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PROF. DR. JUTTA ECARIUS UNIVERSITÄT ZU KÖLN HUMANWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT Interaktionen und Beziehungen Anerkennung von Heranwachsenden als Herausforderung von pluralen Lebenswelten Universität zu Köln SOS-Kinderdorf „Beziehung, Bildung, Befähigung und Beteiligung“ 07-08.05.2015, Berlin

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P R O F . D R . J U T T A E C A R I U S

U N I V E R S I T Ä T Z U K Ö L N H U M A N W I S S E N S C H A F T L I C H E F A K U L T Ä T

Interaktionen und Beziehungen Anerkennung von Heranwachsenden als

Herausforderung von pluralen Lebenswelten

Universität zu Köln

SOS-Kinderdorf „Beziehung, Bildung, Befähigung und Beteiligung“ 07-08.05.2015, Berlin

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Interaktionen und Beziehungen in pluralen Lebenswelten

„Wähle das Beste für dich aus“ - „Finde deine Stärken und optimiere sie“

�  Wie gelingt es Heranwachsenden ein aktives Selbst zu produzieren?

⇒ Damit geht es auch um das Private ⇒ Heranwachsen und private Lebensformen

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1 Authentisches Selbst - Umgang mit dem Vielfältigen

�  Kindheit und Jugend als gestalteter Raum �  Interaktionen mit Älteren (LehrerInnen, Eltern, soziale

Eltern, Pflegefamilien, etc.) �  Heranwachsende sollen lernen, „sich als biographisch

flexible, veränderungsbereite Subjekte (zu, J.E.) präsentieren “ (Honneth 2012, S. 73)

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1 Authentisches Selbst und Umgang mit dem Vielfältigen

�  Dennoch: der Mythos von vollständiger Familie lebt, sie ist Hoffnungsträger privaten Glücks

�  Zudem: auch hier Einzug der Ideologie des unternehmerischen Selbst

�  Aber: private Lebensformen – generative Differenz �  Angewiesenheit auf leiblichen Schutz, Pflege,

Fürsorge und Erziehung durch Ältere �  Notwendigkeit von Vermittlung und Aneignung �  Generation ist ein „Prinzip der pädagogischen

Interaktion, ein Relationsprinzip“ (BENNER 1991, S. 57)

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2. Gesellschaftliche Zeitdiagnosen und generationale Ordnungen

�  Subjektwerdung realisiert sich gesellschaftlichen Möglichkeitsräumen (incl. Recht, Ökonomie und Ideologien über Kindheit, Jugend, etc.)

�  Bröckling (2007): „Unternehmerisches Selbst“ �  Das Subjekt erkennt sich selbst, modelliert sich als

eigenständige Ich-AG mit Handlungsfähigkeit, Know-How und Expertise

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2. Gesellschaftliche Zeitdiagnosen und generationale Ordnungen

�  Frage: Was bedeutet das für Erziehung in privaten Lebensformen mit Heranwachsenden?

�  Erwachsene, die als Ratgeber fungieren und Orientierungen vermitteln

�  Kinder anleiten und begleiten, Regeln stets und fluide aushandeln

�  Kindheit und Jugend lassen sich als generationale Ordnungen verstehen (Ältere: kulturelle „Korsettstangen“)

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2. Gesellschaftliche Zeitdiagnosen und generationale Ordnungen

�  NRW-Studie: 5.520 Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren in NRW (Maschke et al. 2013), an Schulen durchgeführt

�  Jugendlichen in Adoptiv-, Pflege- und anderen privaten Lebensformen

�  Frage: Was ist für Jugendliche wichtig?

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2. Gesellschaftliche Zeitdiagnosen und generationale Ordnungen: NRW-Studie

�  Mutter keine Ratgeberin 51,5 % sagen, dass sie selten erzählen, was sie gerade besonders beschäftigt (nie: 24,2 %)

�  Versagt der Vater als Ratgeber wird zu 62,3 % nie erzählt, was sie gerade besonders beschäftigt

�  Folgeerscheinungen -> für das Wellbeing, schulische Leistungen und das Vertrauen in Freunde

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Ich bin gespannt darauf, was im Leben noch alles passieren wird

Ich kann mein Leben zu einem großen Teil selbst lenken

Ich probiere in meinem Leben gern Neues aus

Das Leben kann man nicht planen

Im Leben geht alles einen geregelten Gang

Entscheidungen, die ich treffe, kann ich später im Leben auch wieder ändern

Ich bleibe lieber bei dem, was ich schon kenne

Neue Situationen, in denen ich mich entscheiden muss, machen mir Angst

Am liebsten hätte ich es, wenn andere mir sagen, wie ich mich entscheiden soll

stimmt genau/ stimmt eher

„Was meinst Du zu diesen Sätzen?“

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2. Gesellschaftliche Zeitdiagnosen und generationale Ordnungen

Diskussion der Ergebnisse – Ideologie des Optimierens/ Unternehmerischen �  Zentrale Annahmen: Verantwortung und Kontrolle,

kalkulierbare Unwägbarkeiten, das Neue als ein Besseres und Attraktiveres

�  Für die Jugendphase gilt: Gegebenes in Frage zu stellen, Üben von Passungen und fluiden Übergängen

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2. Gesellschaftliche Zeitdiagnosen und generationale Ordnungen

�  Für die Jugendphase: Handlungsfähigkeit erwerben, Kompetenzen entfalten, innere Kohärenz

�  Erziehung des Verhandelns ist Wegbereiter für veränderbare Grenzen, Entdeckung eigener Bedürfnisse bei gleichzeitige emotionaler Bindung

�  -> Offenheit, Freude für das Neue �  -> fluiden Identität, eigene Wohlbefinden,

innengeleitet mit Blick auf ein gutes Gefühl zu agieren

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2. Gesellschaftliche Zeitdiagnosen und generationale Ordnungen

Trennung, Brucherfahrungen, Ghettoisierung, etc. �  „Spiel des Erwachsenwerdens“, Lernen von

Entscheidung/Auswahl -> schwieriges Projekt �  Denn: es geht um Herstellung des eigenen

Subjektiven �  Ressourcen sind begrenzt

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3. Identitätsbildung und privaten Lebensformen

�  Ein Subjekt zu werden, das ist ein paradoxer

Vorgang: eigenständiges Ich (Widerständiges bei Aufnahme des Gesellschaftlichen/ von Ideologien)

�  Jugendphase als Moratorium: Übernahme und Widerstand

�  Jugend und komplexe, private Lebensformen; Ganzheitlichkeit der Person (Oevermann): direkte Kommunikation versus Vergesellschaftung des Subjekts

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3. Identitätsbildung und privaten Lebensformen

�  Private Lebensformen in seiner Gesamtheit: Liebende Anerkennung – Vernachlässigung, Unterstützung – Ablehnung (Honneth)

�  Private Beziehungen sind für Heranwachsende Fundament für Selbstbildung und Entgegnungen der Anrufungen des unternehmerischen Selbst

�  „Wer bin ich in einer sozialen Welt, deren Grundriss sich unter Bedingungen der Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung verändert?“ (Keupp 2005, S. 60)

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3. Identitätsbildung und privaten Lebensformen

�  Daraus folgt ein Paradox: Subjekt soll in einer widersprüchlichen Welt eine innere Passung herstellen

�  BaumeisterIn des eigenen Selbst zu werden, ist nicht Kür, sondern Pflicht

�  Authentizität und Anerkennung durch Andere -> wesentlich für den Aufbau von Subjektivität

�  Heranwachsende: benötigen psychische, materielle und psychosoziale Ressourcen sowie körperliche Resistenzbedingungen

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3. Identitätsbildung und privaten Lebensformen

�  Notwendigen Ressourcen für eine gelingende Arbeit am Selbst ergeben sich aus der generationalen Ordnung

�  Zugleich: Anforderungen an fluides kohärentes Selbst produzieren auch Ängste

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4. Angst vorm Versagen

�  Problematik der Gegenwart: �  - > widersprüchliche Ansprüche führen zu

Überforderung Grenzen zu setzen �  -> Zweifel über Beziehungs-, Genuss-, Liebes- und

Lebensfähigkeit �  -> Empfinden, im Vergleich mit Anderen den

Kürzeren zu ziehen

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4. Angst vorm Versagen

�  Depression als Krankheit des Individuums (Ehrenberg): Emanzipation von Verboten, aber zerrissen durch die Spannung zwischen Möglichen und Unmöglichen

�  Erscheinungen/Symptome: Ent-/Hemmung, Verlangsamung und Kraftlosigkeit/Maßlosigkeit

�  Sehnsucht: die authentische Partnerschaft �  -> Durch die ständige Suche nach Sinn kann sich

eine Erschöpfung (Thurman 2014), eine Überforderung ergeben

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5. Aufgaben und Fragen

1. Inwiefern wirken sich die neuen Anforderungen, unter denen Heranwachsende groß werden, auf private und damit erzieherische Praktiken aus? 2. Inwiefern erleben Kinder und Jugendliche bereits Erschöpfung, Angst und Krankheit?

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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