) erklärt, dass die ständigen, ungeordneten Bewegungen mit schlechter Kraftdosierung und Selbststimulation der Ausdruck fehlender Hemmungsmechanismen, ineffizienter oder fehlender Planung und falsch gesteuerter Aufmerksamkeit sind.
Argumente für eine (psycho-) motorische Förderung
Im Allgemeinen hat Bewegung und Bewegungsfähigkeit einen hohen Stellenwert für Jung und Alt und die positiven wie gesundheitsförderlichen Auswirkungen sind unumstritten. Für Kinder mit AD(H)S ist Bewegung und motorische Förderung von besonderer Bedeutung, wenn man die motorischen Auffälligkeiten bedenkt. „Grundsätzlich lassen sich Aufmerksamkeit und Konzentration über die verschiedensten bewegungs, spiel und sportspezifischen Methoden und Inhalte positiv beeinflussen“ (Panten 2005, S. 49). Wichtig ist es diesbezüglich einen spielerischen Charakter beim Vorgehen zu finden, da Kinder lieber spielen als ihre Leistungsfähigkeit durch Sport zu trainieren (Skordzki 2005). Köckenberger (2005) zeigt zwei psychomotorische Handlungsbeispiele auf, die diesen Leitgedanken aufgreifen. •Eine erste Möglichkeit, die vor allem
in psychomotorischen Therapien Anwendung findet, sind Bewegungsräume, die sich durch vorbereitete Materialaufbauten auszeichnen und dadurch eine gewisse Struktur für Kinder vorgeben. Innerhalb dieser „Spiellandschaft“ können sich die
AD(H)S – im Gehirn oder im Körper?
134 motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
Kinder frei nach ihren eigenen Wünschen, Vorlieben und Bedürfnissen austoben, bewegen, Buden bauen, sich zur Erholung verkriechen oder was ihnen sonst noch in den Sinn kommt machen. Dies sind Erfahrungsräume, die besonders gut für Kinder mit AD(H)S geeignet sind (Köckenberger 2005).
•Eine andere, etwas umfassendere Idee ist die „bewegte Schule“, die für Abwechslung, Begeisterung, Entspannung, Konzentration, Bewegungsfreude, klare Strukturen wie für kooperative und freudvolle Lernsituationen sorgen soll. Die „bewegte Schule“ orientiert sich unter anderem am spielerischen Sportunterricht, kurzen Bewegungspausen während der Unterrichtszeit und bewegtem Sitzen, z. B. auf einem Sitzball. Durch die Lernerfahrungen mit Bewegung, bei denen die Kinder ihren gesamten Körper und alle Sinne einsetzen können, lernen sie leichter und gründlicher Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie begreifen den Lernstoff auf eine kindgerechte Art und Weise. So erhalten „hyperaktive und konzentrationsschwache Kinder […] mehr Abwechslung und über die Bewegungsfreude wieder Spaß am Lernen“ (Köckenberger 2005, S. 29). Außerdem ist mehr Bewegung nicht nur für Kinder mit AD(H)S förderlich, sondern die gesamte Schule kann von einem solchen Herangehen profitieren.
Lern und Bewegungssituationen, die das kindliche Spielen in den Vordergrund stellen, erhöhen die Motivation der Kinder, steigern ihre Aufmerksamkeit und fördern ihre Selbstständigkeit, wenn sie die nötige Selbstverantwortung für eigene Handlungen übernehmen (Skordzki 2005). Die Verbesserung der Aufmerksamkeits und Konzentrationsfähigkeit durch bewegungs, spiel und sportspezifische Angebote führt zu einer gesteigerten Qualität der Aufnahme, Analyse, Verarbeitung und Speicherung damit verbundener Prozesse bzw. zu einer vergrößerten Aufmerksamkeitsspanne und wirkt sich dadurch positiv auf die Bewegungs und Handlungssteuerung aus (Panten 2005). Hierdurch wird die Fähigkeit zur Selbstregulation unterstützt und einem wichtigen Symptom von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivi
tätsSyndrom entgegengewirkt. Zusammenfassend bestehen vielzählige Argumente, die für eine (psycho) motorischen Förderung von Kindern mit AD(H)S sprechen „und es wird allerhöchste Zeit, dass der Stellenwert der Motorik innerhalb der kindlichen Gesamtentwicklung allerorts in seiner zentralen Bedeutung erkannt wird“ (Panten 2005).
Exekutive Funktionen und körperliche Aktivität
Einerseits wurde als Begründungsmodell eines AD(H)S die Fehlfunktionen des exekutiven Systems beschrieben, die sich durch Defizite in den Aufmerksamkeitsleistungen, der inhibitorischen Kontrolle und den selbstregulatorischen Fähigkeiten ausdrücken. Dieser Ansatz ist in erster Linie durch eine rein neurokognitive Sicht geprägt. Andererseits wurden aber auch die motorischen Auffälligkeiten von Kindern mit AD(H)S angeführt und deren umfassende Bedeutung erläutert. Hierbei wird auf Körper, Bewegung, Sport sowie die (Psycho)Motorik fokussiert und als Ausgangspunkt für die Förderung gesehen und genutzt. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, ob es einen Zusam menhang zwischen den exekutiven Funktionen und körperlicher Aktivität gibt und inwieweit sich diese Faktoren gegenseitig bedingen.Ein solcher Zusammenhang besteht und die exekutiven Funktionen können durch körperliche Aktivitäten gefördert werden (Kubesch 2008). Sowohl akute Ausdauerbelastungen als auch kurzfristige gesteigerte körperliche Aktivitäten wirken sich positiv auf das exekutive System von Kindern und Jugendlichen aus. „Das bedeutet, je körperlich fitter die Schüler sind, desto besser sind deren exekutive Funktionen“ (ebd., S. 52). In einer Studie mit Schülern der 7. Klasse verschiedener Schulformen konnten Kubesch und Walk (2009) nachweisen, dass sich die körperliche Fitness der Schüler entscheidend auf deren exekutive Fähigkeiten auswirkt. Durch den Einsatz der Elektroenzephalografie konnte gezeigt werden, dass körperlich leistungsstärkere Schüler im Vergleich zu weniger fitten Schülern über signifikant höhere Aufmerksam
keitsleistungen verfügen (Kubesch/Walk 2009). Die körperlich leistungsstärkeren Schüler benötigen für die gleichen Leistungen einen geringeren kognitiven Aufwand als körperlich leistungsschwächere Schüler (Kubesch 2008). Demnach lassen sich Arbeitsgedächtnis prozesse von Schülern durch den Sportunterricht verbessern. Außerdem wurden bei den fitten Schülern Werte gemessen, die auf eine bessere exeku tive Kontrolle bzw. eine gesteigerte Inhibitionsfähigkeit von Antwort tendenzen hindeuten. Diese „Studien ergebnisse deuten darauf hin, dass die körperliche Fitness die Leistung des exekutiven Systems verbessert, indem die geistige Anstrengung bei Prozessen der Handlungsüberwachung reduziert wird“ (Kubesch/Walk, 2009, S. 314). Darüber hinaus scheint eine Korrelation zwischen den exekutiven Funktionen und der motorischen Koordinationsfähigkeit vorzuliegen. Einerseits zeigen Studien, dass Kinder mit einer Störung der exekutiven Funktionen, also vor allem Kinder mit AD(H)S, motorische Koordinationsdefizite aufweisen. Andererseits konnten bei Kindern mit Schwierigkeiten in der motorischen Koordinationsfähigkeit Defizite im Bereich der exekutiven Funktionen festgestellt werden. Dies deutet auf eine Überlappung der motorischkoordinativen und kognitivkoordinativen, also exekutiven Leistungen hin (Röthlisberger et al. 2010). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die exekutiven Funktionen in starkem Maß von der genetisch gesteuerten Dopamin verfügbarkeit im präfrontalen Kortex abhängen, die sowohl von einer zu hohen als auch einer zu niedrigen Neurotransmitterkonzentration beeinflusst werden (Kubesch/Walk 2009).In einer differenzierten Überblicksstudie zur Bedeutung bewegungstherapeutischer Konzepte und Interventionen in der psychiatrischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stellt Welsche (2011, S. 488) im Übersichtswerk von Hölter (2011) fest, dass entsprechende empirische Arbeiten und Befunde in deutschen Fachzeitschriften wenig vorhanden sind bzw. rezipiert werden. Dabei ist die Zielgruppe der Kinder mit hyperkinetischer Störung noch am häufigsten vertreten. Die Autorin evaluiert mehrere Dortmunder Wirk
135motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
samkeitsstudien zu Bewegungsaktivitäten (wie z. B. Zirkusprojekte, Orientierungsläufe, Bewegungsförderung in der Turnhalle oder im Wasser, heilpädagogisches Voltigieren) (Welsche 2011, S. 489), die die Bedeutung und Effektivität der Bewegungsinterventionen für die Zielgruppe nachweisen. Die Forschergruppe um Gerd Hölter (Beudels/Hamsen 2005; Hamsen/Beudels/Hölter 2004; Hölter 2001) betont die Bedeutung bewegungsorientierter Aktivitäten insbesondere als Moderatorvariable für verschiedene Entwicklungsaspekte für ADHSKinder und fordert die Berücksichtigung des „energetischen Aspekts der Bewegungsregulation“ bei der Interventionsplanung (Hamsen et al. 2004, S. 100; Welsche 2011, S. 490). Für die Psychomotorik fasst Neuhäuser schon 1999 die Wirkfaktoren bewegungsorientierter Interventionen aus klinischen Studien zusammen: •Beeinflussung der Körperwahrneh
mung, des Körpergefühls und des Körperbildes.
•Veränderung von Bewegungsäußerungen bez. Koordination, Gerichtetheit und Abstimmung in Gleichgewicht und Balance.
•Gelegenheit zum Üben der Handlungsplanung und durchführung.
•Möglichkeiten zu motorischem Lernen durch Imitation, Versuch und Irrtum, Anwendung unterschiedlicher Lösungsstrategien.
•Vermitteln sozialer Erfahrungen durch Interaktionsmöglichkeiten und ge meinsame Aktivitäten (zit. n. Welsche 2011, S. 491).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine rein neurokognitive Betrachtung des Aufmerksamkeitsdefizit/HyperaktivitätsSyndroms der Komplexität dieser Verhaltensauffälligkeit nicht gerecht wird, da motorische Prozesse ebenso betroffen sind und berücksichtigt werden müssen. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem AD(H)Syndrom können körperliche Auffälligkeiten und Dysfunktionen des exekutiven Systems nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Für eine umfas sende Förderung, die den Bedürfnissen der betroffenen Kinder gerecht wird, scheint es daher vielversprechend diese beiden Ansätze miteinander zu vereinen.
Förderung der exekutiven Funktionen bei AD(H)SDie beschriebenen neurokognitiven und motorischen Beeinträchtigungen von Kindern mit AD(H)S bezeugen die Handlungsnotwendigkeit und legen eine gezielte Förderung der exekutiven Funktionen nahe, die die Selbstregulationsfähigkeit der Kinder verbessert. Es besteht allerdings die Problematik, dass im deutschen Bildungssystem die Bedeutung der exekutiven Funktionen weitgehend unbekannt ist und das Wissen für eine optimale Förderung fehlt. Nur wenige Pädagogen wissen generell von diesen zentralen Gehirnfunktionen und wie man diese kognitiv und körperlich trainieren kann, um die schulische Lernleistung und die sozialemotionale Entwicklung der Kinder zu verbessern (Kubesch/Walk 2009). Als Ursache verweisen die Autorinnen auf die fehlenden pädagogischen Konzepte, die zur Förderung der exekutiven Funktionen herangezogen werden können. Daher soll nachstehend eine Übersicht zu vorhandenen Fördermöglichkeiten der exekutiven Funk tionen bei Kindern mit AD(H)S gegeben werden, aus denen bedeutsame Erkenntnisse für die pädagogische Praxis abgeleitet werden können. Hierfür orientieren wir uns an den beiden beschriebenen Ansätzen und berücksichtigen sowohl die neurokognitive als auch die körperlich motorische Ebene der exekutiven Funktionen, aus denen sich drei Ebenen von Fördermöglichkeiten ergeben; kognitive, körperliche und kombi nierte körperlichkognitive Förderprogramme.
Kognitives Training („Tools of the mind“ und „Wenn-Dann-Pläne“)
ToolsDas „Tools of the mind (Tools)“ Förderprogramm wurde von einer der führenden Wissenschaftlerinnen zur Entwicklung und Förderung der exekutiven Funktionen, Adele Diamond, entwickelt. Es beschreibt, wie ein umfassendes Konstrukt von Aktivitäten die Arbeitsgedächtnisleistung, die inhibitorische Kontrolle und die kognitive Flexibilität bei Vorschulkindern im Alter von fünf Jahren signifikant verbessern kann
(Diamond et al. 2007a). Tools ist für den Einsatz in regulären Klassen vorgesehen, zeichnet sich durch einfache sowie kostengünstige Methoden aus und wurde entwickelt, „um über ein spiele risches Training exekutiver Funktionen insbesondere die Entwicklung der Selbstregulation und darüber sozialemotionale Kompetenzen der Kinder zu fördern“ (Kubesch/Walk 2009, S. 312). Die Übungen und Techniken sind über den gesamten Tag verteilt und in nahezu alle Aktivitäten innerhalb der Vorschulklasse eingebettet. Dem Programm liegt die Ansicht zugrunde, dass sich exekutive Funktionen vor allem dann entwickeln, wenn Kinder in spezifischen interpersonellen Interaktionen handeln (Diamond et al. 2007b). Die Vorschüler erhalten, während sie beispielsweise mathematische oder sprachliche Fertigkeiten erlernen, ein integriertes Training der exekutiven Funktionen. Die folgenden Hand lungsansätze bedienen sich dieser Grundtechniken und verdeutlichen die praxisnahe Umsetzung in der Vorschule. Durch konkrete Hilfsmittel werden die Kinder auf spezifische Rollen und die damit verbundenen Aufgaben oder Verhaltensweisen vorbereitet. Beim Lesen in Partnerarbeit z. B. erhält ein Kind die Bildkarte mit einem Ohr und das andere eine Karte mit einem abgebildeten Mund, die verdeutlichen, wer welche Rolle einnimmt. Durch ergänzende Hinweise, wie „Ohren sprechen nicht, Ohren hören zu“ wird deutlich, welches Verhalten von ihnen als Zuhörer verlangt wird. Das konkrete Symbol unterstützt sie dabei zuzuhören, Unterbrechungen zu unterlassen und abzuwarten, bis sie an der Reihe sind. Im Anschluss können sie dem Erzähler Fragen stellen und sich austauschen, bevor die Rollen getauscht werden. Durch den Rollenwechsel wird das Verständnis für soziale Interaktionen gefördert und das Abwarten und Zuhören innerhalb von Gesprächen gefördert (ebd.). Eine weitere Technik ist das Verhalten anderer zu regulieren, bei dem ebenso zwei konträre Rollen verteilt werden. So kann beispielsweise beim Erlernen mathematischer Grundfertigkeiten ein Kind der Zähler und das andere Kind der Kontrolleur sein, der schaut, ob der Zähler korrekt vorgeht, abwartet bis der Zählprozess
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beendet ist und anschließend die Antwort mit einem Lösungszettel überprüft. Dadurch wird die Selbstreflexions und Inhibitionsfähigkeit gefördert. Das gegenseitige Kontrollieren von Aufgaben und die damit einhergehende Regulation des Verhaltens von Anderen stellen demzufolge einen metakognitiven Aspekt der exekutiven Funktionen dar. Eine andere Grundtechnik ist das Nutzen innerer Sprache zur Selbstregulation, das in Tools auf verschiedenen Wegen angebahnt und unterrichtet wird. Dazu führt die Lehrperson bei neuen Aktivitäten die Verwendung der selbstbezogenen Sprache modellhaft vor und erinnert die Kinder bei der Bearbeitung von Aufgaben die selbstregulatorische innere Sprache zu verwenden. Ebenso zählt die Verwendung innerer Sprache bei Aktivitätswechseln zu den Grundtechniken, die die Kinder während der Durchführung des ToolsProgramms, erlernen. Die innere Sprache kann beispielsweise zur Unterstützung bei Bewegungsspielen mit wechselnden Regeln angewendet werden und hilft den Kindern bei der Anpassung und Regulation des eigenen Verhaltens. Hierbei werden bestimmten Symbolen spezifische Aktivitäten zugewiesen (z. B. Kreis → Klatschen), die im Laufe des Spiels immer wieder verändert werden und eine hohe Aufmerksamkeit der Kinder erfordern. Innere Sprache wird von den Kindern zur Erinnerung der neuen Aktivität verwendet, um diese im Arbeitsgedächtnis aufrechtzuerhalten. Diamond et al. (2007b) berichten, dass bei Kindern vor der Ausführung häufig ein Aufsagen der Handlung zu beobachten ist, ohne dass sie darauf hingewiesen wurden. Eine letzte Technik des Tools of the mindTrainings ist das Entwickeln von Rollenspielen, das einen zentralen Grundmechanismus für die Ausbildung der exekutiven Funktionen darstellt (Diamond et al. 2007b). Dabei lernen die Kinder Spielszenarien im Voraus gemeinsam zu planen bevor sie diese durchspielen. Sie machen einen Plan der gesamten Spielszene, beschreiben die eigene Rolle und benutzen bereits während des Planungsprozesses die Wörter, die sie innerhalb der öffentlichen Sprache während des Spiels, aber auch in der selbstbezogenen Sprache in dem Spielszenario benutzen
werden. Darüber hinaus wurden die Lehrerinnen und Lehrer angeleitet bekannte Aktivitäten so zu modifizieren, dass sie anschließend die Möglichkeit boten exekutive Funktionen zu trainieren.So werden die Kinder mit dem ToolsProgramm dazu angeleitet Hilfsmittel zu nutzen, die ihre Aufmerksamkeits und Gedächtnisprozesse vereinfachen, und darin bestärkt, innere Sprache zur Selbstregulation zu verwenden. Insbesondere Kinder und Jugendliche mit beeinträchtigten exekutiven Funktionen wie Kinder mit AD(H)S können von dieser Förderung profitieren (Kubesch/Walk 2009). Eine Studie konnte nachweisen, dass die exekutiven Funktionen bereits im frühen Alter von vier bis fünf Jahren in regulären Schulklassen mit normal ausgebildeten Lehrern deutlich verbessert werden können. Das ToolsFörderprogramm beeinflusst dabei das exekutive System signifikant mehr als es den Einflüssen von Alter oder Geschlecht unterliegt (Diamond et al. 2007a). Es ist jedoch anzumerken, dass dieses Programm in erster Linie bei Kindern mit schlecht ausgebildeten Exekutivfunktionen angewendet wurde und ihnen zu besserer Leistungsfähigkeit verholfen hat. Unklar bleibt hingegen, welche Effekte das Förderprogramm bei Kindern mit besseren exekutiven Funktionen hervorbringt (ebd.). Es lässt sich jedoch eine nachhaltige Verbesserung der exekutiven Funktionen durch frühzeitige Förderung prognostizieren, die den Bedarf an kostspieligen Therapien reduzieren und einen Rückgang von AD(H)S und anderen Verhaltensauffälligkeiten unterstützen kann.
Wenn-Dann-PläneWie bereits im ToolsTraining dargelegt, ist die Verwendung der inneren Sprache eine Leitidee selbstregulativer Instruktionsansätze. Der nachfolgend dargestellte Förderansatz zeigt, wie durch konkret formulierte Handlungspläne bei Kindern mit AD(H)S die kognitive und motivationale Kontrolle der eigenen Handlungen unterstützt werden kann. Das Entwickeln von Plänen ist nach Gawrilow et al. (2011) ein effektives Instrument der Selbstregulation, da diese sowohl den passenden Beginn als auch die vorgesehene Beendigung einer
Handlung vorgeben und gegenüber Ablenkungen abschirmen. Ein besonders effektives Planungskonstrukt stellen Wenn-Dann-Pläne dar (Gollwitzer 1999; Gollwitzer/Sheerman 2006; in Gawrilow et al. 2011). Diese haben die folgende Form: „Wenn Situation A eintritt, dann führe ich die Handlung B aus.“ Sie ermöglichen „eine effizientere Erkennung der im WennTeil spezifizierten kritischen Situation und […] eine automatische Handlungsinitiierung der im DannTeil festgelegten Handlung“ (Gawrilow et al. 2011, S. 45). Dieses Planungsformat unterscheidet sich von einfachen Zielformulierungen wie „Ich möchte Z erreichen“, die ausschließlich eine Zielverpflichtung artikulieren und keine automatisierte Auslösung einer zielführenden Handlung beinhalten (ebd.). Folglich müssen Handlungsprozesse, die zum Erreichen des Ziels führen, erst erarbeitet werden, wodurch es zu einer erhöhten kognitiven Beanspruchung kommt. Die Effektivität von Wenn-Dann-Plänen beruht hingegen auf einer Automatisierung der Selbstregulation (ebd.). Durch die einmalige Formulierung eines Wenn-Dann-Plans wird die antizipierte Situation dauerhaft mit der zielführenden Handlung verknüpft. Zukünftige Situationen, die dieser Situation entsprechen, sind folglich immer mit der entsprechenden Handlung verbunden. Die Handlung kann dadurch automatisch durchgeführt werden, ohne zusätzliche kognitive Ressourcen zu beanspruchen (Gawrilow et al. 2011). Es konnte nachgewiesen werden, dass Kinder mit AD(H)S, die in einer bestimmten Situation einen Wenn-Dann-Plan formulierten, ihre Reaktion genauso gut inhibieren können wie Kinder ohne AD(H)S. Demgegenüber reagierten Kinder mit AD(H)S, die einfache Zielintentionen formulierten, langsamer und machten mehr Fehler bei der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben. Neben dieser Verbesserung der Inhibitionsfähigkeit stellen Wenn-Dann-Pläne zudem eine geeignete Interventionsmaßnahme zur Förderung der Belohnungsverzögerungsfähigkeit dar, die generell bei Kindern mit AD(H)S nicht sehr gut ausgeprägt ist (ebd.). Aus diesen Gründen sind Wenn-Dann-Pläne eine einfache und effektive selbstregulatorische Fördermöglichkeit für Kinder mit AD(H)S, die sowohl im privaten als
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auch schulischen Alltag angewendet werden können.
Körperliches Training Wie bereits beschrieben besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Leistungen der exekutiven Funktionen und der körperlichen Verfassung von Kindern und Jugendlichen. Da die allge meine Fitness der Schüler, die Funktionsfähigkeit des exekutiven Systems beeinflusst und körperlich fitte Schüler über besser ausgeprägte Exekutivfunktionen verfügen (Kubesch 2008), sind auf körperlicher Ebene keine spezifischen Trainingsprogramme notwendig. Vielmehr muss die Bedeutung von Bewegung, körperlicher Fitness, Bewe gungsfreude und (psycho)motorischer Ertüchtigung im Allgemeinen erneut betont werden und Einzug in sämtliche ganzheitlichen Förderüberlegungen, vor allem auch bei Kindern mit AD(H)S, erhalten.
Kombiniertes Körperlich-Kognitives Training („Achtung! Fertig! Fex!“)Die bisherigen Erkenntnisse zur Förde rung des exekutiven Systems legen daher eine Kombination kognitiver
Förderansätze und körperlicher Trainingseinheiten nahe, um einer umfassenden, erfolgsversprechenden Intervention gerecht zu werden. Sabine Kubesch, die Leiterin der Arbeitsgruppe „Exekutive Funktionen und Sport“ am TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL), regt an, die exekutiven Funktionen bereits frühzeitig, vor dem Wechsel von der Grundschule auf eine weiterführende Schule, kognitiv wie körperlich zu trainieren (Kubesch 2008). „Insbesondere die genaue und gleichzeitig schnelle Ausführung von Aufgaben […], bzw. die Fähigkeit, auch unter Zeitdruck eine Aufgabe noch möglichst fehlerfrei ausführen zu können, scheint ein wichtiger Aspekt in der Entwicklung von exekutiven Fähigkeiten sowohl im kognitiven wie im motorischen Bereich zu sein […].“ (Röthlisberger et al. 2010, S. 102) Ob und inwieweit eine solche kombinierte Trainingsform tatsächlich effektiver ist als ein rein kognitiver oder körperlicher Förderansatz, muss allerdings noch überprüft werden (Kubesch/Walk 2009).Gemeinsam mit der HABAFirmengruppe wurde am ZNL in Ulm eine Samm
lung von Bewegungsspielen entwickelt, die auf ein kombiniertes kognitives und körperliches Training der exekutiven Funktionen von Kindergartenkindern und Grundschülern abzielt (Kubesch 2008). Zur Effektivität dieses Förderprogrammes kann zum jetzigen Zeit punkt noch keine Aussage getroffen werden, da eine Evaluation des Trainings noch aussteht. Da es sich um das erste deutschsprachige Förderprogramm zur kombinierten Förderung exekutiver Funktionen handelt, sollen die Grundlagen der Bewegungsspiele und deren Anleitung dennoch exemplarisch dargestellt werden, um einen Ausblick auf die praktische Umsetzung zu ermöglichen.
Achtung! Fertig! Fex!Die Achtung! Fertig! Fex!-Bewegungsspiele dienen zum Training der exekutiven Funktionen innerhalb der Familie, in Kindergarteneinrichtungen und der schulischen Praxis (Kubesch/Walk 2009). Die Laufspielsammlung besteht aus 18 Spielideen, die sich sowohl in Sporthallen als auch in größeren Bewegungsräumen, auf Sportplätzen oder dem Pausenhof durchführen
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lassen. Die Grundideen der einzelnen Spielanleitungen sind einfach aufgebaut, können durch vorgegebene Levels oder eigene kreative Veränderungen im Schwierigkeitsgrad allerdings gesteigert werden. „Dadurch ist gewährleistet, dass die Spiele immer eine Herausforderung darstellen und die exekutiven Funktionen zunehmend trainiert werden“ (Kubesch et al. 2011, S. 1). Die Spielaufgaben und regeln sind so konzipiert, dass sie gleichermaßen ein intensives kognitives wie körperliches Training der exekutiven Funktionen ermöglichen. „Das kognitive Training ergibt sich aus der Bewegungsaufgabe, die den Kindern gestellt wird“ (Kubesch 2008, S. 53). Die körperliche Aktivität geht mit der anschließenden Ausführung der Bewegungsaufgabe einher. Dazu müssen sich die Kinder bestimmte Aufgabenstellungen merken und gleichzeitig unabhängig davon andere Bewegungsaufgaben durchführen (Kubesch/Walk 2009). Die Aufgaben zielen auf die Förderung des Arbeitsgedächtnisses, der inhibitorischen Selbstkontrolle und der kognitiven Flexibilität ab und bieten demnach eine umfassende Förderung des exekutiven Systems (Kubesch et al. 2011). Durch die Umsetzung und Auf rechterhaltung der Aufgabenstellung, während die Kinder eine andere körperliche Aufgabe ausführen, wird die Arbeitsgedächtnisleistung gefördert (Kubesch 2008). Die Kinder müssen sich beispielsweise unterschiedlichste Informationen von ihren Tierkärtchen merken, diese über mehrere Spielstationen im Arbeitsgedächtnis speichern und gleichzeitig zahlreiche
Regeln und Kommandos befolgen (Kubesch et al. 2011). Während der Ausführung dieser Aufgaben werden die Kinder durch optische oder akustische Signale zu abrupten Bewegungsänderungen, Richtungswechseln oder kurzzeitigem Innehalten aufgefordert. Dadurch wird die inhibitorische Selbst bzw. Verhaltenskontrolle geschult (Kubesch/Walk 2009). Die Kinder lernen erste, spontane Bewegungsimpulse zu unterdrücken, Aufgaben entsprechend den Regeln auszuführen sowie sich zu konzentrieren und nicht vom Bewegungsverhalten der anderen Kinder ablenken zu lassen (Kubesch et al. 2011). Die Förderung der kognitiven Flexibilität erfolgt durch die sehr schnellen Änderungen der Spiel abläufe, auf die sich die Kinder einstellen müssen (Kubesch 2008). Die Laufspiele unterstützen demnach die Funktionsfähigkeit des exekutiven Systems, trainieren die körperliche Fitness der Kinder und „stellen damit gleichzeitig eine gute Grundlage für viele Sportarten dar, in denen die EF stark gefordert sind“ (Kubesch/Walk 2009, S. 315). Dabei wird davon ausgegangen, dass die Förderung exekutiver Funktionen insbesondere in sozialer Interaktion gelingt (Posner/Rothbarth 2007; in Kubesch/Walk 2009). Achtung! Fertig! Fex! stellt folglich die Förderung selbstregulatorischer Kompetenzen der Kinder innerhalb der Gruppe in den Vordergrund und bezieht neben der kognitiven Kontrolle vielfältige emotionale Prozesse mit ein. „Da sich insbesondere kleinere Kinder mit großer Freude häufig und intensiv bewegen und
zudem sehr gerne spielen, ist davon auszugehen, dass bei der Ausführung der Bewegungsspiele v. a. die Entwicklung der kindlichen Selbstregulation gefördert wird“ (Kubesch/Walk 2009, S. 316). Die Achtung! Fertig! Fex!Bewegungsspiele stellen ergo einen vielversprechenden Förderansatz dar, dessen faktischer Trainingseffekt auf die exekutiven Funktionen und die damit verbundene Verhaltensweisen und Lernleistungen der Kinder allerdings noch wissenschaftlich abgesichert werden muss.
Hat die Diskussion um exekutive Funktionen einen Aussagewert für die psycho-motorische Entwicklungs-förderung?Bei dem hier vorgestellten (Praxis) Konzept ging es vornehmlich darum, den Diskussionsstand zur Profilierung des Themas Bewegung und Körperlich-keit aus dem Ansatz der exekutiven Funktionen herzuleiten. In dieser Weise ist diese Diskussion auch für den psychomotorischen Fachdiskurs interessant. Einerseits ist es betrüblich festzustellen, dass empirische Befunde der Psychomotorik die Fachdiskurse der Nachbardisziplinen noch nicht erreicht haben. Anderseits ist es eine erfreuliche Erkenntnis, dass in transdisziplinärer Perspektive Bewegungsaktivität und Körperlichkeit im Rahmen multimodaler Interventionsstrategien und Förderarbeit eine zunehmende Berücksichtigung erfahren.
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Psychomotorik im Kontext der Gesundheits förderung – eine Sicht von außen
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Determinante den sozialen Status. Je weiter unten jemand auf der sozialen Rangskala steht, desto geringer ist seine Lebenserwartung und desto größer seine Anfälligkeit für Krankheiten. Danach folgen belastende Lebensumstände, ein nicht optimaler Lebensstart, soziale Ausgrenzung, Stress am Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit, mangelnde soziale Unterstützung, Sucht und schlechte Ernährung. Weiter wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der modernen Technik eine Verkehrspolitik Raum für mehr Bewegung in einer gut geplanten städtischen Umwelt schaffen muss (vgl. Wilkinson/Marmot 2004). Nicht nur die Einflussfaktoren der Gesundheit sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung, sondern auch die Definition von Gesundheit. Ein moderner und breit angelegter Ansatz kommt von der schwedischen Gesundheits
Die Bedingungen von Gesundheit und Krankheit werden von verschiedenen Wissen-schaftsdisziplinen und Berufsgruppen in ihrer jeweils geprägten Sichtweise gesehen. Aus diesen Gründen werden die Vorgehensweisen zur Förderung von gesundheit-lichen Bedingungen häufig auch kontrovers diskutiert. Um eine wirkungsvolle und evidenzbasierte Praxis zu entwickeln, ist es sinnvoll, sich mit den unterschiedlichen Sichtweisen und Theorien auseinanderzusetzen. Dies gilt auch für die Teilbereiche des Gesundheitswesens. Der Beitrag stellt in einem Überblick das Handlungsfeld Gesundheit, deren Akteure und Möglichkeiten dar. Weiterhin wird auf ein Schul-projekt eingegangen, um dann am Ende den Bezug zur Psychomotorik herzustellen.
Gabriele HanneBehnke
Psychomotorik im Kontext der Gesundheits-förderung – eine Sicht von außen
Prof. Dr. Gabriele HanneBehnkePhysiotherapeutin, DiplomMedizinpädagogin, Professorin für Physiotherapie im Fachbereich Gesundheit, Prodekanin an der Hochschule Fresenius Standort Hamburg, Schwerpunkte: Pädiatrie, Neurologie. Arbeitsschwerpunkte: klinische Psychomotorik, Elternberatung
Anschrift der Verfasserin:Fachbereich Gesundheit20148 Hamburg, Alte Rabenstr. 2EMail: gabriele.hannebehnke@
hsfresenius.de
Gesundheitskonzepte
Im Bereich der Gesundheitsförderung ist es zunächst sinnvoll, dass sich die Professionellen mit ihrem eigenen Konzept von Gesundheit und damit auch mit Krankheit auseinandersetzen, um dann in einem weiteren Schritt das Konzept der jeweiligen Bevölkerungsgruppe zu erfassen. Klemperer (vgl. 2010) weist deutlich darauf hin, dass dies für eine gelungene Kommunikation notwendig ist. Er verweist auf eine englische Studie, die die Denkweise von Laien über ihr Gesundheitskonzept untersucht hat. Das Ergebnis könnte für den einen Leser logisch, für den anderen jedoch überraschend sein. Gesundheit wird in Abhängigkeit von Geschlecht, Lebensphase und verschiedenen individuellen Merkmalen unterschiedlich aufgefasst, auch die soziale Schicht spielt dabei eine bedeu tende Rolle. Für die einen ist Gesundheit „frei von Beschwerden sein“, für die anderen „Bewältigung von Krankheit“ (bis auf meine Allergie geht es mir gut) oder ein Zeichen von Fitness, körperlicher Vitalität oder Wohlbefinden. Ältere Menschen sind zufrieden, dass sie noch bestimmte Dinge tun können, Frauen fühlen sich gesund in einer guten Beziehung, aber auch eine gesunde Lebensweise (Nichtraucher, Sportler) wird mit dem Begriff „Gesundheit“ gleichgesetzt (vgl. ebd., 115).Public Health (dt. Gesundheitswissenschaften), als eine der Bezugswissen
schaften der Gesundheitsförderung, befasst sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen von Gesundheit und Krankheit. In Abgrenzung zur Individualmedizin beschäftigt sie sich mit der Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung. Die Strategien zielen darauf ab, Bedingungen zu entwickeln, in denen Menschen gesund aufwachsen können, und dabei lokale, nationale sowie internationale Reserven zu mobilisieren. Letztendlich geht es um ein gemeinschaftliches Handeln für eine nachhaltige, bevölkerungsweite Verbesserung der Gesundheit. Gesundheitsressourcen sollen durch nichtmedizinische Interventionen gestärkt werden. Das amerikanische Center for Disease Control and Prevention kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass 25 Jahre der fast gewonnenen 30 Jahre an Lebenserwartung den PublicHealthMaßnahmen zuzurechnen sind. Die weiteren fünf Jahre werden den medizinischen Maßnahmen zugeordnet. Diese Aussage macht deutlich, dass einige Ziele der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Rahmen der Gesundheitsförderung erreicht worden sind (vgl. ebd., 116 ff.). Neuere Ergebnisse der Gesundheitsforschung zeigen, dass die Lebensbedingungen einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit haben. Armut z. B. verringert die Chance auf ein gesundes Leben. Die Wirkung der sozialen Determinanten ist unumstritten. Die WHO nennt als wichtigste soziale
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wissenschaftlerin Eriksson. Für sie ist Gesundheit „Fitness, Wellness und ein Gefühl von Wohlbefinden“, aber auch „Glaube, Liebe und Hoffnung“ (Eriksson 2001, 27 ff.). Des Weiteren nennt sie noch Tugend, Bewegung, Integration. Gesundheit ist für sie aber auch „relativ“ (vgl. ebd.). Noch universeller fällt die Definition von Hurrelmann aus. Gesundheit ist nach seinem Verständnis ein „angenehmes und durchaus nicht selbstverständliches Gleichgewichtsstadium von Risiko und Schutzfaktoren, das zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt immer neu hergestellt werden muss“ (Hurrelmann/Franzkowiak 2003, 53 ff.). Wenn dieses Gleichgewicht gelinge, dann könne dem Leben Freude und Sinn abgewonnen werden. Dies ermöglicht „eine produktive Entfaltung der eigenen Kompetenzen und Leistungspotentiale und steigert die Bereitschaft, sich gesellschaftlich zu integrieren und engagieren“ (ebd., 53 ff.). Diese Aussage bezieht sich auf die Fähigkeiten eines Menschen, Belastungen und Probleme zu meistern. Das kommt dem SalutogeneseModell von Antonovsky (vgl. 1997) nahe. Gesundheit ist für ihn ein Prozess, der einer ständigen Veränderung unterworfen ist. Nach seiner Meinung sind Gesundheit und Krankheit entgegengesetzte Endpunkte eines Kontinuums, auf dem sich der Mensch ein Leben lang bewegt. Er muss sich aktiv mit den Faktoren auseinandersetzen, die seine Gesundheit bestimmen. Dazu gehören gesellschaftliche Bedingungen, Umweltfaktoren, Fragen des Lebensstils
und des Gesundheitssystems. Gesundheit wird damit als dynamischer Zustand verstanden, der in allen Situationen gestärkt werden kann (vgl. Hurrelmann 2010).
GesundheitsförderungDiese Denkweise stimmt weitestgehend mit der OttawaCharta überein. Die OttawaCharta war das Resultat der Ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung der WHO; sie enthält ein Leitbild, in dem Handlungsstrategien und felder der Gesundheitsförderung beschrieben sind. Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess hin, der allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihren Gesundheitszustand ermöglicht und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigt. Hervorzuheben ist die partizi pative und salutogenetische Ausrichtung, die Ressourcenorientierung und der Bezug zu den sozialen und psychischen Determinanten von Gesundheit. Damit ist die Gesundheitsförderung auch als ein multidisziplinäres Projekt mit PublicHealthAusrichtung zu sehen. Kompetenzförderung und Empowerment für den Einzelnen und für Gruppen ist eine der beschriebenen Strategien, um die bestehenden Unterschiede des Gesundheits zustandes zu verringern. Akteure innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens sollen kooperieren und sich vernetzen. In den Handlungsfeldern der Gesundheitsförderung haben die jeweiligen
Akteure unterschiedliche Aufgabenfelder. Politik und Verwaltungssektoren sollen hindernde Faktoren für Gesundheit erkennen und berücksichtigen. Es sollen gesundheitsfördernde Lebenswelten geschaffen und lokale Aktivitäten gestärkt werden. Die gesundheitsfördernden Angebote sollen den Bürger im Sinne der Selbsthilfe und autonomen Gestaltung der eigenen Gesundheitsbelange unterstützen. Die Angebote sind so auszurichten, dass persönliche Kompetenzen entwickelt werden können. Aus diesem Grunde müssen sich die Gesundheitsdienste neu orientieren, um z. B. die psychosozialen Dimensionen berücksichtigen zu können. Gesundheitsfördernde Lebenswelten werden in der Gesundheitsförderung durch den SettingAnsatz berücksichtigt. „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt“ (Klemperer 2010, 169), d. h. dort, wo gearbeitet, gespielt, gelernt, gelebt und geliebt wird. So zählt dieser Ansatz zur Bringstruktur, d. h. die Akteure begeben sich in die jeweilige Lebenswelt, während Angebote wie z. B. Rückenschulkurse oder Autogenes Training zur Kommstruktur zählen und somit auch eher der Verhaltensprävention zugeordnet werden. Zu den Settings zählen Kindergärten, Schulen, Stadtteile, Einrichtungen, Heime und Betriebe. Dieser Ansatz greift am ehesten das Gesundheitsverständnis der OttawaCharta auf. Dadurch dass die Gesundheitsförderung vor Ort stattfindet, werden auch sogenannte schwer erreichbare Gruppen wie Menschen mit geringem Einkommen oder niedriger Bildung erreicht. Die gesundheitsbelastenden Faktoren werden vor Ort ermittelt und es kann gezielt darauf eingegangen werden. In diesem Bereich der Gesundheitsförderung sind unterschiedliche Akteure zu finden. Auch die gesetzlichen Krankenkassen haben sich verpflichtet, den SettingAnsatz zu unterstützen. In ihrem Leitfaden Primärprävention nach §§ 20 und 20a SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 27. August 2010 haben sie den salutogenetischen Ansatz aufgenommen. Dieser Leitfaden bildet die Grundlage für die Unterstützung der gesetzlich Versicherten. Handlungsfelder und Kriterien sind hier für alle Akteure transparent beschrie
r Abb. 1: Einflussfaktoren auf die Gesundheit gemäss Professor François van der Linde Quelle: BAG Spectra, August 2006, Nr. 58
Psychomotorik im Kontext der Gesundheits förderung – eine Sicht von außen
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ben. Neben der betrieblichen Gesund-heitsförderung wird der Setting-Ansatz hervorgehoben. Es wird deutlich darauf hingewiesen, dass die Krankenkassen sich nur an den Kosten beteiligen, wenn Settingträger einen „angemessenen Anteil an Eigenmitteln – auch in Form von geldwerten Leistungen – in die Aktivitäten einbringen“ (GKV-Leitfaden 2010, 13). Ebenfalls ist eine Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen für alle beteiligten Akteure verpflichtend. Der Setting-Ansatz soll „Maßnahmen auf drei Ebenen beinhalten:
•Schaffungeinergesunden physikalischen und psycho- sozialen Umwelt
•IntegrationderGesundheitsförderung, Bildung und Erziehung in die Prozesse des Alltags
•VerknüpfungmitanderenSettingsdurch Netzwerke und Allianzen“
(GKV-Leitfaden 2010, 12).
ImPräventionsbericht2011,veröffent-licht im März 2012, ist nachzulesen, welche Leistungen die Krankenkassen 2010 unterstützen und wo diese mit welchen Akteuren stattgefunden haben. Hervorgehoben wird darin, dass die Krankenkassen 30 000 Settings unter-stützt haben und damit 2,4 Mio. Men- schen erreicht worden sind. Es fanden u. a. 16 000 Aktivitäten in Kitas statt und 9000 in allgemeinbildenden Schulen. Aus Sicht der Krankenkassen haben mehr Aktivitäten gegenüber den anderen Berichtsjahren stattgefunden und die Qualität der Aktivitäten ist ausgebaut worden. Als Kooperations-partner werden neben den Einrichtungen selbst z. B. Sportvereine, die gesetzliche Unfallversicherung, gewerbliche Anbieter, wissenschaftliche Einrichtun-gen, Gesundheitsämter und niederge-lasseneÄrztegenannt.Inhaltlichstandin den meisten der durchgeführten Angebote Bewegung und Ernährung an erster Stelle. Differenziert betrachtet lag der Schwerpunkt sowohl bei den jüngeren Kindern als auch bei den Berufsfachschulen und der kommunalen Gesundheitsförderung auf der Förde-rung von Bewegung. Bei weiterführen-den Schulen lag der Schwerpunkt eher auf dem gesundheitsgerechten Umgang miteinander (vgl. GKV-Leit-faden2010,25–46).InvielenSettingAngeboten wurden verhältnis- und
verhaltensbezogene Aktivitäten kombiniert. Positiv hervorzuheben ist, dass die Steigerung der Ausgaben für Setting-projekte gegenüber den früheren Berichtsjahren gestiegen ist. Erfolgs-kontrollen wurden durchgeführt, wobei alswichtigsterIndikatordieZufrieden-heit und die Akzeptanz durch die Zielgruppegenanntwird(vgl.ebd.,52).Projekte mit Steuerungskreisen waren laut dem Präventionsbericht besser aufgestellt. Damit ist die Entwicklung und Etablierung von Gesundheitszirkeln gemeint, die diese Projekte über den Projektzeitraum hinaus begleiten und dafür sorgen sollen, dass die gesund-heitsfördernden Angebote über den Projektzeitraum hinaus genutzt werden. Meist sind es Personen, die in diesem Setting arbeiten oder leben, wie z. B. Sportlehrer, Erzieher, Elternvertreter, wenn es sich um ein Settingprojekt in der Schule handelt. Über eine Nachhal-tigkeit der Projekte – auch vergangener Berichtsjahre – ist leider nichts zu lesen.DieInitiativenimSettingAnsatzsollen verstärkt gefördert werden, wobei gefordert wird, dass eben auch die „anderen Akteure die Rahmenbedin-gungen für Gesundheitsförderung“ (ebd., 103) verbessern müssen.
Ein ProjektWie ein Projekt im Rahmen des Setting-Ansatzes durchgeführt werden kann, wird am Beispiel eines Schulprojektes an einer Berliner Schule erläutert. Finanziert wurde dies u. a. von einer gesetzlichen Krankenkasse. Das Projekt an dieser Grundschule wurde auf der Grundlage der Daten des Münchner-Fitnesstests (MFT) und eines Frage-bogens durchgeführt. Die Testergebnisse des MFT zeigten deutlich, dass ein Förderbedarf bei den Schülern in den motorischen Basiskompetenzen vorhanden war. Vor allem in den Bereichen der Auge-Hand-Koordination, Körperkoordination, Beweglichkeit und Ausdauer. Wenige Kinder hatten ein ausgewogenes Fitnessprofil, die meisten wiesen ein disharmonisches Profil im Test auf. Die Ergebnisse des Fragebogens belegten, dass ein Bedarf an Stress-reduktion und Entspannung bestand. 37% der befragten Kinder wollten besser einschlafen und 76% wollten sich im Unterricht besser konzentrieren
können. Für die Durchführung und Planung des Projektes war es notwen-dig, einen Arbeitszirkel „Gesundheit“ (Projektteam) zu gründen. Dieses ProjektteamwarfürdieZielfindung,Planung und Durchführung des Projektes verantwortlich. Daran beteiligten sich die Schulleitung, drei Lehrkräfte, eine Elternvertreterin, zwei Schüler, ein Erzieher und die Leitung des Projektes.Auf Grundlage der Daten wurden Module mit 3 Themenbereichen entwickelt, die in einer Projektwoche in den Klassenstufen 3–6 durchgeführt wurden. Rückenschule – rückenfreund-licher Alltag (Ergonomie) wurde insgesamt mit 5 Unterrichtseinheiten (UEs), Entspannung mit 4 UEs und Bewegte Pause einmal für alle Klassen mit 2 UEs realisiert. Aufgrund der hohen Schülerzahl konnten nicht alle Kinder an allen Angeboten teilnehmen. Die Lehrkräfte wurden aber soweit geschult,dasssiedieInhalteinihremUnterricht einbinden konnten.Die Ziele des Projektes waren: • Reduzierung von Bewegungsmangel• Aufbau von Handlungs- und
Effektwissen zur Durchführung von Aktivitäten
• Verbesserung der Entspannungs-fähigkeit zur Stressbewältigung und Förderung der Konzentration.
Für den rückenfreundlichen Alltag erhieltendieKinderInformationenüberdie anatomischen und funktionellen Aspekte der Wirbelsäule. Darüber hinaus wurden mit ihnen ergonomische Sitzpositionen und Sitzalternativen im Schulalltag und auch für zu Hause besprochen und erarbeitet. Der zweite Teil fand in der Turnhalle in Form eines Zirkeltrainingsstatt.DieStationenbeinhalteten Rücken-, Bauch- und Ganzkörperkräftigung, Dehnungs-übungen für die verkürzte Muskulatur und Bewegungsaufgaben für die Gesamtkörperkoordination. Ergänzt wurde dies durch eine Unter-richtseinheit „Bücken, Heben und Tragen“. Das Thema „Entspannung“ wurde für die Klassenstufe 3–4 und 5–6 differenziert in zwei Modulen angebo-ten. Die Kinder lernten die Ursachen von Stress, Formen von Stress und Möglichkeiten der Stressreduktion kennen. Durch verschiedene Wahr-nehmungs- und Konzentrationsspiele, bewegte Atemübungen und das
143motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
kindgerechte Angebot der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson sowie Phantasiereisen konnten die Kinder unterschiedliche Entspannungsverfahren kennen lernen. Für die „Bewegte Pause“ erprobten die Kinder Spiele für drinnen und draußen. Dazu wurden Alltagsmaterialien verwendet, die ohne großen Kostenaufwand in den Klassen gesammelt werden können. Das Pausenspiel „Quidditch für Muggel“ wurde auf Grund der Komplexität nur in den Jahrgangstufen 4–6 mit den Kindern gemeinsam entwickelt und dann in Bewegung auf dem Pausenhof ausprobiert. Auf Wunsch der Lehrer und Erzieher wurden zwei Workshops, einmal mit dem Thema „Die Stimme des Lehrers im Schulalltag“ und zum anderen „Entspannung und Stressreduktion“ organisiert. Die Inhalte wurden den Bedürfnissen der Teilnehmer angepasst und so war es möglich, auch für diese Personengruppe gesundheitsfördernde Aspekte zu erarbeiten.Vier Wochen später wurden innerhalb einer Doppelstunde im Rahmen des Sportunterrichtes Inhalte aus den Projekttagen wiederholt und gefestigt. Spielerische Situationen zum rückenfreundlichen Alltag, Koordinationsaufgaben für die Balance und Gleichgewichtsfähigkeit und Übungen zur Bauch und Rückenmuskelkräftigung wurden als Zirkeltraining durchgeführt. Zum Abschluss der Einheit konnten die Schüler zwischen einer Entspannungsgeschichte oder einem weiteren Spiel wählen. Die Eltern der Kinder wurden insgesamt zu drei Informationsabenden eingeladen. Nicht alle Eltern haben diese Einladungen angenommen, sodass sich meist etwa 15–20 Eltern genaues
tens informieren konnten. Alle Inhalte wurden den Kindern im Rahmen eines Portfolios mit nach Hause gegeben und somit war es möglich, dass auch die abwesenden Eltern informativ erreicht wurden. Letztendlich blieb es aber jeder Familie offen, wie sie mit diesen Anreizen weiter umgeht.In der Evaluation gaben die Kinder an, dass ihnen die Einheiten mit den Bewegungsangeboten am besten gefallen haben. Des Weiteren ist auch das Modul Entspannung gut angenommen worden. Bewegen und spielen, sich entspannen sind für die Kinder wichtige Faktoren. Es zeigte sich schon während des Projektes, dass Schüler in Pausen die Elemente der Pausengestaltung umsetzten, ihre Sitzpositionen wechselten und sich gut informiert zeigten.Der nächste Schritt eines solchen Projektes ist die Umsetzung in den Alltag der Schule durch die Lehrkräfte, Erzieher und Eltern. Der etablierte Gesundheitszirkel hat nun die Aufgabe, dass die Kinder an dieser Schule vermehrt das Angebot der bewegten Pause nutzen, auf den gesundheits
fördernden Arbeitsplatz achten und die gelernten Entspannungsmöglichkeiten nach Bedarf einsetzen und dabei von den Erwachsenen unterstützt werden. Letztendlich wäre es jetzt notwendig zu überprüfen, welche Angebote nachhaltig im Setting die Verhältnisse und das individuelle Verhalten der Personen zugunsten eines gesundheitsförderlichen Verhaltens verändert haben.
Gesundheitsförderung und Psychomotorik
In der Gesundheitsförderung steht Bewegung in vielen Projekten an erster Stelle. Bewegung und Spiel waren auch die Elemente, die es in dem beschriebenen Projekt möglich machten, Zugang zu den Kindern und zu deren Bedürfnissen zu finden. Mit Hilfe der Erwachsenen war es möglich, die Spiele in den Pausen zu etablieren, die neben dem gesundheitsfördernden Aspekt auch die Entwicklungspotenziale der Kinder berücksichtigten. Dazu gehörten auch die unterschiedlichsten Angebote der Entspannung, die sich die Kinder selbst aussuchten. In diesem Zusammenhang sind die Schlüsselbegriffe Selbstwirksamkeit und Stärkung der psychosozialen Ressourcen zu nennen. Kinder, die die Überzeugung haben, etwas selbst bewirken zu können, fühlen sich gestärkt und können Handlungen auf andere Situationen übertragen. Unter Selbstwirksamkeit wird einerseits das Wissen einer Person über ihre Fähigkeiten verstanden, mit deren Hilfe sie mögliche Probleme oder neue Anforderungen lösen kann, und andererseits das Gefühl, sein Leben unter Kontrolle zu
r Bewegte Pause
r Dehnungsübungen für die verkürzte Rückenmuskulatur
Psychomotorik im Kontext der Gesundheits förderung – eine Sicht von außen
144 motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
haben (vgl. Fischer 2009, 89). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Selbst konzeptförderung in der Psychomotorik hinzuweisen. Kinder mit einem positiven Selbstkonzept fühlen sich gewachsen, Probleme meistern zu können, dagegen erleben Kinder mit einem negativen Selbstkonzept Herausforderungen als bedrohlich und überfordernd (vgl. Zimmer 2006, 56 ff.). Auf die gesundheitswissenschaftliche Perspektive innerhalb der Psychomotorik weist Fischer (vgl. 2009, 248) in seinen Ausführungen deutlich hin:
Die „Beschäftigung mit dem Fähigkeits und Selbstkonzept des Kindes im psychomotorischen Konzept“ (ebd., 260) leistet seiner Meinung nach bereits einen Beitrag, um Forschungsergebnisse zu Salutogenese und Resilienz in das Bildungs und Gesundheitssystem zu integrieren (vgl. ebd.). Psychomotorische Förderung könnte einerseits als konzeptioneller Bestandteil integriert werden oder andererseits auch als Förderungsbestandteil in den einzelnen Angeboten. Die konzeptionelle Ausrichtung könnte die Gestaltung der
einzelnen Räume, der Lernumgebung und des Außengeländes betreffen. Des Weiteren müssten die dort tätigen Fachkräfte (Lehrer, Erzieher usw.) entwicklungsfördernde Angebote und Handlungen ermöglichen. Förderungen in den einzelnen Angeboten könnte bedeuten, dass die Sportstunden in der Schule nach psychomotorischen Grundprinzipien gestaltet werden. Dies sollte dann u. U. ebenfalls die Nachmittagsangebote betreffen, die z. B. außerhalb des Schulunterrichtes angeboten werden. Die Bildung von Netzwerken könnte bedeuten, dass auch bei Bedarf dementsprechende Hilfen vor Ort wie z. B. psychomotorische Therapie oder Beratung stattfindet. Auch Elterncafés wären denkbar. Das würde die Kompetenzen aller im Setting lebenden Personen stärken. Die drei wichtigsten Kernstrategien der OttawaCharta sind befähigen, vermitteln und vertreten. Eine nachhaltige Gesundheitsförderung benötigt Ressourcenorientierung und Empowerment. Für eine stärkere Verortung der Psychomotorik in diesem Feld ist es demnach von entscheidender Bedeutung, dass sie theoretische und praktische Anknüpfungspunkte für die Stärkung personaler und sozialer Ressourcen entfaltet bzw. weiterentwickelt.
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r Abb. 2: Das hat uns gut gefallen
145motorik, Schorndorf, 35 (2012), Heft 3
Jahreshaupt-versammlungAm 27.10.2012 findet die diesjährige Jahreshauptversammlung am IfL in Marburg, Barfüsserstr. 1 statt. Wie in den letzten Jahren auch, werden wir zunächst um 10.00 Uhr mit einem offenen Zusammentreffen mit Frühstückmöglichkeit beginnen, bevor wir uns ab 11.00 Uhr einer Thematik zuwenden werden, die uns Motologen im beruflichen Alltag immer wieder beschäftigt: „Motologische Identität: Auf der Suche nach dem Kern“. Zu unserer großen Freude konnten wir zur Auseinandersetzung mit dieser Thematik Prof. Dr. Holger Jessel als Referenten gewinnen. Weitere Informationen zu diesem Workshop finden sich unten. Wie immer ist diese Fortbildung für Mitglieder des BVDM kostenlos. Interessierte anderer Berufsgruppen und Motologen, die nicht im
Mitteilungen des Berufsverbandes der Motologen – Diplom / Master e. V.
BVDM sind, sind natürlich auch herzlich willkommen. Hier erheben wir einen Unkostenbeitrag von 15 € für die Fortbildung.Am Nachmittag werden wir uns in der Mitgliederversammlung wieder verbandsinternen Themen stellen. Neben den obligatorischen formalen Tagesordnungspunkten gilt es weitere Ziele und Ideen zu entwickeln, um unser Berufsbild im öffentlichen Leben zu stärken. Wir freuen uns auf dieses immer wieder sehr konstruktive Zusammentreffen.
Fortbildung: „Moto-logische Identität: Auf der Suche nach dem Kern“Was macht die Motologie so besonders? Was macht uns als Motologinnen und Motologen aus? Was ist der Kern dessen, was wir aktuell in der Praxis, in der For
schung und in der Aus, Fort und Weiterbildung tun bzw. in der Vergangenheit getan haben und in Zukunft tun sollten? Was verbindet die Motologie mit sich selbst, aber auch mit anderen Disziplinen und Professionen? Warum und inwiefern wirkt die Tätigkeit von Motologinnen und Motologen? Haben wir es dabei mit Alleinstellungsmerkmalen zu tun? Gibt es so etwas wie einen Kern der Motologie überhaupt und wenn ja, wie lässt er sich beschreiben und kommunizieren?In diesen Fragen nach der oder einer motologischen Identität werden wir theoretische und praktische Felder zusammenführen, gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen thematisieren und Perspektiven entwerfen für eine zukunftsfähige Positionierung der Motologie. Dabei soll vor allem die Berufspraxis unter die Lupe genommen werden, um
sowohl die Potenziale als auch die Entwicklungsmöglichkeiten und notwendigkeiten der Motologie im Dialog zu erarbeiten. Bitte bewegungsfreundliche Kleidung mitbringen.
Referent:Prof. Dr. phil. Holger Jessel, Dipl.Motologe, Professor für Kindheitswissenschaften an der Evangelischen Hochschule Darmstadt; von 2003 bis 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Masterstudiengang Motologie an der PhilippsUniversität Marburg, Weiterbildung in Systemischer Therapie und Beratung, Moderationstätigkeit, Dozent der Deutschen Akademie für Psychomotorik (dakp), Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Motorik“, Vorstandsmitglied des Aktionskreises Psychomotorik (AKP).
D. Beckmann-Neuhaus
Laudatio
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Geboren am 06.03.1932 in Gescher (NRW) besuchte Georg Kesselmann dort bis 1949 die Volks und Realschule, um danach eine Lehre als Damen und Herrenschneider abzuschließen. Bis 1955 übte er diesen Beruf als Geselle aus. 1955 bestand G. K. die Begabtensonderprüfung und studierte in Köln an der Sporthochschule mit dem Abschluss 1958 als Diplomsportlehrer.Als Sportlehrer unterrichtete er bis 1962 am LeibnitzGymnasium in Altenessen und an der höheren Privatschule in Windhuk (Südwest afrika). 1963 bis 1965 Studium an der Pädagogischen Hochschule Osnabrück für das Lehramt an Grundschulen. In dieser Zeit lernte er E. J. Kiphard im Rahmen eines Forschungsauftrages am Institut für Jugendpsychiatrie und Heilpädagogik in Hamm kennen und beteiligte sich an den grundlegenden Untersuchungen zum späteren KörperKoordinationstest für Kinder (KTK). Die Begegnung mit dem psychomotorischen Gedankengut sollte seine weitere berufliche Laufbahn wesentlich bestimmen.Bis 1969 arbeitete G. K. als Grundschullehrer und ging dann 5 Jahre als Lehrer und Trainer wieder nach Windhuk. Von 19751977 leitete er den Fachbereich Psychomotorik und spezielle Pädagogik an der Jugendpsychiatrie in Neuenkirchen. Im Sportinstitut der Universität Osnabrück erhielt er 1978 die Stelle eines Wissenschaftlichen Assistenten, studierte gleichzeitig Erziehungswissenschaften und Psychologie mit dem Abschluss als DiplomPädagoge. 1990 promovierte er im Fachgebiet Psychologie der Behinderungen an der Universität in Hannover bei Prof. D. Eggert. In der Aufbruchstimmung der Psychomotorik haben wir mit viel Spaß zusammen gearbeitet, diskutiert und gefeiert. Wir nannten ihn Aucki, der auch auf Suaeli scherzhafterweise antworten konnte. Als Freund, als Mitstreiter und kompetenter Psychomotoriker haben wir ihn schätzen gelernt.
Es war schon etwas besonderes, Aucki bei seiner Arbeit mit Kindern zuzusehen: Wie ein Dompteur hatte er alle Kinder im Blick, wie an unsichtbaren Fäden dirigiert, animierte er die Kinder zu freudvollen Bewegungsabläufen, die sie ohne diese enorme Motivation nicht geschafft hätten. Und sie lernten dabei. Was wie Spiel aussah, war ein freudvolles Erfahren neuer Bewegungsmuster und das Miteinander mit anderen Kindern. Aus seiner Afrikazeit brachte er Trommeln mit oder benutze andere Musikinstrumente, um die Kinder und Jugendlichen in ihren Bewegungsaufgaben ohne Sprachunterstützung zu dirigieren.Er konnte nicht nur Kinder und Jugendliche mit „seiner Psychomotorik“ begeistern, unzählige Krankengymnastinnen und Ergotherapeutinnen waren von seinen Fortbildungsveranstaltungen fasziniert. Er hat es verstanden, die Idee der Psychomotorik in der praktischen Ausführung emotional zu vermitteln wie kaum ein anderer. Dabei ist er immer bescheiden und zurückhaltend geblieben, er hat eher untertrieben und sein „Licht unter den Scheffel“ gestellt. Kaum hat man ihn und seine Erfolge in der Öffentlichkeit bemerkt, da er es auch gemieden hat, z. B. im Aktionskreis Psychomotorik irgendwelche Ämter oder Funktionen zu übernehmen. Mehr kennt man ihn aus zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen oder durch sein Mitwirken an den Curricula verschiedener Motopäden und Gymnastikschulen. Dr. Georg Kesselmann hat in wissenschaftlicher Hinsicht einiges geleistet. Ich erinnere daran, dass er als Erster mit Erfolg das Lesenlernen in die Turnhalle oder mit dem DreierCircuit eine alte Trainingsidee aus dem Sportunterricht in eine erstaunlich psychomotorisch orientierte pädagogische Übungsform gebracht hat. Diese Übungsform eignet sich in besonderer Weise Koordination und Geschicklichkeit leistungsschwacher Kinder zu fördern, um ihnen mehr
Selbstvertrauen und eine besseres Verständnis untereinander zu vermitteln. Ebenso wichtig sind die Langzeitstudien in seiner Disserta tion, die positive Persönlichkeitswirkungen seiner psychomotorischen Therapie in der Klinik bis ins Jugendalter nachweisen.Seit Jahrzehnten hat Aucki Kesselmann das Therapieangebot der ClemensAugustJugendklinik durch eine päd agogischpsychomotorische Therapieform mit integrierten Sport anteilen geprägt und damit den Ruf der Klinik deutschlandweit begründet – so der Chefarzt der ClemensAugustJugendklinik zu seinen Verdiensten. Auch mit 80 Jahren ist Georg Kesselmann noch aktiv, als gern gesehener Unterhalter im Freundeskreis beliebt und diskutiert noch gern über seine Arbeit. Möge er weiterhin so lebendig sich am Alltagsgeschehen beteiligen und voller Genugtuung auf sein reiches Leben zurückblicken, auf das, was er alles mit hoher Motivation und Durchhalte vermögen erreicht hat.
Friedhelm Schilling
Laudatio
Pionier der Psychomotorischen Therapie Dr. Georg Kesselmann wurde 80 Jahre
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SummariesStephanie Bahr, Kristin Kallinich, Wolfgang Beudels, Klaus Fischer, Gerd Hölter, Christina Jasmund, Astrid Krus, Stefanie KuhlenkampClassification of semantic fields of movement for educational and developmental processes during childhoodThis contribution is part of the joint research project “movement in early childhood (BiK)” that examines the value of the educational field of movement in the landscape of training and further training in preschool education. In this article, the results of reviewing the (inter)national and interdisciplinary discourses on the importance of movement and physicality for educational and developmental processes in childhood are presented. For the field of research four fields of meaning are identified and structured.
Susanne Amft, Brigitta Boveland, Kathrin Hensler Häberlin, Beatrice Uehli Stauffer“To resonate and to be ready to resonate”: A study of the theoretical concepts and professional selfimage of psychomotor therapistsIn this study, the theoretical orientations and principles are described that form the basis of the everyday therapeutic behavior of psychomotor therapists in Switzerland. This question is of great interest especially
today, as the interactive and preventive work in school, which is required by law, also affects the profession of psychotherapists. Four thematic areas can be identified. These include the reference theories that are relevant for psychomotor therapy, the work methods and goals of therapy derived from this, and the relationship between the therapist and the child and its environment. The study provides information about a professional selfimage, which moves within the area of conflict between education and therapy and must face the challenges of a changing educational reality.
Kimon BlosIn search of a meaningful unit: the impetus of individual psychology for motologySo far, individual psychology (IP) has played hardly any role in the professional discourse of motology and psychomotricity, even though it totally fulfils their criteria for a reference. The author outlines the theoretical basis of IP and holds that the quest of IP to understand the individual comprehensively through organ diaIect and law of movement is a valuable starting point for motology and psychomotricity. In his opinion, the psychomotor priority and teIoanalysis is a new specialist approach that
makes use of individualpsychological insights and focuses on the individual problemsolving strategies from the point of view of praxeology.
Michael Kroll, Andreas NeubrandDigital games – Exergames compared with traditional forms of training with senior citizensIn this paper, a scientific study on the subject of digital games (Exergames) and senior citizens, and the physiological effects of this interactively controlled training on strength and coordination are presented and compared with a conventional form of training. Strength and coordination play an important role at old age, especially as far as fall prevention is concerned, and can be well trained at old age. However, for various reasons (including supply, motivation, barriers) conventional training programs are often not attractive enough for the participants to start on them or to take part in them regularly. That is why in this study it has now been investigated whether it is possible to improve strength and coordination in healthy older people through an eightweek training using the wholebody motion sensing input device Microsoft Kinect.
Peter Schlink, Klaus FischerAD(H)S – In the brain or in the body? The discovery of the executive functionsIn this article, the importance of the executive functions for explaining the construct of AD(H)S and the promotion of children are described. After clarifying the neuroscientific basics, practical concepts of the professional discussion are utilized for practical work. In doing so, exemplary research findings of previous psychomotor efficiency studies are also considered.
Gabriele Hanne-BehnkePsychomotricity in the con text of health promotion – a view from outsideDifferent scientific disciplines and professional groups look at the conditions of health and disease from their respective perspective. For these reasons, the procedures for the promotion of health conditions are often discussed controversially. To develop an effective and evidencebased practice, it makes sense to deal with the different perspectives and theories. This also applies to the partial areas of the health system. This article presents an overview of the field of action of health, its representatives and possibilities. In addition to this, a school project is dealt with, and finally the reference to psychomotricity is established.
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Summaries / Résumés
RésumésStephanie Bahr, Kristin Kallinich, Wolfgang Beudels, Klaus Fischer, Gerd Hölter, Christina Jasmund, Astrid Krus, Stefanie KuhlenkampClassification de champs sémantiques du mouvement pour les processus d’éducation et de développement en bas âgeLa contribution est intégrée au projet de groupement de recherches «Le mouvement en bas âge (BiK)» qui examine l’importance du domaine d’éducation Mouvement dans le paysage de formation et de formation continue. Ici sont présentés les résultats de l’examen des discours d’experts (inter) nationaux interdisciplinaires à propos de l’importance du mouvement et du corporel dans les processus d’éducation et de développement. Pour le champ de recherche quatre interprétations sont identifiées et structurées.
Susanne Amft, Brigitta Boveland, Kathrin Hensler Häberlin, Beatrice Uehli Stauffer«Vibrer en même temps et disposition de résonance …»Une étude sur les conceptions théoriques et l’idée que l’on a de soimême concernant les thérapeutes de psychomotricitéL’étude décrit les orientations théoriques et les principes de base selon lesquels les thérapeutes de psychomotricité fonctionnent en Suisse dans la vie quotidienne. Cette question est justement aujourd’hui de grand intérêt, puisque le travail intégratif
et préventif exigé par le législateur à l’école touche également la profession des thérapeutes de psychomotricité. Quatre domaines de thèmes se laissent mettre en évidence. Ceuxci comprennent les théories de relation relevantes pour la thérapie psychomotrice et les façons de travailler et les buts thérapeutiques qui s’en dégagent ainsi que la relation entre thérapeute et enfant et son environnement. L’étude explique l’idée que l’on a de soimême au niveau professionnel qui se meut dans la zone conflictuelle entre pédagogie et thérapie et qui doit se soumettre aux exigences d’une réalité scolaire en plein changement.
Kimon BlosA la recherche de l’unité judicieuseImpulsions de psychologie individuelle pour la motologieLa psychologie individuelle (IP) n’a joué jusqu’ici que peu de rôle dans le discours d’experts de la motologie/psychomotricité, bien qu’elle remplisse les critères de celuici en référence à cellelà de façon globale. L’auteur esquisse les théories fondamentales de l’IP et met en évidence, avec son effort de comprendre l’individu globalement par le biais de dialecte organique et de loi du mouvement, des points de départ précieux pour la motologie/psychomotricité. Il renvoie à l’aide de l’analyse des priorités
psychomotrices et téléo à une nouvelle approche qui se sert des conclusions de la psychologie individuelle et se focalise de façon pratique sur les stratégies individuelles de résiliation de problèmes.
Michael Kroll, Andreas NeubrandLe jeu digital – exergames en comparaison avec les formes d’entraînement traditionnelles chez les personnes âgéesDans cette contribution une étude scientifique avec le thème de jeu digital (exergames) et personnes âgées et les conséquences physiologiques de cet entraînement dirigé de façon interactive sur la force et la coordination est présentée et comparée à une forme d’entraînement traditionnelle. La force et la coordination à l’âge, surtout en vue d’une prophylaxie de chute, sont essentielles et se prêtent bien à l’entraînement à l’âge. Cependant les programmes d’entraînement traditionnels, pour des raisons différentes, manquent souvent d’attractivité pour les participants (entre autres offre, motivation, barrières) pour les commencer ou les exercer régulièrement. C’est pourquoi il a été examiné dans cette étude, si on peut améliorer la force et la coordination chez des personnes âgées saines par un entraînement de huit semaines à l’aide de la mise en marche corporelle Microsoft Kinect.
Peter Schlink, Klaus FischerTDA/H – dans le cerveau ou dans le corps? La découverte des fonctions exécutivesLa contribution décrit l’importance des fonctions exécutives pour l’explication de la construction TDA/H et le développement d’enfants concernés. Suite à l’éclaircissement des bases de la neuroscience, des concepts valables pour la pratique de la discussion d’experts pour le travail pratique sont exposés. A ce propos des résultats de recherche exemplaires d’études d’efficacité psychomotrice jusqu’à présent sont respectés.
Gabriele Hanne-BehnkeLa psychomotricité dans le contexte de la salubrité – une vue de l’extérieurLes conditions de santé et de maladie sont vues par les différentes disciplines scientifiques et professionnelles dans leur optique respective. C’est pourquoi les procédures pour développer les conditions de santé sont discutées souvent de manière controverse. Pour développer une pratique efficace et basée sur l’évidence, il est raisonnable d’étudier les différentes façons de voir et théories. Ceci vaut également pour les domaines partiels de la santé. La contribution présente dans une vue d’ensemble le champ d’action santé, ses acteurs et possibilités. En plus, un projet d’école est décrit pour établir finalement la relation avec la psychomotricité.