Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften...

17
ifo Schnelldienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013 3 Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung: Empfehlungen zur effek- tiveren Nutzung eines innovationspolitischen Instruments 1 Das Potenzial innovationsorien- tierter öffentlicher Beschaffung In der Europäischen Union und in Deutschland sind jüngst Vorschläge für die Gestaltung der innovationsorientier- ten Beschaffung im Sinne eines innova- tionsförderlichen Politikinstruments dis- kutiert worden. Das Interesse an den Ef- fekten innovationsorientierter Beschaf- fung ergibt sich vor allem aus dem be- trächtlichen Umfang der öffentlichen Nachfrage. In Deutschland kaufen Bun- desbehörden und die Institutionen der Länder und Kommunen jährlich Produk- te und Dienstleistungen ein, deren Ge- samtwert sich nach OECD-Angaben im Jahr 2008 auf etwa 13% des BIP belief. Das entspricht einem Betrag von etwa 320 Mrd. Euro. 2 Ließe sich auch nur ein geringer Anteil des Beschaffungsvolu- mens auf innovative Produkte und Dienst- leistungen ausrichten, würde sich daraus ein wichtiger Anreiz für Innovationsakti- vitäten ergeben. 3 Doch nicht nur für die Wirtschaft, auch für die öffentliche Hand birgt das Beschaffungswesen ein großes Potenzial: Die öffentliche Hand erbringt direkt oder indirekt Leistungen für die Bür- ger. Dazu gehören zivile Sicherheit, Ver- teidigung, Gesundheit, Bildung und Infra- struktur. Staatliche Akteure müssen si- cherstellen, dass ihre Leistungen eine ausreichend hohe Qualität haben und ef- fizient erbracht werden. Um diesem An- spruch zu genügen, muss die öffentliche Hand selbst in ausreichendem Maß inno- vative Vorprodukte und Dienstleistungen in ihrem Leistungserbringungsprozess einsetzen. Verlässliche Angaben dazu, in welchem Umfang dies geschieht, existie- ren jedoch nicht. Trotz der lückenhaften Datenlage gibt es starke Indizien dafür, dass das Potenzial innovationsorientier- ter Beschaffung in Deutschland bisher nicht ausreichend genutzt wird. Staatli- che Beschaffung greift zu häufig auf etab- lierte oder wenig innovative Lösungen zu- rück und benachteiligt oder hemmt so- mit die Entwicklung und Verbreitung in- novativer Produkte und Dienstleistungen. Innovationsorientierte Beschaf- fung im internationalen Vergleich Während es zum Umfang des gesamten öffentlichen Beschaffungswesens der OECD-Mitgliedstaaten einheitlich erhobe- ne und international vergleichbare Daten gibt, ist eine Quantifizierung der innovati- Was von einer stärkeren Nachfrageorientierung in der Innovationspolitik zu halten ist Innovationen auf Bestellung? Helge Dauchert* In der heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft sind Innovationen die treibende Kraft für wirt- schaftliche Entwicklung. Die Marktgröße und die Bereitschaft von Marktteilnehmern, Neuerungen anzunehmen, haben dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Generierung und Verbreitung von In- novationen. Spezifische Probleme auf der Nachfrageseite können daher Ansatzpunkte für eine »Nach- frageorientierte Innovationspolitik« sein, verstanden als nachfrageseitiges politisches Handeln, das dazu beitragen kann, Ineffizienzen im Innovationsprozess zu reduzieren. In der aktuellen politischen Debatte wird dabei insbesondere der öffentlichen Beschaffung eine wesentliche Rolle zur Innova- tionsförderung zugedacht. Doch was ist von einer stärkeren Nachfrageorientierung in der Innova- tionspolitik zu halten? Dietmar Harhoff** Patrick Llerena*** * Dr. Helge Dauchert ist Geschäftsstellenleiter der Expertenkommission Forschung und Innovation. ** Prof. Dietmar Harhoff, Ph.D.: Direktor am Max- Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbe- werbsrecht; Leiter des Munich Center for Innova- tion and Entrepreneurship Research (MCIER); Vor- sitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). *** Prof. Dr. Patrick Llerena ist Professor für Wirt- schaftswissenschaften an der Université de Stras- bourg und Mitglied der Expertenkommission For- schung und Innovation. 1 Der vorliegende Artikel stützt sich auf das Jahres- gutachten 2013 der Expertenkommission For- schung und Innovation (EFI). 2 Werte für 2008 (vgl. OECD 2011; Destatis (2012, 5). 3 Diese Argumentation wird allgemein geteilt (vgl. Crasemann 2012).

Transcript of Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften...

Page 1: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

3

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung: Empfehlungen zur effek -tiveren Nutzung einesinnovations politischen Instruments1

Das Potenzial innovationsorien-tierter öffentlicher Beschaffung

In der Europäischen Union und inDeutschland sind jüngst Vorschläge fürdie Gestaltung der innovationsorientier-ten Beschaffung im Sinne eines innova-tionsförderlichen Politikinstruments dis-kutiert worden. Das Interesse an den Ef-fekten innovationsorientierter Beschaf-fung ergibt sich vor allem aus dem be-trächtlichen Umfang der öffentlichenNachfrage. In Deutschland kaufen Bun-desbehörden und die Institutionen derLänder und Kommunen jährlich Produk-te und Dienstleistungen ein, deren Ge-samtwert sich nach OECD-Angaben imJahr 2008 auf etwa 13% des BIP belief.Das entspricht einem Betrag von etwa320 Mrd. Euro.2 Ließe sich auch nur eingeringer Anteil des Beschaffungsvolu-mens auf innovative Produkte und Dienst-leistungen ausrichten, würde sich darausein wichtiger Anreiz für Innovationsakti-

vitäten ergeben.3 Doch nicht nur für dieWirtschaft, auch für die öffentliche Handbirgt das Beschaffungswesen ein großesPotenzial: Die öffentliche Hand erbringtdirekt oder indirekt Leistungen für die Bür-ger. Dazu gehören zivile Sicherheit, Ver-teidigung, Gesundheit, Bildung und Infra-struktur. Staatliche Akteure müssen si-cherstellen, dass ihre Leistungen eineausreichend hohe Qualität haben und ef-fizient erbracht werden. Um diesem An-spruch zu genügen, muss die öffentlicheHand selbst in ausreichendem Maß inno-vative Vorprodukte und Dienstleistungenin ihrem Leistungserbringungsprozesseinsetzen. Verlässliche Angaben dazu, inwelchem Umfang dies geschieht, existie-ren jedoch nicht. Trotz der lückenhaftenDatenlage gibt es starke Indizien dafür,dass das Potenzial innovationsorientier-ter Beschaffung in Deutschland bishernicht ausreichend genutzt wird. Staatli-che Beschaffung greift zu häufig auf etab-lierte oder wenig innovative Lösungen zu-rück und benachteiligt oder hemmt so-mit die Entwicklung und Verbreitung in-novativer Produkte und Dienstleistungen.

Innovationsorientierte Beschaf-fung im internationalen Vergleich

Während es zum Umfang des gesamtenöffentlichen Beschaffungswesens derOECD-Mitgliedstaaten einheitlich erhobe-ne und international vergleichbare Datengibt, ist eine Quantifizierung der innovati-

Was von einer stärkeren Nachfrageorientierungin der Innovationspolitik zu halten ist

Innovationen auf Bestellung?

Helge Dauchert*

In der heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft sind Innovationen die treibende Kraft für wirt-

schaftliche Entwicklung. Die Marktgröße und die Bereitschaft von Marktteilnehmern, Neuerungen

anzunehmen, haben dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Generierung und Verbreitung von In-

novationen. Spezifische Probleme auf der Nachfrageseite können daher Ansatzpunkte für eine »Nach-

frageorientierte Innovationspolitik« sein, verstanden als nachfrageseitiges politisches Handeln, das

dazu beitragen kann, Ineffizienzen im Innovationsprozess zu reduzieren. In der aktuellen politischen

Debatte wird dabei insbesondere der öffentlichen Beschaffung eine wesentliche Rolle zur Innova -

tionsförderung zugedacht. Doch was ist von einer stärkeren Nachfrageorientierung in der Innova-

tionspolitik zu halten?

Dietmar Harhoff**

Patrick Llerena***

* Dr. Helge Dauchert ist Geschäftsstellenleiter derExpertenkommission Forschung und Innovation.

** Prof. Dietmar Harhoff, Ph.D.: Direktor am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbe-werbsrecht; Leiter des Munich Center for Innova-tion and Entrepreneurship Research (MCIER); Vor-sitzender der Expertenkommission Forschungund Innovation (EFI).

*** Prof. Dr. Patrick Llerena ist Professor für Wirt-schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung und Innovation.

1 Der vorliegende Artikel stützt sich auf das Jahres-gutachten 2013 der Expertenkommis sion For-schung und Innovation (EFI).

2 Werte für 2008 (vgl. OECD 2011; Destatis (2012, 5).3 Diese Argumentation wird allgemein geteilt (vgl.

Crasemann 2012).

Page 2: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

onsorientierten Beschaffung ungleich schwieriger. Wederin Deutschland noch auf internationaler Ebene gibt es eineeinheitliche Beschaffungsstatistik. Auch existieren keine Stan-dards, wonach der Anteil der Beschaffung innovativer Gü-ter und Dienstleistungen an der Gesamtbeschaffung gemes-sen werden kann.

Eine grobe Einschätzung des Ausmaßes innovativer Be-schaffungen in Deutschland anhand verschiedener Proxy-Größen macht jedoch deutlich, dass der Einkauf von in-novativen Waren und Dienstleistungen in der Beschaffungs-praxis bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ähnli-ches gilt für das Beschaffungswesen in Frankreich; auchdort macht der Einkauf innovativer Produkte nur einen klei-nen Anteil an der Gesamtbeschaffung aus (vgl. Falck undWiederhold 2013, 92 ff.). Eine stärkere Innovationsorien-tierung als in Deutschland und Frankreich weist hingegendas US-amerikanische Beschaffungswesen auf. Zwar istdas Beschaffungsvolumen im Verhältnis zur gesamten Wirt-schaftskraft (BIP) in Deutschland und Frankreich größer alsin den USA, allerdings liegt dort der Anteil innovativer Gü-ter an der Gesamtbeschaffung deutlich über dem deut-schen und dem französischen Niveau (vgl. Falck und Wie-derhold 2013, 68 ff.). Auch zeigt das Beispiel USA, dassstaatliche Bedürfnisse, die mittels öffentlicher Beschaf-fungsmaßnahmen bedient werden, wichtige Treiber für In-novationen sein können und große Potenziale für privateMärkte haben. Das Energiesparprogramm FEMP zur Re-duzierung des Stromverbrauchs im Stand-by-Modus oderdie Entwicklung der Computer- und Internettechnologieund des Global Positioning System (GPS) sind Beispielefür staatliche Beschaffungsinitiativen, die Produkte hervor-gebracht haben, die auf den privaten Markt übergingenund sich dort durchgesetzt haben (vgl. Edler 2006, 143).Für die USA existieren zudem im internationalen Vergleichdie umfangreichsten und detailliertesten Daten zur öffent-lichen Beschaffung, da jede Bundesbehörde dazu verpflich-tet ist, alle öffentlichen Beschaffungsaufträge im Wert vonüber 2 500 US-Dollar zu melden (vgl. Falck und Wieder-hold 2013, 68).

Auch die chinesische Regierung nutzt das Potenzial der öf-fentlichen Beschaffung zur Förderung von Innovationen.So ist es ihr erklärtes Ziel, das staatliche Beschaffungswe-sen konsequent als Instrument zur Förderung und Verbrei-tung inländischer Innovationen einzusetzen.4 Dazu werdensogenannte Produktkataloge mit als inländisch klassifizier-ten Gütern erstellt, die den Provinzregierungen eine Auswahlgeeigneter Produkte vorgeben. Den Vergabestellen wird na-hegelegt, die in den Katalogen gelisteten Güter zu kaufen.Chinesischen Anbietern werden dabei deutliche Preisprä-

ferenzen sowie die Möglichkeit zur Nachverhandlung einge-räumt (vgl. Falck und Wiederhold 2013, 93). Die Förderungheimischer innovativer Unternehmen mittels Preispräferen-zen ist jedoch nicht auf China begrenzt, auch die USA pro-tegieren ihre Unternehmen in ähnlicher Weise (vgl. Stellung-nahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschus-ses 2011).

Innovationsorientierte Beschaffung in Deutschland: Rechtlicher Rahmen und Praxis

Bei der Beschaffung durch die öffentliche Hand handelt essich um einen stark verrechtlichten Bereich. Der komplexeAufbau des Vergaberechts dient vor allem dazu, Anbieterneinen freien Zugang zu öffentlichen Vergabeverfahren zu ge-währen. Das Ziel eines transparenten und diskriminierungs-freien Vergabeverfahrens lässt sich am einfachsten durch ei-nen Preiswettbewerb auf Konkurrenzmärkten erreichen. Ent-sprechend waren die EU-Vergaberegeln, welche die Grund-lage für das nationale Vergaberecht darstellen, bis zu Be-ginn der letzten Dekade einseitig auf den Preiswettbewerbausgerichtet. Erst 2004 wurden die Regelungen um zuvorals »vergabefremd« bezeichnete Aspekte ergänzt (vgl. Weg-weiser et al. 2009, 27).

Die Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur Modernisie-rung des Vergaberechts vom April 2009 die europäischeVergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG umgesetzt.Dar über hinaus hat sie die in der Richtlinie genannten so-zialen und umweltbezogenen Zuschlagskriterien noch uminnovationsbezogene Aspekte erweitert.5 Der rechtlicheRahmen bietet also grundsätzlich die Möglichkeit für eineinnovationsorientierte Beschaffung, die aber bisher weniggenutzt wurde.

Selbst in dem Fall, dass ein innovatives Produkt eindeutigwirtschaftlicher ist als ein konkurrierendes konventionellesProdukt, kommt dieses oftmals nicht zum Einsatz, weil aufSeiten der Beschaffungsverantwortlichen eine Scheu vorden Risiken besteht, die mit der Einführung von neuen Tech-nologien oder der Zusammenarbeit mit jungen, wirtschaft-lich noch nicht stabilen Unternehmen verbunden sind. Dar -über hinaus tragen der administrative Mehraufwand, grund-sätzliche Bedenken gegenüber Neuerungen, zu geringeKenntnisse über neue Produkte und Techniken sowie dievergaberechtlichen Möglichkeiten dazu bei, innovative Pro-dukte zu übergehen. Hinzu kommt, dass die Beschaffungs-verantwortlichen die Lebenszykluskosten eines Produktesoftmals nicht ausreichend berücksichtigen (vgl. Crasemann2012, 6). Begrenzte Budgets bzw. fehlende intertemporaleOptimierungsmöglichkeiten zwingen die Beschaffungsver-antwortlichen oftmals zum Einkauf des günstigsten, nicht

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

4

4 Seit der Implementierung des National Medium- and Long-term Programfor Science and Technology Development (MLP 2006–2020) sind staatli-che Beschaffungsinitiativen expliziter Bestandteil des innovationspoliti-schen Instrumentariums (vgl. Falck und Wiederhold 2013, 83). 5 § 97 Abs. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).

Page 3: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

des wirtschaftlichsten Produkts. Die Durchsetzung neuerVerhaltensweisen wird zusätzlich durch die starke Zersplit-terung des deutschen Beschaffungswesens erschwert. Ins-gesamt gibt es auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebe-ne schätzungsweise 30 000 Vergabestellen, die vom Nut-zen innovativer Produkte und Dienstleistungen überzeugtsowie mit dem nötigen Wissen über die Nutzung der neu-en Möglichkeiten ausgestattet werden müssen (vgl. Falckund Wiederhold 2013, 38).

Politische Initiativen zur Förderung innovationsorientierter Beschaffung

Um die beschriebenen Hindernisse zu überwinden, arbei-tet das BMWi am Aufbau einer Kompetenzstelle für inno-vative Beschaffung. Darüber hinaus hat die Bundesregie-rung im Jahr 2010 mit der Einrichtung der »Allianz für einenachhaltige Beschaffung« einen ersten Schritt zur Verbes-serung der Datenlage im öffentlichen Beschaffungswesenunternommen. Im Fokus der Allianz steht jedoch die Be-rücksichtigung von Umwelt- und Sozialkriterien. Innovati-ve Aspekte spielen bisher, obwohl sie seit der Vergabe-rechtsreform 2009 ebenfalls als gültiges Zuschlagskriteri-um genannt werden, für die Arbeit der Allianz keine Rolle.6

Die von der Allianz veröffentlichten Empfehlungen zur Ver-besserung der Datenlage werden daher nur bedingt dazubeitragen, die Innovationsorientierung der öffentlichen Handzu verbessern.

Auch die Europäische Union hat sich des Themas innova-tionsorientierte Beschaffung angenommen. Mit ihrem neu-en Rahmenprogramm für Forschung und Innovation »Ho-rizont 2020« und ihrem Wettbewerbsfähigkeitsprogrammsetzt die EU dezidiert auf den Einsatz des öffentlichen Be-schaffungswesens zur Unterstützung von Innovationen. Da-zu plant die EU-Kommission auch den verstärkten Einsatzeines neuen Vergabeverfahrens, der sogenannten vorkom-merziellen Auftragsvergaben (Pre Commercial Procurement,PCP). Bedingung für ein PCP-Verfahren ist ein öffentlicherBedarf, für den es noch keine tragfähige, am Markt verfüg-bare Lösung gibt. Im Rahmen eines FuE-Projekts beauf-tragt der Staat mehrere Unternehmen damit, neue bzw. al-ternative Lösungskonzepte zu entwickeln (vgl. Crasemann2012, 26 f.).

In Deutschland hat das BMWi die Initiative der EU-Kom-mission aufgenommen und plant, das PCP-Verfahren aufnationaler Ebene im Rahmen eines Pilotprojekts zu testen.Wie die Rechte an dem daraus resultierenden geistigen Ei-gentum zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber aufge-teilt werden, ist jedoch noch nicht geklärt. Parallel zur Ein-

führung von vorkommerziellen Auftragsvergaben arbeitet dieEU-Kommission an der Erneuerung des europäischen Ver-gaberechts (vgl. Crasemann 2012, 30 ff.). Hinsichtlich derinnovationsorientierten Beschaffung ist dabei vor allem ei-ne geplante Regeländerung von besonderem Interesse, nachder das Verhandlungsverfahren mit vorgelagertem Teilnah-mewettbewerb zum Standardverfahren werden soll (vgl.Falck und Wiederhold 2013, 89). Das Verhandlungsverfah-ren bietet den Auftraggebern die Möglichkeit, alle Aspektedes Auftrags und der Angebote mit ausgewählten Anbie-tern zu erörtern. Aufgrund dieser Freiräume ist das Verhand-lungsverfahren – anders als das bisherige Standardverfah-ren – besonders gut für die Beschaffung innovativer Leis-tungen geeignet (vgl. Falck und Wiederhold 2013; Crase-mann 2012; Wegweiser et al. 2009).

Empfehlungen zur Gestaltung einer innovationsorientierten Beschaffung

Das Potenzial der innovationsorientierten Beschaffung inDeutschland ist groß, wird aber bisher nicht ausreichend ge-nutzt. Dadurch droht ein dauerhafter Qualitäts- und Effizienz-verlust staatlichen Handelns. Weiterhin geht privaten Anbie-tern ein wichtiger Kunde verloren. Der Markt für innovativeProdukte und Dienstleistungen schrumpft, was zu einerReduktion der Innovationsaktivitäten in einem Wirtschafts-system führt. Die Bundesregierung sollte daher aktiv an derÜberwindung struktureller Hindernisse arbeiten und weiterneue Formen von Vergabeverfahren erproben. Dabei kön-nen die Erfahrungen aus anderen Ländern als Vorbild die-nen. Konkret bieten sich folgende Maßnahmen an:

Die von der EU-Kommission initiierten Maßnahmen zur För-derung innovationsorientierter Beschaffung, insbesonderedie Initiativen zur Durchführung vorkommerzieller Auftrags-vergaben (PCP) sowie die Erneuerung des europäischenVergaberechts, sollten unterstützt werden. Bei der Umset-zung dieser Reform muss die Bundesregierung jedoch dar -auf achten, dass es nicht zu einer dauerhaften Einschrän-kung des Wettbewerbs kommt.

Bei FuE-Aktivitäten im Rahmen von PCP-Verfahren kannes für den Auftragnehmer sinnvoll sein, Schutzrechte anzu-melden. In diesem Fall muss vertraglich geklärt werden, obdiese Rechte der öffentlichen Hand oder dem Auftragneh-mer zustehen. Ein Verbleib der Schutzrechte beim Auftrag-nehmer würde sich in der Regel senkend auf den Preis fürFuE-Dienstleistungen auswirken. In Einzelfällen kann es je-doch auch sinnvoll sein, dem Auftragnehmer aufzuerlegen,Lizenzen durch eine Erklärung der Lizenzbereitschaft nach§23 PatG verfügbar zu machen. Ein aktives Managementvon Schutzrechten durch die öffentliche Hand ist nicht an-zustreben.

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

5

6 Im diesjährigen Bericht der Allianz finden sich keine Ausführungen zurVerbesserung der Datenlage im Bereich innovationsorientierte Beschaf-fung (vgl. BMWi 2012).

Page 4: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Das öffentliche Beschaffungswesen in Deutschland ist starkfragmentiert und sollte stärker koordiniert werden. Darüberhinaus gilt es, die Beschaffungsverantwortlichen für die Mög-lichkeiten der innovationsorientierten Beschaffung zu sen-sibilisieren. Die Einrichtung einer Kompetenzstelle zur Be-ratung und Unterstützung der Beschaffungsverantwortlichenist hier ein wichtiger Schritt.

Um die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung inno-vationsorientierter öffentlicher Beschaffung zu überprüfenund gegebenenfalls korrigierend eingreifen zu können, istdie Erhebung und Veröffentlichung aussagekräftiger Datenunerlässlich. Die von der Bundesregierung initiierte Allianzfür eine nachhaltige Beschaffung sollte daher explizite Vor-schläge zur verbesserten statistischen Erfassung innovati-onsorientierter Beschaffungsvorgänge erarbeiten.

Die von der Bundesregierung geplanten Projekte zur För-derung innovationsorientierter Beschaffung sollten von Be-ginn an begleitend evaluiert werden (vgl. EFI 2013, 98 f.).

Literatur

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (Hrsg.) (2012), »Al-lianz für eine nachhaltige Beschaffung: Bericht des Bundesministeriums fürWirtschaft und Technologie an den Chef des Bundeskanzleramtes«, 22. Ok-tober, online verfügbar unter: http://www.dstgb-vis.de/home/aktuelles_news/aktuell/allianz_fuer_eine_nachhaltige_beschaffung/20121023_bericht_der_beschaffungsallianz_2012_bmwi_ib6_uvob.pdf, aufgerufen am 11. Januar2013.

Crasemann, W. (2012), »Exzellente öffentliche Beschaffung und politische Zie-le«, in: M. Eßig, Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.(Hrsg.), Exzellente öffentliche Beschaffung, Springer Gabler, Wiesbaden.

Destatis (2012), »Das Bruttoinlandsprodukt 2011 für Deutschland«, Begleit-material zur Pressekonferenz am 11. Januar 2012, Wiesbaden, Statisti-sches Bundesamt, online verfügbar unter. https://www.destatis.de/DE/Pres-seService/Presse/Pressekonferenzen/2012/BIP2011/Pressebroschuere_BIP2011.pdf?__blob=publicationFile, aufgerufen am 11. Januar 2013.

Edler, J. (Hrsg.) (2006), Nachfrageorientierte Innovationspolitik: Politikbench-marking, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag,Arbeitsbericht Nr. 99, o.O.

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (2011), »Staatsunternehmenaus Drittländern auf den öffentlichen Beschaffungsmärkten der EU«, Initia-tivstellungnahme, online verfügbar unter: https://docs.google.com/viewer?a=v&q=cache:rudE85B-PdMJ:edz.bib.uni-mannheim.de/edz/doku/wsa/2011/ces-2011-0807-de.pdf+http://edz.bib.uni-mannheim.de/edz/doku/wsa/2011/ces-2011-0807-de.pdf&hl=de&gl=de&pid=bl&srcid=ADGEEShcs9C1ncTsB1K-w_IbQuiqzRfJykVW62Pu6AtagO0Ml4sfO50F2ciUWZgeqZulXCtlvK6bLxjSmfmVqqhaURH9uUbXa78OxSuhY4eJxKSdfhCLlvratewobrRHNOQvw38BxeCJ&sig=AHIEtbR18mgX3dj97soF0AJwIDAwPhX5lg, aufgerufen am 11. Janu-ar 2013.

Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) (Hrsg.) (2013), Gutach-ten zur Forschung, Innovation und Technologischer LeistungsfähigkeitDeutschlands 2013, EFI, Berlin.

Falck, O. und S. Wiederhold (2013), Nachfrageorientierte Innovationspolitik,Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 12-2013, EFI, Berlin.

Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) (2011),»Government at a glance, Size of public procurement market«, OECD, Pa-ris, online verfügbar unter: http://www.oecd-ilibrary.org/sites/gov_glance-2011-en/09/01/index.html?contentType=/ns/Book,/ns/StatisticalPublication

&itemId= /content/ book/gov_glance-2011-en&containerItemId=/content/serial /22214399&accessItemIds=&mime Type=text/html, aufgerufen am11. Januar 2013.

Wegweiser, Technische Universität Berlin, Orrick Hölters und Elsig (Hrsg.)(2009), »Einkäufer« Staat als Innovationstreiber: Entwicklungspotentiale undHandlungsnotwendigkeiten für eine innovativere Beschaffung im öffentli-chen Auftragswesen Deutschlands, Abschlussbericht, o.O.

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

6

Page 5: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Aktivitäten der Bundesregierung undder Europäischen Kommission für eineinnovationsorientierte öffentliche Beschaffung

Die Innovations- und Forschungsleistungen der deutschenWirtschaft werden von der Bundesregierung traditionell durcheine Vielzahl von Förderprogrammen, insbesondere für deninnovativen Mittelstand, unterstützt. Außerdem ist die Bun-desregierung bemüht, die Rahmenbedingungen innovati-onsfördernd zu gestalten, beispielsweise durch eine anwen-dungsorientierte Forschungsinfrastruktur oder durch effek-tive Normungs- und Patentsysteme.

In dem neuen, im Mai 2012 veröffentlichten Innovationskon-zept des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technolo-gie sollen Impulse für mehr Innovationen in der Wirtschafterstmals auch von der öffentlichen Nachfrage her gesetztwerden, die mit einem jährlichen Volumen von geschätzt300 Mrd. Euro erheblich ist (BMWi 2012). Auch die Euro-päische Kommission arbeitet im Rahmen der Neugestaltungder Forschungsförderung (»Horizon 2020«) und des neuenRegelwerkes für das Beschaffungswesen an der Stimulie-rung von mehr Innovationen.

Die neuen Politikansätze sollen die öffentlichen Einkäufer da-zu anregen, in verstärktem Maße neue Produkte, Dienstleis-tungen und Systeme zu erwerben, um dadurch zusätzlicheInnovationsimpulse, vor allem für die mittelständische Wirt-schaft, zu geben. Dies geschieht durch finanzielle Anreize,durch Verbesserung der Beschaffungsprozesse und durchdie Verbreitung guter Beispiele. Aber auch die öffentlichenEinrichtungen selbst sind dazu angehalten, die Rahmenbe-dingungen für die Beschaffungsstellen zu verbessern, z.B.durch Personalförderung oder den intensiveren Austauschzwischen Bedarfsträgern und Beschaffern sowie zwischenden Beschaffern untereinander.

Innovationsfördernde Faktoren im Beschaffungswesen

Das öffentliche Beschaffungswesen wird in vielen Einrich-tungen als weniger wichtig und nachrangig betrachtet. DieBeschaffer von öffentlichen Leistungen werden vielfachals einfache Einkäufer von möglichst kostengünstigen Lö-sungen betrachtet. Dieses Verhalten ist kurzsichtig und vorallem langfristig zu teuer für die öffentliche Verwaltung. Dennes muss darum gehen, das öffentliche Beschaffungswe-sen strategisch aufzustellen, um durch weitsichtiges inno-vatives Handeln langfristig Kosten zu sparen, die Verwal-tungsprozesse zu modernisieren und dabei gleichzeitiginnovative Impulse in die Wirtschaft zu senden (vgl. BMWi2006; 2010).

Folgende Faktoren begünstigen Innovationen im öffentlichenEinkaufswesen:

• Öffentliche Beschaffer sollten dazu angehalten werden,mit den Bedarfsträgern, den Nutzern und den potenziel-len Lieferanten intensiv zu kommunizieren. Die Beschaf-fer können z.B. mit potenziellen Anbietern in einen in-tensiven Dialog eintreten und neue, interessante Informa-tionen an die strategische Ebene weiterleiten. Sie kön-nen durch Gespräche mit den Nutzern erfahren, welchetechnologischen Lösungen sich am besten für die je-weilige Leistungserstellung eignen. Die Beschaffer kön-nen auch durch eine intensive Zusammenarbeit mit an-deren Vergabestellen Informationen über neueste Tech-nologien erhalten und weitergeben sowie durch gemein-sames Vorgehen beim Einkauf Innovationspotenziale bes-ser nutzen.

• Die öffentlichen Beschaffungsstellen von größeren Ein-richtungen sollten sich als strategische Geschäftsberei-che verstehen, die vor allem kaufmännisch denken undagieren. Sie müssen z.B. die anfallenden Kosten über denganzen Lebenszyklus berücksichtigen, also nicht nur dieAnschaffungskosten kalkulieren, sondern auch die lau-fenden Kosten, wie die Energie-, Wartungs- und Entsor-gungskosten. Bei dieser Betrachtung wird vielfach deut-lich, dass das innovative oder nachhaltige Produkt lang-fristig das wirtschaftlichere ist. Auch muss es darum ge-hen, den Bedarf langfristig zu planen und ggfs. mit an-deren Beschaffungsstellen zu bündeln, um Kosten zusparen. Hierzu ist es erforderlich, dass das Personal ent-sprechend geschult und auch entsprechend bezahlt wird,denn eine hohe Mitarbeitermotivation ist Grundvoraus-setzung für strategisches und kreatives Denken.

• Psychologische Innovationshemmnisse auf allen Ebe-nen der öffentlichen Einrichtungen gilt es abzubauen.Beschaffer könnten eher altbewährte Techniken bevor-zugen, weil sie das Risiko des Einkaufs neuer Techni-ken scheuen; Nutzer könnten Angst vor neuer vermeint-lich schwierig zu bedienender Technik haben und die Be-

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

7

Wolfgang Crasemann*

* Wolfgang Crasemann ist Leiter des Referats für Grundsatzfragen der na-tionalen und internationalen Technologie- und Innovationspolitik beim Bun-desministerium für Wirtschaft und Technologie.

Page 6: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

darfsträger könnten den Beschaffern zu wenig Rücken-deckung beim Eingehen neuer Risiken geben. Generellgilt, dass die Chancen neuer Technologien und Innova-tionen zu wenig berücksichtigt und die Risiken über-schätzt werden. Hier können Selbstevaluationen, geziel-te Schulungen und Anreizmechanismen der Institutio-nen für innovatives Verhalten Abhilfe schaffen. Bei grö-ßeren Beschaffungen mit komplexen Risiken könnenspezielle »Tools« zur Strukturierung und Abschätzungder Risiken eingesetzt werden.

• Die öffentlichen Beschaffer sollten die Möglichkeiten desVergaberechts kennen und nutzen, die für den Einkaufinnovativer Lösungen besonders geeignet sind. Im Ge-setz zur Modernisierung des Vergaberechts aus dem Jah-re 2009 wurde erstmals in § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB klar-gestellt, dass auch innovative Aspekte bei der Auftrags-vergabe berücksichtigt werden können. Insofern ist derEinkauf von Innovationen durchaus erwünscht und so-gar dann erforderlich, wenn die innovative Lösung wirt-schaftlicher ist. – Bei der Ausschreibung von neuen Produkten und

Dienstleistungen oder komplexeren Systemen sollte zu-nächst die Leistung funktional beschrieben werden, d.h.das Ziel und die Funktionsweise, aber noch nicht diekonstruktiven Einzelheiten. Auf diese Weise wird es denBietern überlassen, Ideen zu entwickeln, auf welcheWeise sie das Ziel erreichen wollen. Dies schafft Raumfür Kreativität und Innovation. Die Leistung kann auchso beschrieben werden, dass primär oder ausschließ-lich nur innovative Lösungen infrage kommen (vgl. Weg-weiser et al. 2009).

– Bei der Ausschreibung sollten Verhandlungsverfahrenmit vorgeschaltetem Teilnehmerwettbewerb präferiertwerden. Dies sichert zum einen Wettbewerb und schafftzum anderen Möglichkeiten, in den Verhandlungen ggfs.mit mehreren Bietern innovative Ansätze besonderszu bewerten. Auch könnte die Zulassung von Neben-angeboten mehr innovative Lösungen hervorbringen(vgl. Wegweiser et al. 2009).

– Für solche Leistungen, die es am Markt noch nicht gibt,eignet sich auch die »vorkommerzielle Auftragsverga-be«, die vorsieht, dass mehrere Produktentwickler imWettbewerb zueinander neue Lösungen erforschen.Dieses Verfahren steht im Einklang mit dem EU- unddem deutschen Vergabe- und Beihilferecht. Die vor-kommerzielle Auftragsvergabe wird bereits in Norwe-gen, Finnland, Schweden, Niederlanden, Belgien, Ita-lien, Österreich und in Großbritannien sowie im Rah-men der europäischen Forschungsförderung praktiziert.

Aktivitäten der Bundesregierung

Strategische Grundlage der innovationspolitischen Aktivi-täten der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode

(2009–2013) ist die Hightech-Strategie (vgl. BMWi 2010).Diese Strategie vereint alle forschungs- und innovations-politischen Initiativen der Bundesministerien. Sie bildet dieGrundlage sowohl für die Verbesserung der Rahmenbe-dingungen als auch die Förderung von Forschung und In-novation. Das neue, im Frühjahr 2012 veröffentlichte »In-novationspolitische Konzept« des Bundesministeriums fürWirtschaft und Technologie ergänzt diese Strategie (BMWi2012). Das Konzept stellt neue innovationspolitische Ini-tiativen zur Mittelstandsförderung, zur innovationsfreund-lichen Gestaltung der Rahmenbedingungen sowie zu dengesellschaftlichen Einstellungen gegenüber neuen Tech-nologien vor.

Das Innovationskonzept enthält auch neue Aktivitäten zurStimulierung von Innovationen im Beschaffungswesen. Erst-malig werden Haushaltsmittel für dieses Thema bereitge-stellt. Ab diesem Jahr sollen jährlich ca. 3 Mill. Euro für Maß-nahmen ausgegeben werden, die den öffentlichen Einkaufinnovativer Lösungen stimulieren (vgl. BMWi 2012).

Als erste Maßnahme hat die Bundesregierung ein neues»Kompetenzzentrum Innovative Beschaffung« eingerichtet,das seine Tätigkeit am 1. März 2013 aufgenommen hat. Dasneue Beratungszentrum betreibt der Bundesverband Mate-rialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V.– An allen Arbeitstagen steht eine Auskunftsstelle für die

Beratung von öffentlichen Beschaffungsstellen bei Fra-gen der innovativen Beschaffung bereit.

– Es wird eine Internet-Plattform eingerichtet, die Leitfädenund andere Informationsmaterialien sowie aktuelle Bei-spiele von innovativen Beschaffungen enthält. Auch wirdes eine virtuelle Kommunikationsplattform geben, auf derBeschaffer und potenzielle Anbieter von neuen Produk-ten und Leistungen miteinander kommunizieren können.

– Die BME-Akademie wird Schulungen zu diesem Themaanbieten.

– Auf einer Reihe von regionalen und fachspezifischen Ver-anstaltungen werden die Vorzüge von innovativen Be-schaffungen erläutert und Gespräche zwischen Beschaf-fern und Anbietern vor allem auch auf kommunaler Ebe-ne initiiert.

– Auf einem jährlich durchzuführenden Innovationsschau-platz werden innovative Leuchtturmprojekte vorgestellt,die solch hohe Kostenvorteile oder/und positive Umwelt-effekte auslösen, dass sie sich besonders zur Nachah-mung eignen.

Als weitere Maßnahme sollen innerhalb der nächsten zweiJahre drei Pilotprojekte zur vorkommerziellen Auftragsver-gabe durchgeführt werden. Dieses Verfahren eignet sichimmer dann, wenn neue Lösungen für technische Proble-me gesucht werden, für die noch Forschungs- und Ent-wicklungsbedarf besteht. Mehrere Bieter entwickeln imWettbewerb verschiedene Lösungen für ein Problem. In

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

8

Page 7: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

einem schrittweisen Prozess werden konkurrierende Lö-sungen bis zur Testreife entwickelt. Dabei werden die Be-dürfnisse der Nutzer berücksichtigt, ohne dass sie sichbereits auf ein Produkt festlegen müssen. Anschließendkönnen sich die öffentlichen Stellen die am besten geeig-nete Lösung aussuchen und beschaffen. Diejenigen Bie-ter, die nicht zum Zuge kommen, können die Rechte an ih-ren Entwicklungsleistungen behalten und anderweitig ver-werten. Für dieses neue Verfahren bietet das BMWi zum ei-nen den kostenlosen Beratungsservice durch das Kompe-tenzzentrum und übernimmt zum anderen die Mehrkostenfür die Beschaffungsstellen, die z.B. dadurch entstehen,dass der Auswahlprozess komplizierter ist als bei einemherkömmlichen Forschungsauftrag, der normalerweise nuran einen Bieter geht.

Zudem werden die bereits seit mehreren Jahren durchge-führten Preisverleihungen an eine besonders innovative Be-schaffung und ein besonders innovatives Beschaffungs-verfahren attraktiver gestaltet, indem das BMWi Preisgel-der von jeweils 10 000 Euro vergibt. Die Preisträger werdenaus einer Vielzahl von Bewerbungen ausgesucht und aufdem jährlichen Tag der öffentlichen Auftraggeber im Febru-ar eines Jahres ausgezeichnet.

Das BMWi erwartet, dass die Länder und Kommunen ihreöffentlichen Einrichtungen dazu anregen, die neuen Ange-bote rege in Anspruch zu nehmen mit dem Ziel, verstärktinnovativ zu beschaffen. Auf europäischer Ebene wird sichdas BMWi eng mit denjenigen Mitgliedstaaten abstimmen,die bereits Erfahrungen mit der vorkommerziellen Auftrags-vergabe sammeln konnten. Dadurch sollen die Maßnahmenvon Anfang an effizient gestaltet werden, um einen größt-möglichen Innovationsimpuls sowohl in der Verwaltung alsauch in der Wirtschaft auszulösen.

Aktivitäten der Europäischen Kommission

Grundlage der gegenwärtigen innovationspolitischen Akti-vitäten der Europäischen Kommission (EU-KOM) ist die »In-novationsunion« im Rahmen der Strategie »Europa 2020«,die im Jahre 2010 verabschiedet wurde (EU-KOM 2012).

Mit innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen und ef-fektiven Förderprogrammen soll die Forschungs- und In-novationstätigkeit der Wirtschaft in ganz Europa angeregtwerden. Im europäischen Forschungsrahmenprogramm(FP7) und im Wettbewerbsfähigkeitsprogramm (CIP) wer-den Forschungs- und Innovationsprojekte nicht nur durchdirekte Fördermaßnahmen, sondern zunehmend auchdurch indirekte Maßnahmen wie der Stimulierung der öf-fentlichen Nachfrage nach Innovationen unterstützt. DieEU-KOM stellt zwei Instrumente besonders heraus (EU-KOM, 2011a):

– Die »vorkommerzielle Auftragsvergabe (PCP)«1, wennnoch keine geeignete Lösung auf dem Markt existiert.

– Die »Beschaffung innovativer Lösungen (PPI)«2, wenn dieLösungen bereits auf dem Markt, aber noch nicht in dernachfragenden Einrichtung existieren.

Als ersten Schritt fördert die EU-KOM bereits seit 2009 so-wohl im FP7 als auch im CIP den Austausch von guten Bei-spielen und die Bildung von branchenorientierten Beschaf-fungsnetzwerken, um gemeinsame grenzüberschreitendeEinkäufe vorzubereiten.

Seit 2011 werden die eigentlichen Forschungs- und Ent-wicklungsleistungen im Vorfeld solcher gemeinsamen Be-schaffungen (PCP und PPI) anteilig mitfinanziert. Die EU-KOM fördert bis zu 100% der Koordinierungskosten dieserProjekte und bis zu 75% der Forschungs- und Entwicklungs-leistungen. An den Vorhaben müssen mindestens drei In-stitutionen aus drei Mitgliedstaaten teilnehmen. Bei allen Pro-jekten wird angestrebt, die Endnutzer während der For-schungs- und Entwicklungsphase einzubinden, damit For-schung und Entwicklung von Anfang an auf die Bedürfnis-se der Endnutzer ausgerichtet ist.

Die EU-KOM will die neuen Instrumente in ihrer neuen For-schungsförderperiode 2014–2020 (»Horizon 2020«) nochstärker anwenden. Ziel ist es, mit europäischen Geldern fi-nanzierte Forschungsergebnisse schneller zur Marktreifezu verhelfen. Im Rahmen der Forschungsförderung gefun-dene Lösungen sollen zügig in öffentlichen Anwendungs-feldern verbreitet werden, wie z.B. in der Sicherheitstech-nik und im Gesundheitswesen (EU-KOM 2011b).

Flankierend hierzu verstärkt die EU-KOM die Innovations-aspekte im europäischen Vergaberecht. Die einschlägigeRichtlinie zur Vergaberechtsmodernisierung wird derzeit imEuropäischen Rat verhandelt. Sie soll bis Ende 2013 in Krafttreten und bis Ende 2015 in nationales Recht umgesetztwerden (EU-KOM 2011c).

Die neue Richtlinie sieht zum Beispiel Innovationspartner-schaften als neues Vergabeverfahren vor. Die Innovations-partnerschaften verbinden die Vergabe eines Entwicklungs-auftrages mit der eigentlichen Beschaffung. Hierzu sollenKriterien entwickelt werden, wie eine langfristige Partner-schaft zwischen einem oder mehreren Entwicklern und deröffentlichen Beschaffungsstelle gestaltet werden kann, sodass nur noch ein Vertragsdokument für beide Etappen er-forderlich sein wird. Damit soll es Beschaffern erleichtert wer-den, innovative Lösungen nachzufragen.

Davon unberührt bleibt die vorkommerzielle Auftragsverga-be, bei der neue Lösungen durch mehrere Bieter im Wett-

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

9

1 PCP steht für pre-commercial prourement.2 PPI ist eine Abkürzung für public procurement of innovation.

Page 8: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

bewerb zueinander entwickelt werden. Dieses Instrumentist ein von der eigentlichen Beschaffung völlig getrennter Vor-gang. Dadurch soll erreicht werden, dass die Endnutzer sichnicht von vornherein dazu verpflichten müssen, bei bestimm-ten Entwicklungsfortschritten die Leistungen auch einkau-fen zu müssen.

Literatur

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2010), Hightech-Stra-tegie 2020 für Deutschland, Juli.

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (2006), Impulsefür Innovationen im öffentlichen Beschaffungswesen, Februar.

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (2010), Impulsefür Innovationen im öffentlichen Beschaffungswesen, Januar.

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (2012), »Lust aufTechnik« – Neues wagen, Wachstum stärken, Zukunft gestalten, Mai.

Europäische Kommission (EU-KOM) (2010), Leitinitiative der Strategie Europa2020 – Innovationsunion, Oktober.

Europäische Kommission (EU-KOM) (Hrsg.) (2011a), Pre-Commercial Procurement of Innovation (PCP), Oktober.

Europäische Kommission (EU-KOM) (2011b), Vorschlag für eine Verord-nung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenpro-gramm für Forschung und Innovation »Horizont 2020« (2014–2020), KOM(2011) 809, November.

Europäische Kommission (EU-KOM) (2011c), Vorschlag für Richtlinie des Eu-ropäischen Parlaments und des Rates über die Vergabe von Aufträgen durchAuftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung so-wie der Postdienste, KOM (2011) 895, Dezember.

Wegweiser, Technische Universität Berlin, Orrick Hölters und Elsig (Hrsg.)(2009), »Einkäufer« Staat als Innovationstreiber: Entwicklungspotentiale undHandlungsnotwendigkeiten für eine innovativere Beschaffung im öffentli-chen Auftragswesen Deutschlands, Abschlussbericht, o.O.

Weiterführende Literatur

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (2013), »Techno-logie- und Innovationspolitik«, online verfügbar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Technologie/technologiepolitik.html, aufgerufen am 4. März 2013.

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (2012), Techno-logie- und Innovationspolitik – neue Initiativen für ein technologiefreundli-ches Deutschland, Sonderheft – Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, Juli.

Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) (2013),»Schwerpunkte«, online verfügbar unter: http://www.bme.de/Schwerpunk-te.216.0.html, aufgerufen am 4. März 2013.

Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) (2013),»BMWi und BME prämieren Spitzenleistungen öffentlicher Auftraggeber«, on-line verfügbar unter: http://www.bme.de/BMWi-BME-Preis-Innovation-schafft-Vorsprung.99.0.html, aufgerufen am 4. März 2013.

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (2011), ÖffentlicheBeschaffung nicht marktgängiger Innovationen – Praxisbeispiele aus Deutsch-land und dem EU-Ausland, Vorkommerzielle Auftragsvergabe, Februar.

Europäische Kommission (EU-KOM) (Hrsg.) (2007), Guide on Dealing withInnovative Solutions in Public Procurement.

Expertenkommission Forschung und Innovation (2013), Gutachten zur For-schung, Innovation und Technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands,EFI, Berlin.

Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (2005), Innovationand Public Procurement – Review of Issues at Stake, Dezember.

ifo Institut (2013), Nachfrageorientierte Innovationspolitik – Studien zum deut-schen Innovationssystem Nr. 12-2013, München.

Universität Manchester et al. (2012), Feasibility Study on Future EU Supportto Public Procurement of Innovative Solutions: Obtaining Evidence for a FullScheme, Februar.

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

10

Page 9: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

SBIR: Öffentliche Beschaffung von Innovationen in den Niederlanden

Einleitung

2004 initiierte das niederländische Wirtschaftsministeriumein Programm zur öffentlichen Beschaffung von Innovatio-nen. Erklärtes Ziel des Programms war es, durch öffentli-che Beschaffung innovative Lösungen für gesellschaftlichdrängende Probleme zu finden, indem es für UnternehmenAnreize schafft, innovative Lösungen innerhalb kurzer Zeitzu entwickeln. Die öffentliche Hand spielt dabei häufig dieRolle eines Lead Users.1

Das niederländische Programm wurde nach dem Vorbildder amerikanischen Small Business Innovation Research(SBIR) Initiative entwickelt. Sie wurde in den USA im Jahr1982 mit dem Small Business Innovation Act ins Lebengerufen und wird seitdem regelmäßig erneuert. DiesesProgramm sieht vor, dass alle Bundeseinrichtungen miteinem FuE-Budget von mindestens 100 Mill. US-Dollar ei-nen gewissen Prozentsatz ihres FuE-Budgets für Aufträ-ge an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit höchs-tens 500 Mitarbeitern verwenden. Im Rahmen des ame-rikanischen Small-Business-Innovation-Research-Pro-gramms werden jährlich über 4 000 FuE-Vorhaben miteinem Volumen von insgesamt 2 Mrd. US-Dollar geför-dert. Damit ist SBIR das weltgrößte Programm für SeedCapital für wissens- und technologiebasierte Unterneh-men (vgl. Connell 2006).2

Das niederländische SBIR-Programm fällt unter den recht-lichen Rahmen öffentlicher Auftragsvergaben in der EU.Auch wenn die europäischen Vergaberichtlinien nicht für

Projekte im Bereich Forschung und Entwicklung (FuE) gel-ten3, finden bei öffentlichen Beschaffungsvorhaben im Rah-men des niederländischen SBIR-Programms dennoch diegrundlegenden Prinzipien des EG-Vertrags Anwendung,d.h. die öffentliche Auftragsvergabe muss nicht-diskrimi-nierend, transparent und marktkonform sein. Damit stehtdas niederländische SBIR-Programm nicht ausschließlichKMUs offen, sondern ist prinzipiell auch für größere Unter-nehmen zugänglich. Generell ist das niederländische SBIR-Programm als eine Form der vorkommerziellen Beschaf-fung (Pre-Commercial Procurement oder PCP) anzusehen,die von der EU-Kommission zuletzt immer stärker propa-giert wurde (vgl. EU 2007).

Ausgestaltung des niederländischen SBIR-Programms

Das SBIR-Programm erstreckt sich über mehrere Pha-sen. Am Anfang jeder Phase werden die besten Vorschlä-ge im Rahmen eines Auswahlverfahrens durch unabhän-gige Experten ausgewählt und erhalten einen Auftrag mitfest vorgegebenen Auftragsvolumen und definierten Zie-len. Die Einbeziehung von Beschaffern und der Wettbe-werb über mehrere Phasen werden als die wesentlichenErfolgsfaktoren von SBIR angesehen. Die Aussicht auf öf-fentliche Aufträge macht das SBIR-Programm sowohl fürkleine und neugegründete Unternehmen als auch für etab-lierte Unternehmen attraktiv. Der intensive Austausch zwi-schen öffentlicher Hand und Unternehmen wirkt dabei alsInnovationstreiber.

In Phase 1 werden Machbarkeitsstudien an die Unterneh-men vergeben. In Phase 2 werden die Ideen bis zur Erstel-lung von Prototypen und ersten Testserien weiterentwickelt.In Phase 3 bereiten Unternehmen die Markteinführung desneuen Produkts, Dienstleistung oder Produktionsprozessesvor. Diese letzte Phase wird nicht mehr durch öffentliche Fi-nanzierung unterstützt, allerdings kann die öffentliche Handals erster Käufer der neuen SBIR-Produkte auftreten. AlsLead User profitiert die öffentliche Hand so von den neuenMöglichkeiten, die die im Rahmen von SBIR entwickelte In-novation bietet. Der mehrstufige Ansatz des SBIR-Pro-gramms reduziert das Risiko für die öffentliche Hand, da esnur die besten Projekte in die Entwicklungsphase schaffen.Abbildung 1 zeigt überblicksartig die verschiedenen Phaseneiner SBIR-Runde.

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

11

Carla Dekker*

* Carla Dekker ist Mitarbeiterin des Wirtschaftsministeriums der Niederlan-de und die Projektverantwortliche für innovationsorientierte öffentliche Be-schaffung (PCP/PPI) in den Niederlanden.

1 Unter einem Lead User versteht man einen Nutzer, der vor dem allgemei-nen Markt ein Bedürfnis für eine neue Anwendung artikuliert (vgl. von Hip-pel 1988).

2 Seed Capital bezeichnet finanzielle Mittel, die dazu dienen, ein Produktoder eine Dienstleistung zur Marktreife zu führen.

3 In Artikel 16 der Richtlinie 2004/18/EG werden dezidiert jene FuE-Leistun-gen aus dem Geltungsbereich des Vergaberechts ausgeklammert, »(…)deren Ergebnisse nicht ausschließlich Eigentum des öffentlichen Auftrag-gebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeitsind, sofern die Dienstleistung vollständig durch den öffentlichen Auftrag-geber vergütet wird« (Richtlinie 2004/18/EG, Art. 16f). Der analoge Artikelfür öffentliche Beschaffungen im Bereich der Wasser-, Energie- und Ver-kehrsversorgung sowie der Postdienste, die in der Richtlinie 2004/17/EGgeregelt sind, ist Art. 24e.

Page 10: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Im Zeitraum von 2004 bis 2012 gab es 33 SBIR-Runden.Insgesamt wurden über 300 Verträge in Phase 1 und mehrals 100 Verträge in Phase 2 vergeben. 40 Unternehmenbefinden sich momentan in Phase 3.

Bislang wurden alle SBIR-Runden durch nationale Ministe-rien finanziert. Bei zwei Dritteln dieser Projekte handelt essich um sogenannte »katalytische« SBIR-Ausschreibungen,d.h. es ist typischerweise nicht vorgesehen, dass die neu-en Produkte oder Dienstleistungen in Phase 3 durch die öf-fentliche Hand beschafft werden. In den letzten Jahren lässtsich allerdings, u.a. verursacht durch Einschnitte in den Bud-gets der einzelnen Ministerien, eine Entwicklung hin zu SBIR-Ausschreibungen für innovative Produkte und Dienstleistun-gen beobachten, die auch im öffentlichen Sektor zum Ein-satz kommen sollen (»direkte« SBIR-Ausschreibungen).4 Indiese SBIR-Projekte, die sich meist um die Themen Gefah-

renschutz, innere Sicherheit und Verteidigungdrehen, sind die öffentlichen Beschaffer meiststärker eingebunden, als dies bei katalyti-schen SBIRs der Fall ist. In Tabelle 1 sind ei-nige Beispiele für SBIR-Ausschreibungenaufgeführt, wobei zwischen der Art des End-nutzers (Privatkunden oder öffentliche Hand)unterschieden wird.

Funktionsweise von SBIR

Das folgende Beispiel des »Digitalen Deichs«beschreibt die Funktionsweise des SBIR-Programms. Es zeigt anschaulich, dass In-novationen im Rahmen von SBIR häufig vonjungen Unternehmen kommen und Lösun-

gen für öffentliche Bedarfe innerhalb eines kurzen Zeitrah-mens von zwei bis drei Jahren gefunden werden können.Es verdeutlicht aber auch die Probleme, die durch die Mehr-stufigkeit des SBIR-Programms entstehen können. Wäh-rend der Laufzeit eines SBIR-Projektes können die im Pro-jekt involvierten öffentlichen Beschaffer ihre Prioritäten ge-ändert oder sogar den Arbeitsplatz gewechselt haben. Da-rüber hinaus können bis zur Einführbarkeit des neuen Pro-duktes oder des neuen Dienstes strengere Budgetrestrik-tionen zum Tragen kommen, die dafür sorgen, dass die öf-fentliche Hand das innovative Produkt in Phase 3 nicht mehrim geplanten Umfang beschaffen kann.

Die Bedeutung von Deichen in den Niederlanden ist immens.Die primären Deiche entlang der ökonomisch wichtigstenund dicht bevölkerten Gebiete erstrecken sich über eine Län-ge von mehr als 3 500 km und müssen dem Meer, Seen undFlüssen standhalten. Darüber hinaus verfügen die Nieder-lande noch über 14 000 km regionale Deiche entlang derKanäle (vgl. Förster 2012). Alle Hochwasserschutzanlagen

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

12

Die Funktionsweise von SBIR

Gesellschaftliche Probleme

• Machbarkeit• Technik• Organisation

• Forschung• Entwicklung• Prototyp• Testserie oder Demonstration

• Marktentwicklung• Produkteinführung

Phase 1 Phase 2 Phase 3

6 Monate 2 Jahre

Die Funktionsweise von SBIR

Quelle: Darstellung der Autorin.

Gesellschaftff liche ProblemeGesellschaftliche Probleme

• Machbarkeit• Technik• Organisation

• Forschung• Entwicklung• Prototyp• Testserie oder

Demonstration

• Marktentwicklung• Produkteinführung

Phase 1 Phase 2 Phase 3

6 Monate 2 Jahre

Abb. 1

Tab. 1 Beispiele für SBIR-Ausschreibungen

Beispiele für katalytische SBIR-Ausschreibungen (Endnutzer sind Privatkunden)

Beispiele für direkte SBIR-Ausschreibungen (Endnutzer ist die öffentliche Hand)

Übergang zu einer »grünen Wirtschaft« durch Entwicklung qualitativ hochwertiger Nicht-Nahrungsmittelerzeugnisse, die auf erneuerbarer Biomasse basieren

Steigerung der Aufnahmekapazität (von Teilen) des Wassersystems und des Wasserkreislaufs

Entwicklung neuer Proteine zum menschlichen Verzehr basierend auf Proteinen von Pflanzen, Algen, Tang, Schimmel, Insekten oder kultiviertem Fleisch

Virtuelle Trainingsplattformen für Polizisten, Feuerwehrleute, Nothelfer und Justizvollzugsbedienstete für ein verbessertes Krisenmanagement und zur Katastrophenhilfe, aber auch zur Verbesserung der Verbrechensprävention, Ermittlung und Strafverfolgung

Längeres, unabhängiges und gesundes Leben für ältere Menschen durch neue Gesundheitsprodukte und -dienste

Verbesserung des Körperschutzes für Polizisten, Feuerwehrleute, Soldaten, Nothelfer und Justizvollzugsbedienstete

Weniger Verschwendung von Nahrungsmitteln über die gesamte Wertschöpfungskette der Nahrungsmittelerzeugung hinweg

Verbesserung der Internetsicherheit

Quelle: Darstellung der Autorin.

4 Die Unterscheidung zwischen katalytischer und direkter öffentlicher Be-schaffung wurde von Edler und Georghiou (2007) eingeführt.

Page 11: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

werden regelmäßig visuell überprüft. Dabei könnte Senso-rik die visuellen Inspektionen effektiv unterstützen. Diese wur-de allerdings bislang noch nicht entwickelt.

Zwei Ereignisse haben zu dem Projekt »Digitaler Deich« ge-führt: ein plötzlicher Deichbruch (in Wilnis, August 2003) undein Deich, der beinahe gebrochenen wäre (in Stein, Januar2004). Nach diesen Vorfällen haben das Ministerium für Was-sermanagement und die regionale Wasserbehörden in ih-rem Bericht »Verbesserung der Inspektion von Deichen undDämmen« (2006) unter anderem festgestellt, dass es einenBedarf an neuen Technologien für Echtzeit-Deich-Inspektio-nen und Frühwarnsysteme gibt. Die Generaldirektion füröffentliche Baumaßnahmen und Wassermanagement (Rijks-waterstaat) entschied sich für die Beschaffung einer inno-vativen Lösung und zur Durchführung eines SBIR-Projek-tes. Auf eine Aufforderung zur Vorschlagseinreichung An-fang 2007 gingen 21 Vorschläge ein, von denen die fünf viel-versprechendsten für eine Machbarkeitsstudie in Phase1ausgewählt wurden. Zwei Unternehmen wurden im April2008 in Phase 2 dafür ausgewählt, einen Prototyp zu ent-wickeln. Das Startup Alert Solutions BV stellte seinen Pro-totyp »GeoBeads« im September 2009 fertig. Der Prototyp»Monitoring from Space« von Hansje Brinker BV, ein Start-up der Technischen Universität in Delft, wurde im April 2010fertiggestellt.

Trotz der Dringlichkeit des Problems wurde die Implemen-tierung der neuen Technologien allerdings durch einen Zu-ständigkeitswechsel bei der Deichwartung von Rijkswater-staat an die von den Provinzen kontrollierten Wasserbehör-den behindert.

Abbildung 2 zeigt, dass, obwohl die Vergabe von SBIR-Mitteln grundsätzlich unabhängig von Unternehmensgrößeund -alter ist, SBIR-Auftragnehmer oft junge, neu gegrün-dete KMUs sind. Dies kann als Resultat niedriger bürokra-

tischer Hürden insbesondere bei der Antragstellung im Rah-men von SBIR-Projekten gedeutet werden.

Der Effekt von SBIR-Aufträgen auf die Auftragnehmer

Ende 2012 führte die NL Agency eine Befragung unter48 SBIR-Unternehmen am Ende von Phase 2 und in Pha-se 3 durch. 35 der 48 Unternehmen beantworteten den Fra-gebogen, was einer Rücklaufquote von ca. 73% entspricht.Die Ergebnisse sind vielversprechend.

• 94% der Unternehmen (33 von 35) bestätigen einen po-sitiven Effekt des SBIR-Auftrags auf ihren Umsatz. EinDrittel der Unternehmen berichten sogar über einen star-ken Umsatzzuwachs.

• Wiederum 94% der antwortenden Unternehmen konn-ten neue oder deutlich verbesserte Produkte oder Dienst-leistungen auf den Markt bringen oder nutzen nun bes-sere Produktionsprozesse.

• 60% der antwortenden Unternehmen berichten von ei-ner steigenden Beschäftigtenzahl durch den SBIR-Auf-trag in Phase 2. Von den Unternehmen ohne Beschäf-tigtenwachstum erwarten 79% die Schaffung von neu-en Arbeitsplätzen innerhalb der nächsten fünf Jahre.

• Für ein Drittel der Antwortenden hat der SBIR-Auftragzu einem Umsatzzuwachs außerhalb der Niederlandegeführt.

• Neue Kooperationen mit anderen Unternehmen wurdenvon 71% der antwortenden Unternehmen konstatiert.

Schlussfolgerung

Die vorkommerzielle Auftragsvergabe, beispielsweise imRahmen von SBIR-Aufträgen, schafft insbesondere für klei-

ne Unternehmen Anreize, innovativ tätig zuwerden und im Auftrag der öffentlichen HandLösungen für gesellschaftlich drängendeProbleme zu entwickeln. Die wesentliche He-rausforderung für das niederländische SBIR-Programm besteht darin, die Interaktion zwi-schen öffentlichen Beschaffern und Auftrag-nehmern zu verbessern und zu erreichen,dass die öffentlichen Stellen in Phase 3 häu-figer als erster Käufer (Lead User) auftreten.

Das niederländische Kabinett strebt an, 2,5%des gesamten öffentlichen Beschaffungs-budgets für die Beschaffung von Innovatio-nen zu verausgaben. In Kooperation zwi-schen nationaler, regionaler und lokaler öf-fentlicher Verwaltung wurden gesellschaftli-che Bedarfe in den Bereichen dynamischesVerkehrsmanagement, Wassermanagement,

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

13

0

20

40

60

80

100

% in Phase 1 % in Phase 2

250+

101–250

51–100

21–50

11–20

0–10

Quelle: Darstellung der Autorin.

Größe der durch SBIR geförderten Unternehmen in Phase 1 und 2

Unternehmensgröße(Mitarbeiterzahl)

%

Abb. 2

Page 12: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Rohstoffe, öffentliche Gebäude und Außenanlagen, Gefah-renschutz und Sicherheit, Gesundheitswesen, Gebäudema-nagement und Instandhaltung und Energieeffizienz identifi-ziert. Die künftigen Projekte sollen als Best Practice Beispie-le Vorbildcharakter für andere öffentliche Einrichtungen ha-ben. Es ist geplant, neben SBIR auch andere Instrumenteinnovativer Beschaffung anzuwenden.

Literatur

Connell, D. (2006), »›SECRETS‹ OF THE WORLD’S LARGEST SEED CAPI-TAL FUND: How the United States Government Uses its Small Business In-novation Research (SBIR) Programme and Procurement Budgets to SupportSmall Technology Firms«, Centre of Business Research, University of Cam-bridge.

Edler, J. und J. Georghiou (2007), »Public Procurement and Innovation –Resurrecting the Demand Side«, Research Policy 36, 949–963.

EU (2007), Pre-commercial Procurement: Driving Innovation to Ensure Sus-tainable High Quality Public Services in Europe, Amt für Veröffentlichungender Europäischen Union, Luxemburg.

Förster, U. (2012), »Praktische Untersuchungen zur rückschreitenden Erosi-on am Versuchsdeich IJkdijk«, Beitrag zum 42. Internationalen Wasserbau-Symposium Aachen (IWASA), 12. und 13. Januar 2012.

von Hippel, E. (1988), The Sources of Innovation, Oxford University Press,Oxford.

Innovationspolitik muss auf überzeugender Evidenz basieren

Deutet sich ein Paradigmenwechsel in der Innovationspolitik an?

Die Innovationspolitik in Deutschland und Europa bewegt sichin einem zunehmend komplexeren Umfeld. Klimawandel,Umbau der Energieversorgung, nachhaltiges Wirtschafts-wachstum und demografischer Wandel sind zentrale gesell-schaftliche Herausforderungen, zu deren Bewältigung Po-litik – und insbesondere Innovationspolitik – beitragen soll.Von Seiten der Politik wird argumentiert, dass die gestiege-nen Herausforderungen eine verstärkte »Missionsorientie-rung« in der europäischen Innovationspolitik verlangen (z.B.Bundesregierung 2011). Damit steht die Politik nicht allein:Auch von Wissenschaftlern wird auf das Potenzial missions-orientierter Innovationspolitik hingewiesen, beispielsweise ineiner kürzlich unter dem Titel »The needs for a new gene-ration of policy instruments to respond to the Grand Chal-lenges« erschienenen Serie von Beiträgen in der Fachzeit-schrift Research Policy.

Missionsorientierung bedeutet, dass die Politik einzelne Tech-nologiebereiche auswählt und im Rahmen groß angelegter

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

14

Oliver Falck* Simon Wiederhold**

Ludger Wößmann***

* Prof. Dr. Oliver Falck ist Stellvertretender Leiter des Bereichs Humanka-pital und Innovation am ifo Institut und ifo Professor für Empirische Inno-vationsökonomik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

** Dr. Simon Wiederhold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Hum-ankapital und Innovation am ifo Institut.

*** Prof. Dr. Ludger Wößmann ist Leiter des Bereichs Humankapital und In-novation am ifo Institut und ifo Professor für Volkswirtschaftslehre, ins-besondere Bildungsökonomik, an der Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen.

Page 13: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Programme fördert (vgl. Ergas 1987). Während die US-ame-rikanische Innovationspolitik traditionell missionsorientiertausgerichtet ist – man denke zum Beispiel an das Manhat-tan Project oder Apollo 1 – ist in Deutschland ein Übergangzur Missionsorientierung erst in den letzten Jahren zu erken-nen. Sichtbarer Ausdruck dieser Entwicklung ist die 2006aufgelegte Hightech-Strategie der Bundesregierung, die Zu-kunftsmärkte mit Förderpriorität identifiziert.1 Durch eine ähn-liche Schwerpunktsetzung ist auch das neue EU-For-schungsrahmenprogramm »Horizont 2020« gekennzeich-net, das die Ziele in der europäischen Innovationspolitik inden kommenden Jahren formuliert. Damit setzt die EU-Kom-mission den Kurs fort, den sie bereits mit der Leitmarktini-tiative im Jahr 2007 begonnen hat (EU 2007).

Ein wesentliches Element missionsorientierter Innovations-politik ist der verstärkte Einsatz von nachfrageorientiertenInstrumenten (vgl. Falck und Wiederhold 2013). Diese zeich-nen sich dadurch aus, dass sie in der Regel mit einem in-tensiveren staatlichen Eingriff einhergehen als dies bei Maß-nahmen auf der Angebotsseite (beispielsweise FuE-Subven-tionen) der Fall ist (vgl. OECD 2011). Konkret muss der Staatdarüber entscheiden, welches Produkt beziehungsweisewelche Technologie gesellschaftlich wünschenswert ist unddaher bei der Markteinführung gefördert werden sollte.Gleichwohl genießt die öffentliche Beschaffung im Kontextnachfrageorientierter Innovationspolitik sowohl in der politi-schen als auch akademischen Diskussion eine Vorrang-stellung. So wird derzeit im Europäischen Rat eine Moder-nisierung der Richtlinien des europäischen Vergaberechtsverhandelt, die eine Reihe neuer Regelungen enthalten, wel-che innovative Beschaffungsvorhaben erleichtern sollen (vgl.Crasemann 2013). Flankierend dazu plant die EU-Kommis-sion, mehr Ressourcen für die vorkommerzielle Auftragsver-gabe (Pre-Commercial Procurement oder PCP) als speziel-le Form der Vergabe von staatlichen FuE-Aufträgen bereit-zustellen (vgl. EU 2012). Auch in Deutschland sind PCP-Initiativen geplant (vgl. BMWi 2012; Crasemann 2013).

Neuerdings wird zur Rechtfertigung des Einsatzes von öf-fentlicher Beschaffung als Innovationsinstrument häufig aufChina mit seinem Indigenous Innovation Programm verwie-sen, das Kataloge mit innovativen Produkten inländischerHersteller definiert, die bei der öffentlichen Beschaffung be-vorzugt werden. Dabei wird allerdings übersehen, dass sichChina nicht an der weltweiten Technologiegrenze befindetund deshalb auch durch Imitation statt Innovation wachsenkann (vgl. Aghion und Howitt 2006). In einem solchen Um-feld ist es vergleichsweise leichter, solche »Innovationska-taloge« zu spezifizieren, da die entsprechenden Produktezwar für China neu sind, aber anderswo in der Welt bereitsentwickelt wurden. Ob die Politik in Staaten wie Deutsch-land, das sich nahe an der Technologiegrenze befindet, da-

zu in der Lage ist, gesellschaftlich wünschenswerte Produk-te zu identifizieren, die tatsächlich noch nicht existieren, mussals durchaus fraglich angesehen werden.

Bislang wenig empirische Evidenz zur Wirkungnachfrageseitiger innovationspolitischer Maßnahmen

Trotz der vergleichsweise hohen Eingriffsintensität von nach-frageseitigen innovationspolitischen Maßnahmen und dergeplanten Mittelausweitung insbesondere für PCP-Projek-te gibt es bislang kaum empirische Evidenz zu deren Wir-kungen. Während evidenzbasierte Politikberatung, die ähn-lich wie in der medizinischen Forschung rigoros darauf ab-zielt, objektive empirische Evidenz für die Wirksamkeit ei-ner politischen Maßnahme zu erbringen, inzwischen festerBestandteil etwa in der Arbeitsmarktpolitik ist, gewinnt siein der Innovationspolitik erst langsam an Bedeutung. So-wohl Politiker als auch Praktiker möchten jedoch in Erfah-rung bringen, welche politischen Maßnahmen am effektivs-ten für die Erreichung ihrer angestrebten Ziele sind.

Gemäß Bundeshaushaltsordnung (§ 7 BHO) sind »[b]ei Auf-stellung und Ausführung des Haushaltsplans … die Grund-sätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten«und »[fü]r alle finanzwirksamen Maßnahmen … angemes-sene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen«. DieWirtschaftlichkeit einer politischen Maßnahme ist dann ge-geben, wenn ihr Ertrag größer als ihr Aufwand ist. Damit istes für die Wirtschaftlichkeitsprüfung einer Politikmaßnah-me unumgänglich, möglichst genau den Ertrag zu bestim-men, der ursächlich auf die Maßnahme zurückgeführt wer-den kann und nicht auf andere Einflüsse zurückzuführenist. Letzterer wäre nämlich auch dann aufgetreten, hätte esdie politische Maßnahme nicht gegeben.

Um die Frage nach der kausalen Wirkung politischer Maß-nahmen adäquat beantworten zu können, sind sowohl gu-te Daten als auch die Anwendung von geeigneten empiri-schen Methoden nötig, die den Effekt einer politischen Maß-nahme von anderen Einflüssen isolieren. Gerade wegen ih-rer Komplexität sind diese Methoden zwar häufig schwierigzu vermitteln, jedoch sind sie unabdingbar für die Identifi-kation eines ursächlichen Wirkungszusammenhangs zwi-schen einer Politikmaßnahme und einem politisch angestreb-ten Ziel.

Darum soll im Folgenden ein »Werkzeugkasten« skizziertwerden, der eine Auswahl von Methoden zur Identifikati-on ursächlicher Wirkungen von politischen Maßnahmenauf die angestrebten Ziele vorstellt. Dazu wird zunächstkurz erläutert, warum empirische Standardmethoden, dieüblicherweise sowohl in der innovationsökonomischen For-schung als auch bei der Evaluierung innovationspolitischer

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

15

1 Online verfügbar unter: http://www.hightech-strategie.de./

Page 14: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Programme angewendet werden, häufig nicht dazu geeig-net sind, den ursächlichen Effekt einer Maßnahme zu be-stimmen.

Probleme der empirischen Standardmethoden

Mit statistischen Standardmethoden kann vergleichsweiseeinfach überprüft werden, ob zwischen der Einführung ei-ner Politikmaßnahme (»Behandlung«) und einem angestreb-ten Ziel (»Ergebnis«) ein statistischer Zusammenhang be-steht. Es ist jedoch meist schwierig zu beurteilen, ob dieserstatistische Zusammenhang nur eine Korrelation zwischenBehandlung und Ergebnis darstellt oder auf einem kausa-len Effekt der Behandlung auf das Ergebnis beruht. DerGrund hierfür liegt darin, dass der beobachtete statische Zu-sammenhang auch andere Ursachen haben kann. So könn-te beispielsweise das unbefriedigende Abschneiden einesLandes bei internationalen Forschungs- und Innovations-vergleichen dazu geführt haben, dass in einem Land eine in-novationspolitische Maßnahme eingeführt wurde. Man wür-de dann in einem Ländervergleich zunächst einen negativenZusammenhang zwischen der Politikmaßnahme und demGrad der Innovativität eines Landes feststellen. Hier lägedemnach eine umgekehrte Kausalität vor, d.h. der kausaleWirkungszusammenhang ginge vom schlechten Abschnei-den eines Landes beim internationalen Vergleich zur Ein-führung der Politikmaßnahme.

Neben umgekehrter Kausalität können vor allem ausgelas-sene Variablen für die Korrelation zwischen Behandlung undErgebnis verantwortlich sein. So ist es vorstellbar, dass ins-besondere Unternehmen in einer prekären wirtschaftlichenLage Lobbying für PCP-Aufträge betreiben und diese Auf-träge letztlich auch erhalten. Ein Vergleich von Unterneh-men, die PCP-Aufträge erhalten, mit Unternehmen ohne sol-che Aufträge würde dann wahrscheinlich ergeben, dassdie Unternehmen mit PCP-Aufträgen ein vergleichsweiseschlechteres Ergebnis erreichen. Dies wäre aber offensicht-lich nicht kausal auf den Erhalt von PCP-Aufträgen zurück-zuführen.

In Standardverfahren wie multivariaten Kleinste-Quadrate-Schätzungen (OLS) oder Matching-Ansätzen wird diesenProblemen dadurch begegnet, dass beobachtete Unter-schiede zwischen Behandlungsgruppe (erfährt die Politik-maßnahme) und Kontrollgruppe (erfährt die Politikmaßnah-me nicht) herausgerechnet werden. Da allerdings nur be-obachtbare Unterschiede in diesen Verfahren berücksich-tigt werden können, kann weiterhin nur eine Korrelation,gegeben die beobachtbaren Unterschiede zwischen Be-handlungs- und Kontrollgruppe, ermittelt werden. Diese Ver-fahren lösen nicht das Problem ausgelassener Variablen, Va-riablen also, die gerade nicht beobachtbar sind oder aus an-deren Gründen nicht in Betracht gezogen wurden.

Die Mehrzahl der existierenden Evaluierungen innovati-onspolitischer Programme in Deutschland benutzt zwareinen Vergleich zwischen Behandlungs- und Kontrollgrup-pen, um die Effekte des jeweiligen Programms zu mes-sen. Allerdings sind die bisherigen Evaluierungen nicht inder Lage, die angesprochenen Probleme der umgekehr-ten Kausalität und der ausgelassenen Variablen adäquatzu lösen. Der Grund dafür liegt in der Auswahl der Kont -rollgruppe. So können sich geförderte Unternehmen sys-tematisch von denjenigen Unternehmen unterscheiden,die sich von Vornherein nicht um Fördermittel bemüht ha-ben. Auch ein Vergleich mit Unternehmen, deren Antragauf Förderung abgelehnt wurde, kann irreführend sein,da es sich hier möglicherweise systematisch um schwä-chere Unternehmen handelt. Insofern bestehen bei allemHilfreichen, das aus bisherigen Evaluierungen über die Ein-schätzungen und Verhaltensweisen der Unternehmen ge-lernt werden kann, berechtigte Zweifel daran, dass sie diekausalen Effekte der jeweiligen Politikmaßnahme abbildenkönnen.

Im Kontext nachfrageorientierter innovationspolitischerMaßnahmen wird dies beispielsweise anhand der Evalu-ierung des US-amerikanischen Small Business Innovati-on Research (SBIR) Programms durch das National Re-search Council (NRC) deutlich (vgl. Wessner 2008). ImRahmen von SBIR werden Innovationsvorhaben kleinerund mittlerer Unternehmen finanziert (vgl. Link und Scott2012). Die Evaluierungsergebnisse des NRC bildeten nichtzuletzt die Grundlage für die Fortsetzung des SBIR-Pro-gramms unter der Obama-Regierung. In seiner qualitati-ven Evaluierungsstudie verweist das NRC auf positive Ef-fekte des SBIR-Programms unter anderem auf Wissens-generierung und -verbreitung, Kooperationen zwischenUniversitäten und Unternehmen, Gründungsaktivität undUnternehmenswachstum. Die Studie gibt sicherlich ei-nen tiefen Einblick in die Funktionsweise des SBIR-Pro-gramms, erlaubt aber nach generellem Verständnis evi-denzbasierter Politikberatung keine Rückschlüsse auf denErfolg des Programms, da der NRC-Datensatz keinerleiInformationen über nicht geförderte Unternehmen – alsoüber eine mögliche Kontrollgruppe – enthält. Demgegen-über kommen zwei Studien, die SBIR-Mittelempfänger mitnicht geförderten Unternehmen vergleichen, zu ganz an-deren Ergebnissen: Lerner (1999) findet generell keine po-sitiven Effekte des SBIR-Programms auf das Beschäfti-gungswachstum der geförderten Unternehmen. Darüberhinaus belegt Wallsten (2000), der zudem berücksichtigt,dass der Erhalt einer SBIR-Förderung von den FuE-Akti-vitäten der Firmen abhängt, die Existenz von starken Mit-nahmeeffekten, die darauf hindeuten, dass die staatlicheFörderung lediglich private FuE-Ausgaben verdrängt hat.Um die tatsächliche Wirksamkeit innovationspolitischerMaßnahmen beurteilen zu können, bedarf es also über-zeugender Methoden.

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

16

Page 15: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Von Korrelation zu Kausalität: Das randomisierteFeldexperiment

Quasi der »Goldstandard« zur Identifikation kausaler Effek-te einer Politikmaßnahme auf die angestrebten Zielgrößenist das randomisierte Feldexperiment. Dabei werden die Un-ternehmen wie bei medizinischen Experimenten zufällig ineine Behandlungsgruppe, die der Politikmaßnahme ausge-setzt wird, und in eine Kontrollgruppe, die diese nicht er-hält (die »Placebo-Gruppe«), aufgeteilt. Eine Variante vonrandomisierten Feldexperimenten – das sogenannte Lotte-riedesign – lässt sich beispielsweise bei Pilotprojekten ei-ner angestrebten politischen Maßnahme relativ leicht im-plementieren. Da in Pilotprojekten häufig nur begrenzt Mit-tel zur Verfügung stehen, kann es passieren, dass nicht al-le Bewerber Förderung im Rahmen des Pilotprojekts er-halten können, auch wenn sie formal alle Fördervorausset-zungen erfüllen.

Man kann nun eine Lotterie implementieren, in der der Zu-fall entscheidet, welche der gleichermaßen qualifizierten Be-werber die Förderung im Pilotprojekt tatsächlich erhalten.Die zufällige Zuteilung erlaubt es nun, die Gruppe der erfolg-reichen Bewerber mit der Gruppe der unterlegenen Bewer-ber in Bezug auf politisch definierte Zielgrößen zu verglei-chen. Bei ausreichenden Fallzahlen stellt das Gesetz dergroßen Zahl sicher, dass sich bei zufälliger Zuteilung dieBehandlungsgruppe nicht signifikant von der Kontrollgrup-pe unterscheidet. Die Differenz in den Zielgrößen zwischenden beiden Gruppen lässt sich daher kausal auf die Politik-maßnahme zurückführen, weil sich die beiden Gruppen auf-grund der zufälligen Zuteilung ohne die Politikmaßnahmenicht systematisch in ihren Eigenschaften unterscheidenwürden. Zu Recht fordert die Expertenkommission For-schung und Innovation in ihrem aktuellen Jahresgutachtenden Einsatz solcher randomisierter Feldexperimente auchbei der Evaluation innovationspolitischer Maßnahmen (EFI2013, Abschnitt A6).

Alternative Ansätze zur Messung kausaler Effekte

Neben randomisierten Feldexperimenten haben sich in derevidenzbasierten Politikberatung in den letzten JahrzehntenMethoden etabliert, mit deren Hilfe versucht wird, auch aufder Basis von nicht experimentell erhobenen Daten (Beob-achtungsdaten) kausale Effekte einer Politikmaßnahme zuidentifizieren (vgl. z.B. Angrist und Pischke 2009). Zwei gän-gige Methoden sind der sogenannte Differenz-in-Differen-zen-Ansatz und der sogenannte Regressionsdiskontinui-tätsansatz.

Der Differenz-in-Differenzen-Ansatz zeichnet sich dadurch aus,dass er die Entwicklung von Behandlungs- und Kont rollgrup-pe vor der Einführung einer Politikmaßnahme mit der Entwick-

lung danach vergleicht. Der Name des Ansatzes kommt da-her, dass man zunächst für jede der beiden Gruppen die Ver-änderung der interessierenden Variablen von vor Einführungbis nach Einführung einer Politikmaßnahme berechnet. DieDifferenz dieser beiden Veränderungen lässt sich unter be-stimmten Annahmen als kausaler Effekt der Politikmaßnah-me auf die Ergebnisvariable interpretieren. Die notwendigeAnnahme besteht darin, dass sich Kont roll- und Behandlungs-gruppe ohne die Politikmaßnahme gleich entwickelt hätten.Abbildung 1 verdeutlicht den Differenz-in-Differenzen Ansatzam Beispiel des Effekts von staatlichen PCP-Aufträgen aufdie Höhe der FuE-Ausgaben der Auftragnehmer.

Ein Beispiel der Anwendung eines solchen Differenz-in-Dif-ferenzen-Ansatzes zur Evaluierung einer innovationspoliti-schen Maßnahme findet sich in Falck et al. (2010), die denEffekt der Einführung einer clusterorientierten Politik in Bay-ern auf die Innovativität von Unternehmen analysieren. DieHigh-Tech-Offensive wurde in Bayern im Jahr 1999 einge-führt und war auf die Förderung von Unternehmensclusternin den fünf Technologiefeldern Life Sciences, Informations-und Kommunikationstechnologie, neue Materialien, Umwelt-technik und Mechatronik ausgerichtet. Die Autoren verglei-chen die Entwicklung der Innovationstätigkeit von Unter-nehmen in diesen Technologiefeldern innerhalb und außer-halb Bayerns von vor bis nach der Einführung der Politikmaß-nahme. Bis zur Einführung der Politikmaßnahme in Bayernhaben sich die Unternehmen in den geförderten Technolo-giefeldern innerhalb und außerhalb Bayerns ähnlich entwi-ckelt. Erst mit der Einführung der Politikmaßnahme weisenbayerische Unternehmen in den fünf Technologiefeldern ei-ne signifikant höhere Wahrscheinlichkeit zu innovieren auf,was auf einen positiven Effekt der Maßnahme hindeutet.

Die zweite Methode – der Regressionsdiskontinuitätsansatz– basiert darauf, dass der Erhalt von öffentlicher Förderung

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

17

Abb. 1Differenz-in-Differenzen-Ansatz

Quelle: Darstellungen der Autoren.

Page 16: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

durch eine Politikmaßnahme häufig an die Erfüllung gewis-ser Eigenschaften geknüpft ist. Beispiele hierfür sind Unter-nehmensgrößen- oder Altersgrenzen. Der Regressionsdis-kontinuitätsansatz vergleicht nun Unternehmen, die geradenoch die Eigenschaft erfüllen, die zur Teilnahme an der För-dermaßnahme berechtigt, mit Unternehmen, die diese Ei-genschaft gerade nicht mehr erfüllen. Weil sich Unterneh-men knapp unterhalb und knapp oberhalb des Grenzwer-tes – mit Ausnahme des Zugangs zur Politikmaßnahme –kaum voneinander unterscheiden, lässt sich der kausaleEffekt der Politikmaßnahme dadurch untersuchen, ob dieinteressierende Zielgröße an dem Grenzwert einen Sprungaufweist.

Abbildung 2 stellt den Regressionsdiskontinuitätsansatz gra-phisch dar, wiederum am Beispiel des Effekts von PCP-Auf-trägen auf die FuE-Ausgaben der Auftragnehmer. Die Gra-fik basiert dabei auf der Annahme, dass lediglich Unterneh-men bis zu einer gewissen Mitarbeiterzahl bei den PCP-Ini-tiativen berücksichtigt werden, ähnlich wie beim US-ameri-kanischen SBIR-Programm.

Ein Beispiel der Anwendung eines solchen Regressions-diskontinuitätsansatzes im Innovationskontext findet sichbei Kerr et al. (2013), die den Effekt von Finanzierungsres-triktionen auf den Erfolg von Unternehmern untersuchen.Ihnen stehen Daten von zwei Business Angel InvestmentGruppen in den USA zur Verfügung. Diese Gruppen neh-men in regelmäßigen Evaluierungsrunden Bewertungen dervon Unternehmern eingereichten Projektvorschläge vor. ImBewertungsschema zeigt sich ein klarer Grenzwert in denBewertungspunkten, oberhalb dessen die Wahrscheinlich-keit, Business Angel Capital zu erhalten, sprunghaft an-steigt. Die Autoren nutzen den Grenzwert aus und ver-gleichen Projekte knapp oberhalb dieses Grenzwertes mit

Projekten knapp unterhalb dieses Grenzwertes. Diese Pro-jekte unterscheiden sich zwar in der Wahrscheinlichkeit,Business Angel Finanzierung zu erhalten, nicht jedoch insonstigen wesentlichen Eigenschaften (z.B. hinsichtlich derErfahrung des Antragstellers oder ob dem Projektantragein angemeldetes Patent zugrunde liegt). Der Vergleich die-ser Projekte zeigt, dass Unternehmen, die Finanzierungdurch die Business Angel Investment Gruppen erhalten ha-ben, eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit aufweisenund bei verschiedenen Unternehmenskennzahlen erfolg-reicher sind.

Fazit

Innovationen sind die Basis unseres zukünftigen Wohl-stands. Darum ist es wichtig, dass die Politik Rahmen-setzungen sicherstellt, die erfolgreiche Innovationstätig-keit in unserer Gesellschaft ermöglichen. Gerade des-halb sollte man sich, bevor ein grundlegender Paradig-menwechsel in der Innovationspolitik vollzogen wird, si-cher sein, dass das neue Paradigma die Innovationstä-tigkeit wirksam befördert und einen wirtschaftlichen Mit-teleinsatz sicherstellt. Eine grundsätzliche Missionsorien-tierung, wie sie derzeit in der Innovationspolitik der Euro-päischen Union angestrebt wird, würde für Deutschlandeine grundlegende Umorientierung darstellen, die eine ho-he Eingriffsintensität und umfangreichen Mitteleinsatz vor-sieht. Bevor die Politik hier weite Schritte macht, solltesie sicherstellen, dass eine solche Umorientierung auchdie gewünschten Ergebnisse liefert.

Ein wesentliches Element der Missionsorientierung ist dieBetonung der Rolle öffentlicher Beschaffung als innovati-onspolitisches Instrument. So hat der Beirat des Euro-päischen Forschungsraumes (ERA) vorgeschlagen, dass2% der europaweiten öffentlichen Beschaffung, die ins-gesamt auf ca. 2 Bill. Euro geschätzt wird, für den Ein-kauf von innovativen Gütern und Dienstleistungen veraus-gabt werden solle.2 Falls die Mitgliedsstaaten diesem Vor-schlag nachkämen, würden in Europa demnächst etwa40 Mrd. Euro pro Jahr für die öffentliche Beschaffung vonInnovationen ausgegeben werden. Darüber hinaus ist wieerwähnt geplant, dass auch die Mittel für PCP-Program-me innerhalb der EU erhöht werden. Über die tatsächli-chen Wirkungen solcher Elemente einer nachfrageorien-tierten Innovationspolitik ist bislang allerdings fast nichtsbekannt. Daher wäre zu wünschen, dass die Politik die-se Programme mit überzeugenden Evaluationen ihrer Wirk-samkeit und Wirtschaftlichkeit begleitet, bevor sie auf brei-ter Front eingeführt werden.

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

18

Abb. 2Regressionsdiskontinuitätsansatz

Quelle: Darstellungen der Autoren.

2 Online verfügbar unter: http://cordis.europa.eu/fp7/ict/pcp/main-out -comes-innovation-in-public-procurement-conference-23-24-04-brus-sels.pdf.

Page 17: Innovationen auf Bestellung? Was von einer stärkeren … · 2021. 2. 21. · schaftswissenschaften an der Université de Stras-bourg und Mitglied der Expertenkommission For-schung

Zur Diskussion gestellt

Literatur

Aghion, P. und P Howitt (2006), »Appropriate Growth Policy: A Unifying Framework«, Journal of the European Economic Association 4, 269–314.

Angrist, J.D. und J.-S. Pischke (2009), Mostly Harmless Econometrics: AnEmpiricist’s Companion, Princeton University Press, Princeton, NJ.

BMWi (2012), »›Lust auf Technik‹ – Neues wagen, Wachstum stärken, Zu-kunft gestalten, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Berlin,online verfügbar unter: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/I/innova-tionskonzept,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf.

Bundesregierung (2011), »Stellungnahme der Bundesregierung zum Grün-buch ›Von Herausforderungen zu Chancen: Entwicklung einer gemeinsamenStrategie für die EU-Finanzierung von Forschung und Innovation‹«, online ver-fügbar unter: http://www.bmbf.de/pubRD/stellungnahme_BREG_gruen-buch.pdf.

Crasemann, W. (2013), »Aktivitäten der Bundesregierung und der Europäi-schen Kommission für eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung«,ifo Schnelldienst 66(5), 7–10.

EFI (2013), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leis-tungsfähigkeit Deutschlands 2013, Expertenkommission Forschung und In-novation, Berlin, online verfügbar unter: http://www.e-fi.de/gutachten.html.

Ergas, H. (1987), »The Importance of Technology Policy«, in: P. Dasgupta undP. Stoneman (Hrsg.), Economic Policy and Technological Performance, Cam-bridge University Press, Cambridge.

EU (2007), Eine Leitmarktinitiative für Europa, Europäische Kommission, Lu-xemburg, online verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexU-riServ.do?uri=COM:2007:0860:FIN:DE:PDF.

EU (2012), e-Newsletter No. 6 – New Developments on Public Procurementand Innovation, Juli, Europäische Kommission, Amt für Veröffentlichungender Europäischen Union, Luxemburg.

Falck, O., S. Heblich und S. Kipar (2010): »Industrial Innovation: Direct Evi-dence from a Cluster-Oriented Policy«, Regional Science and Urban Econo-mics 40, 574–582.

Falck, O. und S. Wiederhold (2013), Nachfrageorientierte Innovationspolitik,Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 12-2013, Expertenkommis-sion Forschung und Innovation (EFI), Berlin, online verfügbar unter:http://www.e-fi.de/fileadmin/Innovationsstudien_2013/StuDIS_12_2013_ifo.pdf.

Kerr, W., J. Lerner und A. Schoar (2013), »The Consequences of Entrepre-neurial Finance: Evidence from Angel Financings«, Review of Financial Stu-dies, im Erscheinen.

Lerner, J. (1999), »The Government as Venture Capitalist: The Long-Run Effects of the SBIR Program«, Journal of Business 72, 285–318.

Link, A. und J. Scott (2012), »Employment Growth from the Small BusinessInnovation Research Program«, Small Business Economics 39, 265–287.

OECD (2011), Demand-side Innovation Policy, Organization for EconomicCo-operation and Development, Paris.

Wallsten, S. (2000), »The Effects of Government-Industry R&D Programs onPrivate R&D: The Case of the Small Business Innovation Research Program«,RAND Journal of Economics 31, 82–100.

Wessner, C. (Hrsg.) (2008), An Assessment of the SBIR Program, NationalAcademy Press, Washington DC.

i fo Schne l ld ienst 5/2013 – 66. Jahrgang – 14. März 2013

19