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22 | Statt Blatt | Sonderausgabe Spurensuche 2013 Jetzt geht’s ans Eingemachte: Die Grönland-Konservenfabrik Was hat man mitunter nicht so alles in der Vorratskammer stehen: große Konserven, kleine Konserven, Halb- und Vollkon- serven, Fisch- und Fleischkonserven, Süßes oder Saures im Glas – alles schön luftdicht verschlossen, extrem lange haltbar und mehr oder weniger ordentlich dem Inhalt nach ins Regal sortiert. Auch das Tiefkühlfach eines jeden Haushaltes ist meist reichlich bestückt. Die Idee, Lebensmittel dauerhaft haltbar zu machen, wird dem französischen Zuckerbäcker und Erfinder Nicolas Appert (1749-1841) zugeschrieben, der bereits Napoleons Soldaten mit konserviertem Obst in Glasflaschen versorgte und 1804 schließlich die weltweit erste Konservenfabrik eröffnete. Für seine Erfindung erhielt er sogar den französischen Ehrentitel „Wohltäter der Menschheit“. Die Konserve und die Tiefkühlkost wurden auch in Grevenbroich zum Mittelpunkt ver- schiedener Industriebetriebe. Die 1949 in Orken entstandene „Erftland GmbH“ und die 1942 in Elsen angesiedelte Konser- venfabrik „Grönland GmbH“ leisteten über Jahrzehnte hinweg einen wichtigen wirtschaftlichen Beitrag, schufen neue Ar- beitsplätze und belieferten alle Teile der Bundesrepublik. Die Grönland GmbH gehörte ihrer Zeit produktionsmäßig sogar zu den größten Betrieben ihrer Branche. Dreschmaschine für Bohnen © Werner Schneider Die Grönland GmbH im Wandel der Zeit Als die Stadt Grevenbroich 1979 das Areal des heute noch „Grönland- gelände“ genannten Standortes – rund 80.000 m2 – erwarb, alsbald alle Gebäude abriss und somit neues Baugelände erschloss, ging ge- wissermaßen eine Ära zu Ende: Das Gelände in Elsen wurde bis dahin gut 110 Jahre lang industriell genutzt und Elsen hatte sich im Laufe dieser Zeit nicht zuletzt durch die Gründung der Zuckerfabrik im Jah- re 1867 und durch die später auf dem Gelände angesiedelte „Grönland GmbH“ zu einem äußerst wichtigen Wirtschaftsstandort entwickelt. Die Zuckerfabrik, die 1867 gegründet, zwischen 1905 und 1910 von der Firma „Pfeiffer & Langen“ übernommen und unter dem Namen „Zu- ckerfabrik Elsen AG“ weitergeführt wurde, musste ihre Tore 1931 für immer schließen und somit der Zuckerfabrik in Grevenbroich-Weve- linghoven weichen. Auf dem Gelände der stillgelegten Fabrik wurde vorübergehend eine Sommerjugendherberge eingerichtet, während weitere und nicht nutzbare Bereiche und Bauten nach und nach ver- fielen. Im Sommer 1938 wurden die verfallenen Gebäude abgerissen, darunter am 1. September 1938 auch das Wahrzeichen der ehemaligen Elsener Zuckerfabrik, ein 45 m hoher Schornstein. Die noch nutzbaren Gebäude wurden saniert und eine Zellstofffabrik errichtet. Die Fabrik, die der Rheinischen Pappenfabrik AG angehörte, stellte Pappe und Kartonage her, was allerdings mit einer extremen Geruchsbelästi- gung einherging. Die Zellstofffabrik wurde 1941 bei einem Bomben- angriff zerstört und nicht wieder aufgebaut.

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Jetzt geht’s ans Eingemachte: Die Grönland-Konservenfabrik

Was hat man mitunter nicht so alles in der Vorratskammer stehen: große Konserven, kleine Konserven, Halb- und Vollkon-serven, Fisch- und Fleischkonserven, Süßes oder Saures im Glas – alles schön luftdicht verschlossen, extrem lange haltbar und mehr oder weniger ordentlich dem Inhalt nach ins Regal sortiert. Auch das Tiefkühlfach eines jeden Haushaltes ist meist reichlich bestückt. Die Idee, Lebensmittel dauerhaft haltbar zu machen, wird dem französischen Zuckerbäcker und Erfinder Nicolas Appert (1749-1841) zugeschrieben, der bereits Napoleons Soldaten mit konserviertem Obst in Glasflaschen versorgte und 1804 schließlich die weltweit erste Konservenfabrik eröffnete. Für seine Erfindung erhielt er sogar den französischen Ehrentitel „Wohltäter der Menschheit“. Die Konserve und die Tiefkühlkost wurden auch in Grevenbroich zum Mittelpunkt ver-schiedener Industriebetriebe. Die 1949 in Orken entstandene „Erftland GmbH“ und die 1942 in Elsen angesiedelte Konser-venfabrik „Grönland GmbH“ leisteten über Jahrzehnte hinweg einen wichtigen wirtschaftlichen Beitrag, schufen neue Ar-beitsplätze und belieferten alle Teile der Bundesrepublik. Die Grönland GmbH gehörte ihrer Zeit produktionsmäßig sogar zu den größten Betrieben ihrer Branche.

Dreschmaschine für Bohnen © Werner Schneider

Die Grönland GmbH im Wandel der ZeitAls die Stadt Grevenbroich 1979 das Areal des heute noch „Grönland-gelände“ genannten Standortes – rund 80.000 m2 – erwarb, alsbald alle Gebäude abriss und somit neues Baugelände erschloss, ging ge-wissermaßen eine Ära zu Ende: Das Gelände in Elsen wurde bis dahin gut 110 Jahre lang industriell genutzt und Elsen hatte sich im Laufe dieser Zeit nicht zuletzt durch die Gründung der Zuckerfabrik im Jah-re 1867 und durch die später auf dem Gelände angesiedelte „Grönland GmbH“ zu einem äußerst wichtigen Wirtschaftsstandort entwickelt.Die Zuckerfabrik, die 1867 gegründet, zwischen 1905 und 1910 von der Firma „Pfeiffer & Langen“ übernommen und unter dem Namen „Zu-ckerfabrik Elsen AG“ weitergeführt wurde, musste ihre Tore 1931 für

immer schließen und somit der Zuckerfabrik in Grevenbroich-Weve-linghoven weichen. Auf dem Gelände der stillgelegten Fabrik wurde vorübergehend eine Sommerjugendherberge eingerichtet, während weitere und nicht nutzbare Bereiche und Bauten nach und nach ver-fielen. Im Sommer 1938 wurden die verfallenen Gebäude abgerissen, darunter am 1. September 1938 auch das Wahrzeichen der ehemaligen Elsener Zuckerfabrik, ein 45 m hoher Schornstein. Die noch nutzbaren Gebäude wurden saniert und eine Zellstofffabrik errichtet. Die Fabrik, die der Rheinischen Pappenfabrik AG angehörte, stellte Pappe und Kartonage her, was allerdings mit einer extremen Geruchsbelästi-gung einherging. Die Zellstofffabrik wurde 1941 bei einem Bomben-angriff zerstört und nicht wieder aufgebaut.

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Ein Jahr später, 1942, siedelte sich die „Grönland GmbH“ – eine Toch-tergesellschaft der Firma „Industriegas, Köln“ (IGA) – auf dem ehe-maligen Gelände der Zuckerrübenfabrik an, da das ursprüngliche Ge-lände in Düsseldorf, einschließlich Maschinen, Fahrzeugen etc., ebenfalls einem Luftangriff zum Opfer gefallen war. Man hatte sich u.a. deswegen für diesen Standort entschieden, weil das Gelände recht zentral in einem Agrargebiet lag. Außerdem profitierte man von dem firmeneigenen Gleisanschluss zum nahe gelegenen Grevenbro-icher Bahnhof. Nach dem Neuanfang in Elsen entwickelte sich das Eiscreme, Gemüse- und Obstkonserven Unternehmen rasch weiter, obwohl es besonders für die Nahrungsmittelindustrie nach dem Krieg nicht einfach war. Die meisten Maschinen waren verloren gegangen, also musste die vorhandene Rohware weitestgehend manuell verar-beitet werden. Es waren trotz geringfügiger Produktion unverhältnis-mäßig viele Arbeitskräfte nötig, die man in der Stadt jedoch nicht fand: Die meisten Menschen arbeiteten bevorzugt bei Bauern, da sie von diesen Naturalien erhielten, die sie dringend benötigten und die kurz nach dem Krieg knapp waren.Dennoch gelang es der Grönland GmbH, sich mit qualitativ hochwer-tigen Produktionserzeugnissen einen guten Ruf und einen treuen Kun-denstamm zu sichern und sich somit im Laufe der Jahre weiter zu entwickeln. Dies lag nicht zuletzt an der Verwertung einwandfreier Rohware, die durch Vertragsanbau gesichert wurde. Die Grönland GmbH profitierte demnach von hochwertigen Fertigprodukten und die Vertragsbauern von den vertraglich festgelegten Preisen für ihre Roh-ware. Darüber hinaus wurde gutes Gemüse und Obst aus Ländern wie z.B. Holland, Belgien, Frankreich und der Schweiz importiert. Die fri-sche Ware musste möglichst rasch mit Hilfe des modernen Maschi-nenparks verarbeitet werden, folglich wurde gerade auf die Moder-nisierung und Erweiterung der Tiefkühlanlagen und der Tiefkühlproduktion besonders großen Wert gelegt. Die tiefgekühlten Produkte der Grönland erfreuten sich größter Beliebtheit und lockten

zahlreiche Interessenten von nah und fern an, die sich aus El-sen beliefern ließen.Nach Kriegsende war die Grön-land GmbH der landesweit er-ste Tiefkühlkostproduzent. Sie hatte sich quasi aus dem Nichts zu einer der führenden Konser-venfabriken entwickelt, war Mitglied der Industrievereini-gung und beschäftigte zeitweise rund 500 Mitarbeiter, vorwie-gend Frauen. Zahlreiche Saisonarbeiter(innen) reisten extra aus Nord- und Süd-deutschland wie aus dem Aus-land an, so z.B. aus Spanien und Irland. Für diese wurden moderne Unterkünfte und eine Werkküche geschaffen. Je nach Schicht und Saison wurden schon mal 200 bis 250 Tonnen Gemüse bzw. Obst wei-terverarbeitet. Josef Gazon, der damalige Generaldirektor der Grön-land, hatte sogar das Amt des Schatzmeisters der Industrievereini-gung übernommen.Ab 1970 begann für die Grönland und deren Mitarbeiter eine Zeit des ständigen Wandels: Zunächst wurde die Grönland GmbH von der In-ternational Telephone and Telegraph Corporation (kurz: ITT) über-nommen. Zu dieser gehörten auch Firmen wie Baustert (Kekse und Snacks), Schächter (Schinken) und Eugen Lacroix (Feinkost). 1972 er-folgte die erste Umbenennung in „Grönland Zweigniederlassung der Greviga Feinkost und Konserven GmbH“. Daraufhin wurde der Mar-kenname Grönland nur noch für Nasskonserven verwendet und nicht mehr für Tiefkühlprodukte.Bereits 1973 erfolgte die zweite Umbenennung in „Greviga Zweignie-derlassung der Conservenfabrik Eugen Lacroix“. Zwei Jahre später, 1975, erfolgte die dritte und letzte Umbenennung in „Greviga Zweig-niederlassung der Reiss International GmbH“. Am 30. September 1977 war das Schicksal der Firma dann endgültig besiegelt: An diesem Tag wurde den Mitarbeitern das Produktions-ende für Dezember 1977 mit anschließender Betriebsschließung zum 30. Juni 1978 verkündet – die Muttergesellschaft ITT gab die Tiefkühl-kostproduktion auf. Diese Entscheidung hatte weit reichende Folgen: Zum einen verloren die zum Teil langjährigen Mitarbeiter des Unter-nehmens ihren Arbeitsplatz, zum anderen verloren die Landwirte, die durch Anbauverträge an das Unternehmen gebunden waren, eine wichtige Einkommensquelle.Die ITT zog sich schließlich vollständig aus dem Food-Bereich zurück. Die Firma Reiss International firmiert heute unter Reiss Lighting und gehört zur Zumtobel-Gruppe (Leuchtenhersteller). Die noch verblie-benen, ehemaligen Mitarbeiter der Grönland erhalten von hier aus bis heute ihre kleinen Betriebsrenten.

Drehmaschine für Bohnen © Werner Schneider

Dosen-Etikett der Grönland © Werner Schneider Ehemalige Rosenkohl Papiertüte um 60er © Werner SchneiderKonservenetikett Grönland GmbH © Werner Schneider

Zwiebelsuppe Grönland (Spardose) © Werner Schneider

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Werner Schneider | Das ‚Tischlein deck dich’ unserer Zeit» Einen großen Teil seines Lebens hat er mit „der Grönland“ ver-

bracht. Bereits sein Vater arbeitete für die Firma, auf deren Ge-lände Werner Schneider, Jahrgang 1946, aufwuchs. Gelebt hat er in einer Werkswohnung, seine Elektrikerlehre bei der Grönland GmbH gemacht, wurde Vorarbeiter, Meister und schließlich auch Betriebsrats vorsitzender.Nach Betriebsschluss spielte man als Kind trotz strikter Verbote immer wieder gerne auf dem Firmengelände: „Zu dritt erklommen wir die hohen Kistenstapel, höhlten diese aus und bauten uns da-rin eine Bude. Da wir uns auf dem Gelände gut auskannten, wussten wir auch genau, wo wir zwischengelagerte Erdbeeren stibitzen konnten.“ Was die Mitarbeiter betraf, so wurde Mundraub während der Arbeit vor Ort stillschweigend geduldet, wer aber bei der Mitnahme von Obst oder Gemüse erwischt wurde, dem drohte die Kündigung. „Als Kind wollte ich auch immer mit den LKW-Fahrern zu den Bauernhöfen fahren, welche die Grönland mit Roh-ware versorgten. Sie durften eigentlich niemanden mitnehmen, aber manchmal hatte ich Glück. Dafür musste ich vor Ort beim Kistenschleppen helfen“, erinnert sich Werner Schneider. „Und wenn die Fahrt z.B. wegen einer Reifenpanne länger dauerte und ich zu spät nach Hause kam, gab es natürlich Ärger zu Hause.“

Das Gelände der Grönland war groß und beherbergte sogar drei eigene Brunnen: „Wasser war zu dieser Zeit der günstigste Roh-stoff der Grönland.“ Die Mitarbeiter, davon gut und gerne 2/3 Frauen, stammten aus Grevenbroich und Umgebung, so z.B. aus Jüchen. Bevor die Sparkasse das Girokonto anbot, wurde das hart verdiente Geld immer freitags bar in der Lohntüte von einer Dame des Lohnbüros ausgezahlt – aus Sicherheitsgründen immer in

männlicher Begleitung. Der Empfang wurde vor Ort mit einer Un-terschrift bestätigt und das Geld sofort nachgezählt.Seit den 60er Jahren wurden vor allem Spanierinnen zur Haupt-saison eingestellt. Diese lebten gemeinsam in einem eigens er-richteten Wohnheim, wo sich jeweils zwei Frauen ein Zimmer teil-ten. Die Heimleiterin warf stets ein wachsames Auge auf ihre Einrichtung, denn Männer waren dort strengstens verboten!Hart, aber dennoch sehr begehrt, war der Einsatz als Spargel-schälerin, denn Spargel galt als Edelgemüse und seine Verarbei-tung wurde sehr gut bezahlt. Da er passend zur Konservendose geschnitten werden musste, nannte man ihn ‚Bruchspargel’. Die fertigen Spargelkonserven wurden liegend in einem dreifach ver-schlossenen Lager aufbewahrt und regelmäßig von einem Vorar-beiter oder Meister gedreht: „Später mussten die Konserven von Hand etikettiert werden, da dem Spargel das Rütteln auf dem Band der Maschine nicht gut bekam.“An einen Passus im Tarifvertrag der Grönland erinnert sich Werner Schneider noch bestens: „Die Firma war ganz früher dazu verpflichtet, ihren Mitarbeitern Warmhaltebecken zur Verfügung zu stellen. Denn jeder hatte seinen eigenen Henkelmann, in dem er sein Essen zubereitete, das er später in der Pause auf dem Ge-lände essen wollte.“ Dieser Passus blieb bis zum Aus der Firma bestehen – vermutlich aus nostalgischen Gründen. Gemüsever-steigerungen, Betriebsausflüge und der Frühschoppen an Elsener Kirmes gehörten ebenfalls fest mit zum Firmenalltag: „Es war schon familiär und gesellig, wurde aber im Laufe der Jahre immer seltener.“ Am 30. September 1977 wurde dann die Schließung be-kannt gegeben: „Wir haben uns damals kurz und heftig gewehrt,

ZeitZeugen

Fernfahrerpause vor dem Grönland-LKW © Petra Wassenberg

Produktionshalle Nasskonserven, Frauen am Produktionsband © Werner Schneider

Betriebsausflug in den 50ern (vmtl. an der Ahr oder an der Mosel) © Werner Schneider

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aber das hat leider alles nichts gebracht – es war für uns ein Ende mit Schrecken.“ Die alte Wanduhr aus dem Vertrieb der Grönland hat Werner Schneider bis heute aufbewahrt. Auf ihrem Ziffern-blatt steht geschrieben ‚Grönland Tiefkühlkost – Das »Tischlein deck dich« unserer Zeit’: „Die ist mein Schmuckstück!“ «

Clemens Schelhaas | „Die Grönland“, ein Stück Elsen» „Die Grönland“ war über Jahrzehnte ein Begriff und gehörte zu

Elsen wie „Die Quäker“ und „Die Kappesfabrik“. Indirekt ist mei-ne Familiengeschichte mit „Grönland“ verbunden. Die Konser-venfabrik stand auf dem Gelände der Elsener Zuckerfabrik. Mein Großvater lebte in Holzminden und kam als Saisonarbeiter, er war Zuckerkoch, zur Zuckerrübenkampagne nach Elsen. Im Jahre 1900 kaufte er auf der Rheydter Straße in Elsen ein Haus und er-öffnete eine „Kolonialwarenhandlung“.Direkten Kontakt mit „Grönland“ bekam ich 1948 nach der Wäh-rungsreform. Ich war damals zehn Jahre alt. In den Ferien be-schäftigte „Grönland“ Kinder. So wurde es für mich das erste Ar-beitsverhältnis. Mein Bruder, zwei Jahre älter, war mit von der Partie. Unsere Aufgabe bestand darin, Erbsen und Dicke Bohnen zu „kiffelen“, d.h. wir mussten die Erbsen und Bohnen aus den Schalen pulen. Wir arbeiteten morgens vier Stunden und nach-mittags vier Stunden. Der Stundenlohn betrug 0,25 DM. Unser Ta-gesverdienst belief sich also auf 2,00 DM. Unsere „Produktion“

wurde gewogen. Wer über ein bestimmtes Gewicht hinauskam, be-kam eine kleine Prämie. Ich war einmal sehr enttäuscht, dass man mir diese Prämie vorenthielt, traute mich aber nicht zu protestie-ren.Von einem Tag zum anderen wurden unsere „Arbeitsverhältnisse“ beendet. Irgendwo schnappte ich den Begriff „verbotene Kinderar-beit“ auf. Das sauer verdiente Geld wurde gut angelegt. Unsere Familie stand wirtschaftlich vor einem Neuanfang. Wir waren im Krieg in Elsen ausgebombt. Einige Zeit hatten wir mit geliehenen Möbeln gelebt, die wir aber zurückgeben mussten. Voller Stolz kauften wir von unserem selbstverdienten Geld bei dem Farben- und Teppichgeschäft Hans Paulussen auf der Königstraße einen Bodenbelag aus „Balatum“. Balatum wurde noch lange Zeit in Be-dburg hergestellt.Eine Tante von mir arbeitete bei „Grönland“. Dort lernte sie auch ihren Mann kennen. Sie bezogen ein kleines Häuschen auf dem Grönlandgelände. In der folgenden Zeit ging ich bei Grönland ein und aus. In besonderer Erinnerung habe ich noch ein altes Emaille-schild am Pförtnerhäuschen: „Essenträger warten hier!“In späteren Jahren trat dann noch einmal Grönland für uns in den Blickpunkt. Es war die Zeit, wo sich unser Interesse für Mädchen erheblich verstärkte. Deutschland erlebte das Wirtschaftswunder und benötigte Arbeitskräfte, so auch Grönland. Es wurden auf dem Grönlandgelände Baracken gebaut. In diese Baracken zogen junge Spanierinnen ein. Die Kirche hatte damals noch Autorität. Der da-malige Oberpfarrer Thomas, den man ja heute durchaus als legen-däre Gestalt bezeichnen darf, nahm sich in einer Sonntagspredigt der jungen Spanierinnen an. Er drohte den Elsener Burschen mit den schlimmsten Höllenqualen, wenn sich einer den jungen Spa-nierinnen in verführerischer Weise nähern sollte. Die Predigt hat-te offensichtlich Erfolg – es ist nie etwas bekannt geworden. Ich muss heute noch schmunzeln, wenn ich im ehemaligen Grön-landgelände das Straßenschild „Konrad-Thomas-Straße“ sehe. «

Erbsenanlieferung vor Ort beim Bauern (Obermaschinenführer am Einschalthebel) © Werner Schneider

5 kg Dosen-Verschlussmaschinen für Nasskonserven © Werner Schneider

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Da in den Wohnheimen der Grönland Angehörige verschiedener Nationalitäten untergebracht waren, bestand man auf die strenge Ein-haltung der Heimordnung:

WiSSenSWerteS1952 dehnte die 1949 in Orken entstandene Sauerkrautfabrik Erft-land GmbH ihre Produktion auf Sauerkonserven aus. Neben Sau-erkraut in Halb- und Vollkonserven wurden nun auch Gurken und rote Bete in Dosen sowie Gläsern hergestellt. Einzugsgebiet von Weißkohl und rote Bete waren in erster Linie Neuss und der Raum Jackerath. Gurken wurden zunächst aus Italien importiert, später aus Holland, der Pfalz und Hessen.

In der ehemaligen Marmeladenküche auf dem Firmengelände der Grönland, in der man einst tatsächlich Marmelade herstellte, wur-den Mitte der 70er Jahre Chips und Sticks produziert, verpackt und eine Verkaufsstätte geschaffen. Es existierten u.a. sogar Nieder-lassungen in Köln und Hamburg. Nach zwei Jahren wurde die Pro-duktion jedoch wieder eingestellt, da das verwendete Öl nicht lan-ge genug frisch hielt und man letztendlich mehr Rückläufe als Einnahmen erzielte.

Von Paletten keine Spur: Rohware, wie z.B. Erbsen, wurde beim Bauern vor Ort in kleine Kisten gefüllt. Dort wurden diese mit den betriebseigenen Fahrzeugen der Grönland abgeholt und jede ein-zelne Kiste musste noch von Hand aufgeladen werden.

In der Regel mussten sich die Mitarbeiter selbst um ihre Verpfle-gung kümmern und ihr eigenes Küchengeschirr mitbringen. Zum Kochen nutzen sie die Wohnheimküchen. Wer wollte, konnte auch ein warmes Mittagessen für 2,00 DM in der Kantine einnehmen.Gearbeitet wurde in einem 2-Schicht-System, jeweils von 6.00 bis 14.30 Uhr bzw. von 14.30 – 23.00 Uhr. Überstunden wurden mit Mehrarbeitszuschlägen vergütet: Für die ersten beiden Stunden gab es z.B. einen Zuschlag von 25 %, ab der dritten Stunde 30 %. Für Arbeitsstunden nach 23.00 Uhr gab es 50 % Nachtzuschlag, an Sonntagen 60 % Zuschlag.

Allen Arbeitnehmern der Grönland wurde kostenlos ein Overall zur Verfügung gestellt, der nach Beendigung der Tätigkeit wieder ab-gegeben werden musste. Gummistiefel konnten zum Selbstkosten-preis erworben und behalten werden.

Mit bestem Dank an die folgenden Quellen: Gunia, Edgar: Die Stadt Grevenbroich. Eine wirtschaftsgeographische

Untersuchung. (1959), Lei, Dr. E. (Hrsg.): Festschrift aus Anlass der 10. Jahreshauptversammlung der Indus-

trievereinigung von Grevenbroich und Umgebung e.V. (1958), Schlangen, Dieter: Marggrafs süße Entdeckung.

Ein Beitrag zur Geschichte der rheinischen Zuckerwirtschaft. (2007), Manfred Ganschinietz, Clemes Schelhaas,

Werner Schneider und das Stadtarchiv Grevenbroich.

Grönland GmbH Luftbild aus den 60ern © Werner Schneider

Spargelhalle in den 60ern © Werner Schneider