Integrierte Steuerung in der...

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60 ERP Management 9 (2013) 4 ERP-Forum Steyr D er Auftragsprozess beginnt in der Regel mit einer Grobkalkulation, die vom zuständigen Projektlei- ter mit dem Kunden so weit detailliert wird, dass ein Angebot erstellt werden kann. Bereits in dieser Phase ist eine Prüfung der erforderlichen Ressour- cen notwendig, da mit dem Angebot auch ein Liefertermin festgelegt werden muss. Dieser Ablauf entspricht der klas- sischen Engineer-to-Order-Abwicklung, die hauptsächlich im Anlagenbau anzu- treffen ist [1]. Bei der Fertigung handelt es sich vom Grundprinzip her um eine Fließ- fertigung, die dadurch gekennzeich- net ist, dass die Produktiveinheiten bzw. Arbeitsplätze nach der Bearbei- tungsfolge angeordnet sind. Ziel ist hier möglichst die Vermeidung von Rückläufen und Kreuzungen der Ma- terialbewegungen [2]. Das Durchlau- fen des sequenziellen Fertigungspfa- des wird technisch über eine soge- nannte Palettenumlaufanlage reali- siert, die die Fertigungstische durch die Fertigung bewegt. Der dritte Planungsschritt umfasst die Koordination der Baustellenlogis- tik. Es geht dabei in erster Linie um eine termingerechte Anlieferung der Bauteile in der richtigen Reihenfolge, also Anforderungen, die beispielswei- se auch aus der Automobilindustrie bekannt sind. Größe und Gewicht der einzelnen Komponenten erfordern aber einen zusätzlichen Planungs- schritt zur Optimierung der einge- setzten Fahrzeuge, bis hin zur Abwick- lung von Sondertransporten. Hauptziel bei der Integration der beteiligten IT-Systeme ist die Opti- mierung der operativen PPS. Auf Basis vorliegender Kundenaufträge sollte der mengenmäßige und zeitliche Ab- lauf der Produktion, unter Berücksich- tigung der verfügbaren Kapazitäten durch Planvorgaben, zur Erreichung der betrieblichen Ziele wie Qualität und Kosten- und Kapazitätsoptimie- rung, festgelegt werden [3]. Um den Spagat zwischen exakter, auf best- möglichen Materialfluss ausgelegter Feinplanung der Produktionslinien und hoher Kundenflexibilität bis kurz vor Produktionsbeginn zu beschrei- ben, eignet sich der Begriff der ‚Evolu- tionären Fertigungsplanung‘, der aus dem Anlagenbau übernommen, auch in der Fertighaus-Industrie anwend- bar ist [4]. Die Kapazitätsplanung im Sinne der Feinplanung, welche aufgrund ei- Patrick Pöchlauer, MAS ist Product Manager PPS bei der BMD System- haus GmbH. Integrierte Steuerung in der Fertighaus-Industrie Flexible grafische Feinplanung Viele Betriebe, speziell in stark spezialisierten Branchen, sind zu Recht skeptisch gegenüber dem Einsatz von integrierten, branchen- übergreifend standardisierten Produktionsplanungs- und Steue- rungssystemen (PPS-System). Die Anforderungen eines Fertighaus- Produzenten an das PPS-System führen klassische Planungsme- thoden schnell an ihre Grenzen. Auf der einen Seite erfordert der Planungs- und Produktionsprozess eines Fertigteilhauses die Instrumente eines typischen Projektfertigers. Auf der anderen Seite werden der Spielraum in der Feinplanung durch die Größe der be- arbeiteten Teile und die daraus resultierenden geringen zeitlichen Spielräume in der Produktion und der direkt angebundenen Bau- stellenlogistik enorm eingeschränkt. Neben der traditionellen zeit- kontinuierlichen Kapazitätsplanung der Produktionslinien ist daher auch die Ressource ‚Raum‘ ein wesentlicher Faktor im kurzfristigen Produktionsablauf. Der Artikel beschreibt beispielhaft den Ablauf von der Planung zum fertigen Haus und geht dabei auf Anforderun- gen für ERP-Systeme in der Fertigbau-Industrie ein. Patrick Pöchlauer, Martin Dickbauer und Friedrich Romberger In diesem Beitrag lesen Sie: mit welchen Planungshausforde- rungen ein Fertighaus-Hersteller konfrontiert ist, wie sich die Systemlandschaft von Stand-Alone-Lösungen zu integ- rierten Gesamtlösungen gewan- delt hat, welche Vorteile zentrale Daten- haltung in der Projektfertigung bringt. DI Martin Dickbauer ist Professor für ERP-Systeme an der Fachhochschule Steyr. Dipl.-Ing. Friedrich Romberger ist Geschäftsführer der Romberger Fertigteile GmbH.

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61© GITO Verlag60 ERP Management 9 (2013) 4

ERP-Forum Steyr

Der Auftragsprozess beginnt in der Regel mit einer Grobkalkulation, die vom zuständigen Projektlei-

ter mit dem Kunden so weit detailliert wird, dass ein Angebot erstellt werden kann. Bereits in dieser Phase ist eine Prüfung der erforderlichen Ressour-cen notwendig, da mit dem Angebot auch ein Liefertermin festgelegt werden muss. Dieser Ablauf entspricht der klas-sischen Engineer-to-Order-Abwicklung, die hauptsächlich im Anlagenbau anzu-treffen ist [1].

Bei der Fertigung handelt es sich vom Grundprinzip her um eine Fließ-fertigung, die dadurch gekennzeich-net ist, dass die Produktiveinheiten bzw. Arbeitsplätze nach der Bearbei-tungsfolge angeordnet sind. Ziel ist hier möglichst die Vermeidung von Rückläufen und Kreuzungen der Ma-terialbewegungen [2]. Das Durchlau-fen des sequenziellen Fertigungspfa-des wird technisch über eine soge-nannte Palettenumlaufanlage reali-siert, die die Fertigungstische durch die Fertigung bewegt.

Der dritte Planungsschritt umfasst die Koordination der Baustellenlogis-tik. Es geht dabei in erster Linie um eine termingerechte Anlieferung der Bauteile in der richtigen Reihenfolge, also Anforderungen, die beispielswei-se auch aus der Automobilindustrie bekannt sind. Größe und Gewicht der einzelnen Komponenten erfordern aber einen zusätzlichen Planungs-schritt zur Optimierung der einge-

setzten Fahrzeuge, bis hin zur Abwick-lung von Sondertransporten.

Hauptziel bei der Integration der beteiligten IT-Systeme ist die Opti-mierung der operativen PPS. Auf Basis vorliegender Kundenaufträge sollte der mengenmäßige und zeitliche Ab-lauf der Produktion, unter Berücksich-tigung der verfügbaren Kapazitäten durch Planvorgaben, zur Erreichung der betrieblichen Ziele wie Qualität und Kosten- und Kapazitätsoptimie-rung, festgelegt werden [3]. Um den Spagat zwischen exakter, auf best-möglichen Materialfluss ausgelegter Feinplanung der Produktionslinien und hoher Kundenflexibilität bis kurz vor Produktionsbeginn zu beschrei-ben, eignet sich der Begriff der ‚Evolu-tionären Fertigungsplanung‘, der aus dem Anlagenbau übernommen, auch in der Fertighaus-Industrie anwend-bar ist [4].

Die Kapazitätsplanung im Sinne der Feinplanung, welche aufgrund ei-

Patrick Pöchlauer, MAS ist Product Manager PPS bei der BMD System-haus GmbH.

Integrierte Steuerung in der Fertighaus-IndustrieFlexible grafische Feinplanung

Viele Betriebe, speziell in stark spezialisierten Branchen, sind zu Recht skeptisch gegenüber dem Einsatz von integrierten, branchen-übergreifend standardisierten Produktionsplanungs- und Steue-rungssystemen (PPS-System). Die Anforderungen eines Fertighaus-Produzenten an das PPS-System führen klassische Planungsme-thoden schnell an ihre Grenzen. Auf der einen Seite erfordert der Planungs- und Produktionsprozess eines Fertigteilhauses die Instrumente eines typischen Projektfertigers. Auf der anderen Seite werden der Spielraum in der Feinplanung durch die Größe der be-arbeiteten Teile und die daraus resultierenden geringen zeitlichen Spielräume in der Produktion und der direkt angebundenen Bau-stellenlogistik enorm eingeschränkt. Neben der traditionellen zeit-kontinuierlichen Kapazitätsplanung der Produktionslinien ist daher auch die Ressource ‚Raum‘ ein wesentlicher Faktor im kurzfristigen Produktionsablauf. Der Artikel beschreibt beispielhaft den Ablauf von der Planung zum fertigen Haus und geht dabei auf Anforderun-gen für ERP-Systeme in der Fertigbau-Industrie ein.

Patrick Pöchlauer, Martin Dickbauer und Friedrich Romberger

In diesem Beitrag lesen Sie:

• mit welchen Planungshausforde-rungen ein Fertighaus-Hersteller konfrontiert ist,

• wie sich die Systemlandschaft von Stand-Alone-Lösungen zu integ-rierten Gesamtlösungen gewan-delt hat,

• welche Vorteile zentrale Daten-haltung in der Projektfertigung bringt.

DI Martin Dickbauer ist Professor für ERP-Systeme an der Fachhochschule Steyr.

Dipl.-Ing. Friedrich Romberger ist Geschäftsführer der Romberger Fertigteile GmbH.

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P. Pöchlauer u.a.: Integrierte Produktionsplanung

niger unternehmens- und fertigungs-bedingter Spezifika eine besondere Herausforderung darstellt, kann gra-fisch umgesetzt werden. Durch die Belegung der Fertigungstische (Bild 1) mit den unterschiedlichen Werkstü-cken der verschiedensten Arten wird die Kapazitätsplanung auf Produkti-onslinien und einzelne Arbeitsplät-ze von der Software vollautomatisch durchgeführt. Nutzerseitig werden so-mit nur die Werkstückträger grafisch beplant, die Beplanung der weiteren relevanten Entitäten [1] (z.B. Materia-lien) wird vom PPS-System automati-siert durchgeführt. Durch diese auto-matische Berechnung der relevanten Ressourcen in den unterschiedlichen Fertigungsbereichen werden Ent-scheidungen um die Kapazitätsdi-mensionierung der Produktiveinhei-ten erleichtert, indem die Gegenüber-stellung des vorhandenen Kapazitäts-bestands und des Kapazitätsbedarfs zu jedem Zeitpunkt möglich ist.

Effiziente Abbildung der Gesamtabläufe im System

Kernstück der Planung ist die lini-enbezogene Darstellung aller Ferti-gungsaufträge im grafischen Leitstand (Bild 2), unter Berücksichtigung der Personalressourcen und der benötig-ten Zusatzteile. Um die größte Heraus-forderung – den erfüllbaren Lieferter-min – bereits in der Angebotsphase mit wenigen konstruktiven Details zu erhalten, werden Methoden aus der Variantenfertigung, wie die merkmals-basierte Clusteranalyse genutzt [5]. Ziel ist es dabei, ein Projekt in stan-dardisierte Baugruppen zu zerlegen, die bereits in dieser Phase eine Kapa-zitätsprüfung ermöglichen. Im weite-ren Projektverlauf werden dann diese ‚anonymen‘ Standard-Baugruppen durch die Konstruktionsabteilung in kundenprojektspezifische Einzelteile umgesetzt. Der Abgleich dieser beiden Planungsebenen wird vom Planungs-system unterstützt.

Materialseitig liegt die Anforde-rung primär darin, das bereits umge-setzte Push-Prinzip im Manufacturing

Resource Planning-Bereich einerseits abzubilden und anderseits etwaige Optimierungspotenziale aufzuzeigen [1]. Besonders wichtig ist eine nahtlose Integration aller beteiligten Unterneh-mensbereiche. So werden beispiels-weise über das standardisierte XML-Interface die konvergenten Stücklisten aus der Konstruktions-Software in die Software eingelesen und können dort vom PPS-System weiterverarbeitet und die Produktion geplant werden. Die Mischrezepturen werden gänzlich im ERP-System verwaltet und ver-brauchsgesteuert aufgelöst.

Um eine effiziente Auftrags- und Kapazitätsüberwachung realisieren zu können, spielt die durchgängige Anbindung einer Betriebsdatenerfas-sung eine zentrale Rolle. Einerseits wird durch die Erfassung von Fertigungs-zeiten und -mengen eine Auftragsfort-schrittskontrolle erreicht, andererseits können durch die Rückmeldungen Vorgabezeiten adaptiert und die tat-sächliche Kapazitätssituation über-wacht werden, um die Planungs- und

Steuerungsaufgaben jeweils basierend auf aktuellen Systemzuständen durch-führen zu können. Die Aufzeichnung der Fertigungszeiten kann über die BDE der PPS-Lösung erfolgen. Die Mit-PPS-Lösung erfolgen. Die Mit-arbeiter melden die Fertigungszeiten für die einzelnen Werkstücke über Bar-code-Scanner und Terminals, die direkt in den Fertigungshallen aufgestellt sind. Ebenso werden die Materialver-bräuche im System aufgezeichnet. Die-se Daten werden automatisch in die Kostenrechnung übergeleitet, denn um eine effiziente Kostensituation für Hersteller und Kunden gewährleisten zu können, ist die genaue Kenntnis der Kostensituation unumgänglich.

Zentralisierung aller Daten im ERP-System

In der Vergangenheit lag das Hauptaugenmerk von Unternehmen darauf, einzelne Unternehmensbe-reiche mittels IT zu optimieren. Al-lerdings ist ein deutlicher Trend hin zu integrierten Gesamtlösungen mit

Bild 1: Produktion eines Bauteils auf einem Fertigungstisch.

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gemeinsamer Datenbasis, also voll integrierten ERP-Systemen, gegen-über isolierten Stand-Alone-Lösun-gen zu beobachten. Es ist sowohl ein Trend zur verstärkten horizontalen (durchgängige Informationsströme, die dem Leistungserstellungspro-zess folgen), als auch zur intensive-ren vertikalen Integration (Hierarchie übergreifend, von der Transaktions- zur Planungsebene im Unterneh-im Unterneh-men) beobachtbar [6].

Es ist heute bei ERP-Implemen-tierungen durchaus üblich, dass be-stehende und stark spezialisierte Individuallösungen beibehalten und integriert werden [7]. Eine Integrati-on des Projektmanagements in die operativen Funktionen des ERP mit meist unterschiedlichen Planungs-horizonten ist dabei unerlässlich [8].

Vor allem der Bereich der Betriebs-datenerfassung lebt von der laufen-den und durchgängigen Anwendung des Systems. Nur zeitnahe und ge-naue Rückmeldungen können Rück-schlüsse und Einflüsse auf die lau-fende Planung zulassen. Dazu ist es allerdings nötig, die Eingaben bzw. die Komplexität in der Erfassung auf ein verträgliches Minimum für die An-wender zu reduzieren.

Literatur

[1] Jodlbauer, H.: Produktionsoptimierung: Wertschaffende sowie kundenorientierte Planung und Steuerung. Wien, 2007.

[2] Zäpfel, G.: Taktisches Produktionsmanage-ment (2. Ausgabe). München, 2000.

[3] Zäpfel, G.: Strategisches Produktionsma-nagement (2. Ausgabe). München, 2000.

[4] Hinrichs, M.: Evolutionäre Fertigungspla-nung. In: PRODUCTIVITY Management 15 (2010), Sonderausgabe.

[5] Pietschmann, N., Mayer, A., Butz, C.: Mate-rialbereitstellung in der Montage. In: PPS Management 10 (2005).

[6] Schwarzer, B., Krcmar, H.: Wirtschaftsinfor-matik. Grundlagen betrieblicher Informati-onssysteme (4. Ausgabe). Stuttgart, 2010.

[7] Ram, J., Corkindale, D., Wu, M.-L.: Imple-mentation critical success factors (CSFs) for ERP: Do they contribute to implementation success and post-implementation perfor-mance? In: Int. J. Production Economics 144 (2013).

[8] Müller, W.: Integriertes Projektmanage-ment in ERP-Systemen. In: PPS Manage-ment 9 (2004).

Schlüsselwörter:Feinplanung, Integration, ERP-System, Baubranche

Kontakt:

BMDSYSTEMHAUS GmbHSierninger Straße 190, A-4400 Steyr,

Tel.: +43 50 883-0E-Mail: [email protected], [email protected]

Web: www.bmd.at

Integrated production scheduling in the prefabricated house industry - flexible graphic detailed planningMost companies in highly specialised industries are sceptical whenever they think about implementing integrated, standardised PPS systems. Taking a closer look at the requirements in the prefabricated house industry it quick-ly becomes clear that the classical planning approach has its limits. On one hand both, the planning and pro-duction processes, require a diversity of variations as well as flexibility. On the other hand, the size of the parts and the resulting tight production schedules in combination with the logistics at the construction sites limit the flexibility of details in the planning process. Therefore it is not only the tra-ditional capacity planning of produc-tion lines but also the consideration of the factor ‘space’ which is an im-portant aspect. The article describes the procedure from planning to the finished house exemplarily and goes into requirements for ERP systems in the prefabricated building industry.

Keywords: detailed scheduling, integration, en-terprise system, construction industry

Bild 2: Grafischer Leitstand.