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Innenraum der Hagia Sophia, Istanbul

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Innenraum derHagia Sophia, Istanbul

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45SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2014

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Es ist der Raum, der verzau-bert. Seine Höhe und seineWeite; sein vergoldetesLicht und die ihn krönendeKuppel, 56 Meter hoch: tri-

umphal. Einzigartig. Oben leuchten Mo-saiken und Fresken, unten getragen vonSäulen und Wänden aus Marmor.

Selbst wenn die Sonne hereinscheint,hat der Kirchenraum in seinen Ecken et-was Geheimnisvolles. Sobald draußendie Dämmerung einbricht, wird seineAusstrahlung düster und mystisch: einmagischer Ort.

Die ganze Pracht, die gigantischenAusmaße dienten vor allem einemZweck: Die Gläubigen, die das Gottes-haus betraten, sollten staunen, gottes-fürchtig und herrscherergeben nieder-sinken. So mächtig war die Kirche! Somächtig Byzanz!

Die Botschaft wirkte. „Wir wusstennicht, ob wir im Himmel oder auf Erdenwaren“, berichteten die Gesandten desGroßfürsten Wladimir I. von Kiew im

10. Jahrhundert nach einem Besuch inKonstantinopel ihrem Herrn, „denn aufErden gibt es keinen solchen Glanz odersolche Schönheit“.

„Heilige Weisheit“ heißt das imposan-te Baukunstwerk am Bosporus, auf grie-chisch: Hagia Sophia. So lange sie eineKirche war, bis 1453, war sie die größteder Welt. Dann wurde sie zur wichtigs-ten Moschee des Osmanischen Reichs.Christliche und islamische Sakralarchi-tektur sind in dem Bau eine Symbioseeingegangen.

„Ist die Hagia Sophia wirklich soschön?“, fragt Ferudun Özgümüş, Byzan-tinist der Universität Istanbul, er willein wenig provozieren: „Oder rührt ihreSchönheit vor allem aus ihrem Ruhmund aus der Macht, die sie repräsentier-te?“ Der drahtige Istanbuler Intellektu-elle scheint jeden Winkel der Ayasofya,wie sie auf Türkisch heißt, zu kennen.Er zeigt zu den vier Seraphim, den sechs-flügeligen Engeln, die groß unter derKuppel prangen und schon bei Jesaja im

Alten Testament erwähnt sind: „Der Hei-lige Basileus träumte, dass sie den ThronGottes bewachen.“

Vor dem Siegeszug des Christentumsstand auf dem Platz der Hagia Sophiaein griechischer Tempel, der Athene ge-weiht war. Kaiser Constantius II., SohnKonstantins des Großen, ließ stattdes-sen die „Megale Ekklesia“, die GroßeKirche bauen. Sie ging bei einem Volks-aufstand in Flammen auf. Der für sie amselben Ort erbauten Basilika erging esnicht besser, sie brannte beim Nika-Auf-stand gegen Kaiser Justinian im Jahr532 nieder.

Justinian ließ die Rebellion brutalniederschlagen und befahl anschließend,die Kirche noch prächtiger und größerals zuvor neu zu errichten. Für die Kon-struktion beauftragte er die Mathemati-ker Anthemius von Tralles und Isidorusvon Milet.

Die beiden „Mechanopoioi“, wie sieauf Griechisch genannt wurden, legtenein Rechteck von 75 mal 70 Metern ausund entwarfen für ihren Bau eine stei-nerne Kuppel von einer Größe, wie essie, nur von Pfeilern gestützt, noch niegegeben hatte. Sie hatte einen Durch-messer von 30 Metern und ruhte auf vierenormen, aber geschickt verborgenenPfeilern. Der Scheitelpunkt der Kuppelerhob sich 50 Meter über dem Boden.

Für die Wahl des Materials machteJustinians Hofchronist Paulus Silentia-rius bautechnische Gründe verantwort-lich: „Drum hat der mächtige Fürst, weilBäume genügender Länge / Ihm die Na-tur versagt, nur Steine zur Kuppel ver-wendet.“ Offenbar ging es aber auch um

Die Hagia Sophia war die größte und prächtigste Kirche der Christenheit.

Sie gilt bis heute als Denkmal der grandiosen Baukunst von Byzanz.

Heilige SchönheitVon MICHAEL SONTHEIMER

Längsschnitt derHagia Sophia

Farblithografie nachW. Salzenberg, 1854

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den Feuerschutz, wie der byzantinischeHistoriker Agathias Scholastikos an-führt: „Er fasste sie aber mit gebranntenZiegeln und Mörtel ein, die er an vielenStellen durch Eisen verband, währender Holz so wenig als möglich verwandte,damit sie nicht so leicht Feuer fange.“

Konstantinopel hatte im 6. Jahr-hundert über 300 000 Einwohner, eswar die größte Stadt Europas. Am Bauder Hagia Sophia waren bis zu 10 000Arbeiter beteiligt. Der Bauherr KaiserJustinian erschien nahezu täglich aufder Baustelle, um den Fortgang der Ar-beiten zu begutachten. Eine Sensationwar nicht nur die Kuppel, sondern auch,wie schnell gebaut wurde: In nur fünf-einhalb Jahren war die Hagia Sophia er-richtet.

„Ruhm und Ehre dem Allerhöchsten,der mich für würdig hielt, ein solchesWerk zu vollenden“, soll Justinian aus-gerufen haben, als der Patriarch die Kir-che am 27. Dezember 537 weihte. Jetzthabe er Salomon übertroffen, den Erbau-er des Tempels der Juden in Jerusalem,brüstete sich der Kaiser.

Die Hagia Sophia Justinians sah aller-dings anders aus als heute. Da die Vielzahlder späteren Anbauten fehlte, fiel mehrLicht in das Gotteshaus; die Atmosphärewar freundlicher, die Ausstattung einfa-cher und klarer. Im Inneren fanden sichnoch keine figürlichen Mosaiken; die meis-ten wurden erst nach dem Ende des Bil-derstreits im 9. Jahrhundert angebracht.

Die Böden waren mit weißem Mar-mor ausgelegt, die Wände mit Marmorin unterschiedlichen Farben verkleidet,die Kuppel und die Halb- und Viertel-kuppeln vergoldet. Das Licht HunderterKerzen und Lampen ließ den Raum er-strahlen. Die zentrale Kuppel schien zuschweben. Der Dichter Silentiariusrühmte sie: „Hoch darüber empor ragtweit in die dunkelnden Lüfte / Rund imKreise der Helm des göttlichen Hauses,sich wölbend / Gleich wie das Himmels-dach, das leuchtende.“

Doch die neue Pracht und Herrlich-keit am Ufer des Bosporus währte nichtlange. Nachdem die große Kuppel beimehreren Erdbeben Sprünge bekom-men hatte, stürzte sie 21 Jahre nach derfeierlichen Eröffnung größtenteils ein.

Der Kaiser beauftragte einen Neffendes Architekten Isidorus von Milet da-mit, die Ursachen des Unglücks zu er-gründen. Dieser kam zu dem Schluss,dass der Plan seines Onkels zu kühn ge-wesen war. Er ließ die Kuppel mit einer

steileren Neigung wieder aufbauen; siewar nun gut sechs Meter höher, also 56Meter hoch – was sie bis heute ist.

In den folgenden Jahrhunderten kames immer wieder zu Erdbeben, die dasBauwerk beschädigten oder gar Teiledes Daches einstürzen ließen. Nach demBeben von 896 dauerte es genau 100 Jah-re, bis die Hagia Sophia wiederher -gestellt war.

Dennoch blieb sie die wichtigste Kir-che von Byzanz. Die Patriarchen ludendort zu Konzilen ein. Als der in Rom re-sidierende Papst Leo IX. im Jahr 1054die Anhänger der orthodoxen Kirche exkommunizieren ließ, legten seine Ge-sandten das Scheidungspapier auf demAltar der Hagia Sophia nieder.

Hier krönten die Patriarchen die Kai-ser. Zu den hohen christlichen Feier -tagen kamen die Herrscher aus ihrembenachbarten Palast und wohnten derMesse bei. Zusammen mit ihren Höflin-gen zogen sie durch die mittlere undhöchste der neun Türen ein, die kaiser-liche Tür. Die Kaiserinnen nahmen in einer eigenen Loge auf der EmporePlatz. Frauen und Männer standen ge-nerell – wie in Synagogen und Moscheen– in getrennten Bereichen.

Nach dem im 10. Jahrhundert schrift-lich festgehaltenen Zeremoniell war na-hezu jeder Schritt des Kaisers und desPatriarchen festgelegt, etwa wann derHerrscher seine Krone aufzusetzen,wann abzunehmen habe. Der Prunk waratemraubend.

„Werde ich nicht hineilen und ein-mal noch in dich hineinblicken“,schwärmte der Chronist Niketas Cho-niates 1206, „größte aller Kirchen undgöttlichste, du Himmel auf Erden, Thronvon Gottes Ruhm, Engelswagen, zweitesFirmament, Verkünderin des Schaffensvon Gottes eigenen Händen, einzigarti-ges Bild und Werk und immerwährendeWonne der ganzen Welt?“

Gefahr drohte der Hagia Sophia undganz Konstantinopel zunächst nichtdurch Muslime, sondern durch Christen.Über 30 000 Kreuzfahrer aus Europa er-oberten im April 1204 die Stadt und wü-teten wie heidnische Barbaren. Auch dieHagia Sophia plünderten sie aus, auf denThron des Patriarchen sollen sie gar eineHure gesetzt haben.

Dennoch ist einer ihrer Anführer, der41. Doge Venedigs, Enrico Dandolo, dereinzige Christ, der jemals in der HagiaSophia bestattet wurde – eine Ehre, dienicht einmal Kaisern zuteilwurde. Aufder Südempore findet sich sein Name ineiner Grabplatte eingemeißelt.

Erst nach 57 Jahren hatten die Byzan-tiner die „Lateiner“ wieder vertrieben.Als die Türken im 15. Jahrhundert mitMacht auf den Balkan drängten, hattendie Byzantiner ihnen nicht mehr viel ent-gegenzusetzen.

Nachdem es sich in Konstantinopelherumgesprochen hatte, dass SultanMehmed II. am 29. Mai 1453 zum ent-scheidenden Angriff auf die Stadt an -setzen wollte, versammelten sich ver-zweifelte Bewohner in der Hagia So-phia. „Und in einer Stunde war das ganze übergroße Heiligtum voll vonMännern und Frauen“, berichtet derHistoriker Johannes Dukas, „unten undoben und in den sie rings umgebendenHallen allüberall, eine nicht zu zählendeSchar, und die Tore schließend, standensie da, die Rettung durch den Engel er-hoffend.“

Doch die blieb aus, und der Chronistberichtete: „Und dann kamen die Türkenumherstreifend, mordend, Gefangenemachend zu der Kirche, als die ersteStunde des Tages noch nicht verflossenwar, und da sie die Türen verschlossenfanden, schlugen sie diese mit Beilen ein,ohne sich zu besinnen.“ Alle, die sichdorthin geflüchtet hatten, wurden gefan-gen oder getötet. „Und in dieser Stunde“,so Dukas, „zerschlugen sie die heiligenBilder, indem sie den Schmuck wegnah-men, die Ketten, Armbänder, die Deckendes heiligen Tisches, die Leuchter, allesraubend oder zerstörend.“

Der byzantinische Beamte GeorgiosSphrantzes beschrieb, wie türkische Sol-daten ihre Pferde mit den aus golddurch-wirkter Seide gefertigten Gewänderndes Patriarchen schmückten: „Die Per-len von den Reliquienkästen raubten sie,traten die Gebeine der Heiligen mit Fü-ßen und taten noch viel anderes Bekla-genswertes, als wahre Vorläufer des An-tichristen.“

Sultan Mehmed II., der Eroberer Kon-stantinopels, ließ einen Plünderer ausder Kirche werfen und sagte angeblich:„Für euch genügen der Schatz und dieGefangenen. Die Gebäude der Stadt fal-len mir zu.“

Mehmed machte Istanbul, wie es dieTürken später nannten, zur Hauptstadtseines Reiches. Die Macht der Schönheit

DIE URSPRÜNGE

360°-Foto:Die Hagia Sophia

spiegel.de/appG12014hagiaoder in der App DER SPIEGEL

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der Hagia Sophia schlug auch ihn in ih-ren Bann. So ließ er sie nicht zerstören,sondern in eine Moschee verwandeln.Die wichtigste Kirche von Byzanz wurdezum bedeutendsten Gotteshaus des Os-manischen Reichs. Sie hieß nun Ayaso-fya Camii. Einige der Sultane ließen sichMausoleen rund um die Moschee bauenund wurden in ihnen bestattet.

In der Ayasofya wurden große Schil-de mit den Namen Allahs, des Prophetenund der ersten vier Kalifen angebracht.Die neuen muslimischen Herren ließenzunächst ein Minarett an der Südosteckeerrichten, später noch drei weitere. Dieletzten christlichen Ikonografien ver-schwanden erst im Zuge einer Renovie-rung Anfang des 18. Jahrhunderts.

Was blieb, waren die Probleme mitErdbeben und Restaurierungen. Der Bauerforderte beständige und aufwendigeInstandhaltung. Schon aus finanziellenGründen wurden notwendige Arbeitengern hinausgeschoben und unterlassen.Als die britische Diplomatengattin LadyMontagu im April 1718 die Hagia Sophiabesuchte, bekam sie glitzernden Mosaik -staub in die Hand gedrückt, der von derDecke herabgerieselt war.

Die bislang letzte umfassende Res-taurierung und Konservierung leiteteder Schweizer Architekt Gaspare Fos-

sati in den Jahren 1847 bis 1849. Mit ei-ner damals noch unüblichen Vorsichtverzichtete Fossati auf Rekonstruktio-nen und beschränkte sich auf das Res-taurieren und Konservieren der beste-henden Substanz. Christliche Mosaikeließ er nicht mehr freilegen, nachdemer beobachtet hatte, dass muslimischeArbeiter die Gesichter in den Bildernzerstört hatten.

Kemal Atatürk, Präsident der 1923gegründeten türkischen Republik, ließdie Kirche restaurieren und 1934 in einMuseum umwandeln. Nach bald 1400Jahren als Sakralbau erlebte die HagiaSophia ihre Säkularisierung.

Konservative, für die sie den Sieg derTürken über die Byzantiner symbolisier-te oder Islamisten, die sie als Sinnbilddes Triumphes der Muslime über dieChristen sehen, haben immer wieder ge-gen die Verwandlung in ein Museumprotestiert und gefordert, sie rückgängigzu machen. Sie sei ein „Sarkophag desIslam“, klagte einst ein bekannter isla-mistischer Intellektueller.

Doch für die Politik spielen auch fi-nanzielle Erwägungen eine Rolle. Runddreieinhalb Millionen Menschen besu-chen die Hagia Sophia jährlich – mehrals doppelt so viele wie eines der meist-

besuchten Baukunstwerke in Deutsch-land: den aus der heutigen Türkei stam-menden Pergamon-Altar im gleichnami-gen Museum in Berlin.

Die Eintrittsgelder summieren sichauf umgerechnet an die 30 MillionenEuro. Diese würden bei einer erneutenIslamisierung wegfallen, denn für Mo-scheen dürfen Muslime keinen Eintrittverlangen.

Ministerpräsident Recep Tayyip Er-dogan hat bislang nur angemerkt, dassdie benachbarte Blaue Moschee beimFreitagsgebet nicht voll sei. Die Abge-ordneten seiner islamistischen Partei fürGerechtigkeit und Aufschwung (AKP)stimmten Anfang Dezember 2013 gegenden Antrag eines konservativen Kabi-nettsmitglieds, die Hagia Sophia wiederzur Moschee zu machen.

Der begeisterte Byzantinist FerudunÖzgümüş will im Streit um die Hagia So-phia keine Position beziehen, das Themaist ihm zu heiß. Er erzählt lieber die Ge-schichte von der Sultansloge, die ein os-manischer Herrscher Anfang des 18.Jahrhunderts einbauen ließ.

„Wissen Sie, warum sie gebaut wur-de?“, fragt Özgümüş. Und antwortetgleich selbst: „Die Sultane hatten Angst,mit dem Volk zu beten. Sie fürchteten,beim Beten ermordet zu werden.“ nA

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Kunstvoll verzierteSäulenbögen der

Galerie, Hagia Sophia