JACC | 21. November 2012 | Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht | Reform und Toleranz

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Reformation und Toleranz 21. November 2012 Im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Frauenkirche“ Schriftenreihe zu Grundlagen, Zielen und Ergebnissen der parlamentarischen Arbeit der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages

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Anlässlich des Buß- und Bettages sprach am 21. November 2012 Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen, in der Dresdner Frauenkirche über Reform und Toleranz.

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Reformation und Toleranz

21. November 2012

Im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Frauenkirche“

Schriftenreihe zu Grundlagen, Zielen und Ergebnissen der parlamentarischen

Arbeit der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages

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Inhaltsverzeichnis

EinführungSteffen Flath MdLVorsitzender der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages

BegrüßungHolger Treutmann, Pfarrer an der Frauenkirche und Mitglied der Geschäftsführung der Stiftung Frauenkirche Dresden

„Reformation und Toleranz“Christine Lieberknecht MdLMinisterpräsidentin des Freistaates Thüringen

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SchlusswortDr. Fritz HähleEhrenpräsident des Johann-Amos-Comenius-Clubs Sachsen

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Pfarrer Holger Treutmann

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Lie-berknecht, sehr geehrter Herr Landtags-präsident Dr. Rößler, sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Flath, sehr geehrte Damen und Herren,

von ganzem Herzen begrüße ich Sie namens der Stiftung Frauenkirche Dres-den an diesem schönen und für unsere Geschichte bedeutsamen Ort.

Der Buß- und Bettag war immer schon ein Tag der Neuorientierung, der Neu-orientierung im Gebet zum Gottver-trauen, der Neuorientierung aber auch auf Gottes Gebote und die Lehre Jesu Christi. Ein Tag, der nicht nur als privater Beicht- und Bußtag geübt wurde, son-dern öffentlichen und damit politischen Charakter hatte. Die gesamte Bevölke-rung wurde angesichts von Notständen und Gefahren zu Buße und Gebet aufge-rufen, bis dieser Tag dann unabhängig von aktuellen Notlagen einmal im Jahr auf einem festen Datum platziert wurde zur Neuorientierung.

Es gibt in dieser Kirche eine schöne „Merkwürdigkeit“. Das sind die beiden Muscheln, die sich rechts und links der Kanzel wie offene Ohren zur Gemeinde neigen. Darunter befinden sich keine Beichtstühle im herkömmlichen Sinn, aber doch Plätze, die auf das seelsor-

gerische Gespräch, das Bekenntnis der Schuld und den Zuspruch der Verge-bung hinweisen.

Jesus hat seine Worte manchmal – ähn-lich wie die alttestamentlichen Prophe-ten – mit dem Satz geschlossen: Wer Ohren hat zu hören, der höre! (Mk. 4,9; 4,23 vgl. Jer. 5,21).

Das war damals und ist bis heute ein Satz, der zur Prüfung aufruft, ob das, was wir tun und denken, noch mit dem Willen Gottes im Einklang steht.

In unserer leistungsorientierten Welt ist Selbstkritik, wenn sie mehr ist als fishing for compliments, nicht beson-ders gefragt. Der Druck, sich tadellos zu präsentieren, ist hoch. Da können sich leicht die Maßstäbe für Gut und Böse unmerklich verschieben. Hinzu kom-men viele Situationen, in denen wir in ethischen Konflikten manchmal nur die Wahl haben zwischen zwei verschie-denen Übeln.

Wenn wir in der Vortragsreihe z.B. im Forum Frauenkirche Persönlichkeiten zum Vortrag oder zur Diskussion einla-den, dann haben diese Veranstaltungen meistens den Wert, dass sie uns die po-litische oder gesellschaftliche Wirklich-keit differenzierter sehen lassen.

Begrüßung

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Ich finde, das sind wir als Christen-menschen unseren Politikern oder an-deren leitenden Persönlichkeiten im öf-fentlichen Leben schuldig, sie darlegen zu lassen, warum sie wie entscheiden.

Und wenn dann eine Rede gehalten wird, oder eine engagierte Diskussion geführt wird, dann habe ich die Hoff-nung, dass die Muscheln in der Chorba-lustrade Symbole dafür sind, dass Gott zuhört wie ein guter Seelsorger, und die Nöte, die Schuld, das Ringen um Wahr-heit und hilfreiche Entscheidungen bei ihm gut aufgehoben sind.

Wer Ohren hat zu hören, der höre.Im politischen Vortrag geht es um eine Exegese der Welt und Wirklichkeit, und

in der Predigt um eine Exegese der bi-blischen Botschaft. Meine Hoffnung ist, dass sich in den Dissonanzen und Zu-sammenklängen beider Ebenen Gottes Wort unter uns Gehör verschafft und Perspektiven auch für unsere politische Zukunft entstehen. Die barocken Mu-scheln der Chorbalustrade mögen zu solchem Hören leiten.

Deshalb seien Sie herzlich willkommen in dieser Kirche, die den Auftrag zum missionarischen Wort der Versöhnung in sich trägt, und damit auch Wege zu einer politischen Kultur des Friedens öffnen will.

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Steffen Flath MdL

Einführung

Vielen Dank, Herr Pfarrer Treutmann, für die Begrüßung und für die Gastfreund-schaft der Stiftung Frauenkirche. Der Johann-Amos-Comenius-Club Sachsen am Buß- und Bettag in der Frauenkirche, das ist eine gute Tradition geworden.

Christine Lieberknecht hat in der DDR Theologie studiert und dann auch einige Zeit als Pastorin in der Nähe von Wei-mar gearbeitet. Die friedliche Revolution führte sie dann in die Politik. Kultusmi-nisterin, Sozialministerin, Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Fraktionsvorsitzende, Landtagspräsiden-tin und seit 2009 Ministerpräsidentin.

Und, so denke ich, dass mit dem Vortrag „Reformation und Toleranz“ du ganz sicher auf dein Studium zurückgreifen kannst, aber ich denke auch, dass so manche politische Erfahrung in den Vor-trag mit einfließen wird.

Ich bin sehr neugierig, bin sehr ge-spannt, ich hoffe, Sie auch und ich freue mich jetzt mit Ihnen gemeinsam auf den Vortrag von Ministerpräsidentin Chri-stine Lieberknecht und ich möchte dir gerne das Wort übergeben. Bitteschön.

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Herzlichen Dank, sehr geehrter Vorsit-zender, lieber Steffen Flath, und auch Herr Pfarrer Treutmann, für die freund-liche Begrüßung. Ich freue mich auch über die Anwesenheit des Landtagsprä-sidenten, von Herrn Dr. Rössler und des Ehrenpräsidenten des Comenius-Clubs Sachsen, lieber Fritz Hähle. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf heute Buß- und Bettagsgemeinde, Co-menius-Gemeinde sagen – Ich begrüße Sie hier in der wunderbaren Frauenkir-che mitten in Dresden.

An dieser Stelle spreche ich Ihnen aus thüringischer Sicht meinen großen Re-spekt aus. Meinen großen Respekt vor unserem Nachbarland, den Sachsen, dass Sie etwas geschafft haben, wo uns, und das gestehe ich, in anderen Kon-stellationen, Mitte der 90er Jahre, leider die Kraft fehlte. Wo die Kraft fehlte, an dieser Stelle dem Zeitgeist zu widerste-hen und zu sagen, der Buß- und Bettag bleibt als Feiertag.

Man merkt es, wenn man in die Stadt kommt, es ist eine besondere Stimmung und doch etwas mehr Ruhe als sonst. Die Hektik des Alltags, das alles ist ein Stückchen zur Seite gerückt, und dass Sie diesen Tag mit Inhalt füllen, hier, auf diesem Grund, in der Frauenkirche, mit

„Reformation und Toleranz“Christine Lieberknecht MdL

dem neuen Jahresthema der Reformati-onsdekade, mit dem Thema „Reformati-on und Toleranz“ – ich denke, das ehrt Sie alle.

Es ist allerdings eine nicht ganz einfache Aufgabe für jemanden, der jetzt darüber ein paar Gedanken verbreiten möchte.

Reformation und Toleranz, das mag uns vielleicht im ersten Moment als sper-riges Thema erscheinen. Mit Blick auf Reformation und Freiheit oder Reforma-tion und Bildung – das geht einem doch ein bisschen leichter von den Lippen. Und dann war ja noch das wunderbare Thema Reformation und Musik, was wir vom 31. Oktober 2011 bis zum 31. Ok-tober dieses Jahres haben klingen lassen und genießen können.

Nun geht es um Reformation und Tole-ranz, dafür haben wir, wie ich finde, mit der Dresdner Frauenkirche einen sehr guten Ort. Ein Ort, an welchem schon die Geschichte zeigt, dass da im besten Sinn einige Musik enthalten ist. So stand an dieser Stelle im 12./13. Jahrhundert eine dreischiffige Basilika, die immer wieder von Zeit zu Zeit modernisiert wurde, bis dann die Reformation kam. Die Reformation kam, die Kirche wur-de zunächst 20 Jahre stillgelegt und

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nur noch als Begräbniskirche genutzt. Ich war am Montag in Bad Köstritz im Haus von Heinrich Schütz, und Heinrich Schütz ist auch hier begraben.

Erst 1722 entschloss sich dann jeden-falls der Stadtrat zu einem Neubau und beauftragte damit den berühmt gewor-denen Architekten George Bähr. Die Kirche behielt ihren Namen, obwohl die Evangelische Kirche die Marienvereh-rung so nicht kannte.

Diese Tatsache ist, wie mir scheint, durchaus ein Anknüpfungspunkt für unsere Thematik: Frühes ökumenisches Fühlen und Ökumene heute als Form der Toleranz. Ich möchte mir nun mit Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein wenig Zeit nehmen, um über folgende Zusammenhänge nachzu-denken: über die Toleranz, wie sie Jesus Christus gelebt haben mag.

Über den christlichen Glauben und die Toleranz der beiden Kirchen zueinander und gegenüber dem einzelnen Christen, über das Verhalten der Evangelischen Kirche gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen, über kirchliche Toleranz gegenüber der Politik und um-gekehrt, über die Toleranz der Politik gegenüber den Kirchen.

Für mich gehören dazu auch Impulse zum Nachdenken über das Verständnis von Toleranz im politischen Amt, über eine Toleranz, die nicht nur moralisch, sondern dem Christen auch im Sinne des

christlichen Glaubens geboten scheint und über Intoleranz der Religionen.

Ich bitte um Ihr Verständnis dafür, dass ich zunächst mit einer ganz schlichten Frage beginne, nämlich: War Jesus tole-rant? Alles, was wir über Jesus Christus wissen, deutet darauf hin, dass er seinen Jüngern den Glauben an Gott mit der Ge-wissheit verkündete, dass derjenige, der nicht gegen uns ist, für uns ist, wie wir im Markus-Evangelium lesen können.

Christsein bedeutet also nicht, einem elitären Zirkel anzugehören, sondern offen zu sein für das, was Jesus als Bot-schaft verkündigt. Das will heißen, Jesus bringt das Evangelium allen, die zu ihm kommen, ohne Unterschied der Person oder Funktion, des Alters oder des Ge-schlechts, des Einkommens oder des Ansehens.

Wenn wir Jesu Leben betrachten, dann finden wir einen Menschen, dem Tole-ranz viel bedeutet. Toleranz ermöglicht im Sinne Jesu, ich will es einmal so be-schreiben: unverkrampfte Begegnung.

Natürlich wissen wir, Jesus konnte auch anders. Da brauchen wir nur die Vertrei-bung der Händler, der Geldwechsler aus dem Tempel anzuschauen. Man könnte sagen, wenn es um die Ehre Gottes geht, und diese Ehre in dieser Weise verletzt wird, wie das in der Geschichte mit den Geldwechslern und Händlern im Tempel geschieht, dann kannte er sicher keine Toleranz.

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Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Kriterien weisen auf ein tolerantes Verhalten Jesu hin?

Ich will es einmal so sagen: Jesus wollte religiös Desorientierten eine neue, sich auf Liebe gründende Orientierung geben. Eine Orientierung für die oder gegen die sich die Menschen durchaus entscheiden konnten. Jesus wollte dem anderen sein eigenes Denken lassen und ihm Hoffnung geben, sich dem Evange-lium zu öffnen.

Seine Grundhaltung war: Den Nächsten in seinen Eigenheiten und in seinem sündigen Verhalten zu akzeptieren und als Mensch zu bejahen. Er akzeptierte den anderen in seinem Sosein, in dem Glauben, dass er gekommen ist, uns von den Sünden zu heilen. In diesem Sinne hat er ja auch das Kreuz auf sich genom-men.

Und Jesus liebte – das gehört zur Frohen Botschaft – die Menschen und hielt sich gern in ihrer Gegenwart auf. Jesus konn-te aufmerksam und mitfühlend zuhören. Er beschuldigte keinen, sondern stellte seine Lehre beispielhaft in Gleichnissen dar. Jedem war überlassen, seine Positi-on im Glauben zu finden, Toleranz ist ein Wesenszug Jesu und gehört somit zum Leben und Handeln eines Christen.

Jesus sprach nicht von Toleranz. Nein, das tat er nicht. Dieses Wort kommt nicht vor. Aber er lebte sie. Toleranz ist geboten, weil keiner von uns Menschen

ohne Fehl ist. Keiner sollte sich mora-lisch über den anderen erheben. Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein – das kennen wir alle und zitieren es si-cher auch gelegentlich.

Aber ich möchte auch auf den Apo-stel Paulus schauen, der den Christen in Philippi schrieb: „Ich sage euch, wie ich das Christsein verstehe“. Und dann wörtlich: „Wenn ihr aber in irgendeiner Hinsicht anders denkt, wird Gott euch das noch offenbaren. Lasst uns in Über-einstimmung mit dem bleiben, was wir schon erlangt haben.“ So Philipper, Ka-pitel 3, Vers 15 und 16. Und das ist nicht als Drohung gemeint, sondern so, dass auch in den Deutungen der christlichen Lehre durch ihn, den Apostel, Spielräu-me bestehen, Toleranz im Glauben zu haben.

Der Grund ist, dass längst nicht alles ge-sagt ist. Es ist längst nicht alles gesagt. Deswegen herrscht Übereinstimmung, bei dem zu bleiben, was zwar da ist, aber zu wissen, dass das nicht alles ist.

Vielleicht haben wir nicht alles richtig verstanden, auch das ist ja eine Mög-lichkeit. Aber uns ist im christlichen Glauben eine Position zugewiesen. Von dieser Position aus können wir weiter denken und den Worten Jesu nachspü-ren. Allerdings in einem gewissen Rah-men, den wir im Dialog finden.

Paulus sagt: „Wir bleiben im Glauben, wir bleiben in Übereinstimmung mit

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dem, was wir schon erlangt haben.“ Dieser Toleranzbereich ist im religiösen Verständnis natürlich nicht endlos weit. Und ich möchte fragen: Ist Toleranz eine christliche Tugend?

Eben so gesehen auf diesen Spuren Jesu und auch auf den Worten von Paulus. To-leranz bedeutet nicht, eigene wohl fun-dierte Überzeugungen aufzulösen oder gar wegzustreichen. Das ganz bestimmt nicht. Toleranz ist kein Akt der Selbstver-leugnung. Toleranz heißt in diesem Sinne, über Gottes Willen sprechen. An Gottes Wort – wenn wir so wollen – dialogisch herangehen. Das heißt, mit den anderen menschlich, vertrauensvoll umgehen, also im Bewusstsein, der Mensch ist ein von Gott anerkanntes und gewolltes „Du“.

Eine solche Haltung ist von der grie-chischen Philosophie inspiriert. Mitei-nander reden, im Gespräch bleiben – das ist eine tolerante Haltung. Wo aber feste Überzeugungen fehlen, herrschen zu Recht Skepsis, Agnostik, Nihilistik, Gleichgültigkeit.

Toleranz im Sinne des „alles zu Akzep-tierenden“, ist im religiösen Gespräch nicht wirklich ein Thema. Weil Toleranz eben nicht verlangt, seine Position aufzugeben, sondern im Gegenteil, im Glauben gestärkt und in Liebe und im gegenseitigen Verständnis aus dem Ge-spräch herauszugehen.

Die Quelle christlichen Glaubens speist unsere Haltung zur Toleranz. Religiöse

Bildung, freies Denken und moralische Haltungen ermöglichen ein tolerantes Zusammenleben unterschiedlicher Menschen in einer demokratischen Ge-sellschaft.

Der Journalist Henryk Broder meinte, tolerantes Verhalten verurteilt uns da-mit dann doch eher zur Ohnmacht – wie er es in einem bissigen Kommentar un-längst beschrieben hat. Ist Ohnmacht tatsächlich eine Konsequenz aus kon-sequent tolerantem Verhalten? Ja, eines stimmt zumindest einmal: Toleranz gibt Macht ab. Das könnte schon sein. Es könnte zum Beispiel Macht sein, die an-dere unterdrückt. Aber christlich orien-tierte Toleranz gründet sich auf einem unerschütterlichen Glauben, auf Liebe und Hoffnung.

Glaube, Liebe, Hoffnung sind, wie Pau-lus eindringlich verkündete, die Grund-lagen christlichen Lebens. Es sind die moralischen Grundlagen für ein christ-lich aufgeklärtes Verhalten. Was bewirkt ein solches Verhalten? Es schlägt Brü-cken zwischen den Regionen. Es lässt jedem Menschen seine Würde. Es führt unterschiedliche politische Positionen zusammen.

Toleranz erkennen wir heute durchaus als ein dominantes Verhalten im per-sönlichen und öffentlichen Alltag. Tole-ranz ist eine moralische Haltung, die in der christlichen Lehre enthalten ist und auf Frieden auf Erden und zwischen den Menschen abzielt.

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Toleranz ist eine im christlichen Glauben allerdings nicht allzu tief verwurzelte Haltung. Sie hat ihren Platz eher in einer weltweit gültigen Moral gefunden. Auch hier möchte ich fragen: Stimmt das? Zweifel steigen in mir immer wieder auf, wenn ich feststelle, ich spreche von der Toleranz, die Christen Andersgläu-bigen entgegenbringen sollten, aber kann christlicher Glaube überhaupt to-lerant sein? Im strengen Sinn wohl eher nein. Glaube ist eine Gabe des Heiligen Geistes.

Wir reden oft von Glauben, wo kein Glaube im streng christlichen Sinne ist – so sagt Sören Kierkegaard. Kierkegaard schreibt: „Christlicher Glaube ist wider dem Verstand. Der Glaube ist jenseits des Todes daheim. Wenn es finster ist, wie in der finstern Nacht, dann kommt der lebendig machende Geist und bringt den Glauben. Dieser Glaube hat Ewigkeitskräfte. Er ist dein Sieg über die Welt“, schreibt Kierkegaard.

Tolerant? Eher nicht. Christlicher Glau-be ist das Bekenntnis zu Gott in seiner Dreifaltigkeit, wie sie im Neuen Testa-ment verkündet wird. Der christliche Glaube beschreibt das Verhältnis zwi-schen Mensch und Gott. Das heißt, es geht um den Anteil des Menschen und die Verantwortung des Menschen an der Haltung der Schöpfung und für das friedliche Zusammenleben auf Erden. Die Erhaltung der Schöpfung ist damit auch politische Aufgabe.

Je näher ein Mensch Gott kommt, desto geringer wird der Spielraum zwischen Glauben und Wissen. Je toleranter sich aber der Mensch im Glauben verhält, desto mehr kommt er in Gefahr, sich vom christlichen Glauben im engeren Sinne zu entfernen, wenn er nicht – und das sei hier noch einmal deutlich her-vorgehoben – einen festen Glauben in sich trägt. Christlicher Glaube ist nicht verhandelbar. Christlicher Glaube er-möglicht uns Hoffnung. Toleranz ist ein Bestandteil der Hoffnung. Es ist eine Hoffnung wider das Hoffen, wie Kier-kegaard sagt.

Es ist manchmal so, dass der Verstand sagt: Es gibt keine Hoffnung. Es ist zum Verzweifeln, dass es keine Hoffnung gibt. Aber der christlich inspirierte Geist sagt uns, es gibt eine Hoffnung wider das Hoffen. Es gibt eine Hoffnung auf Frieden in Gott und auf Frieden zwi-schen den Menschen, Frieden auf Erden, wie es in der Weihnachtsgeschichte heißt. Friedliches und verständnisvolles Zusammenleben ist nur gewährleistet durch den Menschen, sein tolerantes Denken und Handeln.

Dort, wo Konfrontation nicht zu Tole-ranz überführt wird, ist das Zusammen-leben gestört. Dort herrschen dann tat-sächlich Chaos anstelle von Ordnung, Lüge anstelle von Wahrheitssuche, Zank und Streit anstelle der harmonischen Abstimmung und schließlich, ja tatsäch-lich Mord und Totschlag anstelle von Liebe und Zuversicht.

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Gab die Reformation nun Impulse für le-bendige Toleranz? Und wenn ja, welche? Die Reformation kann als so etwas wie ein Selbstreinigungsprozess von Kirche betrachtet werden. Prunksucht damals, Dekadenz, Verherrlichung des Geldes, Ablasshandel und viele andere Pro-bleme stießen zu Luthers Zeiten beim Kirchenvolk und auch bei Teilen des Kle-rus ja immer weniger auf Verständnis, und zwar zu Recht. Wie konnte hier ge-gengesteuert werden?

Luther war nach seiner ursprünglichen Gesinnung ein Humanist, ein Anhänger von Erasmus von Rotterdam und auf sei-ner Romreise, die er damals 1510/1511 tätigte, war er tief schockiert über die Zustände, die er da antraf. Er fand die Hierarchie damals ja schlicht zynisch.

Der junge Mönch und Universitätspro-fessor Martin Luther brachte es dann am Tag vor Allerheiligen, am 31. Okto-ber 1517 in Wittenberg auf den Punkt, in seiner 89. These an der Schloss-kirche, die lautete: Die Kirche bedarf der Erneuerung, was nicht Sache des Papstes oder der Kardinäle ist, sondern von Gott allein.

Gott allein, das ist der Grundgedanke der Reformation. Diese beiden Worte lassen Toleranz von Gott weg nicht zu. Die Reformatoren wollten die christliche Lehre in ihrer Urform wiederherstellen und den Glauben an Jesus Christus auf die Aussagen der Bibel zurückführen. Es ging in der Reformation um die Aner-

kennung der Bibel als Wort Gottes und Formulierungen von Glaubensinhalten, um die Klärung des Verhältnisses zwi-schen Gott und Mensch.

Es ging um die Anerkennung göttlicher Macht und Liebe als Grundlage der Nächstenliebe. Es ging darum, dass nur der frei sein könne, der nicht gegen sein Gewissen handelt oder handeln muss.

Luther trat dafür ein, dass der Mensch zu völliger Aufrichtigkeit befreit werden muss. Das war dann auch ein Anstoß für eine moderne Politik, eine Politik, die eine Kontrolle von oben sozusagen nicht mehr akzeptierte.

Allerdings sollten Glauben und Politik nicht vermischt werden. Luther trennte inneres Leben des an Gott gebundenen freien Geistes von dem Unterworfen-sein des Menschen unter die Autorität einer weltlichen Macht.

Aber was geschah? Wo die Menschen von göttlicher Liebe geleitet sein sollten, griffen sie zu den Waffen. Im 16. und 17. Jahrhundert tobten vor allem in Mitteleuropa die Religionskriege. Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit angesichts der Zerstörung quälten die Menschen, hun-derte, tausende von Zeugnissen gibt es davon bis heute.

Von Toleranz war also keine Rede. In der Zeit der Reformation war Toleranz im Glauben – ich möchte es einmal so sagen – stark eingeengt. Wo Angst und

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Brutalität das Lebensgefühl bestimmen, kann Toleranz kaum geübt werden. Tole-ranz gedeiht letztlich nur bei liebevoller Anerkennung des Anderen.

An die Stelle von Toleranz war revolu-tionäre Gewalt getreten. Anstelle von Nächstenliebe grassierte Hass. Anstelle von Spielraum gewährender Toleranz standen Doktrinen.

Und die Politik tat, was sie im Zweifels-falle immer wieder tat, nämlich Kriege ausfechten. Der Religionskrieg 1531 in der Eidgenossenschaft, der Deutsche Bauernkrieg, die Schwedenkriege, die Bilderstürmerei, die Niederschlagung der Wiedertäuferbewegung, der Drei-ßigjährige Krieg und vieles mehr. Von heutigen Religionskriegen will ich an dieser Stelle gar nicht sprechen.

Toleranz scheitert fast immer an ver-schiedenen Fundamentalisten. Ich erin-nere beispielsweise auch an das Verhör und die Verbrennung auf dem Scheiter-haufen von sechs Täufern im Jahre 1530 im thüringischen Kloster Reinhards-brunn.

Huldreich Zwingli, der erste Zürcher Re-formator, ging trotz vieler Gemeinsam-keiten von anderen Voraussetzungen aus als Luther. Während Luther sich gegen Ablasshandel und Missstände in der Kirche wandte und mit seiner Bibel-übersetzung auf Gottes Wort verwies, beschränkte sich Zwinglis Lehre auf die Verkündigung des Wortlauts der Bibel.

Reformierte Kirchen sind Kirchen des Wortes. Keine Kunst in der Kirche, keine Altäre.

Eine Generation nach Luther entwi-ckelte Calvin in Genf sein moralisches, politisches und dogmatisches System. Im Mittelpunkt der calvinschen Lehre stand die Erkenntnis, dass der Mensch hilflos im Angesicht Gottes sei, und dass der Mensch aus eigener Kraft nichts tun könne, um sein Schicksal zu ändern. Die Folge war, dass Sittlichkeit mit Nach-druck durchgesetzt wurde.

Tatsache ist jedoch auch, dass Luther-tum und Calvinismus wesentliche sozi-ale und geistige Veränderungen einge-leitet haben. Der Soziologe Max Weber stellt in diesem Zusammenhang die The-se auf, dass sich erst nach dem Auftau-chen des Protestantismus eine rationale ökonomische Ethik entwickeln konnte. Und richtig ist wohl auch die Aussage von Thies Gundlach, dem Vizepräsi-denten des EKD Kirchenamts in Hanno-ver, dass wir Toleranz noch immer lernen müssen. Der Mensch weiß nicht immer, wie stark und wohin die Kräfte wirken, die er auslöst.

Toleranz scheitert an den Unzulänglich-keiten des Menschen, an seiner Sturheit, daran, dass seine vielgerühmte Dynamik nicht mehr funktioniert. Ja, Toleranz ist ein Willensakt. Und wo Wille nicht ist, ist auch keine Toleranz. Deshalb gilt es, beides zu thematisieren: Toleranz und Intoleranz.

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Luther hatte eine strenge Auffassung hinsichtlich des Glaubens an den drei-einigen Gott. Er unterscheidet in seinen Predigten und Schriften Glaube und Toleranz. Er schreibt: Die Liebe duldet alles. Sie toleriert alles. Der Glaube er-duldet nichts. Und das Wort Gottes to-leriert nichts, sondern das Wort muss vollkommen sein. Religion und Toleranz, das sind gewissermaßen für Martin Lu-ther zwei Schuhe, die man sich zwar an-ziehen kann, die aber nicht recht zusam-menpassen und die die Glaubenslehre eher verfälschen.

In der Reformationszeit entstand ein höchst intoleranter Kampf um die Wahr-heit im Glauben. Ich nannte es schon. Bilderstürmerei. Der Bilderstreit in Wit-tenberg ganz speziell. Der Streit über die Bedeutung des Abendmahls, den Luther gegen seinen ursprünglichen Mitstreiter Andreas Karstadt ausfocht. Die rigorosen Hetzschriften Luthers ge-gen die Bauern bis hin zur grausamen Verfolgung der Täufer und auch Luthers Schriften gegen die Juden müssen hier genannt werden.

Die Entdeckung der Freiheit des Evan-geliums war im Zeitalter der Reforma-tion begleitet von einem intoleranten Kampf um die Wahrheit. Luther konnte sich entsprechend der vorherrschenden Lehrmeinung nicht vorstellen, dass un-terschiedliche Wahrheits- und Glau-bensvorstellungen nebeneinander be-stehen können. Aber mahnte Luther nicht die öffentlich Verantwortlichen,

indem er sagte: „Was du erkennst, ma-che nicht hochmütig geltend. Bestreite nicht einem Anderen seine Einsicht und wehre ihn nicht ab.“ Auch das ist Martin Luther.

Luther war alles andere als ein – heute würde man sagen – Betonkopf. Nein. Er sah natürlich, dass ein Anderer mehr oder gar nicht oder gar etwas anderes sehen kann, und dass wir immer voran-schreiten in der Erkenntnis der Schrift. Auch das war für ihn ein Prozess. Das ist ein Beispiel dann doch für Luthers Tole-ranz.

Bleiben wir einen Moment bei der To-leranz im politischen Raum aus Sicht Martin Luthers. Martin Luther hat sei-ne Sicht auf die Politik seiner Zeit in eine theologische Lehre gefasst, deren Grundsatz etwas verkürzt lautet: Wir-kungsursache des Politischen ist Gottes Wille. Anlass des Politischen ist die Sündhaftigkeit des Menschen, und Auf-gabe des Politischen ist der öffentliche Friede.

Weltliche Obrigkeit, sagt Luther, steht im Dienste Gottes. Also fordert Luther, politische Amtsträger, und ich sage das ausdrücklich, auch Personen im öffent-lichen Dienst sind an Gottes Gebote gebunden. Der Politiker ist eine Persona publica und gleichzeitig eine Persona privata. Die öffentlich gewollte Einheit von öffentlicher und privater Person ist letztlich auch die Frage, wo die Grenzen der Toleranz in einer Gesellschaft liegen.

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Luther lehrt: Gott schaut nicht auf das Ansehen der Person, aber die Person muss sich vor Gott verantworten für das, was sie tut. Luther unterscheidet begrifflich zwischen Amt und Person. Das Amt ist nützlich und wird geschützt. Kritik, wenn sie denn geübt wird, wird geübt gegenüber den Personen, nicht dem Amt.

Und mit dieser Kritik ist er selber auch überhaupt nicht zimperlich, indem er schreibt: „Sie [Amtsträger sind hier ge-meint, C.L.] sind im Allgemeinen die größten Narren und ärgsten Buben auf Erden, weshalb man sich bei ihnen alle Zeit des Ärgsten versehen und wenig Gutes von ihnen gewärtigen muss.“ So schreibt Luther unter anderem in seiner Schrift von der weltlichen Obrigkeit.

Im Talmud steht allerdings auch ein be-merkenswerter Satz, der da heißt: „Nicht das Amt ehrt den Mann, sondern der Mann ehrt das Amt.“ Das heißt, für unser politisches Denken ist der oder die Einzel-ne verantwortlich für sein oder ihr öffent-liches Tun, verantwortlich vor Gott und den Menschen, wie wir es ja im Grund-gesetz und auch in der thüringischen Landesverfassung, und ich denke, in der sächsischen nicht anders haben.

Oft meinen wir, in harten Zeiten sei we-nig Spielraum für Toleranz sowohl in der Politik, als auch im Glaubensdialog. Wir müssen aber, wie ich bereits sagte, ler-nen, den anderen aufmerksam und wei-terdenkend zuzuhören. In harten Zeiten

geht es natürlich auch um eine klare, manchmal glasklare Gesetzgebung, um persönliche Rechenschaft.

Und so sieht Luther denn auch die staat-liche Ordnung als Ergebnis der Erfüllung von Gottes Willen. Und Luther warnt: Wenn ein Christ sein Staatsamt nicht in einen positiven Zusammenhang mit Gottes Willen führt, treibt er steuerlos und beliebig durch die Politik. Er glaubt, sich der Verantwortung vor Gott entzie-hen zu können.

Reformatorisches Denken übertragen auf die Politik heißt also: Die mensch-lichen Entscheidungen im politischen Bereich gehören zur unbegreiflichen To-leranz Gottes.

Im Grundgesetz lesen wir in Artikel 3: Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt, er darf weder benachteiligt, noch bevorzugt werden. Ist das Ziel, oder ist das Realität?

Lesen wir weiter, Artikel 4: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschau-lichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Wie lesen wir diese Kernsätze, bei all den Debatten, die wir jetzt oder seit ei-nigen Jahren haben – über Kopftücher

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der Muslima, Kruzifixe in Schulklassen, Beschneidung, Karikaturen, Prunkge-bete in Kirchen?

Vieles, was wir heute an Themen haben, was freilich die Mütter und Väter bei der Entstehung des Grundgesetzes noch gar nicht bedenken, gar nicht im Blick haben konnten, was aber gilt.

Lassen wir uns auf einen freien Dialog mit Andersdenkenden, Andersglauben- den ein. Können wir heute noch Luthers Sicht verteidigen, dass Liebe alles, Glau-ben nichts toleriert, das ist ja die Quint-essenz. Wie tolerant die christliche Lehre ist, hängt davon ab, meine ich, wie stark das Christentum in mir selbst verankert ist.

Nur im Menschen tief verwurzelter Glaube, ein gewisser Geist, ein im Glau-ben sicherer Geist ist in der Lage, sich anderen religiösen Glaubensrichtungen frei und unvoreingenommen zu öffnen. Andere Glaubenslehren gilt es zu reflek-tieren und als Möglichkeiten für andere anzuerkennen ohne sich mit ihnen zu identifizieren.

Wo keine Freiheit ist, da ist auch keine Toleranz. Ist es also nicht so, dass Tole-ranz in erster Linie weniger eine christ-liche als eine moralische Kategorie ist? Toleranz nimmt nach einer Umfrage in der deutschen Bevölkerung einen eher mäßigen Platz ein. Ganze 6 Prozent hal-ten sie für ganz besonders wichtig.

Es ist schön, dass an erster Stelle Ehr-lichkeit steht – mit 60 Prozent. Gefolgt von Treue, Zuverlässigkeit, Höflich-keit, Aufrichtigkeit und Respekt. Dann kommt Toleranz. Sie steht nicht allzu hoch im Kurs. Das mag daran liegen, dass Toleranz in der Regel doch als ein Zurückstecken der eigenen Interessen gesehen wird. Also eine Absage an die geistige Auseinandersetzung in weltan-schaulichen Fragen. Also vor Fragen, die eher zum Tabu erklärt werden. Oder von denen viele meinen, es ginge den ande-ren nichts an.

Wenig Neigung zu Toleranz ist, wenn ich das richtig beurteile, auch eine Form der Gleichgültigkeit gegenüber mora-lischen und religiösen Themen. Bege-hen wir, wenn wir religiöse, also auch christliche Toleranz von der moralisch gebotenen Toleranz trennen, einen Fehler? Sicher gibt es dazu unterschied-liche Meinungen. Aber hier berühren wir Probleme der Unterscheidung von allgemeiner philosophischer Ethik und Moraltheologie, die ein christliches Menschen- und Weltbild voraussetzen.

Denn jeder, der die Evangelien liest, kommt zu dem Schluss, Jesus war kein – um es so zu sagen – Moralhüter, son-dern ein von Gott gesandter Glaubens-stifter. Seine Lehre fordert nicht primär die Übereinstimmung mit einer als gül-tig angesehenen landesüblichen Moral, sondern Jesus fordert die Menschen auf, ihre unbedingte Zugehörigkeit zu Gott zu bekennen und um des religiösen Frie-

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dens Willen in Liebe zu leben. Das heißt, moralisch Leben in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht.

Christlich leben heißt auf Gott vertrau-en, sich auf Jesus Christus beziehen, Schuld bekennen und um Vergebung bitten. Christlich leben heißt, vom Er-barmen Gottes leben. In der Liebe zu Gott und den Menschen.

Paulus betont denn ja auch den Vorrang der Liebe in seinem ersten Brief an die Korinther im 13. Kapitel: Für jetzt blei-be Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, doch am Größten unter ihnen ist die Liebe. Die Wurzel alles menschlichen Elends und aller gesellschaftlichen Fehlentwicklungen liegt demnach, ein-schließlich der dazugehörenden Ein-bildung eigener Macht und Größe, im Menschen selbst.

Der Geist hilft unserer Schwachheit auf, heißt es in einer der Motetten von Jo-hann Sebastian Bach.

Die Wurzel des Geistes aber ist die Frei-heit, sagt Paulus. Eine Freiheit, zu der uns Christus befreit hat. Diese von Gott geschenkte Freiheit ermöglicht religiöse und moralische Toleranz. Toleranz wird im dialogischen Prozess realisiert.

Dazu eine kleine Parabel: Nach einem jüdisch-christlichen Dialog gingen zwei Teilnehmer in eine nahe Kneipe. Plötz-lich blieb der Jude stehen und fragte den Christen: „Sagen Sie bitte, was war für

Sie heute wichtig? Was ist aus dem heu-tigen Gespräch herausgekommen?“ Der Christ führte seine rechte Hand bedäch-tig zum Mund und überlegte kurz und sagte: „Vielleicht habe ich für meinen Glauben etwas hinzugewonnen“, und lä-chelt, „vielleicht bin ich etwas jüdischer geworden. Und Sie?“ Der Jude antwor-tete: „Nach unserem Gespräch verstehe ich zwar immer noch nicht, warum der Jude Jesus Gottes Sohn sein soll, aber vielleicht verstehe ich nun ein bisschen besser, dass uns der Jude Jesus fester an Gott binden wollte, aus Liebe zu Gott und zu den Menschen.“

Das zeigt, nicht Rechthaberei führt zu Akzeptanz, sondern das voneinander Lernen und das aufeinander Hören. To-leranz ist entsprechend des christlichen Glaubens Freiheit zu unparteiischer Lie-be. Toleranz gründet auf der Dominanz des genauen Hinhörens auf Gottes Wort und auf die Bitte um bedingungslose Liebe.

Ich finde das Bild von Papst Benedikt dem XVI. schön, das er bei seiner Rede im Deutschen Bundestag gebraucht hat, das Bild des hörenden Herzens, mit dem hörenden Herzen dabei sein. Ich meine, Toleranz hat ihren Grund in der Tat, in der Liebe. Wo Liebe nicht ist, kann der Mensch nicht tolerant handeln und Mo-ral verkommt.

Dabei darf der Begriff Toleranz keinen Denkfehler signalisieren. Es geht nicht einfach ums Hinnehmen. Und schon

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gar nicht einfach ums Ertragen. Was wir brauchen, ist unser eigener fester Glaube. Ich sag es noch einmal: Was wir brauchen ist Geschwisterlichkeit und Partnerschaft unter den Religionen und Konfessionen.

So bleibt mir zum Schluss nur die Frage: Wo beginnt Toleranz und wo hört sie auf? Wo liegen die Widerstände gegen Toleranz? Toleranz hat in der Reforma-tionszeit nur wenig Platz im kirchlichen Denken und Handeln. Offenbar ist das Kreuz Christi kein Sinnbild für unbe-dingte Toleranz, sondern das Zeichen, dass sich Jesus Christus für unsere Sün-den hingegeben hat.

Warum ist also Toleranz ein Begriff, den wir heute im Zusammenhang mit der Reformation diskutieren? Toleranz, das haben wir erkannt, ist ein wichtiges The-ma, vor allem der Scham- und Schuldge-schichte des deutschen Protestantismus.

Toleranz ist in einer evangelischen Kirche heute hingegen eine aktive Haltung. Eine aktive Haltung, die den anderen, die den Glaubensfremden kennenlernen und in seinem Anderssein verstehen lernen will. Gute religiöse Nachbarschaft gelingt erst, wenn man Klarheit in den eigenen Glaubenspositionen gewonnen hat.

Insofern ist jeder Dialog der Verschie-denen zugleich die Aufforderung, Tole-ranz auf der Grundlage eigener Glau-bensüberzeugungen zu erarbeiten, Toleranz immer wieder neu lernen. Und diese Toleranz öffentlich und im pri-vaten Dialog mit anderen bewusst zu leben.

Und dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren, wünsche ich Ihnen allen, wünsche ich uns allen in dem gerade begonnenen Jahr, Reformation und To-leranz, gute Erfahrungen und Gottes Segen. Herzlichen Dank.

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Dr. Fritz Hähle

Schlusswort

Ein herzlicher Dank an Frau Minister-präsidentin Christine Lieberknecht für ihren eindrucksvollen Vortrag.

Ich wage eine kurze Zusammenfassung unter dem Aspekt, dass diese Veranstal-tungsreihe ein Forum zu Grundlagen, Zielen und Ergebnissen der parlamen-tarischen Arbeit der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages sein soll.

Wer wollte bestreiten, dass das heu-tige Thema etwas mit den wesentlichen Grundlagen der parlamentarischen Ar-beit zu tun hat.

Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden ist in unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung und für das friedliche Zusammenleben grundlegend und unverzichtbar. Sie ist Ausdruck der gewachsenen politischen Kultur in Europa, die von der Reformati-on stark geprägt worden ist.

Richtig verstandene Toleranz hindert nicht daran, nach Wahrheit zu suchen, um Wahrheit zu ringen, die eigene Über-zeugung zu vertreten und für diese zu werben. Jeder muss seine Meinung frei vertreten können, ohne Beeinträchti-gungen an Leben und Eigentum fürch-ten zu müssen.

Diese Werte können wir in Sachsen seit der friedlichen Revolution ungeschmä-lert für uns in Anspruch nehmen.

Für mich war der entscheidende Im-puls für den Beginn meiner politischen Mitwirkung der Brief aus Weimar vom 10. September 1989, zu deren Mitauto-rinnen Christine Lieberknecht gehörte.

Vielen, die sich seither im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen in die Pflicht nehmen ließen, mag es ähnlich gegangen sein.

Insofern gebührt unserer Gastrednerin ein doppelter Dank.

Frau Ministerpräsidentin, im Namen der Freunde des Johann-Amos-Comenius-Clubs Sachsen wünsche ich Ihnen wei-terhin viel Erfolg und Gottes reichen Segen!

Ganz herzlich bedanken will ich mich auch bei der Stiftung Frauenkirche und bei Pfarrer Holger Treutmann, dass wir zum wiederholten Male dieses wunder-bare Kirchengebäude im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Frauenkirche“ nutzen konnten.

Ebenso bedanke ich mich im Namen aller Anwesenden beim Frauenkirchen-Kantor Matthias Grünert für die musi-kalische Umrahmung unserer Veranstal-tung.

Zu Beginn hörten Sie das Präludium in A-Moll von Johann-Sebastian Bach (BWV 543).

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Mein Dank gilt auch Steffen Flath, dem Vorsitzenden der CDU-Landtagsfrakti-on und den Mitarbeitern der Fraktion, die unser 67. Gesprächsforum geplant, organisiert und betreut haben.

Die nächste Veranstaltung des Come-nius-Clubs findet im Frühjahr 2013 in Dresden statt.

Referent wird der neue Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Herr Prof. Dr. Neugebauer sein.

Bevor nun zum Abschluss die Fuge in A-Moll von Johann Sebastian Bach (BWV

543) erklingt, die uns Frauenkirchenkan-tor Matthias Grünert meisterlich zu Ge-hör bringen wird, will ich mich von Ihnen verabschieden, meine sehr geehrten Da-men und Herren.

Vielen Dank für Ihr anhaltendes Interesse!

Kommen Sie gut nach Hause, bleiben Sie uns gewogen und während des Or-gelvortrags noch sitzen!

Auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal!

Impressum

Reformation und ToleranzVeranstaltung am 21. November 2012

HerausgeberCDU-Fraktiondes Sächsischen Landtages

RedaktionJan Donhauser

Satz, Gestaltung und DruckZ&Z Agentur Dresden

Dresden, Juli 2013

Diese Broschüre wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlhelfern im Wahlkampf zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Den Parteien ist es gestattet, die Druck-schrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden.