Ist die Digitalisierung der Heilsbringer für ... - Newsroomdie Notwendigkeit der aktiven...

3
Prof. Dr. rer. oec Markus Thomzik (l.) und Prof. Dipl-Kfm. Kai Kummert (r.) im Gespräch Ist die Digitalisierung der Heilsbringer für die FM-Branche? Die Euphorie der Digitalisierung hat längst auch die FM-Branche erreicht. Stichworte wie Big Data oder die Vorstellung eines vollautomatischen Gebäudemanagements beflügeln die Phantasie. Service plus hat zwei aus- gewiesene Experten auf diesem Gebiet um ihre Einschätzung gebeten. Prof. Thomzik, Prof. Kummert, wo sehen Sie die Vorteile der Digitalisie- rung für FM-Unternehmen und natür- lich deren Kunden? THOMZIK Wir müssen uns zunächst fra- gen, was wir unter Digitalisierung verste- hen. Ging es anfangs um die Umwand- lung von Inhalten in digitale Daten, steht der Begriff heute eher für die Vernet- zung digitaler Tools: Industrie 4.0 also auch für FM-Dienstleistungen. Und hier sind bereits Trends und Erfolge erkenn- bar: Mehrere Datenquellen könnten auf einer Smart-Data-Plattform vernetzt wer- den, um Probleme frühzeitig zu erkennen und vorausschauend instand zu halten. Ausfälle von Aufzügen und Rolltreppen können so verlässlich vorhergesagt wer- den. Biometrische Systeme erleichtern Zutrittskontrollen und Flächenbelegungs- konzepte. Mit miniaturisierter Sensorik lässt sich die Performance von Gebäu- den besser verstehen und detailliertere Real-Time-Gebäudenutzungsanalysen erstellen. Und das ist erst der Anfang. KUMMERT Und doch folgt nur zu häufig auf ein Hochgefühl eine tiefe Ernüchte- rung. Insofern empfehle ich, dass die FM- Branche zunächst konkrete Erwartungen formuliert, die sie mit der Digitalisierung verbindet. Dann kann die Digitalisie- rung durchaus positive Wirkung entfal- ten. Andernfalls bleibt unter Umständen am Ende nur ein diffuser Trend: Alle 56 Serviceplus 1/2016 Interview

Transcript of Ist die Digitalisierung der Heilsbringer für ... - Newsroomdie Notwendigkeit der aktiven...

Page 1: Ist die Digitalisierung der Heilsbringer für ... - Newsroomdie Notwendigkeit der aktiven Beteili-gung und Partizipation an Automati-sierungs- und Digitalisierungsprojekten erkannt

Prof. Dr. rer. oec Markus Thomzik (l.) und

Prof. Dipl-Kfm. Kai Kummert (r.) im Gespräch

Ist die Digitalisierung der Heilsbringer für die FM-Branche? Die Euphorie der Digitalisierung hat längst auch die FM-Branche erreicht. Stichworte wie Big Data oder die Vorstellung eines vollautomatischen Gebäudemanagements beflügeln die Phantasie. Serviceplus hat zwei aus- gewiesene Experten auf diesem Gebiet um ihre Einschätzung gebeten.

Prof. Thomzik, Prof. Kummert, wo sehen Sie die Vorteile der Digitalisie-rung für FM-Unternehmen und natür-lich deren Kunden?

Thomzik Wir müssen uns zunächst fra-gen, was wir unter Digitalisierung verste-hen. Ging es anfangs um die Umwand-lung von Inhalten in digitale Daten, steht der Begriff heute eher für die Vernet-zung digitaler Tools: Industrie 4.0 also auch für FM-Dienstleistungen. Und hier

sind bereits Trends und Erfolge erkenn-bar: Mehrere Datenquellen könnten auf einer Smart-Data-Plattform vernetzt wer-den, um Probleme frühzeitig zu erkennen und vorausschauend instand zu halten. Ausfälle von Aufzügen und Rolltreppen können so verlässlich vorhergesagt wer-den. Biometrische Systeme erleichtern Zutrittskontrollen und Flächenbelegungs-konzepte. Mit miniaturisierter Sensorik lässt sich die Performance von Gebäu-den besser verstehen und detailliertere

Real-Time-Gebäudenutzungsanalysen erstellen. Und das ist erst der Anfang.

kummerT Und doch folgt nur zu häufig auf ein Hochgefühl eine tiefe Ernüchte-rung. Insofern empfehle ich, dass die FM-Branche zunächst konkrete Erwartungen formuliert, die sie mit der Digitalisierung verbindet. Dann kann die Digitalisie-rung durchaus positive Wirkung entfal-ten. Andernfalls bleibt unter Umständen am Ende nur ein diffuser Trend: Alle

56 Serviceplus 1/2016

Interview

Page 2: Ist die Digitalisierung der Heilsbringer für ... - Newsroomdie Notwendigkeit der aktiven Beteili-gung und Partizipation an Automati-sierungs- und Digitalisierungsprojekten erkannt

wissen, es ist etwas Gutes, aber niemand kann sagen, warum und für wen. Grund zur Euphorie wäre meines Erachtens tat-sächlich gegeben, wenn es gelänge, mit Hilfe der Digitalisierung zu transparen-ten und weitgehend objektiv kontrol-lier- und steuerbaren Qualitätskriterien zu kommen. Unternehmen und Kunden beurteilen die vereinbarten Dienstleistun-gen heute immer noch in hohem Maße subjektiv und emotional. In diesem Fall würde eine Win-win-Situation geschaffen, die zum Vorteil der Unternehmen gerei-chen und dem Kunden nutzen würde.

Sie schätzen das Potential automati-sierter Abläufe nicht so hoch?

kummerT Nur ein Bespiel: Gerade im technischen Gebäudemanagement und der Gebäudeautomation wird den Kun-den seit Jahren versprochen, dass eine mit IT-Messgeräten ausgestattete Gebäu-detechnik und eine entsprechende Steu-erung den Durchbruch erzielen würden. Unsere Forschungen ergeben hier etwas anderes: Teilweise unkalkulierbares Nut-zerverhalten oder unterschiedliche Profile der Gebäude erfordern hochqualifizierte Techniker in der Leitwarte, die das Über-angebot an Einzelmesswerten beherr-schen.

Wo sehen Sie die Mehrwerte?

kummerT Die großen Produktivitäts-sprünge vermuten wir eher, wenn auto-nome und selbstlernende Assistenzsysteme ins Spiel kommen. Der Weg zu diesen Lösungen, die der künstlichen Intelligenz zugerechnet werden, ist für die FM-Bran-che jedoch weit und erfordert Anstren-gungen, die die Möglichkeiten der Bran-che aus Sicht der Beuth-Zukunftsforscher überfordern. Die Entwicklungskosten liegen im zweistelligen Millionenbereich. Eine kleine Gruppe von Digitalisierungs-gewinnern gibt es jedoch bereits: Dies sind Beratungen und Marktforschungsinstitute, die die großen digitalen Datenmengen

speichern, verarbeiten und auswerten. Diesem Anwendungsfeld des Big Data Analysing verdanken wir mehr Transpa-renz über Akteure, Preise, Benchmarks und Randbedingungen des FM-Marktes.

Thomzik Die Ausführungen des Kolle-gen machen es deutlich: Wir drehen hier an einem sehr großen Rad. Mein Ein-druck ist jedoch, der sich auch auf der letz-ten INServFM in Frankfurt/Main bestä-tigt hat, dass nicht wenige Entscheider hier lediglich eine unbedeutende Start-up-Szene vermuten, die sie kaum tangieren wird. Das könnte fatale Folgen haben.

Stichwort „Faktor Mensch“. Wo sehen Sie ihn in dieser Entwicklung?

kummerT Unsere Untersuchungen zei-gen, dass die Digitalisierung – egal wie umfänglich sie eingesetzt wird – auf den Menschen als Beobachter, Prüfer und Steuerer zwingend angewiesen ist. Je höher das Digitalisierungsniveau, desto besser ausgebildete MitarbeiterInnen sind gefordert, den Gesamtprozess der Dienst-leistung maßgeblich mitzugestalten. Autonome, digitale Lösungen, die den Menschen in Facility Services und Faci-lity Management-Prozessen ganzheitlich ersetzen, gehören mit heutigem Wissen dem Reich der Phantasie an.

Thomzik Hier stimme ich völlig mit Ihnen überein. Innovationen werden von Menschen gemacht! Gleichzeitig wird die Digitalisierung aber die Arbeitswelt erheblich verändern. Dabei ist es nur zu menschlich, wenn einige den Vormarsch von Algorithmen auch als Bedrohung wahrnehmen. Die Menschen sind näm-lich nicht nur Enabler, sondern auch gleichzeitig die größte Innovationsbarri-ere. Die Sorgen der Mitarbeiter vor den ungewissen Veränderungen der Digita-lisierung unterscheiden sich dabei nicht von den Sorgen eines Kerzenziehers, der am Horizont den noch schwachen Licht-schein der ersten Glühbirne wahrnimmt.

Ich vermute, es wird in weiten Teilen eine Umschichtung geben, da auch in den digitalen FM-Prozessen neue Kompeten-zen gefragt sein werden.

Wie kann eine Digitalisierung den größt-möglichen Kundennutzen bringen?

Thomzik Wenn der Mensch die größte Barriere im Veränderungsprozess dar- stellt, dann müssen wir jenseits der Inves-tition in digitale Tools, Plattformen und Geschäftsmodelle vor allem in eine „vor-laufende“ Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter investieren und sie in dem anstehenden Prozess mitnehmen. Vor allem das Unbekannte macht ja bekannt-lich Angst. Auch im FM werden wir nicht daran vorbeikommen, für unsere Branche bislang gänzlich unbekannte Mitarbeiter-profile zu nutzen.

kummerT Bereits heute ist es möglich, dem Kunden eine bessere „Sichtbarma-chung“ der Dienstleistung mittels Daten und Bildinformationen bereitzustellen. Unsere Untersuchungen haben deutlich gezeigt, dass diese unentgeltlich bereitge-stellten Zusatzleistungen Begeisterung bei den Fachabteilungen und Einkäufern her-vorrufen. Im Übrigen muss von Unter-nehmensseite hart daran gearbeitet wer-den, die vorhandenen Assistenzsysteme zu optimieren. Dadurch können Potenzi-ale in den Bereichen Betreiberverantwor-tung und Technische Gebäudeausrüstung sowie Technisches Gebäudemanagement und Automatisierung gehoben werden, die hohen Kundennutzen generieren. Bereits diese Reparaturdienste stellen eine sehr ehrgeizige Herausforderung für die Unternehmensseite dar.

Wo sehen Sie die größten Hemmnisse bei der Umsetzung?

kummerT Wenn wir ehrlich sind, müs-sen wir sagen, dass erfolgreiche Digitali-sierungsprojekte heute ausschließlich spe-zialisierte Meta-Medienkonzerne wie

57 Serviceplus 1/2016

Interview

Page 3: Ist die Digitalisierung der Heilsbringer für ... - Newsroomdie Notwendigkeit der aktiven Beteili-gung und Partizipation an Automati-sierungs- und Digitalisierungsprojekten erkannt

Alphabet (Google) und Internet-Konzerne wie Amazon vorweisen können oder auch kapitalstarke Branchen wie die Bereiche Automotive und Anlagenbau. Hemmnisse in der FM-Branche sind in erster Linie die fehlenden personellen und finanziellen Res-sourcen. Vor diesem Hintergrund muss die Branche sehr wachsam sein, was in den Think Tanks und F&E-Abteilungen der IT- und Technikkonzerne in Sachen Servicero-botik, Automatisierung und Digitalisierung entwickelt wird. Strategische Allianzen und Kooperationen mit den Digitalisie-rungstreibern sind enorm wichtig.

Zum Beispiel?

kummerT Ich sehe hier etwa Dussmann Service auf einem guten Weg. Die Koope-ration mit dem Fraunhofer-Institut in Sachen Servicerobotik zeugt davon, dass die Notwendigkeit der aktiven Beteili-gung und Partizipation an Automati-sierungs- und Digitalisierungsprojekten erkannt wurde.

Thomzik Ich würde noch einige Bar-rieren bei den genannten „personellen Ressourcen“ ergänzen: den Mangel an Mut, eine wirklich radikale Transfor-mation durchzusetzen, sowie fehlende Mitarbeiterkompetenzen. Hier ist er wieder: der Faktor Mensch. Die notwen-dige Vernetzung in den verschiedenen

Organisationseinheiten scheitert nur zu häufig, wenn liebgewordene Privilegien, Besitzstände, Budgets und vor allem ein veraltetes Kompetenzniveau geschützt werden anstatt Neues zu wagen, weil dies immer mit Unsicherheiten verbunden ist. Man braucht also zumindest einen dyna-mischen Rand von Mitarbeitern, der Risi-ken eingeht und einen Promoter, der die schützende Hand über die Digitalisie-rungs-Teams hält.

Wo sehen Sie den FM-Markt in zehn Jahren?

Thomzik Die digitalen Systeme werden sich nicht linear, sondern exponentiell weiterentwickeln. Die Frage ist nur, wer solche Entwicklungen vorantreibt. Das Gutachten einer Expertenkommission der Bundesregierung fällt ein vernichtendes Urteil: Neue Spieler dominieren zuneh-mend den strategisch wichtigen Zugang zum Endkunden und bedrohen die Posi-tionen etablierter Anbieter. Bleibt zu hof-fen, dass die eingangs erwähnte Euphorie in zehn Jahren nicht ängstlich-bedrück-ter Gereiztheit weicht, weil die „Digi-tal-Elephants“ wie Google oder Apple das Tempo der digitalen Transformation dominieren oder die "Digital-Piranhas", hungrige Start-ups, Teile der digitalen oder realen Märkte von den etablierten FM-Playern erobern. Wir müssen also

endlich beginnen, unsere digitalen Platt-formen zu bauen, um die unausweichli-chen Entwicklungen proaktiv zu gestalten und nicht gestaltet zu werden.

kummerT Der FM-Markt wird meh-rere externe Technologie-Pushes von Sei-ten der Meta-Medien, IT- und Internet-Konzerne sowie Anlagenbauern erleben, die die klassischen Services bis hin zu Geschäftsfeldern der FM-Unternehmen teilweise oder ganz zu ersetzen versu-chen. Hier kommt es darauf an, wie sich die Marktnachfrage (Market-Pull) ent-wickelt und was der Kunde bevorzugt. Die steigenden Arbeitslöhne sprechen dafür, dass zukünftige technische Lösun-gen zunehmend wirtschaftliche Vorteile gegenüber den klassischen lohnintensi-ven Services haben werden und damit ein hohes Substitutionspotenzial zeigen. Der FM-Markt wird sich bezogen auf einige Services nach unserer Auffassung struk-turell und damit bedeutsam verändern. Nur die gut vorbereiteten und flexiblen FM-Unternehmen werden diese Verände-rungen überstehen und für sich nutzbar machen können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Unsere Interviewpartner

Prof. Dr. rer. oec markus Thomzik lehrt und forscht seit 2005

im Fach bereich Maschinenbau und Facilities Management an der

Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. Er ist zugleich For-

schungsprofessor am Institut für angewandte Innovationsforschung

e. V. der Ruhr-Universität Bochum. Im Auftrag des deutschen Bran-

chenverbands GEFMA erarbeitete er 2010 federführend die erste

verlässliche Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der FM-

Branche. In seinem jüngsten Projekt hat er die Einschätzung der

Markt akteure zur Digitalisierung im FM empirisch erhoben.

Prof. Dipl-kfm. kai kummert lehrt seit 2007 an der Ber-

liner Beuth Hochschule für Technik und verantwortet als

Dekan den Fachbereich IV Architektur und Gebäudetech-

nik. Seit 2008 leitet er das dortige Kompetenzzentrum Bau-,

Immo bilien- und Facility Management. Bei seinen Forschun-

gen zur Digitalisierung unterscheidet Kummert drei Evoluti-

onsstufen: von der digitalen Aufbereitung von Informationen

über IT- bzw. technikgestützte Assistenzsysteme bis hin zu

autonomen, selbstlernenden Systemen.

58Serviceplus 1/2016

Interview