Injektionen und Punktionen - Simon · Hintergrund Injektionen und Punktionen gehören zu den...

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Anforderungen an die Hygiene bei Injektionen und Punktionen Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI) Priv. Doz. Dr. med. Arne Simon Pädiatrische Onkologie und Hämatologie Universitätskinderklinik Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar Email: [email protected] 8. Hygieneforum Bonn Neue Erfahrungen und Erkenntnisse in der Hygiene 08. September 2011

Transcript of Injektionen und Punktionen - Simon · Hintergrund Injektionen und Punktionen gehören zu den...

Anforderungen an die Hygienebei Injektionen und Punktionen

Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene undInfektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI)

Priv. Doz. Dr. med. Arne SimonPädiatrische Onkologie und HämatologieUniversitätskinderklinikUniversitätsklinikum des Saarlandes,Homburg/SaarEmail: [email protected]

8. Hygieneforum Bonn

Neue Erfahrungen und Erkenntnisse in der Hygiene

08. September 2011

Arbeitsgruppe

Die Empfehlungen wurden ehrenamtlich und ohne Einflussnahmekommerzieller Interessengruppen im Auftrag der Kommission fürKrankenhaushygiene und Infektionsprävention bearbeitet von

Prof. Dr. med. Matthias Trautmann (Leiter der AG), Stuttgart

PD Dr. med. Martin Bald, Stuttgart;

Prof. Dr. med. Axel Kramer, Greifswald;

Prof. Dr. med. Joachim Martius, Agatharied;

Frau Erika Voggesberger, Regensburg (Hygienefachschwester)

Prof. Dr. med. Manfred Weiss, Ulm;

Dr. Nicoletta Wischnewski, Berlin und Dr. Alfred Nassauer (für dasRKI)

Hintergrund

Injektionen und Punktionen gehören zu den häufigsten invasivenEingriffen in Krankenhäusern, Arztpraxen und in der sonstigenambulanten Versorgung.

-Das Spektrum der hier behandelten Injektionen und Punktionenreicht von kurz dauernden, gering invasiven Eingriffen wie z. B.Blutentnahmen oder intrakutanen Applikationen bis hin zu tiefenPunktionen / Injektionen mit großlumigen Punktionsnadeln.

Es schließt fernerhin Punktionen ein, die der Anlage einer für kurzeZeiträume liegen bleibenden Nadel (z. B. Butterfly) und der Insertionvon perkutanen Kathetern dienen, sofern es sich nicht umGefäßkatheter handelt.

Die Empfehlung der KRINKO zu Gefäßkatheter assoziiertenInfektionen (2002) wird aktuell überarbeitet.

Zwischenanalysen hatten bisher keinen signifikantenÄnderungsbedarf ergeben.

Infektionsrisiko

- allgemeine Abwehrlage des Patienten (Immunsuppression?)

- Ort der Punktion: z.B. Fehlen natürlicher Infektabwehrmechanismenin abgegrenzten sterilen Körperhöhlen (Gelenkhöhlen, Liquorraum)

- Rahmenbedingungen der Punktion (z. B. Notfallbedingungen,komplexe technische Abläufe, Spitzenwechsel bei liegender Nadel)

- Eigenschaften des applizierten Arzneimittels (z. B. Corticosteroide)

- Erfahrung des Ausführenden, z. B. beim Legen eines Peridural-Katheters, eines Tenckhoff Katheters oder einer perkutanenendoskopischen Gastrostomie (PEG)

- Liegedauer eines Katheters (z.B. PDA Katheter, externeLiquordrainage)

Entzündung an einer PEG Eintrittsstelle

ha-MRSA kolonisiertes schwerbehindertes Mädchen.... Unverträglichkeitsreaktion nach lokaler Applikation

von medizinischem Honig

Kategorie IV:Anforderungen, Maßnahmen und Verfahrensweisen,die durch allgemein geltende Rechtsvorschriften zubeachten sind.

Kategorie III:Maßnahmen, über deren Wirksamkeit nurunzureichende oder widersprüchliche Hinweisevorliegen, deshalb ist eine Empfehlung nicht möglich.

Kategorie II:Diese Empfehlung basiert aufhinweisenden Studien / Untersuchungen und strengen,plausiblen und nachvollziehbaren theoretischenAbleitungen.

Kategorie IB:Diese Empfehlung basiert aufklinischen oder hochwertigen epidemiologischenStudien undstrengen, plausiblen und nachvollziehbarentheoretischen Ableitungen.

Kategorie IA:Diese Empfehlung basiert aufgut konzipierten systematischen Reviews odereinzelnen hochwertigen randomisierten kontrolliertenStudien.

Neue Kategorien derKRINKO Empfehlungen

2010

Bundesgesundheitsbl2010 · 53:754–756

? Category ICRequired by state or federal regulations, rules, orstandards.

Kategorie IV:Anforderungen, Maßnahmen und Verfahrensweisen,die durch allgemein geltende Rechtsvorschriften zubeachten sind.

Unresolved issue.Represents an unresolved issue for which evidence isinsufficient or no consensus regarding efficacy exists.

Kategorie III:Maßnahmen, über deren Wirksamkeit nurunzureichende oder widersprüchliche Hinweisevorliegen, deshalb ist eine Empfehlung nichtmöglich.

Suggested for implementationand supported by suggestive clinical or epidemiologicstudies or a theoretical rationale.

Kategorie II:Diese Empfehlung basiert aufhinweisenden Studien / Untersuchungen undstrengen, plausiblen und nachvollziehbarentheoretischen Ableitungen.

Strongly recommended for implementationand supported by some experimental, clinical, orepidemiologic studies and a strong theoreticalrationale;or an accepted practice (e.g., aseptic technique)supported by limited evidence.

Kategorie IB:Diese Empfehlung basiert aufklinischen oder hochwertigen epidemiologischenStudien undstrengen, plausiblen und nachvollziehbarentheoretischen Ableitungen.

Strongly recommended for implementationand strongly supported by well designedexperimental, clinical, or epidemiologicstudies.

Kategorie IA:Diese Empfehlung basiert aufgut konzipierten systematischen Reviews odereinzelnen hochwertigen randomisiertenkontrollierten Studien.

CDC 2011Am J Infect Control 2011; 39:S1-S34

KRINKO 2010Bundesgesundheitsbl 2010; 53:754–756

Räumliche Voraussetzungen

Wissenschaftliche Studien, welche die Infektionsrate bei Punktionenunter verschiedenen räumlichen Bedingungen vergleichen,

existieren nicht.

? invasive Eingriffe, die in zur Pflege oder Behandlung vonPatienten geeigneten Räumen durchgeführt werden können.

Eine Raumlufttechnische (RLT-) Anlageist aus infektionspräventiven Gründen nicht notwendig.

Wenn eine Arbeitsfläche zur Vorbereitung benötigt wird, so ist diesevor Umgebungskontamination, z. B. Spritzwasser, zu schützen (Kat.

II)Sicherheitsabstand (oder Trennwand) zu einem Waschbecken

Die Arbeitsfläche muss leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein(Kat. II)

Zubereitung von parenteralen Arzneimittelnzur Anwendung am Patienten

Es geht hier nicht um die Zubereitung unter Reinraumbedingungenin der Apotheke, sondern um die Zubereitung auf Station / in der

Ambulanz...

Herstellerinformationen beachten, die sich ausder Packungsbeilage und der Fachinformation ergeben.

Gemäß §§ 11 und 11a Arzneimittelgesetz (AMG) sind beideDokumente Bestandteil der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines

Arzneimittels.

Art und Dauer der Anwendung, Lagerung, chemisch-physikalischeHaltbarkeit nach Auflösung und Mischbarkeit mit anderen

Substanzen.

.

Zubereitung von parenteralen Arzneimittelnzur Anwendung am Patienten

Injektions- bzw. Infusionsflaschen und Ampullenmüssen durch Sichtprüfung auf Verfärbungen, Trübungen und

Defekte überprüft werden.

Bei Auffälligkeiten dürfen die Gefäße nicht verwendet werden.

Das Ereignis ist dem Hersteller zu melden.

? am besten über die Krankenhausapotheke

Arzneimittel in Mehrdosisbehältnissen sindvom Hersteller als solche explizit deklariert

? Aussagen zur maximal möglichen Lagerdauer des Arzneimittelsim angebrochenen Zustand, Bedingungen der Lagerung und

Mehrfachentnahme

Auf angebrochenen Mehrdosenbehältnissen sind das Anbruchdatumund die Verwendungsdauer zu vermerken (Kat. IV).

Zubereitung von parenteralen Arzneimittelnzur Anwendung am Patienten

Entnahmespikes… mit oder ohne Verschlussmachen aus einemEindosisgebinde keinMehrdosisbehältnis.

‚Minispikes‘… sind nur zur vereinfachtenEntnahme größerer Volumina(z.B. in 50ml Spritzen oder in 10einzelne Spirtzen a 10ml in einemununterbrochenen Arbeitsgang)zulässig.

Es ist zulässig, Raumluftvorzuspritzen, um die Entnahmezu erleichtern.

Schulung und Kontrolle vor Ort

Allgemein anerkannten Regeln der Standardhygiene sind einzuhalten.

Das mit der Vorbereitung von Injektionen/Punktionen betrautePersonal ist regelmäßig, z. B. durch die Hygienefachkraft oder durch

die sonst in einer Einrichtung Verantwortlichen, zu schulen.

Es ist üblich, dass über solche Unterweisungen ein Protokoll geführtwird und die Verfahrensbeteiligten dies eigenhändig unterzeichnen.

Auch sollte die Einhaltung der nachfolgend beschriebenenGrundsätze

durch Beobachtung und Bewertung der Abläufe vor Ort(z. B. durch das Hygienefachpersonal) überprüft werden.

Vorbereitung

Für jeden Patienten sind eine neue sterile Spritze und Kanüle zuverwenden. Auch Insulin-Pens müssen patientenbezogen eingesetzt

werden(Blutentnahmen kapillär mit Hautdesinfektion und Einmallanzetten).

Das Gummiseptum von Injektionsflaschen ist vor dem Einführen derEntnahmekanüle mit einem alkoholischen Desinfektionsmittel zu

desinfizieren, sofern der Hersteller nicht ausdrücklich die Sterilitätdes Gummiseptums unterhalb des Verschlusses garantiert.

Für diesen Zweck sind z. B. alkoholische Hautdesinfektionsmittelgeeignet.

Die Desinfektion des Gummiseptums kann durch Abwischen miteinem desinfektionsmittelgetränkten keimarmen Tupfer

oder mittels Einsprühen erfolgen.

Wenn die Vorbereitung des Zubehörs auf einer Arbeitsfläche erfolgt,muss diese vorher wischdesinfiziert bzw. bei Punktionen, die einenWechsel und ein zwischenzeitliches Ablegen steriler Instrumente

erfordern,

Zeitintervall bis zur Verabreichung

Die Zubereitung und das Aufziehen von Medikamenten sollunmittelbar vor der geplanten Applikation erfolgen, da In-vitro-

Studien eine Keimvermehrung nach einer bis mehreren Stunden inAbhängigkeit von der Art des Medikamentes, vom initialen

Keimeintrag und ggf. antimikrobiellen Eigenschaften von enthaltenenZusätzen gezeigt haben.

Erforderliche Ausnahmen(z. B. für die Notfallmedikamente in Ambulanzen oder Arztpraxen)

müssen vom Krankenhaushygieniker(ggf. dem niedergelassenen Arzt) und der zuständigen Apotheke

(ggf. unter Hinzuziehung weiteren Sachverstandes in der jeweiligenEinrichtung) in einer Standardarbeitsanweisung beschrieben werden.

Hautantiseptik

Unmittelbar vor der Punktion ist eine Hautantiseptik unter Beachtungder vom Hersteller angegebenen (Mindest-)Einwirkzeit

des Hautantiseptikums vorzunehmen.

Vergleichende Studien zeigen hinsichtlich der Desinfektionswirkungkeinen Vorteil einer Wischdesinfektion;

Studien mit klinischem Endpunkt existieren nicht.

Das Hautantiseptikum kann daheraufgesprüht oder mittels Tupfer appliziert werden.

Wenn ein Tupfer verwendet wird, richtet sich die Auswahl (keimarmoder steril) nach der mit der Punktion verbundenen Infektionsgefahr

und istim Hygieneplan punktionsspezifisch zu beschreiben.

Zusätzliche Barrieremaßnahmen

In der Literatur existieren nur wenige Studien, die wissenschaftlichbegründete Aussagen zum Stellenwert einzelner Barrieremaßnahmen(z. B. Tragen von keimarmen oder sterilen Handschuhen, Schutzkittel,

Mund-Nasen-Schutz) ermöglichen.

Im Sinne einer Risikominimierung ist zu fordern, dass von derKleidung der Durchführenden, sofern sie mit dem Patienten in

Kontakt kommen kann,keine Kontaminationsgefahr ausgehen darf.

Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes:Fallberichten oder Fallserienberichten über Meningitiden oderperidurale Abszesse nach der Anlage von rückenmarksnahen

Kathetern,die durch Rachenflora des Punktierenden

(z. B. vergrünende Streptokokken) verursacht wurden? Analogieschluss zu anderen Punktionen steriler Körperhöhlen.

Ultraschall-geführte Punktionen

Bei ultraschallgeführten Punktionen, bei denen der Schallkopf diePunktionsstelle berührt oder mit der Punktionsnadel in Kontaktkommen kann, ist der Schallkopf mit einem sterilen Überzug zu

versehen.

Bei ultraschallgeführten Punktionen, die der Insertion einesKatheters dienen, muss die sterile Ummantelung auch das

Zuleitungskabel umfassen.

Wird unsteriles Schalleitungsmedium verwendet, darf es hierdurchnicht zur Kontamination der Nadel oder des Punktionsgebietes

kommen.

Wird Schalleitungsmedium direkt an der Punktionsstelle benötigt, istalkoholisches Hautdesinfektionsmittel oder

steriles Ultraschallgel zu verenden.

Wundverband nach Punktionen

Nach Punktionen der Risikogruppen 1 und 2 (nur geringesInfektionsrisiko)

kann die Punktionsstelle mit einem keimarmen Wundschnellverbandversorgt werden.

Wurden Organe oder Körperhöhlen punktiert, ist die Punktionsstellezumindest mit einem sterilen Pflaster zu versorgen.

Der Patient ist über postpunktionelle Risiken (z. B. möglicheInfektionszeichen wie Schwellung, Schmerzen, Rötung, Fieber)

angemessen zu informierenund soll entsprechende Verhaltenshinweise

(z. B. durch Aushändigung eines Merkblattes) erhalten.

Lumbalpunktion

Kinder: Sedierung (z.B. Propofol und Ketanest)Hautantiseptik mit Polyvidonjod, Einwirkzeit 2 min*

Sterile Handschuhe, Mund-Nasen-Schutz

Die Regel für die talgdrüsenreiche Haut im Lumbalbereich(Einwirkzeit mind. 3min, besser 5min nach Hübner et al. 2011) istauf Kinder nicht anwendbar.

Lumbalpunktion

Intrathekale Applikation von Chemotherapie (z.B. MTX)- Bei Tripple-Therapie (MTX, ARA-C und Prednisolon 2-3 Spritzen)

KnochenmarkpunktionKinder: Analgosedierung (z.B. Propofol und Ketanest)

Hautantiseptik mit Polyvidonjod, Einwirkzeit 2 min*Sterile Handschuhe, Mund-Nasen-Schutz

§ 23 IfSG neu vom 20. Juli 2000 (Abs. 1 und Abs. 3)

Die KRINKO Empfehlungen unterstützen die Anwender vor Ortbei der Erstellung von Hygieneplänen und SOPs zur

Krankenhaushygiene und Infektionsprävention.

Die Beachtung der Empfehlungen der KRINKO ist für die Leiter vonKrankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen

verbindlich.Es wird vermutet, dass die jeweils aktuell gültigen Empfehlungen der

KRINKO dem Standes der medizinischen Wissenschaft auf diesemGebiet entsprechen.

Von den Empfehlungen darf abgewichen werden, wenn

? Dies fachlich ausreichend begründet wird (schriftlicheDokumentation).

? Daraus kein höheres Risiko für die Patienten hervorgeht.

Vorsicht: Hier liegt die Verantwortung eindeutig beimverantwortlichen Anwender vor Ort (Beweislastumkehr).