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Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 65 (2002), xx-xx Jannis Androutsopoulos jetzt speak something about italiano. Sprachliche Kreuzungen im Alltagsleben Abstract Der Beitrag stellt das in der Soziolinguistik zunehmend diskutierte Konzept des „language crossing“ vor und bietet eine Übersicht über neue Forschungs- ergebnisse aus Deutschland und anderen Ländern an. Crossing (oder „sprachli- che Kreuzung“) bezeichnet den konversationellen Gebrauch einer Sprache oder Sprachvarietät, die dem Sprecher ethnisch bzw. sozial nicht eigen ist. Theoretisch schließt Crossing an die Konzepte des metaphorischen Code-Switching und des „Double Voicing“ an, praktisch stellt es eine nützliche Analysekategorie im Hin- blick auf gemischtethnische Sprachgemeinschaften dar. Auf der Grundlage einer Forschungsübersicht werden Phänomene sprachlicher Kreuzung im Hinblick auf ihre Formen, Quellen, Verwendungsweisen und Gebrauchsmotivationen darge- stellt. 1. Einleitung Der Ausdruck language crossing 1 bezeichnet das Phänomen, dass Sprecherinnen und Sprecher in ihnen „fremde“ sprachliche Territorien hin- einwandern. Das sprachliche Überqueren einer ethnisch-sozialen Grenze ist das Bild, das der vom britischen Linguisten Ben Rampton geprägte Ter- minus vermitteln soll. Im Gegensatz zu klassischen Konstellationen von Zwei- und Mehrsprachigkeit, wie sie zum Beispiel bei bilingualen Familien und Migrantengemeinschaften vorliegen, geht es beim Crossing um unor- thodoxe Fälle von Sprachkontakt, um das Vorkommen einer fragmentari- schen, unnormierten und unerwartbaren zwei- oder mehrsprachigen Pra- xis. 1 Mit Hinnenkamp (1998) wird als deutsches Äquivalent „sprachliche Kreuzung“ bzw. „Sprachkreuzung“ gewählt.

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Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 65 (2002), xx-xx

Jannis Androutsopoulos

jetzt speak something about italiano.Sprachliche Kreuzungen im Alltagsleben

Abstract

Der Beitrag stellt das in der Soziolinguistik zunehmend diskutierte Konzept des„language crossing“ vor und bietet eine Übersicht über neue Forschungs-ergebnisse aus Deutschland und anderen Ländern an. Crossing (oder „sprachli-che Kreuzung“) bezeichnet den konversationellen Gebrauch einer Sprache oderSprachvarietät, die dem Sprecher ethnisch bzw. sozial nicht eigen ist. Theoretischschließt Crossing an die Konzepte des metaphorischen Code-Switching und des„Double Voicing“ an, praktisch stellt es eine nützliche Analysekategorie im Hin-blick auf gemischtethnische Sprachgemeinschaften dar. Auf der Grundlage einerForschungsübersicht werden Phänomene sprachlicher Kreuzung im Hinblick aufihre Formen, Quellen, Verwendungsweisen und Gebrauchsmotivationen darge-stellt.

1. Einleitung

Der Ausdruck language crossing1 bezeichnet das Phänomen, dassSprecherinnen und Sprecher in ihnen „fremde“ sprachliche Territorien hin-einwandern. Das sprachliche Überqueren einer ethnisch-sozialen Grenzeist das Bild, das der vom britischen Linguisten Ben Rampton geprägte Ter-minus vermitteln soll. Im Gegensatz zu klassischen Konstellationen vonZwei- und Mehrsprachigkeit, wie sie zum Beispiel bei bilingualen Familienund Migrantengemeinschaften vorliegen, geht es beim Crossing um unor-thodoxe Fälle von Sprachkontakt, um das Vorkommen einer fragmentari-schen, unnormierten und unerwartbaren zwei- oder mehrsprachigen Pra-xis.

1 Mit Hinnenkamp (1998) wird als deutsches Äquivalent „sprachliche Kreuzung“ bzw.„Sprachkreuzung“ gewählt.

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Anfang der 1990-er Jahre in die Diskussion eingeführt, ist Crossing einin der Soziolinguistik zunehmend diskutiertes Konzept. Crossing-Praktikenwurden zunächst aus England berichtet, zuerst von Hewitt (1986) und dannvon Rampton (1995), der das Konzept an einer komplexen Sprachkontakt-konstellation in einer südenglischen Stadt entwickelte. Jugendliche engli-scher, afro-karibischer und asiatischer Abstammung verwendeten dabeiFragmente aus drei lokal verfügbaren Sprachen: afro-karibisches Kreol,Panjabi2 und stilisiertes „Asian English“. In den 1990-er Jahren wurdenähnliche Phänomene in Schweden, Deutschland, Frankreich, den USA undanderen Ländern dokumentiert. Der Erfolg des Konzepts liegt zum einendarin, dass es Phänomene erfasst, die zuvor nur als exotische Randfälledes metaphorischen Code-Switching eingestuft wurden. Zum anderen machtdas Konzept des Crossing auf Verfahren mehrsprachiger Praxis aufmerk-sam, die gewissermaßen „in der Luft“ liegen, also sich in der gegenwärti-gen Kommunikationslandschaft verstärkt bemerkbar machen. Im Kontextder Bundesrepublik lassen sich Kreuzungen in einer Vielzahl von Situatio-nen finden, beispielsweise beim spielerischen Umgang Jugendlicher mitschulischen und außerschulischen Fremdsprachen, in ernsthaften oder spie-lerischen Provokationen zwischen Angehörigen verschiedener ethnischerGruppen, in der Eröffnung von Dienstleistungsinteraktionen (vgl. Hinnen-kamp 1998, 151f.), in Comedy-Shows und anderen popkulturellen Gattun-gen sowie in der Reproduktion von Medienzitaten in der Alltags-kommunikation.

Ziel dieses Beitrags ist es, einen Überblick über die Crossing-Forschungin Deutschland und anderen Ländern zu bieten und dadurch die Kontureneines international verbreiteten, aber noch wenig beschriebenen Phäno-mens zu erhellen. Die zugrunde liegende Forschungsliteratur umfasst Un-tersuchungen aus Europa und den USA, die größtenteils in den späten1990-er Jahren veröffentlicht worden sind. Eine Übersicht, gegliedert nachSprechergruppen und die im Crossing genutzten Sprachen bzw. Varietä-ten, bietet Tabelle 1. Alle nach 1995 erschienenen Arbeiten beziehen sichauf Ramptons Konzept, unterscheiden sich jedoch im Hinblick auf ihre

2 Panjabi ist eine neuindische Sprache, die von vielen Sikhs und Pakistani, also dentypischen Einwanderergruppen in Großbritannien, gesprochen wird.

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Voraussetzungen, Erkenntnisinteressen und Analysemethoden. Der häu-figste methodische Ansatz besteht aus Kombinationen von Ethnografie undinteraktionaler Soziolinguistik bzw. Gesprächsanalyse, wobei nicht die Formder Kreuzungen, sondern ihre pragmatische Komplexität im Mittelpunktsteht.3 Birken-Silverman (2001) stellt eine Kombination von Gesprächs-analyse und Fragebogenerhebung, Cutler (1999) eine quantitative Variations-analyse vor. Die Arbeiten von Eksner (2001) und Hewitt (1986) sind an-thropologisch bzw. soziologisch ausgerichtet, während Hill (1995) eine se-miotische Analyse durchgeführt hat, die neben Mediengesprächen allemöglichen Artefakte mit einbezieht. Einen Schwerpunkt auf Medienanalysesetzt auch Androutsopoulos (2001). Arbeiten, in denen Crossing bloße Er-wähnung findet ohne tiefgehende Analysen einzelner Episoden, sind u.a.Dabène/Moore (1995) und Kotsinas (1992).

Die Diskussion beginnt mit der Definition von Crossing, der Situierungdes Konzeptes in der soziolinguistischen Theoriebildung und der Abgren-zung gegenüber verwandten Phänomenen (Abs. 2). Crossing wird außer-dem mit dem Hybriditätsdiskurs und der soziolinguistischen Jugend-sprachforschung in Verbindung gebracht (Abs. 3). Die daran anschließen-den Ausführungen stellen Formen, Quellen und Verwendungen sprachli-cher Kreuzungen in den Mittelpunkt. Die Ressourcen für sprachliche Kreu-zungen werden betrachtet aus der Makroperspektive des gesamten Codeswie aus der Mikroperspektive einzelner Merkmale (Abs. 4). Die einzelnenbeim Crossing übernommenen Merkmale stammen sowohl aus dem loka-len Erwerbskontext der Schule und Nachbarschaft als auch aus den Mas-senmedien. (Abs. 5). Die konversationelle Verwendung der Kreuzungenwird in mehreren Schritten konturiert. Es geht um die stereotypischen As-soziationen der verwendeten Codes, ihre Gebrauchseinschränkungen imHinblick auf Kontexte und Interaktionspartner sowie um das Verhältniszwischen Sprecher und Code (Abs. 6). Abgerundet wird die Darstellungdurch ein Fallbeispiel, in dem SchülerInnen verschiedener Herkunft dasMuster des Fremdsprachenunterrichts verfremden und dabei „Jugosla-wisch“, Türkisch, Russisch und Italienisch als Unterrichtssprachen einset-

3 Vgl. Auer/Dirim (2000, im Druck), Bucholtz (1999), Deppermann (2002), Keim(2002b), Lytra (2002), Pujolar (2001), Rampton (1995, 1998).

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zen. Letzteres wird durch das Motto dieses Beitrags – jetzt speaksomething about italiano – eingeleitet (Abs. 7). Abschließend wird derStellenwert des Konzeptes in der Sprachkontaktforschung zusammenge-fasst (Abs. 8).

Tabelle 1. Crossing in der Literatur (in chronologischer Reihenfolge)

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2. Das Konzept der sprachlichen Kreuzung

In einer weiten Definition versteht Rampton unter language crossing denGebrauch von Sprachen oder Sprachvarietäten, die mit sozialen oder eth-nischen Gruppen verbunden sind, denen der Sprecher nicht zugeordnetwird. 4 Eine engere Definition (1998, 298-9) schränkt das Phänomen imHinblick auf seine Erscheinungskontexte und sozialen Bedeutungen ein.Rampton bestimmt die Topologie von Sprachkreuzungen durch das Kon-zept der Liminalität (Grenzsituation), das er vom Anthropologen VictorTurner übernimmt. Crossing erscheint demnach typischerweise in Momen-ten, in denen die normalen Annahmen und Regelungen sozialer Ordnung

4 Im Originaltext ist Crossing „the use of language varieties associated with social orethnic groups that the speaker does not normally belong to“ (Rampton 1995, 14f.)bzw. „the use of a language not normally felt to belong to the speaker“ (1998, 291).

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aufgeweicht oder aufgehoben sind. Dazu gehören Übergangsphasen, indenen die Rollen und Aufgaben der Beteiligten nicht klar definiert sind,Spiele und künstlerische Performance, rituelle Beschimpfungen, der Bruchnormativer Erwartungen und der Ausdruck starker Gefühle.5 Kreuzungenverweisen stets auf (stereotypische) Werte und Eigenschaften der ethni-schen Gruppen, denen die Sprache oder Varietät eigen ist. Die sprachlicheTransgression einer ethnischen bzw. sozialen Grenze stellt den Aspekt derEthnizität in den Vordergrund und führt zu ihrer zumindest teilweisenHinterfragung (Rampton 1998, 299). In den spielerischen mehrsprachigenInteraktionen multiethnischer Jugendlichengruppen sieht Rampton einEmblem für interethnische Annäherungen, die herkömmliche Diskriminie-rungen spielerisch überschreiten, und letztlich eine Form von Antirassismus(1995, 21). Diese latente politische Relevanz ist ein wichtiger Unterschiedzwischen Crossing und dem routinierten bilingualen Code-Switching.

Innerhalb der Sozio- und Kontaktlinguistik schließt Crossing an die Kon-zepte des „metaphorischen Code-Switching“ (Gumperz 1982) und des„Double Voicing“ (Bakhtin 1971) an. Rampton fasst Crossing als Sonder-form des metaphorischen Code-Switching auf (1995, 275ff.; 1998, 299ff.).Während beim situativen Code-Switching der Wechsel zwischen zwei odermehreren Codes von festen Beteiligungsrollen und Situationsschemataabhängt und weitgehend konventionalisiert und erwartbar ist, deutet einmetaphorischer Sprachwechsel auf eine (veränderte) Absicht, Einstellung,Gefühlslage des Sprechers hin. Wie alle Formen des metaphorischen Wech-sels stellt Crossing keine „normale“, routinehaft vorkommende undunmarkierte Alternation dar, sondern eine Verletzung von Kookkurrenzer-

5 Im Originaltext: „language crossing was located in moments when the ordered flow ofsocial life was loosened and normal social relations could not be taken for granted“(Rampton 1995, 193; vgl. auch 1997, 65-9; 1998, 298-9). Kritische Stimmen (vgl.Auer/Dirim 2000, im Druck; Inken Keim, pers. Komm.) heben hervor, dass Kreuzun-gen keinesfalls nur in randständigen Momenten, sondern in einem breiten Spektrumvon Alltagssituationen vorkommen. Außerdem darf Liminalität nicht so verstandenwerden, dass in diesen Situationen die interaktive Aushandlung von Rollen- und Status-verhältnissen aufgehoben wird. Für eine auf mehrere Sprachen und Kontexte erweiter-te Crossing-Forschung scheint Liminalität mehr als empirisch nützliche Generalisie-rung für präferierte Erscheinungskontexte (vgl. Abs. 6) und weniger als ein Definitions-merkmal für Crossing geeignet zu sein.

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wartungen. Dadurch erscheint es als ein „interpretativ reiches, d.h. im Ein-zelfall nur über komplexe Inferenzprozesse erschließbares metaphorischesWechseln“ (Auer/Dirim im Druck). Beim Crossing ist es klar, dass sichder Sprecher nicht seiner „eigenen“ Sprachen, sondern eines fremden Codesbedient – Rampton spricht von einer „disjunction between speaker andcode that couldn’t be readily accomodated as a normal part of ordinarysocial reality“ (1998, 302-3). Um das Verhältnis des Sprechers zum frem-den Code zu untersuchen, wird an späterer Stelle Bakhtins Konzept des„Double Voicing“ aufgegriffen (vgl. Abs. 6).6

Im Kontext sozio- und kontaktlinguistischer Forschung ist Crossing vonvier verwandten Phänomenbereichen abzugrenzen: Erstens von Formendes „echten“ bilingualen Code-Switching. Dabei sind alle verwendetenSprachen den SprecherInnen eigen, wie z.B. beim Gebrauch von Her-kunfts- und Mehrheitssprache unter Migrantenjugendlichen. Zweitens von„gemischten Varietäten“ der Mehrheitssprache, die lexikalisch-phraseolo-gische Elemente mehrerer Migrantensprachen enthalten.7 In solchen Vari-etäten kommen fremdsprachige Elemente und Sprachmischungen in einergewissen Regelmäßigkeit und damit Unauffälligkeit vor. Im Gegensatz dazuist Crossing keine verfestigte Varietät, sondern ein Interaktionsprozess, eine„form of dramatization which is bracketed off from our main performance“.8

Drittens ist Kreuzung von der Aneignung medialer Ressourcen im Ge-

6 Vgl. v.a. Rampton (1998, 302); Pujolar (2001, 29-32), Deppermann (2002). Mit„Double Voicing“ (Zweistimmigkeit) erfasst Bakhtin die Koexistenz zweier Diskurseoder „Stimmen“ innerhalb einer Äußerung (1971, 202-228).

7 Beispiele sind das in den britischen Untersuchungen genannte „multiracial vernacular“(Rampton 1995), das Stockholmer „Rinkeby-Swedish“ (Kotsinas 1992, 1998), Vari-etäten des Deutschen in Mannheim oder Hamburg (Keim 2002a, Auer im Druck, Auer/Dirim 2000), das „Straat Taal“ in Utrecht (Nortier 2001), Varietäten des Französi-schen mit arabischen Elementen (Seux 1997).

8 Pujolar (2001, 171, kursiv im Orig.). Allerdings ist die Grenze zwischen Misch-varietäten und Kreuzungen fließend. Dieselbe Sprachform kann manchmal alsunmarkierter Teil eines „multiracial vernacular“ erscheinen und manchmal als auffal-lende Kreuzung mit einer spezifischen interaktiven Bedeutung. Die Schwierigkeiteiner trennscharfen Unterscheidung zeigen die Untersuchungen von Auer/Dirim, dieihr Material als einen „gemischten“ Gruppenstil beschreiben, aber auch einige Fällevon Code-Switching annehmen. Die Möglichkeit, dass Mischvarietäten von anderenGruppen als Crossing-Ressourcen aufgegriffen werden, bleibt natürlich offen.

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spräch (z.B. Zitation von Werbeslogans) zu unterscheiden, sofern dabeikeine ethnisch-sozialen Grenzen überschritten und keine symbolischenAnsprüche auf fremde Identitäten gestellt werden. Allerdings gibt es hierÜberlappungen, da Kreuzungen unter anderem auf Medienquellen zurück-greifen (vgl. Abs. 5). Viertens sind Kreuzungen vom handlungsfunktionalenGebrauch einer Fremdsprache zu unterscheiden. Kreuzungen sind nichtreferenziell notwendig und ihre Ressourcen sind in der Regel nicht institu-tionell kodifiziert, sondern stammen aus informellen lokalen bzw. massen-medialen Quellen. Außerdem hat der typische „Kreuzer“ nicht die Absicht,die einschlägige Sprache formal und umfassend zu erlernen, sondern „beinga learner is an entertaining end in itself“ (Rampton 1995, 292).

3. Kreuzung, Jugend und kulturelle Hybridität

Über den Kontext der Sprachkontaktforschung hinaus möchte ich dasKonzept der sprachlichen Kreuzung noch in zweifacher Weise verorten:Einerseits in Bezug auf Ansätze der soziolinguistischen Jugendsprachen-forschung, die unabhängig von der hier besprochenen Literatur ähnlichePhänomene untersucht und parallele Konzepte entwickelt haben. Ander-erseits in Bezug auf den Hybriditätsdiskurs, da Crossing oft als eine präg-nante Manifestation kultureller Hybridität gedeutet wird.

Obwohl sprachliche Kreuzungen prinzipiell in jedem Gesellschaftssegmentauftreten können, werden sie in der Literatur praktisch nur an der Kom-munikation Jugendlicher beschrieben, wobei das Spektrum von der spätenKindheit (wie bei Lytra 2002) bis zu jungen Erwachsenen (wie bei Auer/Dirim 2000) reicht. Obwohl in der Jugendsprachforschung der 1980-erund 90-er Jahre Aspekte der Zwei- und Mehrsprachigkeit kaum themati-siert worden sind, hat man dem Crossing verwandte Phänomene unter-sucht. Zu denken ist in erster Linie an das Konzept der Bricolage, das diespielerische Aneignung und Verfremdung kultureller Ressourcen erfasst(Schlobinski/Kohl/Ludewigt 1993). Schwitalla (1988, 1994) hat unter demMotto „die vielen Sprachen der Jugendlichen“ Verfahren der Symbolisie-rung fremder sozialer Identitäten unter Heranwachsenden beschrieben.Bricolage wird als „wesentliches Kennzeichen jugendlicher Kommunikati-on“ angesehen (Schlobinski/Kohl/Ludewigt 1993, 112), ähnlich siehtSchwitalla (1988, 167) die sprachliche „Spiegelung fremder sozialer Wel-

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ten“ als wesentliches Moment der Kommunikation unter Jugendlichen an.Insofern kann Kreuzung auch als Sonderform einer Praxis verstandenwerden, die für Jugendkommunikation in mono- wie multilingualen Zusam-menhängen allgemein typisch ist.

Aus der Perspektive der vorwiegend angloamerikanischen Diskussionum Hybridität und Multikulturalismus (vgl. Terkessidis 1999) lässt sichsprachliche Kreuzung als Paradebeispiel für eine hybride bzw. synkretis-tische kulturelle Modalität bezeichnen, wie sie „für Jugendliche in heuti-gen städtischen Lebenslagen besonders relevant“ ist.9 Das Konzept derHybridität bzw. des Synkretismus bezieht sich dabei sowohl auf den loka-len sozialen Kontext als auch auf populärkulturelle Modelle und Strömun-gen. In einem synkretistischen kulturellen Umfeld, das durch ein Nebenei-nander verschiedener ethnischer Gruppen geprägt ist, werden interethnischeKontakte von den Ausbildungs- und Freizeitinstitutionen des Jugendaltersgefördert. Nach Hewitt ist Synkretismus „am eindrücklichsten in der Spra-che des multi-ethnischen oder multi-kulturellen Lebens der Städte zu er-kennen“ (1998, 171), doch seine Erscheinungsformen durchziehen alleFelder sozialer Semiose und prägen die heutige Medien- und Popkultur(vgl. Terkessidis 1999). Viele expressive jugendkulturelle Stile, die sich umMusik und Mode artikulieren – etwa das von ModeratorInnen im Musik-fernsehen propagierte „ethnische Chic“ oder die „Ghetto-Attitüde“ jugend-licher HipHop-Fans – sind wesentlich nach Prinzipien von Hybridisierungund Bricolage konstituiert.

In diesem Rahmen können Praktiken der sprachlichen Mischung undKreuzung eine Legitimation und ein Prestige gewinnen, das ihnen in derMainstream-Gesellschaft fehlt (vgl. auch Gogolin 1998, 88f.). In der Tat ist„Prestige“ ein wichtiges Stichwort in der soziolinguistischen Diskussionum Crossing. Mehrere AutorInnen heben das „versteckte“ bzw. „subkultu-relle“ Prestige von Migrantensprachen und -varietäten als wesentlichesMotiv für ihre Übernahme von Jugendlichen anderer Herkunft hervor. Seies Kreol in England, Türkisch in Hamburg, Black English in New York

9 Hewitt (1998, 19). Hewitt unterscheidet „hybride“ bzw. „synkretistische“ Kulturen(die beiden Termini verwendet er gleichbedeutend) von einer „ethnozentristischen“kulturellen Modalität, die Ethnizität als Gesamtprinzip hat und sich auf einheitlicheWerte beruft, und einer „suprakulturellen“ Modalität, die auf effektive, globalisierte,von lokalen Besonderheiten losgelöste Kommunikation ausgerichtet ist.

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oder Rinkeby-Swedish in Stockholm, Crossing präsentiert sich vielfach alsMittel der Annäherung an prestigevolle soziale Identitäten anderer ethni-scher Gruppen, sowie als Signal der Beteiligung an jugendkulturellen Strö-mungen und Sozialwelten.10 Insofern kann es auch ein Emblem für positivbewertete ethnische Differenz, eine durchaus erwünschte Synekdoche fürAnderssein darstellen (vgl. Auer/Dirim 2003). Allerdings kann Crossinggenauso gut ein Mittel sein, um ethnische Vorurteile zu reproduzieren (vgl.Abs. 6).

4. Ressourcen: Sprachen, Varietäten, Strukturen

Welche sprachlichen Formen nimmt Crossing an? Man kann dieser Frageauf zwei Weisen nachgehen: einmal im Hinblick auf die relevanten (Typenvon) Sprachen bzw. Varietäten, einmal im Hinblick auf spezifische Sprach-merkmale und Konstruktionen. Allgemein können ganz verschiedene Aus-schnitte aus dem Repertoire einer Sprachgemeinschaft als Ressourcen fürsprachliche Kreuzungen dienen: Erstens Ethnolekte,11 d.h. ethnisch mar-kierte Varietäten der Mehrheitssprache, darunter auch Lernervarietätender ersten Migrantengeneration („Gastarbeiterdeutsch“) sowie massen-medial verbreitete, stilisierte Varietäten wie „Türkendeutsch“/„Kanaksprak“oder „Stylized Asian English“.12 Zweitens Minderheitensprachen migrations-bedingter Gemeinschaften wie z.B. Türkisch, Serbokroatisch oder Italie-

10 Vgl. Auer/Dirim (im Druck) zum „versteckten Prestige“ des Türkischen in Hamburg,Kotsinas (1992, 59) zur Attraktivität der Migrantenvarietät Rinkeby-Swedish fürschwedische Jugendliche, Cutler (1999, 429) zum Prestige der afro-amerikanischenJugendkultur als Beweggrund für die Adaption afroamerikanischer Sprechstile beiihrem Informanten.

11 Ethnolekte sind Varietäten der National- bzw. Mehrheitssprache mit lautlichen, pro-sodischen, lexikalischen, grammatischen Besonderheiten, die den Sprecher als Ange-hörigen einer ethnischen Minderheit zu erkennen geben (Clyne 2000). Mischvarietätenwie Rinkeby-Schwedish(vgl. Anm. 7), die von Angehörigen mehrerer ethnischer Grup-pen verwendet werden und Elemente mehrerer Minderheitensprachen enthalten, nenntClyne (ebd.) „Multi-Ethnolekte“.

12 Obwohl native Sprachvarietäten in diesem Beitrag nicht angesprochen werden, dürfteklar sein, dass auch sie als Material für sprachliche Kreuzungen herangezogen werdenkönnen, beispielsweise die scherzhafte Nachahmung fremder Dialekte und Soziolekteoder der von Kallmeyer/Keim (1994) beschriebene sozialsymbolische Wechsel zumStandard bzw. zum Dialekt.

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nisch in der BRD. In der Literatur werden vor allem die Sprachen der jegrößten ethnischen Minderheiten behandelt, u.a. Arabisch in Frankreich,Kreol und Panjabi in Großbritannien, Spanisch in den USA. Drittens kön-nen auch Fremdsprachen, die in der lokalen Gemeinschaft nicht vertretensind, als Kreuzungsmaterial dienen, und zwar einerseits schulisch vermit-telte Fremdsprachen, wie es Rampton (1999) unter dem Motto „Deutschin inner London“ dokumentiert, andererseits auch solche, die nur übermassenmediale Kanäle vermittelt werden. Zu denken ist etwa an Varietä-ten und Register des Englischen, die für bestimmte Gruppen und Milieuseine Vorbildfunktion haben (etwa Black English in seinem jugendkulturellenGebrauch in Deutschland).

In allen Fällen ist die für Kreuzungen erforderliche Kompetenz rechtgering: Es genügt der Erwerb von „minimal skills“ (Birken-Silverman 2001),um einzelne Sprechhandlungen und Kurzgespräche gestalten zu können.Formulierungen wie „stock of prefabricated elements“ (Birken-Silverman2001) oder „scattered and fragmentary [...] elements“ (Hewitt 1986, 141)lassen darauf schließen, dass Crossing-Ressourcen in Form von Inventa-ren beschreibbar sind, die von einem individuellen bzw. gruppenspezifi-schen Kernbestand ausgehen und in ihrer Extension variieren können.Crossing-Merkmale werden im Lexikon, in der Phraseologie und denRoutineformeln sowie in der Lautung und Prosodie identifiziert. Zumindestim lexikalisch-phraseologischen Bereich scheint das typische Materialsprachenübergreifend auf ganz bestimmte semantisch-funktionale Kate-gorien zurückzugehen: (a) Gruß- und Anredeformeln, (b) Formeln für ein-fache Sprechhandlungen (z.B. Drohungen, Liebeserklärungen, Danksa-gungen, Fragen nach Geld oder der Uhrzeit), (c) Interjektionen (z.B. Aus-rufe der Überraschung, Zustimmung, Ablehnung), (d) Diskurspartikeln (z.B.Affirmations- und Negationswörter), (e) Beschimpfungen (z.B. abwer-tende Anreden, derbe Abweisungen), (f) Wortschatz aus bestimmten se-mantischen Bereichen, u.a. soziale Kategorisierungen, Sexualität, Körper-teile und -funktionen, Genussmittel und Geld. Grammatische Merkmalewerden hingegen selten genannt,13 ihr Vorkommen scheint auf einzelne

13 Beispiele sind die Kopulatilgung im afroamerikanischen Englisch (Cutler 1999), dieNominal- und Adjektivflexion im Italienischen (Birken-Silverman 2001), die Genus-flexion im Panjabi (Rampton 1995).

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Wörter und Wendungen eingeschränkt zu sein. Trotz der allgemein konsta-tierten Formelhaftigkeit der Ressourcen kann die Form von Kreuzungenim Gespräch nicht ein für allemal festgehalten werden. Das Spektrum reichtvon minimalen stereotypischen Elementen – Akzentnachahmungen,Wortschatzelementen und festen Routineformeln – bis hin zu längeren,teils freien Äußerungen. Man wird immer wieder Fälle vorfinden, diedefinitionsgemäß als Kreuzungen zu bezeichnen sind, aber nicht dem typi-schen Repertoire entsprechen.14 Immerhin sind Kreuzungen oft von derumgebenden Rede formal abgesetzt, und zwar entweder prosodisch durchTempo, Lautstärke, Tonhöhe oder veränderte Artikulation, oder meta-pragmatisch, z.B. durch Zitatmarker.

Je nach Hintergrund, Fragestellung und Methode werden die formalenMerkmale von Kreuzungen teils überlappend und teils divergierend be-schrieben, wie der nachfolgende Überblick über Ergebnisse ausgesuchterUntersuchungen zeigt. Typisch für den Gebrauch des Türkischen inHamburg (Auer/Dirim im Druck) ist ein umfangreiches Repertoire anRoutineformeln: Anredeformen und Diskursmarker, Rezipientensignale,Ausrufe, längere Äußerungen oder Äußerungssequenzen. Außerdem ver-fügen deutsche und andere Jugendliche über eine unterschiedlich ausge-baute passive Sprachkompetenz des Türkischen. Das Inventar des„interracial Panjabi“ in England umfasst einen Kern von ca. 20-30Wörtern und Ausdrücken (Rampton 1995, 167), u.a. Gruppen- undVerwandtschaftsbezeichnungen, einige Verben sowie Funktionswörter mitlokativer und possessiver Bedeutung. Elemente aus diesem Inventar wer-den in „short phrases or sentences seldom exceeding four words“ (ebd.)kombiniert. Ganz anders verhält es sich mit der Fremdsprache Deutschin einer Londoner Schule (Rampton 1999). Zu verzeichnen sind einfa-

14 Als Beispiel mag das Motto jetzt speak something about italiano dienen. Der Satz istTeil eines Sprachspiels (vgl. Abs. 7) und steht in paradigmatischer Relation zu Äuße-rungen wie say something about jugoslawisch oder und jetzt n bisschen türkisch. DasAdverb jetzt fungiert als Gliederungssignal, das die nächste Spielphase einleitet. DasEnglische wird durchgehend genutzt, um die autoritative Stimme der Lehrerin zugestalten – dass dabei falsches Englisch gebraucht wird (speak statt say oder tell),scheint kaum eine Rolle zu spielen. Das Objekt italiano wechselt bereits in die nächstenachzuahmende Fremdsprache, nämlich Italienisch. Diese anscheinend „wilde“ Sprach-mischung ist also im Kontext betrachtet durchaus motiviert.

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che Formeln (danke), die Wörter ‚ja‘ und ‚nein‘, evaluative und direktiveElemente (gut, schnell!) und Fragmente aus den Schulbüchern (z.B. meinLieblingsfach), jedoch weder Schimpfwörter noch umgangssprachlicheAusdrücke, wie sie für die anderen beschriebenen Formen des Crossingtypisch sind – ein Unterschied, den Rampton auf die unterschiedlichenErwerbswege zurückführt. Fragebogenerhebungen zur interethnischenKompetenz des Italienischen und Türkischen auf einer MannheimerHauptschule legen die Kenntnis vieler italienischer Routineformeln nahe:Frage-Antwort-Sequenzen, Höflichkeitsformeln (bitte, danke), „Liebes-sprache“ und abwertende Anreden. Im Wortschatz sind Numeralien,Diskurspartikeln (z.B. possibile), einige Verben und Nomina festzustellen.Die Türkischkenntnisse in derselben Schule sind hauptsächlich auf Schimpf-wörter eingeschränkt (Birken-Silverman 2001). Kernmerkmale der Kreu-zung ins afro-karibische Kreol in England sind auf phonologischer Ebe-ne u.a. die Reduktion finaler Konsonantengruppen, die Aussprache derFrikative /D/, /T/ als /d/, /t/ und die Senkung /æ/ > /a/. Sie werden ergänztdurch eine stilisierte Prosodie sowie feste Formeln, die mit oder ohne Kreol-Akzent realisiert werden (Hewitt 1986, Rampton 1995). Bei der Kreuzungins afro-amerikanische Englisch in New York unterscheidet Cutler (1999,429-30) zwischen Phonologie, Prosodie und „HipHop-Slang“, darunter so-wohl Inhaltswortschatz als auch Diskurspartikeln (Interjektionen, Tags).Quantitative Vergleiche dreier phonologischer Variablen mit früheren Un-tersuchungen legen nahe, dass die Werte des Informanten „Mike“ näherzu afroamerikanischen als zu weißen Sprechern stehen. Die in einer länd-lichen Jugendgruppe eingesetzte „stilisierte Kanaksprak“ beschreibtDeppermann (2002) als einen eingeschränkt gebrauchten Code mit klei-nem lexikalischen Repertoire. Wichtige Merkmale sind in der Prosodie u.a.langsameres Sprechen, veränderte Artikulation und dumpfe Stimme, ; inder Phonetik u.a. Lenisierung der fortis Plosive (/t/ > /d/, /k/ > /g/), retroflexes/r/, Koronalisierung /c/ > /S/, Simplifizierung der finalen Konsonantengruppe/st/ > /s/. Im Lexikon sind „code-marking items“ wie krass, korrekt, aldersowie häufig gebrauchte Tags wie weißt du festzustellen. DeppermannsBefunde stimmen in hohem Maße mit denen von Androutsopoulos (2001),die an Medientextanalysen und Berichten über Crossing gewonnen wur-den, überein. Charakteristische Merkmale des stilisierten „Gastarbeiter-

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deutsch“ sind nach Keim (2002b) Tilgungen von Artikeln, Präpositionen,Kopulaverb und Verbalflexion, Infinitivformen, Negation mit vorangestell-tem nix sowie machen-Konstruktionen (z.B. Disziplin machen statt‚disziplinieren’).

Zusätzlich zu derartigen Merkmalslisten wird gelegentlich die Verwen-dung von „Pseudo-Sprachen“ erwähnt. Rampton beschreibt „unsinnige“Elemente für Panjabi (1995, 167) und für die Fremdsprache Deutsch (1999),Birken-Silverman konstatiert „Pseudo-Türkisch“ unter italienischen Jugend-lichen (2002, 12). Offensichtlich ist das Hervorbringen eines fremdspra-chigen Effekts manchmal wichtiger als die Vermittlung einer konkretenProposition bzw. Illokution.

Der Umfang von Kreuzungen kann sich innerhalb eines Netzwerks bzw.einer lokalen Sprachgemeinschaft unterscheiden, wobei das Engagementin Aktivitäten oder Kultursphären, die den legitimen Trägern der Codesvorenthalten sind, die Kreuzungshäufigkeit erhöhen kann. Rampton unter-scheidet in Bezug auf das afro-karibische Kreol drei Crosser-Typen („mi-nimal“, „extended jocular“ und „extended serious“), wobei der häufigsteGebrauch mit der Beteiligung an der afrokaribischen Musikkultur einher-geht. Ähnlich geht nach Auer/Dirim die Identifizierung mit der türkischenKultur mit einem erhöhten Gebrauch des Türkischen bei Nichttürken einher.Bei Birken-Silvermen (2001) ist es ein (nach eigener Angabe) Anhängervon „Moslem Power“, der die meisten türkischen Wörter und Ausdrückeangibt.

5. Direkte und mediale Quellen

Sprachkreuzungen sind prinzipiell ein Ergebnis interethnischer Kontakteim gemischtethnischen urbanen Alltag. Die Schule erweist sich dabei alsein wichtiges, manchmal sogar als das einzige Kontaktfeld (vgl. Lytra 2002).Die mehr oder weniger starke Präsenz zweisprachiger Kinder und Ju-gendlicher in der Schule bzw. Nachbarschaft bildet die Grundlage für ei-nen ständigen Kontakt mit anderen Sprachen, der sich im rudimentärenSpracherwerb niederschlagen kann. Birken-Silverman (2001) spricht voneiner „natürlichen Immersion“, die durch die tägliche Interaktion in gemischt-ethnischen Netzwerken in der Schule, während der Freizeitaktivitäten und

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in den Straßen der Nachbarschaft stattfindet. Nach ihrer Fragebogener-hebung werden die italienischen Ressourcen zu 63% durch Freunde er-worben, zu 26% durch Schulkameraden und zu 11% durch mediale Quel-len (Fernsehen, Songs). Schülerkommentare wie z.B. „Ich hab sie vonAnderen in meiner Gegend gehört“ oder „von meiner Freundin, sie kommtaus Italien“ oder auch „von meiner besten Freundin und ihrer Familie“15

illustrieren die allgemeinere Beobachtung, dass die TrägerInnen einerMigrantensprache das Interesse von SchülerInnen anderer Herkunft posi-tiv wahrnehmen und ihnen gerne den einen oder anderen Ausdruck iminformellen Rahmen beibringen.

Neben den lokalen Kontakten können auch Medientexte als Ressour-cen für Kreuzungen dienen. Bereits Hewitt stellt fest, dass „direct quotationsfrom the most public surface of black culture“ einen Teil des Inventars vonweißen Jugendlichen in „black talk“ ausmachen (1986, 135). Rampton weistdarauf hin, dass die massenmedialen Modelle seiner Informanten je nachVarietät sehr unterschiedlich sind (1995, 60, 238, 250). Während das Kreoldurch jugendkulturell prestigereiche Medienformate wie Tonträger undVideoclips verbreitet wird, ist das stilisierte Asian English vor allem vonSeifenopern bekannt, und diese Stilisierungen „tied in with the stylizedperformance of Asian English that was common in local adolescentdiscourse“ (ebd. 51-2). In den USA stellt Hill (1995) einen explosions-artigen massenmedialen Gebrauch des karikierten Spanisch („MockSpanish“) in den 1990-er Jahren fest, wobei besonders populäre Fragmen-te in anderen Medientexten wie in der direkten Kommunikation reprodu-ziert und verfremdet werden. Ein ähnliches Phänomen erlebte man inDeutschland der späten 1990-er Jahre mit dem stilisierten „Kanaksprak“,das vor allem durch Comedy-CDs und Filme populär wurde (Androutsopou-los 2001).

Massenmedien können manchmal die einzige verfügbare Ressource fürKreuzungen darstellen, etwa für Rezipienten ohne persönlichen Kontaktzu den fraglichen Lebenswelten und Sprechweisen – beispielsweise inSchweden, wo ein Rapper namens Dogge Elemente des StockholmerEthnolekts (Rinkeby-Swedish) aufgreift und durch seine Songs auch sehr

15 Die Beispiele verdanke ich Andreas Klenk, der an der Universität Mannheim einPromotionsprojekt zu diesem Thema durchführt.

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weit weg von Stockholm populär macht.16 Typischer scheint jedoch dieGleichzeitigkeit direkter und medialer Ressourcen, wobei es im Einzelfallschwierig, wenn nicht unmöglich ist, sie auseinander zu halten. Ramptonspricht hier von der „dense interpenetration of local performance with stylesof speech that are reflexively designed, produced and disseminated throughmass-institutional and/or electronic communication systems“ (1999, 423).Beispiele hierfür bieten die Fallstudien von Deppermann (2002), dessenInformanten sowohl lokal aufgeschnappte ethnolektale Mittel als auch„Mundstuhl“-Zitate17 einsetzen, sowie von Cutler (1999), die den Gebrauchdes afro-amerikanischem Englisch beim 15-jährigen „Mike“ beschreibt:Schallplatten, Videoclips und Filme bildeten eine wichtige Quelle für dieKonstruktion seines Sprechstils, die zweite Quelle war ein Freund, der leich-teren Zugang zur „authentischen“ Sprache der Straße hatte. Auch dasTürkische der von Birken-Silverman untersuchten italienischen Jugendli-chen umfasst lokal erworbene Fragmente und Ausschnitte aus Songs desPopstars Tarkan. Die Bedeutung massenmedialer Ressourcen für Kreu-zungen liegt nicht so sehr in ihrer Exklusivität, sondern vor allem in derLoslösung des Materials von lokalen Produktionsbedingungen mit dem Er-gebnis, dass die Assoziationen des fremden Codes von den interethnischenBeziehungen im lokalen Raum teilweise oder größtenteils abgekoppeltwerden.18

16 Dieses Beispiel verdanke ich Ulla-Britt Kotsinas (pers. Komm., Juni 2000).

17 „Mundstuhl“ ist ein in den späten 1990-er Jahren erfolgreiches Comedy-Duo ausFrankfurt a.M., dessen Repertoire die „Kanaksprak“ sprechenden Charaktere „Draganund Alder“ umfasst.

18 Das Verhältnis zwischen Ressourcen, Quellen und Verwendungsmustern zeigt z.B.Rampton für die Fremdsprache Deutsch in einer Londoner Schule: Anders als Kreoloder Panjabi ist Deutsch nicht „Eigentum“ einer lokalen ethnischen Gruppe, sondernein frei verfügbares Material, das die Schüler vorwiegend selbstdarstellerisch undästhetisch einsetzen – sein Gebrauch war „at least partially driven by the intrinsicpleasures of vocalisation and sound“ (Rampton, 1999, 497). Gleichzeitig unterschei-den sich die lexikalischen Ressourcen für Crossing ins Deutsche von denen der lokalverfügbaren Codes (vgl. Abs. 4).

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6. Verwendungsmuster

Jede im Crossing herangezogene Sprache bzw. Varietät verfügt über einAssoziationspotenzial, das eine sinnstiftende Folie für die Interpretation ein-zelner Kreuzungen in Texten und Gesprächen bilden kann. Kreuzungenkönnen stereotypische Vorstellungen über die „normalen“, legitimen undregelmäßigen Sprecher dieser Sprachen oder Varietäten transportieren.So vermittelt afroamerikanisches Englisch Stereotype von der Straßen-kultur und dem Leben der „Gangs“ in großstädtischen Ghettos (Cutler 1999).Kreuzungen im Italienischen in Mannheim sind gebunden an die Rolle des„latin lover and mafioso“ (Birken-Silverman 2001, 10), während das Türki-sche in demselben lokalen Kontext ein „härteres“ Image hat. Für Sprecherdes Spanischen in Barcelona ist Katalanisch eine Ressource um Autoritäts-figuren in formellen Situationen zu konstruieren; umgekehrt haftet demstilisierten Andalusisch die Aura des Provinziellen, Rückständigen an (Pujolar2001). Dem stilisierten „Kanaksprak“ werden Assoziationen wie Härte,Aggressivität, Gewaltbereitschaft oder Angeberei zugeschrieben (Androu-tsopoulos 2001, Auer im Druck, Deppermann 2002, Eksner 2001). Dasvon jungen Migrantinnen der 2. Generation verwendete, stilisierte Gastar-beiterdeutsch evoziert die Stereotype des einfachen, ungebildeten Auslän-ders sowie des mit Vorurteilen behafteten Deutschen und lässt somit dasVerhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsangehörigen relevant wer-den (Keim 2002b). Ähnliche Werte stellt Rampton für „Stylized AsianEnglish“ fest: Es signalisiert eine eingeschränkte sprachliche und kulturelleKompetenz und bringt ethnische Beziehungen in den Vordergrund. ImGegensatz dazu ist das afro-karibische Kreol – ähnlich dem afro-ameri-kanischen Englisch – mit Erfahrung in der Straßenkultur, mit jugend-kulturellem Prestige in Musik und Tanz sowie mit einer rebellischen Hal-tung gegenüber Autoritäten verbunden (Hewitt 1986, Rampton 1995).

Beteiligtenstereotype dieser Art können der interaktiven Arbeit, die mitCrossing vollzogen wird, zugrunde liegen. Der interaktive Einsatz des frem-den Codes eröffnet ein Assoziationsfeld, in das der Sprecher, der Adressatoder der Gegenstand der Rede platziert wird. Insofern reicht der Sinn derKreuzung weit über die propositionale Bedeutung der fraglichen Äuße-rung hinaus, er liegt vielmehr in der „purposeful symbolic evocation“, die

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mit dem Codewechsel stattfindet (vgl. Rampton 1995, 158). Das bedeutetjedoch nicht, dass die soziokulturellen Assoziationen der herangezogenenCodes stets einheitlich oder gleichmäßig aktiviert werden: Ihre symboli-sche Kraft wird je nach Partnerkonstellation mehr oder weniger modifi-ziert. So stellt Hewitt fest, dass in rituellen Beschimpfungen und verbalenDuellen ein „narrow set of cultural associations of creole“ evoziert wird,und zwar „specifically those relating to forms of individual dominanceassociated with toughness and street rivalries“ (1986, 137). Rampton un-terscheidet drei Interaktionsarenen, in denen stilisiertes „Asian English“(SAE) mit jeweils anderen Effekten verwendet wird: Gegenüber Erwach-senen bringt es Ordnungsversuche durcheinander oder stellt sie in Fragedurch die Evokation einer Herrschaftsbeziehung zwischen der erwachse-nen Autorität und den „asiatischen“ Schülern. In der Interaktion Gleichalt-riger stellt SAE bestimmte Verhaltensweisen als unpassend, unangemes-sen, randständig dar. Hierfür ist das Stereotyp der mangelhaften Kompe-tenz ausschlaggebend. In Spielen unter Gleichaltrigen ist es ein Mittel fürspielbezogene Kommentare, es bezieht sich dabei auf gemeinsam aner-kannte Normen der Spielaktivität und kann insofern als „Konsensritual“bezeichnet werden. Nach dem Vorbild Ramptons umschreibt Eksner (2001)drei Gebrauchskontexte des „Stylized Turkish German“ (STG) unter türki-schen Jugendlichen in Berlin-Kreuzberg: In Konfliktsituationen mit Deut-schen verwenden die (ansonsten ein normales Umgangsdeutsch sprechen-den) Jugendlichen ihr „krasseres Deutsch“ (89), um eine fremde und be-drohliche Identität zu projizieren. In der In-Group, deren eigentliche Konflikt-sprache Türkisch ist, dient STG zum einen der Karikierung von Inkompe-tenz Dritter, zum anderen der Regulierung von Gruppenaktivitäten, z.B. alsAufforderung zur Partizipation an gemeinsamen Aktionen. Auch nach Keim(2002b, 153) kann Gastarbeiterdeutsch (GAD) „je nach Gesprächskontext,Adressatinnen bzw. Referentinnen und Perspektivierung (...) verschiede-ne Funktionen ausfüllen“, wobei die Relation zwischen Migranten undMehrheitsgesellschaft stets im Mittelpunkt bleibt. Wird GAD an die Mut-ter adressiert, ruft es Differenzen zwischen der ersten und zweitenMigrantengeneration hervor und drückt Kritik an der mangelhaften An-passung der Eltern an die Mehrheitsgesellschaft aus. Im Gespräch mitDeutschen setzen die jungen Frauen GAD ein, um sich vom Stereotyp des

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einfachen Ausländers zu distanzieren, aber auch um entsprechende Stere-otype der Deutschen auf die Probe zu stellen. Und im Gespräch unterein-ander drückt GAD die Distanz der Frauen von beiden Stereotypen aus.

Manche Crossing-Episoden weisen eine „Mehrheit-Minderheit-Direktio-nalität“ auf: Angehörige der ethnischen Mehrheit verwenden unter sicheinen (stilisierten) Minderheitencode, etwa „Türkendeutsch“ in Deutsch-land, „Murks“ in den Niederlanden oder Rinkeby-Swedish in Stockholm.In anderen Fällen handelt es sich jedoch um gemischtethnische Gruppen,in denen unterschiedliche Ressourcen in wechselnden Konstellationen ein-gesetzt werden. Die Verwendung eines Codes gegenüber seinen „Eigen-tümern“ kann jedoch Einschränkungen unterliegen, da sie situations-spezifisch als diskriminierend empfunden oder aber als ernster Anspruchauf die fragliche ethnische Identität und ihre Attribute missverstandenwerden kann. Die britischen Studien belegen z.B., dass afrokaribische Ju-gendliche die Verwendung des Kreols in ihrer Anwesenheit nur in ganzspezifischen Interaktionskontexten dulden, z.B. in konversationellen Wie-derholungen, in expressiven Ausrufen im Spiel usw.19

Ein zentrales Moment aller Crossing-Situationen ist das ambivalenteVerhältnis zwischen Sprecher und Code bzw. Stimme. Rampton modelliertdieses Verhältnis nach der Unterscheidung Bakhtins (1971) zwischen „uni“und „varidirectional double-voicing“ (bzw. „gleichgerichtetem“ und „ver-schieden-gerichtetem zweistimmigem Wort“). Beim gleichgerichtetenzweistimmigen Wort nimmt der Sprecher die fremde Stimme als Teil sei-ner eigenen (kontextuell relevanten) Identität an. Beim verschieden-ge-richteten zweistimmigen Wort sind Stimme und Sprecher klar voneinandergetrennt, hier ist der Gebrauch der fremden Stimme mit Spiel, Ironie undParodie verbunden. Aneignungen afroamerikanischer und afrokaribischerSprechstile durch weiße Jugendliche werden typischerweise als Fälle desunidirektionalen Double-Voicing beschrieben. Ihnen liegt eine „openly

19 Eksners (2001) Daten legen nahe, dass die türkischstämmigen Jugendlichen „stilisier-tes Türkendeutsch“ als einen „für Ausländer reservierten“ Code beanspruchen undseinen Gebrauch bei deutschen Jugendlichen weder ernst nehmen noch gut heißen(94). Meine eigenen Beobachtungen legen dies ebenfalls nahe. Auch nach Auer wird„Türkenslang“ von Migrantenjugendlichen „zu Zwecken der Selbst-Stilisierung alsethnischer Gruppe situationsspezifisch“ eingesetzt (im Druck, 5).

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displayed adoption of black language and speech styles by whites wishingto identify themselves unambiguously with black youth culture“ zu Grun-de.20 Auch der Türkischgebrauch in Hamburg sowie bestimmte Verwen-dungen des stilisierten „Türkendeutsch“, etwa in Konfliktinteraktionen(Eksner 2001), können zu diesem Typ gerechnet werden. Häufiger wirdCrossing jedoch als varidirektionales Double-Voicing beschrieben. Dabeikann die Dissoziation von Sprecher und Stimme in verschiedenen Gradie-rungen vorliegen. Beispielsweise sind bei Deppermann (2002) zwei derdrei Gebrauchsformen von „Kanaksprak“ extrem vom Sprecher distan-ziert: Durch Zitate und fingierte Zitate werden einzelne „Kanaken“ bzw.die gesamte soziale Kategorie der „Kanaken“ als aggressiv und lächerlichporträtiert. In der dritten und häufigeren Gebrauchsform, den spielerischenBewertungen, ist die Distanz zwar geringer, dennoch ist „Kanaksprak“nach wie vor von der eigenen Stimme deutlich abgegrenzt und als scherz-haft gekennzeichnet.

Die Kategorie „Spaß“ und die damit verbundene Ausdrucksfreiheit istein typisches Motiv für varidirektionales Double-Voicing aus der Sichtder Beteiligten.21 Kreuzungen können die laufende Interaktion als spiele-risch-unernst rahmen und es den Interaktionspartnern ermöglichen, Dingezu sagen bzw. Handlungen durchzuführen, die in ihrer eigenen Stimmeeiner Gesichtsverletzung oder einem Tabubruch gleich kämen und daherunmöglich wären, z.B. anzügliche Kommentare, Angebereien, grobe Auf-forderungen, obszöne Bedrohungen usw.22 Durch den Code-Wechsel kannsich der Sprecher vom propositionalen Gehalt bzw. der illokutionären Kraftder Aussage distanzieren. Die Gefahr, dass ein Beitrag als unangemessen

20 Hewitt (1986, 149), vgl. auch Bucholtz (1999), Cutler (1999), Rampton (1995).

21 Deppermann (2002) stellt fest, stilisiertes „Kanaksprak“ „mostly is used as a fun-code that defines the key of the ongoing interaction. It is framed as entertainment andfun“. Vgl. auch Androutsopoulos (2001), Hill (1995), Lytra (2002). Kotsinas berich-tet das Gleiche für Imitationen des Rinkeby-Swedish unter schwedischen Jugendli-chen ohne Kontakte zu Migrantenjugendlichen (pers. Komm, Juni 2000).

22 Pujolar zeigt dies an mehreren Beispielen mit andalusischen und katalanischen Varie-täten: „Stylized Spanish indicated that the insult was uttered not by himself but by animpersonated character who was somehow other than himself“ (Pujolar 2001, 181f.).Ähnlich Deppermann (2002, 17): „By switching to stylized Kanaksprak, the Germanboys are positioned to do and say things they would never say with their own voice“.

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oder beleidigend aufgefasst wird, wird damit verringert (vgl. Pujolar 2001,199f.).

Wie durch das Distanzverhältnis zwischen Sprecher und Code ethni-sche Diskriminierung und latenter Rassismus reproduziert werden können,steht im Zentrum der Arbeit von Hill (1995), die den Spanischgebrauchunter monolingualen US-Amerikanern durch das Konzept der „doppeltenIndexikalität“ beschreibt. Ihre These ist, dass „Mock Spanisch“ zwei semi-otische Bezüge herstellt: die „direkte Indexikalität“ umfasst die Eigenschaf-ten, die der Gebrauch des fremden Codes dem Sprecher bzw. Performerzuweist, die „indirekte Indexikalität“ umfasst die soziokulturellen Stereoty-pe, die zur Interpretation der Kreuzung aktiviert werden. Während derPerformer positive Eigenschaften wie multikulturelle Erfahrung und Un-terhaltsamkeit für sich beanspruchen kann, beruht der Witz der Kreuzungins Spanische regelmäßig auf negativen Stereotypen über die legitimenSprecher und ihre Kultur. Während die direkte Indexikalität den Sprechernbewusst ist und oft als „Spaß“ begründet wird, bleibt die indirekteIndexikalität unangesprochen und wird sogar abgelehnt. Auf dieser Basisargumentiert Hill, dass der Gebrauch des karikierten Spanisch zur Repro-duktion von Vorurteilen und Diskriminierung einer Minderheitengruppebeiträgt, und dass dies unabhängig von den konkreten Interaktionszielender Sprecher stattfindet.

Die Tragweite von Hills Analyse zeigt ein Vergleich mit der Untersu-chung Deppermanns: In seinen Beispielen ist „Kanaksprak“ auf der einenSeite eine Ressource positiver Selbstdarstellung: Die Jugendlichen präsen-tieren sich als poetisch und mimetisch versierte Unterhalter, die es verste-hen, eine „spontaneous artful verbal performance“ zu liefern. Die Grund-bedingung für das Gelingen der Performance und den gemeinsamen Spaßist jedoch das gemeinsam geteilte Stereotyp des aggressiven und lächerli-chen „Kanaken“. Andererseits wäre es zumindest in Bezug auf „Kanak-sprak“ unangemessen, jede Reproduktion, insbesondere die medialer Res-sourcen, einheitlich als abgrenzend oder diskriminierend einzustufen. Oftgeht es vielmehr darum, gemeinsames Wissen unter Beweis zu stellen.Die Bestätigung der Zugehörigkeit zu derselben Rezeptions- bzw.Interpretationsgemeinschaft ist (zumindest für bestimmte Fälle) wichtigerals die einer gemeinsamen ethnischen Identität (vgl. auch Androutsopoulos2001; Auer im Druck).

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Weitere in der Literatur angeführte Erscheinungskontexte von Sprach-kreuzungen lassen sich insgesamt der Rahmenkategorie der Liminalität(vgl. Abs. 2) zuordnen. Hewitt und Rampton legen besonderes Gewichtauf Sprachkreuzungen in Spielen (z.B. Karten- und Brettspielen, Billardund Tischtennis) sowie Situationen mit spielartigem Charakter. Gemein-sames Musikmachen, Spielplatz-Interaktionen und Schultheater sind nachRampton wichtige Arenen für Crossing. Hewitts meisterhafte Kartenspiel-Analyse porträtiert Kreol als ein rhetorisches Mittel, um innerhalb der fes-ten Rollen- und Sequenzstruktur des Spiels individuellen Status auszuhan-deln oder zu beanspruchen (1986, 138ff., 172ff.). Crossing in rituellenBeschimpfungen und verbalen Duellen diskutieren u.a. Hewitt für Kreol,Birken-Silverman für Türkisch und Rampton für Panjabi. Rekurrente Er-wähnung findet auch die Gestaltung kurzer expressiver Momente – em-phatische Zustimmungen oder Ablehnungen, spielerische Bewertungen,Ausrufe des Erfolgs oder Misserfolgs.23 Hewitt und Deppermann beob-achten zudem, dass innerhalb einer spielerischen InteraktionsmodalitätKreuzungen zur Steigerung einer verbalen Kompetition eingesetzt werden,beispielsweise als letztes Glied einer Kette von Bewertungen oder um denGegner in einer scherzhaften Auseinandersetzung zu „toppen“. Kreuzungerscheint damit als ein strategisches Mittel der interaktiven Positionierungund Aushandlung des individuellen Status in der Peergroup (vgl. Hewitt1986, 178f., Deppermann 2002, 13).

Ein weiterer Erscheinungskontext von Kreuzungen, und gleichzeitig einetypische Stelle für konversationelles Code-Switching schlechthin, ist dieGesprächs- bzw. Interaktionsrahmung (Dabène/Moore 1995, Pujolar 2001).Einen prototypischen Fall belegt Kotsinas (1992, 54): Zwei Jugendlichegriechischer und türkischer Herkunft begrüßen sich jeweils in der Sprachedes Anderen. Ich selbst konnte in den letzten Jahren öfters beobachten,wie in der Mehrheitssprache geführte Interaktionen durch Demonstrationeiner „Einsprengsel-Kompetenz“ in der Sprache des Anderen gerahmtwerden, sei es unter Bekannten oder in anonymen Dienstleistungsinter-

23 „Exclamations following success or failures are amongst the utterances most commonlyincorporating London Jamaican lexis and pronunciation“ (Hewitt 1986, 139). NachDeppermann (2002) bilden spielerische Bewertungen die Hauptkategorie der stilisier-ten Kanaksprak.

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aktionen, sofern die ethnische Herkunft der Gesprächspartner relevantgesetzt wird. Die Anrede in der Sprache des Anderen lässt sich dabei alsAusdruck positiver Höflichkeit (Brown/Levinson 1987) auffassen. Kreu-zungen in der Interaktionsrahmung sind demnach ein Versuch der Annähe-rung und Vertrautheit. Sie bringen symbolisch zum Ausdruck, dass derSprecher den Partner verstehen und „fühlen“ kann.24 Damit kann Crossing,wie auch andere Verfahren positiver Höflichkeit, als eine Art „socialaccelerator“ dienen (ebd. 103), was letztlich gerade in anonymen Interak-tionen in der multiethnischen Gesellschaft nützlich sein kann.

7. Ein Fallbeispiel

Wie die vorgestellten Kategorien und Konzepte in einem konkretenInteraktionszusammenhang realisiert werden, zeigt exemplarisch das fol-gende Fallbeispiel.25 Diese Sequenz ist Teil einer längeren Selbstaufnah-me, die eine Gruppe von SchülerInnen angefertigt hat. Die Interaktion istbereits vor dem hier reproduzierten Ausschnitt als spielerisch definiert. DieSchülerInnen imitieren einen „Deutschkurs“ und verfremden dabei dasMuster des Sprachunterrichts in einer Art und Weise, die Schlobinski/Kohl/Ludewigt (1993, 145f.) als musterhaft für „Bricolage“ beschreiben. InAnschluss daran – und gewissermaßen als Steigerung des laufendenInteraktionsspiels – beginnt die hier angeführte Sequenz, die man als Mus-terbeispiel für den spielerischen Umgang mit Mehrsprachigkeit betrachtenkann.

24 Brown/Levinson erwähnen Code-Switching als eine Sonderform der Strategie positi-ver Höflichkeit „use in-group language or dialect“. Positive Höflichkeit, heißt es dortu.a., „is approach-based; it ‚annoints’ the face of the addressee by indicating that insome respects, S [the speaker] wants H’s [the hearer’s] wants (e.g. by treating him asa member of an in-group, a friend, a person whose wants and personality traits areknown and liked).“ (1987, 70).

25 Die Sequenz stammt aus dem Korpus Jugendliche Sprechweisen von Schlobinski/Kohl/Ludewigt (1994), das Anfang der 1990-er Jahre in einer norddeutschen Stadterhoben wurde. Das Beispiel steht als Tondatei auf der Homepage von OBST bereit.

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„sprachkurs“26

1 Nadine: yes (.) wir machen ja (.) wir machen ja

sprachkurs yes ((lacht)) (.1 sec) und jetzt

lernen wir jugoslawisch (.) say something

about jugoslawisch ((Elim und Nadine sind

keine Jugoslawen))

2 Elim: (jate wollim)

3 Nadine: (jate wollin)? (puschi kuratz tschitschi

schupak) ehm (.) (otjebi)

4 Elim: (otjebi jebizä)

5 Nadine: eh (jäbizä)

6 Elim: (oh wisenos schupak)

7 Nadine: okay (.) jetzt

8 Elim: = (upan taja)

9 Nadine: jetzt speak something about (.) italiano (.)

who is (.) who is

10 Elim: = (parler italiano prä)

11 Nadine: ((lacht))

12 Elim: äh (.) ich italiano (.) und jetzt nen

bisschen türkisch

13 Nadine: no (.) nix türk

14 Kai: = (garamie (.) eurospu) (.1 sec) ((betreten

Gebäude))

15 Nadine: oh (.) wir machen jetzt russischkurs

16 Susanne: oh no ((Susanne ist Übersiedlerin))

[Das Gespräch wird fortgesetzt]

In den 16 Beiträgen dieser Sequenz kommen Kreuzungen in vier verschie-dene Sprachen vor: Englisch, „Jugoslawisch“ (d.h. Serbokroatisch), Italie-nisch und Türkisch. Bis auf die kurrikulare Fremdsprache English schei-nen die Sprachkenntnisse der SchülerInnen lokalen Quellen zu entstam-men. Die untersuchte Schulklasse ist gemischtethnisch und umfasst türki-sche, polnische und bosnische SchülerInnen, aber die hier eingebrachtenSprachen werden nicht von MuttersprachlerInnen geäußert.

Die situative Einbettung der Kreuzungen entspricht Ramptons Theseder Liminalität (vgl. Abs. 2): Die SchülerInnen laufen im Schulgebäude

26 Die Originalverschriftung wurde beibehalten.

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ohne Erwachsenenkontrolle und ohne klar definierte Aufgabe herum, eineSituation die Anlass zum Spiel bietet. Nach dem vorangehenden „Deutsch-kurs“ wird nun das Muster des Fremdsprachenunterrichts verfremdet.Nadine, die Hauptfigur, gliedert das Spiel durch das Stichwort „Sprach-kurs“ (Zeile 1) und die Aufforderung nach bestimmten Sprachen:jugoslawisch (1), italiano (9), russischkurs (15). Ihre verzerrte, auffal-lend langsame Stimme sowie ihre englischen Aufforderungen und Diskurs-partikeln (say something, speak something, yes) kontextualisieren ihreHandlungen als Teil eines Rollenspiels. Die Rollenverteilung der Sprachenmacht dabei deutlich, wie eine Art Machtgefälle zwischen der offiziellenFremdsprache Englisch und den Migrantensprachen reproduziert wird:Englisch wird durchgehend als Stimme der „Lehrerin“ eingesetzt, die an-deren Sprachen bilden den erfragten Unterrichtsgegenstand. Die Verfrem-dung wird von mehreren SchülerInnen gemeinsam aufgebaut, wobei dieBeiträge der SchülerInnen teilweise Akzentspielereien sind, teilweise ech-tes lexikalisches Material enthalten. Die serbokroatischen Segmente in denZeilen 2-8 bedeuten u.a. „Ich liebe dich“, „Du bist ein Arschloch” und„Verpiss dich” und entsprechen damit den oben vorgestellten Kategoriender einfachen Sprechhandlungen bzw. Beschimpfungen (vgl. Abs. 4). Diemeiste Kooperation leistet Elim, der stellenweise auch in die Rolle desLeiters wechselt (Zeile 12), während Kai und Susanne nur peripher amGeschehen beteiligt sind.

Mit Rückgriff auf die Terminologie Bakhtins (vgl. Abs. 6) liegt hiervaridirektionales double voicing vor: Die Beteiligten identifizieren sichnicht mit den fremden Stimmen, sondern führen ihre fragmentarischenSprachkompetenzen als Teil des Rollenspiels vor. Aus der Funktionspaletteder Kreuzung überwiegt die poetische bzw. sprachspielerische Funktionvon Sprache: Die SchülerInnen haben ihren Spaß an der bewussten au-genblicklichen Normüberschreitung, die freilich auch darin bestehen dürf-te, dass Tabuwörter in den Unterrichtsrahmen eingesetzt werden, aberauch an der schnellen Abwechslung zwischen den verschiedenen Spra-chen. Ihre Performance richtet sich dabei sowohl an die anwesendenMitschülerInnen als auch an das Mikrophon und damit an die abwesendenUntersucherInnen. Ramptons Bemerkung, Kreuzungen sind „at leastpartially driven by the intrinsic pleasures of vocalisation and sound“ (1999,

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497), passt hier besonders zum Italienisch-Beitrag Elims (Zeile 10), daspropositional unsinnig, aber prosodisch auffallend stilisiert ist.

8. Schlussfolgerungen

Der theoretische und analytische Wert des Crossing-Konzepts liegt in derschärferen Konturierung eines bekannten, aber bisher randständigenPhänomenbereichs im Sprachkontakt: die gelegentliche, auf minimalerKompetenz beruhende und interaktiv bedeutsame Verwendung fremderCodes, die als ethnisch-soziale Grenzüberschreitung empfunden und aufder Grundlage von (massenmedial geprägten) Stereotypen interpretiert wird.In den gegenwärtigen europäischen Gesellschaften, in denen eine ethnisch-sprachliche Mehrheit und mehrere Minderheiten in mehr oder weniger stän-digem Kontakt miteinander leben, scheinen Phänomene dieser Art ver-stärkt in Erscheinung zu treten. Während regelmäßiger Sprachwechsel(Code-Switching und -Mixing) auf die intraethnische Kommunikation vonMinderheitengruppen eingeschränkt ist, betreffen Kreuzungen die inter-ethnische Kommunikation und damit letztlich die Gesamtgesellschaft. Dervorliegende Forschungsbericht hat übereinzelsprachliche und interkulturel-le Ähnlichkeiten von Crossing-Phänomenen aufgezeigt. Gleichzeitig solltedeutlich geworden sein, dass beim gegenwärtigen Forschungsstand eineReihe von Fragestellungen offen bleiben müssen. Die Grundfrage der So-ziolinguistik – im vorliegenden Fall: Wer spricht wessen Sprache/Sprach-varietät mit wem, wann und zu welchem Zweck (vgl. Bußmann 1990) –kann im Fall Crossing noch nicht einheitlich beantwortet werden.

Auf der Grundlage neuerer Literatur wurden Phänomene sprachlicherKreuzungen im Hinblick auf ihre Formen, Quellen und Verwendungsweisensowie ihre Gebrauchsmotivation diskutiert. Trotz aller Variation in der Formist festzustellen, dass Kreuzungen mit einer minimalen Kompetenz aus-kommen, die vor allem Routineformeln und Wortschatzelemente, aber auchlautliche und prosodische Merkmale umfasst. Das in Kreuzungen einge-setzte Material beruht nicht nur auf dem lokalen Erwerb, sondern umfasstauch massenmediale Quellen. Die Verwendung von Sprachkreuzungen lässtsich durch interpretative Konzepte wie Double-Voicing und doppelteIndexikalität umreißen. Dabei konnten interessante Parallelen zwischen

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Ressourcen, Quellen und Verwendungen hervorgehoben werden. Es scheintbeispielsweise, dass ausschließlich massenmedial verbreitete, stilisierteVarietäten varidirektional verwendet werden. Die unidirektional verwendetenRessourcen können jedoch sowohl lokalen als auch medialen Quellen ent-stammen. Im Hinblick auf die Beweggründe für Kreuzungen deutet dieDiskussion auf ein komplexes Motivationsgeflecht hin. Viele Kreuzungensind Teil der interpersonalen Beziehungsgestaltung in privaten wie öffent-lichen, vertrauten wie anonymen Interaktionen. Den Interaktionspartner inseiner Sprache zu adressieren kann als elementare Höflichkeitsgeste fun-gieren und signalisieren, dass er in seinem Anderssein akzeptiert wird (vgl.Hinnenkamp 1998, 152). Darüber hinaus sind sprachliche Kreuzungen auf-schlussreiche Verweise auf die soziale Positionierung – Solidarisierung oderAbgrenzung – gegenüber Individuen und Gruppen in polyglotten urbanenMilieus. Das subtile, oft ambivalente Verhältnis von Sprecher und Stimme,die evozierten Stereotype und die Art und Weise ihrer Verarbeitung in derInteraktion können mitunter als ideologische Stellungnahme gedeutet wer-den (vgl. Gogolin 1998, 90). Schließlich ist Kreuzung auch eine Ressourceästhetischer und poetischer Kommunikation. Sie stellt Alternativen fürRoutinen der Alltagskommunikation bereit und bietet damit eine Möglich-keit an, den normalen Sprachgebrauch zu „exotisieren“ (vgl. Rampton 1999,497). Durch den geschickten Umgang mit Fremdsprachen und -varietätenkönnen sich Sprecher als rhetorisch geschickte Entertainer profilieren (vgl.Deppermann 2002). Dass dies auf Kosten anderer Gruppen gehen kann,trägt zur pragmatischen Komplexität des Phänomens bei. Kreuzungen kön-nen je nach Konstellation als integrierend oder ausgrenzend, „emanzipato-risch“ oder „reaktionär“ erscheinen.

Die Attraktivität des Crossing-Konzepts liegt nicht zuletzt in den Mög-lichkeiten intermedialer und interdisziplinärer Anwendung. Sprach-kreuzungen sind über das direkte Gespräch hinaus in mehreren Bereichenvermittelter Kommunikation zu finden, und zwar nicht nur in Massenmedi-en, sondern auch in der interpersonalen Online-Kommunikation, beispiels-weise in persönlichen Emails und Homepages, in Gästebüchern von undChats mit Comedy-Stars. Die Crossing-Forschung hat das Potenzial, Ver-bindungen zwischen lokalen Interaktionen und Performances einerseits,global verfügbaren Ressourcen aus der massenmedialen Popkultur

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andererseits aufzuzeigen. Hier eröffnet sich die Chance, die interaktions-analytische Sprachkontaktforschung mit medienlinguistischen und -ethno-grafischen Ansätzen zu verbinden.27

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27 Dieser Beitrag entstand im Rahmen der DFG-Forschergruppe „Sprachvariation alskommunikative Praxis“. Für Hinweise und Kommentare bin ich Inken Keim, MarySifianou, Janet Spreckels und der OBST-Redaktion zu Dank verpflichtet.

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