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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Johannes Reissner Iran nach dem Irak-Krieg Zwischen amerikanischem Druck und europischer Annherung S 25 Juni 2003 Berlin

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SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Johannes Reissner

Iran nach dem Irak-KriegZwischen amerikanischem Druck undeuropäischer Annäherung

S 25Juni 2003Berlin

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Inhalt

Problemstellung und Empfehlungen 5

Innenpolitische Tendenzen:Pragmatismus statt Reformen? 7Wahrnehmung und Realität derinneriranischen Kräfteverhältnisse 7Zersplitterung der Reformbewegung 8Die Wahlniederlage 10Rafsanjani und der Pragmatismus 11Aussichten für die innere Stabilität 13

Amerikanischer Druck 16Ziele amerikanischer Iranpolitik 16Modus vivendi und Proliferationsproblematik 18Iranische Reaktionen 18Iran und der Krieg gegen den Irak 22

Herausforderungen für europäische Iranpolitik 25Europas gewandeltes Verhältnis zu Iran 25Europäisch-iranische Beziehungenunter Erfolgsdruck 27

Ausblick und Empfehlungen 31

Abkürzungen 32

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Problemstellung und Empfehlungen

Iran nach dem Irak-Krieg.Zwischen amerikanischem Druck undeuropäischer Annäherung

Nach dem Ende des Krieges gegen den Irak steht Iranstärker als je zuvor unter amerikanischem Druck. Unddas in einer Situation, in der die Reformpolitik Präsi-dent Khatamis blockiert, die Reformbewegung zer-splittert ist und anhaltende Studentenproteste dieweit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Regimebezeugen. Der verstärkte amerikanische Druck setztzugleich das Engagement der Europäer in Iran untererhöhten Erfolgsdruck. Die Europäer müssen unterBeweis stellen, daß ihre Politik zu einer Veränderungder iranischen Haltung nicht nur in der Frage mög-licher atomarer Rüstung, sondern auch gegenüberIsrael und in der Frage der Menschenrechte beitragenkann. Da sie Fortschritte in den Reformprozessen zurVoraussetzung einer anhaltenden Verbesserung derBeziehungen gemacht haben, beobachten die Euro-päer aufmerksam die seit längerem zu registrierendenRückschläge für die iranische Reformbewegung. DieFrage, wie es im innenpolitischen Machtkampf weiter-geht, ist somit für das europäische Engagement vonentscheidender Bedeutung.

Die Studie nimmt die internen politischen Entwick-lungen in Iran zum Ausgangspunkt. Dabei geht eszunächst darum, weit verbreitete pauschalisierendeMuster der Wahrnehmung der inneriranischen poli-tischen Kräftekonstellationen kritisch zu beleuchten.Klassifizierungen wie »Reformer« und »Konservative«oder das »böse Regime« der wenigen nicht gewählten(»unelected few«, so US-Präsident Bush) und das »guteVolk« der freiheitsliebenden Iraner mögen der erstenOrientierung dienen, sagen aber wenig über die tat-sächlichen gesellschaftlichen und politischen Prozesseaus. Die schroffe Gegenüberstellung von »Regime« und»Volk« kann sich zwar auf die tatsächlich weit ver-breitete Unzufriedenheit der Bevölkerung stützen, istaber zugleich von dem Wunsch geleitet, Prognoseneiner »zweiten Revolution« in Iran oder einer »Implo-sion« des politischen Systems und damit auch daspolitische Ziel eines Regimewechsels in Iran plausibelerscheinen zu lassen.

Ungeachtet der permanenten Auseinandersetzun-gen innerhalb der politischen Elite zwischen »Refor-mern« und »Konservativen« sind die innenpolitischenEntwicklungen Irans in erheblichem Ausmaß von

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Problemstellung und Empfehlungen

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Kompromissen bestimmt, auch wenn sie in der Öffent-lichkeit selten als solche erkennbar werden. Die Bereit-schaft zu Kompromissen im Interesse des System-erhalts, die auf einem breiten nationalen Basiskonsensberuht, wird gegenwärtig durch eine Neigung zu poli-tischem Pragmatismus gestärkt. Er orientiert sichan den elementaren nationalen Interessen und anden Interessen der iranischen Handelsbourgeoisie.Die Neigung zu mehr Pragmatismus kommt denWünschen großer Teile der Bevölkerung entgegen,die von den Leistungen der längst nicht mehr geeintwirkenden Reformpolitiker enttäuscht sind und ihnenbei den Kommunalwahlen im Februar 2003 eine deut-liche Abmahnung erteilt haben. Ob diese Neigungallerdings ausreichen wird, die großen ökonomischen,sozialen und politischen Probleme Irans wirklich inAngriff zu nehmen und eine entwicklungsförderlicheStabilität zu erlangen, erscheint fraglich. Eher istdavon auszugehen, daß der Pragmatismus Rafsan-janischer Prägung Ausdruck jener Anpassungsfähig-keit und Flexibilität ist, dank derer es das System derIslamischen Republik seit der Revolution 1979 immerwieder geschafft hat, sich auch in schweren Krisen zubehaupten.

Eines ist der konservativen Führung schon heutegelungen: Sie konnte in der für Irans Außen- undInnenpolitik gleichermaßen wichtigen Frage derBeziehungen zu den USA die Initiative zurück-gewinnen. Im Umfeld des Irak-Krieges wurde das Tabuoffizieller Kontakte zwischen Iran und den USAgebrochen. Vor und nach dem Krieg kam es zu ame-rikanisch-iranischen Gesprächen auf offizieller Ebene.Einer Politik der Normalisierung der Beziehungenzwischen beiden Staaten erteilte Irans Revolutions-führer Khamene�i vorerst jedoch eine Absage.

Amerikas Druck auf Iran begann sich zusehends zuverstärken, seit Präsident Bush Anfang 2002 Iran der»Achse des Bösen« zugerechnet hatte. Nach dem Irak-Krieg erreichte er einen Höhepunkt. Anstelle einesWandels iranischer Politik in der Proliferations- undder Israelfrage wurde nun ein Regimewechsel zumstrategischen Ziel amerikanischer Iranpolitik. Teheranbemühte sich zunächst, durch »aktive Neutralität« denKrieg im Nachbarland zu verhindern, und mit diesemSchlagwort wurde auch das neutrale Verhalten undpunktuell taktische Entgegenkommen Irans währenddes Krieges gerechtfertigt. Vom schnellen Kriegsendewar man auch in Iran überrascht. Außer der »Ein-kreisung« Irans durch amerikanisches Militär zeitigteder Krieg keine der befürchteten Folgen (Flüchtlings-

ströme, Verletzung der territorialen Integrität desIrak, militärische Verwicklung Irans in den Krieg).

Für die europäische Iranpolitik stellt die gegen-wärtig von den USA mit Blick auf Iran errichtete Droh-kulisse eine große Herausforderung dar. Die Entwick-lung Irans zu einem stabilen Partner in der Regiongehört zu den erklärten europäischen Zielen. SeitDezember 2002 verhandelt Iran mit der EU über einHandels- und Kooperationsabkommen. Damit ver-bunden ist ein politischer Dialog über Menschen-rechte und sicherheitspolitische Fragen, einschließ-lich Rüstungskontrolle. Fortschritte in den Beziehun-gen und im Dialog bedingen sich wechselseitig, wieder Rat der EU in den Schlußfolgerungen des Treffensvon Thessaloniki im Juni 2003 festschrieb. In ihnenwird Teheran außerdem zu größtmöglicher Trans-parenz seines Atomprogramms aufgefordert. Obgleichdie Europäer das Interesse der USA an der Verhinde-rung einer atomaren Rüstung Irans und an einemWandel der iranischen Haltung zum Nahostkonfliktteilen, birgt die gegenwärtige, von den USA ausgehen-de Fixierung auf die Nuklearfrage die Gefahr, daß derbreite, auf die Vielfalt der Beziehungen bedachteAnsatz der europäischen Iranpolitik nicht mehr zurGeltung kommen kann.

Die grundlegende Empfehlung lautet denn auch,daß die Europäer in der gegenwärtig schwierigen Lagean dem breiten Ansatz ihrer Iranpolitik unbedingtfesthalten sollten. Das ist nur im intensiven Dialogmit Iran und den USA möglich. Auch wenn die euro-päischen Möglichkeiten nüchtern eingeschätztwerden müssen, bedeutet das Engagement der Euro-päer den Iranern viel. In der europäischen Iranpolitikhat sich ein außenpolitischer Ansatz zu bewähren, derauf möglichst umfassende Beziehungen und auf Ein-bindung bedacht ist, nicht auf die einseitige Durch-setzung eigener Interessen. Die Europäer können nurmittels ihrer vielfältigen und noch auszubauendenzwischengesellschaftlichen Beziehungen die politi-schen und gesellschaftlichen Prozesse zu fördernsuchen, die der Entwicklung und Stabilität Irans undder Region und nicht zuletzt auch den europäischenInteressen wirklich dienlich sind.

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Wahrnehmung und Realität der inneriranischen Kräfteverhältnisse

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Innenpolitische Tendenzen: Pragmatismus statt Reformen?

Wahrnehmung und Realität derinneriranischen Kräfteverhältnisse

Die allgemeine öffentliche Wahrnehmung der poli-tischen Kräfteverhältnisse in Iran wird von zweiVorstellungsmustern bestimmt: »Reformer« und»Konservative« zum einen und »Regime« (einschließ-lich der Reformbewegung) und »Bevölkerung« zumanderen werden als getrennte Einheiten einanderschroff gegenübergestellt. Beides sind polarisierendeÜberzeichnungen der innenpolitischen Kräftekonstel-lation. Obwohl sie durchaus eine gewisse Erklärungs-kraft besitzen, sind sie nicht geeignet, die innen-politische Dynamik Irans und den trotz aller Macht-kämpfe bestehenden Zusammenhalt des Regimesund der politischen Elite verständlich zu machen.Dennoch überwiegen diese beiden Schemata in derinternationalen Wahrnehmung, und auch die Iranerorientieren sich an ihnen. Dabei verleiten sie zufalschen politischen Annahmen. Deutlichstes Beispielsind die seit Ende 2001 von amerikanischen Neo-konservativen und der Bush-Regierung massiv propa-gierten Vorstellungen von einer »zweiten Revolution«in Iran oder einer »Implosion« des Regimes als Folgeder Ineffizienz und Machtlosigkeit der »Reformer«gegenüber den »Konservativen« und der immer tieferwerdenden Kluft zwischen dem Regime und der Bevöl-kerung.1 Die Gefahr ist groß, daß diese VorstellungenWunschdenken im Interesse einer Politik des »Regime-wechsels« beflügeln, wie sie nach dem Krieg vor allemvom Pentagon favorisiert wird.2

Präsident Bush hatte in seiner »state of the union«-Rede am 29. Januar 2002 nicht nur Iran der »Achse desBösen« zugerechnet, sondern auch die Herrschaft der»wenigen, die nicht gewählt sind«, der »unelected

1 Den Anfang machte Michael Ledeen, A New Iranian Revo-lution?, in: The Wall Street Journal, 3.11.2001 (Internet). Eineausführliche Diskussion des Themas mit James Woolsey, PatBuchanan, Daniel Pipes, John L. Esposito und Ahmad Rashidin: Jamie Glazov, Iran, a Coming Revolution?, in: FrontPage-Magazine.com, 18.9.2002.2 Julian Borger/Dan de Luce, Pentagon Sets Sights on a NewTehran Regime, in: The Guardian, 24.5.2003 (Internet);Glenn Kessler, U.S. Eyes Pressing Uprising in Iran, in: Washing-ton Post, 25.5.2003, S. A01.

few«, angeprangert, die »die Hoffnung des iranischenVolkes auf Freiheit unterdrücken«.3 Auf diese Weiseverknüpfte er die Gegenüberstellung von Reformern,die vornehmlich gewählte Ämter innehaben, undKonservativen mit dem Gegensatz zwischen »bösemRegime« und »gutem Volk«. Damit sollte die Notwen-digkeit und Plausibilität eines wie auch immerbeschaffenen Regimewechsels suggeriert werden.

Obwohl die Einteilung der politischen Kräfte Iransin »Reformer« und »Konservative« ohne Zweifel zugrob ist, ist sie doch nicht völlig unbegründet. Dennsie spiegelt das duale politische System mit seinenautokratischen und demokratischen Strukturen undInstitutionen wider, wie es in der Verfassung von1979 festgeschrieben wurde. Die Reformer sind über-wiegend in demokratisch und insofern »von unten«legitimierten Ämtern vertreten, die Konservativenhingegen in Machtpositionen, die religiös-auto-kratisch und damit »von oben« legitimiert sind.

Zu den Machtinstitutionen, deren Spitzenposi-tionen Revolutionsführer Khamene�i mit Personenseiner Wahl besetzt, gehören das Justizwesen, dieStreit- und Sicherheitskräfte, die staatlichen Medien(insbesondere das Fernsehen), die Freitagsprediger,die wirtschaftlich wichtigen Stiftungen (bonyad) undder zwölfköpfige Wächterrat, dessen sechs Religions-gelehrte ernannt werden (für die hinzukommendensechs Juristen hat das Parlament ein Vorschlagsrecht).Dem früheren Staatspräsidenten Rafsanjani wurde dieFührung des »Rats zu Feststellung der Interessen desSystems« anvertraut. Dieser Rat entscheidet immerdann, wenn Wächterrat und Parlament in Gesetz-gebungsverfahren keine Einigung finden können.

Vornehmlich von Reformkräften besetzt sind dasAmt des vom Volk direkt gewählten Staatspräsiden-ten, das Parlament, in dem seit den Wahlen vomFebruar 2000 die Reformer die Mehrheit haben, sowiedie kommunalen Räte. Als weitere, allerdings nichtvornehmlich von Reformern besetzte Institution istder 86köpfige Expertenrat zu nennen, der alle achtJahre vom Volk direkt gewählt wird. Seine verfassungs-mäßige Aufgabe ist die Überwachung der Amts-

3 Text: <http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/01/20020129-11.html>.

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Innenpolitische Tendenzen: Pragmatismus statt Reformen?

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führung des Revolutionsführers, den die Mitgliederdes Expertenrats auf Lebenszeit wählen.4

Zusätzlich zu den ständigen Auseinandersetzungenzwischen Reformern und Konservativen insbesondereseit den Parlamentswahlen vom Februar 2000 be-stimmt eine wachsende Kluft zwischen Bevölkerungund Regime, einschließlich der Reformkräfte, Iranspolitische Verhältnisse. Deutlich wurde dies schon beider zweiten Wahl Khatamis zum Staatspräsidenten imJuni 2001. Khatami wurde nicht mehr als wirklicherHoffnungsträger gewählt, sondern um den Konserva-tiven nicht das Feld zu überlassen.

Insbesondere die sogenannte »dritte Generation«der nach der Revolution von 1979 Geborenen, die etwa70 Prozent der Bevölkerung ausmachen, hat das Ver-trauen in die Reformer wegen ihrer unzureichendenLeistungen bei der Bewältigung der großen sozialenund wirtschaftlichen Probleme des Landes seit länge-rem verloren. Dieser Vertrauensverlust droht in denVerlust demokratischer Legitimation umzuschlagen,wie die extrem niedrige Beteiligung an den Kommu-nalwahlen in den Städten am 28. Februar 2003 zeigte.

Das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft istin Iran jedoch entschieden komplexer, als die Wahr-nehmungsmuster »Konservative gegen Reformer« und»Volk gegen Regime« suggerieren. Iranische Politik istentgegen dem Augenschein nicht als endlose Ketteimmer wieder neuer, unversöhnlicher und daher ent-wicklungshemmender Streitigkeiten zwischen denLagern der »Reformer« und der »Konservativen« zuverstehen. Der politische Alltag ist weitaus stärker vonKompromissen gekennzeichnet, ohne den in Iran tat-sächlich nichts mehr gehen würde. Die Faktoren, diefür die Kompromißbereitschaft ausschlaggebend sind,werden weiter unten bei der Erörterung der StabilitätIrans dargestellt (vgl. S. 13ff). Wie und nach welchenKriterien politische Kompromisse zustande kommen,entzieht sich zumeist der Beobachtung von außen. EinGrund dafür ist, daß Politik stark personenbezogenfunktioniert und politische Parteien trotz ihrer erheb-lichen zahlenmäßigen Zunahme seit Khatamis Regie-rungsantritt gegenüber patrimonialen Strukturennach wie vor nur eine untergeordnete Rolle in derpolitischen Willensbildung und Entscheidungs-findung spielen.

Die gegenwärtige Entwicklung steht vor demHintergrund der Zersplitterung der Reformbewegungund ihrer Niederlage bei den Kommunalwahlen An-

4 Wilfried Buchta, Who Rules Iran? The Structure of Powerin the Islamic Republic, Washington, D.C. 2000, S. 59f.

fang 2003 unter dem Zeichen der von Pragmatismusgeleiteten Annäherung zwischen »gemäßigten« Kon-servativen der Mitte und den sogenannten »Staats-reformern«, das heißt Reformpolitikern, die Staats-ämter bekleiden.

Zersplitterung der Reformbewegung

Die aus 18 sehr unterschiedlichen Gruppen undParteien bestehende Reformbewegung hatte sich imWinter 1999 zur »Front Zweiter Khordad« (die per-sische Bezeichnung des Datums der Wahl Khatamis1997) zusammengefunden. Innerhalb dieser Koalitiongibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten zusachpolitischen, vor allem wirtschaftspolitischenFragen und ebenso eine nicht zu übersehende Konkur-renz zwischen Parteien, Gruppen und Persönlich-keiten. Der Zusammenhalt der Koalition beruht imwesentlichen auf dem gemeinsamen Interesse,Khatami an der Regierung zu halten und so selbst andie Macht zu kommen. Doch heute ist Khatami nichtmehr Hoffnungsträger und Symbolfigur der Reform-bewegung.5 Ein drittes Mal kann er zudem aus verfas-sungsmäßigen Gründen für das Amt des Staatspräsi-denten 2005 nicht mehr kandidieren.

Spaltungserscheinungen in der Reformfrontzeigten sich ab Mai 2002.6 Die schon Anfang 1996gegründete Partei der »Dienstleistenden des Wieder-aufbaus« (kârgozarân-e sâzandegi; engl.: Executives ofConstruction) drohte, die Koalition zu verlassen. DieAnhänger dieser Partei gelten als »Technokraten« und»gemäßigte« Reformer; der frühere Präsident Rafsan-jani steht noch immer im Ruf, ihr Patron zu sein.Häufige Dementis dieser Partei, sich nicht von derReformfront trennen zu wollen, standen in Kontrastzu der Abgrenzung gegenüber den »extremen Refor-mern« � so bezeichnen die Konservativen vor allem diegrößte Partei der Reformfront, die vom Bruder desPräsidenten, Mohammad Reza Khatami, geführte

5 Erhielt Khatami im Herbst 2002 bei der Bevölkerung 75Prozent Zustimmung, waren es 1998 nur noch 43 Prozent(Guy Dinmore/Najmeh Bozorgmehr, Khatami Faces Clash overMove to Increase Power, in: Financial Times, 25.9.2002[Internet]).6 Anlaß war die Ablösung von Ali Akbar Mohtashami Purals Vorsitzendem der Reformfront im Parlament; den Anstoßdafür gab seine zu scharfe anti-amerikanische und radikalepro-palästinensische Haltung (Mohsen Asgary, ReformistCoalition Faces Split in Iran, in: Gulf News, 8.5.2003 [Inter-net]).

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Zersplitterung der Reformbewegung

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»Partei der Partizipation des Islamischen Iran« (hezb-emosharekat-e erân-e eslâmi). Außerdem beteiligten sichdie »Dienstleistenden« aktiv an Spekulationen überzukünftige Präsidentschaftskandidaten. Sowohl derLeiter des Instituts für den »Dialog zwischen den Zivili-sationen«, Ata�ollah Mohajerani, als auch der frühereInnenminister Abdollah Nuri wurden aus den eigenenReihen als Kandidaten ins Gespräch gebracht.

Fast zum Bruch der Front Zweiter Khordad kam esEnde Oktober 2002. Der erste Kongreß der Frontmußte auf ein unbestimmtes Datum verschobenwerden, weil wichtige Gruppen ihre Teilnahme ab-gesagt hatten. Grund dafür war der Streit über dasangemessene Verhalten gegenüber dem zunehmen-den Druck der konservativen Seite. Konkret strittigwar die Frage, wie zu verfahren sei, wenn der Wächter-rat die beiden Gesetzesentwürfe ablehnen würde, diePräsident Khatami Anfang September 2002 einge-bracht hatte � tatsächlich lehnte der Rat sie im Mai2003 dann auch ab. Das erste Gesetz sollte der Regie-rung ermöglichen, die Amtsführung der staatlichenInstitutionen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu kon-trollieren, das zweite sah vor, die Rechte des Wächter-rats bei der Zulassung von Kandidaten für Wahlen zubeschränken. Letztlich ist die Intention beider Ent-würfe, den politischen Mißbrauch der Justiz einzu-dämmen und die verfassungsmäßige exekutive Machtdes Präsidenten zu stärken.

Im Vorfeld des geplanten Kongresses plädierte diePartizipationspartei dafür, daß die Reformpolitiker imFalle des Scheiterns der Gesetzesvorlagen ihre Ämterniederlegen, da sie andernfalls das Vertrauen derBevölkerung gänzlich verlieren würden.7 Dagegenargumentierten die »Vereinigung der kämpfendenKleriker« (majma�-e ruhaniyun-e mobarez), zu der Parla-mentspräsident Karrubi als führendes Mitglied gehört,und die Partei der »Dienstleistenden«, daß eine Nieder-legung der Ämter nur das Feld für die Konservativenfreimachen würde.

Ursächlich für den sich abzeichnenden Riß in derReformfront sind sowohl Sachdifferenzen als auchpersönliche Konkurrenzkämpfe.8 Die Sachdifferenzen

7 Jim Muir, Internal Rifts Hamper Iran�s Reforms, BBC,24.10.2002 (Internet). In einer Umfrage sprachen sich 82,8Prozent der Befragten für die Gesetzesentwürfe und damitfür die Stärkung der Position des Präsidenten aus (8,2 Prozentwaren dagegen, 9 Prozent ohne Meinung); Etemaad, Website,30.9.2002, nach BBC Monitoring Service, 30.9.2002.8 Ata�ollah Mohajerani zum Beispiel sprach von internemGezänk und warf der Partizipationspartei vor, die Reform-front dominieren zu wollen (Islamic Republic News Agency

betreffen vor allem wirtschaftspolitische Fragen. Die»Dienstleistenden des Wiederaufbaus« vertreten ein-deutig einen marktwirtschaftlichen, an den Interessender Handelsbourgeoisie orientierten Kurs. AndereParteien und Gruppen setzen sich eher für Staats-wirtschaft ein. Nicht wenige der heutigen Reform-politiker waren für den wirtschaftspolitischen Kurseines vom Staat getragenen »islamischen Sozialismus«mitverantwortlich.

Neben der inneren Zersplitterung ist das zweitegroße Problem der Reformbewegung, daß ihr dieStudentenschaft davonläuft. Das Todesurteil vom7. Oktober 2002 gegen den GeschichtsprofessorHashem Aghajari hatte die heftigsten Studenten-demonstrationen seit den Unruhen im Juli 1999provoziert. Aghajari war verurteilt worden, weil erim Juni 2002 in einer Rede zum Gedenken an AliShari�ati, einem der bedeutenden Vordenker der Revo-lution, eine Art protestantische Reformation des Islamgefordert und die blinde Nachahmung (taqlîd) derReligionsgelehrten als äffisches Verhalten angepran-gert hatte.9 Revolutionsführer Khamene�i ordnete eineÜberprüfung des Urteils an, doch die Studenten for-derten die bedingungslose Freilassung Aghajaris,einige sogar die Freilassung aller politischen Gefange-nen. Außerdem verlangten sie die Durchführung einesReferendums über die von Khatami im September ein-gebrachten Gesetzesentwürfe. »Referendum« war einerder wichtigsten Slogans der Demonstranten, und wieschon bei früheren Gelegenheiten wurde auch dies-mal Khatamis Rücktritt gefordert.

Es fanden aber auch Gegendemonstrationen derBasij (Freiwilligen) statt, die das Todesurteil befür-worteten und Aghajari mit Salman Rushdie ver-glichen. Die landesweiten Studentendemonstrationendauerten bis in den Dezember hinein an, viele Studen-tenführer wurden verhaftet, entlassen und wiederverhaftet. Die Studentenschaft hatte sich bewußtZurückhaltung auferlegt, um es nicht zu einer Eska-lation der Auseinandersetzungen mit den Sicherheits-kräften kommen zu lassen, wozu sie auch die Reform-politiker eindringlich ermahnt hatten. Die Demon-strationen blieben auf die Universitätsgelände be-schränkt, die Bevölkerung nahm nicht an ihnen teil.

[IRNA], 1.9.2002 [Internet]).9 Übersetzung von Auszügen in: The Middle East ResearchInstitute (MEMRI), Special Dispatch, 5.12.2002: A Call forIslamic Protestantism: Dr. Hashem Aghajaris Speech, <http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/laender/iran/iran_aghajari_05_12_02_lang.html>.

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Innenpolitische Tendenzen: Pragmatismus statt Reformen?

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Bei der Kundgebung zum »Tag des Studenten« am7. Dezember 2002 trat Khatami anders als in denvergangenen Jahren nicht auf. Seiner Ansicht nachwar mit der Anordnung des Revolutionsführers, dasTodesurteil gegen Aghajari zu überprüfen, kein Grundmehr für die Demonstrationen gegeben. EbrahimYazdi, der Generalsekretär der offiziell verbotenen»Freiheitsbewegung« (nahzat-e âzâdi), forderte in seinerAnsprache die Studenten dazu auf, ihre Aktionenim Rahmen des gesetzlich Erlaubten zu halten;Habibollah Peyman, der den national-religiösenKräften zugerechnet wird, riet ihnen davon ab, »dieLast der Nation zu tragen ohne systematische Bezie-hungen zu den übrigen gesellschaftlichen Kräften undBewegungen«.10 Diese Mahnung enthält eine realisti-sche Beschreibung der Entfremdung zwischen Studen-tenschaft und Bevölkerung. Daß die Studenten nichtin der Lage sind, eine Massenbewegung zu mobilisie-ren, obgleich weite Bevölkerungskreise den Unmutder Studenten über das Regime teilen, wurde dann beiden Demonstrationen im Juni 2003 offensichtlich.

Manifest wurde die gewachsene Distanz der Studen-ten zu den Reformpolitikern, als sich Anfang 2003 diebedeutendste Studentenorganisation, das »Büro zurFestigung der Einheit« (daftar-e tahkim-e wahdat), aus derFront Zweiter Khordad zurückzog und erklärte, sichzukünftig nur noch in der zivilen und intellektuellenArena engagieren zu wollen.11 Die Studentenorgani-sation spaltete sich in den Mehrheitsflügel »Allameh«(benannt nach der Teheraner Universität AllamehTabatabai) und den als moderater geltenden Minder-heitenflügel der »Schiraz« (Universität Schiraz). ImVorfeld der Kommunalwahlen vom Februar 2003 sagtedas »Büro zur Festigung der Einheit« die Teilnahmeeigener Kandidaten und die Unterstützung von Kan-didaten der Reformbewegung ab.

Das Abrücken der Studenten von den Reform-parteien ist auch als Ausdruck des tiefen Generations-konflikts in Familien und politischen Institutionen zuverstehen. Das Wissen um diesen Konflikt ist für dasVerständnis der heutigen iranischen Gesellschaft undder politischen Meinungsbildung grundlegend.

10 IRNA, 10.12.2002 (Internet). Zu den »national-religiösen«Kräften wird in der Regel auch die »Freiheitsbewegung«Ebrahim Yazdis gezählt.11 Bahar, 8.1.2003, nach BBC Monitoring Service, 8.1.2003;Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), Iran Report, 6(13.1.2003) 2 (Internet).

Die Wahlniederlage

Angesichts des Ansehensverlusts und ihrer Zersplitte-rung schien die Wahlniederlage der Reformfront beiden Kommunalwahlen am 28. Februar 2003 program-miert. Schon die geringe Wahlbeteiligung von nur28,7 Prozent wurde als Niederlage für die Reform-politiker gewertet.12 Dies wird vor dem Hintergrundihres Erfolges bei den Kommunalwahlen von 1999verständlich. Damals wurden die in der Verfassungvon 1979 vorgesehenen kommunalen Räte zum erstenMal gewählt, und allein die Durchführung der Wah-len, an denen sich über 60 Prozent der Wahlberechtig-ten beteiligten, galt als Erfolg der Reform-bemühungen Khatamis.

Differenzierte, nach politischen Richtungen aufge-schlüsselte Angaben über das Wahlergebnis liegennicht vor. Bekannt ist aber zum Beispiel, daß in Tehe-ran diesmal keiner der von den Reformern aufgestell-ten Kandidaten gewann: 14 der insgesamt 15 Sitzegingen an Kandidaten der konservativen Richtung.Die Reformpolitiker haben ihre Niederlage anerkanntund als Warnzeichen aufgefaßt. Sie betrifft sie als Teilder politischen Elite, bedeutet aber keine Absage andie elementaren Ziele der Reformbewegung.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die großenUnterschiede zwischen Stadt und Land: In Teheran,gefolgt von Isfahan und Mashhad, wurde mit etwa 12Prozent die niedrigste Wahlbeteiligung registriert, dieStädte Kahkiluye und Boyer Ahmad verbuchten mit 80Prozent die höchste Beteiligung auf Provinzebene.

In den kleineren Gemeinden hat die Einrichtungkommunaler Räte den Zuspruch der Bevölkerung ge-funden.13 In ihnen sind die Verhältnisse transparenter,und die Wählerschaft weiß, wen sie aus welchenGründen wählt. Die Institution der Kommunalräte,die politische Mitbestimmung in kommunalen Belan-gen ermöglichen soll, wird von der Bevölkerungdurchaus angenommen. Politische Partizipation ist inkleinen und überschaubaren Gemeinden schließlichauch leichter zu praktizieren als in einer Metropolewie Teheran. Hier hatte der Stadtrat aus mehrerenGründen an Bedeutung verloren: Er war wegen inter-

12 Landesweit bewarben sich nur 218 000 Kandidaten uminsgesamt 112 375 Sitze (RFE/RL Iran Report, 6 [3.3.2003] 9[Internet]).13 Christiane Hoffmann, Enttäuschendes Ergebnis oder hoff-nungsvoller Anfang? Das Projekt der Lokalräte in Iran, in:Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.2003, S. 5; Nazila Fathi,Iran�s Local Elections Elicit Hope in Small Towns, in: Inter-national Herald Tribune, 28.3.3002, S. 3.

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Rafsanjani und der Pragmatismus

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ner politischer Fraktionskämpfe monatelang nichtzusammengetreten, hatte sich mit dem Bürgermeisterder Stadt zerstritten und sich anderthalb Monate vorden Wahlen aufgelöst. Der Bürgermeister wurdewegen Veruntreuung von Staatsgeldern und Miß-achtung staatlicher Regelungen bei der Erteilung vonSondergenehmigungen im Bauwesen zu fünf MonatenGefängnis auf Bewährung verurteilt.

Der Natur von Kommunalwahlen entsprechendstanden weniger bekannte Persönlichkeiten zur Wahl,die außerdem zu einem großen Teil der jüngerenGeneration angehörten. Sie werden in den internatio-nalen und den iranischen Medien dem konservativenSpektrum zugeordnet, obwohl die konservativenParteien und politischen Gruppierungen gar keineKandidaten aufgestellt hatten. Mitglieder der Koali-tion islamischer Vereinigungen hatten sogar zumWahlboykott aufgerufen mit der Begründung, daßzum ersten Mal lokale Gremien über die Zulassungder Kanndidaten entschieden und nicht mehr derWächterrat.14 Zugelassen waren nun auch liberaleKandidaten aus der verbotenen »Freiheitsbewegung«Ebrahim Yazdis � für die Hardliner ein Skandal.15

Die Wahlgewinner hatten sich um ein Image be-müht, das in Abgrenzung zu den lediglich debattie-renden Reformern das Moment des tatkräftigenZupackens hervorheben sollte. Sie gaben sich als»Macher«, die endlich die vielfältigen sozialen undwirtschaftlichen Probleme aufgreifen, das Land nachvorn bringen und der Bevölkerung wieder Hoffnungeinflößen.16 Auch wenn sich die Wahlsieger kaum alsGruppe verstehen lassen: Die von ihnen vertreteneRichtung wurde von der Tehran Times, die dem eherkonservativen pragmatischen Flügel nahesteht, em-phatisch begrüßt: »Voters opt for professionals«.17 Esseien nicht einfach Konservative, wie behauptetwerde, oder gar »Erzkonservative« (die-hard conser-vatives), sondern Unabhängige, mit einem Wort »Pro-fessionelle«, womit hier Politiker bezeichnet seinsollen, die Verdienste in der Sachpolitik erworben

14 RFE/RL Iran Report, 6 (3.3.2003) 9 (Internet)15 Ebd.16 In Teheran traten sie als »Allianz der Aufbauer des isla-mischen Iran« (e�telaf-e abâdgarân-e Erân-e Eslâmi) auf, in Isfahanunter dem Namen »Sonne« (âftâb). Auch die aus den Parla-mentswahlen 2000 bekannte konservative Gruppe der »Frei-denkenden« � gemeint ist: unabhängig vom »westlichenDenken« � hatte Kandidaten aufgestellt. ISNA (IranianStudents News Agency), Website, 1.3.2003, nach BBC Moni-toring Service 1.3.2003; Resâlat, nach BBC Monitoring Service,3.3.2003.17 Tehran Times, 3.3.2003 (Internet).

haben. Der Kommentar greift einerseits die gängigeKritik des konservativen Lagers auf, daß sich dieReformer eben nicht einer Regelung der schwierigensozialen Verhältnisse angenommen hätten. Und zu-gleich stellt er jene große Gruppe von Politikern inden Vordergrund, die mit dem früheren PräsidentenRafsanjani in Verbindung stehen, allen voran die1976 gegründete Partei der »Dienstleistenden desWiederaufbaus«, deren Patron er nach wie vor ist. DiePartei selbst war nicht zu den Wahlen angetreten,doch gehört ihr der bekannteste Wahlsieger Teheransan, Rasul Khadem, ein international erfolgreicherRinger.18

Wahlen als Institution haben trotz der geringenWahlbeteiligung in den Städten insofern einenweiteren Sieg errungen, als hier, wie ein iranischerKommentar vermerkt, die »soziale Basis der Reform-bewegung zum Verhalten der Reformer nicht ge-schwiegen hat.«19 Daß die Bevölkerung in kleinerenGemeinden sehr wohl versucht, über die kommunalenRäte ihre Interessen zur Geltung zu bringen, und dieWahlbeteiligung hier relativ hoch war, sind Zeichenfür die Bereitschaft, sich diese moderne Form poli-tischer Partizipation gegenüber patrimonialen undklientelistischen Strukturen zunutze zu machen.

Rafsanjani und der Pragmatismus

Die Ansicht, daß die Reformer in Iran nichts bewegen,wird von iranischen Konservativen und Hardlinern,iranischen Studenten und großen Teilen der Bevölke-rung ebenso geteilt wie von ausländischen Beobach-tern � iranfreundlichen ebenso wie Iran-Hassern. DerRuf nach Pragmatikern ist allenthalben zu hören, unddie Anzeichen dafür, daß sich der frühere PräsidentRafsanjani und die große Schar derer, die ihm undseinen politischen Vorstellungen nahestehen, sowohlfür die Parlamentswahlen 2004 und noch mehr für die2005 fälligen Präsidentschaftswahlen rüsten, sindnicht zu übersehen.20 Nach Ansicht des früheren stell-vertretenden Außenministers und Leiters des demAußenministerium angegliederten Instituts für Poli-tische und Internationale Studien (IPIS) in Teheran,Abbas Maleki, hat es die Regierung Khatami aufgrundihrer Fixierung auf politische Reformen fünf Jahre

18 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.3.2003, S. 4.19 So die eher der Reformbewegung nahestehende ZeitungIran, 2.3.2003, nach BBC Monitoring Service, 2.3.2003.20 Pragmatism, the Flavour of the Day, in: The Economist,8.2.2003, S. 42.

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Innenpolitische Tendenzen: Pragmatismus statt Reformen?

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lang versäumt, sich um die Befriedigung der Grund-bedürfnisse der Bevölkerung zu kümmern: Das Wasserin Teheran sei nicht mehr trinkbar, Brot und Fleischseien vergiftet, das Wohnungsbausystem zerstört. Seit1997 sei die Zeit stehengeblieben. Die nächsteRegierung werde pro-Rafsanjani, wenn auch nicht vonihm geführt sein.21

Akbar Hashemi-Rafsanjani (Jahrgang 1934) bildet inseiner Eigenschaft als Vorsitzender des »Rats zur Fest-stellung der Interessen des Systems« (ab 1997) zusam-men mit Revolutionsführer Khamene�i und Staats-präsident Khatami das Triumvirat derer, die für dieGeschicke Irans verantwortlich sind. Seinen Ruf alsPragmatiker hat er sich in der Zeit des Wiederaufbausin der ersten Hälfte der neunziger Jahre nach demKrieg mit dem Irak (1980�1988) erworben. Sein Prag-matismus kommt sowohl in der Innen- und vor allemWirtschaftspolitik als auch in der Außenpolitik zurGeltung. Rafsanjani ist der Mann der einflußreichenund weitverzweigten iranischen Handelsbourgeoisie,der er als Besitzer riesiger Pistazienplantagen in seinerHeimatstadt Rafsanjan selbst zugehört.22 Für derenInteressen setzte er sich auch in seinem Amt als Vor-sitzender des Feststellungsrates ein. Er sorgte für dieEröffnung der ersten privaten Banken nach der Revo-lution und dafür, daß im Mai 2002, wenn auch inverwässerter Form, endlich das Investitionsgesetzverabschiedet werden konnte. Denn ohne entspre-chende Rechtssicherheit, das hatte er der Öffent-lichkeit klargemacht, gibt es keine Auslandsinvesti-tionen.23

Im Vorfeld der Palamentswahlen 2000 wurdeRafsanjani von der Reformfront als Konservativergeradezu gebrandmarkt, und die Veröffentlichungendes Journalisten Akbar Ganji, die Rafsanjanis Mit-verantwortung für die Serienmorde an iranischenDissidenten im November 1998 überzeugend nahe-legen, trugen dazu bei, daß er nicht einmal die füreinen Parlamentssitz notwendige Stimmenzahlerhielt. Heute hat Rafsanjani im inneriranischenKräftespiel Khatami, dessen Amtszeit 2005 abläuft,wohl schon überflügelt. Er wird bereits als Chef einerSchattenregierung angesehen.24 Für noch mehr poli-

21 Guy Dinmore, Khatami Heads for Defeat after Long Battlewith Conservatives, in: Financial Times, 14.12.2002 (Internet).22 Zur Rolle der »mercantile bourgeoisie« in den neunzigerJahren unter Rafsanjani vgl. Ali Ansari, Iran, Islam and De-mocracy. The Politics of Managing Change, London 2000,Kap. 4 und 5.23 IRNA, 8.5.2002 (Internet).24 Es zirkulieren Spekulationen, daß Rafsanjani 2005 für das

tischen Einfluß Rafsanjanis spricht die weit verbrei-tete Stimmung, daß in der Wirtschafts- und Sozial-politik endlich etwas geschehen muß. Das politischeSystem der Islamischen Republik würde dieses Sze-nario begünstigen: Mit seinen autokratischen unddemokratischen Strukturen sowie seiner noch starkvon Persönlichkeiten bestimmten politischen Kulturbietet es die besten Voraussetzungen für Manipula-tion. Und darin gilt der »Pate« (padarkhân) Rafsanjanials Meister.25

Seinen außenpolitischen Pragmatismus selbstgegenüber den USA bewies Rafsanjani schon im Golf-krieg 1991, als er Irans Neutralität durchsetzte.26

Unter ihm wurde eine Politik guter Nachbarschaft zuallen Staaten der Region gepflegt, ob es sich nun umdie Länder am Persischen Golf, um die neuen Repu-bliken im Kaukasus oder in Zentralasien handelte.Nicht wenige Erfolge der von Khatami praktizierten»Entspannungspolitik«, wie zum Beispiel die Aus-söhnung mit Saudi-Arabien 1999, beruhten auf denbeharrlichen Vorarbeiten der Ära Rafsanjani. Rafsan-jani ist schließlich auch die entscheidende Krafthinter jenen Entwicklungen, durch die, wie im folgen-den Kapitel dargestellt wird, die konservative Führungvor, während und nach dem Irak-Krieg die Initiativein der außen- und innenpolitisch zentralen Frage derBeziehungen zu den USA zurückgewonnen hat.Die entsprechenden Vorstöße hatte der Revolutions-führer sicherlich gebilligt. Rafsanjani gelingt es oft,Khamene�i seinen Zielen gewogen zu machen, aller-dings nicht immer, wie sich während seiner Regie-rung (1989�1997) gezeigt hat.27

Man kann vermuten, daß Rafsanjani hinter denKulissen seinen Einfluß in einer Weise zur Geltunggebracht hat, daß im Mai 2003 der Wächterrat end-

Amt des Staatspräsidenten kandidieren wird, und gelegent-lich wird gemunkelt, daß er Khamene�i im Amt des Revolu-tionsführers beerben könnte.25 So die Charakterisierung Rafsanjanis in: MohammadQutschâni, Padarkhândeh wa tschaphâye-e dschawân [Patri-monalismus/»Patentum« und die junge Linke], Teheran 1379[2000], S. 30�41.26 Schon zurvor in der Iran-Contra-Affäre während des Irak-Krieges war Rafsanjani iranischer Verhandlungsführer, undes heißt sogar, daß vor aller er Khomeini dazu bewogen habe,den Waffenstillstand 1988 zu akzeptieren.27 Khamene�i hatte zum Beispiel 1993/94 Rafsanjanis Pro-gramm der Strukturanpassung abgewürgt. Als wichtigerMittelsmann zwischen beiden gilt Mohsen Rezai, früherBefehlshaber der Revolutionsgarden, jetzt Sekretär des »Fest-stellungsrats« unter Rafsanjani. Als Vertreter der konserva-tiven Mitte spricht er »versöhnlich« über die USA (The Econo-mist, 19.12.2002 [Internet]).

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Aussichten für die innere Stabilität

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gültig die beiden Gesetzesvorlagen vom September2002 zurückwies, durch die Khatamis Befugnisse inder Exekutive gestärkt worden wären. Khatami, überdie Zurückweisung tief enttäuscht, erklärte, daß erkeinen Sinn darin sähe, den eigentlichen Verfahrens-weg einzuhalten und die Gesetzesentwürfe an den vonRafsanjani angeführten »Rat zur Feststellung der Inter-essen des Systems« weiterzuleiten. Zugleich deutete eran, daß Revolutionsführer Khamene�i dem Entwurfeigentlich positiv gegenüberstehen würde.28 Seit Juni2003 verhandeln Parlament und Wächterrat übereinen Ausweg aus der Krise, die sich mit der Ableh-nung der Gesetzesvorlagen ergeben hat.

Die mit dem zunehmenden Einfluß Rafsanjanissich abzeichnende Tendenz zu Pragmatismus und dieEntwicklung zu einer de facto »großen Koalition« der»gemäßigten« Reformer und der Konservativen derMitte mögen in der gegenwärtigen Situation begrü-ßenswert sein. Die Frage ist, ob sie einer nachhaltigenStabilisierung der internen Machtkonstellation dient,die zu tragfähigen Problemlösungen befähigt, odernur der Existenzsicherung des zählebigen Regimes.

Aussichten für die innere Stabilität

Daß Iran gravierende politische, soziale und ökonomi-sche Schwierigkeiten hat und nicht minder schwerestrukturelle Probleme, ist nicht zu leugnen. In denletzten anderthalb Jahren wurde eine Unzahl vonÄußerungen und Artikeln publik, die angesichtsdieser Probleme entweder eine »zweite Revolution«oder die »Implosion« des Regimes prophezeien undzumeist keinen Hehl daraus machen, daß sie eine derbeiden Entwicklungen wünschen. Beruhen diese Pro-phezeiungen allein auf der Analyse der Probleme undinneren Widersprüche Irans oder sind sie nicht letzt-lich dem Wunsch nach dem Ende eines vermeint-lichen »Schurkenstaats« geschuldet? Würde man mitgleicher Zwangsläufigkeit das Scheitern eines pro-westlichen Regimes, das ein Land in ähnlich proble-matischen Transformationsprozessen regiert, zumAusgangspunkt der Betrachtung machen?

Kennzeichnend für Irans politisches System ist derDualismus von autokratischen und demokratischenStrukturen und Institutionen, wie er in der Verfassungvon 1979 festgeschrieben worden ist. Seine Besonder-heit liegt nicht so sehr in diesem Dualismus, der zumBeispiel ähnlich auch für Präsidialsysteme typisch ist,

28 IRNA, 21.5.2003 (Internet).

sondern darin, daß das gesamte System einschließlichseiner demokratischen Strukturen religiös legitimiertist, die faktische Legitimation der demokratischenInstitutionen jedoch durch Wahlen, sozusagen »vonunten« stattfindet.29

Seitdem die Reformkoalition im Jahr 2000 dieMehrheit im Parlament errungen hat, wurde derDualismus des politischen Systems dadurch ver-schärft, daß die demokratischen Institutionen mitVertretern von Staatsauffassungen und Ideologienbesetzt sind, die von jenen der Angehörigen autokrati-scher Institutionen abweichen, ja im Widerspruchstehen. Doch der seit Jahren zu beobachtendeWiderstreit zwischen »Reformern« und »Konservati-ven«, zwischen demokratischen und autokratischenInstitutionen darf nicht übersehen lassen, daß beideTypen von Institutionen in der Praxis aufs engstemiteinander verzahnt sind. Die Verzahnung findetsymbolisch ihren Ausdruck im Staatsnamen: »Islami-sche Republik Iran«. Seit der Revolution hat »Repu-blik« gegenüber »Islam« an Bedeutung gewonnen, dasvermittelnde Moment ist »Iran«.

Verzahnt sind auch die Lager der politischen Elite.Der kleinen, fast ausschließlich klerikalen Kernelitemögen zwar die Letztentscheidungen vorbehaltensein, doch die Geschicke des Landes werden nicht aufhierarchische Weise von oben dirigiert. Die Politikgestaltet sich vielmehr in einem komplexen Wechsel-spiel zwischen der Kernelite und der breiteren poli-tisch relevanten Elite. Stimmungen und Meinungender Bevölkerung spielen dabei eine nicht zu unter-schätzende Rolle.

Zur breiteren politischen Elite gehören »Reformer«und »Konservative«, »Laien« und »Kleriker« gleicher-maßen.30 Die große Mehrzahl der Reformer fühlt sichder Verfassung verpflichtet und damit prinzipiell demSystem, was sie nicht davon abhält, auf die Stärkungder demokratischen Strukturen in diesem Systemhinzuarbeiten. Vor allem die führenden Köpfe derReformbewegung spielten in der Revolution einewichtige Rolle, haben an der Errichtung des politi-schen Systems mitgewirkt. Sie verbinden mit ihm

29 Johannes Reissner, Stabilitätsanalyse Iran, in: Sigrid Faath(Hg.), Stabilitätsprobleme zentraler Staaten: Ägypten, Alge-rien, Saudi-Arabien, Iran, Pakistan und die regionalen Aus-wirkungen, Hamburg 2003 (Deutsches Orient-Institut, Mit-teilungen Bd. 67/2003), S. 249�279.30 Johannes Reissner, Iran: Vor dem Ende klerikaler Macht?,in: Volker Perthes (Hg.), Elitenwandel in der arabischen Weltund Iran, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezem-ber 2002 (S 41), S. 189�208.

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Innenpolitische Tendenzen: Pragmatismus statt Reformen?

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eigene politische, soziale und auch wirtschaftlicheInteressen. Lange Zeit gehörten sie zu dem Kreis derer,die Anfang der neunziger Jahre am Maßstab des»Pragmatikers« Rafsanjani gemessen als »Radikale«galten. Zwar kam es seit Khatami zu einer bemer-kenswerten Entwicklung der politischen Parteien-landschaft, gleichwohl ist der Politikstil auch derReformer in erheblichem Ausmaß von Patronage-und Klientelstrukturen bestimmt.

Das politische System Irans stützt sich auf eineRentenökonomie, die auf Erdölexport basiert. DerStaat ist dank der Erdöleinnahmen gegenüber derBevölkerung weitgehend autonom. Direkte undindirekte Subventionen und ein weit verzweigtes Netzstaatlicher, halbstaatlicher, revolutionärer und reli-giöser Wohlfahrtseinrichtungen machen die Bevölke-rung vom Staat abhängig und bieten die Möglichkeit,Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Dennoch kann das Regime nicht darauf verzichten,Rücksicht auf die Stimmung in der Bevölkerung zunehmen. Neben der so wichtigen Institution derWahlen existiert ein öffentlicher Diskurs. Auch wennPropaganda und Repressionen des Regimes einenanderen Eindruck vermitteln, ist dennoch davon aus-zugehen, daß gerade die Machthaber in den nichtgewählten Ämtern ohne Legitimation »von unten«nicht auskommen. Das gilt insbesondere für denKlerus. Im Namen der Religion die Bevölkerung vordem Staat zu schützen war Bestandteil seiner tradi-tionellen Funktionen. Nach der Revolution, mit derdie Religion zur Staatsideologie wurde, ist die Aus-übung dieser Funktion zwar erschwert, aber nichtgänzlich unmöglich gemacht worden. Insbesonderemit der unter Khatami geförderten Bürgerbewegunghaben sich auch viele Kleriker im Namen der Revo-lution gegen despotische Übergriffe auf die Bevölke-rung gewehrt. Schließlich ist mit der Revolution derprinzipielle Anspruch auf Unabhängigkeit, Freiheitund Gerechtigkeit verbunden, so sehr dieser Anspruchauch mißbraucht und verbogen wurde.

In den patrimonial-klintelistischen Beziehungs-geflechten und im Klerus spielt das Argument einegroße Rolle. Zum historischen Verdienst der Reform-bewegung gehört es, den öffentlichen politischenDiskurs in hohem Maße geöffnet zu haben. Die Öff-nung des Diskurses zwingt die Herrschenden zumArgumentieren. Der entscheidende Referenzwert inden politischen Debatten ist das nationale Interesse.»Islam« und auch noch »Revolution« bilden daneben

weiterhin wichtige Bezugspunkte der Legitimation.31

Doktrinäre Positionen und �heilige� Prinzipien werdenin Frage gestellt, und die frommen Phrasen, mit denendie Gesellschaft manipuliert wird, verlieren an Kraft.Das gilt um so mehr, wenn die Themen der öffent-lichen Diskussion für die Bevölkerung wirklich vonBelang sind. Daß beispielsweise »der Islam« die Frauenam besten schütze und fördere, war nach der Revo-lution allenthalben zu hören. Die Frauen haben dannaber begonnen, selbst für die eigenen Belange zukämpfen, und von männlicher Seite ist seit Jahren zurFrauenfrage nichts Relevantes mehr zu hören.

In Iran kann über vieles zwar erstaunlich offendiskutiert werden, aber oft bleibt die Diskussion ohnepolitische Konsequenzen. Daß ein in Teheran gehal-tener Vortrag von Jürgen Habermas im Mai letztenJahres in der konservativen Zeitung Resâlat vollständigabgedruckt wurde, ist ein eindrucksvolles Beispiel fürIrans geistig-politische Lebendigkeit. Politisch span-nend aber wird es, wenn nach dem Irak-Krieg imParlament geäußert wird, daß nicht eine Atombombedie territoriale Integrität und das System der Republikretten könne, sondern einzig mehr Demokratie (vgl.unten bei Fn. 65).

All die vorgestellten Eigenschaften des politischenSystems und der politischen Kultur Irans geben zu-sammengenommen gewiß keine Garantie für poli-tische Stabilität. Aber sie verweisen auf die vielfältigenMöglichkeiten der Bevölkerung, sich wirtschaftlich,sozial und politisch-ideologisch mit dem Staat zuarrangieren. Der Staat selbst ist wiederum durch dieVielfalt seiner Institutionen in der Lage, eine großeund bunte Palette von Mitteln der Steuerung undBeeinflussung, allerdings auch der Repression zurAnwendung zu bringen. Beides erklärt, wie dasRegime 23 Jahre überleben konnte, erlaubt aber keineSchlüsse auf die weitere Regimestabilität.

Das im Unterschied zur vorrevolutionären Zeit weitweniger hierarchisch organisierte, sondern eher dif-fuse und von wechselseitiger Verzahnung geprägteVerhältnis zwischen Staat und Gesellschaft in Iran er-schwert Prognosen zur Regimestabilität enorm. Genaudieser Befund macht aber auch skeptisch gegenüberVorstellungen eines von außen herbeizuführendenRegimewechsels. Zumal es unter den Exiliranern einehinreichend geschlossene Opposition, die sich als

31 Mit Blick auf das Todesurteil für den GeschichtsprofessorHashem Aghajari schrieb der Herausgeber der Tehran Times,daß selbst das islamische Recht nicht ohne Ansehung desnationalen Interesses praktiziert werden sollte (TehranTimes, 13.11.2002 [Internet]).

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realistische Alternative anböte, nicht gibt. Exiliranerin den USA versuchen insbesondere seit dem Irak-Krieg Reza Pahlavi, den in den USA lebenden Sohn des1979 gestürzten Schah, gemeinsam mit amerikani-schen Neokonservativen und mit Zuspruch aus Israelzum Hoffnungsträger für einen neuen Iran aufzu-bauen.32 Doch auch er bietet keine überzeugendeAlternative. Zwar ist die Zahl der Iraner nicht zuunterschätzen, die mit dem Namen des Schah nochimmer beziehungsweise wieder Vorstellungen irani-scher Größe und Glorie verbinden. Aber es gibt ebensoviele, die fragen, weshalb gerade der Sohn des Schahprädestiniert sein solle, dem Land demokratischeVerhältnisse zu bescheren. Außerdem werden Ver-suche, Demokratie von außen zu implantieren, an-gesichts des eigenen, oft opferreichen Kampfes fürmehr Demokratie eher als Beleidigung denn als Hilfeempfunden.

32 Zwischen ihm sowie Ariel Sharon, Benjamin Netanjahuund dem in Iran geborenen israelischen Staatspräsidenten,Moshe Katzav, soll es private Kontakte geben (Marc Perleman,New Front Sets Sights on Toppling Iran Regime, forward.com,15.5.2003). Bemühungen Reza Pahlavis um eine entsprechen-de Position sind seit dem Winter 2001/2002 vermehrt zu be-obachten.

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Amerikanischer Druck

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Amerikanischer Druck

In seinem Ergebnis ist der Krieg gegen den Irak fürIran nicht ohne Paradoxie: Mit der Beseitigung desRegimes Saddam Husseins ist Iran von der bedeutend-sten regionalen Bedrohung befreit, doch als Befreierfungierte der stärkste Gegner Irans, die USA, die eini-gen in Iran noch immer als »großer Satan« gelten. Wasdie iranische Führung vor allem befürchtete, ist nunTatsache: Iran wird von amerikanischen Truppen »ein-gekreist«. Die USA sind nicht mehr Supermacht jen-seits des Atlantiks, sondern direkter Nachbar. Unmit-telbare Kontakte zu den Amerikanern vor Ort sind wiein Afghanistan unausweichlich geworden. Entgegender iranischen Doktrin, keine Kontakte mit den USAauf offizieller Ebene zu pflegen, kam es schon vor demKrieg zu ersten Gesprächen zwischen Vertreternbeider Regierungen, die Teheran nach dem Irak-Kriegauch öffentlich eingestand. Eine Wiederaufnahme derdiplomatischen Beziehungen ist jedoch vorerst nichtzu erwarten. Da die USA nun gleichsam »ante portas«stehen, ist der Druck auf die konservativen Kräfte desRegimes und die Hardliner größer geworden. IhreHaltung verhärtet sich, und die schon vor dem Kriegzu beobachtende Neigung, verschärft gegen Dissiden-ten und politische Gegenspieler vorzugehen, hat sicherst einmal verstärkt. Gleichzeitig aber ist ein äußerstpragmatischer Umgang mit dem »neuen Nachbarn«USA nicht zu übersehen.

Washington seinerseits zeigt in seinem Verhaltenaugenblicklich eine Mischung aus unnachgiebigemDruck in den beiden für die USA zentralen Fragen,nämlich Irans Streben nach Massenvernichtungs-waffen und seine Haltung zu Israel, und der Bemü-hung um einen Modus vivendi mit Iran als demgrößten Nachbarn des Irak. Die Frage nach den Zielenamerikanischer Iranpolitik und den Auswirkungendes Irak-Krieges auf Iran und das iranisch-ameri-kanische Verhältnis ist wiederum für europäischeIranpolitik von großer Bedeutung.

Ziele amerikanischer Iranpolitik

Trotz aller Unterschiede zwischen der Politik der »Ein-dämmung« unter Präsident Clinton und der heutigen,an einem Regimewechsel in Iran interessierten Politik

Präsident Bushs gibt es eine grundlegende Konstanteamerikanischer Iranpolitik: Die Forderung, daß Iransein Streben nach Massenvernichtungswaffen undsein feindliches Verhalten gegenüber Israel aufgibt.Der Unterschied in der Iranpolitik beider US-Regierun-gen liegt in der Einschätzung der iranischen Fähig-keiten zu einem solchen Kurswechsel und dem darausresultierenden Umgang mit Iran. Unter Clinton wurdeein Politikwechsel der damaligen Teheraner Führungfür möglich gehalten, und es gab Anstrengungen, diePolitik der Sanktionen, die mit dem Iran and LibyaSanctions Act (ILSA Act) im Sommer 1996 sogar nochverschärft worden waren, durch eine Politik kleinerSchritte der Annäherung an Iran im Sinne von »en-gagement« zu ergänzen. Die relative Öffnung Iransunter Khatami und die Überzeugung von der Nützlich-keit Irans als möglicher Partner in der Region stütztendiese Strategie.33

Präsident Bush schien zunächst an diesem Kursfesthalten zu wollen, an der Verlängerung der ILSA-Sanktionen zeigte er sich nicht besonders interessiert.Doch setzte vor allem nach den Attentaten vom11. September 2001 eine Neuorientierung ein, diedann in Bushs »state of the union«-Rede am 29. Januar2002 ihren Ausdruck fand. Darin rechnete der US-Präsident Iran der »Achse des Bösen« zu und beschul-digte die »unelected few«, die wenigen nicht gewähl-ten Machthaber, das iranische Volk zu unterdrücken.34

Diese polarisierende Wahrnehmung der iranischenZustände bildete den konzeptionellen Ausgangspunktfür die neue Strategie, die auf einen Regimewechselabzielte. Am 12. Juli 2002 unterstrich Bush seine Posi-tion erneut und fügte hinzu, daß das iranische Volk inseinem Kampf um Freiheit keinen besseren Freundhaben werde als die USA.35

33 Zu Clintons Interesse an »constructive partnership withIran« vgl. Johannes Reissner, Iran und seine Nachbarn: Kon-kurrenz, Pragmatismus und der Ruf nach Kooperation, in:Jens van Scherpenberg/Peter Schmidt (Hg.), Stabilität und Ko-operation: Aufgaben internationaler Ordnungspolitik, Baden-Baden 2000, S. 140.34 Text: <http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/01/20020129-11.html>.35 Statement of the President, <http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/07/print/20020712-9.html>.

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Ziele amerikanischer Iranpolitik

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Diese Aussage enthält ein vages Versprechen undist zweifellos von dem Wunsch nach einem Regime-wechsel in Iran getragen. Doch ist zwischen Wunschoder auch allgemeinem Interesse und strategischerZielsetzung zu unterscheiden. Bushs Äußerungbedeutet nicht notwendigerweise, daß die leitendeVorstellung eines Regimewechsels in Iran an die Stelleder Forderung nach einer Veränderung des Verhaltensdes iranischen Regimes getreten wäre. Doch gerade indiesem Sinne wurde sie vor allem natürlich in Iraninterpretiert. Gestützt wurde diese Interpretationdurch viele Meinungsäußerungen einflußreicheramerikanischer Neokonservativer, die eine »zweiteRevolution« in Iran oder die »Implosion« des irani-schen politischen Systems prophezeiten und dieForderung erhoben, daß auf der »Achse des Bösen«nach dem Irak als nächstes Land Iran von seinemRegime befreit werden müsse. Solche Äußerungenpassen zu der als »imperialer Liberalismus« bezeichne-ten Ideologie, wie sie in der Sicherheitsstrategie(National Security Strategy) der USA im September2002 ihren deutlichsten Niederschlag fand.36 Aufsehenerregte der amerikanische Verteidigungsminister, alser im Oktober 2002 seiner Überzeugung Ausdruckverlieh, daß die Tage der iranischen Führung gezähltseien: Er werde noch erleben, wie das iranischeRegime unter seinen eigenen Belastungen zusammen-breche. Mit dieser Äußerung wich Rumsfeld bezeich-nenderweise einer direkten Antwort auf die Frageeines Journalisten aus, ob Iran als nächstes Land nachdem Irak ins Visier genommen werde.37 Gleichwohl istauch diese Aussage als Hinweis auf Washingtons Inter-esse an einem Regimewechsel in Iran zu werten.

Anfang Oktober 2002 erklärte Israels Premier-minister Ariel Sharon während seines Besuchs inLondon, daß Iran als nächstes Land »dran« sein müsse,da er ein noch ernsterer Gegner als der Irak sei.38 DieseÄußerung, die vom britischen Außenminister Shawund auch von französischen und deutschen Regie-rungsvertretern kritisiert wurde, war kein »Aus-rutscher«.39 Schon der damalige Außenminister Pereshatte im Januar 2002 in Indien seiner ÜberzeugungAusdruck verliehen, daß Iran als Feind noch gefähr-licher sei als der Irak. Israel bereitet die zunehmende

36 Edward Rhodes, The Imperial Logic of Bush�s LiberalAgenda, in: Survival, 45 (Frühjahr 2003) 1, S. 131�154.37 Middle East Online, 31.10.2002.38 Katajun Amirpur, Iran auf der Achse des Bösen, in:KAS-Auslandsinformationen, 12/02, S. 64�80 (73).39 Ebd.

Kooperation zwischen Indien und Iran Sorge, die sichneuerdings auch auf die Sicherheitspolitik erstreckt.40

Für die europäische Iranpolitik ergeben sichSchwierigkeiten aus dieser israelisch-amerikanischenBedrohungswahrnehmung und der von beidengeteilten Vorstellungen über die regionale Neuord-nung: Die Europäer müssen einerseits zwischen denlegitimen Sicherheitsinteressen Israels und missio-narischen Phantasien einer regionalen Neuordnungdifferenzieren und andererseits iranische Behauptun-gen einer amerikanisch-zionistischen Verschwörungals solche zurückweisen.

Für europäische Iranpolitik macht es einen erheb-lichen Unterschied, ob amerikanische Regimewechsel-rhetorik als Indiz für einen grundlegenden Wandelamerikanischer Iranpolitik oder als modifizierendeZuspitzung des von den Europäern geteilten Zielseiner Veränderung des iranischen Verhaltens in denkritischen Bereichen nukleare Rüstung, Israel, Terro-rismus und Menschenrechte zu verstehen ist. Wäreein grundlegender Wandel vollzogen worden, würdeEuropa mit seinem Engagement in Iran eine Positioneinnehmen, die im Gegensatz zu jener der USA steht.Andernfalls bliebe es bei, wenn auch erheblichen Dif-ferenzen über die Vorgehensweise.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daßdie CIA offenbar nicht mit einem baldigen Zusammen-bruch des iranischen Regimes rechnet und auch keinKonzept hat, wie ein Regimewechsel herbeizuführenwäre. Ohne einen »plötzlichen Umsturz« in Iran aus-zuschließen, hält sie eine allmähliche Transformationin ein offenes politisches System für das wahrschein-lichere Szenario.41 Außerdem erklärte CIA-Chef Tenet:»Wir können gegenwärtig weder einen Führer, eineOrganisation noch eine Thematik erkennen, die in derLage wären, den weit verbreiteten Wunsch nach Ver-änderung in einer kohärenten politischen Bewegungzusammenzuführen, die das Regime herausfordernkönnte.«42

40 Vivek Raghuvaneshi, India, Iran Sign Strategic Accord, in:Defense News, 27.1.2003, S. 1 und S. 8.41 Ebd.42 RFE/RL Iran Report, 6 (17.2.2003) 7 (Internet).

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Modus vivendi undProliferationsproblematik

Je sicherer damit zu rechnen war, daß die USA gegenden Irak Krieg führen würden, desto klarer wurdeauch, daß Teheran wie schon im Golfkrieg von 1991Neutralität üben würde. Darüber hinaus zeigte sichdas iranische Regime auch zu praktischer Kooperationbereit und sicherte zum Beispiel Hilfe für den Fall zu,daß amerikanische Flugzeuge auf iranischem Terri-torium notlanden müßten.43 In den amerikanischenMedien wurde vor allem im zweiten Halbjahr 2002 derGedanke verbreitet, daß man im Kriegsfalle auf eingewisses Maß an Zusammenarbeit mit Iran ange-wiesen sei, und in der International Herald Tribune warsogar die Überschrift zu lesen: »Amerika und Iransind Alliierte«.44

Daß die Teheraner Führung die Notwendigkeit sah,sich neu mit den USA zu arrangieren, begann sich, wieweiter unten darzustellen ist, schon im Frühjahr 2002abzuzeichnen. Doch die Chancen für eine auch nurtaktische und begrenzte Kooperation verringertensich, als Meldungen über die Existenz einer nichtdeklarierten Anlage zur Produktion von Schwerwassernahe Arak und einer Nuklearproduktionsstätte naheNatanz im August 2002 in Umlauf kamen. Die Bedro-hung durch ein nukleares iranisches Rüstungs-programm rückte noch stärker ins Zentrum der ame-rikanischen Wahrnehmung Irans.

Bemerkenswert ist, daß die ersten Nachrichtenüber die Existenz der nicht deklarierten Produktions-stätten vom Nationalen Widerstandsrat Irans ver-breitet worden waren, der in Paris ansässigen Dach-organisation der Volksmojahedin. Vor Kriegsbeginnwar er von Bushs Pressesprecher, Ari Fleischer, dafürausdrücklich gelobt worden.45 Nach dem Krieg wurdeder im Irak stationierte militärische Flügel der Volks-mojahedin von den amerikanischen Truppen entwaff-net. Da die Volksmojahedin in den USA offiziell alsterroristische Organisation gelten, kann man davonausgehen, daß ihre Führung schon im August 2002mit dem Krieg und daher auch mit dem möglichenAus für die im Irak stationierte Befreiungsarmee des

43 Barbara Starr, U.S., Iran Agree on Downed Fliers, CNN,25.11.2002 (Internet).44 David Phillips, America and Iran Are Allies, in: Inter-national Herald Tribune, 25.11.2002 (Internet).45 Iran�s Nuclear Ambitions � Full Steam ahead?, in: IISSStrategic Comments, 2 (März 2003) 9 (Internet). Zum LobFleischers vgl. Tim Kennedy, US Signals Support for IranianGroup, in: Arab News, 19.3.2003 (Internet).

Nationalen Widerstandsrats rechnete. Die Weitergabeder Informationen ist insofern als Versuch zu werten,sich das Wohlwollen der USA zu erwerben.

Dabei ist die Möglichkeit, die Sensibilität der USAin der Proliferationsfrage für eigene Zwecke zunutzen, durchaus gegeben. Kurz nach Beginn desAfghanistanfeldzuges 2001 zum Beispiel besuchteeine israelische Delegation Washington, um die Regie-rung Bush von der Gefährlichkeit des iranischenNuklearprogramms zu überzeugen. Diese Gesprächewaren motiviert von israelischen Sorgen, daß dieBush-Administration der »iranischen Gefahr« zu wenigBeachtung schenken könnte.46 Solche Nachrichtengeben der in Iran weit verbreiteten Neigung Auftrieb,die Verdächtigung Teherans, ein Nuklearrüstungs-programm zu unterhalten, als zionistisch-amerika-nische Verschwörung abzutun. Da die Nuklearfragein der iranischen Öffentlichkeit bislang, wenn über-haupt, überwiegend in Kategorien nationaler Stärkeund nationalen Stolzes diskutiert wurde, ist dieseNeigung besonders ausgeprägt. Als außenpolitischesProblem aber, das durchaus negative Folgen nachsich zieht, war es noch nicht Gegenstand öffentlicherDebatten. Das hat sich geändert, nachdem PräsidentKhatami am 9. Februar 2003 erklärt hatte, daß Iranan seinem Nuklearprogramm zu friedlichen Zweckennicht nur festhalten, sondern auch eigenes hochange-reichertes Uran produzieren werde.47

Als Motiv für Khatamis Erklärung vom 9. Februarist so etwas wie eine »Flucht nach vorn« zu vermuten,zu der er sich aufgrund des enorm gewachsenen ame-rikanischen Drucks gezwungen sah. Erreicht hat erdamit auf jeden Fall, daß die Nuklearfrage zum Gegen-stand öffentlicher politischer Diskussion in Iranwurde (vgl. unten, S. 20).

Iranische Reaktionen

Daß Bush Iran der »Achse des Bösen« zugerechnethatte, empörte viele Iraner und verletzte sie in ihremnationalen Ehrgefühl. Empörend wirkte vor allem,daß die Kooperationsbereitschaft und das Wohl-verhalten im Afghanistanfeldzug nicht honoriert

46 Leiter der israelischen Delegation war der Generaldirektorder Atomenergiekommission, Gideon Frank, und der Chefdes Sicherheitsrat, Generalmajor Uzi Dayan (Seymur M. Hersh,The Iran Game, in: The New Yorker, 3.12.2001 [Internet]).47 Text in englischer Übersetzung: BBC Monitoring Service,10.2.2003, nach: Vision of the Islamic Republic of Iran Net-work 1 (Tehran), in Persian 1732 gmt 9 Feb 03.

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Iranische Reaktionen

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wurden. Allerdings wird auch von Stimmen aus derBevölkerung berichtet, die dem amerikanischen Präsi-denten aus Frustration über das eigene Regime rechtgaben.48 Die inneriranische Diskussion über die Frageder Beziehungen zu den USA war jedenfalls erneutentfacht, und die iranische Führung sah sich gezwun-gen, zu dieser heiklen Frage Stellung zu nehmen. Alszusätzlich treibendes Element wirkte die Erklärungdes demokratischen US-Senators und Vorsitzenden desKomitees für Außenbeziehungen, Joseph Biden, daßer jederzeit bereit sei, in Washington (oder anderswo)mit iranischen Parlamentariern zu sprechen.49 ImApril 2002 diskutierte der Oberste Nationale Sicher-heitsrat auf Geheiß des Revolutionsführers Khamene�idas Für und Wider von Verhandlungen mit den USA.Aus diesem Anlaß berichteten die iranischen Medienzum ersten Mal, worüber der Sicherheitsrat disku-tiert.50

Ungeachtet dessen erteilte Khamene�i am 1. Maioffiziellen Verhandlungen mit den USA eine klareAbsage.51 Damit blieb es bei der früheren Linie, diesich nach dem berühmten Interview Khatamis mit derCNN-Reporterin Christiane Amanpour vom Januar1998 herauskristallisiert hatte: Kontakte zwischendem iranischen und dem amerikanischen Volkwerden gebilligt, nicht aber Kontakte auf offiziellerEbene. Die öffentliche Diskussion über die Frage derBeziehungen zu den USA war im Unterschied zu 1998jedoch nicht mehr zu stoppen.

Bei den nicht mehr zu übersehenden Bemühungender iranischen Führung, nach neuen Wegen im Ver-hältnis zu den USA zu suchen, tat sich insbesondereRafsanjani hervor. Im Rahmen eines Treffens mit 45Abgeordneten im April 2002 erklärte er, daß lediglichGespräche zwischen iranischen Regierungsoffiziellenund amerikanischen Offiziellen verboten seien, Abge-ordnete aber nicht zur Regierung gehörten. Im Maikursierten dann hartnäckige Gerüchte, daß es mitRafsanjanis Zustimmung auf Zypern Treffen mit ame-rikanischen Offiziellen gegeben haben soll.52 EinenMonat später deutete Rafsanjani an, daß Iran im Falle

48 Amirpur, Iran auf der Achse des Bösen [wie Fn. 38], S. 68.49 Tehran Times, 17.3.2002 (Internet).50 Guy Dinmore, Iran�s Centrists Seek to Break Taboo of Talkswith US, in: Financial Times, 23.4.2002 (Internet).51 Leader Declares No Point in Relations and Negotiationswith U.S., in: Discourse � An Iranian Quarterly (Tehran), 3(2002) 4, S. 216�218.52 Kaveh L. Afrasiabi, Promoting and Criminalizing Dialogue:Nothing Wrong with Mini-Dialogue, Payvand Website,26.6.2002.

eines Krieges gegen den Irak begrenzt mit den USAkooperieren könnte, versah allerdings dieses Angebotmit der für ihn typischen Klausel, »wenn die Amerika-ner ihre Politik gegenüber Iran ändern«.53 AnfangApril 2003 wurde ein Interview Rafsanjanis mit derZeitschrift rahbord (Strategie) veröffentlicht, in dem eroffen von der Möglichkeit einer Normalisierung derBeziehungen zu den USA sprach. Sie könne entwederüber ein Referendum realisiert werden, dem das Par-lament und der Revolutionsführer zuzustimmenhätten, oder durch Zuweisung des Problems an den»Rat zur Feststellung der Interessen des Systems«, dervorbehaltlich einer Billigung des Revolutionsführersim Sinne der nationalen Interessen zu entscheidenhätte.54

Am 8. Mai 2003 veröffentlichten 154 Abgeordneteder Reformfraktion angesichts der neuen Lage nachdem Irak-Krieg einen offenen Brief zur iranischenInnen- und Außenpolitik. Wenn die iranische Nach-richtenagentur IRNA auch titelte »154 Abgeordnetefordern Wiederaufnahme der Beziehungen zu denUSA«, läßt sich diese Behauptung aus dem Brieftextdoch nicht ohne weiteres ableiten. Weder im Inlandnoch im Ausland fand der Brief ein größeres Echo.55

Fast gleichzeitig bekundete Außenminister Kharrazidas grundsätzliche Interesse Irans, mit allen Länderneinschließlich den USA gute Beziehungen zu pflegen.Aber diese prinzipielle Aussage war nichts Neues.56

Weitaus bedeutsamer war, daß kurz darauf dieMeldungen der internationalen Medien über direkteGespräche zwischen iranischen und amerikanischenRegierungsvertretern in Genf offiziell vom Außen-ministerium bestätigt wurden.57 Sowohl die amerika-nische als auch die iranische Seite betonten, daß dieWiederaufnahme diplomatischer Beziehungen nichtGegenstand der Gespräche war, man vielmehr überFragen zum Irak und zu Afghanistan gesprochen habe.Für Iran jedoch war das langjährige Tabu von Kontak-ten auf offizieller Ebene gebrochen. Einer Wieder-aufnahme der diplomatischen Beziehungen erteilteder Revolutionsführer dennoch von vornherein eine

53 Voice of the Islamic Republic of Iran (Tehran), 21.6.2002,nach BBC Monitoring Service, 21.6.2002.54 IRNA, 12.4.2003 (Internet); vgl. Steve Fairbanks, TeheranDebates U.S. Relation, in: RFE/RL Iran Report, 6 (5.5.2003) 19(Internet).55 IRNA, 7.5.2003 (Internet); persischer Text: IranMania(Internet, persische Seite), 13. Ordibehesht 1382 [8.5.2003].56 Reuters, 8.5.2003 (Internet); Barabara Slavin, Iran, U.S.Holding Talks in Geneva, in: USA Today, 11.5.2003 (Internet).57 IRNA, 12.5.2003 (Internet).

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klare Absage. Sie käme einer Kapitulation (taslîm)gleich und hätte nichts mit der Nutzung einer gün-stigen Gelegenheit zu tun, wie ihre Befürworterfälschlich argumentierten.58

Die hier umrissene Entwicklung iranischer Politikin der Frage der Beziehungen mit den USA läßt erken-nen, daß das konservative Lager in der iranischenFührung in dieser Frage die Initiative zurückgewon-nen hat; das letzte Wort hatte sie in Gestalt des Revo-lutionsführers immer schon. Während des letztenJahres ist auch Präsident Khatami häufiger als Kritikeramerikanischer Politik aufgefallen. Dabei wiederholteer Ende 2002, daß Iran nie behauptet hätte, zu keinemZeitpunkt normale Beziehungen zu den USA haben zuwollen.59 Ausgerechnet zum Jahrestag der Besetzungder amerikanischen Botschaft (4. November) monierteder einflußreiche Politiker der konservativen Mitte,Mohammad Javad-Larijani, daß man die Chance füreine Normalisierung der Beziehungen zu den USAvertan habe.60 In dieser politisch wie ideologisch zen-tralen Frage das letzte Wort zu behalten ist für dieKonservativen von großer Bedeutung, da sie sich alsdie einzig legitimen Machthaber verstehen.

Von daher wird auch die große Unruhe verständ-lich, die die Veröffentlichung der Meinungsumfrageüber die Beziehungen zu den USA im Sommer 2002verursacht hatte. Daß der überwiegende Teil derBevölkerung Gespräche und Verhandlungen mit denUSA befürwortet, so das entscheidende Ergebnis derUmfrage, war der konservativen Führung des Landesgewiß längst bekannt. Zorn erregte bei der Führungvor allem die Tatsache, daß die Initiative zu dieserUmfrage über das für Iran heikle Problem einmalmehr aus dem Lager der Reformer kam. Deshalbwurde den Veranstaltern der Meinungsumfrage imWinter 2002 der Prozeß gemacht. Unter den Ange-klagten befanden sich so bedeutsame Persönlichkeitender Reformbewegung wie Abbas Abdi, einer der An-führer der Besetzung der amerikanischen Botschaft1979. Er wurde pikanterweise am 4. November 2002inhaftiert, dem Jahrestag der Botschaftsbesetzung. DerProzeß gegen Abbas Abdi, der mit seiner Verurteilungzu sieben Jahren Gefängnis endete, wurde von denReformpolitikern als ein weiterer Akt »politischerJustiz« gebrandmarkt. In die inneriranische Diskus-sion über den Prozeß mischte sich echte wie auch

58 Persischer Text: Iran, 23. Ordibehesht 1382 [13.5.2003](Internet).59 Tehran Times, 5.12.2002 (Internet).60 BBC, 4.11.2002 (Internet).

vorgespielte Sorge um den nationalen Zusammenhaltangesichts der äußeren Bedrohung durch den immerwahrscheinlicher werdenden Krieg gegen den Irak.61

Daß eine Mehrheit der Iraner in der Umfrage ihrenWunsch nach Verbesserung der Beziehungen zu denUSA zum Ausdruck gebracht hatte, ist immer wieder,verständlicherweise gerade von amerikanischenMedien, zitiert worden. Dabei läßt ein genauerer Blickauf die Ergebnisse erkennen, daß die Befragten deut-lich zwischen den USA und amerikanischer Politikdifferenzieren. 64,5 Prozent sprachen sich für poli-tische Beziehungen zwischen den USA und Iran aus,17,5 Prozent dagegen. 40,3 Prozent meinten, daß eineVerbesserung der Wirtschaftslage Irans ohne poli-tische Beziehungen zu den USA nicht möglich sei. 74,7Prozent waren der Ansicht, daß man Dialog und Ver-handlungen nutzen solle, um amerikanische Animosi-täten abzubauen und Drohgebärden ein Ende zusetzen. Allerdings hielten 70,4 Prozent die ameri-kanische Administration für unzuverlässig (nâ qâbel-ee�temâd; non reliable). 62 Prozent glaubten nicht, daß dieUS-Regierung in ihrer Kampagne gegen den Terroris-mus aufrichtig (sâdeq) sei; 65,6 Prozent bestritten, daßes Washington wirklich darum gehe, Demokratie undFreiheit zu verteidigen. 55,8 Prozent widersprachender Auffassung, daß der amerikanischen Regierungdie wirtschaftliche Prosperität anderer Länder amHerzen liege. Die amerikanische Iranpolitik hielten26,1 Prozent für falsch (45,8 Prozent: »wenig korrekt«),nur halb so viele (13,1 Prozent) lehnten die iranischePolitik gegenüber den USA ab (41,7 Prozent: »wenigkorrekt«).62 Die politische Unruhe, für die die Mei-nungsumfrage gesorgt hat, ist nicht nur unter demAspekt des Streits zwischen Konservativen und Refor-mern zu sehen, sondern auch als Beispiel für denEinfluß der öffentlichen Meinung, die dem RegimeArgumente abfordert.

In dieser Hinsicht ist bemerkenswert, daß jetztauch das Problem atomarer Rüstung Irans, das seitlangem ganz oben auf der amerikanischen Iranagendasteht, in die öffentliche Diskussion geraten ist.Khatamis Erklärung vom 9. Februar 2003, daß Iran

61 Jim Muir, Iran Rifts Deepen as Tension Mounts, BBC,29.7.2002 (Internet).62 An der Umfrage waren drei Institute beteiligt: Das Kherad-(Weisheit)Institut für Sozial- und Kulturforschung, das Natio-nale Institut zur Erforschung der öffentlichen Meinung unddas Forschungszentrum für Human- und Sozialwissenschaf-ten des Universitäts-Jihâd. Vgl. Iran, 1. Mehr 1381 [23.9.2002];Aftâ-e Yazd, 23.9.2002 (nach BBC Monitoring Service, Nearand Middle East, 28.9.2002; IRNA, 23.9.2002 [Internet]).

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Iranische Reaktionen

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angereichertes Uran produzieren wolle, und derEnde des Monats erfolgte Besuch des Generalsekretärsder Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA),Mohammad El Baradei, hatten unterschiedlicheReaktionen in Iran hervorgerufen. Während in derüberwiegenden Zahl der amtlichen Erklärungen be-teuert wird, daß Irans Nuklearprogramm ausschließ-lich friedlichen Zwecken diene, finden sich auchÄußerungen iranischer Offizieller und Abgeordneterdes Reformflügels, daß die Regierung überlege, dasZusatzprotokoll zum Nichtverbreitungsvertrag zuunterzeichnen, was der Atomenergiebehörde kurz-fristig anberaumte Untersuchungen vor Ort ein-räumen würde. Diese Überlegungen werden auch vonder Hoffnung getragen, mit Unterzeichnung des Proto-kolls die Aufhebung der amerikanischen Sanktionenerreichen zu können.63

Daß der Besitz von Massenvernichtungswaffen derausschlaggebende Grund war, Krieg gegen den Irak zuführen, wurde in Iran allseits als Vorwand abgetan.Doch der Krieg führte den Iranern vor Augen, wasderjenige schlimmstenfalls zu erwarten hatte, der desErwerbs von Massenvernichtungswaffen verdächtigtwurde. In diesem Sinne forderten Anfang April 2003fast 180 Reformpolitiker die »Extremisten« im eigenenLand dazu auf, den USA keinen Vorwand für eineIntervention zu liefern.64 Auch der erwähnte offeneBrief der 154 Abgeordneten des Reformflügels nahmden Krieg gegen den Irak als Beispiel und warnte ein-dringlich vor den Folgen, mit denen ein Staat rechnenmuß, der im Verdacht steht, Massenvernichtungs-waffen zu erwerben. Eine an Deutlichkeit nicht mehrzu überbietende Absage an ein iranisches Atom-rüstungsprogramm sprach der bekannte Reform-politiker Behzad Nabavi am 21. Mai im Parlament aus:Es sei ein Fehler, ja Verrat, wenn man der Meinungsei, Iran könnte mit der Atombombe das System (derIslamischen Republik Iran) und die territoriale Inte-grität bewahren. Dieses Ziel lasse sich nur mit mehrDemokratie erreichen.65 Mit solchen Argumentendürfte die Nukleardebatte auch weitere Kreise derBevölkerung erfassen können. Daher ist verständlich,daß der Revolutionsführer in seiner Rede, in der ervon der »Kapitulation« vor den USA warnte, das Argu-

63 Dan de Luce, Iran Attacks US and Braces for NuclearDispute, in: The Guardian, 17.4.2003 (Internet).64 So die Reformzeitung Yas-e No, 13.4.2003, nach BBCMonitoring Service, 15.4.2003.65 E�temâd, (21.5.2003) 267 (Internet); auch BBC MonitoringService, 21.5.2003.

ment heftig attackierte, man dürfe in der Nuklear-frage den USA keinen Vorwand liefern.

Das im Westen oft ins Feld geführte Argument, daßIran wegen seines Erdöl- und Erdgasreichtums auswirtschaftlichen Gründen gar kein Atomenergie-programm brauche, wird zumindest unter Exiliranernin den USA diskutiert. Inwieweit es in inneriranischenDebatten eine Rolle spielt, ist schwer zu ermitteln.Wahrscheinlich aber wird der Fall Nordkorea voniranischen Verantwortlichen diskutiert, ohne daß diesin den iranischen Medien bislang seinen Niederschlaggefunden hätte. Die Meldung, daß der stellvertretendepakistanische Parlamentssprecher bei einem Besuchin Teheran Nordkorea dafür gelobt hatte, in der Atom-waffenfrage gegenüber den USA standhaft zu bleiben,ließ jedenfalls aufhorchen.66

Das neben der Nuklearfrage zweite für die USAwesentliche Thema � Irans Verhältnis zu Israel � istnoch nicht Gegenstand kontroverser öffentlicherDebatten in Iran geworden. Die Leugnung des Exi-stenzrechts Israels und die Unterstützung palästinen-sischer Befreiungsorganisationen, die von den USA alsterroristisch eingestuft werden, sind nach wie voroffizielle Regierungspolitik, die im wesentlichen vonden Reformern geteilt wird. In der Bevölkerung gibt eseine stark verankerte Sympathie für die Palästinenser,auch wenn die Iraner in der Mehrheit nicht bereit seindürften, mehr für die Sache Palästinas zu opfern alsdie anderen Araber. Die gegenwärtige PalästinapolitikIsraels sowie die scharfen anti-iranischen Töne, dievon der israelischen Lobby in den USA und den ameri-kanischen Neokonservativen angeschlagen werden,stehen einer kontroversen Diskussion dieses Themasin der iranischen Öffentlichkeit entgegen. Unmittel-bar nachdem der Sprecher des iranischen Außen-ministeriums, Hamid Reza Asefi, im Oktober 2002angedeutet hatte, daß sich Iran einer Zwei-Staaten-Lösung des Nahostkonflikts nicht widersetzen würde,wurde diese Aussage wieder dementiert.67 Wenn eszutrifft, daß Khatami nach dem Krieg bei seinemBesuch im Libanon im Mai 2003 versucht hat, dieHizbollah zur Zurückhaltung gegenüber Israel zubewegen, steht das nicht in Widerspruch zu der nachwie vor grundlegend ablehnenden Haltung Iransgegenüber Israel.68 Denn für diesen Versuch wären

66 IRNA, 27.4.2003 (Internet).67 Alistar Lyon, Iran »Won�t Hamper« Two State MideastSolution, Reuters, 15.10.2002 (Internet); ders., Iran DeniesPolicy Shift on Mideast, Reuters, 16.2.2002 (Internet).68 Has Iran Bartered Hizbullah with US for Iraq BasedIranian Opposition Group?, Albawaba.com, 14.5.2003.

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angesichts der verschärften amerikanischen Drohun-gen vor allem gegen Syrien, aber auch gegen Iranwegen ihrer Unterstützung der palästinensischenBefreiungsorganisationen in der Hauptsache die natio-nalen Interessen ausschlaggebend gewesen.

Iran und der Krieg gegen den Irak

Iran stand dem Krieg von vornherein zwiespältiggegenüber, war von seinem relativ schnellen Endeüberrascht und versucht nun, sich in den noch ziem-lich unübersichtlichen Nachkriegsverhältnissen zuorientieren. Teheran wahrte im Krieg die schon imSommer 2002 angekündigte »aktive Neutralität«.Dabei ging es zunächst darum, trotz des großen Inter-esses an einer Beseitigung des Regimes SaddamHusseins alles zu tun, um einen Krieg zu verhindern,vor allem wenn er nicht von den Vereinten Nationengebilligt worden war. Zu diesem Zweck entfaltete Iranin der Region beachtliche diplomatische Aktivitäten.Wichtige Adressaten waren Saudi-Arabien und diekleineren Golfstaaten. Dreimal traf der irakischeAußenminister (Anfang und Sommer 2002 undAnfang 2003) zu Besuchen in Teheran ein, bei denendie iranische Seite den Irak von der unbedingtenNotwendigkeit der Zusammenarbeit mit der UNO zuüberzeugen suchte. Parlamentarier des Reformflügelsprotestierten gegen diese Besuche, weil sie befürchte-ten, daß sie Iran als Zusammenarbeit mit dem Feindübel ausgelegt werden könnten. Und in der Tat hättensich einige iranische Hardliner lieber mit dem schonlängst geschwächten Erzfeind Saddam Hussein arran-giert als mit dem noch unberechenbareren und mäch-tigeren »großen Satan« USA. Während und nach demKriege warnten Reformer, daß sich die anti-amerikani-schen Haßtiraden einiger konservativer Politiker nega-tiv für Iran auswirken könnten. Das streng konservativausgerichtete Fernsehen wurde im Parlament fürseine Berichterstattung kritisiert, die mit der Über-mittlung von an den irakischen Widerstand adres-sierten Durchhalteparolen die erklärte NeutralitätIrans verletzen würde.69

Eklatant war der Widerspruch zwischen derverbalen Verurteilung des Krieges als illegal, der krieg-führenden Mächte als Aggressoren und Besatzer undden stillschweigenden, aber effektiven Bemühungen,den Eindruck zu vermeiden, als würde die Krieg-führung behindert. Demonstrationen gegen den Krieg

69 RFE/RL Iran Report, 6 (14.4.2003) 16 (Internet).

wie in arabischen Ländern gab es in Iran zunächstnicht. Als dann eine Woche nach KriegsbeginnDemonstranten vor der britischen Botschaft in Tehe-ran randalierten, griff die Polizei ein. Gegen die Ver-letzung iranischen Luftraums und einen Treffer aufein iranisches Öldepot in Abadan nahe der Grenze zuIrak wurde zwar Protest eingelegt, doch wurden dieVorfälle in den Medien nicht hochgespielt.70

Iran war von dem relativ schnellen Ende des Kriegesüberrascht. Viele seiner zuvor gehegten Befürchtun-gen erwiesen sich zudem als unbegründet:! Die territoriale Integrität des Irak, um die Iran vor

allem wegen der Autonomiebestrebungen derKurden im Nordirak am meisten gebangt hatte,blieb erhalten.

! Die großen Flüchtlingsströme, auf die man sich seitSommer 2002 in Zusammenarbeit mit dem UNHCReinzurichten begonnen hatte, blieben aus.71

! Der Kriegsverlauf ließ rasch erkennen, daß keineGefahr bestand, in das Kriegsgeschehen verwickeltzu werden.Es waren im wesentlichen zwei Gruppen, die Anlaß

für die zuletzt genannte Befürchtung gaben: dieSchiiten des Irak und die im Irak stationierten Trup-pen der »Nationalen Befreiungsarmee« der Volks-mojahedin. Iran unterstützt den »Obersten Rat derislamischen Revolution im Irak« (Supreme Council ofthe Islamic Revolution in Iraq = SCIRI), eine Organi-sation irakischer Schiiten. Ihr 63jähriger Führer,Ayatollah Muhammad Baqer al-Hakim, hat zwanzigJahre im Exil in Teheran verbracht, bis er am 12. Mai2003 in den Irak zurückkehrte. SCIRI unterhält diesogenannte Badr-Brigade, die von den iranischen Revo-lutionsgarden trainiert wurde. Im März wurden etwa1500 der insgesamt 15 000 Mann dieser Brigade inDarbandikhan stationiert, nahe der iranischen Grenzein dem von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK)kontrollierten Gebiet. Nach Aussage des Führers derPUK, Jalal Talabani, sollten sie gegen die extreme sun-nitische Gruppe der Ansar eingesetzt werden, die ideo-logisch den Taliban ähnelt und etwa 700 Kämpfer auf-zubieten hat.72 Doch dazu kam es wegen des schnellenKriegsendes nicht.

70 IRNA, 25.3.2003 (Internet).71 Vorgesehen waren zehn Flüchtlingslager in den an denIrak grenzenden Provinzen Khuzistan, Ilam und Kermanshah.Nach Schätzungen des UNHCR hatte Iran mit bis zu 150 000Flüchtlingen zu rechnen (IRNA, 8.10.2002 [Internet]).72 Zu den Ansar: Maria Sanchez, Radical Islam in Iraqi Kur-distan: Ansar al-Islam, in: International Crisis Group (ICG),Briefing Paper, 7.2.2003.

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Iran und der Krieg gegen den Irak

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Welchen Einfluß nimmt Iran auf die Schiiten imIrak? SCIRI ist nur eine von mehreren konkurrieren-den schiitischen Organisationen im Irak. Nacheigenen Aussagen strebt der Rat keine IslamischeRepublik nach iranischem Vorbild für den Irak an,sondern eine multiethnische und multikonfessionelleDemokratie, in der allerdings der Islam eine wichtigeRolle spielen soll.73 Ungeachtet der engen Verbindun-gen zu Iran ist SCIRI auch kein bloßer Befehlsempfän-ger Teherans, wie sich schon vor dem Kriege, vorallem aber in und nach dem Krieg deutlich zeigte.74

Gleichwohl steht SCIRI bei vielen Irakern in genaudiesem Verdacht, was die Organisation politischunglaubwürdig macht. Inzwischen würden es dieAmerikaner vor Ort wohl zu verhindern wissen, daßSCIRI eine Rolle spielt, die ihnen zu groß erscheint.

Schließlich liegt es auch gar nicht im InteresseTeherans, sich durch eine riskante SchiitenpolitikProbleme vor der eigenen Haustür zu schaffen. Ähn-lich wie im Falle Afghanistans ist es vor allem daraninteressiert, sich mit einem, wenn auch pro-west-lichen, so aber doch befriedeten Irak zu arrangieren.Versuche iranischer politischer Gruppen, Einfluß aufdie irakischen Schiiten zu nehmen, sind natürlichnicht auszuschließen, und sei es nur, um aus innen-politischen Motiven die Politik der eigenen Regierungzu konterkarieren.

Wie sich die wiedererstandene schiitische Kon-kurrenz auf das iranisch-irakische Verhältnis aus-wirken wird, ist ungewiß. Die berühmten und tradi-tionsreichen theologischen Hochschulen der denSchiiten heiligen irakischen Städte Najaf und Kerbelahaben schon jetzt begonnen, dem iranischen Qom denRang abzulaufen, den es sich als Zentrum schiitischerGelehrsamkeit unter Khomeini erworben hatte. Deriranische Führungsanspruch innerhalb der schiiti-schen Welt dürfte weiter zurückgedrängt werden. Miteiner zunehmenden Nationalisierung des Schiiten-tums ist zu rechnen. Schon während des iranisch-irakischen Krieges (1980�1988) und beim Aufstand derirakischen Schiiten gegen Saddam Hussein 1992 hattesich gezeigt, daß nationale Zugehörigkeit stärker

73 Auf die Frage eines Journalisten, ob er das iranischeModell auf den Irak übertragen wolle, antwortete al-Hakim:»Wir glauben nicht ans Klonen, und wir glauben nicht andas Klonen eines anderen Systems.« (RFE/RL Iran Report, 6[19.5.2003] 21 [Internet]).74 Politische Differenzen wurden schon im Dezember 2002erkennbar, als Baqer al-Hakim Kritik an Irans beabsichtigterNeutralität im Krieg übte (RFE/RL Iran Report, 5 [2.12.2002] 44[Internet]).

wirkt als Religionszugehörigkeit. Heute ist es nochweniger berechtigt als damals, die Gefahr eines trans-nationalen Blocks der Schiiten zu konstruieren.75 IhreBeschwörung würde zu ähnlich falschen Politik-einschätzungen führen wie das pauschalisierendeKonstrukt einer »islamischen Gefahr«, das einer ver-nünftigen Politik zum Beispiel gegenüber Zentralasiennach dem Zerfall der Sowjetunion nur im Wege stand.

Der zweite für Iran zentrale Problemkomplex ist dievom Irak aus operierende »Nationale Befreiungs-armee« der iranischen Exilopposition der Volksmoja-hedin, seit über zwanzig Jahren der meistgehaßteGegner Teherans. Als bekannt wurde, daß die Ameri-kaner diese Befreiungsarmee im Irak zunächst unterSchutz stellten, entfesselte dies einen Sturm der Ent-rüstung. Die Volksmojahedin, die in den USA offiziellals terroristische Vereinigung gelten, schlossen am10. Mai 2003 nach erheblichem Hin und Her einAbkommen mit den Amerikanern.76 Es sieht die voll-ständige Entwaffnung der Volksmojahedin vor, ihrenStatus als Kriegsgefangene sowie die Übergabe allerInformationen an die Amerikaner. Im Gegenzugbieten die Amerikaner ihnen Schutz vor Angriffen derIraner, schiitischer Badr-Truppen sowie von Kurdenoder anderen lokalen ethnischen Gruppen. Die USAwird ihren Angehörigen die Ausreise aus dem Irakermöglichen, ausgenommen sind jedoch die beidenFührer der Volksmojahedin, Mas�ud und MiriamRajavi.77

Das anfänglich wohlwollende Verhalten der USAgegenüber den Volksmojahedin war einer der wesent-lichen Gründe dafür, daß Teheran direkten Gesprä-chen mit Amerikanern auf offizieller Ebene zuge-stimmt hatte. Die Vermutung, daß dieses Wohlwollenauf dem Interesse des Pentagons und neokonservativerKreise in den USA beruhte, mit Hilfe der Kampf-truppen der Volksmojahedin Druck auf Iran auszu-üben, ist schwer von der Hand zu weisen.78 Seitdemdie Amerikaner sich diese Möglichkeit versperrthaben, verstärken sich die Anstrengungen der ameri-kanischen Neokonservativen und der israelischenLobby in den USA, den Sohn des gestürzten Schahs als

75 William O. Beeman, The Emerging Shiite Bloc, Pacific NewsServic, 21.5.2003 (Internet).76 RFE/RL Iran Report, 6 (19.5.2003) 21 (Internet).77 Baztab.com 18.5.2003, nach BBC Monitoring Service,18.5.2003.78 Für eine Nutzung der Volksmojahedin zu diesem Zweck:Daniel Pipes/Patrick Clawson, A Terorist U.S. Ally?, in: New YorkTimes, 20.5.2003 (Internet).

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demokratische Alternative zum bestehenden Regimeaufzubauen.

Als Fazit läßt sich konstatieren, daß Iran durch denIrak-Krieg nicht nur von einem, sondern gleich vonzwei gefährlichen Gegnern befreit worden ist. WieIran sich auf den neuen Irak einstellen wird, hängtzuallererst von den noch kaum abschätzbaren poli-tischen Entwicklungen dort ab. Teheran sendet deut-liche Signale der Bereitschaft, sich auch mit einempro-amerikanischen Irak zu arrangieren. Die Zukunftdes Verhältnisses zu den USA dürfte auf iranischerSeite vorerst von Zweigleisigkeit bestimmt bleiben:Neben taktisch-pragmatischem Sich-Arrangieren wirdweiterhin das Festhalten an doktrinären Positionen zubeobachten sein. Ob diese Positionen abgemildertwerden können, hängt wesentlich davon ab, ob dasRegime sie aufgrund der innenpolitischen Entwick-lungen Irans für den Machterhalt als nicht mehr nötigansieht. Zugleich werden auch die USA deutlichmachen müssen, daß ihre Prioritäten � Regelung desProliferationsproblems und Veränderung des irani-schen Verhaltens gegenüber Israel � eben politischePrioritäten sind und keine doktrinären Positionen.

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Europas gewandeltes Verhältnis zu Iran

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Herausforderungen für europäische Iranpolitik

Der nach dem Irak-Krieg noch verstärkte amerikani-sche Druck auf Iran fordert auch die Iranpolitik derEuropäer heraus. Ob die EU ihr Engagement in Iranfortsetzen kann, ist eine Frage, der nach Ansicht desgriechischen Außenministers, Georges Papandreou,dessen Land gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaftinnehat, ein bedeutsamer Test bevorsteht.79 Wie sichdie USA konkret zu Iran verhalten werden, ist nochoffen. für die Europäer ist so viel jedenfalls klar, daßihre Iranpolitik mehr denn je im doppelten Span-nungsverhältnis zu den inneriranischen Entwick-lungen einerseits und dem amerikanischen Verhältniszur Iran andererseits steht.

Dieses Spannungsverhältnis bestand prinzipiellschon zur Zeit des »kritischen Dialogs« der Europäermit Iran Mitte der neunziger Jahre. Damals allerdingskonnte es noch im Sinne einer Art Arbeitsteilunginterpretiert werden. Im gemeinsamen Interesse aneiner Änderung des politischen Verhaltens Irans inSachen Massenvernichtungswaffen, Israel, Terroris-mus und Menschenrechte spielten die USA mit ihrerSanktionspolitik die Rolle des »bösen Polizisten«,während die Europäer mit ihrer Dialog-Politik die des»guten Polizisten« übernahmen. Ob diese Beschrei-bung der europäischen Rolle tatsächlich entsprach, istschon deshalb fraglich, weil der Dialog an sich nochkeine ausreichenden positiven Anreize für eine Ver-haltensänderung bot.80 Nachdem die USA nun quasizum direkten Nachbarn Irans geworden sind, hat sichdie konkrete politische Lage grundlegend geändert.Mittlerweile hat sich auch die europäische Iranpolitikvon der amerikanischen emanzipiert. Daher ist nichtdavon auszugehen, daß die Europäer und die USA inbezug auf Iran ein Verhältnis arbeitsteiliger Koopera-tion pflegen werden. Statt dessen ist erneut zu fragen,in welchen Bereichen und auf welche Weise Koope-ration anzustreben und möglich ist.

79 Paul Taylor/Paul Hughes, Next Us, EU Clash Could Be overIran, in: Dawn, 31.5.2003 (Internet).80 Zu »kritischem Dialog« versus amerikanische Sanktions-politik vgl. Johannes Reissner, Europe and Iran: Critical Dia-logue, in: Richard N. Haass/Meghan L. O�Sullivan (Hg.), Honeyand Vinegar. Incentives, Sanctions and Foreign Policy,Washington, D.C. 2000, S. 33�50.

Europas gewandeltes Verhältnis zu Iran

Europäische Politik, sei es der EU oder ihrer Mitglied-staaten, geht weder davon aus, daß es in nähererZukunft zu einer »zweiten Revolution« in Iran oder zueiner Implosion seines politischen Systems kommt,noch strebt sie einen Regimewechsel an. Vielmehrsieht sie in Iran ein Land, das schwierige Transforma-tionsprozesse durchläuft. Bei der Bewältigung der da-mit einhergehenden Probleme behilflich zu sein isttrotz der Dominanz der europäischen Wirtschafts-und langfristigen energiepolitischen Interessen einwesentlicher Bestandteil der heutigen europäischenBeziehungen zu Iran. Seit der »kritische Dialog« 1997mit dem Urteil des Berliner Landgerichts, das auchhöchste iranische Regierungskreise der Mitverant-wortung für die Ermordung kurdischer Oppositio-neller im Berliner Restaurant Mykonos im September1992 bezichtigte, ein Ende gefunden hat, haben sichdie europäisch-iranischen Beziehungen in mehrerleiHinsicht neu entwickeln können:! Die einseitig negative Einstellung der europäischen

Öffentlichkeit gegenüber Iran wurde durch dieWahl Präsident Khatamis 1997 (einen Monat nachdem »Mykonos-Urteil«) und die Erfolge der Reform-bewegung relativiert. Man konnte nun zwischen»guten« Reformern und »bösen« Mullahs unter-scheiden, und obwohl diese pauschale Vorstellungsachlich kaum den politischen Verhältnissen inIran entsprach, bot sie dennoch die Möglichkeit,sich Iran gegenüber zu öffnen.

! Die mit dem ILSA Act der Clinton-Regierung imSommer 1996 verhängten Sanktionen, von denenpotentiell auch nicht-amerikanische Firmen betrof-fen waren, riefen europäische Empörung hervorund einten damit die Europäer in ihrer Haltunggegenüber den Sanktionen. Die Clinton-Regierungwandte ihrerseits die Sanktionsbestimmungennicht konsequent an und unternahm selbst kleineSchritte einer Annäherung an Iran. Die Sanktionenzeigten im Ganzen schließlich nicht die erwünsch-te Wirkung. Heute werden sie wieder verstärkt alsDruckmittel gegen die Europäer ins Spiel gebracht.

! In der Periode des Tauwetters zwischen den USAund Iran haben die Europäer ihre wirtschaftlichen

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Herausforderungen für europäische Iranpolitik

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und politischen Beziehungen zu Iran erheblich aus-gebaut. Das Handelsvolumen zwischen den 15 EU-Ländern und Iran war zwischen 1999 und 2001von 8,612 auf 13,207 Milliarden Euro gestiegen.81

Deutschland lag mit dem Umfang seiner Importe inden Iran in den Jahren 1997 bis 2000 internationalan erster Stelle (gefolgt von den Vereinigten Arabi-schen Emiraten) und an zweiter Stelle (nach denVereinigten Arabischen Emiraten) als Abnehmeriranischer Nicht-Erdölprodukte.82

! Der politische Dialog zwischen der EU-Troika undIran wurde im Frühjahr 1998 wieder aufgenommenund als »konstruktiver Dialog«, der auch Menschen-rechts- und sicherheitspolitische Fragen umfaßt,regelmäßig geführt. Gegen diese Form des Dialogsgibt es im Unterschied zu der des »kritischen Dia-logs« in Iran keinen Widerstand.

! Neben den wirtschaftlichen und politischenwurden auch die kulturellen und zwischengesell-schaftlichen Beziehungen zwischen den EU-Mit-gliedstaaten und Iran seit dem schwierigen Jahr1997 erheblich ausgeweitet. Auf deutscher Seitewären hier neben der Intensivierung des Kultur-austauschs und von Städte- und Universitätspart-nerschaften insbesondere die Aktivitäten der politi-schen Stiftungen in Iran zu nennen.

! Die Europäer haben ihr Interesse an Iran deutlicherals zuvor zum Ausdruck gebracht. Bemerkens-wertes Beispiel sind die Mitteilungen der Kommis-sion an das Europäische Parlament und den Ratüber »Die Beziehungen zwischen der EU und derIslamischen Republik Iran« vom 7. Februar 2001.83

Die Europäer erläutern darin ihre wirtschaftlichenund energiepolitischen Interessen in Iran und be-grüßen die iranischen Reformbemühungen. Fort-schritte in diesen Bemühungen, die zu unterstüt-zen Europa sich bereit erklärt, werden als Voraus-setzung für engere Beziehungen gesehen. Zugleichwird unterstrichen, daß die Förderung des Reform-prozesses zur Stabilisierung der Region beiträgt.

81 Mit 1,925 Milliarden Euro verbuchte Deutschland 2001den höchsten Wert an Ausfuhren nach Iran; den höchstenWert an Importen aus Iran, vor allem Erdöl, erzielte im Jahr2001 Italien mit 2,360 Milliarden Euro, gefolgt von Griechen-land (1,082 Milliarden Euro); Deutsch-Iranische Industrie- undHandelskammer (Hg.), Deutsch/Iranischer Wirtschaftsspiegel,28 (August 2002), S. 13.82 Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer (Hg.), Deutsch/Iranischer Wirtschaftsspiegel, 29 (September 2002), S. 17.83 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Beziehun-gen zwischen der EU und der Islamischen Republik Iran,Brüssel, 7.2.2001, KOM(2001) 71 endgültig, S. 7f.

Iran spielt in der neuen geopolitischen Situationder Region nach dem Ende der Sowjetunion und derEntstehung der unabhängigen Staaten im Kaukasusund in Zentralasien eine besondere Rolle. Nach eige-nem Selbstverständnis ist Iran zu einem »Hort derStabilität« geworden, wie es Rafsanjani schon 1993formulierte, als ethno-nationale Konflikte nicht nurAfghanistan, sondern auch die neuen, vormals sowje-tischen Nachbarn Irans erschütterten. Diese Charakte-risierung Rafsanjanis diente einem doppelten Zweck:Der damals international noch ziemlich isolierte Iransollte nach außen als Partner angeboten und zugleichsollten nach innen die Sorgen beschwichtigt werden,in den Strudel der regionalen Konflikte zu geraten.Die Aufrechterhaltung der Stabilität des neuen terri-torialstaatlichen Gefüges ist Teherans primäres Inter-esse, und entsprechend hat es sich seit dem Ende derSowjetunion bis heute verhalten. Ob in den Konfliktenum Karabagh, Tadschikistan oder Afghanistan, stetswurde Iran gerade von westlicher Seite konstruktivesund »vernünftiges« Verhalten bescheinigt.84 Zwar lösteIran im Sommer 1992 mit seinem Anspruch auf volleiranische Souveränität über drei Inseln im PersischenGolf � Abu Musa, Groß- und Klein-Tunb � einen nochimmer schwelenden Streit aus, hat es eine Klärung desRechtsstatus des Kaspischen Meeres neben Rußlandund Turkmenistan blockiert und im arabisch-israeli-schen Konflikt auf seiner doktrinären Position be-harrt. Dabei handelt es sich aber um Einzelprobleme,die als Wahrung nationaler Interessen und Prinzipiengesehen werden müssen und nicht den Blick auf Iransanhaltende Bemühungen um Ausgleich und regionaleIntegration verstellen dürfen.

Heute stehen die Europäer vor der Frage, wie sieangesichts der massiven amerikanischen Militär-präsenz in Irans direkter Nachbarschaft und desimmensen politischen Drucks auf Iran einerseits undder weitgehenden Blockade der Reformbewegung inIran andererseits ihre bilateralen Beziehungen gestal-ten sollen. Zweifellos einleuchtend sind Äußerungeneuropäischer Politiker wie die des EU-Kommissars fürAußenbeziehungen, Chris Patten, zu Beginn des Irak-Krieges, daß unter den gegebenen Umständen dieBemühungen um verbesserte Beziehungen besonderswichtig seien,85 oder die des französischen Außen-ministers anläßlich des Paris-Besuchs seines irani-

84 Im Karabagh-Konflikt werfen aserbaidschanische Natio-nalisten Iran allerdings einseitige Parteinahme für Armenienvor.85 IRNA, 20.3.2003 (Internet).

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Europäisch-iranische Beziehungen unter Erfolgsdruck

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schen Kollegen im Mai 2003, daß Iran eine Schlüssel-rolle in der Region spiele und ohne Iran Sicherheitund Frieden in der Region nicht erreicht werdenkönnten.86 Dennoch ist angesichts der geändertenVerhältnisse zu klären, welche regionale Rolle Iranspielen und wie die europäisch-iranischen Bezie-hungen aussehen sollen.

Europäisch-iranische Beziehungenunter Erfolgsdruck

Die am 12. Dezember 2002 aufgenommenen euro-päisch-iranischen Verhandlungen über ein Handels-und Kooperationsabkommen bedeuten einen quali-tativ neuen Schritt in der Entwicklung europäisch-iranischer Beziehungen. Die Terrorattentate vom11. September 2001 hatten die entsprechenden Vor-bereitungen beschleunigt. Im November 2001 hattedie Kommission auf Empfehlung des Ministerrats denEntwurf von Richtlinien für Verhandlungen über einHandels- und Kooperationsabkommen mit Iran vor-gelegt. Am 17. Juni 2002 einigten sich die EU-Außen-minister über die Verhandlungsrichtlinien, erklärtenerneut, daß sie den Reformprozeß in Iran unter-stützten, und ersuchten die Kommission, die für dieAufnahme der Verhandlungen erforderlichen Maß-nahmen zu ergreifen. Zugleich forderte der Rat Iranauf, »die Menschenrechte und Grundfreiheiten zufördern und zu schützen, unter anderem durch denBeitritt zu den einschlägigen internationalen Über-einkünften sowie durch eine Reform seiner Justiz,und die internationalen Maßnahmen zur Nicht-verbreitung von Waffen und zur Bekämpfung desTerrorismus umzusetzen sowie den Friedensprozessim Nahen Osten zu unterstützen.«87 Am 12. Juli 2003beschloß der Rat formal die Aufnahme der Verhand-lungen. Zu den Zielen des Handels- und Kooperations-abkommens gehören:1. Schaffung eines Vertragswerkes für den Handel

zwischen der EU und Iran nach Richtlinien derWelthandelsorganisation WTO.

2. Unterstützung Irans bei der Übernahme vonWTO-Regeln und -Praktiken.

3. Entwicklung engerer Kooperation mit Iran in wirt-schaftlichen und anderen Bereichen wie Energie,

86 IRNA, 23.5.2003 (Internet).87 Bulletin EU 6-2002, Beziehungen zu den südlichen Mittel-meerdrittländern und den Ländern des Nahen und MittlerenOstens: 1.6.78, Schlußfolgerungen des Rates zum Iran (Inter-net).

Transport, Umwelt, Drogenkontrolle, Asyl, Migra-tion und Flüchtlinge sowie Kultur.

4. Unterstützung von Reformen, Stärkung der Rechts-sicherheit und Verbesserung der Menschenrechts-lage (eine Menschenrechtsklausel soll Teil des Ab-kommens sein).88

Auf iranischer Seite wird das Verhandlungs- undDialogpaket letztendlich akzeptiert, doch zunächstgab es heftigen Widerspruch gegen jede Äußerung,die als Vorbedingung ausgelegt und empfundenwerden könnte. Bei den regulären halbjährlichenEU-Troika-Gesprächen mit Iran und dem anschließen-den Besuch Javier Solanas in Teheran im September2002 wurde offenbar eine Änderung der iranischenPolitik in den Problembereichen Massenvernichtungs-waffen, Anerkennung Israels und Menschenrechtegefordert. Dies provozierte das iranische Außen-ministerium zu einer deutlichen Ablehnung dieserals Vorbedingungen für die europäisch-iranischenVerhandlungen empfundenen Forderungen undveranlaßte vor allem die konservativ ausgerichtetenMedien zu entsprechend harten Reaktionen.89

Wie sensibel die iranische Öffentlichkeit auf euro-päische »Vorbedingungen« reagieren, zeigte sich auchbei den im September 2002 durchgeführten Meinungs-umfragen, bei denen es nicht nur um die Beziehungenzu den USA, sondern auch um das iranisch-europäi-sche Verhältnis ging. Zwar sprachen sich 80,9 Prozentder Befragten für eine Intensivierung der Beziehungenzur EU aus und nur 7,1 Prozent für die Beibehaltungdes bestehenden Niveaus sowie 3,3 Prozent für Restrik-tionen.90 86,7 Prozent aber sollen sich dagegen ver-wahrt haben, daß die EU die Verbesserung der Men-schenrechtslage in Iran zur Vorbedingung für besserebilaterale Beziehungen machen.91 71,4 Prozent lehn-ten die von der EU geforderte Anerkennung Israelsdurch Iran ab, 14,4 Prozent akzeptierten diese Bedin-gung; 44,6 Prozent waren nicht bereit, der Forderungder EU nach Verzicht auf Massenvernichtungswaffen

88 EU-Kommission, IP/02/1862: EU�Iran: Launch of Nego-tiations on New Agreements with Iran, Brüssel, 11.12.2002.89 Erklärung des stellvertretenden Außenministers AliAhani, IRNA, 12.9.2002 (Internet); Keyhan, 15.9.2002, nachBBC Monitoring Service, 16.9.2002.90 IRNA, 22.9.2002 (Internet).91 Die Aussage der vorliegenden Quelle ist allerdings verwir-rend: »Some 86.7 per cent of the people opposed the EU pre-condition that Iran should observe human rights. 4.6 percent, however, opposed setting such a condition« (so IRNAund Aftab-e yazd, 23.9.2002, nach BBC Monitoring Service,24.9.2002).

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Herausforderungen für europäische Iranpolitik

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Folge zu leisten, 41,8 Prozent waren mit ihr einver-standen.

Am 21. Oktober beschloß der Rat den ohne Vor-bedingungen zu führenden Menschenrechtsdialog. Ersoll die EU nicht zu einem grundsätzlichen Verzichtvepflichten, in der UN-MenschenrechtskommissionResolutionen zur Lage der Menschenrechte in Iraneinzubringen.92 Der Entschließungsantrag des Euro-päischen Parlaments vom 23. Oktober 2002, der einenMenschenrechtsdialog mit Iran nach dem Vorbild deseuropäisch-chinesischen fordert, brachte das ProblemVorbedingungen erneut in die Diskussion.93

Die enge Verknüpfung des Handelsabkommens mitdem politischen und dem Menschenrechtsdialog istfür die Glaubwürdigkeit der Iranpolitik der EU zen-tral. Die Sorge, daß der parallele politische Dialoggegenüber dem Handelsabkommen nicht genügendGewicht haben könnte, besteht nicht nur bei Ameri-kanern und Israelis, sondern auch in der europäischenÖffentlichkeit und, vor allem mit Blick auf die Men-schenrechte, in der iranischen Bevölkerung. Die EUhat Fortschritte im politischen und im Menschen-rechtsdialog nicht ausdrücklich als Kondition fürdas Handelsabkommen deklariert. Statt dessen istInterdependenz als entscheidende Kategorie in denSchlußfolgerungen der Ratssitzung der EU in Thessa-loniki am 19./20. Juni 2003 endgültig festgeschriebenworden:

»Die Europäische Union wird weiterhin die Ent-wicklungen in diesen [Nuklearfragen, d. Verf.] undanderen Bereichen, die Anlaß zur Besorgnis in denBeziehungen zu Iran geben, genau verfolgen. Sie weistdarauf hin, daß insbesondere im Bereich der Men-schenrechte, wozu auch der Umgang mit denjüngsten Kundgebungen gehört, sowie in den Berei-chen Terrorismus und Nahostfriedensprozeß unbe-dingt bedeutsame Fortschritte erzielt werden müssen.Sie bekräftigt, daß Fortschritte in diesen Fragen undeine Intensivierung des Dialogs und der Zusammen-arbeit sich wechselseitig bedingende [interdependent,d. Verf.], wesentliche und sich gegenseitig verstär-

92 So: EU-Kommission, IP/02/1862: EU�Iran: Launch of Nego-tiations on New Agreements with Iran, Brüssel, 11.12.2002.Der Europäische Rat für Allgemeine und Auswärtige Ange-legenheiten entschied sich im März 2003, auf der 59. Sitzungder UN-Menschenrechtskommission keine Resolution ein-zubringen, <http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/aktuelles/raete/030318_html>.93 Text: <http://www2.europarl.eu.int/registre/seance_pleniere/textes_deposes/prop_res_commune/2002/0548/P5_RC(2002)0548_DE>.

kende Elemente der Beziehungen zwischen der EUund Iran darstellen.«94

In der augenblicklich zentralen Frage der mög-lichen atomaren Rüstung Irans fordert der Rat der EUin den Schlußfolgerungen von Thessaloniki Teherandazu auf, »mit der IAEA in all seinen nuklearen Aktivi-täten in vollem Umfang zusammenzuarbeiten undumgehend und vorbehaltlos ein Zusatzprotokoll zumÜbereinkommen über Sicherungsmaßnahmen zuunterzeichnen, zu ratifizieren und umzusetzen.«95

Zugleich sprach er sich grundsätzlich für die Möglich-keit aus, zur Verhinderung der Verbreitung vonMassenvernichtungswaffen »als letztes Mittel Zwangs-maßnahmen im Einklang mit der Charta der Ver-einten Nationen« zu ergreifen.96

Mit den Ratsbeschlüssen von Thessaloniki hat dieeuropäische Iranpolitik in mehrfacher Hinsicht anKlarheit gewonnen:1. Die schon früher des öfteren erklärte wechselseitige

Bedingtheit zwischen den Beziehungen und der Ko-operation mit Iran auf der einen und den Fort-schritten in den Bereichen Menschenrechte, nu-kleare Rüstung, Friedensprozeß und Terrorismusauf der anderen Seite wurde fixiert.

2. In der aktuell zentralen Frage der möglichen Nukle-arrüstung wurde eine klare Forderung an Iran be-schlossen.

3. Damit nähert sich europäische Iranpolitik in dieserFrage der amerikanischen Haltung zwar an, unter-scheidet sich aber insofern hinsichtlich der Anti-Proliferationsmaßnahmen von ihr, als sie den mög-lichen Einsatz von Gewaltmaßnahmen an die Be-stimmungen der UN-Charta knüpft.

4. Die erklärte Bereitschaft, Zwangsmaßnahmen alsletztes Mittel einzusetzen, ist eine grundsätzliche,keineswegs nur auf Iran bezogene Position. Siesteht mit der Fortführung des politischen Dialogs

94 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat(Thessaloniki), 19. und 20. Juni 2003, <http://ue.eu.int/pressData/de/ec/76285.pdf>; »interdependent« auch schon in:EU-Kommission, IP/02/1862: EU�Iran: Launch of Negotiations onNew Agreements with Iran, Brüssel, 11.12.2002; von einergegenseitigen Abhängigkeit von Handelsabkommen undDialog hatte Chris Patten vor Beginn der Verhandlungengesprochen: »If we see that our dialogue is not going any-where, we have to pull the plug with consequences else-where.« (IRNA, 20.11.2002 [Internet]).95 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat(Thessaloniki), Abschnitt 99.96 Ebd., Anlage II: Erklärung des Europäischen Ratszur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen,Abschnitt 4.

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Europäisch-iranische Beziehungen unter Erfolgsdruck

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und den Verhandlungen über das Handels- und Ko-operationsabkommen nicht in Widerspruch.

5. Die Schlußfolgerungen von Thessaloniki enthaltenindirekt auch die Prämissen europäischer Iran-politik: Erstens zielt sie auf eine Änderung despolitischen Verhaltens der iranischen Regierung inden bekannten Problembereichen, nicht aber aufeinen Regimewechsel, und zweitens will sie stattder Isolation Irans seine Integration � vor allem inder Region.Wie sich die Iranpolitik der EU und ihrer Mitglieder

auf dieser Basis gestalten wird, ist offen und hängtnatürlich zu einem großen Maß vom Verhalten Iransab. Daß die klare Positionsbestimmung der EU denamerikanischen und israelischen Druck auf die euro-päische Iranpolitik mindern könnte, ist zumindestaugenblicklich nicht zu erkennen. Zu den Bereichen,die Sorge bereiten, gehören neben der iranischenNuklearpolitik auch Irans Haltung zum arabisch-israelischen Konflikt und seine Unterstützung palä-stinensischer Organisationen, die von den USA undvon Israel als terroristische Gruppen, von Iran aber alsBefreiungsorganisationen angesehen werden. In dieserFrage ist eine grundsätzliche Änderung iranischerPolitik vorläufig nicht zu erwarten. Um so wichtigerist es daher, auf kleine Veränderungen zu achten. Dieoben (S. 21) erwähnte Reise Khatamis in den Libanonim Mai 2003 diente wahrscheinlich auch dem Zweck,die Hizbollah zur Mäßigung anzuhalten. Mehr stehtnicht im Rahmen der iranischen Möglichkeiten.Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß deriranische Außenminister in einem Interview mit demSpiegel erklärt hatte, daß Iran eine Zwei-Staaten-Lösungals Angelegenheit der Israelis und Palästinenser be-trachten und diese Lösungsvariante nicht blockierenwürde.97

Die USA und Israel dürften von den Europäernweiterhin mehr »Härte« gegenüber Iran fordern, auchwenn auf amerikanischer Seite keine umfassende undkonsistente Strategie zu erkennen ist, wie mit Iranumzugehen sei. Für den Aufbau einer Drohkulissereichen die erkennbaren Elemente einer Strategie aberallemal, und Europa ist gefordert, an ihr mitzuwirken.Unter diesem Anforderungsdruck laufen die Europäeraber Gefahr, sich durch zu starke Fokussierung auf dievon den USA identifizierten Probleme der Breite undVielfalt ihrer Beziehungen zu Iran und des Ansatzesihrer Iranpolitik zu begeben. Zu diesem Ansatz gehörtnicht nur, aus Iran etwas »herausholen« zu wollen

97 Der Spiegel, (2003) 23, S. 112.

und Teheran durch gezielte Forderungen von einemproblematischen Kurs in einzelnen Politikfeldernabzubringen, sondern auch das Interesse an einementwicklungsfähigen und stabilen Iran in einer fürEuropa wichtigen und geographisch nahegelegenenRegion.

Für den politischen und den Menschrechtsdialogwird es wichtig sein, diese Anstrengungen nicht vonvornherein durch überzogene Erwartungen zunichtezu machen. Tragfähigen Ergebnissen müssen be-stimmte Prozesse vorausgehen. Bei den bisherigenMenschenrechtsdialogtreffen erwies sich die Entwick-lung eines direkten Arbeitskontaktes als wichtig, derüber die Abgabe von Erklärungen hinausgeht. DerAustausch detaillierter Informationen und die Bera-tung über konkrete Menschenrechtsaspekte, wie zumBeispiel das vom iranischen Parlament vorgelegteAnti-Foltergesetz, tragen dazu bei, daß sich die Iranerin ihren Anliegen ernst genommen fühlen. Als Erfolgdes Menschenrechtsdialogs wurde gewertet, daß derChef der iranischen Justiz, Ayatollah Shahroudi, demEU-Kommissar für Außenpolitik, Patten, zugesagthatte, die Todesstrafe der Steinigung von Ehebreche-rinnen abzuschaffen.98 Es gibt dazu eine Weisung derJudikatur, aber noch keine gesetzliche Grundlage. Vordem Besuch Chris Pattens in Teheran im Februar 2003wurden einige politische Gefangene freigelassen.Auch eine Menschenrechtsdelegation der VereintenNationen wurde empfangen, die sich vor Ort ein Bildmachen wollte, was es mit den willkürlichen undwiderrechtlichen Verhaftungen und der Mißhandlungvon Gefangenen auf sich hat. Dies waren nicht un-wichtige Gesten, auch wenn sie Proteste von Iranernhervorriefen, die die Freilassung aller politischenGefangenen forderten.99 Als problematisch ist jedochzu bewerten, wenn von iranischer Seite allein dasbloße Bestehen des Menschenrechtsdialogs als aus-reichende Vorleistung für einen Verzicht der EU an-gesehen wird, auf der 59. Sitzung der UN-Menschen-rechtskommission eine Resolution gegen Iran ein-zubringen.100

Gerade auch der Menschenrechtsdialog zeigt, wiesehr in dem Geflecht der europäisch-iranischen Bezie-

98 Guy Dinmore, Iran to Abolish Death by Stoning, in:Financial Times, 19.12.2003 (Internet); Iran Abolishes Stoningas Form of Punishment, ABD News, 26.12.2003 (Internet).99 Bahman Nirumand, Besuchsmission mit Hindernissen, in:die tageszeitung, 26.3.2003, S. 11.100 So Danesh Yazdi, Generaldirektor des Departments fürinternationales Recht im Außenministerium, IRNA, 16.3.2003(Internet).

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Herausforderungen für europäische Iranpolitik

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hungen neben der EU und ihren MitgliedstaatenBeziehungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene eineRolle spielen. Politische Kontakte zwischen Parteienund Parlamenten haben sich zu entwickeln begonnen.Kulturelle und wissenschaftliche Kontakte und Koope-rationen sind ausgeweitet worden, und Beziehungenzwischen Nichtregierungsorganisationen gewinnenan Gewicht. Gerade diese Art von zwischengesell-schaftlichen Beziehungen haben wiederum Einflußauf den inneriranischen Diskurs, der die iranischePolitik nicht unberührt läßt.

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Ausblick und Empfehlungen

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Ausblick und Empfehlungen

Iran ist in seiner Reformpolitik blockiert und stehtunter großem amerikanischem Druck. Beideserschwert den Europäern die Fortführung ihrer bis-herigen breit angelegten Iranpolitik und die Aufrecht-erhaltung ihres »policy mix«. Gerade darin aber liegtder Vorteil europäischer Iranpolitik. Sie ist einerseitsweniger darauf angelegt, ultimative Forderungen anIran zu stellen und deren Nichterfüllung zu sanktio-nieren � eine Politik, deren Erfolg unsicher und ris-kant ist. Andererseits aber ist sie dank der Vielfalt derBeziehungen zu Iran in der Lage, auf die oft wichti-gen, aber keineswegs immer leicht wahrnehmbarenVeränderungen in der iranischen Politik zu achten.

Die gegenwärtige Blockierung der iranischenReformpolitiker bedeutet nicht notwendigerweise dasEnde der Reformprozesse. Doch ist fraglich, ob deraktuelle Trend zu Pragmatismus und Kompromissenmehr hervorbringen kann als jenes Mindestmaß anAnpassung an geänderte wirtschaftliche und poli-tische Verhältnisse, das für das Überleben des politi-schen Systems notwendig ist. Ein grundlegenderPolitikwandel, und dies gar auf einen Schlag, ist nichtzu erwarten. Wohl aber sind schrittweise Modifika-tionen iranischer Politik auch in den für die USA undEuropa kritischen Punkten denkbar. Sie müssen auf-merksam registriert und ungeachtet der eigenengrundsätzlichen Forderungen in ihrem politischenGehalt gewürdigt werden. Eine konkrete Alternativezum bestehenden System, das sich seit der Revolutionals überaus anpassungsfähig erwiesen hat, ist nicht inSicht. Die Studentendemonstrationen vom Juni 2003dürften aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einerbaldigen »zweiten Revolution« oder zu einer »Implo-sion« des iranischen Regimes führen. Die amerika-nische, auf Druck ausgerichtete Haltung zu Iran istproblematisch, da sie im unklaren läßt, welche Kräfteund Dynamiken sie innerhalb und außerhalb Iranseigentlich fördert. Angesichts der schwierigen Lagezwischen amerikanischem Druck und unklareninneriranischen Verhältnissen lassen sich für euro-päische Iranpolitik folgende Empfehlungen geben:! Die Europäer (EU und Mitgliedstaaten) sollten deut-

licher zur Prämisse ihrer Iranpolitik stehen, derzu-folge Iran ein Land ist, das sich in schwierigenTransformationsprozessen befindet, dessen politi-

sches System aber nicht dem baldigen Unterganggeweiht ist.

! Die Europäer sollten ihre komplexen Interessen anIran klarer formulieren. Es sind nicht nur Handels-und Energiesicherungsinteressen, sondern auch dasInteresse an einem wichtigen Partner in der Regionund an einem Wandel des iranischen Verhaltens inden kritischen Punkten (Menschenrechte, Nuklear-politik, Israel und Terrorismus) sowie an Fortschrit-ten in den Reformprozessen.

! Gerade weil europäische ebensowenig wie ameri-kanische Politik Reformen in Iran oder eine Ände-rung des iranischen Verhaltens in den kritischenPunkten erzwingen kann, ist es wichtig, daß sichdie Europäer in ihrer Iranpolitik nicht zu einereinseitigen Fixierung etwa auf die Nuklearfrageverleiten lassen. Sie würde die Europäer letztlichpolitikunfähig machen. Nur die Breite und Vielfaltder Beziehungen der EU und ihrer Mitgliedstaatenzu Iran stellen einen erfolgversprechenden Ansatzdar, da sie ermöglichen, auf die Eigenheiten desMachtgefüges differenzierter zu reagieren undsomit in kleinen Schritten Erfolge zu erzielen, woDruck die Fronten nur verhärtet.

! Nur indem die Europäer die Breite und Vielfältig-keit ihrer Beziehungen zu Iran in der Praxis nut-zen, wird den Iranern das wichtige Gefühl vermit-telt, akzeptiert zu werden, ohne das eine positiveBeeinflussung nicht möglich ist. AusreichendeErkenntnisse über konkrete Reformfortschritte, dieals Voraussetzung für das anhaltende europäischeEngagement gelten, sind nur über intensive undbreit gestreute Kontakte zu gewinnen.

! Da die Lage zu Iran komplexer ist, als die gegen-wärtige Blockade der iranischen Reformpolitikerund die amerikanische und internationale Fixie-rung auf die Nuklearfrage nahezulegen scheinen,ist es dringend erforderlich, die Öffentlichkeitbreiter zu informieren. Nur so läßt sich einerSituation wie zur Zeit des »kritischen Dialogs«vorbeugen, in der die europäischen Gesellschaften,unter dem Eindruck eines verzerrten Iranbilds, ineinen schroffen Gegensatz zur Iranpolitik der euro-päischen Regierungen geraten.

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! Die zwischengesellschaftlichen Beziehungen sindnach Möglichkeit auszuweiten. Entwicklungs- undReformprozesse lassen sich auf dieser Ebene invielerlei Weise sinnvoll fördern, denn die iranischeGesellschaft zeichnet sich durch ihre Dynamik aus,und der öffentliche Diskurs hat sehr wohl Einflußauf die Politik.

! Europäische Iranpolitik sollte sich zusätzlich umdie Förderung guter Nachbarschaft sowie regio-naler Kooperation und Integration bemühen. Dabeiist nicht nur an energiepolitische Fragen und dieHilfe bei grenzüberschreitenden Problemen wieFlüchtlinge und Bekämpfung von Drogenhandel,sondern auch an Sicherheitsfragen zu denken. DieFörderung regionaler Sicherheitskonferenzen zurEntwicklung vertrauensbildender Maßnahmen istungeachtet der momentanen amerikanischen Mili-tärpräsenz in Irans Nachbarschaft wichtig.

! Ebenso wie europäische Nahostpolitik muß euro-päische Iranpolitik zu einem guten Stück trans-atlantische Politik sein. Angesichts der neuen Ver-hältnisse nach dem Irak-Krieg sollten die Europäerden Amerikanern ihre Sicht Irans vermitteln undmit ihnen nach Politikbereichen suchen, in denentransatlantische Kooperation wünschenswert undsinnvoll ist. Eine Kooperation nach dem Mustereiner Arbeitsteilung, bei der die USA eher Druck aufIran ausüben, die Europäer hingegen eher positiveAnreize bieten, machen keinen Sinn mehr, falls siees denn je gemacht haben. Denn die europäisch-iranischen Beziehungen und das amerikanisch-iranische Verhältnis haben sich weitgehend eigen-ständig entwickelt, so daß jede Seite ihre eigenenAnreiz- und Sanktionsinstrumente konzipieren undeinsetzen muß.

! Die Europäer müssen schließlich zu verhindernsuchen, daß Europa durch die amerikanischeMittelostpolitik wie im Falle des Irak-Krieges gespal-ten wird.Diese Empfehlungen sind notwendigerweise allge-

mein gehalten und bieten keine Lösungen für kon-krete Einzelprobleme. Doch angesichts der lang-fristigen europäischen Interessen an Iran und dergegenwärtigen Unwägbarkeiten nicht nur der inter-nen Entwicklungen Irans, sondern auch der amerika-nischen Iranpolitik erscheint es notwendig, sich diegrundlegende Zielsetzung, die Eigenheiten und dieMöglichkeiten europäischer Iranpolitik vor Augen zuhalten, um eben diese Möglichkeiten auch nutzen zukönnen.

Abkürzungen

BBC British Broadcasting CorporationCIA Central Intelligence AgencyCNN Cable News NetworkEU Europäische UnionIAEA International Atomic Energy AgencyICG International Crisis GroupIISS The International Institute for Strategic StudiesILSA Iran and Libya Sanctions ActIPIS Institute for Political und International Studies

(Teheran)IRNA Islamic Republic News AgencyISNA Iranian Students News AgencyKAS Konrad-Adenauer-StiftungPUK Patriotic Union of KurdistanRFE Radio Free EuropeRL Radio LibertySCIRI Supreme Council of the Islamic Revolution in IraqUNHCR United Nations High Commissioner for RefugeesUN United NationsUNO United Nations OrganizationWTO World Trade Organization