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5. Sonntag nach Trinitatis bis 11. Sonntag nach Trinitatis Homiletische Monatshefte FürPredigtundGottesdienst 95. Jg. 2019 / 2020 Reihe II Heft 9 Juni 2020 ISSN 0018-4276 H 3844 9

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Vandenhoeck & Ruprecht

5. Sonntag nach Trinitatisbis 11. Sonntag nach Trinitatis

HomiletischeMonatshefte� Für�Predigt�und�Gottesdienst

95. Jg. 2019 / 2020 Reihe II Heft 9 Juni 2020

ISSN 0018-4276 H 3844

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KRISENINTERVENTION KOMPAKT – THEORIE UND PRAXIS AUF EINEN BLICK

Otto Hofer-Moser | Gerhard Hintenberger | Melitta Schwarzmann | Rita De Dominicis | Franz Brunner

Krisenintervention kompaktTheoretische Modelle, praxisbezogene Konzepte und konkrete Interventionsstrategien

2020. 135 Seiten, kartoniert€ 17,00 D | € 18,00 AISBN 978-3-525-40851-3

Auch als eBook erhältlich

Ausreichende Kenntnisse, Kompetenzen und Fertigkeiten zur Durchführung einer Krisenintervention gehören zur Basisaus-bildung unterschiedlicher Berufsgruppen.Der Band bietet Praktikerinnen und Praktikern in konkreten Situationen Orientierung, vermittelt Kernwissen und gibt Ein-blicke in die Praxis der Krisenintervention. Eine unverzichtbare Lektüre für Praxis und Ausbildung!

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Homiletische Monatshefte · Für �Predigt �und�Gottesdienst

Herausgeber: Dr. Karl Friedrich Ulrichs, Lietzenburger Straße 39, 10789 Berlin, E-Mail: [email protected] (verantw. i. S. des niedersächs. Pressegesetzes).

Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift erscheint 11 Mal jährlich. Die Bezugsdauer verlängert sich, wenn das Abonnement nicht bis zum 01.07. gekündigt wird. Die Kündigung ist schrift-lich zu richten an: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH, Leserservice, Holzwiesenstr. 2, D-72127 Kusterdingen, E-Mail: [email protected]

Preise und weitere Informationen unter www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Für unverlangt eingehende Rezensionsexemplare keine Gewähr.

Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany 2020.

Verlag: © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

E-Mail: [email protected] (für Bestellungen und Abonnementverwaltung)

Anzeigenverkauf: Anja Kütemeyer, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht

Satz: 3w+p, Rimpar

Druck- und Bindearbeiten: a Hubert & Co. BuchPartner, Göttingen

Gedruckt auf chlorfreiem Papier.

ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012Online unter www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

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Inhalt

An die Abonnent/innen der Homiletischen Monatshefte . . . . . . . . . . . . 488

Predigtreihe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

Thomas Ehlert5. Sonntag nach Trinitatis j 12. 7. 2020Lukas 5,1–11 – Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. . . . . . . . . . . . . . . 489

Cornelia Kulawik6. Sonntag nach Trinitatis j 19. 7. 20205. Mose 7,6–12 – Die Doppelgesichtigkeit des Wir. . . . . . . . . . . . . . . 497

Rainer Withöft7. Sonntag nach Trinitatis j 26. 7. 2020Hebräer 13,1–3 – Engel daheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

Katja Albrecht8. Sonntag nach Trinitatis j 2. 8. 2020Johannes 9,1–7 – Lichtspuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

Johannes Gruner9. Sonntag nach Trinitatis j 9. 8. 2020Jeremia 1,4–10 – Die Zeit im Lichte Gottes sehen . . . . . . . . . . . . . . . 519

Felizitas Muntanjohl10. Sonntag nach Trinitatis j 16. 8. 2020Römer 11,25–32 – Die wundersamen Wege der HeilsgeschichteGottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526

Johannes U. Beck11. Sonntag nach Trinitatis j 23. 8. 2020Lukas 18,9–14 – Hinterm Horizont geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . 535

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 487, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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An die Abonnent/innen der HomiletischenMonatshefte

Liebe Abonnent/innen,

in diesenTagen (MitteMärz)wird zurVerlangsamungder Corona-Pandemiedas öffentliche Leben immer weiter eingeschränkt; das betrifft auch dieKirchen. In vielen Gemeindenwerden neueMöglichkeiten des gemeinsamengeistlichen Lebens ausprobiert: angeleitet durch Briefe oder durch onlinegestellte Texte werden Gottesdienste zuHause gefeiert. Pfarrer/innen nutzendigitale Kanäle (Facebook, Instagram, YouTube, WhatsApp usw.), um Got-tesdienste, Predigten, Andachten, geistliche Impulse kleineren Formats zuveröffentlichen. Neben inhaltlichen, homiletischen und seelsorglichen Fra-gen sind dafür auch technische und rechtliche Aspekte wichtig.

Hiermöchtenwirmit denHomiletischenMonatsheften helfen: DerVerlagund der Herausgeber sind gerne damit einverstanden, wenn Sie als Abon-nent/in in dieser Ausnahmesituation Texte aus unseren Heften auch füreigenproduzierte digitale Angebote nutzen. Fühlen Sie sich frei von urhe-berrechtlichen Bedenken!

Wir wünschen Ihnen Gottes Segen für Ihren Dienst in dieser ungewissenZeit.

Berlin/Göttingen,17.3.2020 Dr. Karl Friedrich Ulrichs, HerausgeberJana Harle für Vandenhoeck & Ruprecht Verlage

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 488, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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5. Sonntag nach Trinitatis – 12. Juli 2020 Lukas 5,1–11

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Thomas Ehlert

Auslegung

Hier liegt eine „Berufungserzählung“ vor mit einem „Initiationswunder“(Grundmann, 126 f.). Aus seinem Sondergut heraus füllte Lukas die vorge-gebene Berufung der Jünger (vgl. Mk 1,16–20), in der das Motiv der„Menschenfischer“ schon auftauchte, mit einer ausführlichen Szene. In-nerhalb der unverwechselbaren Biografie des Petrus (Fischerei) ereignetsich hier ein Geschehen, das „durch die Ansage einer apostolischen Zukunftzur Nachfolge befähigt“ (Schürmann, 271) – es geht um eine prophetischeAnsage, die schon in Erfüllung setzt, was sie ansagt: Er wird zum „Men-schenfischer“ werden (V10). Ob Lk 5,1–11 eine in die Anfangszeit zurück-verlegte Ostergeschichte ist (vgl. Joh 21,1–14), muss offenbleiben.

Die Szenenfolge: a) Nach der Verkündigung der „Worte der Gnade“ (Lk4,22) bedrängt die Volksmenge Jesus, weil sie von ihmdasWort Gottes hörenwill (V. 1). b) Jesus bittet einen der Fischer, die nach nächtlicher Arbeit ihreNetze waschen, nämlich Petrus, ihn in sein Boot zu nehmen, vomUfer etwashinauszufahren und dieses Boot als „Lehrkanzel“ (Schürmann, 268) nutzenzu dürfen (V. 2–3). c) Jesus beendet seine Rede, fordert Simon auf, ins tiefeWasser zu fahren, seine Netze zum Fang auszuwerfen. Mit der verhei-ßungsvollen Aufforderung des Netzauswerfens „zum Fang“ (V. 4) ist fastschon der Erfolg „verbürgt“ (Rengstorf, 73). „Dem Fachwissen widersprichtder falsche Zeitpunkt“ (Zumkehr, 78), denn gefischt wird in der Regel er-folgreich nachts. Obwohl er nach professionellen Berufsregeln erfolglosgewesen ist, fährt Petrus trotzdem auf dasWort Jesu hin noch einmal hinaus.Mit der Anrede epistata anerkennt Petrus in der Sprache eines Jesusjüngersdie Vollmacht Jesu (Grundmann, 127). Vorher war dann die Frage, ob PetrusJesus „vertrauen und gehorchenwill“ (Rengstorf, 73). Der Glaube heftet sichwagend an die Verheißung Jesu. Der Fang ist so überwältigend groß, dass dieHilfe des zweiten Bootes nötig wird (V. 4–7). d) Petrus fällt vor Jesus auf dieKnie, „wie es ein Jude nur vor dem Schöpfergott tut“ (Berger, 227). Geehrtwird die Anwesenheit Gottes in Jesus. Deswegen redet Petrus ihn als kyriosan. „In der Begegnung mit der Macht Gottes erkennt Petrus die Wahrheitüber sich selbst“ (Berger, 227). Der Einbruch des Heiligen ist begleitet von

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 489–496, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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einem Schrecken: Dieser zeigt das Differenzerleben zwischen Heiligem undUnheiligem (Zumkehr, 77). Der Ruf „Fürchte dich nicht“ führt aus diesemSchrecken heraus in einen neuen Auftrag (V. 10). Jesu Wort und Wunderbewirken einen Neuanfang (V. 11).

Umsetzung

Hier spiegelt sich „die ganze Erfahrung der Kirche“ (Stählin, 244). „DerGlaube sieht schon in dem auf dem See den hörwilligen Volksmassen dasWort Gottes sagenden Kyrios (vgl. V. 8) den in die jenseitige Welt erhöhtenHerrn, der vom Jenseitigen her sein Wort in die Kirche hineinspricht“(Schürmann, 268). In dieser Szene ist die grundsätzliche Erkenntnis auf-bewahrt, dass es durch das Hören der Verkündigung und das Erleben vonStimmigkeit zwischen Wort und Situation zu einem „religiösen Schlüssel-erlebnis“ mit Transzendenzberührung kommen kann (Wort-Verheißung-Glaube-Erfüllung-Staunen und Erschrecken-neue Lebensberufung). Washier von der religiösen Ursprungserfahrung des Missionars Petrus gesagtwird, gilt allgemein: „Man wird nicht durch verstandesmäßige Argumente,durch Gründe und Überredung in die Nachfolge Christi berufen, sonderndadurch, dass etwas geschieht, das aller Erwartung und Wahrscheinlichkeitentgegengesetzt ist …, wo [der Mensch] in einem Vertrauen wider alleVernunft eine Macht erkennt, die ihn überwältigt und beschämt. [Da] er-eignet sich die echte Berufung, in der einMensch zumDiener undWerkzeugGottes gemacht wird“ (Stählin, 244). Diese Szene gibt Sinn und Geschmackfür die Unterschiede „zwischen echter geistlicher Berufung und jederselbsterwählten und selbstgefälligen Reich-Gottes-Arbeit und … jederchristlichen Propaganda, bei welcher die Menschen wohl gefangen, abernicht im Schiff geborgen werden (V. 7)“ (Stählin, 244 f.).

Der Heilige Geist sucht sich zu seiner Zeit seinen Anknüpfungspunkt indem, was sich in einer unverwechselbaren individuellen Lebensgeschichteaus vielen Begegnungen, Umständen und inneren Reifungsprozessen „zu-sammengebraut“ hat. Die Berufung des Petrus hatte in seiner natürlichenBiografie einen Anknüpfungspunkt.

Die lebensverändernden Momente der religiösen Ergriffenheit, die einenMenschen zu neuen Lebensbindungen des Glaubens führen, zeigen, dass dieKirche auf dem richtigen Weg ist, wenn sie einen Raum für Religion undTiefgründigkeit in der Nähe Christi bietet. Alles in der Gewissheit, dass dererhöhte Herr die Mittel von Bibel und die Verkündigung geheimnisvoll zumVehikel seines pneumatischen Redens macht, um Glauben zu wecken.

Der Glaube ist ein Weg und ein Wagnis. Ein „geistlicher Fang“, eineGlaubenserfahrung mit dem „Wort Jesu“ ist wünschenswert. Eine Idee: Aus

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den Jesus-Logien könnte man ausgewählte verheißungsvolle Verse (z. B. Mt5,7; 6,25; 7,7;11,28 f. ; 21,22; 28,20b;Mk 2,5.17; 8,35 f. ; Joh 5,24; 6,35.37; 8,12;8,31; 15,5; 2. Kor 12,9; Offb 1,17b) auf Papier-Fische drucken und die Ge-meindeglieder nach der Predigt aus einer verdeckten Tasche je einen Fischziehen lassen, damit jeder mit seinem Spruch seine Glaubenserfahrungenmachen kann. Die Ebene der Gleichzeitigkeit der Seele mit Christus, die fürschristlich-religiöse Leben des Glaubens wichtig ist, wäre erreicht.

Literatur

Klaus Berger, Kommentar zum Neuen Testament, Gütersloh 2011Walter Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, ThHK3, Berlin 1968Heinz Schürmann, Das Lukasevangelium 1,1–9,50, Erster Teil, HThKNT,Sonderausgabe Freiburg 1984Wilhelm Stählin, Predigthilfen I. Die Evangelien, Kassel 1958Hansfrieder Zumkehr, 5. Sonntag nach Trinitatis. Lk 5,1–11, 76–83: CPhReihe I/2, 1996/97, Stuttgart 1997

Liturgie

Lesungen

Psalm 731. Mose 12,1–4Lukas 5,1–11

Lieder

Er weckt mich alle Morgen (EG 452,1–3+5)Preis, Lob und Dank (EG 245,1–3)Herr, öffne (EG 197,1–3)Lob Gott getrost (EG 243,1–2+4–5)Wach auf, du Geist (EG 241,1–3)Hilf mir und segne (EG 503,13–14)

Gebet

Herr Gott, himmlischer Vater!Durch Christus rufst Du Menschen in deinen Dienst.Du willst uns mit allen unseren Begabungen und Fehlern

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als deine Zeugen einsetzen.Öffne unsere Ohren und Herzen,dass wir staunen und aufmerken und deinen Ruf neu hören können.Amen.

Predigt

Das Wagnis des Glaubens

„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“ Dieses Sprichwort könnte als Über-schrift für das Evangelium des heutigen Sonntags dienen. Denn in dieserGeschichte vomwunderbaren Fischfang des Petrus geht es ja um einWagnis.Nämlich um das große Lebenswagnis des Glaubens.

Petrus als Identifikationsfigur

Petrus, der „Glückspilz“ dieser Geschichte, ist mehr als eine historischeFigur aus dem Zwölferkreis um Jesus. Er ist für uns interessant, weil sich inihm und in dem, was die Geschichten des Neuen Testaments von ihm be-richten, die Glaubenserfahrungen von Christenmenschen aller Zeiten ver-dichten. Petrus ist eine Gestalt, in der wir uns als Menschen und Christenwiederendecken können, ganz gleich, ob wir nun gerade voller Begeisterungoder gerade voller Kleinmut sein mögen.

Ein Weg zur Glaubenserfahrung

Diese Berufungsgeschichte des Petrus, die Lukas uns überliefert, beschreibteinenWeg zur Glaubenserfahrung. Sie beschreibt einenWeg für die, die sichwie „draußen vor der Tür“ als Randgäste fühlen, genauso wie für die, die imGefolge Jesu müde geworden sind und sich nach Neuanfang, innerlichemAufbruch und neuem Mut des Glaubens sehnen.

Ganz gleich, wo wir selber stehen – lasst uns die Stationen dieser Be-gegnung mitgehen, um vielleicht selber für uns einen Fang zu machen.

Es beginnt alles damit, dass Jesus den Fischer Petrus darum bittet, seinBoot eine Zeitlang als Kanzel benutzen zu dürfen. Ob es Menschenfreund-lichkeit, gute Erziehung oder schlichte Neugierde war, die Petrus dazubrachte, die Bitte Jesu zu erfüllen, wissen wir nicht. Festzuhalten bleibt:Petrus unterbricht seine Arbeit und gewährt dem bittenden Christus etwas,was für unser heutiges Empfinden sehr wertvoll ist : Er schenkt ihm Raumund Zeit und Gehör. Daraus ist dann für Petrus etwas Lebensbestimmendesgeworden. Soll Jesus in meinem Leben Bedeutung gewinnen, dann geht es

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nur so, dass ich mich von ihm unterbrechen lasse, ihm Raum und Zeit gebeund meine Ohren öffne.

Petrus opfert seine Zeit. Er lauscht dem, was Jesus zu sagen hat. Er be-gegnet der tiefgründigen Fülle und der Weisheit seiner Rede. Ob er nunsofort mit allemwas anzufangen weiß, bleibt offen. Als Jesus jedenfalls seineRede an das Volk beendet hat, trifft ihn ganz unvermutet ganz persönlich derRuf Jesu: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus.“Nun ist Petrus ganz persönlich angesprochen. Das ist das Tröstliche undErmutigende, dass irgendwann, wenn ich ihm erst einmal Zeit und Raumgebe, der Punkt kommt, wo sich Jesus konkret in meinen Alltag einmischtund ich angesprochen bin. Das wird bei Petrus ganz handgreiflich. Müdeund resigniert sagt er : „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet undnichts gefangen.“ Auchwir kennen die Situationen vergeblichenMühens, imBeruf, im häuslichen Alltag, imUmgangmit anderenMenschen undmit unsselber – Alltagssituationen der Enttäuschung, des Frustes, der Müdigkeit,Situationen, von denenwir immer wieder eingeholt werden. In diesen Alltagmischt sich Jesus hinein, und pfuscht dem Petrus sozusagen ins Handwerk.„Werft eure Netze zum Fang aus!“ Eigentlich spricht die Lebens- und Be-rufserfahrung dagegen, jetzt am Tag die Netze auszuwerfen; denn Fischefängt man am See Genezareth nachts. Aber dann lässt sich Petrus darauf ein,und fährt hinaus, dorthin, wo es ganz tief ist : „Auf deinWort hin, sagt Petrus,will ich die Netze auswerfen.“ „Auf dein Wort hin!“ Petrus lässt sich vonJesus ermuntern, das Gewohnte noch einmal zu einer anderen Zeit zu tun. Ervertraute der Zusage, dass er die Netze nicht umsonst, sondern zum Fangauswerfen solle. Noch einmal die gleichen Hürden nehmen, noch einmalhoffen, dass sich etwas tut. Jesus verheißt ihm nicht im offenen Meer einegrößere Fangquote als im See Genezareth, sondern er schickt ihn wiederdorthin zurück, wo sein Misserfolg ihn aufhören ließ. Jesus erreicht denMenschenmit seinemWort in den Erfahrungen des Alltags undmutet ihnenzu, diesem Wort mehr zuzutrauen als ihren Misserfolgen und ihren Ge-wohnheiten. Und das heißt Glauben, liebe Gemeinde: dass wir dem, wasJesus verheißt, etwas zutrauen. Petrus wurde nicht enttäuscht. Die Netzewaren später zum Zerreißen voll. Sein wagendes Vertrauen hatte sich ge-lohnt. Er ging nicht leer aus.

Die „geistliche Fangqualität“ des Gottesdienstes

Ich frage: Wo bleibt unser Fang gerade am Sonntag, wo wir es im Gottes-dienst doch so intensivmit Jesus zu tun haben?Wir geben ihmdoch Zeit undRaum hier und heute! Die Fülle der Fische im Netz ist ein Bild für die Fülledes Segens und der Frucht, die aus dem Hören und Ins-Herz-Nehmen derbiblischen Botschaft Jesu hier und da erwächst. Das ist der tiefe Grund,

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warum wir Gottesdienst feiern. Wir stellen keine Kosten-Nutzen-Kalkula-tion zwischen Arbeitsaufwand und der Zahl der Gottesdienstteilnehmer her,sondern wir feiern Gottesdienst, weil Christus versprochen hat, dabei zusein, wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Und das heißtdann, dass er Teile des Gottesdienstes oder das Gesamtgeschehen zu seinempersönlichen Wort machen will, das dich vielleicht an einem ganz anderenPunkt trifft als mich. Jeder gefeierte Gottesdienst geht von der Hoffnung aus,dass sich etwas ereignet, was für den einen oder die andere persönliche„Fangqualität“ hat. Es kann ein Liedvers sein, der dir nachgeht. Dich kanndie Musik beeindrucken, die du als heilenden Balsam für deine Mutlosigkeiterlebst, weil sie in Tiefen vordringt, die das Wort nicht erreicht. Oder es istvielleicht ein Vers, ein Gedanke aus Schriftlesung und Predigt, der dir hilft,dich tröstet, etwas bei dir in Gang setzt, was du als gut und befreiend erlebstund dir vielleicht neue Blickrichtungen ermöglicht. Aber : Was du für einenFang machst, und wann und an welcher Stelle, das ist nicht von vornhereinzu berechnen.

„Auf deinWort hin“, so sagt Petrus undwagte es.Mir fällt jemand andersein, der es mit einem bestimmten Jesus-Wort fantasievoll im Alltag gewagthat. In der Bergpredigt steht alsWort Christi : „Sorget nicht um euer Leben“(Mt 6,25). Der Automobil-Pionier Walter Chrysler nahm sich diese Auf-forderung Jesu zu Herzen. Mit diesem Wort ging er in die kommendenWochen. Er soll seine täglichen Sorgen aufgeschrieben haben und in einerkleinen Schachtel auf seinem Schreibtisch abgelegt haben. Wenn er dieseSorgenschachteln nach einigen Wochen wieder öffnete, konnte er diemeisten seiner Befürchtungen in den Papierkorb werfen. Sie hatten sichvon selbst erledigt oder waren längst vergessen. Diese handfeste Entsor-gung kann natürlich nicht bei allen Problemen klappen, aber die Halb-wertzeit der meisten Sorgen ist doch erfreulich gering. Das wusste offenbarauch Jesus, als er sagte: „Macht euch keine Sorgen um den morgigen Tag!Er wird schon für sich selber sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seineeigene Sorge hat“ (Mt 6,34).

Während ich so über der Bibel sitze, bemerke ich, dass Jesus einen ganzfeinenUnterschiedmacht zwischen „sich sorgen“ und „sich kümmern“.Wersich kümmert, der bleibt imUmkreis dessen, was erübersehen kannundwasihm zugänglich ist. Wer sich kümmert, tut das, was die tägliche Arbeit undunsere Pflichten uns aufgeben. Jemand kümmert sich darum, dass Essengekocht wird, jemand kümmert sich um die Kinder, jemand kümmert sichums Tagesgeschäft oder holt Aufträge rein. Wenn man sich kümmert, bleibtman im überschaubaren Bereich. „Sich sorgen“ ist dagegen etwas anderes.Wer sich sorgt, stellt mit Zittern und Zagen die bange Frage, wie es dennwerden soll – und das Schmerzliche ist, ich kann nichts tun, ichmuss warten.Während ich warte, ist die Zukunft voller bedrohlicher aber auch guter

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Möglichkeiten, die ich nicht in der Hand habe. Ich kann mich verrücktmachen, bei mir selbst und mit mir selbst allein bleiben oder Gott ins Bootziehen! Wage es mit Gott zu reden wie mit einem guten Vater! Das höre ichals Ratschlag Jesu. Vertraue, dass du mit allem in Gottes Hand bist, er gehtdie Wege mit und hat Wege, wo Du keine mehr siehst. Ein russischesSprichwort sagt: Wenn Gott dir eine Tür zuschlägt, öffnet er dir ein Fenster.Also: Schau dich um!

Wenn wir Sorgen leichter nehmen und etwas mehr Zukunftsmut gewin-nen, weilwirmit diesemWort Jesu imOhr uns auch daran erinnern, dass unsfrüher schon die nötige Portion Kraft zum Durchhalten geschenkt wurde,wir trotz vieler Aufregungen gut versorgt wurden, wir einfach merken, dassunser Vertrauen nicht umsonst war und ist, dann hat dieses Jesus-Wort ausder Bergpredigt schon Fang-Früchte gebracht.

Wenn wir regelmäßig auf Christus hören, seine Sichtweise übernehmenund ihm vertrauen, wird sich vielleicht irgendwann das Wunder ereignen,das er in unserem Inneren vollbringenwird: ein Zugewinn anGelassenheit.

Ein heiliger Schrecken

Petrus hatmit demVertrauen zumWort Jesu einen Fang gemacht, der für ihnin seiner Situation genau stimmig war. Er ging nicht leer aus und wurdeüberreich beschenkt, so dass es ihn fast umgeworfen hat. Seine erste Ein-sicht: Durch Jesus spricht Gott selbstmit voller Autorität undMacht. Unddieandere Einsicht war die: Wer bin ich eigentlich, ich selbst vor diesemmächtigen Gott, der in JesusWohnung genommen hat? „Herr, gehe weg vonmir, ich bin ein sündigerMensch!“ Ganz tiefe Fragen und Erkenntnisse einesMenschen, der so völlig unerwartet und beglückend und überreich be-schenkt wurde, der die gütige Hand Gottes gespürt hat und der dann nurnoch auf die Knie fallen kann.

Zum Menschenfischer werden

Das alles soll für Petrus keine verborgene Privaterfahrung bleiben, er soll esweitersagen, soll selber zum „Menschenfischer“ werden. Jesus kann undwilloffenbar so „Durchschnittschristen“ wie Petrus und uns in den Dienstnehmen, um auch andere zu sich zu führen. Das Werbemittel ist damals wieheute das gleiche: Es geht um unsere ganz persönliche Alltagserfahrung imGlauben, um dasWort Jesu und den „Fang“, den wir hier und da mit diesemWort gemacht haben. Der Herr schickt uns nie ins seichte Gewässer und indie Oberflächlichkeit. Christus führt uns immer wieder an die tiefere Schichtunseres Lebens, da wowir etwas erfahren über Sinn und Hoffnung und überLeben und Tod.

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(Ich habe für Sie einenBeutel vorbereitet, aus demSie ihr persönliches Jesus-Wort ziehen können, mit dem Sie in der kommenden Woche ihre Erfah-rungen machen können!)

Dr. Thomas Ehlert, geb. 1965, ist Pfarrer der Evangelisch-lutherischen Kir-che in Oldenburg, arbeitet in der Wesermarsch in der [email protected]

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6. Sonntag nach Trinitatis – 19. Juli 2020 5. Mose 7,6–12

Die Doppelgesichtigkeit des Wir

Cornelia Kulawik

Auslegung

Der Predigttext ist der locus classicus für die Erwählung Israels. „Dich hat derHerr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die aufErden sind“ (7,6). Er spricht von der Liebe Gottes, von seiner Treue undBarmherzigkeit. Er spricht vonGottesmächtiger Hand, die imGegensatz zurHand des Pharaos steht, denn Gott hat von Knechtschaft erlöst. Und ausdiesen Erfahrungen heraus ergeht die Aufforderung an Israel, Gott zu liebenund seine Gebote zu halten. In diesemPredigttext leuchtet erneut die ZusageGottes auf, die sich imWochenspruch ausdrückt: „Fürchte dich nicht, dennich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bistmein.“ Denn anders als oft in Taufzusammenhängen zitiert, richtet sichdieser Vers zunächst nicht an ein Individuum, sondern an das Volk Israel:„So spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat,Israel“ (Jes 43,1).

Die beiden bekanntesten Texte des Deuteronomiums, der Dekalog(5,6–21) und das „Höre Israel“ (6,4 f.), die dem Predigttext vorausgehen,klingen in der Perikope erneut an. Die Worte „So sollst du nun wissen, dassder Herr, dein Gott, allein Gott ist“ (7,9) erinnern an die Eröffnung desDekalogs.

Nur wenigeWorte dieser Perikope lassen erahnen, wie viel Gewalt mit denzwei Grundthemen des Deuteronomiums, der Alleinverehrung Gottes undder Kultzentralisation, verbunden sind. Doch auch hier wird von Gott ge-sprochen als von dem, der „vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, undbringt sie um“ (7,10). Noch deutlicher wird es, wenndie Perikope imKontextdes siebenten Kapitels gelesen wird: Das Ringen um die Einheit des VolkesIsraels und um seine Identität ist zugleich mit einer massiven Abgrenzunggegen die anderen Völker und alles „Fremde“ verbunden. Der Gott, derIsrael erwählt, rottet zugleich aus „viele Völker vor dir her … und wenn sieder HERR, dein Gott, vor dir dahingibt, dass du sie schlägst, so sollst du anihnen den Bann vollstrecken“ (7,1 f.). Auch unmittelbar nach der Perikopegeht es weiter mit „vertilgen“, „vertreiben“, „umbringen“, „ausrotten“,„auslöschen“ und „verbrennen“ (7,16–25). Das Wir, das die Gemeinschaft

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 497–504, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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des Volkes stärkt, ist zugleich ein Wir, das sich scharf von anderen abgrenztund mit Gewalt verbunden ist.

Ohne diesenKontext zu vergessen, eröffnet der Predigttext jedochmit denWorten – und diese werden sicher bei den Hörenden besonders hängen-bleiben –: „Du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott“ (7,6). Wasbedeutet Heiligkeit? Wie lässt sich Gottes Zusage von Treue und Barmher-zigkeit hören, ohne abzugrenzen? Wie lässt sich von Erwählung sprechen,ohne auszugrenzen?

Umsetzung

Das Deuteronomium spricht immer wieder vomBundGottesmit Israel, unddieser Bund ist ein wechselseitiges Verhältnis: Gott bindet sich an Israel undIsrael bindet sich an Gott.

Am 6. Sonntag nach Trinitatis wird dieser Erwählungstext im Zusam-menhang mit Tauftexten gehört. Zumindest Matthäus 28 wird vor der Pre-digt sicher gelesen werden. Auch bei der Taufe geht es um die ErwählungGottes und den wechselseitigen Bund. Doch dieser Bund gilt nicht einemVolk, sondern einem Individuum. Es ist kein Zufall, dass derWochenspruch„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinemNamen gerufen; dubistmein“ bei vielenTaufen eine zentrale Rolle spielt undals individuelle Zusage an den Täufling verstanden wird.

Im Taufevangelium wird die universale Perspektive eröffnet: „Geht hinund lehrt alle Völker.“ Eine große Gefahr sehe ich darin, dass im Hören derbeiden Texte (Evangelium und Predigttext) das Klischee bedient werdenkönnte: ImAlten Testament begegnet uns der exklusive ErwählungsgedankeIsraels, im Neuen Testament die weltumspannende frohe Botschaft desChristentums. Da dieses Klischee im christlichen Antijudaismus eine sehrunrühmliche Rolle gespielt hat, möchte ich diesem explizit begegnen.Zudem ist es mir im weiteren Verlauf der Predigt wichtig, nicht historischrückblickend zu fragen, warum damals für Israel die Suche nach Identitätund die Stärkung der inneren Gemeinschaft sowichtig war und diese eine sostarke Abgrenzung vom „Fremden“ freisetzte, sondern ich möchte grund-legender die Doppelgesichtigkeit des Wir thematisieren. Jede Stärkung desWir-Gefühls bringt auch die Gefahr von Abgrenzungstendenzen mit sichvon Menschen, die nicht zu diesem Wir gehören. Auch die christliche Ge-meinde, in diemandurchdie Taufe hineingenommenwird, birgt nicht nur inder Geschichte, sondern auch in der Gegenwart immer wieder die Gefahr,sich zu verengen und allem Fremden gegenüber nicht offen zu sein.

Ausgangspunkt, um über die wichtige gemeinschaftsstiftende Bedeutungeiner Gruppenidentität, aber auch die Gefahren von Ausgrenzung anderer,

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die nicht zur Gruppe gehören, nachzudenken, sollen Alltagserfahrungensein. Wo fühle ich mich dazugehörig? Wo fühle ich mich fremd?

Wie kann die Gemeinschaft im christlichen Glauben identitätsstärkendsein, ohne an Offenheit für andere zu verlieren?

Wie kann der Glaube an den einen und einzigen Gott, wie er uns in seinerTreue und Barmherzigkeit im Predigttext begegnet, befreien zu einem er-füllenden Leben in Ausrichtung auf seine lebensstiftenden Gebote?

Die Predigt soll mit Gedanken zum Wiedererstarken des Nationalismusenden, die sich „Emotionen desWir erschleicht“ und die „ein reines Produktvon Ideologie und Lüge“ ist (Michael Köhlmeier).

Die Taufe ist Zeichen von Gottes universaler Liebe und steht jeder Aus-und Abgrenzung und jedem nationalistischen Denken entgegen.

Literatur

Jan Christian Gertz, Das Deuteronomium: ders. (Hg.), GrundinformationAltes Testament, Göttingen 2006, 240–253Jan Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt, Wien 2006Michael Köhlmeier, Wenn ich wir sage, Wien/Salzburg 2019Rudolf Stichweh, Der Fremde. Studien zur Soziologie und Sozialgeschichte,Berlin 2010

Liturgie

Lesungen

Jesaja 43,1–7Römer 6,3–8Matthäus 28,16–20

Lieder

Nun danket Gott, erhebt und preiset (EG 290,1–4)Ich bin getauft auf deinen Namen (EG 200)Sonne der Gerechtigkeit (EG 262,1–4)Meine engen Grenzen (Singt Jubilate 38)Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all (EG 293)Geh aus, mein Herz (EG 503, 1–3+15)

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Gebet

Gott, wir bitten dich um Gemeinschaft,die stärkt und trägt.Wir bitten dich um Gemeinschaft,die besonders Menschen im Blick hat und hineinzunehmen sucht, die amRande stehen, die ausgegrenzt oder allein gelassen werden.Verhilf uns zur Offenheit gegenüber Menschen, die uns fremd sind.Lass uns Verbindendes suchen und fördern.Wir bitten dich für unsere Gemeinde,dass sie als Gemeinschaft Heimat und Geborgenheit bietet,dass alle sich willkommen fühlen und in ihr dein Geist der Liebe und derZuwendung spürbar wird.Hilf, dass es Neuen leichtgemacht wird, sich hier zu Hause zu fühlen.Gib uns offene Augen, die wahrnehmen,wo eine starke Gemeinschaft, sei es in Familie, unter Freunden, in der Ge-meinde, in unserer Nachbarschaft, es anderen schwermacht,Teil dieser Gemeinschaft zu werden,und wo diese somit Außenstehende bleiben.Lass uns als Christen klar und unmissverständlichjeder Fremdenfeindlichkeit und jedem Nationalismus widersprechen,der auf ein Wir setzt, das andere abwertet und ausgrenzt.Amen.

Predigt

Wenn ich wir sage – die Doppelgesichtigkeit des Wir

„Wenn ich wir sage“ – im Herbst erschien unter diesem Titel ein Buch desAutorsMichael Köhlmeier. Es ist ein kluges und intensivesNachdenken überdie Doppelgesichtigkeit des kleinen Wortes wir. Zum einen: Wenn ich wirsage, dann stifte ich damit Gemeinschaft. Nicht ich esse allein – wir essengemeinsam. Wir reden, wir tauschen uns aus. Wir finden das gut, dasschlecht.Wir machen das immer so – und es ist gut, dass wir für all das einengemeinsamen Nenner haben. Das Wir schafft Identität und Heimat. Unddiese ist wichtig besonders in Zeiten von Krisen, wo vieles insWanken gerät.Dann brauche ich dieses Wir ganz besonders.

Doch es gibt auch eine Kehrseite: Das Wir kann ausgrenzen. Denn jestärker das Wir-Gefühl einer Gruppe ist, desto schwieriger ist es für Au-ßenstehende hineinzukommen. Denn das Wir lässt alle die draußen, dienicht diese gemeinsame Identität, die gemeinsamen Sprachspiele, die ge-meinsamen Erinnerungen teilen. Vielleicht kennen Sie dies aus eigener Er-

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fahrung: Wenn z.B. eine Familie sehr stark ist und eng zusammenhängt,Mutter und Tochter sind im ständigen Austausch, die Geschwister sind ganzeng und bei den häufigen Treffen funktioniert alles in Binnensprache, An-deutungen genügen, dann ist es für einen Neuen, einen Fremden schwerer,Fuß zu fassen. Oder wenn ein Freundeskreis oder eine Gemeindegruppe sichüber Jahre kennen, dann haben es Außenstehende unter Umständen nichtleicht, da hinzuzukommen.

Die Doppelgesichtigkeit des Wir : Es schließt uns zusammen und schafftGemeinschaft, aber es grenzt auch aus.

Das Ringen um Einheit und gemeinsame Identität des Volkes Israel

Das fünfte Buch Mose ist in einer Zeit großer gesellschaftlicher Erschütte-rung entstanden, wo für das Volk Israel alles in Frage stand, da ihr Landzerstört und viele Menschen ins babylonische Exil geführt worden waren.Und so braucht es in dieser Zeit besonders starke identitätsstiftende, ge-meinschaftsfördernde Impulse. Zum einen ist es die Besinnung auf dieThora, auf die Gebote Gottes, als Lebensquelle und Grundlage eines gutenZusammenlebens. Zum anderen ist es die gemeinsame Berufung auf deneinen und einzigenGott JHWH, den Gott Israels, das gemeinsame Festhaltenan seiner Treue und Barmherzigkeit.

[Text 5. Mose 7,6–12]

Das gemeinschaftsstiftende und das ausgrenzende Wir

Kaum ein anderer Text des Alten Testaments als das Deuteronomium zeigtmir so deutlich die Doppelgesichtigkeit desWir. Dabei hilft es mir sehr, es inseinem historischen Kontext zu verstehen. Die herausgehobene ErwählungIsraels, der ganz besondere Bund Gottes mit seinem Volk, angefangen beiden Vätern, „denen er seinen Eid geschworen hat“, wie es heißt, die ganzspezielle Geschichte Gottes mit Israel, das er „mit mächtiger Hand aus derKnechtschaft erlöste, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten“,und die immer wieder forcierte Erinnerung an diese Geschichte stiftet Ge-meinschaft, stiftet Identität, die gerade in Krisenzeiten so wichtig ist.

Aber dieses Wir nach innen, das gestärkt wird durch die Ermahnung,Gottes Gebote undGesetze als gemeinsameGrundlage des Zusammenlebenszu halten, grenzt sich auch ganz stark nach außen von allem Fremden ab. Dabraucht man nur vor oder nach den als Predigttext herausgenommenenVersen das gesamte Kapitel 7 zu lesen. Da ist vom „Vertilgen“, „Vertreiben“,„Umbringen“, „Ausrotten“, „Auslöschen“ und „Verbrennen“ die Rede undim Blick sind hier die anderen Völker, die nicht auserwähltes EigentumGottes sind.

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Die Lesung aus dem Matthäusevangelium scheint da eine ganz andereSprache zu sprechen. Denn in diesem Taufauftrag, den Jesus gibt, sindausdrücklich alle Völker im Blick. „Darum geht hin und lehrt alle Völker :Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geis-tes.“

Wir könnten uns es einfachmachen, liebe Gemeinde, und sagen: ImAltenTestament begegnet uns der abgrenzende, exklusive ErwählungsgedankeIsraels. Das Christentum dagegen bringt universelle Weite, hier sind alleVölker von Gott erwählt. Diese simple Entgegensetzung hat jedoch in derGeschichte des christlichen Antijudaismus viel Schaden angerichtet. Zumeinen wird sie dem Erwählungsgedanken Israels in keiner Weise gerecht.Zum anderen aber, um bei uns selbst als Christen zu bleiben, haben wir inunserer Geschichte nichtmindermit derDoppelgesichtigkeit desWir zu tun.

Gerade dieser Taufauftrag war es, der in der Geschichte unermesslichesLeid über fremde Völker gebracht hat. Neben Zwangstaufen und Zwangs-missionierungen wären so viele Punkte im Rückblick zu benennen, wo ge-rade durch das Anheizen eines gemeinsamen christlichen Wir eine starkeAbgrenzung von den anderen, vonden „Fremden“möglichwurde. Es ist z.B.undenkbar, dass sich solche Massen wie bei den Kreuzzügen hätten mobi-lisieren lassen, wenn hier nicht massiv die eigene Identität als Gruppe ge-stärkt wordenwäre, um so gegen die anderen, dieMuslime, oder auch nurdieandere christliche Denomination, wie die Christen der ByzantinischenKirche, vorgehen zu können.

Und dieses Thema ist nicht auf religiöse Fragen beschränkt, sondernreicht weiter in alle gesellschaftlichen Bereiche. Gerade in Krisenzeiten undin Zeiten von Umbrüchen sind eine Stärkung der eigenen Identität und dieFörderung eines Gemeinschaftsgefühls wichtig. Identität schafft Sicherheit,sie schafft Heimat. Doch sie hat eben auch die bedrohliche Kehrseite, wie wirgerade im überall erstarkenden Nationalismus sehen können.

„Die Nation … erschleicht sich die Emotionen des Wir“, schreibt Köhl-meier, „Sie ist ein reines Produkt von Ideologie und Lüge, bereits ihr Nameist eine Irreführung, sie ist die Hölle des Wir.“

Gottes Treue, seine Liebe und Barmherzigkeit

Wie können wir unseren Glauben leben, wie kann der Glaube Identität undGemeinschaftsgefühl stärken, ohne auszugrenzen?

„Du bist ein heiliges Volk demHerrn, deinemGott. Dich hat derHerr, deinGott, erwählt zumVolkdes Eigentums aus allenVölkern, die auf Erden sind.“

Wennwir als Christen diese Erwählungszusage Gottes hören, die zunächstunseren jüdischen Geschwistern gilt und als solche auch erst einmal ver-standen und ernstgenommenwerden sollte, so könnenwir doch viel aus den

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Worten unseres Predigttextes als Orientierungshilfe gewinnen, wenn wirüber unser eigenes Verhältnis zu Gott nachdenken.

1. Das erste Wort ist „du“. Es geht in unserem Leben um eine enge per-sönlicheVerbindung zuGott, um eine Beziehung.DerGottesname JHWE,den Luther mit „Herr“ übersetzt, steht dafür. Er bedeutet „Ich bin, der ichbin, ich war der ich war, ich werde mit dir sein.“ Gleich zu Beginn wirddieser Gottesname JHWH zweimal durch „dein Gott“ ergänzt.

2. Vor Gott entscheidet nicht Größe oder Stärke: „Nicht hat euch der Herrangenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker …“Gerade die Kleinen, die Schwachen, die Ausgegrenzten, die Nichtzäh-lenden erwecken Gottes Fürsorge und Liebe. Gott wendet sich Abel zuund sieht dessen Opfer an – Abel, dessen Name „Hauch“ oder „Nich-tigkeit“ bedeutet. Gott achtet auf die „Waisen und Witwen“, dieSchwächsten der Gesellschaft. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron underhebt die Niedrigen.“ So singt Maria in ihrem Magnificat. Gottes Liebefür die Unterdrückten und Schwachen zieht sich als zentrale Aussagedurch die gesamte Bibel. Sie begegnet uns wieder in Jesu Reden undHandeln.

3. „Nicht hat euch der Herr angenommen …, weil ihr größer wäret als alleVölker“: Die Übersetzung des Wortes „angenommen“ bei Luther ist ei-gentlich zu schwach. Genauer bedeutet das hier verwandte Wort „ausLiebe an jemandem hängen“. Diese Liebe ist der eigentliche Beweggrundfür Gottes Zuwendung und für all sein Tun: Er hat euch erwählt, „weil ereuch geliebt hat“.

4. Gott ist ein befreiender Gott. Er will nicht unsere Knechtschaft, sondernunsere Freiheit. „Darum hat der Herr euch herausgeführt mit mächtigerHand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pha-raos, des Königs vonÄgypten.“ GottesHand steht imGegensatz zurHanddes Pharaos.

5. Diese Liebe und Treue Gottes, sein Bund und seine Barmherzigkeit sollenuns im Gegenzug zu einem Leben befähigen, das seine Gebote undWeisungen als lebensstiftend erkennt. Sie sind Grundlage eines gutenZusammenlebens und stärken unsere Gemeinschaft.

Gemeinschaft ohne Ausgrenzung

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinemNamen gerufen; du bist mein.“ Dieser Wochenspruch als Zusage Gottesrichtet sich an das Volk Israel. „So spricht derHERR, der dich geschaffen hat,Jakob, und dich gemacht hat, Israel.“

Doch wird er sehr häufig bei der Taufe zitiert und wird somit zum Zu-spruch von Gottes Liebe und Fürsorge für den Täufling. Sein Name, der bei

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der Taufe nochmals genannt wird, steht für seine Einzigartigkeit, seine In-dividualität. Der Täufling darf sich der Liebe Gottes gewiss sein.

Mit der Taufe werdenMenschen hineingenommen in die große, weltweiteGemeinschaft von Christen, die aus der reichen Quelle ihres jüdischen Erbesschöpft. Diese Gemeinschaft ist von der Grundbotschaft der Liebe Gottesgetragen, die in die Nächstenliebe führt. Diese Gemeinschaft kann Identitätund Heimat schenken. Und diese Gemeinschaft gilt es zu stärken, gegen alleTendenzen von Vereinsamung in unserer Gesellschaft. Hier liegt in derchristlichen Gemeinde ein unglaublich großes und oft übersehenes Poten-zial, gerade auch, wenn die Schwächsten und die am Rande der GesellschaftStehenden in dieser Gemeinschaft eine Heimat finden, von ihr getragenwerden und sie mit besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge bedachtwerden.

Und doch dürfen wir als Christen nie die Doppelgesichtigkeit des Wirvergessen. Wo fühlen sich Menschen nicht willkommen – oder sogar durchzu starke Binnenbezogenheit ausgegrenzt? Wo entsteht durch eine starkeGemeinschaft, durch das Wir, eine Abgrenzung gegen andere, die andersglauben, die nicht glauben, die eine ganz andere Lebensausrichtung habenals wir?

Die Gemeinschaft, in die wir Menschen durch die Taufe mit hineinge-nommen werden, muss eine offene Gemeinschaft sein. Offen für anders-denkendeMenschen, offen für fremdeMenschen, offen für alle.Wenn ichwirsage, wünsche ich mir ein Wir, das versucht, Abgrenzungen zu überwinden.

Dr. Cornelia Kulawik ist Pfarrerin der Evangelischen KirchengemeindeBerlin-Dahlem, Lehrauftrag an der Universität der Künste Berlin am Institutfür [email protected]

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7. Sonntag nach Trinitatis – 26. Juli 2020 Hebräer 13,1–3

Engel daheim

Rainer Withöft

Auslegung

Wenn am 7. Sonntag nach dem Trinitatisfest zum Gottesdienst eingeladenwird, dann wird zum ersten Mal ein neuer, ein bislang ungepredigter Pre-digttext erklingen. Mit den Worten von Hebräer 13,1–3 schlägt die neuePerikopenordnung von 2018 so richtig durch. Zum allerersten Mal wird hierdie Liebe in besonderer Weise thematisiert. Zum einen klingt das Kapitel 13irgendwie künstlich angehängt an die Kapitel 1–12. Einige Ausleger spre-chen von einer Art „Anhangskapitel“, Nachtrag oder aber auch Schlüssel desGanzen. Mehrere, knappe, katalogartige Imperative prägen die ersten Versedieses Kapitels. Ja, es geht um die Liebe an sich. Mit dieser kleinen katalo-gischen Paraklese verabschiedet sich der Schreiber des Hebräerbriefes vonseinen Adressaten. Es geht hier eindeutig um die Liebe in ihrer vielleichtschönsten Form und Ausprägung. Die Liebe soll in ihrer Reinheit und Ein-zigartigkeit erhalten bleiben. Wenn wir Menschen daheim beherbergen, sollsich die Liebe durch unsere Gastfreundschaft erweisen. Vor allem die Zu-neigung zu denMenschen, die wir vielleicht noch gar nicht kennen, die ohneunsere ausdrückliche Einladung von uns beherbergt werden, könnten vondieser Liebe erfasst und erfüllt werden. Das berührt, zumal wir alle einmal„Gefangene und Geplagte unseres Leibes“ gewesen sind, so die Worte, mitdem der Predigttext endet.

Umsetzung

Unverkennbar geht es in der Vorbereitung auf die Predigt um eine klareVorentscheidung zwischen der Liebe, die wir selbst anderen zukommenlassen, und natürlich der Liebe, die wir empfangen haben durch Menschen,die Gott uns als Engel gesandt hat. Es ist davon auszugehen, dass Hebr 12,28(„Darum, weil wir ein unerschütterliches Reich empfangen, lasst unsdankbar sein und so Gott dienen mit Scheu und Furcht, wie es ihm gefällt.“)das Kapitel 13 gewissermaßen vorbereitet oder gar erschließt. Die in derRhetorik gebrauchten Imperative dienen daher eher als Ermutigung und

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 505–510, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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weniger als Ermahnung und heteronome Auflage (Karrer, 352). Mit dezi-dierter Betonung der Fremdenliebe (philoxenia) ist hier ein typisch pauli-nisches Motiv aufgegriffen, das in direkter Beziehung zur Geschwisterliebe(philadelphia) zu verstehen und umzusetzen ist. Und genau diese vielfältigeLiebe dürfen auch wir empfangen, wenn Trübsal und Verletzbarkeit – An-spielung auf die frühen Christenverfolgungen Ende des ersten Jahrhunderts– unseren Blick für das Reine und Schöne verdunkeln und uns die FremdheitAngst bereitet. Der Text ermuntert in seiner parakletischen Direktheit, sichFremdem und Unbekanntem zu nähern, auch wenn wir nicht immer nurGutes und Wohliges damit verbinden. Daher ist es durchaus zu verantwor-ten, das Thema des übergroßen Vertrauens in die Liebe und die damit ver-bundenen Liebestaten von uns Menschen in den Vordergrund zu rücken.

Literatur

Knut Backhaus, Der Hebräerbrief, Regensburger Neues Testament 16, Re-gensburg 2009Martin Karrer, Der Brief an die Hebräer, Ökumenischer Taschenbuchkom-mentar zum Neuen Testament 16, Gütersloh 2008

Liturgie

Lesungen

Psalm 51Johannes 6,1–15Apostelgeschichte 2,41–472. Mose 16,2–3.11–18

Lieder

Von Gott will ich nicht lassen (EG 365,1–3)Sonne der Gerechtigkeit (EG 262)Jesu, der du bist alleine (EG 252,1–5)Brich mit dem Hungrigen dein Brot (EG 420)Ach bleib mit deiner Gnade (EG 347)

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Gebet

Guter Gott,wenn ich auf mein Leben schaue, dann sehe ich einen bunten Garten:großartige Pflanzen, in leuchtenden Farben, von vielen bestaunt;zierliche Blümchen, kaum auffallend und doch schön anzuschauen;Gewächse, deren Pracht von langer Dauer war,und solche, deren Blüten nur kurz das Auge und das Herz erfreuen konnten.Doch auch Unkraut, das sich mehr und mehr ausbreitete,das zu entfernen mich Zeit gekostet und mir Mühe bereitet hat;und Dornen, deren Stacheln mich verletzt und mir Schmerzen verursachthaben und mich zugleich zur Vorsicht mahnten, gehören in meinen Gartendazu.Für alles, liebender Gott, was du hast wachsen und gedeihen lassen inmeinemLebensgarten an Schönemund an Lästigem, an Bewundernswertemund an Beschwerlichem, möchte ich dir danken.Der Garten wäre unvollkommen und das Leben wäre nicht mein Leben,würde auch nur eines davon fehlen.Amen.

Predigt

„Ich liebe Dich!“ So oder so ähnlich könnte uns jemand den Tag schönmachen. Könnte uns sagen, dass er oder sie es ernst meint und uns sehr liebhat und mit uns leben möchte. Und das kommt gewiss nur einige Male imLeben vor. Vor allem die Liebe, die uns vertraut ist, die uns in besondererWeise berührt und erfüllt, ist damit gemeint. Die Liebe, die uns immer schonals brüderliche oder geschwisterliche Liebe oder elterliche Liebe erreicht hat,die uns vielfältig verändert und geprägt hat. Wir sprechen von einzigartigerund aufrichtiger Liebe. Vielleicht gar von ewiger Liebe.

Und da kann es dann sein, dass wir manchmal mit jemandem zusam-menkommen, den wir daheim beherbergen, der uns in irgendeiner Weiseberührt, der uns berührt und verändert, weil seine Anwesenheit unser Lebendurchdringt und ergreift. Jemanden, denwir in unser Haus lassen, der unserZusammensein entscheidend prägt und bestimmt, mit dem wir gewisser-maßen ein liebevolles Miteinander pflegen, liebevoll umgehen und vertrautwerden, weil wir sie oder ihn als einen Engel empfinden.

Hebräer 13,1–3 507

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Wie Engel …

Wenn wir von Engeln sprechen, dann ist es oft so, als ob wir von unbe-kanntenWesen erzählen, die es gar nicht gibt, von überirdischenMenschen,die wir uns erträumen oder erhoffen, die unser Leben aufwundersameWeisebereichern oder verändern. Manchmal bedienen wir uns der Metapher„Engel“, um auf etwas aufmerksam zumachen, was uns bewegt und berührt,gerade wenn wir nicht verstehen können, dass wir dadurch unser Leben inanderer Weise empfinden und wahrnehmen.

Der heutige Predigttext gibt uns ein solches Rätsel auf, warum und wiesoEngel unser Leben prägen und verändern können. Denn wenn wir dieMenschen beherbergen, die uns lieb und teuer sind, gute Freunde und ver-traute Verwandte, dann dürfen wir uns in der Tat meistens auf angenehmegemeinsame Stunden freuen. Wenn wir aber Menschen daheim beherber-gen, die wir (noch) nicht kennen, die wir dann aber kennenlernen, dannkönnen sie uns tatsächlich zu Engeln werden. Sie sind uns vielleicht ewigdankbar, dass wir uns ihrer angenommen haben in einer Zeit, wo sie selbstfür sich keinen Halt und keinen Boden unter den Füßen spüren konnten.Vielleicht wird es uns eines Tages genauso gehen: Wir erfahren Gast-freundschaft bei uns scheinbar Fremden und es entstehen neue und inten-sive Freundschaften, die ein Leben lang halten und unser Zusammenlebenbereichern.

Just follow us!

Ein Beispiel: Als ich vor etlichen Jahren mit einem Mietwagen eine Rund-reise durch Florida unternommen habe, hatte ich mich für diese Zeit nochnicht um eine Unterkunft gekümmert. Mein erstes Ziel war deshalb eineKirchengemeinde inCoral Gables, einemmondänenVorort vonMiami. Dortging ich an einem Sonntagmorgen getrost in die Sunday School, die dann inden großen Gottesdienst mündete. Dabei lernte ich mehrere Pärchen undFamilien kennen, mit denen ich mich gleich gut verstand und unterhaltenkonnte. Als ich dann jedoch gefragt wurde, wo ich denn hier untergekom-men bin, und zu erkennen gab, dass diese Bleibe noch nicht feststeht, hatteich spontan eineHandvoll Angebote, wo ich übernachten sollte. Eine Familiesagte mir, ich könnte ihnen nach dem Gottesdienst hinterherfahren undwenn ich wollte, ein paar Tage bei ihnen wohnen. „Just follow us!“ warseinerzeit die schlichte Aufforderung, der ich gerne gefolgt bin. „Ich warfremd, aber ihr habt mich aufgenommen“ so sagt Jesus es inMatthäus 25,35.Genauso habe ichmich gefühlt und diese Freundschaft hielt über viele Jahre,es kam sogar zumGegenbesuch nach Deutschland. „So habenmanche, ohnees zu wissen, Engel beherbergt“ – intensiver hätte ich damals die Bedeutungdiese Zeilen gewiss nicht am eigenen Leib erleben können.

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Alle sind verletzlich

Wenn wir tapfer auf unseren Lebenswegen wandeln, weil wir getrost undvoller Zuversicht sein dürfen, dass wir da niemals ganz allein gelassen sind,dann wissen wir in der Tat oft nicht, wer uns da begegnet und als Engelbegleiten wird. Oftmals spüren wir es hinterher, dass es wohl ein Engelgewesen sein muss, der unser Herz froh und heiter gestimmt hat. VieleGeschichten dieser Art sind in der Bibel dazu zu finden. Engel besuchenSarah im Zelt und kündigen die Geburt Isaaks an. Ein Engel sitzt am leerenGrab, denn Jesus ist auferstanden. Engel wandern die Himmelsleiter auf undab, als Jakob auf dem Weg in die Versöhnung mit seinem Bruder Esau ist.Und schließlich: Der Erzengel Gabriel verkündet dem Priester Zacharias,dass seine Frau Elisabeth einen Sohn gebären wird, den sie Johannes denTäufer nennen sollen. – Alle Geschichten deuten auf eines hin: Es sind dieverzagten und verunsichertenMenschen, die von Engeln aufgesucht werden.Es sind die Verletzten und Geplagten, denen Heil widerfährt. Sie beherber-gen Engel bei sich, ohne es zu wissen, sie lassen sich auf Fremde ein, dieihnen schließlich zu Freunden werden. Auch uns könnte genau das passie-ren, dass für uns gänzlich unbekannte Menschen unser Leben auf einmal inentscheidender Weise prägen und auch verändern. Menschen, die wir imUrlaub kennengelernt haben, die uns in einer neuen Arbeitsstelle begegnetsind, die wir in unser privates, intimes, geheimes Innerstes schauen lassen,weil wir Vertrauen haben, dass sie uns nicht schaden werden. Und dieseErfahrung können wir immer wieder machen, eigentlich ein Leben lang.Weil Gott uns diese Engel schickt, weil Gott weiß, was und wen wir wannbrauchen.

Spuren im Sand

Nun frage ichmich natürlich, woher wir denn dieses übergroße Vertrauen inuns unbekannte Menschen entwickeln und fördern können, wer uns dieseKraft und diese Zuversicht schenken kann. Mir persönlich hilft in diesemZusammenhang eine kleine aber ausdrucksstarke Geschichte, die ich nungerne zum Abschluss erzählen möchte, die den Predigtgedanken, dassGottes Liebe auch die scheinbar Fremden und Distanzierten erreichen kann,noch einmal in wundervolle Weise zum Ausdruck bringt.

„Als ich mit meinem Herrn am Strand unterwegs war und wir tief imGespräch vertieft waren, da bemerkte ich auf einmal beim Blick zurück, dassauf vielen Streckenabschnitten zwei Fußabdrücke zu sehen waren, aber inden finsteren und schweren Tagen immer nur ein Abdruck. So fragte icherstaunt meinen Herrn, warum er mich ausgerechnet in den traurigen undbelastenden Lebenstagen offenbar alleine gelassen hat, da immer nur einFußabdruck zu erkennen war. Doch zu meiner Überraschung sagte er Fol-

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gendes zu mir : Mein Kind, denke nicht, dass du an den schweren Tagen indeinem Leben alleine warst, denn gerade dann habe ich dich getragen.“

Dr. Rainer Withöft ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Dü[email protected]

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8. Sonntag nach Trinitatis – 2. August 2020 Johannes 9,1–7

Lichtspuren

Katja Albrecht

Auslegung

Der vorliegende Predigttext stellt für sich genommen nur einen Ausschnittdar aus einem Handlungszusammenhang, der das gesamte neunte Kapiteldes Johannes-Evangeliums umfasst. Während die Predigtperikope die Hei-lung des blinden Menschen erzählt, folgen in den weiteren Abschnitten dieReaktion seiner unmittelbaren Mitmenschen (V. 8–12), sein Bericht voreiner Gruppe von Pharisäern (V. 13–17), die Befragung seiner Eltern (V.18–23), eine zweite Befragung des Geheilten (V. 24–34) und schließlich die(Wieder-)Begegnung mit Jesus (V. 35–38) sowie ein kurzer Austausch miteiner Gruppe von Pharisäern (V. 39–41). Es ist auffällig, wie ausführlich hierdie Auseinandersetzung um das Heilungswunder gestaltet ist. Eine Parallele,allerdings wesentlich kürzer, ist in Joh 5,1–16 zu finden, wo die Heilung desGelähmten ebenfalls am Sabbat stattfindet und zu einer Befragung des Ge-heilten durch eine Gruppe von Menschen jüdischen Glaubens führt. Dasvorherige achte Kapitel endet ebenfalls – relativ dramatisch – mit einerAuseinandersetzung mit den jüdischen Autoritäten im Tempel. Vor derversuchten Steinigung kann sich Jesus nur knapp retten.

Die Perikope beginnt mit einer Wahrnehmung Jesu „im Vorübergehen“ –durch einen Mann, der von Geburt an blind ist. Jesu Schülerinnen undSchüler, deren Anwesenheit bei Johannes immer vorausgesetzt ist, fragennach dem Grund für seine Blindheit. Hier ist mit Wengst zu reflektieren, vorwelchem glaubensgeschichtlichen Hintergrund die Schülerinnen undSchüler diese Frage stellen (Wengst, 364–367):Überzeugend ist, dass es sich,die eindeutigen kanonischen Stellen zugrunde legend, um die impliziteEinführung des Themas Götzendienst handelt. Denn nur in diesem Fall isteine Sanktion der Nachkommen für das Verhalten der Eltern belegt – indiesem Fall durch Verlust des Landes. Jesu Antwort führt – auf der Ebene derErzählung – in eine andere Richtung und bietet den Auftakt für das Ge-schehen in diesem Kapitel und seine vielfältige Diskussion. Auch die Verse 4und 5, die das bereits Joh 8,12 angeklungene Lichtwort aufnehmen, eröffnenden (heilsgeschichtlichen)Horizont dieserHeilungsgeschichte. DasMediumder Heilung, der Brei aus Speichel und Erde, bietet einen Anklang an me-

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 511–518, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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dizinische Zeugen der Antike, die dem Speichel heilende Kraft bei Augen-leiden zusprechen. Jesus schickt denMann nachAuftrag der Paste zumTeichSiloah – mit dem klingenden Namen „Gesandter“ (worin eine Parallele zurHeilung des aussätzigen Naeman und dessen Gang zum Jordan zu finden ist[2.Kön 5, 10]). Der Geheilte lässt sich vom Gesandten Gottes in der Stundedes Heils dorthin senden – und ihm wird das Augenlicht geschenkt.

Umsetzung

Im Fall der vorliegenden Perikope ist besonders auffällig, wie die erzählteSituation der Heilung mit der Absicht der theologischen Auseinanderset-zung im ganzen Kapitel auseinanderfällt. Jesu Selbstoffenbarung geht derHeilung voraus. Die Zeichenhandlung bestärkt den Vorgang der Heilung.Der Gang zumTeich Siloah bringt eine erste aktive Komponente auf der Seitedes dann Geheilten hinzu. Hier ist die Grundanlage des Johannes-Evange-liums beinahe in jedem Vers zu spüren: Die Minderheit derer, die Jesusnachfolgen, befindet sich in ständiger Auseinandersetzung und unter demDruck der Rechtfertigung gegenüber der Mehrheit der Synagogengemeindeund ihrer Vertreter.

Eine Begegnung zwischen Jesus und demMann findet erst ganz am Endedes Kapitels statt. Es bleibt auf der Ebene der Erzählung befremdlich, dass eszu-nächst keinen Kontakt zwischen Jesus und dem Mann gibt. Eine theo-logische Diskussion findet in seiner Gegenwart aber ohne seine Beteiligungstatt. Auch wird er nicht etwa – wie der gelähmte Mensch im fünften Kapitel– gefragt, ob er geheilt werdenmöchte. Einerseits kann eine positive Antwortvorausgesetzt werden. Andererseits ist es überraschend, dass jener, derspäter so nachdrücklicher Befragung ausgesetzt ist und sich so überzeugendzu Jesus bekennt, zu Beginn unnötig stumm bleibt.

Diese Spannung soll in der Predigt aufgenommen werden. Sie kann nichtden Inhalt des ganzen Kapitels zur Grundlage nehmen. Andererseits würdeeine alleinige Behandlung des Heilungswunders zu kurz greifen. Auch eineKonzentration auf den Wechsel von Blindheit zum Sehen wäre der Ge-samtanlage der Perikope im Zusammenhang mit dem Kontext nicht ange-messen. Zu konstruiert wirkt letztlich das Zeugnis des Geheilten – dessenErkenntnisweg und Hintergrund für seine theologische Argumentationnicht mitgeteilt werden.

So liegt der Schwerpunkt der Predigt auf dem Kairos der AnwesenheitJesu. Diesem Schwerpunkt ist auch geschuldet, dass keine Auseinanderset-zung mit den jüdischen oder pharisäischen Positionen stattfindet. Jesus, derHeilung bringt, in diesem Fall einem blinden Menschen das Augenlichtschenkt. Jesus, der aber auch in einem weiteren Sinn das Licht der Welt ist.

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Das Stichwort des Lichts schlägt einen Bogen ganz zumAnfang der Bibel undzu Gottes Schöpfungshandeln. Wichtig ist hier, die weiteren Lesungen desSonntagsmit aufzunehmen.Das Licht hat auch, wie in der alttestamentlichenLesung und im Wochenspruch anklingend, einen vereinenden, zusam-menbindenden Charakter für die, die sich auf Gott, den Ewigen, berufen unddessen Gesandten nachfolgen wollen.

Die Predigt nimmt ihren Anfang mit einem bekannten Lied, in welchemdas Bild vom „Wandeln in Gottes Licht“ aufgenommen ist. So wird dieGemeinde symbolisch an die Seite der Jüngerinnen und Jünger gestellt, jaderer, die Gott, dem Ewigen, zu allen Zeiten gefolgt sind. Diese gemeinsamwandernde Schar nimmt den imPredigttext Geheilten gleichsammitfühlendin ihre Mitte und nimmt dasWunder gemeinsammit ihm (zunächst auch inseiner Befremdlichkeit) wahr, ohne es jedoch (wie im folgenden Kapitel) zuproblematisieren. Schon hier ist es möglich, ein anderes, ebenfalls als pas-send empfundenes Lied auszuwählen, das den je eigenen Schwerpunkt derPredigt aufgreift. Über den Vergleich von einem Refrain und den Stropheneines Liedes lässt sich die Heilsgeschichte wie auch die persönliche Glau-bensgeschichtemit einbinden, im Falle der vorliegenden Predigt amBeispielder Lichtmetapher.

Auch die konkreten Beispiele für Orte und Aktionen, die dem Leben undWandeln im Licht Gottes entsprechen, können vor Ort oder auf aktuelleEreignisse bezogen erweitert oder ersetzt werden.

Wenn zum Schluss der Predigt das Bekenntnis des Geheilten aufgenom-menwird, ist an die Stelle des genauerenWissens über seinenWeg mit Jesusder Weg der predigthörenden Gemeinde getreten, die sich auf dem Wegdurch die Predigt des Bekenntnisses zu Jesus, dem Christus, dem Licht derWelt, vergewissert hat.

Literatur

Marie Hecke, 8. Sonntag nach Trinitatis: Joh 9,1!7: Predigtmeditationen imchristlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe II, Berlin 2019, 305–310Mary Oliver, Devotions. The Selected Poems, New York 2017Klaus Wengst, Das Johannesevangelium. 1. Teilband: Kapitel 1–10, Theo-logischer Kommentar zum Neuen Testament 4/1, Stuttgart 22004

Liturgie

Lesungen

Jesaja 2,1–5

Johannes 9,1–7 513

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Matthäus 5,13–16Epheser 5,8b–14

Lieder

Lass uns in deinem Namen, Herr (EG.E 25)Gott, du siehst mich (freiTöne 33)We are marching in the light of God (Lebenslieder 187)

Gebet

Ewiger Gott,im Licht eines neuen Morgens kommen wir zusammen.Als deine Kinder. In deinem Licht.Wir kommen zusammen und hoffen auf deine Verheißung, dass in diesemLicht Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit sind.Öffne unsere Ohren, mache unsere Herzen empfindsam für die Strahlendeines Lichts.Lass es aufdecken, was im Dunklen ist,und lass heil werden, was gefährdet ist.Segne diesen Gottesdienst.Amen.

Text

„But I also say this: That lightis an invitation to happiness,and that happiness,when it’s done right,is a kind of holiness.“ (Mary Oliver)

Predigt

I. Licht-Klänge

We are marching in the light of God … Kommt, wir wandeln jetzt in GottesLicht…Töne und Rhythmus. Gottes Refrain. Einer von Gottes Refrains, derdurch die Bibel klingt. Wir Menschen finden die Musik zu diesen Refrains.We are marching in the light of God … Kommt, wir wandeln jetzt in GottesLicht… Ein uralter Refrain. Schon in den ersten Zeilen der Bibel erklingt er.

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Es werde Licht! Und zieht sichweiter durch das erste Testament. Taucht beimPropheten Jesaja wieder auf: Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst unswandeln im Licht des Herrn (Jes 2,5). Und in diesem Licht Gottes kann mansehen. Und dieses Licht Gottes kann das Dunkel der Blindheit durchdringen.Der Herr macht die Blinden sehend – so klingt eine Variante dieses Refrains(Psalm 146,8). So ist das Licht Gottes, dass es dasDunkle durchdringen kann.Und sowurde die Hoffnung auf das Licht und dasDurchdringen des Dunkelsweitergesungen und taucht wieder auf, als Jesus unterwegs ist. Der, der vonsich sagt: Ich bin das Licht der Welt. (Joh 8,12; 9,5) Und der von sich sagt:Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tagist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. (Joh 9,4). We are mar-ching in the light of God … Kommt, wir wandeln jetzt in Gottes Licht …Dieser Refrain verbindet uns durch Jahrtausende, verbindet uns als GottesKinder jüdischenund christlichenGlaubens. Beschwingt vonRhythmus undTönen halten wir aber doch plötzlich inne.

II. Lesung des Predigttextes

III. Begegnung voller Schatten

Da wird einer ins Licht gezerrt. Einer, der nicht sehen kann. Ein Anschau-ungsobjekt. Eine Gelegenheit, demLehrer Jesus eine schlaue Frage zu stellen.Gar nichts erfahren wir über diesen Menschen. Niemand fragt nach seinemNamen. Niemand stellt sich ihm vor. Vor ihm, vor seinen Ohren, diskutierenzunächst die Jüngerinnen und Jünger und Jesus selbst über ihn: Rabbi, werhat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? (Joh 9, 2)Hier stellt sichDunkel ein. Nicht nur wegen des unhöflichenVerhaltens – vorallem wegen dieser Frage! Kann das so einfach sein? Muss es denn einenGrund im Verhalten geben, dass dieser Mensch blind geboren ist? Für denMenschen, über den geredet wird, mag das nicht einmal das Schlimmstegewesen sein, was ihm passieren konnte. Immerhin redeten sie nur über ihn.Immerhin nahmen sie ihm nichts weg oder führten ihn auf einen gefährli-chen Weg. Vielleicht hatte er sich die Frage so ähnlich schon selbst gestellt.Warum ich? Warum muss ich mit dieser Blindheit leben?

Er wird ins Licht gezerrt. Und die theologische Diskussion um ihn herumgeht weiter : Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern essollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werkedessenwirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht,da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht derWelt. (Joh 9,3–5). Es wird deutlich – die Szene ist literarisch konstruiert vonJohannes. Er möchte hier beleuchten, wer Jesus ist. In wessen Auftrag erhandelt und mit welcher Macht. Und doch schmerzt es, dass in dieser so

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lebenswichtigenBegegnung keinwirklicherKontakt entsteht, zwischen dem,der im Dunklen lebt, und dem, der das Licht der Welt ist.

IV. Heilung?

Und dann doch eine intime Berührung – Jesu Speichel ist es, der zumMittelder Heilung wird. Der auf die Augen gestrichen und am Teich Siloah abge-waschen, das Augenlicht bringt.

Erst in den darauffolgenden Versen kommt der Mann selbst zu Wort. Esbestehen Zweifel, ob er wohl wirklich geheilt worden ist. Ist das nicht nur einMann, der diesem ähnlich sah? Sogar seine Elternwerden befragt. Denn nunkönnen dieMenschen ihm in die Augen sehen. Das ist eine ganz neue Art derBegegnung. Den Blinden am Straßenrand sieht niemand. Ihn nimmt nie-mand richtig wahr. Aber wenn er sehend umherläuft, dann ist er sichtbarund wahrnehmbar. Ein ganz anderer Mensch.

Es ist ein Lehrstück, diese Heilung und die folgende Auseinandersetzungum den Geheilten und seinen Heiler. Kann es tatsächlich sein, dass dieserJesus Gottes Licht mit sich in die Welt bringt? Ein Licht, das Menschen neuleben lässt, neu glauben lässt? Dass durch JesuWirken dem alten Refrain vonGottes Licht und dem Leben in diesem Licht weitere Strophen hinzugefügtwerden?

V. Leben als Licht

We are marching in the light of God … Kommt, wir wandeln jetzt in GottesLicht … Jetzt … Im Licht Gottes wandeln, heißt auch, sich zu Jesus zubekennen. Zu dem, der von sich sagt: Ich bin das Licht der Welt. Und durchden, von seinem Auftrag abgeleitet, von uns gesagt wird: Ihr seid das Lichtder Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondernauf einen Leuchter ; so leuchtet es allen, die imHause sind. So lasst euer Lichtleuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vaterim Himmel preisen. (Mt 5,14–15)

Das ist das Gute an einem Lied mit einem Refrain und mit mehrerenStrophen. Der Refrain sorgt für Beständigkeit, wo die Strophen aktuell neuentstehen können. Es ist eine lange Zeit vergangen, seit Jesus mit seinenJüngerinnen und Jüngern unterwegs war. Es ist eine lange Zeit vergangen, inder Menschen aufgrund einer Einschränkung beurteilt, sogar verurteiltwurden. In der Feindschaften zwischen Menschen jüdischen und Menschenchristlichen Glaubens gepflegt und geschürt wurden. Lange Zeiten, in denenum den Platz im Licht Gottes gerungen wurde – anstatt sich darum zubemühen, diesen Platz bekannt zu machen und andere dorthin einzuladen.Es ist Zeit, die lichtvollen Orte in unsererWelt zu stärken. Die Orte, an denen

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Gottes Refrain, das Lied vom Leben, im Licht und in der Liebe Gottes ge-sungen wird. An denen neue Strophen entstehen.

VI. Licht-Orte

Welche Orte fallen ihnen ein? Orte, an denen jeder Mensch so angenommenwird, wie er oder sie ist. Orte, an denen die Vielfalt von Gottes Schöpfunggelebt und die Unterschiedlichkeit gefeiert wird. Orte, an denen der Platz imLicht geteilt und erweitert wird.

Ich denke an das Berliner Projekt „House of One“. Die Organisatorensagen zu diesem Projekt: „Unsere Welt braucht dringender denn je Orte desFriedens. Orte, an denen wir lernen, in unserem „einen Welthaus“ gemein-sam zu leben, wie Martin Luther King einst in Berlin sagte. Juden, Christenund Muslime haben sich deshalb in Berlin auf den Weg gemacht, für eineVerständigung unter den Religionen ein völlig neues, zukunftsweisendesSakralgebäude gemeinsam zu planen, zu bauen und mit Leben zu füllen.Religionen in ihrem Kult und im Austausch mit Wissenschaften, Kunst undKultur können eine Bereicherung sein – allen Gräueltaten, die unter Beru-fung auf die Religion begangen werden, ein Modell eines friedvollen Mit-einanders entgegenzusetzen.“ (www.house-of-one.org)

Ich denke an die Freiwilligen, die über „Aktion Sühnezeichen Friedens-dienste“ ein Jahr imAusland verbringen. Ob in der Ukraine oder in den USA– diese jungen Leute verbreiten Licht. In jüdischen Organisationen in denUSA lassen sie Menschen neu sehen, was auch eine Wirklichkeit inDeutschland ist: Junge Leute, die sich der Vergangenheit und den schreck-lichen Gräueltaten der Nazizeit stellen. Die sich anfragen lassen – weit überihre eigene Verantwortung hinaus. Die Menschen zusammenbringen, diesich zuvor nicht begegnet sind. Neues Licht in das alte Dunkel bringen, dasist ihr Auftrag. Und das gelingt ihnen.

VII. Lichtspuren

In unserer Welt können wir nicht mehr mit Abstand aneinander vorbeige-hen. Können nicht übereinander diskutieren. Wir, die wir bewegt sind vonGottesWirken, von Gottes Licht in dieserWelt, sind ausgesandt, dieses Lichtzu verbreiten. Für ein Kennenlernen, für das Miteinander, für die Zukunfteinzutreten. Zu unserem Glauben zu stehen – nicht in Abgrenzung, sondernim Wissen um unser Angewiesensein auf einen gemeinsamen Weg.

Jesu Heilung des Menschen, der blind geboren war, hat damals, soschildert der Evangelist Johannes, die Menschen irritiert. Wie kann jemand,der sowenig einschätzbar ist, der am Sabbat einen heilenden Brei zubereitet,wie kann so jemand eine solche Tat vollbringen und einen Blindgeborenenheilen? Auch diese Irritation ist heilsam. Gottes Wirken können wir Men-

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schen niemals vollständig einordnen und einschätzen. Gut ist es aber, wenndas Zeugnis von diesem Wirken Menschen ins Nachdenken bringt. InsNachfragen und in die Kommunikation überhaupt.

Schlimm ist es, wenn alles gesagt scheint. Wenn der Refrain zum aller-letzten Mal erklungen scheint …

We aremarching in the light of God…Kommt, wir wandeln jetzt inGottesLicht… Jetzt…Denn der Refrain ist nicht verklungen und immer entstehenneue Strophen. Von Gottes Wirken heute und hier.

Glaubst du an den Menschensohn? fragt Jesus den Geheilten.Er antwortete und sprach: Herr, wer ist’s, auf dass ich an ihn glaube? Jesus

sprach zu ihm:Du hast ihn ja gesehen, und dermit dir redet, der ist’s. Er abersprach: Herr, ich glaube. Und er betete ihn an.

Katja Albrecht, Pfarrerin und Systemische Beraterin, arbeitet als „Pastor forGerman Ministries“ in der Vereinigten Kirche/The United Church in Wa-shington, [email protected]

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9. Sonntag nach Trinitatis – 9. August 2020 Jeremia 1,4–10

Die Zeit im Lichte Gottes sehen

Johannes Gruner

Auslegung

Das Jeremiabuch ist im Exil in Babylon zusammengestellt worden. Die unsvorliegende Berufungsgeschichte wurde wohl erst eingefügt, als man dasganze Buch vor sich hatte (Fischer, 27). Die Berufungserzählung hat Par-allelen zur Prophetenberufung Jesajas (Jes 6,1–3) und Ezechiels (Ez2,1–3,11) sowie der desMose (Ex 3,1–4,17): Auftrag, Einwand, Zusicherungund Zeichen (vgl. Fischer, 132). Der Ort der Gottesbegegnung wird nichtgenannt, denn Jeremias Botschaft ist nicht an einen Ort gebunden. Er istProphet auch für die Völker. Seine Botschaft ist universal (vgl. Jer31,31–34).

V. 5: Gottes Handeln geschieht an Jeremia schon vor der Empfängnis. Seinganzes Leben ist in Gottes Wirkungsbereich, Gott kennt Jeremia. Das he-bräische Wort für „kennen“ (jada) weist auf eine innige Nähe Gottes zumPropheten hin.

V. 6: Um seine Unfähigkeit zu predigen zu beschreiben, benutzt Jeremianochmal jada, nun aber in der Bedeutung von „wissen“. Darum braucht erGottes Unterstützung, denn „Gott wirklich angemessen zu verkünden,übersteigt rein menschliche Fähigkeiten“ (Fischer, 135). Vielleicht hatJeremia deshalb das hebräische Wort „junger Mann“, d.h. zwischen 14 und18 Jahren, gewählt, um zu sagen, er sei nicht reif genug für diesen Auftrag. Esmag aber auch heißen, dass er sich vor dem großen Auftrag fürchtet, weil ergesellschaftlich nichts Besonderes ist, jemand, den man nicht ernst nimmt.Der „junge Mann“ ist noch nicht „Vollbürger“ (Werner, 38). Doch Gott istmit ihm. Das muss Jeremia genügen, um mit dem vorherzusehenden Wi-derstand fertig zu werden.

V. 7: Gott erwartet „vollständige Verfügungsbereitschaft“ (Fischer, 135).Die Besonderheit der Berufung des Jeremia liegt in dem letztenAbschnitt desVerses 7. Die beiden Verben „predigen“ und „gebieten“ erinnern wortgleichan Dtn 18,18: Jeremia, so die Tradition, ist der von Mose angekündigteProphet, der Israel die Gottesworte aktualisiert zu sagen hat. Nun aber habendie Gottesworte Auswirkung nicht nur auf Israel, sondern auf alle Völker.Die Botschaft weitet sich (vgl. Jer 1,10).

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 519–525, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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V. 9: Gott selbst legt seine Worte in Jeremias Mund. Bei Jesaja tut dies einSeraph, Ezechiel muss die Buchrolle selbst essen. Auch dadurch wird deut-lich, welches Gewicht die Worte des Jeremia haben werden und für wiewichtig die Tradenten die Jeremiaworte halten.

V. 10: Jeremiawird zumStatthalter (pakad) Gottesüber dieKönigreiche derVölker eingesetzt. Interessant ist der Tausch der vorfindlichen Wirklichkeit,denn nach außen ist Israel den Königreichen der Völker untertan. Schon inder Berufung taucht das Heil für Israel auf, das aber erst durch Not undUntergang gehen muss. Darin zeigt sich, wer letztlich der König der Welt ist.Jeremias Handeln ist letztlich Gottes Handeln (sub contrario). Darum stehendie sechs Verben ganz bewusst am Schluss: Die Vernichtung wird kommen,aber die Rettung ist schon angedacht. So, wie Gott Jeremia seit Urzeiten kennt,kenntGott auch die Zukunft.Was auch immer geschieht, amEnde steht GottesErrettung. Damit ist die Bedeutung Jeremias von Beginn an gegeben.

Umsetzung

Sind wir nicht alle Jeremia? Nein, wir sind nicht Jeremia! Seine Berufung isteinzigartig. Könnenwir dann über diese Perikope angemessen predigen? Dasteht ein Mensch, der sich selbst für noch nicht reif genug hält, sich von Gottbeauftragen zu lassen. Ein Mensch, der aber zugleich weiß, was alles ge-schehen kann, wenn er sich auf Gott einlässt. Ein Mensch, der seinem Gottnicht gleichgültig ist – im Gegenteil. Eine große Spannung und Spanne wirdin dieser Berufungsgeschichte aufgezeigt: DerWeltenherrscher, der war, seitder Grund derWelt gelegt ist, und seinwird, wenn dieseWelt vergeht, diesemGott ist kein Mensch unbekannt, ist kein Mensch gleichgültig. Von Gotterkannt zu werden und ihm ganz nahe zu sein heißt aber nicht, dass dasLeben dann einfach wird. Vielleicht wird das Leben sogar noch härter, dasich an Gott halten auch heißen kann, im Widerspruch zu den Werten derWelt zu leben. Gottes Wort zu hören und zu verkündigen kann auch miteinem gewissen Risiko verbunden sein.

Dies führt zu einer Demutshaltung, einer ständigen Vergewisserung, obman Gottes Wort richtig verstanden hat. Es führt zu einer besonders in-tensiven Nähe zu Gott und ständigen eigenen Infragestellungen, um ge-wisser zu werden, ohne letztendlich Sicherheit zu haben.

Wir sind nicht Jeremia. Aber können auch wir Propheten sein? AlsoMenschen, die die Gegenwart mit Gottes Augen sehen? Vielleicht wehrenwiruns dagegenwie Jeremia, nurmit anderer Begründung. Vielleicht sindwir zurational und sagen: Mein Horizont ist zu klein, als dass ich eine Zeitansagemachen könnte. Oder aber ich bin demütig fromm und sage: Stehe ich anGottes Stelle?

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Und doch gibt es Menschen, von denen wir sagen könnten: Das warenPropheten. Martin Luther King ist für mich solch ein Mensch und seineRede: „I have a dream.“ Oder ein Mensch wie Albert Schweitzer mit seinemMotto: „Ehrfurcht vor dem Leben“, das gerade derzeit wieder sehr aktuell ist– sollte es denn jemals nicht aktuell gewesen sein. Oder auchMutter Theresa:Sie hat mit ihrem Verhalten gesprochen und sich ganz für die Armen ein-gesetzt. Bei all diesen Prophet/innen kann man auch Fragwürdiges entde-cken. Sind sie deshalb aber weniger prophetisch? Gerade darum sind dieGestalten Vorbilder für unser prophetisches Reden und Handeln. Auch siehaben Widerstände überwinden müssen, wurden angefeindet, verachtet,ermordet, aber auch verehrt.

Es geht nicht um Vollkommenheit, sondern darum, Gottes Wort, seineBotschaft in die Gegenwart zu bringen. Auch uns kennt Gott und ist unsnahe. Es ist gut, dies zu wissen. Das wirft uns immer mehr zurück auf Gott.Der Mensch ist völlig auf Gott angewiesen. Allein im Vertrauen auf GottesZusage, bei uns zu sein, können wir von Gott reden, nicht aus eigener Kraft.Seine Kraft ist gerade in den Schwachen mächtig (vgl. 2. Kor 12,9). Er ist es,der am Ende alles heil machen wird.

Literatur

Georg Fischer, Jeremia 1–25, Herders Theologischer Kommentar zum AltenTestament, Freiburg/Basel/Wien 2005Georg Fischer, Jeremia. Prophet über Völker und Königreiche, BiblischeGestalten Band 29, Leipzig 2015JohnHenryNewman, Unverwechselbar : Axel Graupner, RosemarieMicheel,ZuMUTungen. Sieben Texte aus dem Buch des Propheten Jeremia, Neukir-chen-Vluyn 2007, 44Werner H. Schmidt, Das Buch Jeremia. Kapitel 1–20, Altes TestamentDeutsch, Teilband 20, Göttingen 2008Wolfgang Werner, Das Buch Jeremia, Kapitel 1–25. Neuer Stuttgarter Kom-mentar – Altes Testament 19/1, Stuttgart 1997

Liturgie

Lesungen

Matthäus 7,24–271. Korinther 1,26–31

Jeremia 1,4–10 521

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Lieder

Nun jauchzt dem Herren, alle Welt (EG 288,1–3)Die Erde ist des Herrn (EG.E 32,1–4)Gib, dass ich tu mit Fleiß (EG 495,2–4)Nun lasst uns Gott, dem Herren (EG 320,1.7.8)

Gebete

Gott,du hast uns berufen, etwas zu tun oder zu sein,wofür keine andere berufen ist.In deinem Plan hast du für uns jeweils einen Platz auf deiner Erde,den kein anderer hat.Ob wir reich oder arm sind,verachtet oder geehrt bei den Menschen –Du, Gott, kennst uns, und rufst uns bei unserem Namen.Öffne unsere Herzen und Ohren, den Ort zu entdecken,an dem wir für deine Welt wirken können.Amen.

(nach John Henry Newman)

Predigt

Jeremia in Ägypten

Da sitzt Jeremia inÄgypten. Niemand kennt ihn hier. Zumindest ist er nicht sobekanntwie in Jerusalemvor Jahren.Doch dort hatmanmit demFinger auf ihngezeigt. Als Miesepeter war er verschrien. Weder vom König noch vom Volkgelitten. Wie auch? Er hat schließlich angekündigt: „Jerusalem wird unterge-hen!“ Das hat niemand hören wollen. Denn die Jerusalemer waren stolz auf diePolitik ihrer Könige. Und die Könige auf ihre Politik. Sie glaubten, die richtigenBündnisse zu schmieden und dennoch unabhängig zu sein. Heil und Friedenglaubten sie so zu sichern. Sie handelten aber nicht nach Gottes Weisung.

Sicher, Jeremia hätte auch lieber Heil und Wohlergehen gepredigt. AberGott hat ihn nicht gelassen. Er hat ihn von Anfang an als Prophet erwählt.„Verkündige, was ich dir sage!“, so lautete der Auftrag, den Gott ihm ge-geben hat. Und das war: „Könige von Juda, eure Politik kann nicht gut gehen.Hört auf Gott und richtet danach eure Herrschaft aus!“

Von Anfang an war das so. Jeremia denkt zurück. Wie es war, als Gott ihnzum Propheten berief. Josia war damals König von Juda. Lang ist es her, aberihm ist, als ob es gestern gewesen wäre.

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[Predigttext: Jer 1,4–10]

Jeremia ohne Autorität

„Ich bin zu jung! Ich tauge nicht zu predigen!“ So hält Jeremia Gott entgegen.Er meint damit nicht nur sein Lebensalter. Er meint, was damit zusam-menhängt. Er meint damit: Die Menschen sprechen ihm ab, die Politik zudurchschauen. Prophet werden? Die Zeit im Lichte Gottes ansehen? GottesZeitansage laut verkünden? Jeremia ist realistisch. Dazu hat er nicht dasZeug. Denn es wird ihm nicht zugestanden werden. Es wird ihm abgespro-chen werden, predigen zu können. Die Menschen in Jerusalem und Judäawerden nicht auf ihn hören. Er hat nicht die Autorität dazu! Er stammt nuraus einem kleinen Ort nahe Jerusalem. Zwar kommt er aus priesterlichemGeschlecht. Dennoch hat er keinen Einfluss. Auf andere wird mehr gehört.Prophet? Das kann nicht gut gehen. Jeremia hat Angst! Zu jung, das ist mehrals das Lebensalter.

Ich sollte einschreiten

„Ich bin zu jung! Ich tauge nicht zu predigen!“ Ich höre, wie über Menschengesprochen wird, die anders sind als die in meiner Umgebung. Es werdenabfällige Bemerkungen über sie gemacht. „Die taugen doch sowieso nichts“,heißt es dann. „Grundsätzlich. Und überhaupt.“ Ich merke: Jetzt müsste icheinschreiten. Jetzt müsste ich den Mund aufmachen und sagen: „Wie redetihr eigentlich? Warum lasst ihr sie nicht gelten, auch wenn sie anders sind?“Aber ich schweige. Ich fürchte, ich bin allein. Suchend schaue ich herum.Aber ich sehe keinen Blick, der auf Widerspruch schließen lässt.

Ja, ich weiß, wie das ist, wenn man aufgefordert ist zu reden. Innerlichaufgefordert. Von meinem Gewissen, von meinem Glauben, von Gott. Undich weiß: Jetzt müsstest du endlich etwas sagen! Aber ich schweige. Ichschweige, weil ich Angst habe. Angst vor demWiderspruch. Angst vor demWind, dermir dann ins Gesicht bläst. Finde ich dannWorte, die überzeugen?Die wenigstens meinen Standpunkt verständlich machen? Oder prügeln dieanderen verbal auf mich ein? Lachen mich aus? Nehmen mich nicht mehrernst? Und am Ende gehöre ich nicht mehr dazu. Werde ausgegrenzt. Werdeeinsam. Dann doch lieber schweigen.

„Sage nicht: Ich bin zu jung!“ Sage nicht: Du kannst das nicht. Du bist zuunbedeutend. Du bist zu schwach. Sage nicht: Was kann ein einzelner schonmachen? Sage nicht: Mein Einfluss ist zu gering. So spricht Gott zu Jeremia.Den Auftrag hast du, Jeremia, von Gott. Dem eigentlichen Herrscher, demHerrscher der Welt. Ich weiß, wen ich beauftrage. Auch wenn du dir kleinvorkommst: Ich kenne dich. Ich stehe hinter dir. Du bist mir nicht gleich-gültig. Vertraue mir.

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Gottes Wort rüttelt auf

Wir vertrauen Gott. Wir glauben und sind überzeugt: Sein Wort hat auchheute noch Bedeutung. Auch für uns, die Menschen aus den Völkern. Wirhaben erlebt: Seine Worte sind hilfreich für unser Leben. Darum hören wirauf Gott. Darum wollen wir verstehen, was da geschrieben ist. Und wirwollen weitersagen, was wir gehört und erlebt haben mit Gott. Ja, wir habenerlebt: Dies hat Folgen für unser Leben. Wir haben erlebt: Das Wort Gotteshat uns selbst verändert. Wir wurden selbstbewusster. Wir sehen seither dieWelt kritischer. Mit den Augen Gottes. Unser Handeln ist bestimmt vonWorten der Schrift. Und wenn wir nicht immer danach tun, so fällt uns dasdoch auf. GottesWort rüttelt auf. Auch imAlltag. Es rüttelt auf und leitet unsbei dem, was wir täglich wirken und entscheiden müssen.

Wie sollen wir mit Flüchtenden und Geflüchteten umgehen? Können sie unswirklichgleichgültigbleiben?Könnenwir siewirklich zurückweisen?DieBibel istvoll vonMigration, vonFlucht, vonVertreibung.DasVolk Israel floh ausÄgyptenin ein Land, da Milch und Honig fließt. Maria und Joseph sollen nach Ägyptengeflohen sein, um ihrem Sohn das Leben zu erhalten. Der Apostel Paulus wurdeimmer wieder vertrieben und fand Aufnahme bei Glaubensgenossen in eineranderen Stadt. Wenn die alle nicht aufgenommen worden wären!

Martin Luther King

Sind wir Prophetenwie Jeremia? Haben auchwir einen Auftrag von Gott, etwassagen zu müssen in seinem Namen? Vielleicht geschieht es so, wie es MartinLuther King ergangen ist. Er ist hineingestolpert in den Apartheidskampf.Schonvor ihmhabenMenschen in denUSAgegen die Apartheid in ihremLandgekämpft. Er aber fühlte sich herausgefordert, laut und vernehmlich gegen diesogenannte Rassentrennung aufzubegehren. Klein war sein Anfang. Dochimmermehr schlossen sich ihm an. Schwarze undNichtschwarze. ImmermehrMenschen wurden auf sein Anliegen aufmerksam. Immer mehr haben ihmzugestimmt und sich mit ihm verbündet. Seine Bewegung wurde immer be-kannter. Bekam immer mehr Unterstützung. Die Trennung in Schwarz undWeiß wurde von immer mehr Menschen als ungerecht erkannt.

Doch Martin Luther King musste auch die Gegenseite erfahren. Er wurdeimmermehr angegriffen. Einerseits berühmt, andererseits abgelehnt. Am Endemusste er seinen Einsatzmit dem Leben bezahlen. Doch er wurde gehört. SeineWorte haben Geltung bis zum heutigen Tag. Der Traum, dass die Herkunft ineiner aufgeklärtenundmodernenGesellschaft keineRolle spielt, ist immernochnicht ausgeträumt. Es ist bis heute eine Aufgabe. Eine Aufgabe, die MartinLuther King aus seinem Glauben, aus seiner Bibellese und aus seinem Gott-vertrauen entnommenhat. Er hat seinenKampfgegendieApartheidverstanden

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als Aufgabe, die Gott ihm gegeben hat. Er hat sich dem nicht entgegengestellt,sondern hat diese Aufgabe angenommen als von Gott gegeben.

[Kurze Stille]

Jeremia wirkte vierzig Jahre

Es waren harte Worte, die der Prophet seinem Volk verkündigen musste.Vierzig Jahre lang predigt er : „Ihr werdet vernichtet werden.“ Wer hat ihmda noch geglaubt? Lange ist ja nichts geschehen. Die Menschen lebten ihrenAlltag, die Könige regierten, meist ohne nach Gottes Willen zu fragen. Undimmer wieder erhielt Jeremia von Gott den Auftrag: „Kündige meinem VolkIsrael den Untergang an.“ Jeremia hat viel gelitten. Er ist verspottet worden.Er wurde gedemütigt. „Wäre ich doch nie geboren worden!“, ruft er (Jer15,10). Es wurde einsam um ihn, weil ihn niemand mehr hören wollte. Aberam Ende erlebte er : Was Gott ihm aufgetragen hat zu verkünden, ist ein-getroffen. Jerusalem wurde zerstört, das Land verwüstet. Das Volk wurdenach Babylon deportiert oder die Israeliten sind – wie er, Jeremia – nachÄgypten geflohen. Und er hat darunter gelitten, dass alles so gekommen ist,wie ihn Gott zu reden beauftragt hat.

Bauen und pflanzen

Aber hier endet die Berufungsgeschichte nicht. Gott lässt den Prophetennicht hoffnungslos. Er zeigt ihm: Gott hat eine Zukunft für sein Volk. Ja,Jeremiamuss zusehen, wie Jerusalem zerstört wurde. Jeremia ging durch dieTrümmer der Stadt. Er sieht den Tempel: entweiht, geschändet, dem Bodengleichgemacht. Dennoch: Gottes Weg endet nicht dort, wo Trümmer zusehen sind. Gott begleitet die Menschen, die ins Exil deportiert werden. Erlässt sie nicht allein. Am Ende steht: bauen und pflanzen. Neues wirdsichtbar. Noch mitten unter den Trümmern wächst neues Leben. NeueHäuser werden gebaut. Darum haben die im Exil lebenden Israeliten dieWorte aufgeschrieben, die Gott durch den Mund des Propheten Jeremiasagen ließ. Weil sie das erlebt haben: Neues geschieht.Was zerstört wurde istnicht das letzte, was zu sehen ist. Hinter all dem keimt neues Leben. Gottführt aus den Trümmern und lässt Neues bauen. Das Volk ändert sich. DieIsraeliten haben erkannt: Selbst wenn es zunächst keine Wirkung hat, aufGott zu hören – Gott führt am Ende alles wohl hinaus. Noch während alleshoffnungslos erscheint, wird die Trauer überwunden. Es bleibt nicht dunkel.Gott schafft Neues. Der Mandelzweig beginnt zu blühen. (Jer 1,11)

Johannes Gruner, Pfarrer, ist Studienleiter am Pastoralkolleg der EvangelischenLandeskirche in Württemberg in Bad Urach und Seelsorger an [email protected]

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10. Sonntag nach Trinitatis – 16. August 2020 Römer 11,25–32

Die wundersamen Wege der HeilsgeschichteGottes

Felizitas Muntanjohl

Auslegung

Drei Kapitel des Römerbriefes verwendet Paulus dafür, der Frage nach demVerhältnis von Juden und Christen in Bezug auf die Erwählung Gottesnachzugehen. Haben die Juden ihre Erwählung verspielt, weil sie denChristusglauben nicht angenommen haben? Geht das Heil jetzt auf dieChristen über?Welche Rolle spielt „das Gesetz“ dabei? Kannman so oder soglauben und amEnde nimmtGott doch alle an? Oder haben nur die Christendie Wahrheit und sind schon die Sieger der Geschichte? Soll man, darf manJudenmission treiben?

All das sind schwierige Fragen, die schwerwiegende Folgen in der Ge-schichte gezeitigt haben. Das liegt zum einen daran, dass wir leicht in dieBeurteilung „richtig“ oder „falsch“ hineinrutschen: Es gibt nur entwederRecht oder Unrecht und das grundsätzlich und für immer. Natürlich lebenwir selber – hoffentlich – ständig in Entwicklung undVeränderung. Aber umdie Außenwelt handhaben zu können, greifen wir lieber auf feste Kategorienzurück, die uns leichter ein Urteil fällen lassen.

Zum anderen stehenwir noch immer, und heute besonders, in der Gefahr„Israel“ mit dem „Staat Israel“ gleichzusetzen. Dass in der Bibel Israel kei-neswegs für eine politische Größe stand, und auch „Juden“ nicht für eineVölkergruppe oder gar Rasse, sondern für eine Glaubensgemeinschaft miteiner besonderen Gottesgeschichte, das ist eine wesentliche Voraussetzungzum Verständnis des Textes. Es geht hier um Gottes Geschichte mit denMenschen, die an ihn und die neuerdings auch an Jesus glauben. Was be-deutet das für „die Juden“ oder „die Heiden“, die an Jesus glauben oder ebennicht? Und wie können wir diesen Gott verstehen, wenn er so sonderbareWege mit den Menschen geht?

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 526–534, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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Umsetzung

Paulus selbst steckt ja in dem Dilemma des Einordnens der Gottesge-schichte: Er ist überzeugter Jude mit guter Kenntnis des Gesetzes und dertheologischen Überzeugungen. Er ist aber jetzt auch Christ mit einer un-umstößlichen Christuserfahrung. Wie kann er das zusammenbringen zwi-schen den Gruppen, die die Existenz Jesu unterschiedlich deuten? Und wasbedeutet das für das Gottesverständnis? Wie können diese Gegensätze zu-sammengedacht werden? Er hat das „Geheimnis“ der Wege Gottes erkannt,das sich nur dem erschließt, der über die Zeitgeschichte hinaus eine Ahnungder Heilsgeschichte Gottes bekommt. Er findet drei Ebenen, auf denenGottes Handeln in der Geschichte deutlich wird und die zugleich der Bot-schaft der Heiligen Schriften und der Verkündigung Jesu gerecht werden:

1. Erste werden Letzte und Letzte werden Erste. Gottes Souveränität imgeschichtlichen Prozess.

2. Auch Feinde bleibenGeliebte. Gottes Souveränität und Treue in der Liebe.3. Ungläubige werden zu Begnadeten. Gottes Souveränität der Gnade.

Die Predigt soll dieser Aufschlüsselung des Gedankengangs des Paulus fol-gen und damit nicht etwa vernünftige Erklärungen versuchen, die es beiGottes Handeln nicht gibt, sondern das Verwundern auslösen, das auchPaulus betroffen und glaubend gemacht hat. Eine kritische Anwendung desGedankens auf die heutige Zeit soll uns europäisch gnadenübersättigteChristen neu fragen lassen, wie Gott wohl Seine Heilsgeschichte weiter-wandern lässt.

Literatur

Gottfried Voigt, Der zerrissene Vorhang, Berlin, 21975, 327–333Anselm Grün, Paulus und die Juden: Paulus und die Erfahrung des Christ-lichen, Stuttgart o. J. , 163–167

Liturgie

Lesungen

Psalm 122,1–92. Mose 19,1–6Markus 12,28–34

Römer 11,25–32 527

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Lieder

Nun danket Gott, erhebt und preiset (EG 290)Lobt und preist die herrlichen Taten (EG 429)Freunde, dass der Mandelzweig (EG.HN 613)Hevenu schalom alejchem (EG 433)Schalom chaverim (EG 434)

Gebete

Tagesgebet:

Ich bin wie ich bin.Du himmlischer Vater, liebst mich als dein Kind, so wie ich bin.Doch du siehst auch, wer ich sein kann.Du traust mir mehr zu als ich selbst.Du schickst mir Herausforderungen, Infragestellungen, neue Einsichten:neue Einsichten in deinen Weg mit der Welt und mit mir.Zeige mir, wer du bist, und zeige mir, wer ich in deinen Augen bin.Damit ich werde, wer ich sein kann.Amen.

Ideen für ein Fürbittengebet:

Respekt und Dankbarkeit für die, von denen wir kommen: Juden und„Griechen“ (d. h. alte Kulturen), Eltern und Großeltern, Lehrer und Pfarrer(oder Glaubensvorbilder).

Weisheit für die Gegenwart: Was sollte bewahrt werden, wo brauchen wirneue Ideen, wo müssen wir uns selbst ändern? Mut für die Zukunft: diepositiven Kräfte stärken, den Glauben weiterentwickeln und weitergeben,Gott etwas zutrauen.

Texte

Ich möchte hier eine persönliche Erfahrung einflechten. Als ich daraufaufmerksam wurde, wie selbstverständlich und gleichmütig wir Christenuns an Israels Stelle gesetzt haben und uns als Gottes Volk fühlten, hat michdiese Entdeckung sehr bedrückt. Denn ich fragte mich: Wenn Gott Israelverstoßen hat, weil es den Glauben verweigerte, wie wird es dann wohl unsChristen ergehen, wenn wir dasselbe tun? Warum soll Gott ausgerechnet anuns festhalten, wenn er seine erste Liebe aufgegeben hat? Wird er uns nichtgeradeso fahren lassen? Und hätten wir es nicht ebenso und noch viel mehr

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verdient als die Juden? Es konnte einem angst werden bei dem Gedanken!Darumwar es eine befreiende Entdeckung für mich, als ich bei Paulus lernte,dass Gottes Treue größer ist als Israels Nein zu Jesus als dem Christus! Denndadurch dürfenwir hoffen und glauben, dass Gottes Treue auch größer ist alsunser, der Christengemeinde Ungehorsam und Unglauben!(Hartmut Metzger, Vom Sinn der Erwählung [Röm. 11,25–32]: Israelim christlichen Gottesdienst. Predigten, Ansprachen, Begegnungen,Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum 10, Berlin1980, 115)

Juden und Christen sind, was ihre urzeitlicheHerkunft und ihre endzeitlicheZukunft angeht, eine Religion. Sie sind gegenwärtig, ihren geschichtlichenManifestationen nach, zwei Religionen. Die Einheit amAnfang und amEndeist Glaubensgegenstand oder Teil des Glaubens, die Zweiheit ist geschicht-liches Faktum und wohl auch geschichtlich nicht aufhebbar. Ein wesentli-cher Teil unserer theologischen, seelsorgerlichen, pädagogischen Aufgabewird darin bestehen, dies beides – die geglaubte Einheit und die ge-schichtliche Zweiheit beider Religionen – ins rechte Verhältnis zueinanderzu setzen.(Peter von der Osten-Sacken: Zum gegenwärtigen Stand des jüdisch-christlichen Dialogs und seinen Perspektiven. Aus: Rainer Kampling/Mi-chael Weinrich [Hg.], Dabru emet – redet Wahrheit. Eine jüdische Heraus-forderung zum Dialog mit den Christen, Gütersloh 2003, 212)

Predigt

Sonderbare Wege geht Gott mit uns

„Stellen Sie sich vor“, erzählte mir eine alte Dame bei einem Besuch imAltenheim „seit vielen Jahren konnte ich mit meiner Tochter über vielesreden, aber nicht über meinen Glauben. Damit konnte sie gar nichtsanfangen. Erst jetzt, wo ich schon so alt bin, ist sie langsam offen ge-worden. Sie ist ja nun selber schon älter. Und jetzt endlich kann ichmit ihrsprechen über das, was mich so sehr bewegt : über das Leben und wasdanach kommt, über den Glauben und was mich zweifeln lässt. Jetzt seheich : Bei Gott ist doch niemand verloren und er kann immer noch einenZugang finden!“

Ja, sonderbare Wege geht Gott mit uns! – Mir fallen einige Menschen ein,die ursprünglich aus einem kirchenfernen Elternhaus kamen und die ir-gendwannvomLichtstrahl des Glaubens getroffenwurdenund nunwussten:Das ist mein Weg!

Römer 11,25–32 529

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Aber leider fallen mir auch die ein, die in frommen Elternhäusern auf-wuchsen in der Selbstverständlichkeit des Glaubens und in immer größererKenntnis der Bibel, und die doch irgendwann das Gefühl hatten, in zu enggewordenen Kleidern zu stecken. Sie brachen aus und wollten nichts mehrdamit zu tun haben.

So unterschiedlich sind die Wege im Glauben, die wir bei den Menschenunseres Umfelds sehen. Doch ist unser eigener Weg denn klar und direktgewesen? Sindwir nicht auch einmal näher und einmal ferner zudemGlaubenunserer Vorfahren? Wovon hängt das ab? Und was war unser Anteil daran?

Gottes sonderbarer Weg mit Paulus

Der Apostel Paulus kann da durchaus mitreden. Er hat auf seinen scheinbarklaren, geradenWeg einen dicken Brocken hingelegt bekommen. Er war eingebildeter jüdischer Mann in Jerusalem mit römischer Staatsbürgerschaft.Weltoffen, aber auch fest verwurzelt im Glauben der Väter. Ein Mann mitPrinzipien undmit einemSinn für Ordnung. Er wusste, was recht ist undwassich bewährt hat.

Dass da ein Mann namens Jesus aus dem Ort Nazareth mit einer ScharJünger durchs Land wanderte und predigte, hatte er wohl nebenbei gehört,aber nicht ernst genommen.Was sollte so ein Nichtsesshafter ohne geregelteArbeit schon zu sagen haben? Man erzählte sich, dass er Wunder tat. Aberwas erzählt das einfache Volk nicht alles! Es hieß, er legt die HeiligenSchriften ziemlich radikal aus. Was fällt ihm ein? Er war doch keinSchriftgelehrter! Die Aufregung wird sich schon legen. Dieser Jesus wardann auch wegen Aufruhr und Gotteslästerung hingerichtet worden. Klar,das musste ja so kommen. Man kann den religiösen Eifer auch übertreiben.Lieber gemäßigt und in der bewährten Form bleiben!

So dachte Paulus wohl. Es hätte nach Jesu Kreuzigung tatsächlich auchalles vorbei sein können. Wären da nicht plötzlich Leute aufgetaucht, diesagten: Er ist nicht tot, er lebt! Wir glauben, er war nicht nur ein Prophet,sondern er ist der ersehnte Messias, er ist Gottes Sohn!

Das geht Paulus nun zu weit. Von jetzt an wird er für Ordnung sorgen.Diese Zerstörer des Glaubensmüssen hart bestraft werden, sonst gerät ja dasganze Glaubensgerüst ins Wanken! Wer kann sich erdreisten, einen ge-kreuzigten Menschen für des Ewigen Sohn zu halten!

So wurde Paulus zu einem Verfechter des alten Glaubens und zu einemVerfolger der jungen Sekte. Er war dabei, als Stephanus gesteinigt und zumersten Märtyrer der Christen wurde. Und er wollte, dass auch weiter sovorgegangen wird.

Doch dann, auf demWeg nach Damaskus, trifft ihn ein Licht und er hörtdie Stimmedes Christus: „Paulus, warumverfolgst dumich?“ Er, dermeinte,

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alles klar zu sehen, wird blind. Er, der ein eindeutiges Ziel anstrebte, musstesich von anderen führen lassen. Er, der die jungen Christen verfolgte, mussteum Aufnahme und Verzeihung bitten bei einem Christen und dessen Ge-meinde. Sein Leben änderte sich radikal. Er wusste nun, dass Jesus lebt. Erhat ihn nie gesehen, aber er hat ihn gehört. Da wurde ihm klar, dass er beibestem Wissen und Gewissen auf dem Holzweg gewesen war. Er erkannte,dass auch der bewährte Glaube bereit sein muss, sich zu verwandeln. WennGott, der Ewige, neue Wege mit uns gehen will, dann müssen wir bereit seinzum Aufbruch. So wurde Paulus vom Verfolger zum Missionar, vom Judenzum Judenchristen.

Doch wir können uns vorstellen, dass das kein einfacher und dabei fol-genschwerer Umbruch in seinem Leben war. Was dachten seine Familie undseine bisherigen Bundesgenossen? Wie reagierten die Christen, die in ihmden Verfolger fürchten mussten? Wie stand er vor sich selbst da – alsGlaubender, als Denkender, als Aktivist? Er musste begreifen lernen, was dageschehen war. Er musste Juden und Christen verständlich machen können,warum er nun überzeugt ist, dass Gott in seiner Geschichte mit den Men-schen einen neuen Weg eingeschlagen hat.

Geheimnisse

Wir könnenuns vorstellen, dass es zwischen denunterschiedlichenGruppenReibereien gab. Die Juden, die Jesus im besten Fall für einen Prophetenhielten, wenn nicht gar für einen Scharlatan, die sagten: „Was fällt euch ein,unseren bewährten Glauben mit solchen Fantasien zu verderben! Wenn derMessias gekommen wäre, müsste das jeder merken.“

Diemessianischen Juden sagten: „Schaut doch, was Gott mit diesem JesusGroßes getan hat! Er erfüllt doch die Verheißungen des Alten Bundes!“ Unddie Heidenchristen meinten: „Wir haben erkannt, wieviel Befreiung Gottschenkt, auch von euren Gesetzen. Gott hat einen neuen Bund geschlossenund jetzt mit uns!“

In diesenQuerelen steckt nun der Apostel Paulusmittendrin.Wie sollte erPosition beziehen zwischen der jüdischen und der christlichen Gemeinde?Hat Gott sich von den einen weg, den anderen zugewendet? Was für einenWeg nimmt Gott da?

Und dann erschließt sich ihm das Geheimnis des Weges Gottes. In dreiHinsichten erkennt er, wie Gott immer schon war und warum er uns immerneu erscheint.

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1. Erste werden Letzte und Letzte werden Erste

Niemand hat seine Stellung für immer: Könige werden zu Verfolgten undHirtenjungen zuKönigen. Erstgeborenewerden zu FlüchtigenundRechtlosezu Geehrten. Gottes Wege sind unberechenbar, aber sie haben einen Sinn.Denn Menschen, die eine gute Position haben, werden leicht träge undselbstgefällig. Sie vergessen, wem sie ihr Wohlsein verdanken und spielensich als Herren auf. Aber kleine, gesellschaftlich unbedeutende Menschenhaben vielleicht gerade die Demut und die Lebensweisheit, die sie für Großesfähig macht. Vielleicht braucht es manchmal die Umkehrung der Verhält-nisse, damit etwas Gutes weiter geht. Gott veranstaltet manchmal eine stilleRevolution, ohne Gewalt undMachtgelüste, sondernmit demRuf zu Freiheitund Verantwortung, Gotteserkenntnis und Menschenliebe. Wer seineStimme hört und ihr folgt, verändert die Welt zum Guten.

Als Gott Jesus in dieWelt schickte, geschah so eine stille Revolution: Gott,der doch der Größte ist, macht sich selbst zu einem kleinen Kind; er geht alsPrediger und Heiler durch die Welt, unscheinbar, verwundbar – und dochbefreiend und mitreißend. Am Ende stirbt er wie ein Verbrecher – und zeigtsich als Lebendiger. Wenn das keine stille Revolution ist, keine Umkehr allesGewohnten und Bekannten!

Das ist so unbegreiflich, dass selbst die, die mit diesem Gott schon einelange Geschichte der Befreiung und der Überraschungen erlebt haben, eskaum fassen können. Nur wenige schließen sich diesem neuen Glauben an.Doch diese gehen in die heidnische Welt Mitteleuropas und finden in denverschiedensten Ländern Gehör undNachfolger. Der Glaube breitet sich aus.

Ahnen Sie den Sinn, den Paulus darin sieht? Die Ersten, die Jesus erlebten,haben den Glauben verweigert. Nur deswegen sind die Apostel in die weiteWelt gezogen und haben dort gepredigt. Nur deswegen hat sich der christ-liche Glaube in der Heidenwelt ausgebreitet. Hätte Israel den Glauben anJesus angenommen, wäre das eine innerjüdische Veränderung geblieben, diebei denHeidenvölkern keine Rolle spielt.Wir wären heute keine Christen. Soaber hat sich der Glaube in der ganzen Welt verbreitet. Die Letzten sind zuErsten geworden.

Und was ist mit den Juden? Sind sie jetzt Verlorene, oder gar Feinde? Jetztkommt das zweite „Geheimnis“, das Paulus versteht:

2. Auch „Feinde“ bleiben Geliebte

Gottes Geschichte ist fest mit dem Bund mit Israel verknüpft. Es gäbe dasJudentum nicht ohne die Befreiungsgeschichte Gottes mit diesem Volk. Undes gäbe unser Wissen von Gott nicht ohne die Geschichte des Bundes in denHeiligen Schriften im Ersten Teil der Bibel. Wir hätten Jesus nicht bemerktund nicht verstanden ohne die Glaubensgeschichte der Juden.

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Gott hat mit den Juden einen Bund geschlossen, der schonmanche Krisenüberdauert hat. Dieser Bund bleibt bestehen. Dieses Volk bleibt sein ge-liebtes Volk. Und auch, wenn seine Geschichte nun einen Verbreitungswegüber dieVölker der Erde nimmt – seine Liebe zu demVolk seiner erstenWahlbleibt bestehen. Wer weiß, eines Tages werden auch sie das Heil Jesu ent-decken.

Gott lässt nicht los, mit wem er einen Bund schloss. Auch wenn wir unsabkehren, wenn wir verstockt werden oder bleiben – Gott kann nicht auf-hören zu lieben und zu warten und Zeichen seiner Treue zu uns zu senden.

Denn das ist das dritte „Geheimnis“ Gottes, das wir nur staunend be-merken können:

3. Ungläubige werden zu Begnadeten

Wir müssen nicht bleiben, wie wir immer waren. Wir können auch neueEinsicht finden und uns verändern. Wir können sogar von Gegnern undLeugnern Gottes zu begnadeten Gläubigen werden.

Kürzlich erzählte (mir) eine Benediktinerin von der Profess einer vierzig-jährigen Frau. Sie war als junge Frau aus der Kirche ausgetreten und hat sichals Atheistin verstanden.Über ein wechselvolles und schwieriges Leben ist sieimmer weiter suchend auch zu Tagen ins Kloster gekommen. Im Lauf der Zeithat sie immer mehr Fuß gefasst, ist Novizin geworden und nun endgültig insKloster eingetreten. Die erfahrene Benediktinerin erfährt als Gästebetreuerinimmer wieder solche erstaunlichen Geschichten Gottes mit den Menschen.Manche Menschen lässt Gott einfach nicht mehr los. Zum Glück.

Zum Glück für uns alle und für die Welt

Was soll aus derWelt werden, wennwir trotz allenWissens und Sehens unserLeben nicht ändern und sie weiter ausbeuten und zerstören?

Was soll aus den Menschen werden, die über Generationen in immergrößeremMaß Flucht und Vertreibung erleben und keine Zukunft mehr fürsich sehen können? Was wird da an Gewalt und Verzweiflung gesät?

Was soll aus der Kirche werden, wenn die Dingwelt ihre Verführungs-künste weiter treibt und der Egoismus zum Systemwird?Wer lässt sich nochvom Glauben packen und verwandeln? Wer hat noch eine leidenschaftlicheSehnsucht nach Gott und seiner Liebe?

„Ich mache mir keine Sorgen um die Kirche“, meinte die Benediktinerin zumir. „Es ist ja die Kirche Jesu. Der findet schon seinen Weg. Er wird sich etwaseinfallen lassen.“ Ich war verblüfft und berührt. Vermutlich hat sie recht.

In unserem übersättigten Europa nimmt das Interesse für Kirche rapideab. „Wozu für Kirche etwas zahlen? Ich brauche sie nicht“, höre ich vielesagen; das bekunden auch die Austrittsmeldungen. Ein frei schwebender

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Glaube an dies und das genügt dem kleinen Bedürfnis nach Spiritualität.Hier scheint das Christentum abzusterben. Wie würde Paulus das nennen?Der Teil Europas ist „verstockt“. Sie nehmen das Angebot Gottes nicht an.

Undwasmacht Gott? Er lässt sie in ihrer selbstgewählten geistlichen Leereund zieht weiter.

InAsien, Afrikaund Lateinamerika verbreitet sich das Christentumweiterund hat hohe Wachstumsraten. Vielleicht hat unsere Verstocktheit ihrenSinn darin, dass nun endlich die Völker anderer Erdteile ihr Christseinselbstverantwortlich entwickeln und leben können – und am Ende sogarunsere Lehrer seinwerden. Vielleicht werden sie jetzt von den Letzten zu denErsten. Gottes Barmherzigkeit ist zu ihnen weitergezogen wegen unsererGottvergessenheit.

Und irgendwann – Gottes Geduld ist groß! – werden vielleicht auch wirentdecken, was für wundersame Umwege Gottes Liebe geht. Damit am Endedoch alle Menschen dieser Erde die Möglichkeit hatten, zu ihm zu finden.Und kein Volk und kein Mensch sich über den anderen erhebt, weil wir allegelernt haben, wie sehr wir von Gottes Barmherzigkeit leben.

Felizitas Muntanjohl, Pfarrerin, arbeitet als Altenseelsorgerin in Wiesbadenund als Gemeindepfarrerin in Wallmerod/[email protected]

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11. Sonntag nach Trinitatis – 23. August 2020 Lukas 18,9–14

Hinterm Horizont geht’s weiter

Johannes U. Beck

Auslegung

In der dem lukanischen Sondergut zugehörigen Beispielerzählung vomPharisäer und Zöllner Lk 18,10–14 thematisiert Jesus „zwei Menschen“, diezunächst parallel dargestellt werden, imweiterenVerlauf aber zunehmend inKontrast zu einander treten. Aufgrund der Beurteilung in V. 14 erscheintdabei das Verhalten des Pharisäers negativ, dasjenige des Zöllners positiv.Beide sind auf der Erzählebene der Parabel als konkrete Personen zu ver-stehen, die bestimmte Verhaltensweisen symbolisieren, ohne dass diese sichder Gruppe, zu der die Erzählfiguren jeweils gehören, prinzipiell zuweisenließen. Dem korreliert die Beschreibung der Adressaten Jesu in V. 9, bei derder Verzicht auf die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe auffällt (andersz. B. Lk 16,1.14; 17,20.22). Insofern können Menschen jeglicher Couleur zuAdressaten der Erzählung werden. Wie der unmittelbare Kontext forciertzudem auch Lk 18,10–14 den Blick auf die Ränder, indem – wie in V. 1–8 dieWitwe, inV. 15–17Kinder – hier ebenfalls eineRandfigur „meisterhaft in denMittelpunkt gerückt“ wird (Popp, 683, vgl. 692).

Dass Pharisäer und Zöllner zum Tempel hinaufgehen, weist auf Gott alsdritten Pol der Figurenkonstellation hin (Popp, 682). Er stellt denjenigenBezugspunkt dar, der beide Personen miteinander verbindet und sie da-durch zugleich über ihren bisherigen Horizont hinausführen kann. DieseHorizonterweiterung wirkt sich nicht nur im Tempel, sondern in den All-tagsbezügen aus, die mit dem „Haus“ V. 14 repräsentiert sind. Allerdingslässt der Pharisäer, der für sein Gebet durchaus Raum in Anspruch nimmt,wenig Raum für GottesWirken. Der Zöllner hingegen hält sich zum sakralenRaum auf Distanz (Bovon, 212), bittet jedoch darum, Raum zu haben vorGott. Während der Pharisäer ihm diesen Raum abspricht, eröffnet dieFrömmigkeitsform des Pharisäers umgekehrt dem Zöllner keinen Zuganghierzu.

Nach V. 9 richtet sich Jesus an diejenigen, die sich nach eigenen Maß-stäben beurteilen und alle, die dem nicht entsprechen, wortwörtlich für„Nichts“ halten (Bovon, 207). Damit verlieren sie, wie Jesus beispielhaftaufzeigt, aber nicht nur „die Anderen“, sondern auch Gott. SeinWirken hebt

Homiletische Monatshefte 95. Jg. , S. 535–543, ISSN (Printausgabe): 0018-4276, ISSN (online): 2196-8012! 2020 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen

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die Grenze, die der Pharisäer „zwischen sich und dem Zöllner gezogen hat“(Wilk, 121–122), auf, indem Gott am Vorstellungshorizont des Pharisäersvorbei dem Zöllner Gerechtigkeit zuspricht. Die Erzählung konfrontiert dieAdressaten Jesu wie die Adressaten des Evangeliums so mit einem Bild vonGott, das sich an dessen Möglichkeiten orientiert, Selbstbeschränkungen zutranszendieren und – wie Lk 15 zeigt – zur Freude am Anderen zu führen.

Umsetzung

Aufgrund der mehrschichtigen Adressatenschaft der Beispielerzählung er-gibt sich eine Dynamik der Identifikation und Dissoziation, die im Duktusder Pointe des Textes jeweils dazu provoziert, den eigenen „Tellerrand“ zuerkennen und zu überwinden. Entsprechen die Adressaten auf der Erzähl-ebene eher der Figur des Pharisäers, rückt Jesus als Gegenentwurf eineRandfigur in den Mittelpunkt, die außerhalb ihres Blickes liegt. Die Adres-saten des Evangeliums dürften sich eher mit dem Zöllner identifizieren,unterliegen aber, indem sie sich damit vom Pharisäer abgrenzen, ebenfallseiner Perspektivverengung. Denn die Gefahr, überzeugt von den eigenenMaßstäben am Anderen vorbei zu leben, besteht grundsätzlich für beide.Demgegenüber gestattet die Einführung der Perspektive Gottes, sich undandere im Licht der sich hieraus ergebenden Möglichkeiten neu wahrzu-nehmen und dadurch an Raum dazuzugewinnen. Dies aufnehmend, legt diePredigt im Poetry-Stil „die anthropologische Struktur der beiden Persön-lichkeiten“ (Bovon, 202) und die damit verbundene Verlockung zu Identi-fikation und Abgrenzung zugrunde. Während schon die zweifache Selbst-zuschreibung deutlich macht, dass beide Seiten zum (eigenen) Menschseindazugehören, eröffnet das von Jesus propagierte Gottesbild ein inspirie-rendes Möglichsein, dessen potenzielle Auswirkungen anschließend wiederfür beide Seiten skizziert werden sollen. Jene Perspektiverweiterung ließesich im Gottesdienst versinnlichen, indem man klassische Raumpositio-nierungen vertauscht und so zu neuen Sichtweisen einlädt.

Nicht nur diejenigen, die sich imPharisäer wiedererkennen, sondern auchdiejenigen, die in „den Anderen“ den Pharisäer wiederfinden, fordert dieParabel heraus, zu entdecken, dass es hinterm Horizont weiter geht und derGott, den Jesus beschreibt, immer mehr ist, als es die eigene Vorstellungs-kraft zulässt. Besonders spürbar kann die Provokation, die eigene Binnen-perspektive zu verlassen, um Gott zu begegnen, in einem traditionellenGottesdienst werden. Denn als „der sakrale Ort, […] den man mit dickenMauern von der Welt scheidet“, „wird Kirche heute fast überall von denGläubigen und Ungläubigen gesehen. […]Manmuß den vor sich sehen, derüber die Landstraßen Galiläas und Samarias nach Jerusalem zieht, nir-

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gendwo zuhause, sich allen gesellend, um den tiefen Kontrast zwischen demAnfang und dem Heute zu ermessen“ (Käsemann, 200).Über die individuelle Zuspitzung hinaus gewinnt Lk 18,9–14 damit auch

ekklesiologisch Relevanz. In Sinne des Textes ließe sich das Verhältnis vonklassischen und neuen Gemeindeformen – etwa „Fresh X“ in England oder„Erprobungsräume“ in Mitteldeutschland – als „mixed economy“ denken(Moynagh, 116–119.250–254). Die Erzählung vom Pharisäer und Zöllnerermutigt dazu, im Nebeneinander nicht zuerst ein Gegeneinander, sondernein Miteinander vielfältiger Möglichkeiten Gottes zu wittern. So könnten imGottesdienst neueGemeindeformenvorgestellt und für gegenseitiges Lernengeworben, aber auch Partner- oder Patenschaften initiiert werden.

Literatur

FranÅois Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Teilband 3: Lk 15,1–19,27,EKK III/3, Düsseldorf u. a. 2001Ernst Käsemann, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 51972Michael Moynagh, Church in Life. Innovation, Mission and Ecclesiology,London 2017Thomas Popp, Werbung in eigener Sache (Vom Pharisäer und Zöllner). Lk18,9–14: Ruben Zimmermann (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu,Gütersloh 2007, 681–695Florian Wilk, (Selbst-)Erhöhung und (Selbst-)Erniedrigung in Lk 18,9–14,BN.NF 155, 2012, 113–129

Liturgie

Lesungen

2. Samuel 12,1–10.13–15aEpheser 2,4–10Lukas 18,9–14

Lieder

Gut, dass wir einander haben (Feiert Jesus! 1 237 u. ö.)Meine engen Grenzen (EG.W 589,1–4)Strahlen brechen viele aus einem Licht (EG 268,1–5)Wo ein Mensch Vertrauen gibt (EG.BT 648,1–3)Gott gab uns Atem, damit wir leben (EG 432,1–3)

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Gebet

Herr, mein Gott,du bist auch ein Gott der Anderen.Du bist immer auch jenseits meiner engen Grenzenund wirkst außerhalb meiner kurzen Sicht.Du bist immer auch da, wo ich dich nicht erwarte.Du bist ein Gott voller Möglichkeiten.Mache aus Sackgassen neue Wege,aus verpassten Chancen neue Gelegenheiten,aus Ängstlichkeit Zutrauenund aus Skepsis und Neid gelebtes Miteinander.Und wandle meine Engstirnigkeit in Weitherzigkeit,auf dass ich dir Raum gebeund mich begeistern lasse von den Wundern, die Du tust –heute, und morgen, und jeden Tag neu.Amen.

Predigt

(Der Pharisäer in mir)

Ich kenne Menschen, die sich gern in den Mittelpunkt stellen,die viel Wellen um sich selbst machenund darauf achten, dass andere sie achten.Und die die Welt als Bühne verstehenund die Gutes tun, um sich selbst als gut zu sehenund um vor anderen und Gott etwas zu gelten.Sie sind überzeugt davon, das Richtige zu tun und zu sagenund wenn sie nach etwas fragen,dann fragen sie zuerst danach, was es ihnen bringt.Sie haben ihr Leben geordnet und sind entzücktvon einem „Vorstadtreihenhaus-mit-kleinem-Garten“-Glück.Und mit erhobenem Haupt treten sie aufund kennen immer die beste Antwort und teilen sie auch mit.Sie haben es zu etwas gebracht undsind anständige Leute und wissen, wie man sich benimmtund dass man in der Kirche den Hut abnimmtund auf der Straße „Guten Tag“ sagt.Und wer sich anders verhält, der hat noch viel zu lernenund ist jedenfalls kaum der Rede wert oder nur,um als Beispiel für den Satz „So geht es aber nicht“ zu dienen.

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Und so mag es diese Anderen wohl geben,aber wenn sie in den Blick kommen, dann nur als Dorn im Augeund ernst zu nehmen sind sie sowieso nicht.Und weil schon längst klar ist, was von ihnen zu halten ist,will man am besten auch so wenig wie möglich mit ihnen zu tun habenund stellt höchstens Vergleiche an und Verbindungen her,um sich von ihnen abzuheben.Und so macht man einen Bogen um die Anderenund gesteht ihnen keinen Raum zu, anders zu sein,weil man doch selbst froh und dankbar ist,gerade nicht so zu sein wie diese.„Nein, dazu gehören wir nun wirklich nicht!“ und„Nein, die gehören nun wirklich nicht zu uns!“,ruft man empört, pikiert, verächtlich, belustigt ausund ist dabei kritiklos überzeugt vom eigenen Lebensentwurf,in dem sich Selbstbewusstsein und Selbstgefühl nur einstellen,wenn man besser ist als andere.Es gibt Menschen, die sind so.Und ich bin einer von ihnen.

(Der Zöllner in mir)

Ich kenne Menschen, die sich lieber im Hintergrund halten,weil sie meinen, eh nichts zu sagen zu haben, und denken:Andere können das doch viel besser.Und die sich selbst kaum ein Lächeln schenken,weil sie an sich selbst verzweifeln unddaran zerbrechen, dass die Hoffnung auf ein erfülltes Lebenaussichtslos scheint und mutlos macht.Verstrickt in die Schicksalsschläge des Lebensverschwenden sie keinen Gedanken daran, nach den Sternen zu greifen.Und sie bitten vergebens – denn das bringt eh nichts –heimlich für ein bisschen mehr Luft zum Atmenund ein wenig mehr Raum, um zu sein.Sie haben sich eingerichtet in einem Leben voller Kompromisseund hoffen jeden Tag aufs Neue darauf,dass es irgendwie doch noch gut ausgeht.Sie tragen die Konsequenzen vorschneller Entscheidungenroh auf ihrem Rücken.Und während die Last des Alltags droht, sie zu erdrücken,zieht das Leben, ohne dass sie Teil davon wären, an ihnen vorbeiund macht sie zu Randfiguren.

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Und getrieben vom Versuch, auszubrechen aus den Zwängen,die sie permanent in den Schatten drängen,suchen sie nach einem Platz, an dem sie sein dürfen,und finden ihn gerade nicht in Konventionen.Und so gehen sie auf Distanz und bleiben fern von allem Mainstreamund trauen den althergebrachten Formen nichts zu,weil sie sich mit ihren Gaben und Fehlern,mit ihren Erlebnissen und Erfahrungen,mit ihrer Güte und Schuld,mit ihren Enttäuschungen und Glücksmomenten,mit ihrer Schönheit und Hässlichkeitdarin nicht wiederfinden.Und indem sie ihren Lebensentwurf auf ihre Lebensbezüge gründen,aus denen auch sie nicht herauskommen,pendeln sie unaufhörlich im Kreiszwischen dem Gefühl der Abhängigkeitund dem Bedürfnis danach, sich vom Üblichen zu lösen.Es gibt Menschen, die sind so.Und ich bin einer von ihnen.

(Gott als Gott der Anderen)

Es gibt diese und jene Menschen, und Jesus meint sie beide,wenn er die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner ersinnt,weil sie beide in unserer Welt zu Hause sind,und wer sich nichts vormacht, der weiß: auch im eigenen Herzen.Und geht nicht beiden etwas verloren,wenn sie beide mit geschlossenen Augen und Ohrenzum Tempel hinaufgehenund – egal ob sie hinab- oder hinaufsehen –an die Grenzen ihres Welt- und Gottesbildes stoßen?Denn was sie unterlassen, ist der Blick von sich weg und zur Seite,und so verpassen sie nicht weniger als Gottes Weite,weil sie ihn im Rahmen ihrer Weltsicht definieren,und dabei den Gott aus dem Blickfeld verlieren,der immer auch der Gott der Anderen ist.Doch die Welt fängt gerade dann an, sich für Dich weiterzudrehen,wenn Du selbst damit anfängst, zu verstehen,dass Gott immer mehr istund nie der, für den wir ihn halten.Er ist also der Dritte im Bunde und im Grunde der,der das Blatt wenden kann,

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wenn nicht Du ihn bestimmst, sondern er Dich.Denn er sieht auch die Anderen anund mutet Euch beiden zu:Hinterm Horizont geht’s weiter undhinter Deiner abgesteckten Welt ist viel Raum für Gottes Möglichkeitenund dafür, sein Wirken zu entdecken.Aber was wäre das nur für ein Gott,der auch jenseits der Grenzen Deiner Vorstellungskraft handeltund Menschen gerade dadurch verwandelt,dass er lächelnd den zu seinem Kind erklärt,der sich mit geschwollener Brust in den Mittelpunkt stellt,wie er umgekehrt auch in dessen Leben Segen spendet,der sich an den Rändern aufhält?Was wäre das nur für ein Gott,der immer schon da ist, wo Du ihn nicht erwartest,und der Dir schon fehlt, wenn Du meinst, ihn zu haben?Ist nicht genau das der Gott, von dem Jesus erzählt?Was wäre denn, wenn Gott Dich fragt: Was wäre, wenn?Wenn Gott ein Gott ist, der Deine Perspektive verändert,und Dein vermeintlich sicheres Schiff kentertund Deine Welt in neues Licht tauchtund nicht aufhört, Dich zu überraschen?

(Was wäre, wenn: Freude am Anderen)

Was wäre denn, wenn Gott tatsächlich ein Gott ist, wie Jesus ihn beschreibt,der Menschen auf beiden Seiten segnet und verändert,weil er ihre Grenzen übersteigt?Ja, dann …Dann würde ich Menschen kennen, die sich gern in den Mittelpunkt stellen,die viel Wellen um sich selbst machen,und dabei doch darauf achten,dass auch andere einen Ort haben, um zu sein,und sie Teil in einer Gemeinschaft sind, die sie beide verbindet.Sie würden tun, was man eben tut, und lassen, was man eben lässtund auf der Suche nach dem verlorenen Restdas für sie Verlorene gerade jenseits ihrer Selbstbeschränkung finden,die sie überwinden,indem sie einen wertschätzenden Blick auf die Ränder wagen.Und sie würden dort Gottes Wirken entdeckenund über seine Möglichkeiten staunenund sich von ihnen verändern, inspirieren, begeistern lassen.

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Und ihnen würde im Traum nicht einfallen, zu hinterfragen,dass Gott auch bei „den Anderen“ immer schon da und wirksam istund sie würden ihnen den Lebensraum nicht absprechen,den Gott auch „den Anderen“ schon längst zugesprochen hat.Und schon gar nicht würden sie Gefahr laufen, zum verlorenen Sohn zuwerden,der sich selbst vom Fest ausschließt und draußen auf dem Feld bleibt,weil er seinem heimgekehrten Bruder die Liebe des Vaters nicht zugesteht.Denn sie wissen genau, dass der Wind aus der anderen Richtung wehtund Du nicht mehr hast, nur weil Du anderen weniger gönnst,sondern Du nur dazugewinnen kannst,wenn Du Dich nicht in Konkurrenzen verrennst.Und mehr noch: Sie würden „die Anderen“ auf Augenhöhe ansehen,und sie so in ihren Augen zu Angesehenen machen,die nicht Streit und Missgunst entfachen,sondern ganz im Gegenteil die Freude am Anderen.Denn Gott segnet sie beide.Und sie würden Herz und Mund dafür einsetzen,dass aus einem Nebeneinander kein Gegeneinander wird,sondern ein Miteinander, in dem man voneinander lernt.Bist Du einer von ihnen?

(Was wäre, wenn: bereichernde Vielfalt)

Was wäre denn, wenn Gott tatsächlich ein Gott ist, wie Jesus ihn beschreibt,der Menschen auf beiden Seiten segnet und verändert,weil er ihre Grenzen übersteigt?Ja, dann …Dann würde ich Menschen kennen, die sich lieber im Hintergrund halten,weil sie meinen, andere hätten vielleicht mehr zu sagenund für das, was Konvention ist, auch mehr Verantwortung zu tragen.Und zugleich wären sie glücklich über den weiten Raum,an dem sie selbst Luft zum Atmen habenund an dem sie sich entfalten und den sie gestaltenund an dem sie sie selbst sein können.Und sie wären Teil in einer Gemeinschaft,in der sie gesucht und gewollt und gesehen werdenund in der sie immer neu Unentdecktes entdeckenund die Schönheit des Unperfekten spiegeln.Und sie würden voller Staunen auf die Sterne blicken,denn sie wüssten, dass sie immer mehr sind, als sie sind,weil sie immer auch das sind, was sie sein könnten,

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und eine Welt voller Möglichkeiten in sich bergen.Und anstatt nur immer sich selbst zu suchen und zu finden,würden auch sie ihre Selbstbeschränkung überwinden,indem sie das anerkennen können und nicht missen müssen,was sich tausendfach bewährt und darin Wert hat.Denn Sie sind überzeugt davon,dass auch Du mehr hast, wenn Du anderen mehr gönnstund nur dazugewinnen kannst,wenn Du Dich nicht in Konkurrenzen verrennst.Und mehr noch: sie würden Teil einer bereichernden Vielfalt sein,in der das Erbe der Anderen auch für sie ein kostbares Gut istund ein Schatz für das eigene Leben.Denn Gott segnet sie beide.Und sie würden Herz und Mund dafür einsetzen,dass aus einem Nebeneinander kein Gegeneinander wird,sondern ein Miteinander, in dem man voneinander lernt.Bist Du einer von ihnen?Wer Du auch bist: Der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, be-wahre Dich und Dein Herz in Christus Jesus.

Dr. Johannes U. Beck, Pfarrer, ist als Akademischer Rat am Lehrstuhl fürNeues Testament der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Uni-versität Jena tä[email protected]

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German Doctors helfen ehrenamtlich in Armutsregionen

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Klaus LiesegangFrauen-Power

Mit Herz und Haube

Herausgegeben vom Vorstand der Bethanien Diakonissen-Stiftung2020. 120 Seiten, mit 76 s/w und 27 farb. Abb., Paperback € 15,00 DISBN 978-3-525-54082-4

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LEBENSKONZEPT: DIENEN OHNE VERDIENST

Frauen-Power – das ist das große Engagement, die Energie und Leiden-schaft jener Frauen, die als Diakonissen seit 1874 in vielen Städten und Dörfern Menschen in verschiedensten Notsituationen geholfen haben. Ob in Krankenpflege und Kinderbetreuung, in der Begleitung Alter, Trauernder und Suchterkrankter, ihr Lebensmotto lautete: Nächstenlie-be. Ihre Arbeit wirkte dabei über den deutschsprachigen Raum hinaus bis nach Skandinavien, Russland, die USA, Japan und Afrika. Dieses Buch stellt Leben und Wirken der Frauen anschaulich in Text und zahlreichen Bildern dar und schafft jenen damit ein Gedächtnis.

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WIEDERENTDECKUNG DER FÜLLE DER GESTALTUNGSFORMEN UND PRAXISFELDER EVANGELISCHER SPIRITUALITÄT

Peter Zimmerling (Hg.)Handbuch Evangelische SpiritualitätBand 3: Praxis

2020. 926 Seiten mit 11 Abb., gebunden€ 60,00 D | € 62,00 A ISBN 978-3-525-56460-8

eBook € 49,99 D | € 51,40 AISBN 978-3-647-56460-9

Das Handbuch Evangelische Spiritualität erarbeitet in drei Bänden die Vielfalt und den Reichtum evangelischer Spiritualität. So werden die verschiedenen Facetten des wesentlich von Luthers Entdeckung der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden bestimmten Glaubens in das öffentliche Gespräch eingebracht und Wege zu seiner erfahrungsmäßigen Aneignung eröffnet.

Band 1 (Geschichte) widmet sich den historischen Wurzeln evangelischer Spiri-tualität in der Reformation und ihren unterschiedlichen Gestaltungsformen bis heute. Band 2 (Theologie) konzentriert die evangelische Lehre auf ihre spirituelle Relevanz. Band 3 (Praxis) entfaltet die reiche Praxis evangelischer Spiritualität in der Ökumene und Ortgemeinde bis hin zu Kunst und sozialer Verantwortung.

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Marianne Bevier | Christoph BevierSelig sind die Trauernden

Trauer in der Seelsorge

Edition Leidfaden – Basisqualifikation Trauerbegleitung2020. 135 Seiten, kartoniert € 17,00 DISBN 978-3-525-40690-8

eBook|ePub 13,99 D

GOTT IN DER TRAUER BEGEGNEN? TRAUERBEGLEITUNG MIT TRANSZENDENZBEZUG

In Kirche und Gesellschaft wurde Trauer als bedeutsames Thema wiederent-deckt. Dafür braucht es eine individuelle qualifizierte Begleitung von Trauern-den, die den hohen Standard kirchlicher Seelsorge wahrt und die Erkenntnisse der Trauerforschung aufgreift. Trauernde haben in der Bibel und christlichen Tradition einen eigenen Raum und eine eigene Würde. Daraus bezieht Trauerseelsorge ihr Selbstverständnis. Die Autoren geben eine biblische und theologische Grundlegung in Seelsorge und eine psychologische Grundlegung in Trauer. In Kapiteln zu Bestattung, Weisheit und Resilienz, Ritualen, Schuld in der Trauer und Hoffnungs- und Trostbildern werden Aspekte von Trauerseel-sorge nahegebracht. Eines der Hauptanliegen dieses Buches ist, seelsorgliche Kompetenzen für die Trauerseelsorge zu vermitteln und zu ermutigen, den Transzendenz- und Gottesbezug in die Beziehung einzubringen.

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HomiletischeMonatshefte� Für�Predigt�und�Gottesdienst

95. Jg. 2019 / 2020 Reihe II Heft 9 Juni 2020

ISSN 0018-4276 H 3844

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KRISENINTERVENTION KOMPAKT – THEORIE UND PRAXIS AUF EINEN BLICK

Otto Hofer-Moser | Gerhard Hintenberger | Melitta Schwarzmann | Rita De Dominicis | Franz Brunner

Krisenintervention kompaktTheoretische Modelle, praxisbezogene Konzepte und konkrete Interventionsstrategien

2020. 135 Seiten, kartoniert€ 17,00 D | € 18,00 AISBN 978-3-525-40851-3

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