Jaspers_Philosophie 12 Radiovorträge

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    SERIEPIPERBand 13

    Zu diesem Buch

    Dieses Buch ist die erfolgreichste Einfhrung in die Philosophie derNachkriegszeit. Es erreichte nahezu 30 deutschsprachige Auflagen undAusgaben, und es wurde in 17 Sprachen bersetzt. Der Erfolg kamdurch zwei glckliche Verbindungen zustande: Jaspers' Einfhrung

    ist einerseits geprgt durch sein persnliches Denken, deckt aber zugleich das ganze Spektrum der Tradition ab. Sie ist dabei in aligemeinverstndlicher Sprache geschrieben, die dennoch immer die Substanzder Probleme wahrt. Der Mut zur Subjektivitt, verbunden mit demWissen um die Weite des bisher Gedachten und der Mut zur Einfachheit, verbunden mit der Hellhrigkeit fr die Relevanz der groenphilosophischen Fragen: Das macht dieses Buch lesenswert ber die

    Fachwelt hinaus und sichert ihm zugleich in dieser einen Rang.

    Karl Jaspers, geboren 1883 in Oldenburg, studierte zuerst Jura, dannMedizin; Promotion 1909 in Heidelberg. Whrend seiner Assistentenzeit an der Psychiatrischen Klinik habilitierte er sich fr Psychologie.Ab 1916 war er Professor fr Psychologie, ab 1921 fr Philosophie ander Universitt Heidelberg. 1937 wurde er - bis zu seiner Wieder

    einsetzung im Jahr 1945 - seines Amtes enthoben. Von 1948 bis 1961

    war er Professor fr Philosophie in Basel, wo er 1969 starb. Jaspersgilt als einer der Hauptvertreter der Existenzphilosophie. Seine Schriften - es sind ber 30 Bnde - liegen in mehr als 600 bersetzungen vor.

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    Karl Jaspers

    Einfhrung

    in diePhilosophie

    Zwlf Radiovortrge

    PiperMnchen Zrich

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    Von Karl Jaspers liegen in der Serie Piper auerdem vor:Chiffren der Transzendenz (7)

    Kleine Schule des philosophischen Denkens (54)Vernunft und Existenz (57)

    Der philosophische Glaube (69)

    Kant (124)Die magebenden Menschen (126)Augustin (143)

    Plato (147)Philosophische Autobiographie (150)

    Spinoza (172)Die Frage der Entmythologisierung (mit R. Bultmann) (207)

    Die Atombombe und die Zukunft des Menschen (237)Wahrheit und Bewhrung (268)

    Nietzsche und das Christentum (278)Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (298)

    Schelling(341)Denkwege (385)

    Psychologie der Weltanschauungen (393)Der Arzt im technischen Zeitalter (441)

    Nikolaus Cusanus (660)Die Schuldfrage (698)

    Max Weber (799)Wohin treibt die Bundesrepublik? (849)Notizen zu Martin Heidegger (1048)

    ber Karl Jaspers liegen in der Serie Piper vor:Jeanne Hersch, Karl Jaspers (195)

    Karl Jaspers - Arzt, Philosoph, politischer Denker (679)

    ISBN 3-492-10013-9Neuausgabe Mrz 1971

    28. Auflage, 240.-247.Tausend Dezember 1989(16. Auflage, 109.--116.Tausend dieser Ausgabe)

    R. Piper & Co. Verlag, Mnchen 1953Umschlag: Federico Luci

    Druck und Bindung: Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

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    Inhalt

    I. Was ist Philosophie} 9

    Philosophie ist umstritten 9Wissenschaft und Philosophie 9Philosophie ohne Wissenschaft 10

    Jeder hlt sich fr urteilsfhig - Kinderfragen - Geisteskranke -ffentliche Redewendungen

    Wie wird das Wesen der Philosophie ausgesprodien? 12Bedeutung des Wortes Philosophie -Definitionsversuche: KeineDefinition mglich Antike Formulierungen - Formulierungenheute

    Philosophie fr immer 14

    2. Ursprnge der Philosophie 16Anfang und Ursprung 16Drei ursprngliche Motive 16

    Staunen - Zweifel - Die menschliche Situation

    Grenzsituationen 18Die Unzuverlssigkeit allen Weltseins 18Erfahrung des Scheiterns und Selbstwerdens 20Die drei Ursprnge und die Kommunikation 21

    3. Das Umgreifende 14

    Subjekt-Objekt-Spaltung 25

    Das Umgreifende 25Das Unterschiedensein alles Gedachten, die zweifache Spaltung 26Bedeutung der Vergewisserung des Umgreifenden 26Die Weisen des Umgreifenden 27Der Sinn der Mystik 28Metaphysik als Chifferschrift 29Die Gebrochenheit philosophischen Denkens 30Nihilismus und Wiedergeburt 31

    4. Der Gottesgedanke 32

    Bibel und griechischie Philosophie 32

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    Der Philosoph mu antworten 33Vier sich ausschlieende methodische Grundstze 33Beispiele von Gottesbeweisen 34

    kosmologisch und theologisch, existentiellDas Wissen von Gott und die Freiheit 36Gottesbewutsein in drei Grundstzen 37Glaube und Schauen 40

    5. Die unbedingte Forderung

    Historische Beispiele des Sterbenknnens 42Die unbedingte Forderung 44Charakterisierende Umkreisung des Unbedingten 45

    Nicht Soseint sondern durch Reflexion und Entschlu - Glaubeund fr den Glauben - In der Zeit

    Gut und Bse 47

    6. Der Mensch

    Erforschbarkeit und Freiheit 50Freiheit und Transzendenz 51

    Wiederholende Zwischenbemerkung 51Fhrung 52Allgemeingltige Forderung und geschichtlicher Anspruch 54Verhalten zur Transzendenz 55Priesterforderung und Philosophie 57

    7. Die Welt

    Realitt, Wissenschaft, Weltbild 58Nichtwissen 60Auslegung 60Erscheinungshaftigkeit des Daseins 61Welt als verschwindendes Dasein zwischen Gott und Existenz 62

    berschreiten der Welt - Gegen Seinsharmonie und gegennihilistische Zerrissenheit die Bereitschaft zum Hren der

    Sprache der verborgenen Gottheit - Glaubensgrundstze undSprache Gottes in der Welt - Hingabe an die Welt und anGott - Der Mythus transzendenter Weltgeschichte

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    8. Glaube und Aufklrung 66

    Ober die fnf Glaubensstze und ihre Bestreitung 66Forderungen der Aufklrung 66Wahre und falsche Aufklrung und der Kampf gegen Auf

    klrung 67Einzelne Vorwrfe gegen Aufklrung 69Der Sinn des Kampfes 71Die Unumgnglichkeit des Glaubens 72

    9. Die Geschichte der Menschheit

    Bedeutung der Geschichte fr uns 75Geschichtsphilosophie. Schema der WeltgeschichteAchsenzeit 77Unser Zeitalter 80Frage nach dem Sinn der Geschichte 81Die Einheit der Menschheit 82berwindung der Geschichte 84

    10. Die Unabhngigkeit des philosophierenden Menschen 85

    Verlust der Unabhngigkeit 85Das Bild zur Unabhngigkeit sptantiker Philosophen 85Die Zweideutigkeiten der Unabhngigkeit 86Grenzen der Unabhngigkeit 89

    Welt - Transzendenz - Verfassung des MenschseinsAbschlu: wie heute Unabhngigkeit aussehen kann 91

    II. Philosophische Lebensfhrung 92

    Leben in objektiver Ordnung und als Einzelner 92Der Ausgang aus Dunkel, Verlorenheit und Selbstvergessenheit 92Meditation 93Kommunikation 95Frucht der Besinnung 95

    Grundbestimmung, Versuchen, Lebenlernen und Sterben

    lernenDie Macht des Gedankens 96Die Verkehrungen 98Das Ziel 99

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    12. Geschichte der Philosophie 101Philosophie und Kirche. Studium der Philosophie 101Mannigfaltigkeit der philosophischen Erscheinungen 102Historische Gesamtbersicht 102Strukturen der Philosophiegeschichte 105

    Die Frage nach der Einheit der Philosophiegeschichte - DieFrage nach dem Anfang und seiner Bedeutung - Die Fragenach Entwicklung und Fortschritt - Die Frage nach derRangordnung

    Bedeutung der Philosophiegeschichte fr das Philosophieren 108

    Anhang 111

    ber das Studium der Philosophie 112ber philosophische Lektre 113Darstellungen der Geschichte der Philosophie 114Texte 116Die groen Werke 127Werke von Karl Jaspers 129Personenregister 132

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    I. Was ist Philosophie?

    Was Philosophie sei und was sie wert sei, ist umstritten. Man er

    wartet von ihr auerordentliche Aufschlsse oder lt sie als gegenstandsloses Denken gleidigltig beiseite. Man sieht sie mit Scheu alsdas bedeutende Bemhen ungewhnlicher Mensdien oder verachtetsie als berflssiges Grbeln von Trumern. Man hlt sie fr eineSache, die jedermann angeht und daher im Grunde einfach undverstehbar sein msse, oder man hlt sie fr so schwierig, da eshoffnungslos sei, sich mit ihr zu beschftigen. Was unter dem Namender Philosophie auftritt, liefert in der Tat Beispiele fr so entgegengesetzte Beurteilungen.

    Fr einen wissenschaftsglubigen Menschen ist das Schlimmste,da die Philosophie gar keine allgemeingltigen Ergebnisse hat,etwas, das man wissen und damit besitzen kann. Whrend die Wissenschaften auf ihren Gebieten zwingend gewisse und allgemein anerkannte Erkenntnisse gewonnen haben, hat die Philosophie diestrotz der Bemhungen der Jahrtausende nicht erreicht. Es ist nicht

    zu leugnen: in der Philosophie gibt es keine Einmtigkeit desendgltig Erkannten. Was aus zwingenden Grnden von jedermannanerkannt wird, das ist damit eine wissenschaftliche Erkenntnis geworden, ist nicht mehr Philosophie, sondern bezieht sich auf einbesonderes Gebiet des Erkennbaren.

    Das philosophische Denken hat auch nicht, wie die Wissenschaften,den Charakter eines Fortschrittsprozesses. Wir sind gewi viel wei

    ter als Hippokrates, der griechische Arzt. Wir drfen kaum sagen,da wir weiter seien als Plato. Nur im Material wissenschaftlicherErkenntnisse, die er benutzt, sind wir weiter. Im Philosophierenselbst sind wir vielleicht noch kaum wieder bei ihm angelangt.

    Da jede Gestalt der Philosophie, unterschieden von den Wissenschaften, der einmtigen Anerkennung aller entbehrt, das mu inder Natur ihrer Sache liegen. Die Art der in ihr zu gewinnenden

    Gewiheit ist nicht die wissenschaftliche, nmlich die gleiche fr jeden Verstand, sondern ist eine Vergewisserung, bei deren Gelingendas ganze Wesen des Mensdien mitspricht. Whrend wissenschaftliche Erkenntnisse auf je einzelne Gegenstnde gehen, von denen zu

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    wissen keineswegs fr jedermann notwendig ist, handelt es sich inder Philosophie um das Ganze des Seins, das den Menschen alsMenschen angeht, um Wahrheit, die, wo sie aufleuchtet, tiefer ergreift als jede wissenschaftliche Erkenntnis.

    Ausgearbeitete Philosophie ist zwar an die Wissenschaften gebunden. Sie setzt die Wissenschaften in dem fortgeschrittenen Zustandvoraus, den sie in dem jeweiligen Zeitalter erreicht haben. Aber derSinn der Philosophie hat einen anderen Ursprung. Vor aller Wissenschaft tritt sie auf, wo Menschen wach werden.

    Diese Philosophie ohne Wissenschaftvergegenwrtigen wir an einigen merkwrdigen Erscheinungen:

    Erstens: In philosophischen Dingen hlt sich fast jeder fr urteilsfhig. Whrend man anerkennt, da in den Wissenschaften Lernen,Schulung, Methode Bedingung des Verstndnisses sei, erhebt man inbezug auf die Philosophie den Anspruch, ohne weiteres dabei zusein und mitreden zu knnen. Das eigene Menschsein, das eigeneSchicksal und die eigene Erfahrung gelten als gengende Voraussetzung.

    Die Forderung der Zugnglichkeit der Philosophie fr jedermann mu anerkannt werden. Die umstndlichsten Wege der Philosophie, die die Fachleute der Philosophie gehen, haben doch ihrenSinn nur, wenn sie mnden in das Menschsein, das dadurch bestimmt ist, wie es des Seins und seiner selbst darin gewi wird.

    Zweitens: Das philosophische Denken mu jederzeit ursprnglich sein. Jeder Mensch mu es selber vollziehen.

    Ein wunderbares Zeichen dafr, da der Mensch als solcher ursprnglich philosophiert, sind die Fragen der Kinder. Gar nichtselten hrt man aus Kindermund, was dem Sinne nach unmittelbarin die Tiefe des Philosophierens geht. Ich erzhle Beispiele:

    Ein Kind wundert sich: Ich versuche immer zu denken, ich seiein anderer und bin doch immer wieder ich. Dieser Knabe rhrtan einen Ursprung aller Gewiheit, das Seinsbewutsein im Selbstbewutsein. Er staunt vor dem Rtsel des Ichseins, diesem aus

    keinem anderen zu Begreifenden. Er steht fragend vor dieserGrenze.

    Ein anderes Kind hrt die Schpfungsgeschichte: Am Anfang

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    schuf Gott Himmel und Erde ..., und fragt alsbald: Was wardenn vor dem Anfang? Dieser Knabe erfuhr die Endlosigkeit desWeiterfragens, das Nichthaltmadienknnen des Verstandes, da frihn keine abschlieende Antwort mglich ist.

    Ein anderes Kind lt sich bei einem Spaziergang angesichtseiner Waldwiese Mrchen erzhlen von den Elfen, die dort nchtlichihre Reigen auffhren . . . Aber die gibt es doch gar nicht . . .Man erzhlt ihm nun von Realitten, beobachtet die Bewegung derSonne, erklrt die Frage, ob sich die Sonne bewege oder die Erdesich drehe, und bringt die Grnde, die fr die Kugelgestalt der Erdeund ihre Bewegung um sich selbst sprechen . . . Ach, das ist ja garnicht wahr, sagt das Mdchen und stampft mit dem Fu auf denBoden, die Erde steht doch fest. Ich glaube doch nur, was ich sehe.Darauf: Dann glaubst du nicht an den lieben Gott, den kannst dudoch auch nicht sehen. - Das Mdchen stutzt und sagt dann sehrentschieden: Wenn er nicht wre, dann wren wir doch gar nichtda. Dieses Kind wurde ergriffen von dem Erstaunen des Daseins:es ist nicht durch sich selbst. Und es begriff den Unterschied desFragens: ob es auf einen Gegenstand in der Welt geht oder auf das

    Sein und unser Dasein im Ganzen.Ein anderes Mdchen geht zum Besuch eine Treppe hinauf. Es

    wird ihm gegenwrtig, wie doch alles immer anders wird, dahinfliet, vorbei ist, als ob es nicht gewesen wre. Aber es mu dochetwas Festen geben knnen ... da ich jetzt hier die Treppe zurTante hinaufgehe, das will ich behalten. Das Staunen und Erschrecken ber die universale Vergnglichkeit im Hinschwinden

    sucht sich einen hilflosen Ausweg.Wer sammeln wrde, knnte eine reiche Kinderphilosophie be

    richten. Der Einwand, die Kinder htten das vorher von Elternoder anderen gehrt, gilt offenbar gar nicht fr die ernsthaftenGedanken. Der Einwand, da diese Kinder doch nicht weiter philosophieren und da also solche uerungen nur zufllig seinknnten, bersieht eine Tatsache: Kinder besitzen oft eine Geniali

    tt, die im Erwachsenwerden verlorengeht. Es ist, als ob wir mitden Jahren in das Gefngnis von Konventionen und Meinungen,der Verdeckungen und Unbefragtheiten eintreten, wobei wir dieUnbefangenheit des Kindes verlieren. Das Kind ist noch offen im

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    Zustand des sich hervorbringenden Lebens, es fhlt und sieht undfragt, was ihm dann bald entschwindet. Es lt fallen, was einenAugenblick sich ihm offenbarte, und ist berrascht, wenn die aufzeichnenden Erwachsenen ihm spter berichten, was es gesagt und

    gefragt habe.Drittens: Ursprngliches Philosophieren zeigt sich wie bei Kindern so bei Geisteskranken. Es ist zuweilen - selten -, als ob dieFesseln der allgemeinen Verschleierungen sich lsten und ergreifende Wahrheit sprche. Im Beginn mancher Geisteskrankheiten erfolgen metaphysische Offenbarungen erschtternder Art, die zwardurchweg in Form und Sprache nicht von dem Range sind, da ihreKundgabe eine objektive Bedeutung gewnne, auer in Fllen wiedem Dichter Hlderlin oder dem Maler van Gogh. Aber wer dabeiist, kann sich dem Eindruck nicht entziehen, da hier eine Deckereit, unter der wir gemeinhin unser Leben fhren. Manchem Gesunden ist auch bekannt die Erfahrung unheimlich tiefer Bedeutungen im Erwachen aus dem Schlafe, die sich bei vollem Wachseinwieder verlieren und nur fhlbar machen, da wir nun nicht mehrhindurchdringen. Es ist ein tiefer Sinn in dem Satz: Kinder und

    Narren sagen die Wahrheit. Aber die schaffende Ursprnglichkeit,der wir die groen philosophischen Gedanken schulden, liegt dochnicht hier, sondern bei Einzelnen, die in ihrer Unbefangenheit undUnabhngigkeit als wenige groe Geister in den Jahrtausenden aufgetreten sind.

    Viertens: Da die Philosophie fr den Menschen unumgnglich ist,ist sie jederzeit da in einer ffentlichkeit, in berlieferten Sprich

    wrtern, in gelufigen philosophischen Redewendungen, in herrschenden berzeugungen, wie etwa in der Sprache der Aufgeklrtheit, der politischen Glaubensanschauungen, vor allem aber vomBeginn der Geschichte an in Mythen. Der Philosophie ist nicht zuentrinnen. Es fragt sich nur, ob sie bewut wird oder nicht, ob siegut oder schlecht, verworren oder klar wird. Wer die Philosophieablehnt, vollzieht selber eine Philosophie, ohne sich dessen bewut

    zu sein.Was ist nun die Philosophie, die so universell und in so sonderbaren Gestalten sich kundgibt?

    Das griechische Wort Philosoph (philosophos) ist gebildet im Ge-

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    gensatz zum Sophos. Es heit: der die Erkenntnis (das Wesen) Liebende im Unterschied von dem, der im Besitze der Erkenntnis sicheinen Wissenden nannte. Dieser Sinn des Wortes besteht bis heute:das Suchen der Wahrheit, nicht der Besitz der Wahrheit ist das

    Wesen der Philosophie, mag sie es noch so oft verraten im Dogmatismus, da heit in einem in Stzen ausgesprochenen, endgltigen,vollstndigen und lehrhaften Wissen. Philosophie heit: auf demWege sein. Ihre Fragen sind wesentlicher als ihre Antworten, und

    jede Antwort wird zur neuen Frage.

    Aber dieses Auf-dem-Wege-Sein - das Schicksal des Menschen inder Zeit - birgt in sich die Mglichkeit tiefer Befriedigung, ja inhohen Augenblicken einer Vollendung. Diese liegt nie in einem aussagbaren Gewutsein, nicht in Stzen und Bekenntnissen, sondernin der geschichtlichen Verwirklichung des Menschseins, dem dasSein selbst aufgeht. Diese Wirklichkeit in der Situation zu gewinnen, in der jeweils ein Mensch steht, ist der Sinn des Philosophierens.

    Suchend auf dem Wege sein, oder: Ruhe und Vollendung desAugenblicks finden - das sind keine Definitionen der Philosophie.

    Philosophie hat nichts bergeordnetes, nichts Nebengeordnetes. Sieist nicht aus einem andern abzuleiten. Jede Philosophie definiertsich selbst durch ihre Verwirklichung. Was Philosophie sei, das muman versuchen. Dann ist Philosophie in eins der Vollzug des lebendigen Gedankens und die Besinnung auf diese Gedanken (dieReflexion) oder das Tun und das Darberreden. Aus dem eigenenVersuch heraus erst kann man wahrnehmen, was in der Welt als

    Philosophie uns begegnet.Aber wir knnen weitere Formeln vom Sinn der Philosophie aussprechen. Keine Formel erschpft diesen Sinn, und keine erweist sichals die einzige. Wir hren aus dem Altertum: Philosophie sei (jenach ihrem Gegenstand) Erkenntnis der gttlichen und menschlichenDinge, Erkenntnis des Seienden als Seienden, sei weiter (ihrem Zielnach) Sterbenlernen, sei das denkende Erstreben der Glckseligkeit,Anhnlichung an das Gttliche, sei schlielich (ihrem umgreifendenSinne nach) das Wissen alles Wissens, die Kunst aller Knste, dieWissenschaft berhaupt, die nicht auf ein einzelnes Gebiet gerichtetsei.

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    Heute lt sich von der Philosophie vielleicht in folgenden Formeln sprechen; ihr Sinn sei:

    die Wirklichkeit im Ursprung erblicken -die Wirklichkeit ergreifen durch die Weise, wie ich denkend mit

    mir selbst umgehe, im inneren Handeln -

    uns aufschlieen fr die Weite des Umgreifenden -Kommunikation von Mensch zu Mensch durch jeden Sinn von

    Wahrheit in liebendem Kampfe wagen -Vernunft noch vor dem Fremdesten und vor dem Versagenden ge

    duldig und unablssig wach erhalten.Philosophie ist das Konzentrierende, wodurch der Mensch er

    selbst wird, indem er der Wirklichkeit teilhaftig wird.

    Obgleich Philosophie jeden Menschen, ja das Kind in Gestalt einfacher und wirksamer Gedanken bewegen kann, ist ihre bewuteAusarbeitung eine nie vollendete und jederzeit sich wiederholende,stets als ein gegenwrtiges Ganzes sich vollziehende Aufgabe - sieerscheint in den Werken der groen Philosophen und als Echo beiden kleineren. Das Bewutsein dieser Aufgabe wird, in welcher Ge

    stalt auch immer, wach sein, solange Menschen Menschen bleiben.Nicht erst heute wird Philosophie radikal angegriffen und imGanzen verneint als berflssig und schdlich. Wozu sei sie da? Siehalte nicht stand in der Not.

    Kirchlich autoritre Denkart hat die selbstndige Philosophieverworfen, weil sie von Gott entferne, zur Weltlichkeit verfhre,mit Nichtigem die Seele verderbe. Die politisch-totalitre Denkarterhob den Vorwurf: die Philosophen htten die Welt nur verschieden interpretiert, es komme aber darauf an, sie zu verndern. Beiden Denkarten galt Philosophie als gefhrlich, denn sie zersetze dieOrdnung, sie frdere den Geist der Unabhngigkeit, damit der Emprung und Auflehnung, sie tusche und lenke den Menschen abvon seiner realen Aufgabe. Die Zugkraft eines uns vom offenbartenGott erleuchteten Jenseits oder die alles fr sich fordernde Machteines gottlosen Diesseits, beide mchten die Philosophie zum Erl

    schen bringen.Dazu kommt vom Alltag des gesunden Menschenverstandes her

    der einfache Mastab der Ntzlichkeit, an dem die Philosophie ver-

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    sagt. Thales, der fr den frhesten der griechischen Philosophengilt, wurde schon von der Magd verlacht, die ihn bei Beobachtungdes Sternenhimmels in den Brunnen fallen sah. Warum suchte erdas Fernste, wenn er im Nchsten so ungeschickt ist!

    Die Philosophie soll sich also rechtfertigen. Das ist unmglich.Sie kann sich nicht rechtfertigen aus einem anderen, fr das sieinfolge ihrer Brauchbarkeit Berechtigung habe. Sie kann sich nurwenden an die Krfte, die in jedem Menschen in der Tat zum Philosophieren drngen. Sie kann wissen, da sie eine zweckfreie, jederFrage nach Nutzen und Schaden in der Welt enthobene Sache desMenschen als solchen betreibt, und da sie sich verwirklichen wird,solange Menschen leben. Noch die ihr feindlichen Mchte knnennicht umhin, den ihnen selbst eigenen Sinn zu denken und dannzweckgebundene Denkgebilde hervorzubringen, die ein Ersatz derPhilosophie sind, aber unter den Bedingungen einer gewollten Wirkung stehen wie der Marxismus, der Faszismus. Auch diese Denkgebilde bezeigen noch die Unausweichlichkeit der Philosophie frden Menschen. Die Philosophie ist immer da.

    Nicht kmpfen kann sie, nicht sich beweisen, aber sich mitteilen.

    Sie leistet keinen Widerstand, wo sie verworfen wird, sie triumphiert nicht, wo sie gehrt wird. Sie lebt in der Einmtigkeit,die im Grunde der Menschheit alle mit allen verbinden kann.

    Philosophie in groem Stil und im systematischen Zusammenhang gibt es seit zweieinhalb Jahrtausenden im Abendland, inChina und Indien. Eine groe berlieferung spricht uns an. DieVielfachheit des Philosophierens, die Widersprche und die sich ge

    genseitig ausschlieenden Wahrheitsansprche knnen nicht verhindern, da im Grunde ein Eines wirkt, das niemand besitzt und umdas jederzeit alle ernsten Bemhungen kreisen: die ewige eine Philosophie, die philosophia perennis. Auf diesen geschichtlichen Grundunseres Denkens sind wir angewiesen, wenn wir mit hellstem Bewutsein und wesentlich denken wollen.

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    2. Ursprnge der Philosophie

    Die Geschichte der Philosophie als methodisches Denken hat ihreAnfnge vor zweieinhalb Jahrtausenden, als mythisches Denken

    aber viel frher.Doch Anfang ist etwas anderes als Ursprung. Der Anfang ist

    historisch und bringt fr die Nachfolgenden eine wachsende Mengevon Voraussetzungen durch die nun schon geleistete Denkarbeit.Ursprung aber ist jederzeit die Quelle, aus der der Antrieb zumPhilosophieren kommt. Durch ihn erst wird die je gegenwrtigePhilosophie wesentlich, die frhere Philosophie verstanden.

    Dieses Ursprngliche ist vielfach. Aus dem Staunen folgt dieFrage und die Erkenntnis, aus dem Zweifel am Erkannten die kritische Prfung und die klare Gewiheit, aus der Erschtterungdes Menschen und dem Bewutsein seiner Verlorenheit die Fragenach sich selbst. Vergegenwrtigen wir uns zunchst diese dreiMotive.

    Erstens: Plato sagte, der Ursprung der Philosophie sei das Er

    staunen. Unser Auge hat uns des Anblicks der Sterne, der Sonneund des Himmelsgewlbes teilhaftig werden lassen. Dieser Anblickhat uns den Trieb zur Untersuchung des Alls gegeben. Darausist uns die Philosophie erwachsen, das grte Gut, das dem sterb-lichen Geschlecht von den Gttern verliehen ward. Und Aristoteles: Denn die Verwunderung ist es, was die Menschen zum Philosophieren trieb: sie wunderten sich zuerst ber das ihnen aufstoende Befremdliche, gingen dann allmhlich weiter und fragtennach den Wandlungen des Monds, der Sonne, der Gestirne und derEntstehung des Alls.

    Sich wundern drngt zur Erkenntnis. Im Wundern werde ich mirdes Nichtwissens bewut. Ich suche das Wissen, aber um des Wissensselber willen, nicht zu irgendeinem gemeinen Bedarf.

    Das Philosophieren ist wie ein Erwachen aus der Gebundenheitan die Lebensnotdurft. Das Erwachen vollzieht sich im zweckfreien

    Blick auf die Dinge, den Himmel und die Welt, in den Fragen: wasdas alles und woher das alles sei - Fragen, deren Antwort keinemNutzen dienen soll, sondern an sich Befriedigung gewhrt.

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    Zweitens: Habe ich Befriedigung meines Staunens und Bewun-derns in der Erkenntnis des Seienden gefunden, so meldet sich baldder Zweifel. Zwar hufen sich die Erkenntnisse, aber bei kritischerPrfung ist nichts gewi. Die Sinnes Wahrnehmungen sind durch

    unsere Sinnesorgane bedingt und tuschend, jedenfalls nicht bereinstimmend mit dem, was auer mir unabhngig vom Wahrgenommenwerden an sich ist. Unsere Denkformen sind die unseresmenschlichen Verstandes. Sie verwickeln sich in unlsbare Widersprche. berall stehen Behauptungen gegen Behauptungen. Philosophierend ergreife ich den Zweifel, versuche ihn radikal durchzufhren, nun aber entweder mit der Lust an der Verneinung durchden Zweifel, der nichts mehr gelten lt, aber auch seinerseitskeinen Schritt voran tun kann oder mit der Frage: wo denn Gewiheit sei, die allem Zweifel sich entziehe und bei Redlichkeit jederKritik standhalte.

    Der berhmte Satz des Descartes Ich denke, also bin ichwar ihm unbezweifelbar gewi, wenn er an allem anderen zweifelte.Denn selbst die vollkommene Tuschung in meinem Erkennen, dieich vielleicht nicht durchschaue, kann mich nicht auch darber tu

    schen, da ich doch bin, wenn ich in meinem Denken getuschtwerde.

    Der Zweifel wird als methodischer Zweifel die Quelle kritischerPrfung jeder Erkenntnis. Daher: ohne radikalen Zweifel keinwahrhaftiges Philosophieren. Aber entscheidend ist, wie und wodurch den Zweifel selbst der Boden der Gewiheit gewonnenwird.

    Und nun drittens: Hingegeben an die Erkenntnis der Gegenstnde in der Welt, im Vollzug des Zweifels als des Weges zur Gewiheit bin ich bei den Sachen, denke ich nicht an mich, nicht anmeine Zwecke, mein Glck, mein Heil. Vielmehr bin ich selbstvergessen befriedigt im Vollzug jener Erkenntnisse.

    Das wird anders, wenn ich meiner selbst in meiner Situation mirbewut werde.

    Der Stoiker Epiktet sagte: Der Ursprung der Philosophie ist dasGewahrwerden der eigenen Schwche und Ohnmacht. Wie helfeich mir in der Ohnmacht? Seine Antwort lautete: indem ich alles,was nicht in meiner Macht steht, als fr mich gleichgltig betrachte

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    in seiner Notwendigkeit, dagegen, was an mir liegt, nmlich dieWeise und den Inhalt meiner Vorstellungen, durdi Denken zurKlarheit und Freiheit bringe.

    Vergewissern wir uns unserer menschlichen Lage. Wir sind immer

    in Situationen. Die Situationen wandeln sich, Gelegenheiten tretenauf. Wenn sie versumt werden, kehren sie nicht wieder. Ich kannselber an der Vernderung der Situation arbeiten. Aber es gibtSituationen, die in ihrem Wesen bleiben, auch wenn ihre augenblickliche Erscheinung anders wird und ihre berwltigende Machtsich in Schleier hllt: ich mu sterben, ich mu leiden, ich mukmpfen, ich bin dem Zufall unterworfen, ich verstricke mich un

    ausweichlich in Schuld Diese Grundsituationen unseres Daseinsnennen wir Grenzsituationen. Das heit, es sind Situationen, berdie wir nicht hinaus knnen, die wir nicht ndern knnen. Das Bewutwerden dieser Grenzsituationen ist nach dem Staunen und demZweifel der tiefere Ursprung der Philosophie. Im bloen Daseinweichen wir oft vor ihnen aus, indem wir die Augen schlieen undleben, als ob sie nicht wren. Wir vergessen, da wir sterben mssen, vergessen unser Schuldigsein und unser Preisgegebensein an denZufall. Wir haben es dann nur mit den konkreten Situationen zutun, die wir meistern zu unseren Gunsten, und auf die wir reagieren durdi Plan und Handeln in der Welt, getrieben von unserenDaseinsinteressen. Auf Grenzsituationen aber reagieren wir entweder durch Verschleierung oder, wenn wir sie wirklich erfassen,durch Verzweiflung und durch Wiederherstellung: wir werden wirselbst in einer Verwandlung unseres Seinsbewutseins.

    Machen wir uns unsere menschliche Lage auf andere Weise deutlichals die Unzuverlssigkeit allen Weltseins.

    Die Fraglosigkeit in uns nimmt die Welt als das Sein schlechthin.In glcklicher Lage jubeln wir aus unserer Kraft, haben gedankenloses Zutrauen, kennen nichts anderes als unsere Gegenwrtigkeit.Im Schmerz, in der Kraftlosigkeit, in der Ohnmacht verzweifeln wir.

    Und wenn es berstanden ist und wir noch leben, so lassen wir unswieder selbstvergessen hineingleiten in das Leben des Glcks.Aber der Mensch ist durch solche Erfahrungen klug geworden.

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    Die Bedrohung drngt ihn, sich zu sichern. Naturbeherrschung undmenschliche Gemeinschaft sollen das Dasein garantieren.

    Der Mensch bemchtigt sich der Natur, um ihren Dienst sich verfgbar zu machen; Natur soll durch Erkenntnis und Technik verllich werden.

    Doch in der Beherrschung der Natur bleibt die Unberechenbarkeit und damit die stndige Bedrohung, und dann das Scheitern imganzen: die schwere mhsame Arbeit, Alter, Krankheit und Todsind nicht abzuschaffen. Alles Verllichwerden beherrschter Naturist nur ein Besonderes im Rahmen der totalen Unverllichkeit.

    Und der Mensch vereinigt sich zur Gemeinschaft, um den endlosenKampf aller gegen alle einzuschrnken und am Ende auszuschal

    ten; in gegenseitiger Hilfe will er Sicherheit gewinnen.Aber auch hier bleibt die Grenze. Nur wo Staaten in einem Zu

    stand wren, da jeder Brger so zum anderen steht, wie es dieabsolute Solidaritt fordert, da knnten Gerechtigkeit und Freiheit im Ganzen sicher sein. Denn nur dann stehen, wenn einemUnrecht geschieht, die anderen wie ein Mann dagegen. Das warniemals so. Immer ist es ein begrenzter Kreis von Menschen, oder es

    sind nur einzelne, die freinander im uersten, auch in der Ohnmacht, wirklich da bleiben. Kein Staat, keine Kirche, keine Gesellschaft schtzt absolut. Solcher Schutz war die schne Tuschungruhiger Zeiten, in denen die Grenze verschleiert blieb.

    Gegen die gesamte Unverllichkeit der Welt aber steht doch dasandere: In der Welt gibt es das Glaubwrdige, das Vertrauenerweckende, gibt es den tragenden Grund: Heimat und Landschaft -

    Eltern und Vorfahren - Geschwister und Freunde - die Gattin. Esgibt den geschichtlichen Grund der berlieferung in der eigenenSprache, im Glauben, im Werk der Denker, der Dichter und Knstler. Aber auch diese gesamte berlieferung gibt keine Geborgenheit,auch sie keine absolute Verllichkeit. Denn als was sie an unsherantritt, ist alles Menschenwerk, nirgends ist Gott in der Welt.Die berlieferung bleibt immer zugleich Frage. Jederzeit mu derMensch im Blick auf sie aus eigenem Ursprung finden, was ihm Ge

    wiheit, Sein, Verllichkeit ist. Aber in der Unverllichkeit allenWeltseins ist der Zeiger aufgerichtet. Er verbietet, in der Welt Genge zu finden; er weist auf ein anderes.

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    Die Grenzsituationen - Tod, Zufall, Schuld und die Unzuverlssig-keit der Welt - zeigen mir das Scheitern. Was tue ich angesichtsdieses absoluten Scheiterns, dessen Einsicht ich mich bei redlicherVergegenwrtigung nicht entziehen kann?

    Der Rat des Stoikers, sidi auf die eigene Freiheit in der Unab

    hngigkeit des Denkens zurckzuziehen, tut uns nicht genug. DerStoiker irrte, indem er die Ohnmacht des Menschen nicht radikalgenug sah. Er verkannte die Abhngigkeit auch des Denkens, dasan sich leer ist, angewiesen auf das, was ihm gegeben wird, und dieMglichkeit des Wahnsinns. Der Stoiker lt uns trostlos in derbloen Unabhngigkeit des Denkens, weil diesem Denken aller Gehalt fehlt. Er lt uns hoffnungslos, weil jeder Versuch einer Spon

    taneitt innerer berwindungen, weil jede Erfllung durch einSichgeschenktwerden in der Liebe und weil die hoffende Erwartungdes Mglichen ausbleibt.

    Aber was der Stoiker will, ist echte Philosophie. Der Ursprungin den Grenzsituationen bringt den Grundantrieb, im Scheitern denWeg zum Sein zu gewinnen.

    Es ist entscheidend fr den Menschen, wie er das Scheitern erfhrt: ob es ihm verborgen bleibt und ihn nur faktisch am Endeberwltigt, oder ob er es unverschleiert zu sehen vermag und alsstndige Grenze seines Daseins gegenwrtig hat; ob er phantastischeLsungen und Beruhigungen ergreift, oder ob er redlich hinnimmtim Schweigen vor dem Undeutbaren. Wie er sein Scheitern erfhrt,das begrndet, wozu der Mensch wird

    In den Grenzsituationen zeigt sich entweder das Nichts, oder eswird fhlbar, was trotz und ber allem verschwindenden Weltsein

    eigentlich ist. Selbst die Verzweiflung wird durch ihre Tatschlich-keit, da sie in der Welt mglich ist, ein Zeiger ber die Welt hinaus.

    Anders gesagt: der Mensch sucht Erlsung. Erlsung wird geboten durch die groen, universalen Erlsungsreligionen. Ihr Kennzeichen ist eine objektive Garantie fr die Wahrheit und Wirklichkeit der Erlsung. Ihr Weg fhrt zum Akt der Bekehrung des Ein

    zelnen. Dies vermag Philosophie nicht zu geben. Und doch ist allesPhilosophieren ein Weltberwinden, ein Analogon der Erlsung.

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    Fassen wir zusammen: Der Ursprung des Philosophierens liegt imVerwundern, im Zweifel, im Bewutsein von Verlorenheit. In jedem Falle beginnt es mit einer den Menschen ergreifenden Erschtterung, und immer sucht es aus der Betroffenheit heraus einZiel.

    Plato und Aristoteles suchten aus der Verwunderung das Wesendes Seins.

    Descartes suchte in der Endlosigkeit des Ungewissen das zwingend Gewisse.

    Die Stoiker suchten in den Leiden des Daseins die Ruhe derSeele.

    Jede der Betroffenheiten hat ihre Wahrheit, je in dem geschicht

    lichen Kleid ihrer Vorstellungen und ihrer Sprache. Wir dringen ingeschichtlicher Aneignung durch sie zu den Ursprngen, die noch inuns gegenwrtig sind.

    Der Drang geht zum verllichen Boden, zur Tiefe des Seins,zur Verewigung.

    Aber vielleicht ist keiner dieser Ursprnge der auch fr uns ursprnglichste, bedingungslose. Die Offenbarkeit des Seins fr die

    Verwunderung lt uns Atem holen, aber verfhrt uns, uns denMenschen zu entziehen und einer reinen, zauberhaften Metaphysikzu verfallen. Die zwingende Gewiheit hat ihren Bereich nur inder Weltorientierung durch wissenschaftliches Wissen. Die unerschtterliche Haltung der Seele im Stoizismus gilt uns nur als bergang in der Not, als Rettung vor dem vlligen Verfall, aber sieselbst bleibt ohne Gehalt und Leben.

    Die drei wirksamen Motive - der Verwunderung und des Er-kennens, des Zweifeb und der Gewiheit, der Verlorenheit und desSelbstwerdens erschpfen nicht, was uns im gegenwrtigen Philosophieren bewegt.

    In diesem Zeitalter des radikalsten Einschnitts der Geschichte,von unerhrtem Zerfall und nur dunkel geahnten Chancen, sinddie bisher vergegenwrtigten drei Motive zwar gltig, aber nichtausreichend. Sie werden unter eine Bedingung gestellt, die derKommunikation zwischen Menschen.

    In der Geschichte bis heute war eine selbstverstndliche Verbundenheit von Mensch zu Mensch in verllichen Gemeinschaften, in

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    Institutionen und im allgemeinen Geist. Noch der Einsame war inseiner Einsamkeit gleichsam getragen. Heute ist der Zerfall amfhlbarsten darin, da immer mehr Menschen sich nicht verstehen,sich begegnen und auseinanderlaufen, gleichgltig gegeneinander,da keine Treue und Gemeinschaft mehr fraglos und verllich ist.

    Jetzt wird uns die allgemeine Situation, die faktisch immer war,entscheidend wichtig: Da ich mit dem anderen in der Wahrheiteinig werden kann und es nicht kann; da mein Glaube, geradewenn ich mir gewi bin, auf anderen Glauben stt; da irgendwoan der Grenze immer nur der Kampf ohne Hoffnung auf Einheitzu bleiben scheint, mit dem Ausgang von Unterwerfung oder Vernichtung; da Weichheit und Widerstandslosigkeit die Glaubenslo

    sen sich entweder blind anschlieen oder eigensinnig trotzen lat -alles das ist nicht beilufig und unwesentlich.

    Das knnte es sein, wenn es fr mich in der Isolierung eineWahrheit gbe, an der ich genug htte. Jenes Leiden an mangelnder Kommunikation und jene einzigartige Befriedigung in echterKommunikation machte uns philosophisch nicht so betroffen, wennich fr mich selbst in absoluter Einsamkeit der Wahrheit gewi

    wre. Aber ich bin nur mit dem andern, allein bin ich nichts.Kommunikation nicht blo von Verstand zu Verstand, von

    Geist zu Geist, sondern von Existenz zu Existenz hat alle unpersnlichen Gehalte und Geltungen nur als ein Medium. Rechtfertigenund Angreifen sind dann Mittel, nicht um Macht zu gewinnen,sondern um sich nahe zu kommen. Der Kampf ist ein liebenderKampf, in dem jeder dem anderen alle Waffen ausliefert. Gewi

    heit eigentlichen Seins ist allein in jener Kommunikation, in derFreiheit mit Freiheit in rckhaltlosem Gegeneinander durch Miteinander steht, alles Umgehen mit dem anderen nur Vorstufe ist,im Entscheidenden aber gegenseitig alles zugemutet, an den Wurzeln gefragt wird. Erst in der Kommunikation verwirklicht sichalle andere Wahrheit, in ihr allein bin ich ich selbst, lebe ich nichtblo, sondern erflle das Leben. Gott zeigt sich nur indirekt undnicht ohne Liebe von Mensch zu Mensch; die zwingende Gewiheitist partikular und relativ, dem Ganzen untergeordnet; der Stoizismus wird zur leeren und starren Haltung.

    Die philosophische Grundhaltung, deren gedanklichen Ausdruck

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    ich Ihnen vortrage, wurzelt in der Betroffenheit vom Ausbleibender Kommunikation, in dem Drang zu echter Kommunikationund in der Mglichkeit liebenden Kampfes, der Selbstsein mitSelbstsein in der Tiefe verbindet.

    Und dieses Philosophieren wurzelt zugleich in jenen drei philosophischen Betroffenheiten, die alle unter die Bedingung gestelltwerden, was sie bedeuten, sei es als Helfer oder sei es als Feinde,fr die Kommunikation von Mensch zu Mensch.

    So gilt: der Ursprung der Philosophie liegt zwar im Sich verwundern, im Zweifel, in der Erfahrung der Grenzsituationen, aberzuletzt, dieses alles in sich schlieend, in dem Willen zur eigentlichen Kommunikation. Das zeigt sich von Anfang an schon darin,

    da alle Philosophie zur Mitteilung drngt, sich ausspricht, gehrtwerden mchte, da ihr Wesen die Mitteilbarkeit selbst und dieseunablsbar vom Wahrsein ist.

    Erst in der Kommunikation wird der Zweck der Philosophieerreicht, in dem der Sinn aller Zwecke zuletzt gegrndet ist: dasInnewerden des Seins, die Erhellung der Liebe, die Vollendung derRuhe.

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    3. Das Umgreifende

    Heute mchte ich Ihnen einen philosophischen Grundgedanken

    vonragen, der einer der schwierigsten ist. Er ist unerllich, weil erden Sinn eigentlich philosophischen Denkens begrndet. Er muauch in einfachster Form verstndlich sein, obgleich seine Ausarbeitung ein verwickeltes Geschft ist. Ich versuche es, ihn anzudeuten.

    Philosophie begann mit der Frage: Was ist? - es gibt zunchstvielerlei Seiendes, die Dinge in der Welt, die Gestalten des Leblosen

    und des Lebendigen, endlos vieles, alles kommend und gehend. Wasist aber das eigentliche Sein, das heit das Sein, das alles zusammenhlt, allem zugrunde liegt, aus dem alles, was ist, hervorgeht?

    Die Antwort darauf ist sonderbar vielfltig. Ehrwrdig, die lteste Antwort des ltesten Philosophen, ist die des Thaies: alles istWasser, ist aus dem Wasser. In der Folge hie es statt dessen, allessei im Grunde Feuer oder Luft oder das Unbestimmte oder dieMaterie oder die Atome oder: das Leben, das erste Sein sei, worausalles Leblose nur Abfall bedeute, oder: der Geist, fr den die DingeErscheinungen sind, seine Vorstellungen, durch ihn gleichsam als einTraum hervorgebracht. Man sieht so eine groe Reihe von Weltanschauungen, die man mit dem Namen Materialismus (alles istStoff und naturmechanisches Geschehen), Spiritualismus (alles istGeist), Hylozoismus (das All ist eine seelisch lebendige Materie)und unter anderen Gesichtspunkten benannt hat. In allen Fllen

    wurde die Antwort auf die Frage, was eigentlich das Sein sei, gegeben durch Hinweis auf ein in der Welt vorkommendes Seiendes,das den besonderen Charakter haben sollte, aus ihm sei alles andere.

    Aber was ist denn richtig? Die Begrndungen im Kampfe derSchulen haben in Jahrtausenden nicht vermocht, einen dieser Standpunkte als den wahren zu erweisen. Fr jeden zeigt sich etwasWahres, nmlich eine Anschauung und eine Forschungsweise, die in

    der Welt etwas zu sehen lehrt. Aber jeder wird falsch, wenn er sichzum einzigen macht und alles, was ist, durch seine Grundauffassungerklren will.

    Woran liegt das? Allen diesen Anschauungen ist eines gemein-

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    sam: sie erfassen das Sein als etwas, das mir als Gegenstand gegenbersteht, auf das ich als auf ein mir gegenberstehendes Objekt, esmeinend, gerichtet bin. Dieses Urphnomen unseres bewuten Daseins ist uns so selbstverstndlich, da wir sein Rtsel kaum spren,weil wir es gar nicht befragen. Das, was wir denken, von dem wirsprechen, ist stets ein anderes als wir, ist das, worauf wir, die Sub

    jekte, als auf ein Gegenberstehendes, die Objekte, geriditet sind.Wenn wir uns selbst zum Gegenstand unseres Denkens machen,werden wir selbst gleichsam zum anderen und sind immer zugleichals ein denkendes Ich wieder da, das dieses Denken seiner selbstvollzieht, aber doch selbst nicht angemessen als Objekt gedachtwerden kann, weil es immer wieder die Voraussetzung jedes Objekt

    gewordenseins ist. Wir nennen diesen Grundbefund unseres denkenden Daseins die Subjekt-Objekt-Spaltung. Stndig sind wir inihr, wenn wir wachen und bewut sind. Wir knnen uns denkenddrehen und wenden, wie wir wollen, immer sind wir in dieserSpaltung auf Gegenstndliches gerichtet, sei der Gegenstand dieRealitt unserer Sinneswahrnehmung, sei es der Gedanke idealerGegenstnde, etwa Zahlen und Figuren, sei es ein Phantasieinhalt

    oder gar die Imagination eines Unmglichen. Immer sind Gegenstnde als Inhalt unseres Bewutseins uerlich oder innerlich unsgegenber. Es gibt mit Schopenhauers Ausdruck - kein Objektohne Subjekt und kein Subjekt ohne Objekt.

    Was hat dieses jeden Augenblick gegenwrtige Geheimnis derSubjekt-Objekt-Spaltung zu bedeuten? Offenbar doch, da das

    Sein im Ganzen weder Objekt noch Subjekt sein kann, sondern dasUmgreifende sein mu, das in dieser Spaltung zur Erscheinungkommt.

    Das Sein schlechthin kann nun offenbar nidit ein Gegenstand(Objekt) sein. Alles, was mir Gegenstand wird, tritt aus dem Umgreifenden an mich heran, und ich als Subjekt aus ihm heraus.Der Gegenstand ist ein bestimmtes Sein fr das Ich. Das Umgreifende bleibt fr mein Bewutsein dunkel. Es wird hell nur durchdie Gegenstnde und um so heller, je bewuter und klarer die Gegenstnde werden. Das Umgreifende wird nicht selbst zum Gegenstand, aber kommt in der Spaltimg von Ich und Gegenstand zur

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    Erscheinung. Es selbst bleibt Hintergrund, aus ihm grenzenlos inder Erscheinung sich erhellend, aber es bleibt immer das Umgreifende.

    Nun liegt in allem Denken eine zweite Spaltung. Jeder Gegenstandals bestimmter steht, wenn klar gedacht, immer in bezug auf andereGegenstnde. Die Bestimmtheit bedeutet Unterscheidung des einenvom anderen. Noch wenn ich das Sein berhaupt denke, denke ichals Gegensatz das Nichts.

    Also steht jeder Gegenstand, jeder gedachte Inhalt, jedes Objektin der doppelten Spaltung. Er steht erstens in bezug auf mich, dasdenkende Subjekt, und zweitens in bezug auf andere Gegenstnde.Er kann als gedachter Inhalt niemals alles sein, nie das Ganze desSeins, nie das Sein selbst. Jedes Gedachtsein bedeutet Herausgefallensein aus dem Umgreifenden. Es ist ein je Besonderes, das gegenbersteht sowohl dem Ich wie den anderen Gegenstnden.

    Das Umgreifende ist also das, was sich im Gedachtsein immer nurankndigt. Es ist das, was nicht selbst, sondern worin alles andere

    uns vorkommt.

    Was bedeutet solche Vergewisserung?Der Gedanke ist, gemessen an unserem gewohnten Verstand im

    Verhltnis zu den Dingen, unnatrlich. Unser auf das Praktische inder Welt gerichteter Verstand strubt sich.

    Die Grundoperation, mit der wir uns denkend ber alles Gedachte hinausschwingen, ist vielleicht nicht schwierig, aber doch sofremdartig, weil sie nicht die Erkenntnis eines neuen Gegenstandesbedeutet, der dann falich wird, sondern mit Hilfe des Gedankenseine Verwandlung unseres Seinsbewutseins bewirken mchte.

    Weil der Gedanke uns keinen neuen Gegenstand zeigt, ist er imSinne des uns gewohnten Weltwissens leer. Aber durch seine Formffnet er die unendlichen Mglichkeiten der Erscheinung des Seien

    den fr uns, und lt er zugleich alles Seiende transparent werden.Er verwandelt den Sinn der Gegenstndlichkeit fr uns, indem erin uns die Fhigkeit erweckt, in Erscheinungen hren zu knnen,was eigentlich ist.

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    Versuchen wir noch einen Schritt zur Erhellung des Umgreifenden.Vom Umgreifenden philosophieren, das wrde bedeuten, einzu

    dringen in das Sein selbst. Dies kann nur indirekt geschehen. Dennindem wir sprechen, denken wir in Gegenstnden. Wir mssendurch gegenstndliches Denken die Zeiger auf das Ungegenstndliche des Umgreifenden gewinnen.

    Ein Beispiel ist das, was wir eben denkend vollzogen haben:Die Subjekt-Objekt-Spaltung, in der wir immer darin sind, die wirnicht von auen zu sehen vermgen, machen wir, indem wir sieaussprechen, zum Gegenstand, aber unangemessen. Denn Spaltungist ein Verhltnis von Dingen in der Welt, die mir als Objekte gegenberstehen. Dieses Verhltnis wird ein Bild, um auszudrcken,was gar nicht sichtbar, niemals selber gegenstndlich ist.

    Diese Subjekt-Objekt-Spaltung vergewissern wir uns, bildhaftweiter denkend aus dem, was uns ursprnglich gegenwrtig ist,als ihrerseits von mehrfachem Sinn. Sie ist ursprnglich verschieden,ob ich als Verstand auf Gegenstnde, als lebendiges Dasein aufmeine Umwelt, als Existenz auf Gott gerichtet bin.

    Als Verstand stehen wir fabaren Dingen gegenber und haben

    von ihnen, soweit es gelingt, zwingend allgemeingltige Erkenntnis, je von bestimmten Gegenstnden.

    Als daseiende Lebewesen in unserer Umwelt sind wir in ihr betroffen von dem, was sinnlich anschaulich erfahren, im Erlebenwirklich wird als das Gegenwrtige, das in kein allgemeines Wissenaufgeht.

    Als Existenz sind wir auf Gott - die Transzendenz - bezogen

    und dies durch die Sprache der Dinge, die sie zu Chiffern oderSymbolen werden lt. Weder unser Verstand noch unsere vitaleSinnlichkeit erfat die Wirlichkeit dieses Chifferseins. Gottes Gegenstandsein ist eine Wirklichkeit nur fr uns als Existenz undliegt in durchaus anderer Dimension als empirisch reale, zwingenddenkbare, sinnlich affizierende Gegenstnde.

    So gliedert sich das Umgreifende, wenn wir uns seiner vergewis

    sern wollen, alsbald in mehrere Weisen des Umgreifendseins, undso geschah die Gliederung eben am Leitfaden der drei Weisen vonSubjekt-Objekt-Spaltung in erstens den Verstand als Bewutseinberhaupt, als das wir alle identisch sind, zweitens des lebendigen

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    Daseins, als das wir jeder eine besondere Individualitt sind, drittens die Existenz, als die wir eigentlich wir selbst in unserer Ge-schichtlichkeit sind.

    Die Ausarbeitung solcher Vergewisserung kann ich nicht in Kr

    ze berichten. Es mu gengen, zu sagen, da das Umgreifende,gedacht als das Sein selbst, Transzendenz (Gott) und die Welt genannt wird, als das, was wir selber sind: Dasein, Bewutsein berhaupt, Geist und Existenz.

    Haben wir mit unserer philosophischen Grundoperation die Fesseln gelst, die uns am Objekte als an das vermeintliche Sein selbst

    binden, so verstehen wir den Sinn der Mystik. Seit Jahrtausendenhaben Philosophen in China, Indien und dem Abendlande etwasausgesprochen, was berall und durch alle Zeiten gleich, wenn auchin der Mitteilungsweise mannigfach ist: Der Mensch vermag dieSubjekt-Objekt-Spaltung zu berschreiten zu einem vlligen Einswerden von Subjekt und Objekt, unter Verschwinden aller Gegenstndlichkeit und unter Erlschen des Ich. Da ffnet sich das eigent

    liche Sein und hinterlt beim Erwachen ein Bewutsein tiefster,unausschpfbarer Bedeutung. Fr den aber, der es erfuhr, ist jenesEinswerden das eigentliche Erwachen und das Erwachen zum Bewutsein in der Subjekt-Objekt-Spaltung vielmehr Schlaf. Soschreibt Plotin, der grte der mystischen Philosophen des Abendlandes:

    Oft wenn ich aus dem Schlummer des Leibes zu mir selbst erwache, schaue ich eine wundersame Schnheit: ich glaube dann amfestesten an meine Zugehrigkeit zu einer besseren und hherenWelt, wirke krftig in mir das herrlichste Leben und bin mit derGottheit eins geworden.

    An den mystischen Erfahrungen kann kein Zweifel sein, auchnicht daran, da jedem Mystiker in der Sprache, durch die er sichmitteilen mchte, das Wesentliche nicht sagbar wird. Der Mystikerversinkt im Umgreifenden. Was sagbar wird, tritt in die Subjekt-

    Objekt-Spaltung, und ein ins Unendliche vorandringendes Hellwerden im Bewutsein erreicht nie die Flle jenes Ursprungs. Redenknnen wir aber nur von dem, was gegenstndliche Gestalt gewinnt. Das andere ist unmitteilbar. Da es aber im Hintergrund

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    jener philosophischen Gedanken steht, die wir die spekulativennennen, macht deren Gehalt und Bedeutung aus.

    Auf dem Grunde unserer philosophischen Vergewisserung des Um

    greifenden verstehen wir auch besser die groen Seinslehren undMetaphysiken der Jahrtausende vom Feuer, von der Materie, vomGeist, vom Weltproze usw. Denn sie waren in der Tat nicht erschpft von einem gegenstndlichen Wissen, als das sie sich oft verstanden und als das sie durchweg falsch sind, sondern sie wareneine Chifferschrift des Seins, aus der Gegenwart des Umgreifendenvon den Philosophen zur Selbst- und Seinserhellung entworfen und dann alsbald falschlich fr ein bestimmtes Objektsein als daseigentliche Sein gehalten.

    Wenn wir uns in den Erscheinungen der Welt bewegen, werdenwir uns bewut, da Sein selbst weder in dem immer verengendenGegenstand, noch in dem Horizont unserer immer beschrnktenWelt als der Gesamtheit der Erscheinungen zu haben, sondern alleinin dem Umgreifenden, das ber alle Gegenstnde und Horizontehinaus, hinaus ber die Subjekt-Objekt-Spaltung ist.

    Wenn wir durch die philosophische Grundoperation des Umgreifenden innegeworden sind, so fallen die anfnglich aufgezhltenMetaphysiken, alle jene vermeintlidien Seinserkenntnisse dahin, sobald sie irgendein noch so groes und wesentliches Seiendes in derWelt fr das Sein selbst halten wollten. Aber sie sind die einzigeuns mgliche Sprache, wenn wir hinausdringen ber alles Seiendein Gegenstnden, Gedachtheiten, Welthorizonten, ber alle Er

    scheinungen, um das Sein selbst zu erblicken.Denn dieses Ziel erreichen wir nicht, indem wir die Welt ver

    lassen, es sei denn in der inkommunikablen Mystik. Nur im deutlichen, gegenstndlichen Wissen kann unser Bewutsein hell bleiben.Nur in ihm kann es im Erfahren seiner Grenzen durch das, was ander Grenze fhlbar ist, seinen Gehalt empfangen. Im Darber-hinaus-Denken bleiben wir immer zugleich darin. Indem uns die

    Erscheinung durchsichtig wird, bleiben wir an sie gebannt.Durch Metaphysik hren wir das Umgreif ende der Transzendenz.Wir verstehen diese Metaphysik als Chifferschrift.

    Aber wir verfehlen ihren Sinn, wenn wir in den unverbindlichen

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    sthetischen Genu dieser Gedanken verfallen. Denn ihr Gehaltzeigt sich uns nur, wenn wir die Wirklichkeit in der Chiffer hren.Und wir hren nur aus der Wirklichkeit unserer Existenz, nicht ausdem bloen Verstnde, der vielmehr hier berall keinen Sinn zu

    sehen meint.Aber wir drfen erst redit nicht die Chiffer (das Symbol) derWirklichkeit fr leibhaftige Realitt halten wie die Dinge, die wirfassen, mit denen wir hantieren und die wir verzehren. Das Objektals solches fr eigentliches Sein zu halten, das ist das Wesen allerDogmatik, und die Symbole als materielle Leibhaftigkeit fr realzu halten, ist insbesondere das Wesen des Aberglaubens. DennAberglaube ist Fesselung an das Objekt, Glaube ist Grndung imUmgreifenden.

    Und nun die letzte, methodologische Folge der Vergewisserung desUmgreifenden: Das Bewutsein der Gebrochenheit unseres philosophischen Denkens.

    Erdenken wir das Umgreifende in philosophischer Ausarbeitung, so machen wir doch wieder zum Gegenstand, was seinem

    Wesen nach nicht Gegenstand ist. Daher ist der stndige Vorbehaltntig, das Gesagte als gegenstndlichen Inhalt rckgngig zu machen, um dadurch jenes Innewerden des Umgreifenden zu gewinnen, das nicht Ergebnis einer Forschung als nunmehr aufsagbarerInhalt ist, sondern eine Haltung unseres Bewutseins. Nicht meinWissen, sondern mein Selbstbewutsein wird anders.

    Das aber ist nun der Grundzug alles eigentlichen Philosophierens.

    Im Medium des gegenstndlich bestimmten Denkens und nur inihm erfolgt der Aufschwung des Menschen in das Umgreifende. Erbringt zur Wirksamkeit im Bewutsein den Grund unseres Daseinsim Sein selbst, die Fhrung von da, die Grundstimmung, die Sinngebung unseres Lebens und Tuns. Er lst uns aus den Fesseln desbestimmten Denkens, indem er dieses nicht etwa preisgibt, sondernbis zum uersten treibt. Er lt in dem allgemeinen philosophi

    schen Gedanken die Flanke offen fr seine Verwirklichung in unserer Gegenwrtigkeit.Damit Sein fr uns sei, ist Bedingung, da das. Sein in der

    Spaltung von Subjekt und Objekt durch Erfahrung auch fr die

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    Seele gegenwrtig wird. Daher der Drang in uns zur Klarheit.Alles nur dunkel Gegenwrtige soll in gegenstndlicher Gestalt undaus dem Wesen des sich erfllenden Ichs ergriffen werden. Auch dasSein selbst, das Allbegrndende, das Unbedingte will in der Form

    der Gegenstndlichkeit vor Augen stehen, wenn auch in einer Form,die, weil als Gegenstndlichkeit unangemessen, sich wieder zertrmmert und in der Zerstrung die reine Klarheit der Gegenwart desUmgreifenden hinterlt.

    Das Bewutwerden der Subjekt-Objekt-Spaltung als Grundtatbestand unseres denkenden Daseins und des Umgreifenden, das inihm gegenwrtig wird, bringt uns erst die Freiheit des Philosophierens.

    Der Gedanke lst uns aus jedem Seienden. Er zwingt uns zurUmkehr aus jeder Sackgasse einer Verfestigung. Es ist ein unsgleichsam umwendender Gedanke.

    Der Verlust der Absolutheit der Dinge und der gegenstndlichenErkenntnistheorie heit dem, der darin seinen Halt besa, Nihilismus. Fr alles, was durch Sprache und Gegenstndlichkeit seine

    Bestimmtheit und damit Endlichkeit gewinnt, schwindet der ausschlieende Anspruch, Wirklichkeit und Wahrheit zu sein.

    Unser philosophisches Denken geht durch diesen Nihilismus, dervielmehr die Befreiung zum eigentlichen Sein ist. Durch eine Wiedergeburt unseres Wesens im Philosophieren erwchst der je begrenzte Sinn und Wert aller endlichen Dinge, wird die Unumgnglichkeit der Wege durch sie hindurch gewi, aber wird zugleich der

    Grund gewonnen, aus dem erst der freie Umgang mit diesen Dingen mglich ist.Der Sturz aus den Festigkeiten, die doch trgerisch waren, wird

    Schwebenknnen - was Abgrund schien, wird Raum der Freiheit- das scheinbare Nichts verwandelt sich in das, woraus das eigentliche Sein zu uns spricht.

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    4. Der Gottesgedanke

    Unser abendlndischer Gottesgedanke hat geschichtlich zwei Wur

    zeln: die Bibel und die griechische Philosophie.Als Jeremias den Untergang von allem sah, fr das er sein langesLeben hindurch gewirkt hatte, als sein Land und sein Volk verloren waren, als in gypten die letzten Reste seines Volkes auchnoch dem Glauben an Jahwe untreu wurden und der Isis opferten,und als sein Jnger Baruch verzweifelte: Ich bin matt vom Seufzen und finde keine Ruhe, da antwortete Jeremias: So sprichtJahwe: Frwahr, was ich aufgebaut habe, reie ich nieder, und wasich eingepflanzt habe, reie ich aus, und da verlangst du fr dichGroes? Verlange nicht!

    In solcher Situation haben diese Worte den Sinn: da Gott ist,das ist genug. Ob es Unsterblichkeit gibt, danach wird nicht gefragt; ob Gott vergibt, solche Frage steht nicht mehr im Vordergrund. Auf den Menschen kommt es gar nicht mehr an, seinEigenwille ist wie sein Kmmern um eigene Seligkeit und Ewigkeit

    erloschen. Aber auch, da die Welt im ganzen einen in sich vollendbaren Sinn, da sie in irgendeiner Gestalt Bestand habe, ist als unmglich begriffen; denn alles ist aus dem Nichts von Gott geschaffenund in seiner Hand. Im Verlust von allem bleibt allein: Gott ist.Wenn ein Leben in der Welt auch unter geglaubter Fhrung Gottesdas Beste versuchte und doch scheiterte, so bleibt die eine ungeheureWirklichkeit: Gott ist. Wenn der Mensch ganz und gar auf sich

    und seine Ziele verzichtet, dann vermag sich ihm diese Wirkiidikeitab die einzige Wirkiidikeit zu zeigen. Aber sie zeigt sich nicht vorher, nicht abstrakt, sondern nur bei eigener Einsenkung in das Dasein der Weit und zeigt sich hier erst an der Grenze.

    Jeremias' Worte sind herbe Worte. Sie sind nicht mehr verbunden einem geschichtlichen Wirkungswillen in der Welt, der aberlebenwhrend vorherging und am Ende im vollkommenen Schei-

    tern erst diesen Sinn ermglichte. Sie sprechen schlicht, ohne Phan-tastik und enthalten unergrndlidie Wahrheit, gerade weil sie aufjeden Inhalt in der Aussage, auf jede Festigung in der Welt verzichten.

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    Anders und doch bereinstimmend klingen die Aussagen dergriechischen Philosophie.

    Xenophanes um 500 v. Chr. kndete: es herrscht nur ein einziger Gott, weder an Aussehen den Sterblichen hnlich, noch an Ge

    danken. Plato dachte die Gottheit - er nennt sie das Gute - alsUrsprung aller Erkenntnis. Das Erkennbare wird nicht nur imLicht der Gottheit erkannt, sondern hat sein Sein von ihr, die selberan Wrde und Kraft ber das Sein hinausragt.

    Die griechischen Philosophen haben begriffen: nur der Sitte nachgibt es viele Gtter, von Natur nur einen, man sieht Gott nicht mitAugen, er gleicht niemandem, er ist aus keinem Bilde zu erkennen.

    Gedacht wird die Gottheit als Weltvernunft oder als Weltgesetz,oder als Schicksal und Vorsehung, oder als Weltbaumeister.

    Aber es handelt sich bei den griechischen Denkern um einen gedachten Gott, nicht um den lebendigen Gott des Jeremias. Der Sinnbeider trifft zusammen. Die abendlndische Theologie und Philosophie hat in unendlichen Abwandlungen aus dieser zweifachenWurzel gedacht, da Gott sei und was Gott sei.

    Philosophen unserer Zeit scheinen die Frage, ob Gott sei, gern zuumgehen. Weder behaupten sie sein Dasein, noch leugnen sie es.Aber wer philosophiert, hat Rede zu stehen. Wird Gott bezweifelt,hat der Philosoph eine Antwort zu geben, oder er verlt nicht dieskeptische Philosophie, in der berhaupt nichts behauptet, nichtbejaht und nichts verneint wird. Oder unter Beschrnkung aufgegenstndlich bestimmtes Wissen, das heit auf wissenschaftliches

    Erkennen, hrt er auf zu philosophieren mit dem Satze: was mannicht wissen kann, davon soll man schweigen.

    Die Frage nach Gott wird errtert auf Grund von sich widersprechenden Stzen, die wir nacheinander durchgehen:

    Der theologische Satz ist: Von Gott knnen wir nur wissen, weiler sich geoffenbart hat von den Propheten bis zu Jesus. Ohne Offen

    barung ist keine Wirklichkeit Gottes fr den Menschen. Nicht imDenken, sondern im Glaubensgehorsam ist Gott zugnglich.Aber lngst vor und auerhalb der Welt biblischer Offenbarung

    gab es Gewiheit von der Wirklichkeit der Gottheit. Und inner-

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    halb der christlich-abendlndischen Welt haben viele Menschen eineGottesgewiheit ohne die Garantie der Offenbarung vollzogen.

    Gegen den theologischen steht ein alter philosophischer Satz:Von Gott wissen wir, weil sein Dasein bewiesen werden kann.

    Die Gottesbeweise seit dem Altertum sind in ihrer Gesamtheit eingroartiges Dokument.Wenn aber die Gottesbeweise aufgefat werden als wissenschaft

    lich zwingende Beweise im Sinne der Mathematik oder der empirischen Wissenschaften, so sind sie falsch. In der radikalsten Weisehat sie Kant in ihrer zwingenden Gltigkeit widerlegt.

    Nun folgte die Umkehrung: Die Widerlegung aller Gottesbeweisebedeutet, da es keinen Gott gibt.

    Diese Folgerung ist falsch. Denn sowenig Gottes Dasein bewiesen werden kann, ebensowenig sein Nichtdasein. Die Beweise undihre Widerlegungen zeigen nur: ein bewiesener Gott ist kein Gott,sondern wre blo eine Sache in der Welt.

    Gegen vermeintliche Beweise und Widerlegungen des DaseinsGottes scheint die Wahrheit diese zu sein: Die sogenannten Gottesbeweise sind ursprnglich gar nicht Beweise, sondern Wege denken

    den Sichvergewisserns. Die in Jahrtausenden erdachten und in Abwandlungen wiederholten Gottesbeweise haben in der Tat einenanderen Sinn als wissenschaftliche Beweise. Sie sind Vergewisserungen des Denkens in der Erfahrung des Aufschwungs des Menschenzu Gott. Es lassen sich Wege des Gedankens gehen, durch die wiran Grenzen kommen, wo im Sprung das Gottesbewutsein zur natrlichen Gegenwart wird.

    Sehen wir einige Beispiele:Der lteste Beweis heit der kosmologische. Aus dem Kosmos (der

    griechische Name fr Welt) wird auf Gott geschlossen: aus demimmer Verursachten des Weltgeschehens auf die letzte Ursache,aus der Bewegung auf den Ursprung der Bewegung, aus der Zuflligkeit des Einzelnen auf die Notwendigkeit des Ganzen.

    Wenn dieser Schlu gemeint ist als vom Dasein einer Sache auf

    eine andere, so wie aus der uns zugekehrten Seite des Monds aufdessen Rckseite, die wir nie zu sehen bekommen, so gilt er nicht.Vielmehr knnen wir so nur schlieen von Dingen in der Welt auf

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    andere Dinge. Die Welt als Ganzes ist kein Gegenstand, weil wirimmer darin sind und die Welt nie als ein Ganzes uns gegenberhaben. Daher kann von der Welt im Ganzen nicht geschlossen werden auf etwas anderes als Welt.

    Der Gedanke dieses Schlusses verwandelt jedoch seinen Sinn,wenn er nicht mehr als Beweis gilt. Darum bringt er im Gleichniseines Schlusses vom einen auf das andere das Geheimnis zum Bewutsein, das darin liegt, da die Welt und wir darin berhauptsind. Versuchen wir den Gedanken, es knnte auch nichts sein, undfragen mit Schelling: warum ist berhaupt etwas und nicht nichts?,so ist die Gewiheit des Daseins von der Art, da wir auf dieFrage nach seinem Grunde zwar keine Antwort erhalten, aber aufdas Umgreifende gefhrt werden, das seinem Wesen nach schlecht-hin ist und nicht nicht sein kann und durch das alles andere ist.

    Wohl hat man die Welt fr ewig gehalten und hat der Weltselbst den Charakter gegeben, aus sich selbst, daher identisch mitGott zu sein. Das aber gelingt nicht:

    Alles, was in der Welt schn, zweckmig, geordnet und in derOrdnung von einer gewissen Vollendung ist - alles, was wir im un

    mittelbaren Naturanschauen mit Ergriffenheit in unerschpflicherFlle erfahren, das ist nicht aus einem radikal erkennbaren Weltsein, etwa aus einer Materie zu begreifen. Die Zweckmigkeit desLebendigen, die Schnheit der Natur in allen Gestalten, die Ordnung der Welt berhaupt wird im Mae des Fortschreitens faktischer Erkenntnis immer geheimnisvoller.

    Wenn aber nun daraus geschlossen wird auf Gottes Dasein,

    des gtigen Schpfergottes, so steht sofort dagegen alles Hliche,Verworrene, Ungeordnete in der Welt- Dem entsprechen Grundstimmungen, denen die Welt unheimlich, fremd, schaurig, furchtbarist. Der Schlu auf einen Teufel scheint ebenso zwingend wie derauf Gott. Das Geheimnis der Transzendenz hrt damit nicht auf,sondern vertieft sich.

    Entscheidend aber ist, was wir die Unvollendbarkeit der Weltnennen. Die Welt ist nicht am Ende, sondern in stndiger Verwandlung - unsere Erkenntnis der Welt kann keinen Abschlu finden -,die Welt ist aus sich selbst nicht begreifbar.

    Alle diese sogenannten Beweise beweisen nicht nur nicht das Da-

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    sein Gottes, sondern verfhren auch, Gott in eine Weltrealitt zuverwandeln, die sozusagen an den Weltgrenzen festgestellt werde,als eine dort anzutreffende zweite Welt. Dann trben sie den Gottesgedanken.

    Sie werden aber um so eindrucksvoller, je mehr sie durch die konkreten Welterscheinungen hindurch vor das Nichts und vor dieUnvoilendbarkeit fhren. Dann lassen sie gleichsam den Abstogewinnen, uns nicht in der Welt als einzigem Sein mit ihr zufrieden zu geben.

    Es zeigt sich immer wieder: Gott ist kein Gegenstand des Wissens,er ist nicht zwingend erschliebar. Gott ist auch kein Gegenstandder sinnlichen Erfahrung. Er ist unsichtbar, kann nicht geschaut,sondern nur geglaubt werden.

    Woher aber dieser Glaube? Er kommt nicht ursprnglich aus denGrenzen der Welterfahrung, sondern aus der Freiheit des Menschen. Der Mensch, der sich wirklich seiner Freiheit bewut wird,wird sich zugleich Gottes gewi. Freiheit und Gott sind untrennbar. Warum?

    Ich bin mir gewi: in meiner Freiheit bin ich nicht durch mich

    selbst, sondern werde mir in ihr geschenkt, denn ich kann mir ausbleiben und mein Freisein nicht erzwingen. Wo ich eigentlich ichselbst bin, bin ich gewi, da ich es nicht durch mich selbst bin.Die hchste Freiheit wei sich in der Freiheit von der Welt zugleichals tiefste Gebundenheit an Transzendenz.

    Das Freisein des Menschen nennen wir auch seine Existenz. Gottist fr mich gewi mit der Entschiedenheit, in der ich existiere. Er

    ist gewi nicht als Wissensinhalt, sondern als Gegenwrtigkeit frdie Existenz.Wenn die Gewiheit der Freiheit die Gewiheit vom Sein Gottes

    in sich schliet, so ist ein Zusammenhang zwischen Leugnung derFreiheit und Gottesleugnung. Erfahre ich nicht das Wunder desSelbstseins, so brauche ich keine Beziehung auf Gott, sondern binzufrieden mit dem Dasein der Natur, vieler Gtter, der Dmonen.

    Und es besteht andrerseits ein Zusammenhang zwischen der Behauptung einer Freiheit ohne Gott und der Vergtterung des Menschen. Es ist die Scheinfreiheit der Willkr, die sich als vermeintliche absolute Selbstndigkeit des ich will versteht. Ich verlasse

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    mich auf die eigene Kraft des ich will nun einmal so und auf dastrotzige Sterbenknnen. Aber diese Tuschung vor mir selbst, daich ich selbst durch mich allein sei, lt die Freiheit umsdilagen in dieRatlosigkeit des Leerseins. Die Wildheit des Sichdurchsetzenwo1-

    lens schlgt um in die Verzweiflung, in der eins wird, was Kierkegaard nennt: Verzweifelt man selbst sein wollen, und verzweifeltnicht man selbst sein wollen.

    Gott ist fr mich in dem Mae, als ich in Freiheit wirklich ichselbst werde. Er ist gerade nicht als Wissensinhalt, sondern nur alsOffenbarwerden fr die Existenz.

    Durch die Erhellung unserer Existenz als Freiheit wird nun aberwiederum nicht Gottes Dasein bewiesen, sondern nur gleichsam derOrt gezeigt, an dem seine Gewiheit mglich ist.

    In keinem Gottesbeweis kann der Gedanke, wenn er zwingendeGewiheit bringen soll, sein Ziel erreichen. Aber das Scheitern desGedankens hinterlt nicht nichts. Es weist hin auf das, was imunerschpflichen, stndig in Frage stellenden umgreifenden Gottesbewutsein aufgeht.

    Da Gott keine Greifbarkeit in der Welt wird, das bedeutet zugleich, da der Mensch seiner Freiheit sich nicht entuern soll zugunsten der in der Welt vorkommenden Falichkeiten, Autoritten,Gewalten, da er vielmehr die Verantwortung hat fr sich selbst,der er nicht entlaufen darf, indem er, vermeintlich aus Freiheit,auf Freiheit verzichtet. Er soll sich selber verdanken, wie er sichentscheidet und den Weg findet. Daher sagt Kant: Die unerforsch-

    liche Weisheit sei so bewunderungswrdig in dem, wie sie uns gebe,wie in dem, was sie uns versage. Denn wenn sie in ihrer Majesttuns stndig vor Augen stnde, als zwingende Autoritt in der Welteindeutig sprche, so wrden wir Marionetten ihres Willens. Sieaber wollte uns frei.

    Statt des Wissens von Gott, das unerreichbar ist, vergewissern wir

    uns philosophierend des umgreifenden Gottesbewutseins:Gott ist, in diesem Satze ist die Wirklichkeit entscheidend, aufdie er weist. Diese Wirklichkeit ist nicht schon im Denken des Satzes begriffen; sein bloes Gedachtwerden lt vielmehr leer. Denn

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    was fr Verstand und sinnliche Erfahrung darin liegt, ist nichts.Was in ihm eigentlich gemeint wird, das ist erst im Transzendierenim Hinausschreiten ber die Realitt durch diese selber fhlbar alsdie eigentliche Wirklichkeit. Daher ist Hhepunkt und Sinn unseres Lebens, wo wir eigentlicher Wirklichkeit, da heit Gottes gewi werden.

    Diese Wirklichkeit ist zugnglich der Existenz in der Ursprnglichkeit ihrer Gottbezogenheit. Daher verwehrt die Ursprnglich-keit des Gottesglaubens jedes Mittlertum. Er ist wirklich nicht schonin irgendwelchen bestimmten, fr alle Menschen aussagbaren Glaubensinhalten und nicht in einer fr alle Menschen gleichen, Gottvermittelnden geschichtlichen Wirklichkeit. Vielmehr findet in je

    weiliger Geschichtlichkeit die unmittelbare, keines Mittlers bedurfende, unabhngige Beziehung des Einzelnen zu Gott statt.

    Diese Geschichtlichkeit, aussagbar und darstellbar geworden, istin dieser Gestalt nicht die absolute Wahrheit fr alle, aber doch inihrem Ursprung unbedingt wahr.

    Was Gott wirklich ist, mu er absolut sein und nicht nur in einerder geschichtlichen Erscheinungen seiner Sprache, in der Sprache des

    Menschen. Wenn er ist, mu er daher unmittelbar ohne Umwegefhlbar sein fr den Menschen als Einzelnen.

    Wenn die Wirklichkeit Gottes und die Unmittelbarkeit der geschichtlichen Gottbezogenheit die allgemeingltige Gotteserkenntnis ausschlieen, so ist gefordert statt der Erkenntnis unser Verhalten zu Gott. Von jeher ist Gott gedacht in Gestalten desWeltseins bis zur Gestalt der Persnlichkeit nach Analogien des

    Menschen. Und doch ist jede solche Vorstellung zugleich wie einSchleier. Gott ist nicht, was auch immer wir vor Augen stellen.

    Unser wahres Verhalten zu Gott hat seinen tiefsten Ausdruckin folgenden Stzen der Bibel gefunden:

    Du sollst dir kein Bildnis und Gleichnis machen. Das hie einmal:Gottes Unsichtbarkeit verbietet es, ihn in Gtterbildern, Idolen,Schnitzwerken anzubeten. Dies handgreifliche Verbot vertieft sich

    zu dem, da Gott nicht nur unsichtbar, sondern unvorstellbar,unerdenkbar sei. Kein Gleichnis kann ihm entspredien und keinesdarf sich an seine Stelle setzen. Alle Gleichnisse ohne Ausnahmesind Mythen, als solche sinnvoll im verschwindenden Charakter

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    zunchst die Verwerfung der fremden Gotter. Es wurde vertieft zudem einfachen und unergrndlichen Gedanken: es gibt nur einenGott. Das Leben des Menschen, der den einen, einzigen Gott glaubt,ist gegenber dem Leben mit vielen Gttern auf einen radikalneuen Boden gestellt. Die Konzentration auf das Eine gibt demEntschlu der Existenz erst seinen wirklichen Grund. Der unendliche Reichtum ist doch am Ende Zerstreutheit; das Herrliche entbehrt der Unbedingtheit, wenn der Grund im Einen fehlt. Es ist einbleibendes Problem des Menschen, so gegenwrtig wie vor Jahrtausenden, ob er das Eine zum Grunde seines Lebens gewinnt.

    Ein dritter Satz der Bibel lautet:Dein Wille geschehe. Diese Grundhaltung zu Gott besagt: Sich

    beugen vor dem Unbegreiflichen im Vertrauen, da es ber, nichtunter der Begreiflichkeit liege. Deine Gedanken sind nicht unsereGedanken, deine Wege sind nicht unsere Wege.

    Das Vertrauen in dieser Grundhaltung ermglicht ein umgreifendes Dankgefhl, eine zugleich wortlose und unpersnliche Liebe.

    Der Mensch steht vor der Gottheit ab dem verborgenen Gott undkann das Entsetzlichste hinnehmen als Ratschlu dieses Gottes,

    wohl wissend, da, wie immer er diesen in bestimmter Weise ausdrckt, es schon in Menschenauffassung ausgesprochen und daherfalsch ist.

    Zusammengefat: Unser Verhalten zur Gottheit ist mglichunter den Forderungen: kein Bildnis und Gleichnis - der eineGott - in der Hingabe: dein Wille geschehe.

    Erdenken Gottes ist Erhellung des Glaubens. Glaube aber ist nichtSchauen. Er bleibt in der Distanz und in der Frage. Aus ihm leben,das heit nicht, sich auf ein berechenbares Wissen sttzen, sondernso leben, da wir es daraufhin wagen, da Gott ist.

    Gott glauben, das heit, aus etwas leben, das in keiner Weise inder Welt ist, auer in vieldeutiger Sprache der Erscheinungen, diewir Chiffer oder Symbole der Transzendenz nennen.

    Der geglaubte Gott ist der ferne Gott, der verborgene Gott, derunerweisbare Gott.Daher mu ich nicht nur erkennen, da ich Gott nicht wei,

    sondern sogar: da ich nicht wei, ob ich glaube. Glaube ist kein

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    Besitz. Es gibt in ihm keine Sicherheit des Wissens, sondern nurGewiheit in der Praxis des Lebens.

    Der Glaubende lebt daher in der bleibenden Vieldeutigkeit desObjektiven, in der stndigen Bereitschaft des Hrens. Er ist weichin der Hingabe an das Hrbare und zugleich unbeirrbar. Er ist imGewande der Schwche stark, ist Offenheit bei Entschiedenheitseines wirklichen Lebens.

    Das Erdenken Gottes ist zugleich ein Beispiel alles wesentlichenPhilosophierens: es bringt nicht die Sicherheit des Wissens, sonderndem eigentlichen Selbstsein den freien Raum seiner Entscheidung;es legt alles Gewicht auf die Liebe in der Welt und das Lesen derChifferschrift der Transzendenz und die Weite des in der Vernunft

    Aufgehenden.Darum ist alles philosophisch Gesagte so karg. Denn es erfor

    dert die Ergnzung aus dem eigenen Sein des Hrenden.Die Philosophie gibt nicht, sie kann nur erwecken - sie kann

    dann erinnern, befestigen und bewahren helfen.Ein jeder versteht in ihr, was er eigentlich schon wute.

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    5. Die unbedingte Forderung

    Unbedingte Handlungen geschehen in der Liebe, im Kampf, imErgreifen hoher Aufgaben. Kennzeichen aber des Unbedingten ist,

    da das Handeln gegrndet ist auf etwas, dem gegenber das Lebenals Ganzes bedingt und nicht das Letzte ist.

    In der Verwirklichung des Unbedingten wird das Dasein gleichsam zum Material der Idee, der Liebe, der Treue. Es wird hineingenommen in einen ewigen Sinn, gleichsam verzehrt und nicht freigelassen zur Beliebigkeit des bloen Lebens. Erst an der Grenze, inAusnahmesituationen, kann der Einsatz aus dem Unbedingten auch

    zum Verlust des Daseins und zum Aufsichnehmen des unumgnglichen Todes fhren, whrend das Bedingte zuerst und jederzeit undum jeden Preis im Dasein bleiben, leben will.

    Menschen haben zum Beispiel ihr Leben eingesetzt im solidarischenKampf fr ein gemeinsames Dasein in der Welt. Die Solidarittstand unbedingt vor dem durch sie bedingten Leben.

    Das geschah ursprnglich in der Gemeinschaft des Vertrauens,dann aber oft auch unter dem beschwingenden Befehl einer geglaubten Autoritt, so da der Glaube an diese Autoritt Quelle des Unbedingten wurde. Dieser Glaube befreite aus Unsicherheit, er ersparte eigene Prfung. Im Unbedingten dieser Gestalt war abereine heimliche Bedingung verborgen, nmlich der Erfolg der Autoritt. Der Glaubende wollte durch seinen Gehorsam leben. Wenndie Autoaritt keinen Erfolg als Macht mehr hatte und damit

    auch der Glaube an sie zerbrach, dann entstand eine vernichtendeLeere.

    Eine Rettung aus dieser Leere kann dann nur der Anspruch nunmehr an den Menschen selbst als Einzelnen sein, da er in Freiheit gewinne, was eigentlich Sein und der Grund seiner Entschlsseist.

    Dieser Weg wurde in der Geschichte dort gegangen, wo Einzelne

    ihr Leben wagten, weil sie einer unbedingten Forderung gehorchten:Sie bewahrten die Treue dort, wo Treulosigkeit alles zuniditemadien, das in der Treulosigkeit gerettete Leben vergiftet sein

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    wrde, wo dieser Verrat des ewigen Seins das nun noch bleibendeDasein unselig werden liee.

    Die reinste Gestalt ist vielleicht Sokrates. In der Helle seinerVernunft lebend aus dem Umgreifenden des Nichtwissens, ging erunbeirrbar, ohne Strung durch Leidenschaften der Emprung, desHasses, des Rechthabens seinen Weg; er machte kein Zugestndnis,er ergriff nicht die Mglichkeit der Flucht und starb heiteren Sinns,es wagend auf seinen Glauben hin.

    Es gab Mrtyrer von reinster sittlicher Energie in der Treue zuihrem Glauben, wie Thomas Monis. Fragwrdig sind mancheandere. Fr etwas sterben, um es zu bezeugen, bringt eine Zweck-haftigkeit und damit Unreinheit in das Sterben. Wenn Mrtyrer

    gar angetrieben wurden von dem Drang zu sterben, etwa in vermeintlicher Nachfolge Christi, von einem Todesdrang, der dieSeele nicht selten verschleiert durch hysterische Erscheinungen, sowuchs die Unreinheit.

    Selten sind die philosophischen Gestalten, die, ohne eine ihnenwesentliche Zugehrigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft in derWelt, auf sich allein vor Gott stehend, den Satz verwirklichten:

    Philosophieren heit sterben lernen. Seneca, der jahrelang auf dasTodesurteil wartete, berwand seine klugen Bemhungen der Rettung, so da er schlielich weder in unwrdigen Handlungen sichselbst aufgab, noch die Fassung verlor, als Nero seinen Tod forderte. Boethius starb unschuldig den von einem Barbaren ber ihnverhngten Tod: in hellem Bewutsein philosophierend, zugewandtdem eigentlichen Sein. Bruno berwand sein Zweifeln und halbes

    Nachgeben zu dem hohen Entschlu unerschtterlichen zweckfreienStandhaltens bis auf den Scheiterhaufen.Seneca, Boethius, Bruno sind Menschen mit ihren Schwchen,

    ihrem Versagen, wie wir es sind. Sie haben sich selbst erst gewonnen. Sie sind darum wirkliche Wegweiser auch fr uns. Denn Heilige sind doch Gestalten, die sich fr uns nur in der Dmmerungoder in dem irrealen Licht mythischer Anschauung halten knnen,dem realistischen Zusehen aber nicht standhalten. Die Unbedingt-heit, deren Menschen als Menschen fhig waren, gibt uns wirklicheErmutigung, whrend das Imaginre nur unwirksame Erbauungermglicht.

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    Wir erinnerten an historische Beispiele des Sterbenknnens. Versuchen wir jetzt das Wesen der unbedingten Forderung deutlich zumachen.

    Auf die Frage: Was soll ich tun? erhalte ich Antwort durchAngabe endlicher Zwecke und deren Mittel. Es mu Nahrung er

    worben werden, und dazu ist Arbeit gefordert. Ich soll mit Menschen in Gemeinschaft auskommen: die Regeln der Lebensklugheitgeben mir Anweisungen. Jedesmal ist ein Zweck die Bedingung frden Gebrauch der dazu gehrenden Mittel.

    Der Grund aber, warum diese Zwecke gelten, ist entweder dasunbefragte Daseinsinteresse, der Nutzen. Dasein als solches aber istkein Endzweck, weil die Frage bleibt: was fr ein Dasein? - und

    die Frage: wozu?Oder der Grund der Forderung ist die Autoritt, der ich zu gehorchen habe, entweder durch Befehl eines fremden ich will sooder dem so steht geschrieben. Aber solche Autoritt bleibt un-befragt und daher ungeprft.

    Alle solchen Forderungen sind bedingt. Denn sie machen michabhngig von einem anderen, von Daseinszwecken oder von Autoritt. Unbedingte Forderungen dagegen haben ihren Ursprung inmir selbst. Bedingte Forderungen treten mir gegenber als eine

    jeweilige Bestimmtheit, an die ich mich uerlich halten kann. Unbedingte Forderungen kommen aus mir, indem sie mich innerlichtragen durch das, was in mir selbst nicht nur ich selbst ist.

    Die unbedingte Forderung tritt an mich heran als die Forderungmeines eigentlichen Seins an mein bloes Dasein. Ich werde meinerinne als dessen, was ich selbst bin, weil ich es sein soll. Dieses

    Innewerden steht dunkel am Anfang, hell am Ende meines unbedingten Tuns. Ist das Innewerden im Unbedingten vollzogen, sohrt in der Gewiheit des Seinssinnes das Fragen auf - wenn auchin der Zeit alsbald das Fragen wieder entsteht und in verwandelterSituation die Gewiheit immer von neuem erworben werden mu.

    Dieses Unbedingte steht vor allem Zweckhaften als das, was dieZwecke setzt. Das Unbedingte ist daher nicht das, was gewollt

    wird, sondern das, woraus gewollt wird.Das Unbedingte als Grund des Handelns ist daher nicht Sache

    der Erkenntnis, sondern Gehalt eines Glaubens. Soweit ich die

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    verwstlich halten lt. Doch dieser Vergleich ist unangemessensofern nicht durch eine Steigerung, sondern durch einen Sprung ineine andere Dimension der Grund im Unbedingten ergriffen wird.

    Zweitens: Ein zweiter Satz zur Charakterisierung des Unbeding

    ten lautet: Unbedingtheit ist wirklich allein im Glauben, aus demsie vollzogen wird, und fr den Glauben, der sie sieht.Das Unbedingte kann nicht nachgewiesen, nicht als Dasein in der

    Welt gezeigt werden - historische Beweise sind nur Hinweise. Waswir wissen, ist immer ein Bedingtes. Das, wovon wir erfllt sindim Unbedingten, ist, gemessen am Nachweisbaren, wie nicht da.Eine nachgewiesene Unbedingtheit ist als solche nur eine starke Gewalt, ein Fanatismus, eine Wildheit oder ein Wahnsinn. Auf dieFrage, ob es eigentliche Unbedingtheit gibt, hat in der Welt dieskeptische Errterung die allgemeine berzeugungskraft.

    Zum Beispiel: ob es Liebe gibt im Sinne des Unbedingten, verwurzelt in ewigem Grunde und nicht bloe menschliche Neigungund Hingerissenheit, Gewohnheit und Vertragstreue, das ist zweifelhaft. Ob eigentliche Kommunikation in liebendem Kampfe mglich ist, lt sich leugnen. Was aufzeigbar ist, das ist gerade darum

    nicht unbedingt.Drittens: Ein dritter Satz besagt: Das Unbedingte ist zeitlos in

    der Zeit.Die Unbedingtheit des Menschen ist ihm nicht wie sein Dasein

    gegeben. Sie erwchst ihm in der Zeit. Erst wo im Menschen dieberwindung stattfindet und der Weg gegangen wird dorthin, woder unbedingte Entschlu unbeirrbar wurde, kommt sie zu sich.

    Dagegen lassen eine von Anfang an bestehende Endgltigkeit, dieabstrakte Unerschtterlichkeit der Seele, das blo Dauerhafte den inseiner Unbedingtheit glaubwrdigen Menschen nicht fhlbar werden.

    Die Unbedingtheit wird sich zeitlich offenbar in der Erfahrungder Grenzsituationen und in der Gefahr des Sichuntreuwerdens.

    Aber das Unbedingte selber wird nicht ganz und gar zeitlich.

    Wo es ist, ist es zugleich quer zur Zeit. Wo es erworben ist, ist esdoch als Ewigkeit des Wesens in jedem neuen Augenblick wie durchimmer zu wiederholende Wiedergeburt ursprnglich. Darum: Wodie zeitliche Entwicklung zu einem Besitz gefhrt zu haben

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    scheint, kann doch noch in einem Augenblick alles verraten sein.Wo umgekehrt seine Vergangenheit den Menschen als bloes Soseinunter endlosen Bedingungen bis zur Vernichtung zu belasten scheint,kann er doch noch in jedem Augenblick gleichsam von vorn anfan

    gen, indem er des Unbedingten pltzlich innewird.

    Der Sinn der Unbedingtheit wurde mit diesen Errterungen zwarumkreist, aber nicht in seinem Gehalt getroffen. Dieser wird erstoffenbar aus dem Gegensatz von Gut und Bse.

    Im Unbedingten ist eine Wahl vollzogen. Ein Entschlu wurdezur Substanz des Menschen. Er hat gewhlt, was er in der Entscheidung zwischen Gut und Bse als das Gute versteht.

    Gut und Bse wird auf drei Stufen unterschieden.Erstens: Als bse gilt die unmittelbare und uneingeschrnkte

    Hingabe an Neigungen und sinnliche Antriebe, an die Lust unddas Glck dieser Welt, an das Dasein als solches, kurz: bse ist dasLeben des Menschen, das im Bedingten bleibt, daher nur abluftwie das Leben der Tiere, wohlgeraten oder miraten, in der Unruhe des Anderswerdens, und das nicht entschieden wird.

    Dagegen ist gut das Leben, das zwar nicht jenes Glck des Daseinsverwirft, aber es unter die Bedingung des moralisch Gltigen stellt.Dieses moralisch Gltige wird verstanden als allgemeines Gesetzdes moralisch richtigen Handelns. Diese Geltung ist das Unbedingte.

    Zweitens: Gegenber der bloen Schwche, die den Neigungennachgibt, gilt als eigentlich bse erst die Verkehrung, wie Kant sieverstand, da ich das Gute nur tue, wenn es mir keinen Schaden

    bringt oder doch nicht zuviel kostet, abstrakt gesagt: da das Unbedingte der moralischen Forderung zwar gewollt, im Gehorsamgegen das Gesetz des Guten jedoch nur so weit befolgt wird, als esunter der Bedingung einer ungestrten Befriedigung der sinnlichenGlcksbedrfnisse mglich ist; nur unter dieser Bedingung, nichtunbedingt will ich gut sein. Diese Scheingte ist sozusagen einLuxus glcklicher Verhltnisse, in denen ich mir das Gutsein leisten

    kann. Im Falle des Konflikts zwischen moralischer Forderung undmeinem Daseinsinteresse bin ich je nach der Gre dieses Interessesuneingestandenerweise vielleicht zu jeder Schandtat bereit. Umnicht selbst zu sterben, begehe ich auf Befehl Morde. Durch die

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    Gunst meiner Lage, die mir den Konflikt erspart, lasse ich mich

    ber mein Bsesein tuschen.Dagegen ist gut das Sichherausholen aus dieser Verkehrung des

    Bedingungsverhltnisses, die in der Unterwerfung des Unbeding

    ten unter die Bedingungen des Daseinsglcks besteht, und damit dieRckkehr zur eigentlichen Unbedingtheit. Es ist die Verwandlungaus stndigem Selbstbetrug in der Unreinheit der Motive zu demErnst des Unbedingten.

    Drittens: Als bse gilt erst der Wille zum Bsen, das heit derWille zur Zerstrung als solcher, der Antrieb zum Qulen, zurGrausamkeit, zur Vernichtung, der nihilistische Wille zum Verderben von allem, was ist und was Wert hat. Gut ist dagegen das Unbedingte, das die Liebe und damit der Wille zur Wirklichkeit ist.

    Vergleichen wir die drei Stufen:Auf der ersten Stufe ist das Verhltnis von Gut und Bse das

    moralische: die Beherrschung der unmittelbaren Antriebe durchden Willen, der den sittlichen Gesetzen folgt. Es steht mit KantsWorten - die Pflicht gegen die Neigung.

    Auf der zweiten Stufe ist das Verhltnis das ethische: die Wahr

    haftigkeit der Motive. Es steht die Reinheit des Unbedingten gegendie Unreinheit in der Verkehrung des Bedingungsverhltnisses, inder faktisch das Unbedingte vom Bedingten abhngig wird.

    Auf der dritten Stufe ist das Verhltnis das metaphysische: dasWesen der Motive. Es steht die Liebe gegen den Ha. Liebe drngtzum Sein, Ha zum Nichtsein. Liebe wchst aus dem Bezug aufTranszendenz, Ha sinkt zum selbstischen Punkt in der Loslsung

    von Transzendenz. Liebe wirkt als stilles Bauen in der Welt, Haals laute, das Sein im Dasein auslschende und das Dasein selbstvernichtende Katastrophe.

    Jedesmal zeigt sich eine Alternative und damit die Forderung derEntscheidung. Der Mensch kann nur das eine oder das andere wollen, wenn er wesentlich wird. Er folgt der Neigung oder der Pflicht,er steht in der Verkehrung oder in der Reinheit seiner Motive, er

    lebt aus dem Ha oder aus der Liebe. Aber die Entscheidung kanner aussetzen. Statt zu entscheiden, schwanken und taumeln wirdurch das Leben, verbinden das eine mit dem andern und erkennendies gar an als notwendigen Widerspruch. Schon diese Unentschie-

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    denheit ist b