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Meine Krankheit, meine DNA, meine Therapie. Die Medizin wird sich in den kommenden Jahren personalisieren. Die Auruchstimmung ergreiſt auch IT-Spezialisten. JETZT WIRD ES PERSÖNLICH Daten schützen, sagt Johannes Caspar, Landesdatenschutz Hamburg. Daniel Grandt und Manfred Criegee-Rieck zur eMedikation und Aufgabe des Bundes. Das Journal für die deutsche, österreichische und schweizerische Healthcare IT Branche. N°5 06.2015 | www.hitcentral.eu/de/42

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Meine Krankheit, meine DNA, meine Therapie. Die Medizin wird sich in den kommenden Jahren personalisieren. Die Aufbruchstimmung ergreift auch IT-Spezialisten.

JETZT WIRD ES PERSÖNLICHDaten schützen,

sagt Johannes Caspar, Landesdatenschutz Hamburg.

Daniel Grandt und Manfred Criegee-Rieck zur eMedikation und Aufgabe des Bundes.

Das Journal für die deutsche, österreichische und schweizerische Healthcare IT Branche.

N°5

06.2015 | www.hitcentral.eu/de/42

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— EDITORIAL —

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Selbstversuch: Ich war letztens bei meinem Hausarzt und verlangte meine Patientenakte. Entsetztes Schweigen. Hilflose Gesten. Es kam nicht die Frage nach dem Warum, sondern nur ein unsicheres „Ich weiß gar nicht, ob wir so etwas überhaupt können“. Ich sollte dann in der kommenden Woche noch ein-mal wiederkommen. Vielleicht ist der Fortschritt in solchen Mo-menten eher ein Hemmnis. Eine weniger fortschrittliche Praxis hätte mir womöglich direkt die Papierakte ausgehändigt und ein fröhliches Weiterleben gewünscht?

Mit der Hoheit über die eigenen Daten ist es ja sowieso auch außerhalb der Hausarztpraxis so eine Sache; in der wei-ten digitalen Welt wird jedenfalls eher nach dem Motto „Eigen-tum ist Diebstahl“ verfahren, das der Ökonom und Soziologe Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) prägte. Das Gesetz unter-scheidet Besitz und Eigentum. Eigentum bedeutet, dass man mit einer Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann, wie es in § 903 des Bürgerli-chen Gesetzbuches heißt.

Dass dem bei den eigenen Daten offensichtlich nicht so ist, zeigt die Forderung, die Jan Philipp Albrecht, grüner Netzpoli-tiker im Europaparlament, formulierte. Er drängt darauf, in der EU-Datenschutzverordnung festzuschreiben, dass Verbraucher ein Recht darauf haben, ihre Daten mitzunehmen, beziehungs-weise sie auch jemand anderem anvertrauen zu können. Dinge also, die eigentlich im Eigentumsrecht inkludiert sind.

Durch das Beispiel wird klar, dass die Legislative den An-forderungen der Realität derzeit etwas hinterherhinkt und dieses Problem offensichtlich auch nicht ausgesessen werden kann – denn Datenverarbeitung ist wohl doch mehr als eine Modeerscheinung.

Zugegeben, ein schwieriges Feld, voller Begehrlichkeiten. Hans-Joachim Popp, CIO am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, bezeichnet Daten als das neue Öl. Und je wertvol-ler Daten fürs Geschäft werden, desto wichtiger ist ihr Schutz für den Wettbewerb.

Doch dann gibt es diese Grauzonen, in denen genauer hin-geschaut werden muss, in denen sichere Möglichkeiten zum Austausch geschaffen werden müssen, um dem Allgemeinwohl zu dienen. In der Medizin hängen von der Nutzbarmachung vorhandener Datenschätze Leben ab. Je mehr Daten, desto genauere Ergebnisse, desto größer und allumfassender der Nutzen für alle. Auch auf der Kostenseite, wie Otmar Wiestler, Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Stiftungsvor-stand des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, in unserer Titelgeschichte erklärt (S. 44). Ich jedenfalls wäre gerne ein digitaler Patient – mit Eigentumsrechten.

Viel Freude beim Lesen!

Claudia Dirks Editorial [email protected]/de/42

Alles meins!?

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Follow me: cdhimss

Das Forum für ICT im GesundheitswesenLe forum pour les TIC dans le système de santé

14. – 15. September 2015 | Kursaal Bern14. – 15. Septembre 2015 | Kursaal Berne

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Digitales Ökosystem Gesundheitswesen – Vorgaben umsetzen, Versprechen einlösen Écosystème de la cybersanté – traduire la vision en réalités, tenir les promesses

14. – 15. Sept.

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— INHALT —— INHALT —

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HIMSS Europe Community Swiss eHealth Summit, September 2015, Bern 6CIO Summit, Valencia 6eHealth-Trendbarometer 8Health IT Central 8eHealth Summit Germany Programm 10Telemed 2015 12Entziffern 14Impressum 16

Seite 39 Die 3D-Zukunft der Radiologie 40Auch ohne Brille innovativ sein

N°5

Seite 17Europäische Standards 18Ein Ja zur Patientensicherheit Patientenschutz als Passion 26Patientenanwalt Gerald Bachinger outet sich als E-Health-JunkieInnovationsinkubator Integrierte Versorgung 28Musketiere im GesundheitswesenDaten schützen 34Johannes Caspar, Datenschutzbeauftragter des Landes HamburgKolumne: Der Überblicker 38David hilf!

Seite 59Martin Kuhrau, Ategris 60IT ist vor allem PsychologieDas (Un-)Wesen der IT 66Das Leid der IT ist ihr ÜberallseinManfred Criegee-Rieck, GMDS 68Medikationssicherheit ist Aufgabe des Bundes

Seite 82Ein (Gast-)Kommentar von Peter Langkafel 82Google Flu: Nicht alles glauben, was hatschi macht

72 Ascom: Zeiteinsparungen und höhere Effizienz sind der größte Gewinn

73 Cerner: Gesundheit im Wandel: Population Health stellt die Bedürfnisse des Menschen in den Mittelpunkt

74 Intersystems: Gestatten: Dr. med. Smart Data

75 KMS: Stark durch (digitale) Vernetzung – so funktionie­ren Gesundheitsregionen

76 medavis: Verbesserter Workflow und Ressourcen­einsatz zahlen sich aus

77 MSD: Digitale Angebote erhöhen die Patienten­sicherheit

78 Nuance: MDK­Prüfverfahren verschärft: Den Druck im Vorfeld abfedern. Aber wie?

79 SAP: Big Data goes Klinik: IT­Tools für die personali­sierte Medizin

80 Philips: Keine Studie über drei Sekunden: IntelliSpace PACS – Arbeiten ohne Wartezeit

HealthTech Wire

Seite 51Kolumne: Der Brückenbauer 52Ärzte sollten sich mal freimachen!MyTherapy 53Das Smartphone als TherapiebegleiterLifeTime 56Mobiler Tresor für Gesundheitsdaten Kolumne: Mensch vs. Maschine 58

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— HIMSS EUROPE COMMUNITY —

EVENTS

Swiss eHealth Summit – Das Gesundheitswesen trifft sich in Bern

SCHWEIZ – „Digitales Ökosystem Gesundheitswesen: Vorgaben um­setzen, Versprechen einlösen“ steht über dem Swiss eHealth Summit, der am 14./15. September 2015 im Kursaal Bern stattfindet.

Es bleibt spannend in der Schweiz! Das elektronische Patienten­dossier geht aktuell in die nächste Runde – Befürworter und Gegner wappnen sich für den nun folgenden Schlagabtausch. Im September wird es vermutlich schon Sieger und Besiegte geben. Welchen Einfluss das auf die zukünftigen Entwicklungen im Schweizer Gesundheitswe­sen hat, wird dort in Bern skizziert.

Die Mixtur aus wissenschaftlicher Konferenz, CIS­Konferenz und An­wender­Track, der die innovativsten existierenden Lösungen mit allen Stakeholdern der Schweizer Gesundheitswirtschaft diskutiert, geht in die dritte Runde und nimmt sich genau dies vor: Wie kann es konkret weitergehen? Welche Möglichkeiten bieten eHealth­Lösungen? Was hat sich schon in der Realität bewährt?

Der Blick über den Tellerrand Gesundheitswesen ist genauso er­wünscht wie die Diskussion über die ganz praktischen Schritte auf dem Weg hin zu einer investitionssicheren Lösung, die das Zeug hat, Probleme zu lösen.

Mehr Informationen unter: www.ehealthsummit.ch

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SPANIEN – Der HIMSS Europe CIO Summit findet vom 7. bis 8. Oktober 2015 im renommierten Klinikum La Fe in Valencia statt.

Die sechste Auflage des CIO Summit wird auch in diesem Jahr die führenden europäischen Klinikleiter und IT­Manager im Gesundheitswesen zusammenbringen ­ und dabei viel Raum für persönlichen und fachlichen Austausch bieten.

Eines der Programmhighlights wird die Führung durch das La Fe­Klinikum und eine Visite im Hospital Marina Salud de Dénia sein, dem einzigen Stage 7 Krankenhaus in Spanien und erstem Preisträger des HIMSS Davies Award außerhalb Nordamerikas.

Das Programm des Summit wird in diesem Jahr durch den HIMSS EMRAM Stage 6 & 7 Club ausgerichtet und bietet den Mitgliedern Möglichkeiten des Networkings mit den internationalen Kolleginnen und Kollegen der HIMSS eHealth­Community.

Die Teilnahme am Summit ist für CIOs kostenlos.

Krankenhaus der Stufe 6 Gastgeber des HIMSS Europe CIO Summit

Mehr Informationen unter: www.hitciosummit.eu

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1Inspired by nursesPflegekräfte sind die Helden des Alltags im Gesundheitswesen und haben einen Begleiter verdient, der sie bei der Arbeit unterstützt. Aus diesem Grund haben wir Ascom Myco™ (My companion) entwickelt. Ascom Myco™ ist ein spezialgefertigtes Smartphone und Kommunikationskonzept für die Krankenhausumgebung, dass relevante Informationen genau dort bereitstellt, wo sie von Pflegekräften und Krankenhausmitarbeitern benötigt werden: at the heart of care!

Erfahren Sie mehr zu Ascom Myco. ascommyco.com

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— HIMSS EUROPE COMMUNITY —

UND MEHR

Mehr Informationen unter: www.hitcentral.euehr Info

Health IT Central: Das neue Portal für die eHealth-Community in Europa

Uns interessiert Ihre Meinung!

EUROPA – HIMSS Europe hat mit dem Portal hitcentral.eu eine neue Wissensplattform gestartet. Sie bietet einen 360­Grad­Blick auf die aktuellen Entwicklungen und Themen der eHealth­Branche: Nachrichten, Analysen und Veranstaltungshinweise gebündelt in einem Portal.

Health IT Central richtet sich dabei gleichermaßen an Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesundheitswesen. Sie haben nun an einem Ort direkten Zugriff auf die aktuellsten Nachrichten, das Journal 42, die HIMSS Insights, auf das British Journal of Healthcare Computing und HealthTech Wire – und damit einen komfortablen Überblick über die relevantesten Themen aus und für die eHealth­Community, bilingual.

ANALYTICS – Unser Gesundheitssystem steht vor großen Umbrüchen, stationär wie ambulant, und es ist eine Vielzahl von gesellschaftspolitischen Zukunftsaufgaben zu bewältigen. Einige davon werden auf dem eHealth Summit Germany am 12.06.2015 thematisiert, andere wollen wir kontinuierlich mit dem eHealth Trend­Barometer evaluieren.

WIR MACHEN IHR THEMA ZU UNSEREM THEMA!

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich gerade oder welche machen Ihnen Sorgen für die Zukunft? Der entwickelte Fragebogen greift kurz und knapp relevante eHealth Themen des Ist­ oder auch des Wunsch­Zustands Ihrer Gesundheitseinrichtung auf.

Wir laden Sie herzlich ein, an der ersten Befragungsrunde teilzunehmen. Das Ausfüllen nimmt nur circa 2 Minuten Ihrer Zeit in Anspruch, die Auswertung erfolgt anonym, die Ergebnisse werden in unseren Medien publiziert.

Anmeldung für den

Newsletter unter:

www.hitcentral.eu/

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CGMG3Hospital Information System

Arzneimitteltherapiesicherheitdurch CGM G3 Medication

Berufsgruppenübergreifende Unterstützung des gesamten Medikationsprozesses

Rasche Verordnung durch intuitive Schnellerfassungszeile

Konfigurierbare Workflows zur Freigabe und Administration der Medikamente

Integration von ATMS-Lösungen (Diagnosia, i:fox, etc.)

Einbindung von Apothekerarbeitsplätzen und Ansteuerung von Unit-Dose Automaten

Offene Integrationsarchitektur zur Einbindung in bestehende Krankenhausinformationssysteme

Zukunftssicherheit durch modernste Web-Technologie

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— HIMSS EUROPE COMMUNITY —— HIMSS EUROPE COMMUNITY —

Im Rahmen des

Knowledge Partner

Medienpartner

Unterstützer

Wissenschaftlicher PartnerThemenpartner

Partner

best-practice bühne auf dem ehealth pavillon (standnummer c33) mittwoch, 10. juni 2015

donnerstag, 11. juni 2015

12:20-12:40 Uhr Geostrategische Unternehmensausrichtung des intersektoralen Flächenversorgers ANregiomed mit Eye On HealthSprecher• Stefan Lachmann, Geschäftsbereichsleiter Kundenbeziehungen, K|M|S Vertrieb und Services AG• Nils F. Wittig, Leitung Kommunikation, Marketing & Kooperationen, ANregiomed gKU

12:40-13:00 Uhr Das Offensichtliche sichtbar machen: Der Zusammenhang von Dokumentation und Wirtschaftlichkeit im KrankenhausSprecher• Dr. Markus Vogel, Clinical Consultant, Nuance Healthcare

13:00-13:20 Uhr Auf dem Weg zur Nutzung von Versorgungsdaten für die Gesundheitsforschung – Chancen und HerausforderungenSprecher• Sebastian C. Semler, Geschäftsführer, TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V.

15.50-16:10 Uhr Rettet IT doch Leben? Der EMRAM-Score und die Patientensicherheit.Sprecher • Jörg Studzinski, Senior Consultant, Analytics, HIMSS Europe GmbH

16:10-16:30 Uhr Vorstellung der Ergebnisse der eHealth Studie 2015 – HIMSS Europe I PKV I BITKOM I Stiftung Gesundheit• Rainer Herzog, General Manger, HIMSS Europe GmbH

10:30-10:50 Uhr Geostrategische Unternehmensausrichtung des intersektoralen Flächenversorgers ANregiomed mit Eye On HealthSprecher• Stefan Lachmann, Geschäftsbereichsleiter Kundenbeziehungen, K|M|S Vertrieb und Services AG• Nils F. Wittig, Leitung Kommunikation, Marketing & Kooperationen, ANregiomed gKU

10:50-11:10 Uhr Bearbeitung von MDK-Prüfaufträgen – eine geeignete Anwendung für elektronische Fallakten?Sprecher• Markus Lück, Geschäftsfeldmanager Krankenhaus, RZV Rechenzentrum Volmarstein GmbH

11:10-11:30 Uhr Das Offensichtliche sichtbar machen: Der Zusammenhang von Dokumentation und Wirtschaftlichkeit im KrankenhausSprecher• Dr. Markus Vogel, Clinical Consultant, Nuance Healthcare

13:00-13:20 Uhr Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in einem EMRAM-Stage-7-KrankenhausSprecher• Henning Schneider, Leiter Geschäftsbereich Informationstechnologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

13:20-13:40 Uhr Effizienzsteigerung am klinischen ArbeitsplatzSprecher• Hugo Thiel, Director Sales and Partnermanagement, Caradigm Deutschland Ltd.

13:40-14:00 Uhr Nationale Patientenakte Schweden: Erfahrungsbericht nach fünf Jahren Livebetrieb – vom Praktiker für Praktiker (Englisch)Sprecher• Hakan Nordgren, Archipelago Doctor, Dalarö General Practitioners Office and Senior Medical Advisor/Physician Executive, InterSystems Sweden

14:00-14:20 Uhr The POMERANIA Telemedicine Project -15 Years of German-Polish CooperationSprecher• Prof. Dr. Norbert Hosten, Professor of Radiology and Chairman, Department of Radiology, Ernst-Moritz-Arndt University Greifswald

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ehealth summit germany (A1)

9:00-10:30 Uhr „AMTS: Der unbehandelte Skandal“Arzneimitteltherapiesicherheit spielt im deutschen Gesundheitswesen kaum eine Rolle. Dabei sterben hierzulande jährlich circa 40.000 Patienten in der Folge vermeidbarer Medikationsfehler, rund 15 Prozent aller Krankenhauseinweisungen lassen sich allein darauf zurückführen. Es sollte also ein gesellschaftspolitisches und volkswirtschaftliches Interesse an der Behandlung dieses Problems geben. Engagierte Protagonisten, stationär und ambulant, beweisen, dass es Lösungen gibt – lokal und regional. Ihnen allen gemein ist die Tatsache, dass die Digitalisierung des gesamten Medikationsprozesses entscheidend ist.

Sprecher: • Prof. Dr. Walter E. Haefeli, Ärztlicher Direktor, Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmaepidemiologie, Universitätsklinikum

Heidelberg: „AMTS-Prozesse und notwendige IT-Unterstützung“• Prof. Dr. Dr. Wolfgang Rascher, Direktor der Kinder- und Jugendklinik, Universitätsklinikum Erlangen: „Kinder sind keine kleinen

Erwachsenen!“• Dr. Dr. Kristian Löbner, Geschäftsführer Medizin, MSD Sharp & Dohme GmbH:

„Elektronische Systeme im Rahmen von Risiko-Minimierungs-Maßnahmen“• Prof. Dr. med. Guido Noelle, Geschäftsführer, gevko GmbH, Bonn; Projektverantwortlicher ARMIN – Arzneimittelinitiative Sachsen-

Thüringen

Moderation: • Dr. Manfred Criegee-Rieck, Leiter IT Franziskanerbrüder vom Hl. Kreuz, Standort KH St. Marienwörth (Bad Kreuznach); Sprecher der

Arbeitsgruppe Arzneimittel-Informationssysteme/Patientensicherheit der Fachgesellschaft GMDS10:30-11:30 Uhr Pause | Networking & Ausstellung + eHealth Pavillon11:30 -13 Uhr „Vom Bauchgefühl zum Verstand: IT-Kennzahlen im Krankenhaus“

Investitionen in die IT werden im Krankenhaus oftmals gescheut, da die Akzeptanz in der Ärzteschaft gering ist. Dass das kurzsichtig, auch hinsichtlich einer erfolgreichen Unternehmensführung ist, beweisen Häuser, die IT-Kennzahlen als Instrumentarium zur Weiterentwicklung, auch ihrer medizinischen Qualität, und Integration bei Zukäufen entdeckt haben. Welche Kennzahlen werden benötigt und wie müssen diese aussehen, um ein einheitliches Gerüst zu schaffen? Mit diesen Fragen setzen sich Anwender und Experten in der Session auseinander und entwickeln gemeinsam Lösungsansätze.

Sprecher: • Jörg Studzinski, Senior Consultant, HIMSS Analytics• Dr. Andreas Goepfert, Vorstand des Klinikverbundes und Kommunalunternehmens ANregiomed• Martin Stein, CIO, Asklepios Klinikum Hamburg• Thomas Leitner, Regional Managing Director Central & North Europe, InterSystems GmbH, Darmstadt

Moderation: • Bernd Christoph Meisheit, Geschäftsführer, Sana IT Services GmbH

13:00-14:00 Uhr Mittagspause | Networking & Ausstellung + eHealth Pavillon14 :00-15:30 Uhr Round Table: „Verantwortliche gesucht! Ohne eine qualitätsgesicherte IT-Infrastruktur gerät der Gesundheitsstandort

Deutschland ins Hintertreffen!“Das E-Health-Gesetz mag den richtigen Ansatz verfolgen. Doch was, wenn all die erfolgreichen Piloten nicht den Sprung in die bundesweite Praxis schaffen, weil die technischen Voraussetzungen in einem der reichsten Länder leider nicht ausreichen und morgen schon veraltet sind? Medizin und Forschung schlagen Alarm, weil sie den Standort Deutschland in Gefahr sehen – die Kosten der Gesundheitsversorgung steigen weiter an – und das alles aus voraussehbaren Gründen!

Sprecher: • Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)• Prof. Dr. Arno Elmer, Hauptgeschäftsführer, gematik (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH)• Adrian Schmid, Leiter der Geschäftsstelle des Koordinationsorgans Bund-Kantone, „eHealth Suisse“, Schweiz• Prof. Dr. Otto Rienhoff, Direktor, Institut für Medizinische Informatik, Universität Göttingen • Stefan Biesdorf, Principal, McKinsey & Company

Moderation: • Rainer Herzog, General Manager, HIMSS Europe

15:30-16:00 Uhr Pause | Networking & eHealth Pavillon16 :00- 17:30 Uhr „Start-up-Slam: Traut euch!“ – supported by McKinsey & Company

Eine gute Idee – fünf Minuten Zeit, die Jury oder das Publikum zu überzeugen. Wie gewöhnlich ziert sich das Gesundheitswesen, wenn es darum geht, sich Neuerungen gegenüber zu öffnen. Aber aktuell sind viele mobile Lösungen auch noch gar nicht stationstauglich oder haben trotz guter Idee noch nicht die Hürde in die Gesundheitswelt genommen – wir geben den guten Ideen eine Bühne. Wer traut sich?

Start-Up:• N.N. ...

Jury: • Dr. Friedrich von Bohlen, Geschäftsführer, dievini Hopp BioTech holding GmbH & Co. KG• Prof. Dr. Burkhard Schmitz, Professor „Interaktive Systeme“ im Studiengang Design, Universität der Künste Berlin• Dr. Nicole Szlezak, Associate Principal, McKinsey & Company• Dr. Sebastian Muschter, Principal, Regional Office Manager Berlin, McKinsey & Company• Meinhard Schmidt, CEO, mt:onyx AG, Schweiz

Moderatorin: • Juliane Zielonka, Gründerin & Geschäftsführerin, „Die Artverwandten Health IT Publishing“ GmbH

Start-Up Slam12 June 2015

freitag, 12. juni 2015

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— COMMUNITY —

Zwanzig Jahre TELEMED – Erfahrungen, Stand und Perspektiven von Gesundheits- telematik und Telemedizin in Deutsch-

land“: Unter diesem Motto werden viele Weg-bereiter eines digitalen Gesundheitswesens in Deutschland in das diesjährige Programm eingebunden und die Perspektiven für die Tele-medizin und den weiteren Ausbau der Telema-tikinfrastruktur diskutieren.

Mit ihren wechselnden Schwerpunktthe-men hat die TELEMED schon immer kontinuierlich die Fort-schritte der Telemedizin und der Gesundheitstelematik in Deutschland dokumentiert und über Buchveröffentlichungen der Tagungsbeiträge einem breiteren Publikum zugänglich ge-macht. Wurden Ende der 1990er-Jahre die ersten überregionalen Telemedizinprojekte vorgestellt, so stand ab 2004 für mehrere Jahre die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte im Mittelpunkt. In den vergangenen Jahren wurden AAL-Szenari-en, mobile Health-Apps und Archivierungs- und Rechtsfragen in der Gesundheitstelematik schwerpunktmäßig diskutiert. Stets ging es darum, nicht nur technologische Neuerungen vor-zustellen, sondern auch im interdisziplinären Dialog zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik die infrastrukturellen, orga-nisatorischen, rechtlichen und ethischen Aspekte zu betrachten und Auswirkungen auf die Gesellschaft zu thematisieren.

1996 wurde die TELEMED von der Landesvertretung Berlin- Brandenburg, des BVMI und der Freien Universität Berlin ini-tiiert, 2004 wurde sie zum Nationalen Forum für Gesundheit-stelematik und Telemedizin weiterentwickelt und 2009 in eine eigenständige Gesellschaftsform überführt.

Von Anfang an sitzt Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF, als Mitinitiator im Programmkomitee und zeichnet verantwortlich für die Veranstaltung.

Worauf liegt der Fokus der TELEMED in diesem Jahr?Das ist natürlich das geplante E-Health-Gesetz, das weitrei-

chende Auswirkungen auf die gesamte Branche haben wird. Der Kabinettsbeschluss liegt ganz aktuell vor. Die TELEMED bietet den idealen Rahmen, um mit Anwendern, Anbietern, For-

schungseinrichtungen, Hochschulen und der Gesundheits politik zu diskutieren, inwieweit uns das Gesetz nach vorne bringen wird.

Rückblick ist kein Selbstzweck ...Genau! Der Blick zurück beschränkt sich

nicht auf die Tagung selbst, sondern soll viel-mehr vergegenwärtigen, mit welchen Zielen und Hoffnungen man in der Gesundheitstele-matik vor 20 Jahren angetreten ist. Wie weit

sind wir gekommen? Wo sind wir zu kurz gesprungen, auch im Vergleich zu anderen Ländern? Welches sind die Ursachen hier-für? Eine kritische Analyse, aus unterschiedlichen Perspektiven geführt, ist notwendig dafür, um in Zukunft noch erfolgreicher zu sein.

Welche Bedeutung hat so eine „historische“ Tagung in diesem dynamischen Feld heute?

Mehr denn je ist ein seriöser fachlicher Austausch zwischen technischen Fachleuten und politisch Handelnden unerlässlich, damit im Gesundheitssystem Innovationen zum Wohle des Pa-tienten realisiert werden können. Die TELEMED bietet hierfür eine unabhängige Plattform. Und nach wie vor ist die Tagung insbesondere auch ein Forum für junge Wissenschaftler, die dort ihre Projekte vorstellen können. Wir freuen uns sehr über die zahlreichen Beitragseinreichungen, die uns zeigen, dass die TELEMED nicht nur bei den „alten Hasen“, sondern auch bei Nachwuchswissenschaftlern nachgefragt ist. ¬

TELEMED 2015 20 Jahre gelebte Gesundheitstelematik und Telemedizin –

Blick zurück nach vorn

Seit 20 Jahren begleitet die TELEMED – als älteste E-Health-Fachtagung Deutschlands – die Entwicklungen in Telemedizin und Gesundheitstelematik. Am 23. und 24. Juni 2015 findet die

Jubiläumstagung in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen in Berlin statt.

SEBASTIAN C. SEMLER ist Ge­schäftsführer der TMF, die die TELEMED gemeinsam mit dem BVMI und der DGG trägt.

TELEMED 2015

Die TELEMED 2015 findet am 23. und 24. Juni 2015 in der Vertretung des Landes Nord­rhein­Westfalen beim Bund in Berlin statt. Informationen unter: www.telemed-berlin.de

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20 Jahre TELEMED – Erfahrungen, Stand und Perspektiven von Gesundheitstelematik

und Telemedizin in Deutschland

23. + 24. Juni 2015, Berlin

20-jähriges

Jubiläum

der TELEMED

www.telemed-berlin.de

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IN ZAHLEN REDEN

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— ENTZIFFERN —

BRING YOUR OWN DESASTER?

TELEMEDIZIN UND IHRE KOSTEN: MACHT‘S WIE BRANDENBURG!

Stand nach einem Jahr

Stand nach zwei Jahren

DIE AOK NORDOST bietet seit Jahren eine telemedizinische Betreuung für Menschen mit Herzproblemen an. Laut einer aktuellen Erhebung spart das Land Brandenburg dadurch eine Menge Geld. In Berlin dagegen ist die Kosteneffizienz eher fraglich.

Quelle: Prof. Wolfgang Hoffmann, ICM Greifswald

Quelle: Deloitte (PatientView survey of 1.130 people with a long term condition, 2014)

Sorgen in Bezug auf die Sicherheit sind bei

70%der IT-Leiter Grund für die Ablehnung von „Bring Your Own Device“ (BYOD). Aus demselben Grund erlauben auch weit weniger Einrichtungen den Gebrauch, als es vor drei Jahren prognostiziert wurde.(Studie des „Computing“- Magazins, März 2015)

WAS WÜNSCHEN SICH PATIENTEN VON HEALTH-APPS?

Liefern zuverlässige, genaue Informationen

Sind einfach zu bedienen/schlicht/ansprechend

Garantieren, dass persönliche Daten sicher sind

Liefern verständliche Infos zu Symptomen/gesundheitlichen Beschwerden

Helfen mir dabei, mit meinem Arzt/Pflegepersonal zu kommunizieren

Geben mir die Möglichkeit, meine Krankenakte/ Untersuchungsergebnisse online zu sichten

Helfen mir, meine Symptome zurückzuverfolgen

Zeigen mir Möglichkeiten für das gesünder werden oder gesund bleiben

Geben mir verständliche Informationen, wie ich ein gesünderes Leben führen kann

Helfen mir bei der Kommunikation mit für mich relevanten Personen

Erlauben es mir, lokale Gesundheitseinrichtungen zu kommentieren oder zu bewerten

Sind kostenlos

Enthalten keine Werbung

Funktionieren langfristig effizient

Sind kostenpflichtig, bieten aber ein gutes Preis­Leistungs­Verhältnis

Bieten mir die Möglichkeit, mich mit für mich relevanten Personen zu vernetzen

Detailreichtum (komplexe Apps machen mir nichts aus)

Welche der folgenden Vorteile würden Sie überzeugen, regelmäßig Health-Apps zu nutzen? (Prozent)

Welchen entscheidenden Service sollten Health-Apps bieten? (Prozent)

-72€

+435

Berlin

Brandenburg -1.104€

-1.194€

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7

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3

— ENTZIFFERN —

Quelle: HIMSS Europe

JE HÖHER, DESTO WENIGER: DIE STERBERATE IN KRANKENHÄUSERN SINKT, JE BESSER DER EMRAM-SCORE

VERSORGUNGSBEZOGENE PATIENTENZUFRIEDENHEIT ANHAND DES EMRAM-TRENDS (in UK)

Durchschnittliche Abweichung von der angestrebten Mortalitätsrate

1 2 3 4 5 EMRAM-SCORE1

2

3 7 %

6 %

5 %

4 %

3 %

2 %

1 %

0 %

-1%

-2%

Hat Ihnen das Krankenhauspersonal die Medikation für zu Hause so erklärt, dass Sie sie verstanden haben?

Hat Ihnen das Krankenhaus-personal aufge tragen, auf bestimmte Warnsignale zu achten, sobald Sie zu Hause sind?

Hat das Krankenhaus-personal Sie über Nebenwirkungen informiert, die Sie zu Hause im Auge behalten sollten?

Denken Sie, dass das Krankenhaus-personal alles Mögliche dafür getan hat, Ihre Schmerzen zu kontrollieren?

Wenn Sie wichtige Fragen an Pflegekräfte hatten, haben Sie verständliche Antworten erhalten?

Wurden Sie in Entschei-dungen bzgl. Ihrer Behand lung soviel einbezogen, wie Sie es sich wün-schten?

Wenn Sie wichtige Fra-gen an Ihren Arzt hatten, haben Sie verständliche Antworten erhalten?

90

SCORE/100

80

70

60

50

40

30

NIEDRIG

HOCH

EMRAM: Electronic Medical Record Adoption Model (entwickelt von HIMSS Ana­lytics). Höhere Scores deuten auf einen höheren Digitalisierungsgrad hin.

Krankenhaus-Mortalitätsrate

NIEDRIG bezieht sich auf Scores von 0-3

HOCH bezieht sich auf Scores von 4-7

Krankenhaus-Mortalitätsrate – Todesfälle in Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt, England

Abweichung von der angestrebten reduzierten Krankenhaus-Mortalitätsrate – Todesfälle in Zusammenhang mit Krankenhausaufenthalten, England

Abweichung von der angestrebten Krankenhaus-Mortalitätsrate

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ANNA WINKER, Artdirektorin, ist seit über zehn Jahren den deutschsprachigen Gesundheitssystemen verbunden. Sie erklärt sie anschaulich, macht sie bunter, verständlicher und schöner.

Das Journal für die deutsche, österreichische und schweizerische Healthcare IT Branche.

www.hitcentral.eu/de/42

HerausgeberHIMSS Europe GmbH

Lennéstr. 9, 10785 BerlinT: +49 30 46 7777 330

Chefredaktion (V.i.S.d.P.)Claudia Dirks: [email protected]

ArtdirektionAnna Winker: [email protected]

Mitarbeiter dieser AusgabeAnna Engberg, Philipp Grätzel von Grätz, Romy König,

Susanne Neumayer­Remter, Cornelia Wels­Maug

Schlussredaktiontextpool­berlin

GeschäftsführerHIMSS Europe GmbH

Stephen Bryant und Jeremy Bonfini

Anzeigen & HealthTech WireAriane Müller: [email protected]

42 arbeitet mit HealthTech Wire zusammen, um seinen Lesern Informationen der Hersteller zu übermitteln.

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PHILIPP GRÄTZEL VON GRÄTZ ist Chef­redakteur der englischsprachigen Insights aus dem Hause HIMSS Europe. Der schrei­bende Mediziner ist spezialisiert auf Ge­sundheitspolitik, besonders in den Themen E­Health und Informationstechnologien für das Gesundheitswesen zu Hause und Autor des Buches „Vernetzte Gesundheit“.

42 N°6 ERSCHEINT AM 7. SEPTEMBER 2015

Elektronisches Patientendossier, ELGA, eGK: Wo stehen die großen, nationalen E­Health­Projekte?

Digitale Patientenaufklärung: Rechtssicher und bequem aufklären muss vor allem organisatorisch abgebildet werden.

Der „Digitale Patient“: Wie bereitet sich das Gesundheits­wesen auf die neue Generation Patient vor?

Social Media ist keine Modeerscheinung: Krankenhäuser brauchen eine Haltung und Antworten auf www.24/7.eu

Bilder, wohin das Auge reicht: Der Forschungscampus M²OLIE an der Uni Mannheim entwickelt innovative bild­gebende Verfahren gegen Krebs.

ALADIN ANTIC war in einem ersten Leben Veranstalter von Heavy­Metal­Konzerten, Redakteur einer Musikzeitschrift, DJ; in einem zweiten Leben Biochemiker, dann kam das Gesundheitswesen und machte ihn zum Healthcare­IT­Experten.

FELIX CORNELIUS ist Geschäftsführer der Spreeufer Consult GmbH, die sich auf Projekte spezialisiert hat, in denen ärztliches und betriebswirtschaftliches Denken versöhnt werden sollen. Er ist auch Mitgründer und Vorstand des Verbandes digitale Gesundheit (VdigG).

SUSANNE NEUMAYER-REMTER berichtet als freie Journalistin seit mehr als einem Jahrzehnt vom Nachrichtengeschehen in der Hauptstadt. Ihre Schwerpunkte sind unter anderen Gesundheits­ und Wirt­schaftsthemen sowie Innovationen.

N°5

— IMPRESSUM —

CORNELIA WELS-MAUG erforscht seit 18 Jahren den Einsatz von IT in diversen Industriesektoren. Sie verfasst Artikel über den weltweiten Markt für IT im Gesund­heitswesen, hält Vorträge und Webinare. Lieblingsthema ist die Telemedizin.

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ÜBERBLICK

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Europäische Standards: Ein Ja zur Patientensicherheit 18Gerald Bachinger: Patientenschutz als Passion 26Musketiere: Innovationsinkubator Integrierte Versorgung 28Johannes Caspar: Daten schützen 32Der Überblicker: David hilf! 36

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— ÜBERBLICK —— ÜBERBLICK —

Interview mit Daniel Grandt

Was ist Ihre Erfahrung mit elektronischen Rezepten und klinischen Entscheidungshilfen?

Wir haben vor über 10 Jahren mit einem Computerized Phy-sician Order Entry System (CPOES) mit klinischer Entschei-dungsunterstützung (CDS) begonnen und haben mehrere Stu-dien durchgeführt, um die Vor- und Nachteile zu evaluieren. Ich kann Ihnen sagen, dass es auf jeden Fall einen Bedarf für IT-Unterstützung in der medikamentösen Therapie gibt, um vermeidbare Risiken und Medikationsfehler zu identifizieren

und zu korrigieren. In Übereinstimmung mit internationalen Studien haben wir vermeidbare Risiken bei jedem zweiten bis dritten Patienten gefunden. Es ist offensichtlich, dass bei den Tausenden von Medikamenten auf dem Markt kein Arzt alle klinisch-relevanten Wechselwirkungen und Kontraindikatio-nen aller dieser Medikamente kennen kann. Was wir gelernt haben, ist, dass es kein einfaches Plug & Play ist. Wir müssen anerkennen, dass der Workflow angepasst und validiert werden muss, um zu beweisen, dass es das tut, was es tun soll. Einige Beispiele zeigen, dass wenn Sie das falsche System wählen oder das richtige System falsch umsetzen, man Fehler sogar steigern kann und neue Risiken für den Patienten entstehen.

Warum hat Deutschland einen Medikationsplan entwickelt und wer steht dahinter?

Vermeidbare Schäden durch Medikationsfehler entstehen öfter wegen Systemausfalls als durch einen individuellen Fehler des Arztes, Apotheker oder Patienten. Das Bundesministerium für Gesundheit hat deshalb beschlossen, eine Roadmap vor-zulegen, die die Arzneimittelsicherheit definiert und Maßnah-men zu ihrer Verbesserung priorisiert. Dieser Aktionsplan wird ständig erneuert. Ein Lenkungsausschuss, der von der Arznei-mittelkommission der Bundesärztekammer organisiert wird, überwacht dessen Umsetzung, schlägt Maßnahmen vor und bewertet diese. Alle relevanten Interessengruppen, auch Pati-entenvertreter, arbeiten zusammen in diesem Ausschuss und sind sich einig, dass es absolut notwendig ist, dass Ärzte und Apotheker alle Medikamente, die ein Patient einnimmt, ein-schließlich der vorgeschriebenen Dosis und Häufigkeit, kennen müssen. Somit ist ein Medikationsplan Voraussetzung für Arz-neimittelsicherheit. Wir betrachten den Medikationsplan nicht als ein E-Health-Projekt, sondern als notwendigen Schritt, um diese zu verbessern. Es kann in Papierform verwendet werden, aber es wäre einfacher, die Informationen auf elektronischem Wege zu verwenden, zu modifizieren und zu übermitteln.

Wie genau funktioniert der Medikationsplan?Die Grundidee ist, dass wir einen standardisierten Datensatz

und ein Format vereinbaren, um verordnete Medikamente, Do-sierung und Häufigkeit für jedes Medikament zu dokumentie-ren. Es ist der Patienten-Plan; daher sind sie es, die ihn mit zu ihrem Arzt und Apotheker bringen, und jedem zeigen, der an dem Verfahren beteiligt ist. Um ihn einfacher zu aktualisieren, haben wir ein elektronisches Format entwickelt, um Daten zu speichern, und verwenden einen 2D-Barcode für den Datenaus-tausch. Wir möchten die Notwendigkeit zur erneuten Eingabe

Basis-Standards sind einfach nicht daDaniel Grandt ist einer der Verantwortlichen für den in Deutschland neuen einheitlichen Medikationsplan, der den landesweiten Austausch von Daten zur Arzneimitteltherapie ermöglichen soll. Im Rahmen dieses E-Health-Projekts wurden internationale Gesundheits-IT-Standards weitgehend ignoriert. Die Beschränkung auf eine proprietäre, nationale Lösung war allerdings nicht von vornherein gewollt, die internationalen Alternativen jedoch nicht ausreichend hilfreich.

GEGENBEWEGUNG

DANIEL GRANDT ist Leiter der Abteilung für Innere Medizin I und Lehrbe­auftragter am Klinikum Saarbrücken. Darüber hinaus ist er Mitglied des Aufsichtsgremiums der Arzneimittelkommission der Bundes ärztekammer und organisiert Kongresse zur Arzneimittelsicherheit.

Ein Ja zur PatientensicherheitDatenverarbeitung im Gesundheitsbereich benötigt internationale Standards, zumindest suggerieren dies einige Akteure. Die Realität sieht jedoch anders aus: Während einige europäische Länder positive Erfahrungen mit der strengen Einhaltung internationaler Standards machen, erfinden andere weiterhin immer wieder neue eigene Standards, sei es für die elektronische Patientenakte, Notfalldaten oder Medikamentenpläne, und sind auch damit zufrieden.

HIMSS Insights hat mit beiden Seiten gesprochen – Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bezieht Stellung dazu, warum in Deutschland neue Me-dikamentenpläne nicht auf internationalen Standards beruhen. Und in Österreich argumentieren epSOS-Koor-dinatoren, warum nationale Gesundheitssysteme sehr gut beraten sind, eine grenzüberschreitende Standardisierung in ihren E-Health-Projekten anzuwenden.

Von Anna Engberg

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— ÜBERBLICK —

des Medikationsplans bei jeder Änderung verhindern. Doch, um dies deutlich zu sagen: Das ist keine langfristige Lösung; es ist nur eine Hilfskonstruktion, die wir brauchen, bis die nationale elektronische Gesundheitskarte (eGK) bereit ist, zu übernehmen. Wir wollten nicht mehr warten, weil wir denken, dass Patienten Arzneimittelsicherheit jetzt verdienen!

Also sollen die beiden deutschen Medikati-onspläne, die derzeit in der Entwicklung sind, eigentlich vereint werden?

Ja, absolut. Der heutige Medikationsplan soll der eGK Anschwung geben – sobald die erforderlichen Funktionen umgesetzt sind. Die Informationen des Medikationsplans können mithilfe eines Barcode-Lesegeräts zur eGK übertragen werden. Die eGK soll ja die Speiche-rung der Medikationsdaten in elektronischer Form vornehmen; und gegebenenfalls Stan-dards für die Codierung von Medikamenten und Wirkstoffen auf nationaler oder sogar auf europäischer Ebene festlegen.

Können Sie erklären, warum der deutsche Medikationsplan nicht auf internationalen Standards wie HL7 und IHE-Proto-kollen beruht? Wir haben gesehen, dass dies in Österreich möglich ist.

Der Grund ist einfach. Für entscheidende Punkte existieren momentan weder nationale noch internationale Standards. Ein paar Beispiele: In Deutschland und Europa haben wir keine verbindliche, nationale Einigung darüber, wie eine verschriebe-ne medizinische Substanz zu codieren ist. Wir benötigen einen Thesaurus, der uns ermöglicht, auf maschinenlesbare und sinn-volle Weise weiterzugeben, welcher Wirkstoff oder welches De-rivat verschrieben wurde und angewendet werden soll. Es gibt keine nationale Norm dafür. Der ATC-Code ist nicht klar genug, weil er verschiedene Derivate einer medizinischen Substanz unter einem Code zusammenfasst, obwohl diese abweichende Dosierungen haben und nicht ausgetauscht werden sollten. Wir benötigen auf jeden Fall einen nationalen oder, noch besser, einen europäischen Standard, um Wirkstoffe zu kodieren. Dies ist eines der größten Defizite, die wir in Deutschland sowie auf europäischer Ebene haben. Es ist so ein grundlegender Bedarf, dass es schwer verständlich ist, warum wir das Problem in den letzten zehn Jahren während der Diskussion und der Arbeit an E-Health und Interoperabilität nicht gelöst haben.

Welche anderen Gründe haben Sie, die internationalen Stan-dards nicht zu verwenden?

Eigentlich gibt es keinen Grund, wenn ein internationaler Standard zur Verfügung steht, der sinnvoll und für den tägli-chen Gebrauch geeignet ist. Allerdings stehen die notwendigen internationalen Normen einfach nicht zur Verfügung. Es gibt keinen Thesaurus für grenzüberschreitende Kommunikation

der verordneten Medikamente. Es gibt keinen Thesaurus für grenzüberschreitende Kommunikation von Allergien des Pati-enten. Solange wir diese Probleme nicht lösen, ist Geld, das für die technische Interoperabilität aufgewendet wird, verschwen-det. Ich würde dies als ein kollektives Versagen auf europäi-scher Ebene bezeichnen.

Was genau verbirgt sich hinter dem soge-nannten Spezifikations-Medikationsplan 2.0?

Ohne Prüfung und Optimierung in der Routineversorgung kann nicht einfach eine Spezifikation für so etwas wie einen Medika-tionsplan definiert werden. Und das tun wir. Wir finden heraus, was gut funktioniert und was Optimierung braucht. Das BMG hat eine Ausschreibung von 700.000 € für bis zu drei Pilotprojekte zum weiteren Testen des Medika-kationsplans, zur weiteren Verbesserung von Praktikabilität und Wirksamkeit angekündigt. Denken Sie daran, dass der Medikationsplan

nur ein Werkzeug ist, um die Arzneimittelsicherheit zu verbes-sern, und nicht Selbstzweck. Es ist auch ein gutes Beispiel da-für, dass wenn Sie die Arzneimittelsicherheit verbessern wollen, Experten benötigen, keine IT-Experten, sondern Experten in der medikamentösen Therapie wie Ärzte, Apotheker und Patienten.

Weniger Geräte – schnelle Akzeptanz. Das sind zwei der Hauptvorteile des Medikationsplans. Glauben Sie, dass das Ignorieren internationaler Normen regionale E-Health -Pro-jekte unnötig komplizieren wird?

Ich würde es eher einen Mangel an internationalen Normen und Unwissenheit auf Beschluss- und politischer Ebene nen-nen. Solange wir nicht die internationalen Standards erörtern, die wir brauchen, werden wir nicht mehr als regionale E-He-alth-Projekte haben, denn wir haben keine Interoperabilität. Auch können wichtige private Investoren in dem Bereich nicht sicher sein, dass die jetzt verwendeten Standards nächstes Jahr immer noch gültig sind. Deshalb liegt Europa in der E-Health- Entwicklung im Vergleich zum Rest der Welt, vor allem der USA, zurück. Dies ist weder gut für die Patienten noch für die euro-päische Wirtschaft.

Wann können wir den endgültigen Medikationsplan erwarten und wie lange wird es dauern, bis internationale Standards berücksichtigt werden?

Während wir lernen, wie man Arzneimittelsicherheit verbes-sern kann, verbessern wir auch den Medikationsplan. Es wird nie einen endgültigen Medikationsplan geben, so wie es nie eine endgültige „Microsoft Windows“- oder „Apple iOS“-Version geben wird. Dennoch verwenden wir diese Systeme jeden Tag und es macht Sinn. In Bezug auf internationale Standards kann ich Ihnen versichern, dass wir sie nutzen werden, sobald sie verfügbar sind, vereinbart und zweckdienlich sind. ¬

„Die Investoren können nicht sicher sein, dass die jetzt gültigen Standards nächstes Jahr noch

gültig sein werden.“

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— ÜBERBLICK —— ÜBERBLICK —

Welche Standards haben Sie angenommen? Heider: Die wichtigsten von epSOS abge-

deckten Standards waren HL7, davon CDA und IHE-Profile wie xpix, PDQ, XCA und XCPD. Die semantische Interoperabilität war ein Problem. Wir bauten eine Arbeitsgruppe mit Spezialisten für die einzelnen Länder auf, die sich auf die nationalen semantischen Anforde-rungen konzentrierten. Das Ergebnis war eine Reihe von Katalogen unter Leitung von SNOMED, wo immer SNOMED möglich war. Wir wendeten auch einige natio-nale Kataloge an, wie ATC, ICD9 und ICD10 in Englisch. Es war Aufgabe der einzelnen Länder, sie in ihre eigene Sprache zu übersetzen und ihre nationalen Codices aus dem epSOS-Katalog herzuleiten.

Was können Sie uns über die Praktikabilität der internationalen Standards sagen?

Heider: Sie funktionieren gut. Die Staaten haben selbst entschieden, an welchen Regi-onen sie teilnehmen wollten, und erfassten ihre Daten über den HL7-Standard. Der Schritt konnte einfach umgesetzt werden. Schweden schaffte es sogar, seine Daten in weniger als ei-nem Monat, und Österreich in weniger als drei Wochen, an das epSOS-System zu übertragen. Wir empfehlen auch internationale Standards für die elektronische Medikation: einfache Kosten-Nutzen-Berechnung.

Obwohl es in Europa immer noch ein langer Weg bis zur flächendeckenden Interoperabi-lität zu sein scheint?

Heider: Für uns ist epSOS ein großer Erfolg. Wir konnten zeigen, dass der grenzüberschrei-tende Austausch von Dokumenten auf Basis internationaler Standards überhaupt möglich ist. Wir schafften es, mehrere Teilprojekte wie STORK für die Benutzer-Authentifizierung, EX-PAND und E-SENS miteinander zu verbinden. Und die Europäische E-Health Governance Ini-tiative (eGHI) veröffentlicht einen Leitfaden für unsere Patientenzusammenfassung.

Scharinger: Wir haben auch eine Open Source Community aufgebaut, die Software für den sicheren Zugriff der Patienten und Identifi-

kation für Gesundheitsdienstleister entwickelt. Viele dieser Technologien sind im gesamten Ge-sundheitswesen vielfältig einsetzbar.

Können wir ein europaweites Roll-out erwar-ten, und wenn ja, wann?

Heider: Das kommt auf die Fortschritte der nationalen Infrastrukturen an. In Österreich werden wir wahrscheinlich Ende 2016 bereit sein. Österreichische StaatsbürgerInnen kön-nen dann aus dem Ausland auf ihre Daten zugreifen. Für den Zugang der Gesundheits-dienstleister werden wir uns auf die etablierte epSOS-Technologie verlassen. Diese muss auch dann nur noch in internationale Infrastruktu-ren integriert werden.

Können Sie einen Ausblick auf das Folge-projekt geben?

Heider: Nach zweimaliger Verlängerung von epSOS bleiben die Patientenzusammenfas-sung, das elektronische Rezept und die Aus-gaben Ziele von EXPAND. Wir bemühen uns auch, neue europäische Staaten zu gewinnen, nicht nur EU-Mitglieder, die gemeinsamen me-dizinischen Inhalte zu erweitern und eng mit den USA zusammenzuarbeiten, beispielsweise zum Austausch von Patientenzusammenfas-sungen von Militärfamilien, die in die USA zurückkehren.

Wie können internationale Normungsgremien ihre Arbeit besser in die Praxis integrieren?

Heider: Standards sollen Benutzer unter-stützen und wurden erfunden, um Benutzern zu ermöglichen, sinnvoll in ihren Systemen zu arbeiten. Um Standards zu etablieren, müssen wir mehr Nutzer beteiligen, mehr noch als IHE dies bereits heute tut.

Scharinger: Standards tragen zu Interoper-abilität und vorzeigbaren Projekten bei. Ärzte müssen wissen, dass Normen tatsächlich bei der täglichen Arbeit helfen können.

Mehr Benutzer an Bord zu bekommen, wird auch helfen zu verhindern, dass natio-nale Initiativen in teure proprietäre Lösungen investieren. Schauen Sie sich die Epidemiolo-gie an – wir hatten die Wahl, entweder eine nationale Schnittstelle einzurichten oder bei dem ausgearbeiteten Weg über HL7-Standard zu bleiben. Deutschland, die Schweiz und Ös-terreich wählten das Letztere und erzielten in überschaubarer Zeit einen sinnvollen Standard für Infektionskrankheiten. ¬

VERTEIDIGUNG

Interview mit Robert Scharinger und Gottfried Heider

Was waren Ihre Aufgaben während der sechsjährigen epSOS-Pilotstudie?

Scharinger: Im Rahmen unserer nationalen E-Health-Koordi-nation war ich von Anfang an an epSOS beteiligt. Durch die Er-nennung zum epSOS-Pilot-Koordinator bin ich nun an EXPAND beteiligt. Als Leiter innerhalb des großen STORK 2.0-Projekts arbeite ich mit der Open-NCP-Community hinsichtlich grenz- übergreifender Benutzer-Authentifizierung zusammen.

Heider: Ich bin seit dem Start dabei und vertrete Österreich in allen technischen AGs zu Patientenzusammenfassungen, eRezepten und semantischer Interoperabilität.

Wie sind Sie vorgegangen, um Ärzten zu ermöglichen, auf Pa-tientendaten aus dem Ausland zuzugreifen?

Heider: epSOS greift nicht in die nationalen Gesundheits-systeme ein. Ziel war es zu beweisen, dass zwischen den acht teilnehmenden Ländern ein Dokumentenaustausch möglich ist. Wir hatten zwei Möglichkeiten, die Daten bereitzustellen – entweder über eine integrierte IHE-Schnittstelle in den nati-onalen Infrastrukturen, wie es in Österreich umgesetzt wurde, oder durch die Verbindung zu der proprietären Schnittstelle eines Landes. Wir richteten eine epSOS-Oberfläche ein, um die Kommunikation zwischen nationalen und ausländischen Anbietern von Gesundheitsleistungen zu erleichtern. Um auf Patientendaten aus dem Ausland zuzugreifen, mussten diese sich identifizieren und authentifizieren. Wir konnten sogar das Portal in bestehende KIS integrieren, sodass die Ärzte keinen Systemwechsel hatten.

Welche Schwierigkeiten mussten Sie überwinden?Heider: Das Kompilieren der Patientenakte war schwierig,

ebenso die Definition von Inhalten für ein einheitliches Ver-ständnis und die Standardisierung von Katalogen. Die Palette der vorhandenen Kataloge im Gesundheitswesen, im Bereich von SNOMED, ICD9 und ICD10 zu ATC usw., erschwerte es, eine Tabelle für ein sinnvolles Transcoding zu erstellen. Die Ärzte sollten nicht nur das Original, sondern ein transcodiertes und übersetztes Dokument in ihrer jeweiligen Sprache in einem Standardformat bekommen.

Warum beschloss Österreich, die nationale Infrastruktur vor-rangig auf IHE aufzubauen?

Heider: Österreich befolgt eine gesetzliche Regelung, die im Mai 2007 veröffentlicht wurde, und besagt, dass eine künftige Telematik-Infrastruktur auf internationalen Standards basieren muss. Der Grund ist einfach: Wir wollen das österreichische Gesundheitswesen nicht auf nationale Grenzen beschränken. IHE bot einen Rahmen für die Verwendung internationaler, un-terschiedlicher Standards. Das ist ein großer Vorteil. Die meis-ten dieser Profile werden als Open-Source-Code angeboten. Das spart eine Menge Arbeit im Vergleich zum Aufbau und Testen einer proprietären Lösung und hat wirtschaftliche Vorteile. Ein weiterer Vorteil ist, dass man weiß, dass alle Funktionen getes-tet wurden und sich bereits im weltweiten Einsatz befinden.

Wissenschaftliche Kommunikation braucht internationale StandardsInternationale Standards erhalten noch immer zu wenig Aufmerksamkeit bei der Umsetzung nationaler E-Health-Projekte. Gottfried Heider, internationaler Berater für E-Health, und Robert Scharinger vom österreichischen Bundesministerium für Gesundheit, haben gemeinsam den grenzüberschreitenden Austausch von Dokumenten für das europäische Gesundheitssystem im Rahmen der epSOS entwickelt. Beide IT-Experten über ihre Erfahrungen.

ROBERT SCHARINGER ist der Vize­Informationsminister des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit. Er koordiniert ICT Aktivitäten der Humangesundheits­ und der Veterinärbehörden und ist Vertreter des Ge­sundheitssektors innerhalb der österreichischen IKT­Koordinationsplattform.

GOTTFRIED HEIDER arbeitet seit mehr als 20 Jahren als internationaler Berater für E­Health. Er war an einer Reihe von großen Pilotprojekten in der EU beteiligt, wie epSOS, wo er die Funktion als Working Package Leiter ausübte und für E­Identifizierung, Berechtigung und Patienteneinwilligung verantwortlich war.

„EpSOS ist ein großer Erfolg. Zum

ersten Mal in der Geschichte von

E-Health konnten wir zeigen, dass der grenzüberschreiten-

de Austausch von Dokumenten auf

Basis internationa-ler Standards über-haupt möglich ist.“

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— ÜBERBLICK —— ÜBERBLICK —

FazitSollten wir nationale Standards aufgeben, um Brücken im

Gesundheitsbereich in ganz Europa zu bauen? Die Untersu-chung zeigt einstimmige Zustimmung aller Parteien. Allerdings unterscheidet sich die Praktikabilität von Land zu Land – vie-le mitteleuropäische Länder wie Frankreich und Deutschland folgen immer noch ihren eigenen Regeln, da sie durch den Mangel an verbindlichen Normen auch auf nationaler Ebene

betroffen sind. Diejenigen, die den deutschen Medikationsplan entwi-ckeln, finden Fehler bei fehlenden Thesauri und Zeitrahmen-Codes für die medikamentöse Therapie. Ihr Weg aus dem Dilemma ist die Einrichtung provisorischer Lösungen, beruhend

auf eigenen Normen. In anderen Bereichen wie dem Dokumen-tenaustausch im Gesundheitswesen ist dies kein Hindernis. Diese eHealth-Projekte verlassen sich lediglich auf die bestehenden internationalen Standards, um die grenzüberschreitenden Dienstleis-tungen zu fördern. Vertreter der vor Kurzem abgelaufenen epSOS-Pilot-studie berichten, dass internationale Normen zu großem wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Nutzen beigetragen haben. Standards, so sagen sie, erhöhen den Arbeitsaufwand nicht, da sie lang-fristig den Aufwand minimieren und dazu helfen, nationale IT-Strukturen im Gesundheitswesen grenzübergreifend flexibel zu gestalten. Das scheint vernünftig im Hinblick auf ein Euro-pa, das mit einer wachsenden Zahl von Patienten immer enger zusammenrückt, was ihre elektronischen Patientenakten aus dem Ausland erfordert. Die heutigen Bemühungen können in Zukunft zu Interoperabilität führen und eher nationale Initi-ativen vermeiden, die hohe Summen in die Entwicklung und Patentierung von proprietären Lösungen investieren. ¬

„DER BABELFISCH“, ließ der Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ mit ruhiger Stimme vernehmen, „ist klein, gelb und blutegelartig und wahrscheinlich das Eigentümlichste, was es im ganzen Universum gibt. Er lebt von Gehirnströ­men, die er nicht seinem jeweiligen Wirt, sondern seiner Umgebung entzieht. Er nimmt alle unbewußten Denkfrequen­zen dieser Gehirnströme auf und ernährt sich von ihnen. Dann scheidet er ins Gehirn seines Wirtes eine telepathische Matrix aus, die sich aus den bewußten Denkfrequenzen und Nervensignalen der Sprachzentren des Gehirns zusam­mensetzt. Der praktische Nutzeffekt der Sache ist, daß man mit einem Babelfisch im Ohr augenblicklich alles versteht, was einem in irgendeiner Sprache gesagt wird. Die Sprachmuster, die man hört, werden durch die Gehirnstrommatrix entschlüsselt, die einem der Babelfisch ins Gehirn eingegeben hat.“ (Quelle: www.anhalter­lexikon.de/babelfisch)

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— ÜBERBLICK —— ÜBERBLICK —

Informationen am Arbeitsplatz sollte niemand leichtfertig oder etwa aus den falschen Grün-den verzichten.

Andere Branchen leisten sich solche Fahr-lässigkeit ja auch nicht, wieso also meinen die Leistungserbringer im Gesundheitswesen, dass es im Sinne der Patientensicherheit und Behandlungsqualität sei, nicht alle relevanten Informationen in die Behandlungsentschei-dung einfließen lassen zu müssen? Dafür habe ich wenig Verständnis, muss ich sagen.

Sie sehen die IT also als Entscheidungsunter-stützer; Ärzte argumentieren, dass eine Soft-ware den Patienten niemals so gut kennen kann wie der Arzt oder die Pflege am Bett.

Ich sage auch nicht, dass er seine Entschei-dungsgewalt an ein technisches Tool abgeben soll. Davon spricht nun wirklich niemand.

Die Medizin ist etwas durch und durch Menschliches. Aber ja, es passieren Fehler. Und zwar in den allermeisten Fällen nicht, weil jemand bösartig, gelangweilt oder desin-teressiert ist, sondern weil relevante Informa-tionen nicht rechtzeitig dort sind, wo sie ge-braucht werden, um Patientenschäden effektiv zu vermeiden.

Glauben Sie mir: Ärzte und Pflegende haben ein großes Interesse daran, relevante Informa-tionen just in time zu bekommen. Wichtig ist dabei, dass sie nicht alle Informationen brau-chen und die relevanten nicht irgendwo im System versteckt sein sollten.

Sehen Sie die Probleme in der Umsetzung eher auf der technischen oder kulturellen Seite?

Für mich ist es größtenteils und eindeutig ein kulturelles Problem, wobei ich einräume, dass die Bedienbarkeit klinischer Systeme in den allerwenigsten Fällen intuitiv oder auch nur anwenderfreundlich zu nennen ist. Und das führt wiederum in einigen Fällen ebenfalls zum Behandlungsrisiko für den Patienten.

Zumal nicht alle Programme gleich tief in das Hauptsystem integrierbar sind ...

Tatsache ist, dass Medienbrüche – auch schon innerhalb der Gesundheitseinrichtun-gen – der Quell vieler Fehler sind, die absolut unnötig, ja, vermeidbar wären. Die durchgän-gige Digitalisierung der Prozesse hilft an erster Stelle den Patienten, und gleich danach vor al-lem auch dem medizinischen Personal.

Doch lassen Sie mich das kulturelle Prob-lem, von dem ich vorhin sprach, noch etwas näher beschreiben. Es ist vor allem ein Prob-lem mit der Transparenz, das durch Projekte wie beispielsweise die elektronische Gesund-heitsakte (ELGA) entsteht. Hier wird das In-formationsmonopol des Ärztestandes infrage gestellt, was tatsächlich ein tiefgreifender Ein-griff in das Selbstverständnis eines Arztes ist. Andererseits muss niemand, der gut arbeitet, Transparenz fürchten.

ELGA sieht vor, dass „Frau und Herr Öster-reicher“ erstmalig vollkommen verfügungs-berechtigt ihre Gesundheitsdaten verwalten können – trauen Sie das den Patienten heute schon zu?

Ich kann Ihre Bedenken verstehen. Ich wäre aber sehr vorsichtig, hier zu pauschalisieren. Sie erreichen mit den sogenannten neuen Me-dien ja auch nicht 100 Prozent der jungen Ge-neration; genauso wenig, wie Sie 100 Prozent der älteren nicht bekommen.

Was heute fehlt, beziehungsweise was schlecht einzuschätzen ist, sind unabhängige/ evidenzbasierte Informationen. Das Internet ist ein riesiger Misthaufen mit einigen Perlen. Unsere Aufgabe sehe ich derzeit vor allem da-rin, den Patienten dahingehend zu befähigen, sich hier zurechtzufinden oder ihm wenigstens einen Weg zu zeigen, sich die validen Informa-tionen, die er braucht, an unabhängiger Stelle einzuholen.

Wer ist hier Ihrer Meinung nach in der Verant-wortung, für unabhängige Informationen Sor-ge zu tragen? Sind das eher die medizinischen Fachrichtungen oder andere Stellen?

Mit Verlaub, die Ärzte tun schon das Ihre, um dem Patientenschutz Rechnung zu tragen. Nicht nur während der Behandlung, sondern auch in ihrer Sorgfalts- und Aufklärungs-pflicht. Allerdings sollten solche Informationen interdisziplinär erarbeitet werden. Wir müssen uns mehr in Richtung integrierte Versorgung entwickeln, und das ist eher die Arbeit eines Teams, das auf „Augenhöhe“ kommuniziert.

Für den übergeordneten Rahmen sollte also der Gesetzgeber sorgen. Die öffentliche Hand muss sich auch in Zeiten von Dr. Google für Verbraucher- und Patientensicherheit starkma-chen und das weite Feld nicht einfach kampf-los anderen überlassen. ¬

Patientenschutz als Passion

Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenan-wältInnen Österreichs, bezeichnet sich selbst als E-Health-Junkie. Er meint damit seine Begeisterung für die Möglichkeiten, die Infor-mationstechnologien für die Patientensicher-heit generieren, wenn sie für eine verbesserte Kommunikation eingesetzt werden.

Von Claudia Dirks

SCHIRMHERR PDMS

Gerald Bachinger ist Sprecher der Patientenan­wälte. Die unabhängige und weisungsfreie Serviceein­richtung wurde 1994 durch das Krankenanstalts­ und Sozialhilfegesetz instal­liert. Circa 1.200 Fälle werden jährlich im Sinne des Patientenschutzes verhandelt.

Wir freuen uns sehr, ihn als Schirmherr gewonnen zu haben.

PDMS CONFERENCE D.A.CH. 18. Juni Wien

PDMS – sicherheitsrelevant oder Kostenverschwendung?

Die PDMS D.A.CH. Conference wird praxisnah von Experten bestritten, die die Entwick­lungen und organisatorischen Herausforderungen gerade bewältigt haben oder aktuell dabei sind, ihnen zu trotzen. Und das aus den unterschied­lichsten Gründen.

Wozu braucht es ein Patien­tendatenmanagementsystem (PDMS)? Abrechnungstool? Klinische Hilfestellung? Wich­tiger Schritt auf dem Weg zur elektronischen Patientenakte?

www.himss.eu/pdms

Interview mit Gerald Bachinger

Ist es wirklich so einfach – IT verbessert die Gesundheitsver-sorgung?

(stutzt) Nein, ganz so einfach ist es natürlich nicht. Ich bin aber davon überzeugt, dass Informationstechnologie eine mehr als sinnvolle Ergänzung zum medizinischen Fachwissen und pflegerischer Kompetenz darstellt, und zwar in nahezu allen Bereichen der medizinischen Versorgung: egal, ob stationär, ambulant, in Pflege- oder Rehaeinrichtungen. Auf relevante

„Das Internet ist ein riesiger Misthaufen mit einigen Perlen.

Was heute fehlt und schlecht

einzuschätzen ist, sind unabhängige/

evidenzbasierte Informationen.“

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Wir sprechen ergie-big über Integrierte Versorgung (IV), es

gibt auch Versorgungsnetz-werke in verschiedenen Re-gionen der Schweiz, aber die Umsetzung geht langsam“, findet Enea Martinelli, Chef- apotheker, Spitäler fmi AG, Schweiz. Theresa Geley, Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Gesundheitsrecht und Krankenanstalten, Österreich, bekräftigt dies für ihr Land: „Wir sind noch in der Entwicklung von Konzepten zur Integrierten Versorgung und allem, was dazugehört.“ Ihr Kollege, Gerhard Pölzl, FESC, Klinik für Innere Medizin III, Kardiologie und An-giologie, an der Medizinischen Universität Innsbruck, meint auch: „IV ist die Ausnahme in Österreich.“

Und in Deutschland? Susanne Klein, Versorgungsmanage-ment-Entwicklung, Techniker Krankenkasse (TK), schätzt, dass „IV weniger als ein Prozent der gesamten Leistungsaus-gaben, bezogen auf alle Krankenkassen, ausmacht, obwohl Ärzte zusätzlich vergütet werden.“ Die TK als größte GKV „hat bundesweit circa 250 IV-Verträge“, so Klein. Und trotzdem, „IV führt zu einer qualitativ besseren Versorgung“, lautet das Votum von Mark Dominik Alscher, Ärztlicher Direktor des Ro-bert-Bosch-Krankenhauses (RBK), Stuttgart, und Pölzl bekräf-tigt dies mit einem „uneingeschränkten Ja zur IV.“

Existierende Versorgungsmodelle stoßen an ihre GrenzenAngesichts der demografischen Alterung und der damit ein-

hergehenden Zunahme an Fällen chronischer Krankheiten in allen drei Ländern sehen sich die jeweiligen Gesundheitssys-teme vor einer Herausforderung, der sie mit der existierenden Ausrichtung der Versorgung auf Akutkrankheiten nicht Herr werden können. Denn schon jetzt schätzt man in der Schweiz, „dass rund 20 Prozent chronisch- und/ oder Schwerkranke rund 80 Prozent der Kosten verursachen“ (Neue Versorgungsmodelle für die medizinische Grundversorgung, Bern, 2012, S. 8). Und diese Zahlen sind in etwa auch repräsentativ für die anderen Länder.

Wie sollen dann aber die Gesundheitssysteme die rapide steigenden Fälle chronisch Kranker bewältigen? Diese werden

eine massive Nachfrage nach haus ärztlichen und pflegeri-schen Leistungen auslösen und einen bisher nicht ge-kannten Spagat in der Vernet-zung stationärer und ambu-lanter Versorgung erzwingen.

Integrierte Versorgung als Ausweg?

Das Debakel ist absehbar und der Ruf nach alternativen Ver-sorgungsansätzen, die den Patientennutzen in den Mittelpunkt rücken und das vernetzte Arbeiten aller gesundheitlichen Leis-tungserbringer postulieren, wird immer lauter. IV ermöglicht, dass Patienten in einem qualitätsgesicherten, sektoren- und fachübergreifend arbeitenden Netzwerk von Krankenhausärz-ten, Pflegern, Fachärzten, niedergelassenen Ärzten, Apothekern und Reha-Kliniken betreut werden. Durch IV erhofft man sich, die Versorgungslücken, die zu Behandlungsbrüchen führen, zu schließen, und Warte- und Wegezeiten zu verkürzen.

Aber kann IV, die schon länger als Zukunftsmodell für eine alternde Gesellschaft gehandelt wird, das in sie gesetzte Ver-sprechen einlösen? Die Schweizer Bürger jedenfalls entschieden sich am 17. Juni 2012 in einer Volksabstimmung gegen eine Ge-setzesvorlage, die die IV gesetzlich verankern wollte. Ist diese Haltung zur IV auch in der DACH-Region vorherrschend? Und wie sehen die konkreten Erfahrungen mit IV aus?

Modelle Integrierter Versorgung auf dem PrüfstandDort, wo Versorgungsformen der IV eingesetzt wurden, fiel

das Feedback gerade in puncto Patientenzufriedenheit positiv aus. Pölzl weiß aus Erfahrung, wovon er spricht, „Von Seiten der Patienten ist die Zustimmung sehr, sehr hoch; sie haben das Ge-fühl, dass sich jemand um sie kümmert.“ Und Klein sieht IV als die Chance, innovative Behandlungsformen entwickeln zu kön-nen, die in der Lage sind, den Herausforderungen zu trotzen.

Integrierte Versorgung in ÖsterreichIn Österreich, erläutert Geley, wurden „bundesweit drei Ver-

sorgungsziele für die IV definiert: Schlaganfall, Diabetes und Herzinsuffizienz. Es gibt dazu verschiedene Projekte in un-terschiedlichen Reifegraden“. Sie hat das Projekt „Integrierte

Vernetztes Arbeiten im Rahmen integrierter Versorgungsmodelle ist ein viel diskutiertes,

aber nur wenig verwendetes Konzept. Von rechtlicher Seite sind die Weichen gestellt, die Ursachen der zögerlichen Umsetzung scheinen auf der persönlichen Schiene zu liegen. Dort aber, wo die interdisziplinäre Versorgung gelingt, erweist sie sich als

Inkubator für innovative Versorgungswege.

Von Cornelia Wels­MaugInnovationsinkubatorIntegrierte Versorgung

InnovationsinkubatorIntegrierte Versorgung

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— ÜBERBLICK —— ÜBERBLICK —

Versorgung Schlaganfall Tirol“ geleitet, das Diagnoseabläufe und Behandlungspfade vom Zeitpunkt des Schlaganfalls bis hin zur ambulanten Rehabilitation aufzeichnet. Geley betont: „Es geht uns darum, ein strukturiertes, standardisiertes Vorge-hen einzuführen, bei dem die Schnittstellen gemeistert werden. Wir beziehen alle involvierten Beteiligten in das IV-Projekt mit ein: vom Rettungswesen, präklinischem Bereich bis hin zur Reha.“ Dabei ist der Einbezug des präklinischen Bereichs ein Novum. „Hier geht es darum, die Bevölkerung über die Sym-ptome eines Schlaganfalls aufzuklären. Denn wer Symptome früher erkennt, wird auch schneller behandelt“, stellt Geley fest. „Wir konnten mittlerweile zeigen, dass sich durch das Projekt das Erkennen der Schlaganfallsymptome wesentlich verbes-sert hat“, erklärt sie erfreut. Das Projekt, das 2008 begann, soll bis Ende 2018 in ganz Tirol ausgerollt werden. Sein Erfolg ist weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt und gilt als „eines der besten Versorgungsprogramme zum Schlaganfall weltweit“ (siehe: www.the-lancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422(14)70286-8/fulltext).

Das AIT (Austrian Institute of Technology) spielt eine wichtige Rolle bei der Erprobung vernetzter Versorgungsformen in Österreich. Robert Modre-Osprian, Digital Safety & Secu-rity Department, begleitet Studien, die sich mit der Betreuung von Patienten, die unter Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Myokard-infarkt oder Hypertonie leiden, beschäftigen. Unter anderem ist er Technischer Leiter des

„HerzMobil-Tirol“ Projektes, ein Versorgungsnetzwerk zur kol-laborativen Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz. Er erklärt: „Als erkannt wurde, dass die ersten Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus für Herzinsuffizienzpatienten bezüglich der Vermeidung einer Wiederaufnahme so kritisch sind, da sie in dieser Zeit eine neue Lebensweise adaptieren und regelmäßig Medikamente einnehmen müssen, fingen wir an, eine Versorgungsstruktur um Arzt und Patient aufzubauen.“

Integrierte Versorgung in Deutschland„Alltag mit Telemedizin erfolgreich meistern“ (A.T.e.m.) ist ein

als integriertes Versorgungsmodell aufgezogenes Telemonitoring- Projekt, das sich deutschlandweit um Patienten, die an chronisch

obstruktiver Atemwegserkrankung (COPD) lei-den, kümmerte. Zu deren Betreuung haben sich das Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) in Stutt-gart, die TK, Bosch Healthcare und betreuende Pneumologen zusammengeschlossen. Alscher, Ärztlicher Direktor des RBK, der maßgeblich für das Projekt vonseiten des RBK verantwortlich war, resümiert: „Das Projekt A.T.e.m. ging im Dezember 2014 nach fast zwei Jahren Laufzeit zu Ende, war aber so erfolgreich, dass es von der TK fortgesetzt wird.“ Obgleich ihm noch keine Auswertung des Projektes vorliegt, da diese momentan noch von der TK erstellt wird, bestätigt er die positive Resonanz seitens der Patienten: „Sie sind sehr zufrieden und waren häufig traurig, wenn sie projektbedingt nach einem Jahr aus der Betreuung ausschieden.“

Sonstiger Arzt,

Ambulanz

Patient

PersönlichTelefonmonitoring System

Häufig

MittelSelten

TelefonEmail

Klinikarzt

Rolle

Pflegekraft

Netzwerkarzt

Koordinator

AIT

Quelle: Abbildung bereitgestellt von UMIT – Private Universität für Gesund-heitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, 2014

BEISPIELHAFTES MODELL DER INTEGRIERTEN VERSORGUNG

„Die ersten Monate nach der Entlassung

sind für Herz- insuffizienz-

patienten besonders kritisch; da muss eine Versorgungs-struktur um Arzt

und Patient aufge-baut werden.“

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— ÜBERBLICK —

Integrierte Versorgung in der SchweizIn der Schweiz gibt es verschiedene Model-

le, in denen IV praktiziert wird, dazu gehören Ärztenetze, Gesundheitszentren und Gesund-heitsnetze sowie Disease Management Pro-gramme. Gerade Letztere, die auf chronisch Kranke abzielen und zwei oder mehr Gesund-heitsleistungserbringer involvieren, gleichen in ihrer Ausrichtung am ehesten den vernetz-ten Versorgungsmodellen, wie wir sie auch von Österreich und Deutschland her kennen. Das kantonale Diabetesprogramm des Kantons Waadt ist Beispiel eines solchen Programms. Sein Ziel ist es, „die Prävalenz von Diabetes zu stabilisieren sowie die durch Diabetes verur-sachten Komplikationen zu reduzieren“ (siehe www.fmh.ch/files/pdf13/versorgungsmodelle_d.pdf, S.19).

Martinelli findet, dass IV nur vereinzelt ge-lingt: „Es gibt immer nur Einzelprojekte, die lokal gut funktionieren. Der Erfolg hängt sehr von der Region in der Schweiz ab.“

Integrierte Versorgungsmodelle besonders gut für Diabetiker und chronisches Herzversagen

IV ist nicht für alle Krankheitsbilder taug-lich. Laut Alscher eignet sich IV „bei chronischen Krank-heitsbildern mit hoher Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Leistungen, insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern mit multipler Morbidität.“ Und Pölzl ver-weist auf die in der Literatur belegten Effekte der IV: „Es gibt Studien, die die Effizienz der IV klar belegen, da die Rehospitalisierung und die Mortalität reduziert werden“.

Differenzierter sind die Untersuchungen des Berner Insti-tuts für Sozial- und Präventivmedizin. Es wertete 26 internati-onale Studien über die Effektivität der IV aus und kam zu dem Schluss, dass diese, verglichen mit herkömmlicher Betreuung, zu einem „signifikant bessere(n) Outcome (Lebensqualität, Pa-tientenzufriedenheit, krankheitsspezifische Symptome) … für Diabetes und chronisches Herzversagen“ und zu einem „po-sitiven Trend … für COPD“ führt, aber keine Verbesserung bei Krebspatienten bewirkt (siehe: Systematische Review zur Inte-grierten Versorgung von chronisch kranken Patienten, Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Bern, 2012).

Anforderungen an Integrierte Versorgung aus IT-Sicht

Die Rolle der IT bei integrierten Versorgungsmodellen be-läuft sich aus Sicht Modre-Osprians darauf, „eine IT-Plattform als Drehscheibe für die Kommunikation“ bereitzustellen. „Sie soll“, so Pölzl, „eine zeitnahe Zusammenarbeit ohne Reibungs-verluste ermöglichen.“ Dabei sieht IT-Experte Modre-Osprian

es als Herausforderung an, keine parallelen Infrastrukturen aufzubauen: „Es ist schwer, gewisse Stakeholder in die eigenen Prozesse einzugliedern … Man muss in der Lage sein, neue Prozesse in die bestehenden, etablierten Strukturen des betreuenden Personals einzu-passen, ohne Parallelstrukturen zu errichten.“

Integrierte Versorgungsstrukturen leben von Vertrauen und Absprachen

„IV ist ein mühsames Geschäft“, weiß Al-scher, „IV ist eine wahre Kunst“, urteilt Pölzl. Es existiert keine Universalrezeptur zum erfolgreichen Aufbau einer IV, aber sie steht und fällt mit der Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft aller Beteiligten, denn sie müssen sich gemeinsam auf die Spielregeln der Zusammenarbeit einigen und diese auch regelmäßig begutachten. Deshalb treffen sich die Beteiligten zum gegenseitigen Austausch in sogenannten “Qualitätszirkeln“. „Stimmt die Chemie zwischen den Kooperationspart-nern, klappt es in der Regel“, bringt es Klein auf den Punkt.

„Eine Vertrautheit der Akteure miteinander und der Struktur ist extrem wichtig, außerdem muss man die Ängste der Beteiligten ausräu-

men“, betont Alscher. Modre-Osprian fügt an: „Da IV immer aus interdisziplinären Projekten besteht, halten wir Workshops mit den Beteiligten ab. Dort werden die Behandlungspfade ge-meinsam definiert, sowie ein Versorgungsprogramm, in dem Prozesse und Rollen festgelegt werden. Natürlich benötigt man auch rechtliche Experten und eine begleitende Evaluierung der Prozesse.“ Außerdem empfiehlt er: „Es hat sich bewährt, mit einem Pilotprojekt anzufangen, das langsam wächst. Das gibt allen Beteiligten Zeit, Vertrauen in das Versorgungsprogramm zu entwickeln. Ein zusätzlicher Anreiz zur Teilnahme entsteht dort, wo sie mit dem Anrechnen von Fortbildungspunkten ver-bunden wird.“

Barrieren beim Aufbau einer integrierten Versorgungsstruktur

Gerade da der Erfolg der IV von zwischenmenschlichen Kom-petenzen abhängt, ist ihr Scheitern in einigen Konstellationen quasi vorprogrammiert. Klein kann davon ein Lied singen: „Fehlt die Bereitschaft, neue Wege zu gehen oder Prozesse zu verändern, dann ist der Erfolg gefährdet“. Pölzl sieht auch „die fehlende Infrastruktur für integrierte Netzwerke und große Un-klarheiten hinsichtlich der Finanzierung − wer zahlt was und wie viel?“ als Bremsklötze einer gelungenen Umsetzung.

Und es gehört sicherlich viel Zeit dazu, in den Aufbau von IV-Strukturen zu investieren; Zeit, die man aus dem ohnehin schon vollen Tag aller Beteiligten irgendwie stehlen müsste. ¬

„Es müssen neue Prozesse in bestehende,

etablierte Strukturen eingepasst

werden, ohne Parallelstrukturen

zu errichten.“

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— ÜBERBLICK —— ÜBERBLICK —

DATEN SCHÜTZEN

Interview mit Johannes Caspar

Es findet sich kaum mehr ein Smartphone ohne Gesundheits-App, Wearables setzen sich immer mehr durch. Und nicht zuletzt das rie-sige Interesse an der Apple Watch macht klar, dass die Anwender die digitalen Möglichkei-ten auch im Bereich der Gesundheit nutzen wollen. Massenhaft werden persönlichste Körperdaten erhoben und gesammelt. Wie verfolgt ein Datenschutzbeauftragter diese Entwicklung?

Natürlich mit gemischten Gefühlen. Wir ha-ben es hier einerseits durchaus mit Chancen zu tun, andererseits müssen wir als Datenschutz-beauftragte natürlich auf die Risiken hinwei-sen. Die Digitalisierung hat viele Vorteile, aber überall fallen Daten an, und damit erhöhen sich die Möglichkeiten des Missbrauchs, die gerade für die Nutzer kaum mehr zu überbli-cken sind. Im Umgang mit besonders sensib-len Gesundheitsdaten gilt es, den Datenschutz möglichst früh einzubeziehen, damit die Risi-ken schnell erkannt und durch den Einsatz ei-ner entsprechenden Technologie, die sich an dem Prinzip der Datenvermeidung orientiert, reduziert werden.

Worin liegen diese Risiken denn konkret? Wir haben es mit einer immer stärkeren

Kommerzialisierung von personenbezogenen Daten zu tun. Gerade bei den Wearables sehe ich die Schwierigkeit, dass die Nutzer häufig nicht bewusst darüber entscheiden können, was mit ihren Daten passiert. Die Anbieter räu-men sich häufig das Recht ein, die in der Cloud gespeicherten Daten eigenständig zu nutzen, ohne dass die An-wender überhaupt etwas davon mitbekommen, zu wem und zu welchen Zwecken die Daten weitergegeben werden. Außerdem ist die Sicherheit der Daten hier häufig massiv defizitär. In je-dem Fall sollte man sich die Nutzungsbedingungen von Apps genau anschauen, bevor man einen Anbieter wählt. Aber auch wer das Kleingedruckte gelesen hat, kann bedauerlicherweise nicht immer sicher sein, dass die Datenschutzbestimmungen am Ende eingehalten werden. Vorzugswürdig sind in jedem Fall Anbieter, bei denen die Daten nur auf dem Endgerät der Nutzer gespeichert werden. Das ist leider selten der Fall, da dies einer wirtschaftlichen Verwertung der erhobenen Daten entgegen-steht. Insgesamt gilt: Das Wissen um den eigenen Körper ist ein individueller Schatz, den jeder sorgsam hüten sollte. Genauso wie wir unsere Wertgegenstände nicht an öffentlich zugäng-lichen Orten ablegen, sollten wir uns auch darum kümmern, dass wir unsere Gesundheitsdaten nicht ohne Not preisgeben.

Das heißt, Sie sorgen sich weniger um Da-tenlecks und Datenklau als um Strukturen bei der ganz alltäglichen Nutzung?

Daten über Geschlecht und Standort, Ge-wicht, Ernährung, Schrittfrequenz, Puls sowie über Häufigkeit und Intensität von individuel-len sportlichen Aktivitäten lassen sich gezielt zu Profilen zusammenführen. Für wirtschaft-liche Zwecke ist das von einem unglaublichen Wert. Es betrifft nicht nur die Werbung, son-dern auch die Frage der Risikoeinschätzung individuellen Verhaltens. Versicherungen können ihre Tarife danach ausrichten, Arbeit-geber können sich über ihre Mitarbeiter oder künftige Mitarbeiter ein Bild machen. Wo der-artige Begehrlichkeiten bestehen, tummeln sich natürlich auch all jene, die sich die Daten mit illegalen Mitteln verschaffen. Die mangel-hafte Datensicherheit macht es ihnen häufig allzu leicht.

Das Bewusstsein, Apps mit den eigenen Daten zu finanzieren, ist bislang nicht aus-geprägt. Viele Menschen achten nur auf den vermeintlichen Gratis-Effekt und verdrängen, dass sie dadurch ihre Datensouveränität ver-lieren. Gerade wenn es dann noch um Gesund-heitsdaten geht, ist das höchst bedenklich. Im globalen Wettbewerb großer Internet-Dienst-leister ist der Kunde mit seinen Daten letztlich die Ware. Die Korrelation zwischen Markt-macht und Datenmacht führt hier zu einer Kolonisierung aller sozialen Sphären durch einige wenige Diensteanbieter, die so immer mehr Macht generieren. Das zeigt sich dann auch darin, dass derartige Unternehmen ihren

angestammten Bereich der Internetdienstleistungen längst ver-lassen haben und in Geschäftsfelder der „realen“ Welt vordrin-gen, nicht zuletzt auch in den Gesundheitsmarkt. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dagegen vorzugehen? Im Grunde beruht der gesamte Internetdienste-Markt auf ei-

ner Art von asymmetrischer Einwilligung: Ich gebe dir die Mög-lichkeit der Nutzung meines Produkts und du gibst mir deine Daten. Das ist bei den Anbietern von Health Apps nicht anders. Es geht letztlich immer um ein Geschäft mit einer Alles-oder-Nichts-Lösung. Wer in die Google-, Apple- oder Facebook-Welt hinein will, muss am Eingang seine Einwilligung abgeben, sonst bleibt er vor der Tür.  Ein dritter Weg aber – ich nenne ihn den Weg der Datensouveränität – besteht darin, die Ein-willigung auf bestimmte Bereiche zu beschränken und damit die beliebige Verknüpfbarkeit und Weiterverwendung der Daten

JOHANNES CASPAR ist Beauftragter für Datenschutz und Informations­freiheit des Landes Hamburg.

Der Wandel des Gesundheitswesens durch mHealth ist in vollem Gange. Wie aber sieht es mit der

Sicherheit der erhobenen Daten aus? Wo werden sie gespeichert? Wer hat darauf Zugriff?

Von Susanne Neumayer­Remter

„Das Bewusstsein, die oft kostenlosen

Apps mit Daten zu bezahlen, ist

bislang nicht ausgeprägt.“

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— ÜBERBLICK —

so zu akzeptieren, dass man selbst davon Vor-teile hat. Es wird hier dem Nutzer freigestellt, ob und wie intensiv er seine Daten einsetzen will. Letztlich wäre das durch ein Koppelungs-verbot zu erreichen, das einer Verknüpfung „umfassende Einwilligung gegen Nutzung der Dienste“ künftig den Boden entzieht.

Nach einer aktuellen Bitkom-Umfrage können sich 37 Prozent der Smartphone-Benutzer vor-stellen, ihre Gesundheitsdaten an die Kran-kenkasse weiterzuleiten. Welche gesellschaft-liche Relevanz hat das?

Gesundheitsdaten sind ganz entscheidend für die Position des Einzelnen in der Gesell-schaft. Die Fragen, ist jemand krank, ist je-mand gesund, ist jemand leistungsfähig oder Träger eines erhöhten Risikos von Krankheit, haben für ganz unterschiedliche Bereiche im-mense Implikationen. Wer über jeden Einzel-nen prognostizieren kann, wie seine Erwar-tung ist, gesund durchs Leben zu gehen, ist in der Lage als Versicherer erfolgreich individua-lisierte Angebote zu unterbreiten. Für manche Verbraucher wird das möglicherweise günstiger, weil ihre Vorhersagen positiv sind. Aber diejenigen, deren prognostizierte Gesundheitsrisi-ken über dem Durchschnitt liegen, müssten in so einem Sys-tem draufzahlen. Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, führt die Hörigkeit auf über Big Data vermittelte Algorithmen zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft. Das ist etwas, bei dem man sehr genau aufpassen muss, dass sich das am Ende nicht verselbstständigt – ein Begleiteffekt der Digitalisierung unserer Lebenswelt, der am Ende auch den sorgsam tarierten Mechanismus der Verteilungsgerechtigkeit von sozialen Syste-men zersetzen kann.

Es gibt mittlerweile ja unzählige mobile Anwendungen, ge-rade auch im Gesundheitsbereich. Wie lassen sich da noch die guten von den schlechten unterscheiden?

Die Anwender werden alleingelassen in einer Welt, in der alles möglich scheint, aber alles mit Hintertüren und negativen Konsequenzen besetzt ist, die man als Nutzer gar nicht mehr überblicken kann. Gesundheitsdaten sind hochsensibel und die Betroffenen sollten durch entsprechende Garantien die Si-cherheit haben, dass ein Anbieter das gegebene Vertrauen auch verdient. Eine Datenschutz-Zertifizierung könnte hier helfen, über datenschutzgerechte und -sichere Angebote aufzuklären und zu informieren. Bis auf wenige Ausnahmen fehlen hierfür jedoch die gesetzlichen Rahmenregelungen. Und das ist schade. Durch eine Selbstverpflichtung der Unternehmen, die sich um Zertifikate bewerben, weil sie sich davon Wettbewerbsvorteile versprechen, könnte eine Menge erreicht werden. Das ist eine Diskussion, die zu einer Win-Win-Situation zwischen Daten-

schutz und Digitalwirtschaft, zwischen Ver-braucher und Unternehmen führen kann. Sie gilt es voranzutreiben.

Wie könnte eine solche Datenschutz-Zertifi-zierung konkret aussehen?

Das sinnvollste Modell wäre, die Zertifizie-rung von einem akkreditierten Unternehmen durchführen zu lassen, das seine Legitimati-on von einer Datenschutzbehörde erhält, die das Gutachten zu einem Produkt abnimmt und dafür auch eine eigene Verantwortung trägt. Am Ende eines solchen Verfahrens, das nach festen Kriterien ablaufen muss, ist dann für das jeweilige Produkt ein Gütesiegel zu erteilen. Dies können die Unternehmen dann im Wettbewerb nutzen. Rein private Zertifizie-rungs-Modelle haben dagegen den Nachteil, dass keiner so genau weiß, was die jeweiligen Zertifikate letztlich dokumentieren. Vertrau-en lässt sich damit nur schwer aufbauen. Wir als Datenschutz-Aufsichtsbehörden wieder-um können nicht alles kontrollieren, was auf

dem Markt ist, das ist einfach zu viel. Insofern muss der Markt selbstreguliert arbeiten. Das heißt, man muss den Unterneh-men die Möglichkeit geben, sich nachvollziehbar als daten-schutzfreundlich zu präsentieren. Gerade für eine innovative Wirtschaft ist es wichtig, Anreize zu setzen.

Innovation und Datenschutz, passt das denn zusammen? Datenschutzbehörden sind, anders als es häufig kolportiert

wird, weit davon entfernt, Fortschritt zu verhindern. Wir ver-suchen vielmehr, den Fortschritt menschengerecht und grund-rechtsorientiert zu begleiten. Viele digitale Neuerungen bringen natürlich Vorteile für alle erdenklichen sozialen Bereiche. Doch es ist utopisch zu glauben, diese gäbe es zum Nulltarif. Tech-nologische Entwicklungen gehen häufig über uns hinweg und haben das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht mehr im Fokus. Deshalb ist es ganz entscheidend, dass die richtigen Fragen gestellt werden, bevor die Anwendungen eingeführt wer-den. Wir sind permanent mit innovativen Unternehmen im Dis-kurs und versuchen Wege zu finden, die es ihnen ermöglichen, die guten und wichtigen Ideen, die sie haben, in einer Weise zu verwirklichen, die die Menschen mitnimmt. Für die Umsetzung digitaler Produkte ist es enorm wichtig, den Datenschutz mit ins Boot zu holen, und zwar möglichst in einer frühen Phase der Projektentwicklung. Anderenfalls lässt sich gerade auch die soziale Akzeptanz für Innovationen nicht herstellen.

Wir sind bereit, hierzu umfassend beratend tätig zu werden. Doch leider sind sowohl der rechtliche Rahmen als auch die Kapazitäten von Datenschutzbehörden so eng, dass Anspruch und Wirklichkeit hier noch weit auseinanderliegen. ¬

„Wir als Daten-schutzbehörden versuchen, den

Fortschritt mensch-gerecht zu beglei-ten. Wir sind weit

davon entfernt, die Dinge zu verhindern.“

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© Carestream

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— ÜBERBLICK —

Es gibt zurzeit in Deutschland ein gewis-ses Missverhältnis zwischen der Zahl der im klinischen Alltag regelmäßig ein-

gesetzten Smartphone- oder Tablet-Anwendun-gen einerseits und der Lautstärke, mit der über dieses Thema gesprochen wird, andererseits. Wird da zu wenig ge-appt? Oder wird zu viel gequatscht?Für Ersteres sprechen unter anderem Erhebun-gen wie das jetzt vorgestellte EU mHealth Ran-king, bei dem Deutschland in einer auch sta-tistisch innovativen Analyse den zweifelhaften Titel des am stärksten überbewerteten Landes in Europa verpasst bekam. Bei der „Market Readiness“ liegen wir demnach irgendwo mittig zwischen Portugal und Rumänien. Passt zumindest zur Geografie.Der kasuistische Blick in die Krankenhäuser bestätigt das Ranking. In Deutschland muss schon eine Weile suchen, wer ein Krankenhaus finden möchte, das Apps für Ärzte und mehr noch für Patienten nicht nur entwickelt hat, sondern sie auch intensiv und mit klarer Ziel-setzung nutzt. In anderen Ländern wird man da schneller fündig. Der staatliche Gesundheitsdienst in Andalusi-en bietet Patienten eine ganze Reihe von Apps an, von der Terminbuchung bis zur Einsicht in klinische Akten. Im britischen NHS ent-steht ein solches App-Portfolio gerade. Und in Israel bindet der Krankenhausträger Assuta in

Tel Aviv mehrere hundert Belegärzte per App an das Terminmanagement und an die Patien-tenakte an. Das ist schon was.Nun ist es nicht so, dass in Europa überall außerhalb Deutschlands die medizinische App-Economy brummen würde wie wild. Der Kontinent teilt sich eher in die App-Pfadfinder und die App-Phlegmatiker. Angesichts dieses doch durchwachsenen Gesamtbildes erstaunt es ein wenig, dass schon wieder tiefgreifende Bedenken gewälzt werden. Gerade dachten wir noch alle, wir hätten die CE-Zertifizierung zumindest bei IT-Lösungen für die klinische Dokumentation elegant umschifft, da meldet sich die EU mit Gedankenspielen zu Wort, wo-nach Apps, die Daten in Primärsysteme füt-tern, vielleicht aus Sicherheitsgründen doch auch irgendein Zertifikat benötigen könnten, müssten, sollten.Derartige Apps gibt es in Europa eigentlich noch gar nicht. Was da zur Diskussion ge-stellt wird, ist präemptive Kriegsführung. Es ist diese Regulationitis, die die Briten an den Rand des Brexits gebracht hat. Spätestens 2017 werden sie wohl darüber abstimmen. Bis dahin will David Cameron sein EU-Reform-programm durchsetzen, das den Bürokraten in Brüssel gehörig die Flügel stutzen soll. Die Regulierung von Apps für die medizinische Dokumentation kann er gleich mit auf seine Liste setzen. ¬

David hilf!Von Philipp Grätzel von Grätz

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Ohne Brille: Die 3D-Zukunft der Radiologie 40

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Vor circa zehn Jahren bestand die Standard-Röntgen-aufnahme eines Thorax aus 30 Bildern. Sie passten ungefähr auf einen Monitor und konnten sehr schnell

analysiert werden. Heute müssten Radiologen sich eine Ki-noleinwand kaufen, wenn sie alle Bilder eines Thorax CT gleichzeitig anschauen wollten. „Wir sprechen von bis zu 800 einzelnen Bildern“, sagt Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen. Dies bedeutet nicht, dass es heute zwanzig bis dreißig Mal länger dauert, einen radiologischen Bericht zu erstellen, als in den frühen 2000er-Jahren. Radiologen haben ihr Tempo angepasst, aber der Prozess als Ganzes kann länger dauern: „Wir haben keine andere Möglichkeit, als jedes einzelne Bild anzusehen. Insgesamt führt dies dazu, dass wir mindestens doppelt so lang brauchen wie in früheren Jahren“, behauptet er.

Der Druck nimmt zuDarüber hinaus stehen Radiologen unter dem gleichen Druck

wie jeder andere Arzt. Die Zahl der Patienten pro Arzt nimmt zu, teils aus demografischen, teils aus finanziellen Gründen. Und hier ist das Problem: Technologische Innovationen sollen dem Mediziner helfen, mit der zunehmenden Arbeitsbelastung fertigzuwerden. In der Radiologie dreht sich die Welt anders: Technologie und Demographie arbeiten Hand in Hand, um den Radiologen an die Grenzen des Burn-outs zu fahren. Zumindest bis jetzt.

Michael Forsting sieht mehrere Trends, die auf lange Sicht helfen könnten, ein besseres Gleichgewicht zwischen Ar-beit und Leben zu generieren. Voraussetzung ist, dass sich Technologie an Versprechen hält. 3D-Bildge-bung ist eins von ihnen. In vielen Situationen ist es schneller sich eine einzige 3D-Rekons-truktion anzuschauen, als sich 800 einzelne Bilder anzusehen.

Einige Radiologen argumentieren, dass eine 3D-Rekonstruktion zwangsläufig zum Verlust von Informationen führt; Forsting denkt das nicht: „Vor Kurzem haben wir gesehen, dass wir in der Lage sind, ein Kühlschrank-ähnli-ches Gebilde auf einem Kometen, Milliarden Kilometer entfernt, genau landen zu lassen. Wenn dies möglich ist, dann sollte wir auch in der Lage sein, genaue 3D-Bilder von Tumoren oder der Lunge zu erzeugen. Natürlich ist es eine Frage der Software-Qualität. Und ja, die Medizin ist derzeit für die meisten hochquali-fizierten Programmierer nicht ihre Lieblings-branche. Das sollte der erste Schritt sein.“

Das Ende der bildbasierten Radiologie?Das Arbeiten an 3D-Rekonstruktionen an-

statt an Bildern ist ein Ansatz, um die Effizienz

in der Radiologie zu erhöhen, aber es gibt auch andere Wege. Strukturiertes Berichten ist einer von ihnen. Auf den ersten Blick ist es ein trockenes und auch kein brandneues Thema, aber es ist noch immer nicht wirklich in den Mainstre-am übergegangen.

„Die Arbeit an strukturierter Berichterstattung war bisher entweder länder- oder spezialisierungsspezifisch. Es gab keine gemeinsamen Anstrengungen, strukturierte Berichterstattung auf einer breiten Basis zu fördern“, so Osman Ratib. Er ist Direk-tor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Uni-versität Genf und Leiter des Unterausschusses für eHealth und IT bei der Europäischen Gesellschaft für Radiologie (ESR). Ratib ist fest davon überzeugt, dass in der Radiologie kein Weg an strukturierter Berichterstattung vorbeiführt: „Die zunehmende Arbeitsbelastung für Radiologen in der ganzen Welt zwingt uns zur strukturierteren Arbeit. Nur so werden Radiologen schneller und effizienter.“

Um strukturierte Berichterstattung in Europa zu fördern, ist die ESR kürzlich der Radiological Society of North Ameri-ca (RSNA) in ihrer RadReport Initiative beigetreten. Sie zielt darauf ab, eine Bibliothek von klaren und einheitlich struk-turierten radiologischen Vorlagen zu erstellen. Sie machen es möglich, klinische Daten, codierte Terminologie technischer Parameter, Messwerte, Anmerkungen und Schlüsselbilder zu integrieren. Die Besonderheit, in der sich RadReport vor allem unterscheidet, ist, dass es sich hierbei um eine offene Platt-form ohne Lizenzbeschränkungen handelt. Die standardisier-ten Vorlagen stammen vom Radiologen selbst. „Wir wollen keinem eine Vorlage aufzwingen“, betont Ratib. Die Verant-wortlichen der Plattform überprüfen nur eine neue Vorlage auf

Konsistenz. Sobald dies geschehen ist, wird die Vorlage für alle Mitglieder beider Gesellschaf-ten zugänglich.

Die RadReport Initiative öffnet die Türen für moderne Datenverarbeitung

In der Tat begannen die Diskussionen um das Projekt vor zwei Jahren. Die RSNA startete eine erste Version, die das XML-For-mat verwendet. Dies entsprach nicht den Er-wartungen, und so wurde es vor Kurzem ins HTML5-Format geändert, um kompatibel mit dem IHE-Management für Radiologie Report (MRRT) Profil zu sein. Zurzeit werden die vor-handenen Vorlagen Schritt für Schritt über-setzt. Die Hoffnung ist, dass durch die Kompa-tibilität mit IHE MRRT die Industrie überzeugt wird, das neue Format zu implementieren, und damit die RadReport-Vorlagen leichter für je-den Radiologen, der sie benutzen möchte, zur Verfügung stehen.

Wenn die Initiative erfolgreich ist, werden die RadReport-Vorlagen nicht nur zu einer

Die 3D-Zukunft der Radiologie

Ja, Radiologen gelten als technikaffin. Und ja, sie waren die ersten Mediziner, die digitale Informationssysteme verwendeten. Das ist gut. Denn

die Zukunft der Radiologie liegt vermutlich in der computergestützten 3D-Diagnostik und Datenverarbeitung. So sehen das jedenfalls

europäische Radiologen.

Von Philipp Grätzel von Grätz

3D-REKONSTRUKTION eines menschlichen Herzens, in Volumen­Rendering­Technik. Ist die Zukunft der Radiologie dreidimensional?

„Die meisten CAD-Programmierer

denken, dass wir Software zur

Diagnose von Krankheiten

brauchen. Aber was wir brauchen, ist

eine Software, die normale Anatomie

identifizieren kann.“

Michael Forsting, Universitätsklinikum Essen

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— BUSINESS INTELLIGENCE —

verbesserten Adaptierung strukturierter Be-richterstattung in allen Arten der radiologi-schen Disziplinen führen. Sie könnten auch eine gewisse semantische Kompatibilität schaffen – über Sprachgrenzen hinweg. Dies könnte durch eine „Anhang-“Funktion erreicht werden, an der eine RSNA-Gruppe unter der Leitung von Charles Kahn derzeit arbeitet. Es ermöglicht Radiologen, den Inhalt ihrer Vor-lagen mit der RadLex Synthax zu verknüpfen oder „anzuhängen“. RadLex ist eine einheit-liche Sprache für Radiologie-Begriffe, die für standardisierte Indexierung und den Abruf von Radiologie-Informationsressourcen ge-nutzt werden kann.

„Der große Vorteil dieses Ansatzes und in der Tat der ganzen RadReport Initiative ist, dass diese angehängten Berichte später durchsucht werden können. Wenn Radiologen beginnen, ihre Sammlung an Berichten zu er-stellen, werden sie in der Lage sein, diese An-hänge zu nutzen, um ihre Berichtsdatenbank zu durchsuchen“, erklärt Ratib. In der Tat sind mit ordnungsgemäß gekennzeichneten Berich-ten alle Arten von Datenverarbeitungsanwen-dungen denkbar geworden. Die Strukturierung der Berichte in Verbindung mit semantischen Anhängen kann die radiologische Berichts-datenbank endlich für große Datenszenarien öffnen, die genauere Diagnosen oder besser zugeschnittene Behandlungsempfehlungen zur Folge haben könnten. „Dies ist der Haupt-grund, warum die RadReport Initiative so spannend ist und warum wir hoffen, dass sich möglichst viele europäische Radiologen anschließen”, sagt Ratib.

Lassen Sie die Software Ihre Aufgaben machen

Welche anderen Werkzeuge sind da drau-ßen, um Radiologen zu helfen, effizienter zu werden? Für viele ist die offensichtliche Ant-wort seit Langem computergestützten Diag-nose (CAD). Aber CAD-Tools haben weiterhin in vielen Bereichen eine harte Zeit. Es gibt sie, aber sie sind oft nicht so hilfreich und so be-liebt, wie ihre Erfinder vielleicht gehofft haben.

Peter Meinzer, Leiter der Medizinischen und Biologischen Informatik im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, hat dies aus erster Hand erfahren. Zusammen mit seinen Kollegen hat der Professor eine Soft-ware zur Analyse und Rekonstruktion der

Anatomie der Leber mit dem Aufkommen der großen Leberoperationen entwickelt – eine hochentwickelte CAD-Lösung an der Spitze des technisch Machbaren. Doch, obwohl es gut funktioniert, wurde die Software nicht zu einem kommerziellen Erfolg. „Die Anzahl der möglichen Benutzer ist doch zu klein, und die Software erfüllt nicht die Ansprüche der Ziel-gruppe“, sagt Meinzer nicht ohne eine Portion Selbstironie.

Nicht den Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht zu werden, ist ein wiederkehrendes Thema im CAD-Bereich. Forsting denkt, dass eines der Probleme mit CAD bisher war, dass es aus dem falschen Winkel angegangen wur-de: „Die meisten CAD-Programmierer denken, dass wir Software-Lösungen benötigen, die die Diagnose unterstützen. Viel hilfreicher wären jedoch Software-Lösungen, die die normale Anatomie identifizieren könnten.“ Der Grund: Nicht-pathologische Bilder sind die Zeitfresser des Radiologen!

In der Tumor-Analytik ist CAD zur Hauptströmung geworden

Meinzer hat ein aktuelles Beispiel für CAD-Software, die von seiner Gruppe entwi-ckelt wurde, und es durch ein Spin-off-Un-ternehmen nun doch in den Markt geschafft hat. Es ist eine Software für Bildanalysen, die Krebs-Läsionen in CT-, MRT- oder PET-Daten-sätze erkennen kann. Auch werden automa-tisch mehrere Schlüsselparameter der detek-tierten Läsionen berechnet.

Das Geheimnis des Erfolges dieses Tools ist, dass es wirklich hilft Zeit zu sparen, vor allem, wenn sie an klinischen Medikamentenstudien teilnehmen, was viele von ihnen tun. Meinzer sagt: „Die IT-basierte Bildanalyse führt im Rahmen von klinischen Studien in der On-kologie zu einer erheblichen Reduzierung der Arbeitsbelastung für den Radiologen. Mit dem zahlenden Kunden Pharmaindustrie, hat man auf einmal sogar einen Business Case.“

Alles in allem scheint das Potenzial der IT-Lösungen, zur Erhöhung der Effizienz der Radiologie bei Weitem nicht ausgeschöpft. Die Konzepte sind da. Aber um eine breite Wirkung innerhalb der Welt der Radiologie zu haben, müssen Tools wie 3D-Rekonstruk-tion, strukturiertes Berichten und computer-gestützte Diagnostik so leicht zugänglich sein wie RIS und PACS. ¬

Anzahl der An-rufe, die an der Universität von San Francisco, Kalifornien, täglich bearbei- tet werden: 115/Tag

Mittlere Länge eines Anrufes: 1 Min.

Prozentua- ler Anteil der Arbeitszeit, die am Telefon ver-bracht wird: 15 %

Wahrscheinlich-keit, während der Interpre-tation einer einfachen Studie durch einen An-ruf unterbrochen zu werden: 37 %

Wahrscheinlich-keit während der Interpretation einer komplexen Studie durch einen Anruf unterbrochen zu werden: 59 %

RADIOLOGIE 2015: HIGHWAY TO BURN-OUT?

Quelle: Akash P. Kansagra; RSNA 2014; SSK12-06

„Strukturierte Berichterstattung hilft Radiologen

schneller und effizienter zu

werden.”Osman Ratib, Universität Genf

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INNOVATIONEN

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Gesundheit neu denken: Jetzt wird es persönlich! 44

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— INNOVATIONEN —— INNOVATIONEN —

JETZT WIRD ES PERSÖNLICH

Meine Krankheit, meine DNA, meine Therapie. Die Medizin wird sich in den kommenden Jahren weiter personalisieren. Die Aufbruchstimmung ergreift

nicht nur Forscher und Ärzte, sondern auch IT-Spezialisten. Denn wer individuell behandeln will, muss erst mal eines bewältigen: Big Data.

Von Romy König

Imposante Hochleistungsrechner surren im Keller eines Tübinger Bürogebäudes, ganze Terabytes an Daten zischen durch die Leitungen, kreieren

Datensalat. Sorgsam gefiltert und entschlüsselt zeigt das Datenchaos die Einzigartigkeit jedes Menschen: seine DNA. Künftig sollen Menschen individuell und abgestimmt auf ihre Erbanlagen behandelt werden können – so zumindest die Grund-philosophie von Saskia Biskup – und ihr Geschäftsmodell. Vor sechs Jahren gründete die Humangeneti-kerin in Tübingen gemeinsam mit ihrem Mann Dirk das Center for Ge-nomics and Transcriptomics, kurz Cegat; ein Start-up-Unternehmen, das sogenannte Diagnostik-Panels erstellt. Dabei werden Gene nicht wie bislang einzeln, sondern in pa-rallelen Sequenzen untersucht. So kommen wir einer Genveränderung schneller auf die Spur, die für eine bestimmte Krankheit verantwortlich ist, sagt Biskup. „Jeder Mensch ist in-dividuell: Bei jedem entwickeln sich Krankheiten anders, jeder Tumor ist

anders und jeder verstoffwechselt anders“, erklärt die Humangenetikerin. „Mit der Genanalyse können wir ein molekulares Profil erstellen und die individuel-le Information finden, die relevant für Krankheiten und Therapien sein kann. Ob bei Krebs oder auch bei seltenen Krankheiten: Wir sind die, die dem Patien-ten oft erstmals sagen können, was er genau hat und

ob es Medikamente gibt, die helfen könnten.“ Sie arbeitet mit drei Hoch-durchsatzsequenzierern, „optisch eigentlich unspektakulären Kästen“, die 600 krebsrelevante Gene parallel entschlüsseln können. Gut 750.000 Euro kostet ein solches Großgerät.

Onkologie: Viel gelerntSich den Leiden des Menschen auf

molekularer Ebene zu nähern, ist die nächste große Revolution in der Me-dizin, sind sich Experten sicher. Wo bislang Krankheiten, besonders Tu-more, organ- oder zellspezifisch diag- nostiziert und behandelt wurden – der Darmkrebs, der Lungenkrebs, der Hautkrebs –, gehen Wissenschaftler

„Etwa jeder Fünfte der jährlich mehr

als 10.000 neu-en NCT-Patienten

profitiert heute im Rahmen von klini-schen Studien von

den neuen Behand-lungsansätzen.“

NCT­Direktor Christof von Kalle

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— INNOVATIONEN —— INNOVATIONEN —

nun eine Ebene tiefer. Es ist gerade die Onkolo-gie, in der die personalisierte Medizin am wei-testen vorangeschritten ist. Aus zwei Gründen, erklärt Otmar Wiestler, Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg: „In der Krebsforschung haben wir viel darüber gelernt, wie dieselbe Krankheit bei zwei Pati-enten unterschiedlich entstehen und verlau-fen kann.“ Zudem hätten Krebsforscher völlig neue, zielgerichtet ansetzende Behandlungs-verfahren entwickelt. „Es ist in zunehmendem Maße möglich, bei einzelnen Krebspatienten speziell wirksame Medikamente einzusetzen, nachdem im Gewebe dieses Patienten die vom Medikament erreichte Veränderung nachge-wiesen wurde.“

Auch in Heidelberg stehen ähnliche Se-quenzierer wie in Biskups Tübinger Start-up: Das DKFZ und das an der Heidelberger Uniklinik ansässige Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) führen gemeinsam Erbgutanalysen durch – zunächst im Rahmen klinischer Studien, später sollen die Analysen in die Regelversorgung überführt werden. Von „Aufbruchstimmung“ spricht NCT-Direk-tor Christof von Kalle: „Etwa jeder Fünfte der jährlich mehr als 10.000 neuen NCT-Patienten profitiert im Rahmen von klinischen Studien von den neuen Behandlungsansätzen“, sagt der Onkologe. In einer ersten klinischen Stu-die haben die Heidelberger das Material von mehr als 130 Krebspatienten sequenziert und

molekular charakterisiert. In einer speziellen Sprechstunde und einem interdisziplinären Tumorboard erarbeiten Onkologen die klini-sche Befundung und geben eine individuali-sierte Therapieempfehlung aus. „Bislang hat man immer die Art des Tumors diagnostiziert und ihn nach den Leitlinien behandelt“, sagt Biskup. Das heißt, man probierte das erste Präparat aus, dann, wenn es nicht anschlug, das nächste. Künftig aber werde man, so ihre Prognose, zuerst nach der Genveränderung fahnden. „Wir analysieren dann, was diesen einen individuellen Tumor überhaupt zum Tumor macht – und schlagen mögliche Be-handlungsoptionen vor.“ In der Praxis könne das bedeuten, dass bestimmten Leukämiepa-tienten ein Medikament verabreicht wird, das eigentlich für die Behandlung von schwarzem Hautkrebs zugelassen ist – einfach, weil der Gendefekt derselbe ist.

Mit GPS den Gendefekt ansteuernMein Erbgut, mein Krebs, meine Behand-

lung – so das Mantra der personalisierten Medizin. Oder, wie Friedrich von Bohlen es bevorzugt ausdrückt: der „Präzisionsmedi-zin“. „Der Begriff „personalisierte Medizin“ ist unglücklich“, sagt der Biochemiker, „denn personalisiert haben Ärzte doch schon immer behandelt.“ Was heute dagegen möglich sei, sei die präzise Bestimmung und Behandlung einer Krankheit anhand ihrer molekularen Ursache. „Kurz gesagt: Wir kommen jetzt zum

Quellcode des Lebens.“ Bohlen ist Naturwis-senschaftler – doch sein Geschäftsfeld hat er auf die Informationstechnologie verlegt. „Die Präzisionsmedizin braucht allein schon wegen der enormen Datenmengen, die bei Genom-Analysen anfallen, eine hochgradig ausgestaltete IT“, sagt Bohlen und rechnet vor: Wer das Erbgut eines Krebspatienten le-sen wolle, müsse die drei Milliarden Baustei-ne seiner DNA analysieren, und zwar in ihren jeweils möglichen vier Varianten. „Dazu noch im gesunden wie im kranken Fall – und immer wieder während des Behandlungsverlaufs“, so Bohlen. „Wenn Sie das noch mit 1,6 Millionen multiplizieren, also mit der Anzahl der Krebs-patienten allein in Deutschland, kommen Sie schnell zu Datenmengen, für die unsere bisherigen Giga- oder Tera-Bezeichnungen kaum noch ausreichen.“ Auch Biskup berich-tet von einem hohen Bedarf an Speichervolu-men in ihrem Start-up. Ihr Informatiker kaufe Memory platten im Wochentakt nach.

Alles steht bereitDie personalisierte Medizin – ein Big-Da-

ta-Thema. Und nicht nur das: Die Daten müs-sen interpretiert und visualisiert, dem Arzt aufbereitet und zugänglich gemacht werden. „Die IT kann hier wie ein GPS-System fun-gieren und den Arzt zum richtigen Koordi-nationspunkt steuern“, sagt Bohlen, der sich mit seiner Firma Molecular Health auf solche Software spezialisiert hat. „Eigentlich steht

jetzt in Deutschland alles bereit“, sagt der Un-ternehmer. „Die Hardware, die Software, das Know-how.“

Warum also ist die personalisierte Medizin noch nicht in der Fläche angekommen, in den Krankenhäusern, den Arztpraxen? Tatsächlich beschäftigen sich bislang hauptsächlich klini-sche Zentren damit: Neben dem Heidelberger NCT forscht etwa auch die Uniklinik Köln an den Möglichkeiten individueller Medizin: Hier hat sich ein Netzwerk für Genomische Medizin formiert, das molekulare Diagnostik für Lun-genkrebspatienten anbieten und möglichst bald in die Routineversorgung bringen will. Mit Erfolg: Erste gesetzliche Kassen überneh-men unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten (siehe Kasten S. 48).

Auch in der österreichischen Steiermark treiben Forscher die personalisierte Medizin voran. Erst Anfang des Jahres gründete die Universität Graz gemeinsam mit Partnern das CBMed, ein wissenschaftliches Zentrum, das neue Biomarker-Typen entwickeln will. Damit sollen nicht nur Krebserkrankungen, sondern auch Stoffwechseldefekte individualisierter diagnostiziert und behandelt werden können. Das Ziel des Zentrums: die Erkenntnisse ge-meinsam mit internationalen Unternehmen in die Praxis zu bringen. Die Industrie lässt sich das Forschungsvorhaben etwas kosten: 13 Millionen Euro haben Partnerunternehmen,

Gesundheit neu denken – personalized health!

Otmar Wiestler, Vorstands­vorsitzender und Wissen­schaftlicher Stiftungs vorstand des Deutschen Krebsfor­schungszentrums in Heidelberg, wird mit seiner Keynote „Paradigmenwechsel in der Krebsmedizin“ den eHealth Summit Austria am 18. und 19. Juni im Apothekertrakt des Schlosses Schönbrunn in Wien eröffnen.

www.ehealthsummit.at

„60.000 Euro kostet die

Behandlung eines Krebspatienten

pro Jahr, drei Jahre dauert im Schnitt die Therapie – die

aber nur in 30 Prozent der Fälle

anschlägt.“ Friedrich von Bohlen

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— INNOVATIONEN —

darunter B. Braun, Eli Lilly und Merck Serono, in das Zentrum investiert.

Die Pharmafirmen haben ein Interesse dar-an, die individualisierte Medizin voranzubrin-gen. Nicht nur weil Patienten auf Basis eines diagnostischen Tests das für sie am besten geeignete Medikament erhalten könnten und unwirksame Therapien vermieden würden, wie es in einem Positionspapier des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller heißt. Sondern auch, weil es den Herstellern erleich-tern würde, für Medikamententests passende Counterparts unter den Patienten zu finden, sagt ein Branchenbeobach-ter. Schon jetzt rüstet sich die Pharmabranche für die neu-en Verfahren, baut etwa, wie der Pharmakonzern Roche, riesige neue Rechenzentren. Personalisierte Medizin be-nötige „Rechenleistungen, die früher gar nicht vorhan-den waren“, sagte Allan Hip-pe, IT-Verantwortlicher bei Roche, jüngst gegenüber der Aargauer Zeitung.

„Den Rennwagen während des Rennens bauen“

Lange könne es nicht mehr dauern, vielleicht noch

drei, höchstens fünf Jahre, bis die personali-sierte Medizin endgültig beim Patienten ange-kommen sein werde, sind Biskup und Bohlen überzeugt – „und auch fünf Jahre würden mich bereits deprimieren“, sagt Biskup. Denn der Bedarf sei da: Allein Cegat analysiert mitt-lerweile jährlich 7.500 Proben, vor einem Jahr waren es rund halb so viel. Biskup berichtet von Patienten, die auf eigene Kosten eine Gen-analyse in Auftrag geben, einfach, weil ihr Leidensdruck – etwa bei seltenen Erkrankun-gen – nach Jahren der Arztbesuche zu groß geworden sei und sie endlich wissen wollten, was in ihrem Körper vor sich geht. Die Kas-

sen zahlen die Analysen, für die in Deutschland zwischen 3.500 (für Epilepsietests) und 5.000 Euro (für Tumortests) fällig werden, bislang nur in Einzelfällen. In den USA ist das anders, hier gehören molekulardiagnostische Tests zum Standard. Nicht ganz zu-fällig richtet sich Cegat jetzt zunehmend auf den ameri-kanischen Markt aus, hat ge-rade ein Zertifikat beantragt, um Aufträge aus Übersee in großer Zahl annehmen zu können.

„In den USA ist man sehr viel weiter als in Deutsch-land“, sagt auch Friedrich von

ERSTE VORSTÖSSE IN RICHTUNG REGEL-VERSORGUNG

Die personalisierte Medizin ge­langt nur langsam zum Patien­ten; im Erstattungskatalog der gesetzlichen Kassen kommt die neue Medizin noch nicht vor. Einen Erfolg konnte jetzt die Uniklinik Köln verbuchen: Sie hat im Mai einen Versor­gungsvertrag mit der Kranken­kasse Barmer GEK geschlos­sen, der Lungenkrebspatienten individuelle Therapien auf Basis molekulardiagnostischer Tests ermöglichen soll. Ab dem 1. Juli übernimmt die Kranken­kasse für ihre Versicherten die Kosten für das Diagnostikver­fahren. „Damit kommen wir unserem Ziel ein Stück näher, die innovative molekulare Lungenkrebsdiagnostik und ­therapie als Behandlungsop­tion zum Patienten zu bringen“, so Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des Kölner Centrums für Integrierte Onkologie (CIO). Das Netzwerk Genomische Medizin, zu dem das CIO gehört, enga­giert sich seit 2010 dafür, An­sätze personalisierter Medizin in der Praxis durchzusetzen. Das Land Nordrhein­Westfalen hat das Netzwerk mit bislang 3,5 Millionen Euro unter­stützt. Bereits im letzten Jahr hatte sich die AOK Rheinland/Hamburg bereit erklärt, die Kosten der Diagnostik für ihre Lungenkrebspatienten zu übernehmen. AOK­Chef Math­ias Mohrmann: „Wir sind davon überzeugt, dass die persona­lisierte Medizin in Zukunft an Wichtigkeit gewinnen wird.“

„Wir sind unse-rem Ziel ein Stück näher gekommen,

die innovative molekulare Lun-

genkrebsdiagnostik und -therapie als

Behandlungsoption zum Patienten zu

bringen.“ Jürgen Wolf,

Ärztlicher Leiter des CIO, Köln

Viele Meilensteine der Medizin kommen aus dem Labor.

Aber sie beginnen mit Leidenschaft und einer Vision. Seit über 150 Jahren haben wir eine Mission: Unser Ziel ist die Entwicklung von innovativen Medikamenten, Impfstoffen und Tiergesundheitsprodukten, die das Leben von Millionen verbessern. Wir stellen uns dieser Verantwortung mit einem festen Bekenntnis zu Forschung und Entwicklung.

Wir wissen, es gibt noch immer eine Menge zu tun: Wir wollen den Zugang zu medizinischer Versorgung verbessern und arbeiten mit Partnern zusammen, die unsere Leidenschaft teilen.

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Bohlen. „Dort baut man den Rennwagen, während das Rennen gefahren wird; in Deutschland will man, noch bevor es auf die Strecke geht, erst mal den Renn-wagen komplett verstehen.“ Soll heißen: genaue Stu-dienergebnisse sehen, Belege für den Nutzen, Belege für die Wirtschaftlichkeit. „Dabei liegen die doch auf der Hand“, sagt Bohlen, und rechnet erneut: „60.000 Euro kostet die Behandlung eines Krebspatienten pro Jahr, drei Jahre dauert im Schnitt die Therapie – die aber nur in 30 Prozent der Fälle anschlägt. Dagegen stehen 5.000 Euro für eine Genomanalyse.“

Der Arbeitgeber als KostenerstatterAuf die Einsicht der deutschen Gesundheitspolitik

will Bohlen nicht warten und hat deshalb ein findi-ges Paket geschnürt. Er versucht, Firmen davon zu überzeugen, ihren Mitarbeitern im Krankheitsfall eine Genomanalyse zu bezahlen. Das erhöhe die Attrakti-vität der Firmen als Arbeitgeber und erspare ihnen Ausfallkosten, ist Bohlen überzeugt. Es ist offensicht-lich: Er will beim Rennen vorne mitfahren. Er sieht das historisch: „Zum ersten Mal wurde die Medizin revolutioniert, als wir Menschen aufschnitten und er-kannten, dass die Gesundheit mit den Organen zu tun hat“, sagt Bohlen. „Zum zweiten Mal, als wir Zellen unter dem Mikroskop erkundeten.“ Jetzt stehe nicht nur die dritte medizinische Revolution an, sondern auch die letzte. Denn, so Bohlen: „Weiter in die Tiefe geht es nicht.“ ¬

„In den USA baut man den Rennwagen,

während das Rennen

gefahren wird; in Deutschland

will man erst mal den Rennwagen

komplett verstehen.“

Friedrich von Bohlen

WAS IT LEISTEN MUSS

Personalisierte Medizin ist eine Querschnittsdisziplin: Der praktische Arzt, der Onko­loge, der Pathologe müssen miteinander kommunizieren, dazu das Labor, die Kassen und schließlich der Patient selbst. Das funktioniert nicht ohne Informationstechnologie:

IntegrationBei Genomanalysen entste­hen große Datenmengen, die nur mit IT ausgewertet werden können. Die moleku­laren Patienteninformationen müssen gegen ein Referenz­system gehalten werden: Für den Abgleich dienen wissenschaftliche Erkennt­nisse, klinische Befunde und bekannte Wirkmechanismen von Medikamenten – also kon­kretes Wissen aus 23 Millionen medizinisch­wissenschaftli­chen Artikeln.

InterpretationÄrzte brauchen ein System, das die molekularen Daten ihres Patienten aufnimmt und automatisch prozessiert, also aus ihnen das individuelle Krankheitsbild aufbaut. Im Ergebnis heißt es dann nicht etwa: Der Patient hat Darm­krebs, sondern: Er hat einen Krebs mit einem speziellen XY­Profil – und nur durch Zufall befindet sich der Tumor im Darm. Im Idealfall gibt dann das System eine Behandlungs­empfehlung aus.

Visualisierung und KurierungDie Daten müssen dem Arzt so zusammengestellt und präsentiert werden, dass er sie versteht und intuitiv an­wenden kann.

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Felix Cornelius: Ärzte sollten sich mal freimachen 52MyTherapy: Das Smartphone als Therapiebegleiter 53LifeTime: Mobiler Tresor für Gesundheitsdaten 56Kolumne: Ein Glitzern in den Augen 58

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In Paragraf 10 der „Muster­Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“ heißt es (noch): „Ärzte haben [...] Patienten auf deren Ver­langen grundsätzlich in die sie betreffenden Kran­kenunterlagen Einsicht zu gewähren; ausgenommen sind diejenigen Teile, welche subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen […] des Arztes enthalten. Auf Verlangen sind […] dem Patienten Kopien […] gegen

Erstattung der Kosten herauszugeben.“Daran sind drei Dinge erstaunlich: Erstens das Wort

grundsätzlich, zweitens das Konstrukt der subjektiven Ein­drücke und Wahrnehmungen, drittens die Erstattung der Kosten. Keiner dieser Aspekte ist im Sinne des Patienten. Wenn ein Patient seine Daten verlangt, will er sie erstens vollständig haben; zweitens ist alles, was über den Output von Medizintechnik hinausgeht, mithin die sprechende Medi­zin in Gänze, eine einzige subjektive Wahrnehmung; drittens soll die gesamte ambulante GKV­Medizin für den Patienten kostenlos sein, außer der im Idealfall elektronischen Kopie der Dokumentation, die ja maximal Centbeträge kosten kann!

Nun hat der jüngste Ärztetag in Frankfurt Paragraf 10 geändert. Die gesamte Presse hat darüber berichtet. Freiwil­lig war der ärztliche Beschluss leider nicht: Es wurde lediglich die Regelung des Paragraf 630g BGB („Einsichtnahme in die Patientenakte“) übernommen. Zwar gehören die „subjektiven Eindrücke“ jetzt der Vergangenheit an. Dem Patienten ist die Einsicht aber immer noch zu verwehren, wenn ihr „erhebli­che therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rech­te Dritter“ entgegenstehen. Leider müssen wir feststellen: Auch die neue Regel ist fern aller Realität. Hat mein Arzt die Möglichkeit, in meine Akte etwas zu schreiben, dessen Offenlegung mir gegenüber erhebliche therapeutische ne­gative Konsequenzen haben könnte? Wer könnte der Dritte sein, dessen Rechte beeinträchtigt werden könnten, wenn mein Arzt mir Einblick in meine Dokumentation gibt? Was geht in den Köpfen derer vor, die sich solche Formulierungen ausdenken?

Was käme wohl heraus, wenn Aussagen über die Kommu­nikation zwischen Arzt und Patient nicht einseitig formuliert werden könnten, sondern wenn sie zwischen Ärzten und Pa­tienten ausgehandelt bzw. ausgefochten werden müssten?

Wenn es z. B. neben jedem Ärztetag immer auch einen Pa­tiententag gäbe, der von denjenigen dominiert würde, die es wirklich betrifft, also von Menschen mit einem weit über­durchschnittlichen Versorgungsbedarf? Wenn dieser Pati­ententag immer dann, wenn die Ärzte sich zu (ihren) Pati­enten äußern, vorsorglich Einspruch erheben und verhindern könnte, dass es zu solch paternalistischen und im Grunde patientenfeindlichen Aussagen kommt?

Jeder Patiententag würde von den Ärzten uneinge­schränkte Transparenz fordern. Einschränkungen würden überhaupt nur in Fällen akzeptiert, die es in der Praxis tat­sächlich gibt, und für die es eindeutig möglich wäre, den In­teressenskonflikt zu erkennen. In jedem Fall aber würde die Übermittlung der Daten natürlich kostenlos sein. Ärztliche Dokumentation erfolgt heute zu fast 100 Prozent elekt­ronisch. E­Mails kosten kein Porto und der entsprechende Funktionsaufruf zur Datenübermittlung würde auch keine nennenswerte Zeit kosten. Kosten sind schließlich vor al­lem psychologisch fatal: Sie schrecken unabhängig von ih­rer Höhe ab und sie signalisieren, dass die Übermittlung von Patientendaten medizinisch nutzlos ist. Was medizinisch notwendig ist, zahlt bekanntlich die Kasse.

Kommunikation schafft Wissen über die Natur und Be­handlung von Krankheiten – zum Wohle der Patienten. Und sie fördert Qualität: Wenn ein Arzt weiß, dass die Patienten die Dokumentation aus der Praxis „entführen“ können, wird eine Kontrollmöglichkeit geschaffen und sich die durch­schnittliche Qualität der Behandlung langfristig erhöhen. BGB und ärztliche Berufsordnung haben weiterhin dringen­den Verbesserungsbedarf. ¬

ÄRZTE SOLLTEN SICH MAL FREIMACHEN

FELIX CORNELIUS ist Geschäftsführer der Spreeufer Consult GmbH, die sich auf Projekte spezialisiert hat, in denen ärztliches und betriebswirtschaftliches Denken versöhnt werden sollen. Er ist außerdem Mitgründer und Vorstand des Verbandes digitale Gesundheit (VdigG).

Von Felix Cornelius

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Bis zu 20 verschiedene Medikamente pro Tag muss Barbara N. unter einen Hut bringen. Im letzten Jahr bekam

die Mitfünfzigerin eine neue Niere trans-plantiert. Die Frage, wann welches Medi-kament wie eingenommen oder etwa der Blutdruck gemessen werden muss, bestimmt seither ihren Tagesablauf ganz entscheidend. Ihre Tochter – eine Ärztin – machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Hilfs-mittel und fand die App MyTherapy, die Barbara N. seither als digitaler Therapieassis-tent zur Seite steht.

Erinnern, dokumentieren und motivieren per App

„MyTherapy funktioniert sehr, sehr einfach, es ist eine To-do-Liste für die Therapie; und die Aufgabe des Patienten ist es, diese Liste jeden Tag zu leeren“, erklärt Sebastian Gaede, einer der drei Geschäftsführer des Ende 2012 gegrün-deten Münchener Unternehmens Smartpatient, das die Applikation, in die auch ein Tagebuch samt Dokumentationsfunktion integriert ist, entwickelt. Patienten können sowohl ihren Medikationsplan als auch Messergebnisse oder Aktivitäten wie ein Sportprogramm eingeben. „Die ganze Therapie des Patienten ist an einem Platz“, meint der Unternehmer.

Um die Medikationseingabe möglichst ein-fach zu gestalten, sind in die Anwendung die Daten der IFA-Datenbank, in der sämtliche in der Apotheke erhältlichen Medikamente ge-

führt werden, integriert. Die App kann den Strichcode auf der Medikamentenpackung einscannen und schon können voreinge-stellte mögliche Dosierungen ganz einfach angeklickt werden. „Die Qualität der Medi-kamenten-Erinnerung, die wir bieten, ist eine sehr hohe“, betont Gaede, der sich damit von der Konkurrenz absetzen möchte. „Wir adres-sieren auch den multimorbiden Patienten, der typischerweise mehrere Medikamente ein-nehmen muss, da kommen relativ komplexe Medikationspläne zu Stande.“ Diese auf leicht verständliche Art und Weise beherrschbar zu machen, ist Ziel von MyTherapy, eine einfa-che Weck-Funktion helfe hier kaum weiter, es muss in den Tagesablauf der Patienten integ-riert werden.

Kooperation mit der Charité„40 Prozent der Bevölkerung ist chronisch

krank, das ist kein Nischenthema“, meint Gaede. Unregelmäßige Tagesabläufe, Moti-vationslöcher oder schlichtes Vergessen sind tagtägliche Feinde, wenn es um die konse-quente Umsetzung ärztlich verordneter The-rapien geht. Ein Problem, mit dem sich auch Elisabeth Steinhagen-Thiessen von der Ber-liner Charité beschäftigt. Die Professorin lei-tet die Forschungsgruppe Geriatrie, an der die Arbeitsgruppe Alter und Technik angesiedelt ist. „Neben den Folgen für den Einzelnen, be-lastet eine mangelnde Therapietreue auch das Gesundheitswesen“, beschreibt die Professorin die Konsequenzen einer fehlenden Adhärenz.

Das Smartphone als Therapiebegleiter

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO werden 50 Prozent der von Ärzten verschriebenen Medikamente nicht

oder nicht richtig eingenommen – mangelnde Therapietreue ist ein Problem für Patienten, Ärzte, Versicherer, Pharmaindustrie

und nicht zuletzt für die Volkswirtschaft. Die App MyTherapy hilft chronisch kranken Patienten, komplizierte Therapien wie

verordnet umzusetzen.

Von Susanne Neumayer­Remter

Die GründerSebastian Gaede (Bild), Philipp Legge und Julian Weddige gründeten das Unternehmen Smartpatient Ende 2012 in München. Sie entwickeln die App MyThera­py, die in der iPhone­Version seit dem Frühjahr 2013 auf dem Markt ist.

Das ProblemMangelnde Adhärenz ­ es gibt Schätzungen, dass allein in Europa jedes Jahr 200.000 Menschen früher sterben als nötig, weil sie die vom Arzt verordnete The­rapie nicht konsequent um­setzen. (Zahl: Ascertaining Barriers for Compliance)

Die IdeeDie komplette Therapie an einem Platz – inklusive de­zenter Erinnerungsfunktion zur Einnahme von Medika­menten und für die Messung von Vitalwerten. Jederzeit kann der Patient sehen, wie viele seiner täglichen Aufgaben er bereits erledigt hat – das motiviert. Eine Berichtsfunktion hilft bei der Kommunikation mit dem Arzt, der schnell alle Werte einsehen und die Therapie entsprechend anpassen kann.

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— mHEALTH —

„Neben Medikamenten, die verfallen, ergeben sich längere Therapiezei-ten, ein höherer Behandlungsaufwand und steigende Personalkosten.“

Ältere und Smartphones?Gerade ältere Menschen sind oft von chronischen Krankheiten betrof-

fen. Dass mögliche Berührungsängste dieser Altersgruppe mit Smart-phones immer kleiner werden, ist eines der Ergebnisse einer Studie der Charité-Arbeitsgruppe Alter und Technik in Kooperation mit dem Technologiepartner Smartpatient. „In unserer Pilotstudie mit 30 Se-nioren, die im April 2014 abgeschlossen wurde, zeigte sich eine hohe Benutzerfreundlichkeit der App MyTherapy sowie eine gute Akzeptanz bei den Senioren“, fasst die Medizinerin zusammen. Verbesserungen wurden sowohl hinsichtlich der Medikamentenadhärenz als auch des psychischen Wohlbefindens gemessen.

Auch für die Ärzte ergeben sich viele Vorteile, erklärt Steinha-gen-Thiessen. „Der Arzt erhält durch den Therapie-Assistenten eine komprimierte Übersicht über die Daten seines Patienten, ohne umfang-reiche Akten durchsehen zu müssen.“ Alle relevanten Daten sind auf einen Blick zu erkennen. „Dadurch sind eine präzise Verlaufskontrolle

und Zeitersparnis möglich“, sagt die Spezialistin für Geriatrie. „Von den Senioren, die an der Studie teilge-nommen haben, haben wir sehr gutes Feedback bekommen, über die Hälfte der Teilnehmer gab am Ende der Stu-die an, die App auch in Zukunft wei-ternutzen zu wollen.“ Weitere Studien sind geplant.

„Wir sind keine dezidierte Al-ten-App“, betont Unternehmer Gae-de, „aber für die Entwicklung ist es wichtig, dass sie einfach und intuitiv zu bedienen ist.“ 40 Prozent der My-Therapy-Nutzer sind älter als 50 Jah-re. „Von wegen, Ältere nutzen keine Smartphones: Das wächst sich erstens heraus – und wenn die irgendetwas mit Internet nutzen, dann sind das Smartphones, einfacher wird‘s nicht.“

Weniger Stress dank mobiler AssistenzBarbara N. jedenfalls will auf ihren digitalen Therapiebegleiter nicht

mehr verzichten. Hätte sie MyTherapy nicht, müsste sie ständig auf die Uhrzeit achten, stets sicherstellen, ihr analoges Therapie-Tagebuch nicht zu vergessen, das Smartphone hat sie ja ohnehin dabei. „Dieser Stress fällt weg, denn ich werde ja erinnert.“ Fast stolz berichtet sie von der neu-en Art der Kommunikation in der Praxis. „Wenn ich zu anderen Ärzten gehe und dann nach Medikamentenlisten gefragt werde, dann zücke ich mein Smartphone und sage, da, können Sie lesen, da ist alles drin, das kann man ausdrucken.“ Jetzt ist auch dieser Arzt von der App begeistert. „Das ist schon superpraktisch, ich bin richtig glücklich damit.“ ¬

AktuellesIm Mai startet die Charité zusammen mit Smartpatient eine weitere Studie, in der die MyTherapy App als Therapiebegleiter für Diabetiker einsetzt werden soll. Seit Mitte April ist die Applikation auch in der Android Version erhältlich. Fo

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„Ich bin mir sicher, dass sich die Verwendung von Apps durch-setzen wird und

wir in einigen Jah-ren in vielen The-rapieformen ganz selbstverständlich auf mobile Appli-kationen zurück-greifen werden.“

Elisabeth Steinhagen­Thiessen,

Charité

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am 23. und 24. September 2014 im Hotel Grand Elysée Hamburg

11. Gesundheitswirtschaftskongress

Veranstalter: WISO HANSE management GmbH

Anmeldung und Informationen unter:

www.gesundheitswirtschaftskongress.de

„Medizin 4.0: Sind Menschen doch Autos?“ ist ein heißes Thema, das auf dem diesjährigen GESUNDHEITSWIRTSCHAFTSKONGRESS diskutiert wird. Darüber hinaus stehen die Themen Qualitätstrans-parenz, Patientensouveränität, Prozessoptimierung, Kooperations-modelle, Personalmanagement, Finanzierung sowie Prävention und Rehabilitation auf der Agenda.

In seinen mehr als 35 Einzelveranstaltungen thematisiert der 11. GESUNDHEITSWIRTSCHAFTSKONGRESS insbesondere folgende Inhalte:

• Chefs auf dem Karussell: Geschäftsführerwechsel als Vorbote des Strukturumbruchs?

• Industrie als Partner: Was hat der Patient davon?

• Finanz- oder strategischer Investor: Mit wem die Zukunft gestalten?

• Steter Wandel höhlt den Stein: Erfolgreiche Modelle von Systempartnerschaften

• Geld oder Leben: Medizin am Scheideweg?

• Wohnen plus: Immobilienwirtschaft sucht Partner in Gesundheits- und Sozialwirtschaft

• Geld treibt keine Innovationen: Reiche Kommune = bankrottes Krankenhaus?

• Alle planen mehr Patienten: Wie kann das gehen?

• Prävention hat Konjunktur: Inspiriert der zweite Gesundheitsmarkt den ersten?

• Energie & Co.: Infrastrukturexperten an die Front

• Leichter gesagt als getan: Qualität als Maßstab

• Prozesse, Prozesse, Prozesse: Patientenorientierung durch strukturierte Medizin

Wichtige Stichwörter des dies-jährigen Programms sind zudem Compliance, Zukunft der Pfl ege, Social Media, Arbeitsorganisation, Krisenprävention, Ambulantisierung der Medizin, Hemmschuh Gesetze sowie Unternehmenskonzepte.

Gerne informieren wir Sie über Programmankündigungen und Updates der Website des GESUNDHEITS WIRT SCHAFTS KONGRESSES direkt per E-Mail.

Den Newsletter können Sie im Internet bestellen!

am 16. und 17. September 2015 im Grand Elysée Hotel Hamburg

2015

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Spagat zwischen klassischer Medizin und WearablesGötz Welsch ist Mannschaftsarzt der Fußballprofis des Hamburger

Sportvereins und einer der beiden Leiter der UKE-Sportambulanz Ath-leticum, die bei dem Test dabei sein will. Er war sofort begeistert von der App. „Wir haben auf dem Handy unendliche Möglichkeiten, Daten zu speichern und zu transferieren, und man wundert sich, warum man diese nicht auch für die Patienten nutzen kann“, sagt er. „Letztendlich genau in diese Lücke springt die Applikation; für mich ist offensichtlich, dass das für alle Beteiligten ein wahnsinniger Vorteil ist.“

Für Welsch geht es vor allem um mehr Service für seine Patienten, aber auch darum, den Spagat hinzubekommen zwischen der klassi-schen Medizin und der Nutzbarmachung von Körperfunktions-Daten, die von Wearables und Apps erhoben werden. Nicht zuletzt für die Profis

vom HSV kann das besonders interes-sant sein, meint der Sportmediziner. „Das sind junge, aktive Patienten, die sich in ihrem normalen Leben wahnsinnig viel mit ihren Handys beschäftigen, da ist es natürlich gut, wenn man als Arzt die gleiche Form der Kommunikation sowie Datener-fassung und Datenweitergabe nutzen kann.“ Gerade für einen Profisportler ist es wichtig, seine Befunde samt Leistungsdiagnostik stets bei sich zu haben. „Man möchte im Profifußball einen mündigen Sportler, der an sei-ner eigenen Leistungsfähigkeit inter-essiert ist und ständig versucht, diese Leistungsfähigkeit zu verbessern“, sagt Welsch. „Dafür gibt es mit die-sem System natürlich sehr, sehr viele Möglichkeiten.“

Mündige PatientenDas Unternehmen Connected Health ist erst wenige Monate alt. Läuft

alles nach Plan, dann können die ersten LifeHubs Ende des Jahres von den Ärzten im Internet in einem Leasing-Modell erworben werden. Ob dieses Geschäftsmodell funktioniert, wird sich zeigen. Dass das Interesse an der vom Patienten verwalteten Smartphone-Patientenak-te groß ist, ist jetzt schon klar. „Das Feedback ist überragend, denn jeder versteht das Thema, jeder ist Patient“, erklärt Jacubeit. „Die Zeit ist reif, dass die Patienten ihre Gesundheit auf dem Smartphone ha-ben.“ Erstens, weil die technischen Möglichkeiten jetzt vorhanden sind, und zweitens, weil sich die Art der Kommunikation zwischen Arzt und den zunehmend informierten Patienten ändert. „Die Patienten haben die Daten in der Hand und entscheiden, was mit ihnen passiert. Das ist das zentrale Element unseres Ansatzes.“ Und schließlich spielt auch die Politik der Anwendung in die Hände. Sollte der Entwurf des eHealth-Gesetzes so wie er jetzt vorliegt umgesetzt werden, dann könnte LifeTime helfen, die dort geforderte Intensivierung des digitalen Datenaustausches umzusetzen. ¬

Die GründerDer Mediziner und Soft­wareentwickler Johannes Jacubeit hat sich als Arzt, aber auch als Patient oft über altertümliche Über­tragungswege geärgert. Im Herbst 2014 gründete er deshalb Connected Health, erfand die LifeTime App und entwickelte die dazugehöri­ge Hardware LifeHub.

Das ProblemSelten sind Vorbefunde und Patientendaten dort, wo man sie gerade braucht. Für den Arzt ist das nervig, für den Patienten intransparent, für das Gesundheitswesen teuer.

Die IdeePatientendaten und ­doku­mente werden zwischen Arzt und Patient ganz einfach digital ausgetauscht: die Übertragungsbox LifeHub macht ohne den Umweg Internet eine lokale Über­tragung zwischen Smart­phone und Computersystem des Arztes möglich. Auch Daten aus Gesundheits­ und Fitnesstrackern können versendet werden.

mHEALTH IM CHECKLIFETIME

ZukünftigesWeitere Ärzte haben bereits Interesse ange­meldet, sich an der Testphase zu beteiligen. Mittlerweile gibt es auch Gespräche mit Kran­kenkassen.

Die Patientenhistorie ist häufig lücken-haft und intransparent: Von Arzt zu Arzt geschickt, gibt es hier einen

Arztbrief, dort eine CD mit dem Röntgen-bild und dann wiederum eine kurze münd-liche Erläuterung zur künftigen Medikation.

Wenn dann die Vorbefunde zu Hause ver-gessen oder verloren sind, geht die Sucherei los – oder es wird schlicht gleich noch einmal geröntgt, Blut abgenommen oder was auch immer gerade ansteht.

Ärgerlich fand das Johannes Jacubeit, der Gründer des Unternehmens Connected Health und Erfinder der LifeTime App. Immer wieder waren Patienten bei ihm, die sämtliche Unter-lagen zu Hause gelassen hatten. „Das hat mich frustriert, weil von mir erwartet wird, dass ich gute Arbeit mache auf der einen Seite, und ich außerdem auf der anderen Seite auch wüss-te, wie es technisch anders ginge“, erklärt der Arzt, „das hat mich dazu veranlasst, aus der Medizin herauszugehen und zu gründen“.

Die Idee: Das Smartphone, das die Nutzer eh stets mit dabei haben, wird zur Schalt-zentrale für die eigenen Gesundheitsdaten. Bei der LifeTime App geht es um die digitale Übertragung und Speicherung von Patienten-daten und –dokumenten vom Smartphone des Patienten in das Computersystem des Arztes, und umgekehrt. Übertragen wird nicht per In-ternet, sondern lokal per plug´n´play über eine eigens entwickelte kleine Box, das sogenannte LifeHub, die – geht es nach der Vorstellung

von Jacubeit – künftig auf jedem Arztschreib-tisch steht. „Meine Vision ist, die Arzt-Pati-enten-Kommunikation und die Arzt-Patien-ten-Interaktion auf das digitale Niveau des 21. Jahrhunderts zu bringen.“ Und das ganz ohne Cloud. „Datenschutz hat höchste Priorität“, betont der ehemalige Unfallchirurg. Der de-zentrale Ansatz macht den Unterschied. „Wir als Unternehmen haben keinerlei Daten von den Patienten, die sind auf deren Smartpho-nes gespeichert.“

Pilottest am UKE geplantDie für Patienten kostenlose Applikation

kommt in diesen Tagen in die entsprechenden Stores. Dann geht es los mit der ganz prakti-schen Testphase. Sobald letzte datenschutz-rechliche Fragen geklärt sind, soll am Univer-sitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ein Pilottest starten. „Das ist für uns eine Möglich-keit, Medienbrüche zu vermeiden“, erklärte Henning Schneider, CIO des Geschäftsbereichs IT, das Interesse der Klinik. „Wir arbeiten als Stage-7-Krankenhaus innerhalb des Hauses bereits komplett digital, Medienbrüche gibt es dann, wenn Informationen unser Haus ver-lassen oder wir Informationen von außen in unser Haus hineinbekommen.“ Die Kommuni-kation in Richtung Patient oder weiterbehan-delnden Arzt funktioniert immer noch per Fax und Papier. Für Schneider ein weiterer Vorteil: „Datenschutz steht für uns an erster Stelle. Ich muss an den IT-Systemen des Krankenhauses nichts verändern, diese Lösung kann man sehr, sehr einfach integrieren.“

Mobiler Tresor für Gesundheitsdaten

Die App LifeTime des Hamburger Start-up s Connected Health ist noch gar nicht richtig auf dem Markt, da heimst sie schon die ersten Preise ein. Sie scheint eine Marktlücke gefunden, bzw. ein großes Bedürfnis ganz zentral getroffen zu haben –

die digitale Übertragung von Patientendaten und –dokumenten zwischen Arzt und Patient – ganz ohne Internet.

Von Susanne Neumayer­Remter

„Wenn das eHealth Gesetz

umgesetzt wird, wird die Heraus-forderung eine

vernünftige und sinnvoll gesicherte Übermittlung der

Patientendaten sein. Da kann so eine Lösung tat-

sächlich sehr viel Sinn machen.“

Henning Schneider, UKE

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— mHEALTH —— mHEALTH —

lichen Ehre zu treffen: „So muss IT funktio­nieren!“ Was mit dem Blackberry passierte, können Sie sich denken?

Diese Momente zeigen einem immer wie­der, dass Menschen dazu neigen, die eigene Sicht der Dinge als die einzig wahre anzu­nehmen – und dies umso mehr, je spezia­lisierter die eigene Tätigkeit ist. Die IT neigt dazu, nicht den Zweck oder wenigstens den eigentlichen Nutzen oder gar den notwen­digen Spaß im Umgang in den Mittelpunkt zu stellen. Doch auf nichts anderem beruht der Erfolg von Produkten: Sie wollen benutzt werden! Umso zwingender, wenn Kern der Tätigkeit Service und Dienstleistung sind.

Gerade im Gesundheitswesen scheint dieses einfache Prinzip, wenn überhaupt, so doch nur sehr langsam zur Anwendung zu kommen. Dokumentationsorientierte, kom­plexe Systeme, nur nach langer Einarbeitung nutzbar, abgeschottet, kaum Standards … „Jeder bekommt die IT, die er verdient und nachfragt“ – dieser These kann angesichts der lobbyistischen Strukturen und der sys­temischen Intransparenz natürlich leicht zugestimmt werden.

Ich finde dennoch, dass wir, die wir die IT im Gesundheitswesen gestalten, uns nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen. Lasst uns versuchen, ein Strahlen in das Gesicht unserer Anwender zu zaubern. Es scheint nicht allzu schwer, wenn wir zwei Dinge be­herzigen, die Großeltern anscheinend intuitiv richtig machen: 1. zuhören und 2. die einfa­chen Wünsche erfüllen. ¬

Kinder schenken uns mit ihrer begeister­ten, unverfälschten Sicht auf die Welt immer wieder Momente des Nachdenkens. Es sind oft die kleinen Gesten, die die strahlendsten Augen erzeugen.

Etwas Ähnliches ist mir auch einmal mit erwachsenen Menschen im Beruf gelungen. Vor einigen Jahren habe ich im Rahmen mei­ner damaligen Rolle als CIO die IT eines Un­ternehmens standardisiert und mit einem – noch immer eher ungewöhnlich – service­orientierten Ansatz auf unser Business ausgerichtet. Es ging um Verfügbarkeit, Funktionalität (aus Sicht der IT), Stabilität – und Sicherheit. Natürlich durfte auch die Unterstützung des Managements mit Infor­mationen nicht fehlen – der Blackberry war unser Werkzeug.

Ich vergesse den eigentlich stolzen Mo­ment nicht, als ich meiner damaligen Chefin ihr neues Device übergeben wollte. Bevor ich aber dazu kam, winkte sie mich zu ihrem Schreibtisch und reckte mir freudestrah­lend ein weißes, flaches Ding mit einem an­gebissenen Apfel drauf entgegen und frag­te: „Schau, hab ich mir gerade gekauft. Ich kann hier drauf doch auch die Firmen­Mails lesen? Also, die privaten gehen …“ Und es wurde noch schlimmer! Bevor ich klassisch parieren konnte mit „nicht sicher …, inkom­patibel …, fehlende Schnittstellen, ... kein Standard ... etc.“, fing Sie an, mit dem Finger zu wischen, Internetseiten groß und klein zu ziehen – und mich mit einem einzigen Satz, begeistert vorgetragen, tief in meiner beruf­ Ill

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EIN GLITZERN IN DEN AUGEN …

ALADIN ANTIC, CIOKfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantationen e.V., schreibt an dieser Stelle über real existierende Brückentechnologien zwischen Mensch und IT.

MEINUNG

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Martin Kuhrau: IT ist vor allem Psychologie 60Das Leid des Überallseins: Das (Un-)Wesen der IT 66Manfred Criegee-Rieck: AMTS ist Aufgabe des Bundes 68

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Interview mit Martin Kuhrau

Sie haben vor Ihrem Engagement bei der Ategris-Gruppe Krankenhäuser beim Thema IT und Krankenhausinformationssysteme beraten. Was hat Sie zu Ihrem Seitenwechsel bewogen?

Der Hauptgrund war tatsächlich die für mich unbefriedigende Situation, die Projek-te nicht nachhaltig verfolgen zu können. Der Berater analysiert, konzeptioniert, schiebt an und ... ist mit Live-Schaltung des Projektes raus aus selbigem. Das Angebot der Ategris kam, als beide Häuser auf ein Krankenhausin-formationssystem umgestellt waren und eine große Notwendigkeit bestand, dieses Projekt nachzuverfolgen. Wie gesagt, die Nagelprobe beginnt, wenn der Berater geht: Ist das Kon-zept angekommen? Ziehen die Beteiligten mit? Sind alle losen Enden gefunden? Das geht bei einer KIS-Installation nicht beim ersten Wurf auf der ganzen Linie.

Waren das dann auch Ihre ersten Schritte in den Häusern – haben Sie neugierig nach dem Fortgang der Projekte gelugt?

Es war wirklich einer der Gründe, weswe-gen mich Herr Große-Kracht (Anm. d. Red.: Finanzvorstand) eingestellt hat. Anfangs war es meine Hauptaufgabe, Projekte noch einmal hervorzuholen. Schließlich hatte es mal einen Projektplan gegeben, in dem Ziele definiert waren, die – trotz formaler Realisierung der

Projekte – nicht durchweg den Benefit ge-bracht hatten, den wir uns erhofft hatten.

Welcher Zahn wurde Ihnen dann als erster gezogen?

Tatsächlich fand ich es ziemlich ernüch-ternd, dass Projekte, die ich selbst auf die Schiene gesetzt hatte, in den Einrichtungen zum Teil nicht gelebt wurden.

War es in solchen Momenten vielleicht sogar von Nachteil, auch schon vorher die Projekt-verantwortung in dem Haus gehabt zu haben?

Nein, das auf keinen Fall. Für die Mitarbei-ter ist es ein großer Unterschied. Die Vorzei-chen ändern sich komplett.

Auf der einen Seite werde ich als Partner wahrgenommen und bekomme dementspre-chend wesentlich mehr Informationen, als ei-nem externen Berater mitgeteilt werden – wie ich jetzt weiß (lacht). Andererseits wurde vor-her etwas sensibler mit meiner Zeit umgegan-gen. Entscheidend war und ist aber vor allem mein Prozess- und Projekt-Know-how.

Ist es heute zufriedenstellender, in der IT und mit der IT zu arbeiten?

Als ich ankam, dachte ich, ich könnte die Dinge deutlich schneller und besser bewegen, als ich es von außen vermocht hatte. Mein Vorgänger hatte die Themen Infrastruktur und Standardisierung gut im Griff gehabt. Ich hatte also gute Voraussetzungen in den zwei

IT ist vor allem Psychologie

Martin Kuhrau war externer Krankenhaus-IT-Berater, als er das Angebot bekam, die Seiten zu wechseln. Heute ist er IT-Leiter der

Ategris-Gruppe, die früher sein Kunde war, und sorgt persönlich für die Nachhaltigkeit seiner Projekte und die IT-Strategie der ganzen Gruppe. Der Beweis: eine vollständige elektronische Patientenakte

inklusive Medikation und PDMS.

Von Claudia Dirks

Funktion: IT­Leiter/CIOEtage: 1. UGMitarbeiter: 16Schritte bis Vorstandsbüro: 7 km, gefühlt 10 SchritteSitz im Vorstand: Ich selber? Nein.Lieblingsspruch eines Nicht-ITlers: „Ich habe nichts gemacht!“Lieblingsgadget: Geocaching/Fitness­APP

MARTIN KUHRAU

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— MEINUNG —

KON

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Häusern gefunden, um das Thema Prozessent-wicklung in Angriff zu nehmen. Aber das hat schon an manchen Stellen Aktivierungskraft gekostet.

Gab es ein Versprechen, das Sie sich vom Vor-stand haben geben lassen?

Nein, eigentlich nicht, wir kannten uns ja schon gut. Ich hätte mich sicher anders ent-schieden, wenn es kein konfessioneller Träger gewesen wäre. Die Spielräume, Dinge anders zu entscheiden, sind überall sehr, sehr klein, aber in einem konfessionellen Haus werden doch noch mal andere Schwerpunkte gesetzt.

Am Ende ist es immer eine große Vertrau-ensfrage – egal, ob in Richtung Vorstand oder

in Richtung Anwender; wenn sich Menschen verstehen wollen, finden sie auch einen Weg, die Arbeit gemeinsam zu meistern. Auch IT ist eben manchmal vor allem Psychologie.

Inwiefern unterscheidet sich Ihre Herange-hensweise grundsätzlich von der Ihrer Amts-kollegen in anderen Häusern?

Das möchte ich aus der Entfernung gar nicht bewerten. Was ich hier stärker fokus-siert habe, ist der Service-Gedanke, und ein Projektmanagement im Alltag zu etablieren. Zum einen typische IT-Themen wie SLA’s, Ticketsystem, Stabilität und Performance, zum anderen typische Beraterthemen wie Prozess-Know-how, Projektmanagement und Dialogbereitschaft. Es muss ja nicht alles jeder können, aber wir sind innerhalb meiner Abtei-lung mittlerweile wirklich gut aufgestellt.

Wie halten Sie heute die Nachhaltigkeit der Projekte hoch?

Nachdem wir uns alle Projekte noch ein-mal angeschaut hatten, wurden sie anhand der Hausstrategie priorisiert und erneut an-gegangen. Heute haben wir ein Review-Pro-zedere mit fest installierten Prozessen – nach 18 Monaten wird neu bewertet, wo wir stehen und wo nachjustiert werden muss. Gar nicht aufwendig, aber ein guter Schulterblick.

Wie sieht das Feedback der Anwender aus?Wir bemühen uns um Standardisierung

und Effizienz von Gesamtprozessen. Von daher bekommen wir häufig nur eine Reaktion, wenn es für jemanden persönlich etwas „holperig“ läuft. Manchmal läuft aber auch etwas beson-ders gut, dann melden sich Anwender auch.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit beider Häuser mit der IT, wenn es um eine trägerwei-te Prozessstandardisierung geht?

Wir haben keine häuserübergreifenden Ar-beitsgruppen. Wir entwickeln in einem Haus und rollen dann – im Konsens – die Lösung auch im anderen Haus aus. Am Ende sind die Unterschiede ja meist gar nicht so groß. Es ist eher die Hemmschwelle zu sagen, dass auch okay ist, was andere entwickelten. Aber natür-lich laden wir immer Key-User aus dem jeweils anderen Haus ein, bei den Besprechungen da-bei zu sein, damit das Entstehen schon vorher verstanden und mitgedacht werden kann.

„Mein Ziel ist es, durch die IT den Mitarbeitern 80

Prozent der Stan-dardaufgaben so

zu erleichtern, dass sie diese mit

20 Prozent des Aufwandes ab-

wickeln können.“

MARTIN KUHRAU, CIO, IST AUF DER HUT vor sich ausschleichender Begeisterung für eigentlich erfolgreich umgesetzte IT­Projekte bei der Ategris­Gruppe. Der Alltag ist der größte Feind des Besseren.

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— MEINUNG —

Letztes erfolgreiches Projekt?Wir haben jetzt gerade, nach fast fünfjähri-

ger Vorarbeit, nicht nur die Intensivstationen in Mülheim zusammengelegt, sondern ihnen auch noch ein PDMS auf den Leib geschnei-dert. Ein Kraftakt für alle Beteiligten, aber es hat sich wirklich gelohnt.

Klingt, bei dem Vorlauf, nach einer strategi-schen Entscheidung – wann wurden Sie für das Projekt hinzugezogen?

Mein Job ist es ja, den Abläufen ein wenig voraus zu sein. In der Ategris ist ein Leitungs-team direkt unter dem Vorstand installiert, das sich sehr regelmäßig trifft und sowohl operative als auch strategische Themen be-arbeitet. Ich werde nur noch ganz selten von etwas überrascht. Zusammenlegung und PDMS-Entwicklung wurden parallel gedacht und umgesetzt.

Solche Treffen helfen sicherlich auch, für die zunehmende Konvergenz, die in der IT aufschlägt, um Verständnis zu werben. Ist Ihr Redeanteil im Leitungsteam in den ver-gangenen Jahren stark angewachsen und be-obachten Sie ein verstärktes Mitdenken der Kollegen aus den anderen Abteilungen?

Das ist tatsächlich viel besser geworden be-züglich des Teams, krankenhausweit sind wir auf einem guten Weg.

Welche Erwartungen hat Ihr Chef, Finanz-vorstand Martin Große-Kracht, von seinem IT-Leiter beziehungsweise welche Vorstellun-gen von dem Nutzen der IT an sich?

Natürlich erwartet er, dass wir die Kernpro-zesse im Griff haben. Aber er hat schon auch ein Verständnis davon, dass IT hilft, die Unter-nehmensziele zu erreichen.

Und ich meinerseits komme nicht mit den alten Totschlagargumenten wie Sicherheit, Risiko und Datenschutz, sondern gebe ganz klare Kostenkalkulationen und begründete Optimierungsspekulationen ab. Natürlich ist so eine Arbeitshypothese eine Näherung, aber sie ist überprüfbar und das Projekt kann daran gemessen werden.

Welchen Nutzen muss die IT aus Ihrer Sicht in einem Krankenhaus vor allem erfüllen?

Na, im Idealfall macht die IT einen Prozess besser. Doch im Zweifelsfall entscheidet sich

der IT-Leiter eben gegen den Medienbruch, wenn die IT-Lösung auch funktioniert.

Aber darüber hinaus ist unsere Abteilung wie ein Service-Dienstleister aufgestellt, für das Krankenhaus und seine Mitarbeiter. IT ist ja wirklich nur ein kleiner Baustein innerhalb des Unternehmens.

Mein Ziel/meine Vision ist es: Durch IT-Un-terstützung den Mitarbeitern die 80 Prozent der Standardaufgaben im Krankenhaus so zu erleichtern, dass sie diese mit 20 Prozent des Aufwandes abwickeln können. Nur so ist es möglich, sich den erforderlichen Spielraum für die nicht standardisierbaren, aufwendigen und anspruchsvollen Aufgaben im klinischen Alltag zu erarbeiten. Mit unserer vollständigen elektronischen Patientenakte sind wir auf ei-nem guten Weg dahin, PDMS und Medikation inklusive.

Dann hat Sie das neue MDK-Prüfverfahren nicht in Hektik versetzt?

Das stimmt leider so nicht ganz, wobei Hektik übertrieben wäre. Noch haben wir aber ja auch noch ältere Papierakten, mit de-nen wir uns auseinandersetzen müssen. Un-ser aktuelles Problem ist es, heute alles in der KIS-Datenbank zu haben, was morgen gerne jemand einsehen möchte. Wir haben also eine Projektgruppe „Dokumente an Dritte“, die die relevanten Daten in einer druckbaren Fallakte zusammenfasst.

Was löst das Thema Mobility im Krankenhaus bei Ihnen aus?

Damit haben wir leider zu einem Zeitpunkt angefangen, als es noch keinen Spaß gemacht hat. Davon übrig geblieben sind die mobilen Visite- und Pflegewagen, die wir in jeder Aus-führung sehr intensiv einsetzen; aber irgend-wann gehen wir das Thema sicherlich wieder intensiver an. Unser KIS-Anbieter bietet ja auf Basis von iOS-Geräten eine hoch integrierte Lösung. Wir werden hier intensiv testen, aber Mobilität ist nicht zwangsläufig ein Garant für saubere Prozesse.

Für welche IT-Projekte holen Sie sich heute noch Berater ins Haus?

(lacht) Für IT-Projekte tatsächlich gar nicht mehr. Na gut, mit einer Einschränkung: SAP. Aber das wird wohl auch noch auf lange Sicht so bleiben. ¬

ARBEITGEBER

Zu Ategris­Gruppe gehören das Ev. Krankenhaus Mülheim und das Ev. Krankenhaus Oberhausen, mit jeweils 602 beziehungsweise 521 Betten. Insgesamt werden hier mehr als 42.000 Patienten stationär und weit mehr als 100.000 Patienten ambulant versorgt. Darüber hinaus umfasst die gesamte Unternehmens­gruppe ein MVZ, Senioren­ und Pflegeheime, eine ambulante Diakonie, ein Hospiz, ein eige­nes Bildungsinstitut sowie wei­tere Servicegesellschaften mit insgesamt 2.900 Mitarbeitern.Fo

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— MEINUNG —— MEINUNG —

So wie unser aller Alltag ohne IT nicht mehr vorstellbar ist, so ist der Betrieb eines Krankenhauses ohne sie eben-falls nicht denkbar. Sie � ndet sich über-all – nicht nur im Computer. Das Leid der IT ist ihr Überallsein.

DAS (UN-)WESEN

ITDERCYBERKRIMINALITÄT

LEHRE

DATENSCHUTZ,

FORSCHUNG &

Daten erheben, verar-beiten, verschlüsseln, verschicken, Schlüsse ziehen, Studien betreu-en – und zwar häuser-übergreifend ... „Hallo, Herr IT-Leiter, wir haben da ein Problem!“.

Der Supermarkt kann es schon. Ein soft-warebasiertes Zählsys-tem löst Bestellungen jeglicher Art aus, wenn eine kritische Menge unterschritten wird.

Wo fi nden sich Geräte, Betten, etc. – manch-mal lassen sich solche Dinge mithilfe von soft-waregesteuerten Or-tungssystemen wieder-fi nden.

LOGISTIK

DIE IT AN SICH

EINKAUF

Der IT-Leiter macht jeden Tag eine Gratwanderung zwischen „Sicherheitslücken schließen“ und „wissenschaft-liches Arbeiten trotz aller Widerstände ermöglichen“. Darüber hinaus: Abschirmen, Dokumentieren, Fahnden und regelmäßige Reports an den Landes-datenschutz.

Abrechnungsrelevan-te Unterlagen müssen elektronisch an die Kas-sen übermittelt wer-den, sonst bekommen sie kein Geld – Scannen, Einpfl egen, Ablegen: die elektronische Pa-tientenakte trägt die IT praktisch im Wort(sinn).

Die meisten Anrufe, Be-schwerden, Nachfragen gelten bestehenden IT- Systemen. Ach ja, die Telefonanlage läuft üb-rigens ebenfalls über die IT.

?!!!

Die quer durch das KH dokumentiert, verschickt und gepfl egt werden müssen; Aufnahme, Sta-tion, Labor, OP, Patholo-gie, Intensiv, Station, Ent-lassung.

Die Wiege der IT im deut-schen Krankenhaus.

Licht, Lüftung, Heizung, Wasser, ... gesteuert über Software.

In den heutigen Groß-geräten wie MRT, CT oder Ultraschall nimmt die Software immer mehr Platz ein – wird ein Gerät angeschafft, sollte die IT mindes-tens informiert werden ... – oft passt die veralte-te Software nicht in das Sicherheitskonzept des IT-Leiters.

LEITTECHNIK

DIENSTLEISTERMEDIZINTECHNIK

PATIENTENDATEN

GEBÄUDE-

CALLCENTER

SCAN-

ADMINISTRATION

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Illustration: Nina Eggemann

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— MEINUNG —— MEINUNG —

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Interview mit Manfred Criegee-Rieck

Ist es nur mein Eindruck oder gibt es beim Thema Arzneimit-teltherapiesicherheit (AMTS) tatsächlich gerade ein bisschen mehr Bewegung als in den ver-gangenen Jahren?

Ja, durchaus ist durch die ver-schiedenen Fördertöpfe – ein-mal auf Bundesebene, aber auch durch die Förderung regionaler Medikationspläne – ein kleiner Schwung in das Thema AMTS gekommen.

Sie sind dem Thema seit langen Jahren als Sprecher der AG Arz-neimittel-Informationssysteme/Patientensicherheit der GMDS verbunden, klingen dennoch nicht ganz so euphorisch, wie sich vermuten ließe – was stört Sie?

Ganz so schlimm ist es nicht. Sie haben Recht, es ist endlich mal ein Schritt in Rich-tung praktizierter Verbraucher- und Patienten-

schutz und das ist durchaus lobenswert. Tatsächlich störe ich mich jedoch an den vielen handwerklichen Fehlern, die nachweislich auftreten und nicht immer in den Details stecken. Ich befürchte, wir vertun hier Chan-cen, die später nur schwer einzu-holen sein werden.

Zum Beispiel?Zum Beispiel haben wir hier klassische

Zielkonflikte der beteiligten Akteure für den Medikationsplan. Die Arzneimittelkommissi-on der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) wollte

ursprünglich ganz pragmatisch erreichen, dass der Patient ein Papier mit all seinen Me-dikamenten und Handlungsanweisungen zur Einnahme dieser risikobehafteten Produkte in die Hand bekommt. Der jeweils behan-delnde Arzt hätte somit einen schnellen Ge-samtüberblick. Sehr gebrauchstauglich und dem Alltag, vor allem bei älteren Mitbürgern, durchaus angemessen.

Ein weiteres Ziel ist jedoch die zwischen den Heilberufen kommunizierbare Form des Medikationsplans, und diese kann meines Erachtens nur elektronisch sein. Und hier nun stehen wir vor dem Problem, oder nen-nen wir es Herausforderung, eine kompatible, das heißt allgemein anerkannte Darstellung für Kommunikationsinhalte zu finden. Ohne solche Standards, die alle anmahnen, aber zu denen sich niemand durchringen kann, kocht jeder seine eigene Diversität in der Übermittlung von In-formationen, die letztendlich über das Wohl unseres Pati-enten entscheiden.

Wer sollte denn hier in die Verantwortung für den Pati-enten gehen?

Der Patientenschutz soll-te Aufgabe des Bundes sein. So etwas kann nicht dele-giert werden und es hilft auch nicht, zu hoffen, dass sich hier jemand hervortut. Nehmen wir hier doch ein Beispiel aus unserem Alltag: Verkehrssicher-heit. Wir haben (mindestens) einen deutsch-landweiten Standard, um Verkehrssicherheit zu generieren. Hierzu wurden verbindliche Regeln und eine einheitliche Bildsprache aufgestellt, an die sich die Autohersteller, die Schilderdesigner und auch die Autofahrer zu halten haben – im Sinne einer zuverlässigen Kommunikation und damit der Sicherheit ei-nes jeden Bürgers. Bei den AMTS-Projekten, die ich kenne, suchen Sie so einen fundamen-talen Handlungs ansatz vergeblich.

Verstehe. Warum übernimmt also niemand die Verantwortung für die Patienten? Welche Gründe gibt es dafür?

Ich glaube, dass sich der Gesetzgeber nicht in der Lage sieht, Standards und Verantwort-

liche zu benennen. Zum einen ist das Thema nicht trivial und es stecken große Interessen-verbände dahinter, dennoch denke ich, dass es genau hier an der richtigen Stelle aufgehängt wäre. Aber schauen Sie sich das Desaster mit der elektronischen Gesundheitskarte an: Nach den Todesfällen zu Lipobay wollte man Informationslücken zur Dokumentation von Arzneimitteleinnahmen schließen. Es war alles drin im Paket und es hat sich bis heute nichts getan.

Womit denn dann jetzt anfangen?Na, es wäre ein schöner Anfang, wenn bei-

spielsweise in Ausschreibungen oder bei Mit-telvergabe die Verwendung oder Anpassung von IHE- oder HL7-Standards als Mindestvo-raussetzung verstanden würde. Damit kön-nen dann Schritt für Schritt und bundesweit

verbindliche Regeln für com-putergestützte Sicherheit bei einer medikamentösen Thera-pie gebaut werden.

Okay, die Politik sieht sich selbst nicht imstande hier Vorgaben zu machen, ver-schiedene Verbände haben verschiedene Interessen – spielen wir einmal grüne Wiese, wer sollte sich des Themas Arzneimittelsicher-heit annehmen?

Eine schöne Frage (lacht). Gehen wir mal davon aus, wir

haben eine kompetente Patientenorganisation, die neben den Interessen vor allem auch die medialen Anforderungen des Patienten im Blick hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein digitaler Umbruch stattfindet, der nicht nur das altbewährte Papier infrage stellt, sondern vielfach Unternehmen überflüssig macht, die Kundenwünsche ignorieren. Unser Kunde ist stets der Patient!

Dann bedarf es einer unabhängigen Ein-richtung, die die computerimplementierbaren Anforderungsdefinitionen ausarbeitet und einschätzen kann, welche Gesundheits- und Medienkompetenz dem Patienten zugespro-chen werden kann. Und eventuell gibt es dort jemanden, der wie Steve Jobs bei Apple ähnlich eindrucksvoll die Bedürfnisse der Kunden antizipiert.

AMTS-SESSION/ EHEALTH SUMMIT GERMANY

Dr. Manfred Criegee-Rieck, Sprecher der AG Arzneimittel­Informationssysteme/Patientensicherheit der GMDS, moderiert auf dem ersten eHealth Summit Germany am 12. Juni 2015 im City Cube Berlin die Session:

AMTS: Der unbehandelte Skandal – Prof. Dr. Walter Haefeli, Prof. Dr. Wolfgang Rascher, Dr. Guido Noelle, Dr. Dr. Kristian Löbner ....

Lesen Sie dazu auch: Europäische Standards – Ein Ja zur Patientensicherheit Seite 18

Medikationssicherheit ist Aufgabe des

BundesManfred Criegee-Rieck ist Sprecher der AG Arzneimittel-Informationssysteme/Patientensicherheit der Deutschen

Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS) und mahnt einen bundesweit koordinierten Ansatz beim

Thema Arzneimitteltherapiesicherheit an. Denn davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt.

Von Claudia Dirks

MANFRED CRIEGEE-RIECK , IT­Leiter am Standort St. Marienwörth der Franziskanerbrüder vom Heiligen Kreuz, und Sprecher der AG Arzneimittel­Informationssysteme/Patientensicherheit der GMDS

„Aber schauen Sie sich das Desaster mit der eGK an:

Es war alles drin im Paket und es

hat sich bis heute nichts getan.“

Funktion: Stabsstelle ITK des Vorstands mit Aufgaben eines CIO und CTO Etage: VorstandsetageMitarbeiter: 8Schritte bis Vorstandsbüro: 10Sitz im Vorstand: NeinLieblingsspruch eines Nicht-ITlers: Wo war noch mal diese Any­Key Taste? Lieblingsgadget: Meine Pebble.

MANFRED CRIEGEE-RIECK

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In dieser Ausgabe

Ascom: Zeiteinsparungen und höhere Effizienz sind der größte Gewinn

Cerner: Gesundheit im Wandel: Population Health stellt die Bedürfnisse des Menschen in den Mittelpunkt

Intersystems: Gestatten: Dr. med. Smart Data

KMS: Stark durch (digitale) Vernetzung – so funktionieren Gesundheitsregionen

medavis: Verbesserter Workflow und Ressourcen einsatz zahlen sich aus

MSD: Digitale Angebote erhöhen die Patienten sicherheit

Nuance: MDK-Prüfverfahren verschärft: Den Druck im Vorfeld abfedern. Aber wie?

SAP: Big Data goes Klinik: IT-Tools für die personalisierte Medizin

Philips: Keine Studie über drei Sekunden: IntelliSpace PACS – Arbeiten ohne Wartezeit

Nachrichten, Ansichten und Einblicke direkt aus der innovativen Healthcare Branche.

Ein Sonderteil der 42 Nº5

Juni 2015

Der Nachrichtendienst der Industrie healthtechwire.de

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— MEINUNG —

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Der dritte Teil wird nun der Industrie überlassen – Standards zu entwickeln und flächig umzusetzen, die dann im Gegenzug aber mehr Si-cherheit haben, dass sie nicht wieder für den Papierkorb entwickelt werden.

Das scheint erst einmal so, als könnte mit so einer Struk-tur gearbeitet werden!

Ja, was aber uns Deut-schen vielerorts fehlt, ist eine klare Fokussierung auf das übergeordnete Ziel, und es fehlt der zentrale Ansatz, diese Projekte zu steuern. Wir konzentrieren und dis-kutieren jeden einzelnen Teilschritt – letztendlich auch ohne zu wissen, ob dieser überhaupt eine Relevanz für den Erfolg des Gesamtprojek-tes haben wird.

Wir reden vielleicht von Globalisierung; nur wenn es wichtig wird, dann denken und handeln wir sehr lokal. So gibt es nicht nur in England weg-weisende Vorarbeiten zur computergestützten Arzneimitteltherapiesicherheit, die jedoch nie-mand im deutschen Sprachraum heranzieht und nutzt.

Ja, aber jetzt könnte ich ja sagen, das ist doch ein sehr schöner Anfang – vor allem ist es im Vergleich zu Null ein Riesenschritt.

Da bin ich anderer Meinung. Wir brauchen ein bundesweites Programm zur Digitalisie-rung in Gesundheitsfragen. Wir, als Bevölke-rung, sind zunehmend mobil. Von einem pa-piernen Medikationsplan profitieren einfach nicht ausreichend Bürger und aktuelle Digi-talversionen haben ernste Sicherheitsmängel!

Darüber hinaus ist die Zementierung par-tikularer Standards naturgemäß extrem kon-traproduktiv, wenn es eigentlich um die Syn-chronisation von therapierelevantem Wissen zwischen IT-Systemen gehen sollte.

Welchen Einfluss können Sie als IT-Leiter ei-nes konfessionellen Trägers auf das Thema AMTS im eigenen Haus nehmen, bei einem

Träger, der dem Patienten-wohl in besonderer Weise verpflichtet ist?

Es ist leider so, dass das Thema Arzneimitteltherapie-sicherheit auch in unseren Häusern kein umfänglich di-gital durchsetztes Thema ist. Den eingesetzten Systemen fehlt auch heute noch vor allem die Benutzerfreund-lichkeit und ein hersteller-seitig abgestimmtes Konzept zur systemübergreifenden Informationsübertragung. Als IT-Fachkraft im Gesund-heitswesen bekomme ich oft zu hören, dass Informati-onstechnologie unvereinbar, bürokratie-förderlich und unbefriedigend sei – es gibt dankbarere Aufgaben als neue Systeme zu implemen-tieren. (lacht)

Aber, wenn wir davon aus-gehen, dass solche Systeme

sehr hilfreich in der Behandlung multimor-bider Patienten sind, dann sollte ein solches Ansinnen doch Chefsache sein?

Da treffen Sie einen wunden Punkt. Der Ausdruck „gefühltes Wissen“ kommt der Wahrheit in diesem Umfeld leider sehr nahe. Natürlich gibt es Studien, wie die in Freiburg und Hamburg, wo die Digitalisierung des gesamten Medikationsprozesses ein hervor-tretendes Ergebnis gegenüber allen anderen Ablaufformen erzielt; die Wahrheit ist jedoch, dass die Datenlage sehr dünn ist und verein-zelt erzielte Fortschritte nicht unreflektiert übertragbar sind. Kennzahlen für das Manage-ment als Grundlage für Entscheidungen oder Beschaffungen existieren im Grunde gar nicht.

Eine Zeit lang dachte ich, es könnte die Ver-sicherer kümmern. Wie in den USA, wo Bei-träge zur Haftpflichtversicherung eines Kran-kenhauses entscheidend beeinflusst werden können, indem unterstützende Informations-technologien zur Schadensvermeidung in The-rapieprozessen nachgewiesen werden. Aber nein, skandalöserweise spielt Arzneimittelthe-rapiesicherheit im deutschen Gesundheitswe-sen eine gänzlich untergeordnete Rolle! ¬

AMTS: EIN UNBE HANDELTER SKANDAL

Nach Schätzungen sterben jährlich etwa 16.000 Bun­desbürger vom Kleinkind bis zum hochbetagten Mitbürger an den Folgen ihrer Arznei­mitteltherapie. Die Dunkelziffer dazu bzw. die im Vergleich erfahrungsgemäß größere An­zahl gesundheitlicher Schäden ohne Todesfolge dürfte um ein Vielfaches höher liegen.

Viele Auslöser und Ursa­chen, wie der Fehler bei einer Verordnungsentscheidung, die Regelübertretung bei der sachgerechten Anwendung des Medikaments oder die Missachtung eines Thera­piegrundsatzes, sind bekannt und verstanden. Damit einher geht ihre prinzipielle Ver­meidbarkeit. Trotzdem sind etwa 5 Prozent aller Kran­kenhauseinweisungen allein darauf zurückzuführen und bei älteren Personen ist diese Zahl laut Untersuchungen mehr als doppelt so hoch. Auch die Überzeugung, dass Kinder klei­ne Erwachsene sind, hält sich hartnäckig, und führt dazu, dass viele stationär behandel­te Kinder Arzneimittel nicht regelkonform erhalten. Neben zusätzlichen Behandlungskos­ten kann vermeidbares Leid die Folge sein.

Es sollte also ein gesell­schaftspolitisches und volkswirtschaftliches Interes­se an der Behandlung dieses Problems geben. Engagierte Protagonisten, stationär und ambulant, beweisen, dass es Lösungen gibt – lokal und regional. Lediglich die nationale Ebene hat hier Nachholbedarf. Spielt Arzneimitteltherapiesi­cherheit damit im deutschen Gesundheitswesen eine unter­geordnete Rolle?

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„Der Patientenschutz

sollte Aufgabe des Bundes sein. So

etwas kann nicht delegiert werden, und es hilft auch nicht, zu hoffen,

dass sich hier jemand besonders hervortun wird.“

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Warum ist der klinische Workflow so wichtig?NG. Das Gesundheitswesen ist eines der komplexesten organisatorischen Syste-me. Es umfasst operative und finanzielle Aspekte, Informationsströme, Logistik und Personalplanung. Was künftig noch weit deutlicher zu spüren sein wird, zeich-net sich heute bereits ab: Es herrscht ein Mangel an Ressourcen wie Geld und Per-sonal, während gleichzeitig der Pflegebe-darf wächst und immer höhere Qualitäts-ansprüche umzusetzen sind. Das bedeutet, die Gesundheitssysteme müssen kontinuierlich daran arbeiten, die Effizienz ihrer Organisatio-nen zu optimieren.

Welches sind die Schlüsselfaktoren für einen effizienten klinischen Workflow?NG. Im Idealfall ist alles daraufhin optimiert, dem Patienten einen Mehrwert zu bieten, also ein besseres Therapieergebnis. Jede Ak-tivität und alle Ressourcen müssen mit dem Ziel organisiert werden, das Therapieergebnis zu verbessern, indem man zeitgerecht und evi-denzbasiert die bestmögliche Pflege bereitstellt. Wenn wir den zu-grunde liegenden Workflow betrachten, gibt es darin beispielsweise administrative Aufgaben. Sie sind mit praktischen und logistischen Fragestellungen verbunden, beispielsweise: Wie befördere ich Arz-neimittel, Informationsdateien oder Essen von A nach B? Und es gibt einen intensiven Informationsaustausch, bei dem oft sehr viel Zeit ver-schwendet wird. Eine relativ einfach umsetzbare Lösung ist hier der Einsatz digitaler Systeme und mobiler Kommunikationsgeräte in den verschiedenen Abteilungen.

Wie können klinische Arbeitsabläufe verbessert werden?NG. Mit einem Dashboard-Management System stehen Ihnen im Ide-alfall sämtliche Informationen über Ausstattung, Personal und Patien-ten zur Verfügung, also über deren aktuellen Standort und Status. Sie wissen jederzeit, wie Sie Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Aktivitä-ten für die verschiedenen Elemente des Workflows zuweisen können. Mobile Technologieplattformen und Geräte wie beispielsweise Ascom Myco machen diese Informationen jederzeit und überall verfügbar.

Wie verbessert Ascom Myco klinische Arbeitsabläufe?RO. Ascom konzentriert sich im Gesund-heitswesen auf drei Bereiche: Reduzierung der Alarmmüdigkeit, mobile Verfügbarkeit von Informationen und Verbesserung von Arbeitsabläufen. Das Kommunikations-konzept Ascom Myco spielt hierbei eine wichtige Rolle – d.h. mit Hilfe unserer Soft-ware UNITE und einem spezialgefertigten Smartphone werden Informationen und Services ortsunabhängig und sicher ver-

fügbar sein. Dabei werden natürlich auch andere Krankenhaussysteme und medizinische Geräten integriert. Die patientenzentrierte Software erlaubt es einer Pflegekraft, schnell und effizient die an sie gerichteten Alarme von Patienten einzusehen. Nur die relevanten Informationen werden angezeigt, was einer Alarmmüdigkeit und Informationsüberlas-tung entgegenwirkt. Zweitens stellt das System die Integration mit Pa-tientenmonitoren, Schwesternrufsystemen, dem Labor, der Radiologie und elektronischen Patientenakten sicher. So kann die Pflegekraft auf ihrem Weg alle relevanten Informationen empfangen und abrufen. Ein drittes Ausstattungsmerkmal ist das Barcode-Scanning für die sichere, effiziente und einfache Zuordnung von Informationen zu den richtigen Patienten ohne Eingabe der Patientendaten.

Macht sich der Einsatz dieses Systems bezahlt?RO. Es macht sich vor allem in Form von Zeiteinsparungen, Effizienz-verbesserungen und der Reduzierung potenziell kostspieliger Fehler bezahlt. Der verbesserte Informationsfluss entlastet außerdem die Pfle-gekräfte und lässt ihnen mehr Zeit für eine Patientenversorgung ohne Zeitdruck, was wiederum zufriedenere Patienten zur Folge hat. Diese praktischen Vorzüge werden zu besseren Therapieergebnissen führen und das Krankenhaus für Patienten attraktiver machen.

Vor kurzem hat Ascom mit Ascom Myco eine neue Lösung für integrierte intelligente Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen vorgestellt. In diesem Interview spricht Nick Guldemond, Extraordinarius am Universitätsklinikum Utrecht, über die Bedeutung eines intelligenten und effizienten Workflows in Krankenhäusern. Roel Ottink, Director Product Management und Marketing, Ascom, erklärt, mit welcher Funktionalität Ascom Myco die Optimierung von Arbeitsabläufen rund um Pflegepersonal und Patienten anstrebt.

ZEITEINSPARUNGEN UND HÖHERE EFFIZIENZ SIND DER GRÖSSTE GEWINN

Ascom Wireless Solutions Gunny Kron+46 31 55 94 [email protected]

Roel Ottink Ascom

Nick Guldemond Umc Utrecht

Welche Vision steckt hinter Population Health Management?Die Medizin der Zukunft ist individueller und fokus-siert auf die Bedürfnisse einzelner Patienten oder Gruppen. Nur so, das ist unsere Überzeugung, kann die Gesundheitsversorgung verbessert wer-den. Erst wenn wir es schaffen, Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen aktiv zu managen und Behandlungsteams mit den richtigen medizinischen Informationen und Patienten zusammenzubringen, haben wir die Voraussetzung für eine nachhaltige, hochwertige und dennoch bezahlbare Gesund-heitsversorgung.

Mit welchen Lösungen unterstützt Cerner das Population Health Management?Mit unserem Portfolio begleiten wir Gesundheitssysteme dabei, den Weg von fragmentierten hin zu ganzheitlichen Versorgungsmodellen zu gehen. Dazu haben wir in den letzten fünf Jahren in unsere Popu-lation Health Management-Plattform namens HealtheIntent investiert. HealtheIntent nutzt neue skalierbare Big Data Technologien und ist un-abhängig von klinischen Informationssystemen einsetzbar. Mithilfe der Plattform aggregieren, transformieren und vergleichen Versorgungs-anbieter die Daten von Patienten und erhalten eine Langzeit-Patienten-akte. Anhand der Daten können sie proaktiv auf die Bedürfnisse von Patienten reagieren. Für die Bevölkerung kann so eine hochwertige und nachhaltige Versorgung angeboten werden.

Sind Ihre Lösungen schon irgendwo „live“? Unsere Population Health Lösung unterstützt beispielsweise bei Ad-vocate Physician Partners in Chicago die größte Accountable Care Organisation in den Vereinigten Staaten seit 10 Jahren dabei, bessere Behandlungsergebnisse und Kostenreduktionen zu erzielen. Momen-tan implementieren wir 18 neue klinische Netzwerke weltweit. In 2015 wollen wir HealtheIntent in Europa aufbauen und Länder beim Wechsel zu Patienten-zentrierten Versorgungsmodellen unterstützen.

Welche Länder sind Ihrer Meinung nach schon bereit für Population Health Management?In Spanien gibt es bereits sogenannte „Accountable Care Organisa-tionen“, die für das Gesamtbudget einer Versorgungsregion verant-

wortlich sind. Beispielsweise unser Kunde Marina Salud in Denia. Die Organisation ist HIMSS Da-vies-Preisträger und einer unserer ersten europä-ischen Kunden, die den Sepsis-Algorithmus ein-geführt haben, was zu einer 36%igen Verringerung des Sepsis-Sterblichkeitsrisikos geführt hat. In Großbritannien fördert der NHS England die Ent-wicklung von „New Care Modellen“. Eines dieser Programme heißt „Vanguard” und wir arbeiten zu-sammen mit unserem Kunden an der Einrichtung eines Modells für Population Health mit. Es geht bei diesem Projekt darum, so viele Daten zu erheben, dass Einzelpersonen mit einem geringen Risiko für Erkrankungen erkannt und in Vorsorgeprogramm aufgenommen werden können..

Viele andere Länder und Regionen in Europa definieren integrierte Bud-gets für Gesundheit und Pflege und sind in manchen Fällen auch für die Bereitstellung der Versorgung zuständig. Sie sind also in der idealen Lage neue Population Health Management-Lösungen zu nutzen.

Welche Antwort haben Sie für Länder, die meinen, dass Po-pulation Health Management heute noch nicht relevant sei?Es ist die Pflicht der Gesundheitsanbieter dafür zu sorgen, dass Infor-mationen strukturiert erfasst werden. Nur so kann der entsprechende Zusatznutzen generiert werden, der zu einer besseren Gesundheit und Wohlbefinden in der Bevölkerung beiträgt. Alle Organisationen quer durch Europa haben ihre Krankenakten bis zu einem gewissen Grad digitalisiert. Dennoch sehen wir, dass häufig die Daten nicht konsequent strukturiert erfasst und klinische Informationen nicht umfassend unter Verwendung medizinischer Terminologien dokumentiert werden. Doch nur strukturierte klinische Informationen unterstützen Programme zur Verbesserung von klini-schen Leistungen.

Gemeinsam mit Kunden IT-Lösungen für ein proaktives Versorgungsmanagement entwickeln: Population Health Management nennt Cerner diese Strategie. Dr. Justin Whatling, Leiter Population Health und unabhängiges Mitglied des National Information Board beim NHS erläutert HealthTech Wire, warum und wie Cerner neue Wege geht.

GESUNDHEIT IM WANDEL: POPULATION HEALTH STELLT DIE BEDÜRFNISSE DES MENSCHEN IN DEN MITTELPUNKT

Cerner Österreich GmbHRosmarie [email protected]+43 (0) 51707 37778

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Dr. Justin Whatling

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InterSystems ist ein Softwarehersteller und Datenbankspezialist, der beim Thema Pati-entenwohl mitreden möchte. Wie passt das zusammen?Das passt perfekt. Effektive IT-Lösungen können heute schon Leben retten. Ein Beispiel: Einer unse-rer Kunden, die schwedische Regierung, geht davon aus, dass 11 Prozent der Todesfälle in den dortigen Krankenhäusern darauf zurückzuführen sind, dass relevante Informationen nicht vorliegen. Die Regie-rung hat sich deswegen mit IT-Unternehmen wie uns zusammengesetzt. Wir haben gemeinsam eine Lö-sung entwickelt, mit der die Daten lückenlos verfüg-bar gemacht und medizinische Komplikationen wie Allergien und Unverträglichkeiten erkannt und verhin-dert werden können. Das Patientenwohl war hier ganz klar der Treiber der Digitalisierung und mit Hilfe unserer modernen HealthShare-Platt-form können diese medizinischen Probleme teilweise gelöst werden.

IT-Lösungen als eine Art Medikament, trifft es das?Das wäre vielleicht etwas zu viel gesagt. Aber wir verstehen uns schon als eine Art „Dr. med. Smart Data“. Unser Ziel ist, dass Ärzte, Pflegeper-sonal, Angehörige oder auch Versicherungen innerhalb der jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen die Patientendaten so nutzen können, dass für den Patienten das Beste herausgeholt wird. Die ambulante Pflege ist dafür ein Paradebeispiel: Hier existieren zahlreiche unter-schiedliche Datenquellen, von der ärztlichen Akte über den Tablet-PC der Pflegekraft bis zu Geräten, mit denen der Patient selbst Dokumen-tationen vornimmt. Wenn es gelingt, diese unterschiedlichen Daten ver-fügbar zu machen, zu integrieren und mit medizinischem Sachverstand auszuwerten, dann haben wir medizinischen Nutzen gestiftet.

Wo kommt der medizinische Sachverstand her? InterSystems ist ein IT-Unternehmen, und Ihre Ansprechpartner auf der Kundenseite dürften in der Regel IT-Leiter sein, oder nicht?Wir haben in den mehr als 100 Ländern, in denen wir uns engagieren, bisher über 40 regionale und nationale Gesundheitsvernetzungsprojekte verwirklicht. Dabei stoßen wir auf unterschiedlichste Voraussetzungen in den bestehenden Gesundheitssystemen, auf die jeweils individuell reagiert werden muss. Wir entwerfen eHealth-Lösungen aus dem Blick-winkel medizinischer Inhalte und des Patientenwohls heraus. Wir rücken

zudem den Nutzungsgrad der Anwender ins Zen-trum. Diesen Nutzen kontrollieren wir im Verlauf eines Projekts immer wieder. Dazu ist medizinischer Sach-verstand nötig, weshalb InterSystems eine relativ große Zahl von Ärzten und Pflegekräften beschäftigt.

InterSystems hat Erfahrungen mit Health-care-IT-Projekten in rund 100 Ländern. Kommen Ihnen angesichts des geringen Vernetzungsgrads in Deutschland da nicht manchmal die Tränen?Es stimmt schon, dass Deutschland mittlerweile um-zingelt ist von Ländern, die bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens fortgeschrittener sind. Deutschland ist aber ein föderales Land und das

Gesundheitswesen wird nicht aus Steuergeldern bezahlt. Da ist es schon nachvollziehbar, dass es etwas langsamer geht. Es ist auch nicht wahr, dass sich gar nichts bewegt. Der Entwurf des E-Health-Gesetzes ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Glauben Sie, dass das Aufkommen von Consumer Health-Lö-sungen, etwa von Apple oder Google, die Beharrungskräfte diverser Interessengruppen durchbrechen hilft?Das denke ich schon, ja. Genau genommen passiert es bereits. Patien-ten erheben Gesundheitsdaten immer häufiger selbst, sie informieren sich intensiv im Internet. Das wird zu mehr Datentransparenz und zu einem anderen Umgang mit Daten führen. Der Patient muss in einem digitalisierten Gesundheitssystem Frau bzw. Herr über die eigenen Daten bleiben. Insgesamt bin ich optimistisch. Dass derzeit intensiv über die Vernetzung im Gesundheitswesen diskutiert wird, zeigt doch, wie viel Energie hinter dem Thema steckt. Ich bin überzeugt, dass die IT-Landschaft im deutschen Gesundheitswesen am Ende nicht grund-sätzlich anders aussehen wird als in den Ländern ringsherum.

Intelligente IT-Unterstützung ist unabdingbar um mit Hilfe von vollständigen, transparenten und jederzeit verfügbaren medizinischen Daten der ärztlichen Betreuung eine neue Qualität zu geben. Thomas Leitner, Area Manager Europe Central & North bei InterSystems verrät, wie IT-Unternehmen selbst zu einer Art medizinischem Leistungserbringer werden – und warum das sinnvoll ist.

GESTATTEN: DR. MED. SMART DATA

Thomas Leitner

InterSystems [email protected]+49 (0)6151 1747 0

Ein stärkerer Patientenfokus in der Gesundheitsversorgung birgt Heraus-forderungen. Wie müssen Kliniken reagieren, damit sie dem Patient eine optimale Versorgung bieten und trotz-dem wirtschaftlich arbeiten können?Goepfert: Sie müssen wissen, was der Pati-ent braucht. Dazu muss ein Arzt das Prob-lem des Patienten erkennen, diese Informati-onen dokumentieren, die richtige Diagnostik stellen, eine Therapie starten und am Ende erneut Informationen erheben, um zu bewerten, ob er das Problem des Patienten gelöst hat. Durch die Analyse von Problemen und Lö-sungswegen kann man das Lösungsangebot für Versorgungseinheiten in einer Region definieren. Außerdem ist es für Kliniken wichtig, die Vernetzung zu den ambulanten Sektoren auszubauen und mit diesen in eine stärkere Interaktion zu treten. Der Patient geht in der Regel erst zum niedergelassenen Arzt, bevor er in die Klinik kommt. Steidel: Für die Kliniken geht es darum, situationsbezogen zu analysieren, sektorübergreifend zu kooperieren und bedarfsgerecht zu versorgen.

Welche Werkzeuge oder Hilfsmittel stehen Geschäftsführern bei der Definition dieser Lösungen zur Verfügung?Goepfert: Um wirtschaftliche und relevante Lösungen anbieten zu können, muss man den Markt kennen. Ein wichtiges Werkzeug sind Hilfsmittel zur Auswertung und Visualisierung von Informationen. Ver-lässliche, valide Controlling-Daten und regionale Daten zur potenziellen Patientenstruktur bilden die Grundlage zur Definition bedarfsgerechter Lösungen.Steidel: Meist sind interne Kennzahlen über die Leistungen einer Klinik vorhanden. Doch nur wenn ich diese mit den Daten anderer Einheiten und Daten über potenzielle Patienten vergleiche, kann ich erkennen, wo Verbesserungspotenzial besteht und wie eine Klinik ihr Portfolio gestalten sollte.

Wie sehen bedarfsorientierte Versorgungstrukturen aus und wer kann sie idealerweise definieren und steuern?Goepfert: Damit Versorgungsstrukturen regional funktionieren, müssen sich ambulante, stationäre und poststationäre Versorger zusammen-schließen, sowie Reha-Einrichtungen und Apotheken eingebunden wer-den. Die Finanzierung aller Behandlungen durch die unterschiedlichen

Einheiten funktioniert über einen gemeinsa-men Topf, aus dem jeder seinen Anteil erhält. Steidel: Damit das funktioniert, muss ein Partner definiert werden, der die Führung übernimmt. Ein Maximalversorger bietet sich hierfür an, da er zum einen den größten Teil der Leistungen erbringt und zum anderen über die organisatorischen Voraussetzun-gen verfügt, die verschiedenen Einheiten zu orchestrieren.

In der Gesundheitsregion Landkreis Ansbach und Stadt Ans-bach in Bayern funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Klinken, MVZ und Niedergelassenen, mit dem kommunalen Flächenversorger ANregiomed. Was war Ihr Ziel beim Aufbau dieser patientenorientierten Versorgungsstrukturen? Goepfert: Ziel ist die flächendeckende Vollversorgung für alle Menschen dieser Region, in der es sehr viele ländliche, eher dünn besiedelte Flä-chen gibt. Hierfür mussten wir eine Lösung finden, die qualitativ state of the art und wirtschaftlich ist. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir in den stationären Einrichtungen Leistungsschwerpunkte herausgear-beitet und Kompetenznetze aufgebaut. Ein Patient geht heute in eine Einrichtung, in der zunächst bewertet wird, wo er die beste Behandlung erhält. Ist diese Behandlung nicht direkt vor Ort möglich, wird er an die kompetenteste Stelle weiter vermittelt.

Hat der von Ihnen beschrittene Weg Vorbildcharakter für an-dere Regionen in Deutschland?Goepfert: Da bin ich mir sicher. Entscheidend ist, dass der Betreiber einer Gesundheitsregion Ziele sauber definiert, eine sehr gute Kommu-nikationsstruktur aufbaut und einen Partner hat, der ihn beim Aufbau der IT-Infrastruktur verlässlich unterstützt. Ein Gesundheitsdienstleister alleine kann ohne technische Unterstützung nicht mehr bestehen.

Den Wert von standortübergreifender, regionaler Zusammenarbeit für Patienten und Leistungserbringer erläutern Alois G. Steidel, CEO der KMS AG und Dr. Andreas Goepfert, Vorstand ANregiomed. Beide sind überzeugt: Die Gesundheitsversorgung von morgen baut auf das Miteinander: Das Miteinander von stationären und ambulanten Versorgern ebenso wie das Miteinander von Mensch und IT.

STARK DURCH (DIGITALE) VERNETZUNG – SO FUNKTIONIEREN GESUNDHEITSREGIONEN

K|M|S Vertrieb und Services [email protected]+49 (0)89 66 55 09 0

Dr. Andreas GoepfertAlois G. Steidel

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Die Merian Iselin Klinik ist eine hochmoderne Pri-vatklinik in Basel, die sich auf orthopädische Ope-rationen spezialisiert hat. Jährlich werden dort circa 25.000 radiologische Einzeluntersuchungen durch-geführt. Da Operationen zu 90% von Belegärzten ausgeführt werden und die post-operative Pflege von hauseigenen Pflegepersonen und Ärzten geleistet wird, setzt sie modernste Informationstechnologie ein, um eine unmittelbare Verfügbarkeit relevanter medizinischer Patientendaten zu ermöglichen.

Produkt, Service und verbesserter Workflow haben überzeugtAls 2012 das alte RIS abgelöst werden sollte, fiel die Wahl auf medavis, „weil das Produkt alle Anfor-derungen erfüllte, auf der neuesten Software- und Serverarchitektur basierte, und medavis bereit war, eine Schnittstelle zum hauseigenen Krankenhaus Informationssystem (KIS) umzusetzen“, erzählt Dr. med. Thomas Egelhof, Chefarzt des Instituts für Radiologie am Merian Ise-lin. Christoph Kreutner, Leiter Technik Radiologie, ergänzt: “Außerdem vereinfachte es den Workflow und überzeugte durch stabile Spracher-kennung und die Integration der Abrechnung in das RIS.“

Intuitive Benutzerführung und kompletter Blick auf die Pati-entengeschichte erleichtern die ArbeitDr. Egelhof schätzt ganz besonders, dass das RIS „sehr übersichtlich ist, den Workflow vereinfacht, eine sehr intuitive Benutzerführung hat und problemlos Statistiken generiert.“ Hr. Kreutner lobt das Diagnostic Patient Center, das einen kompletten Blick auf die Historie des Patienten ermöglicht, „dies ist ein absolutes Novum“. Eine weitere Besonderheit, so Dr. Egelhof, ist die Option, „Untersuchungen vorher zu visieren, sodass man Anforderungen sieht und gegebenenfalls einem Arzt Untersuchungen zuordnen oder das Standarduntersuchungsprotokoll ändern kann. Diese Funktion bot kein anderer Mitbewerber“. Auch dass man Bilder in den Befund integrieren kann, „wird von Zuweisern geschätzt, es erleichtert die Arbeit“, findet Hr. Kreutner.

Nahtlose Migration war ein eindrückliches Erlebnis medavis hat die Herausforderung, die Altdaten der Jahre 2007 bis 2012 in das neue RIS zu migrieren, problemlos gelöst. „Wir konn-ten vom allerersten Tag an ganz nahtlos mit dem neuen RIS ohne

Unterbrechung arbeiten. Dies war ein eindrückli-ches Erlebnis“, betont Hr. Kreutner.

medavis erlaubt bessere RessourcennutzungDas medavis RIS bewirkt eine Entlastung des Perso-nals, die sich z. B. in den stark zurückgegangenen Nachfragen von Versicherern, der Entlastung des IT-Supports und dem reduzierten Zeitaufwand zur Befundung zeigt: „Wir haben weniger Varianzen und Verluste in der Abrechnung“, erläutert Hr. Kreutner und Dr. Egelhof ergänzt: „Statt täglicher Rückfragen von Versicherungen habe ich nur noch ein bis zwei pro Monat und auch die stabile Spracherkennung bewirkt eine deutliche Zeitersparnis, da es jetzt beim Diktieren keine Abstürze mehr gibt“ und der

IT-Support sich fast nie mehr mit dem zeitaufwändigen händischen Zusammenführen der Befunde beschäftigen muss. Als Resultat kann „ich meine Arbeitszeit für etwas anderes einsetzen“, lobt Hr. Kreutner.

Asynchrone Anbindung ans KIS schützt vor DatenverlustDas RIS im Merian Iselin hat essenzielle Schnittstellen zum PACS und zum Klinik- und Abrechnungssystem. Sollte die Schnittstelle zum KIS ausfallen, verhindert die asynchrone Datenanbindung einen Datenverlust.

Erwartungen haben sich mehr als erfüllt Die Merian Iselin Klinik ist sehr zufrieden mit dem Produkt und der Firma. „Unsere Erwartungen haben sich mehr als erfüllt, das System arbeitet sehr gut, stabil, ohne jeglichen Ausfall, der Support ist sehr gut“, urteilt Dr. Egelhof. Er konstatiert positive Auswirkungen auf den Workflow und das allgemeine Betriebsklima. „Die Zusammenarbeit mit medavis ist sehr auf Zukunft ausgerichtet“, resümiert Dr. Egelhof.

Um den Workflow zu vereinfachen, Dokumentation und Abrechnung innerhalb eines Systems abzuwickeln und noch dazu ein stabiles System zu haben, entschied sich die Merian Iselin Klinik in Basel für das Radiologie Informationssystem (RIS) der Firma medavis. Doch bietet die Lösung von medavis noch viel mehr.

VERBESSERTER WORKFLOW UND RESSOURCENEINSATZ ZAHLEN SICH AUS

Dr. med. Thomas Egelhof, Merian Iselin, Basel

medavis GmbHHeidi Kuß[email protected]+49 (0)721 92910-360

Wie kombiniert MSD Arzneimittelthera-piesicherheit (AMTS) mit den heute schon bestehenden E-Health-Angeboten?AMTS ist für MSD von zentraler Bedeutung. Es geht bei dem Thema natürlich in allererster Linie um die Patientensicherheit, diese steht aber oft-mals im direkten Zusammenhang mit Therapie-treue und Behandlungserfolg. Digitale Angebote wie Apps oder barrierefreie Websites spielen hier eine immer größere Rolle. Patienten werden bei der Umsetzung der Medikation unterstützt, was sich positiv auf Ihre Motivation auswirkt. Gleichzeitig erfolgt sowohl die Erfassung als auch die Auswer-tung der Daten elektronisch, was sich positiv auf die Validität klinischer Studien auswirkt, da schnel-ler und korrekter erfasst wird.

Welche Rolle spielt dabei der Patient selbst? Die größte Rolle! Patienten- und Arzneimitteltherapiesicherheit sind von zentraler Bedeutung. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Pati-entenInfo-Service® der Roten Liste GmbH zusammen. Dort stellen wir unsere Beipackzettel in barrierefreier Form bereit –als Groß-druck-PDF, in Inversdarstellung oder als navigierbares Hörbuch. So haben auch Blinde und sehbehinderte Menschen Zugang zu den Informationen.

Wie funktioniert das im Detail?Wir bieten bereits seit 2014 eine kostenlose Hausapotheke-App an. Nach Einscannen des Barcodes auf der Packung lassen sich die ver-schiedenen Medikamente in der eigenen Hausapotheke übersichtlich managen.Ein kleiner Vorgriff auf das E-Health-Gesetz, in dem vorgesehen ist, dass Patienten, die regelmäßig drei oder mehr Medikamente nehmen, erst ab Herbst 2016 einen Anspruch auf einen Medikationsplan haben. Geplant ist, dass dieser von den behandelnden Ärzten erst einmal schriftlich, später dann auch digital, erstellt wird. Unsere Lösung soll einen Medikationsplan nicht ersetzen, aber die vielfältigen Funktionen wie die frühzeitige Erinnerung an den Neukauf von Arzneimitteln oder das Einfügen personalisierter Notizen tragen schon heute dazu bei, dass Patienten einen Überblick über die Medikamente, die sie neh-men, behalten können.

Wenn es um E-Health und Big Data geht, wird häufig die fehlende Strukturierung von Daten kritisiert, die eine systematische Auswertung erschwert ...Stehen wir nicht bei Publikationen in klassischen Fachjournals vor einem ähnlichen Problem? Auch hier gibt es keine hundertprozentige Standardisie-rung. Ich erwarte aber, dass sich durch Big Data zunehmend Standards etablieren werden.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft – welche Herausforderung stellt sich hier Arzneimittelherstellern wie MSD und auch der Gesellschaft?Ich sehe gesellschaftlich ein riesiges Potenzial

durch E-Health. Momentan haben wir noch eine Vielzahl von Einzellö-sungen, deren Integration immer dringlicher wird. Es ist für Patien-ten, Ärzte und Apotheker nicht praktikabel für jedes Medikament die entsprechenden Systeme im Krankenhaus oder in der Apotheke zu bedienen. Hier brauchen wir mehr Kooperation über die Sektoren-grenzen hinweg.Ein Beispiel sind die neuen immunonkologischen Therapeutika. Arz-neimittelforscher und behandelnde Ärzte müssen lernen, mit den entsprechenden Wirkungen und Nebenwirkungen umzugehen. Nur dann können Patienten maximal von diesen neuen Medikamenten profitieren. E-Health-Lösungen können und werden die Ärzte und ihre Patienten dabei unterstützen.Ich bin davon überzeugt, dass es am Ende einen gesellschaftlichen Konsens geben muss, wie Patienten, deren Angehörige und behan-delnde Ärzte, natürlich datenschutzrechtlich abgesichert, optimal von digitalen Gesundheitsangeboten profitieren können – und auch wer diese bezahlt.

Die Therapietreue des Patienten ist der Schlüssel für den Behandlungserfolg. Erhöht sich die Adherence beispielsweise über digitale Angebote, ist das vor allem im Sinne des Patientenschutzes, erklärt Dr. Dr. Kristian Löbner, medizinischer Direktor und Geschäftsführer bei MSD Sharp & Dohme GmbH. Darüber hinaus werden auch Daten zur Lebensqualität generiert, die für die Validität klinischer Studien einen entscheidenden Beitrag leisten können.

DIGITALE ANGEBOTE ERHÖHEN DIE PATIENTENSICHERHEIT

MSD SHARP & DOHME GMBHLindenplatz 185540 Haar

Dr. Dr. Kristian Löbner

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Wie schätzen Sie den klini-schen Dokumentationsauf-wand ein? MV: Die Dokumentation ist in Krankenhäusern ein wahrer Zeit-dieb. Man muss sich bewusst machen: Dokumentation umfasst ja mehr als den Entlassungs-brief, den der Arzt am Ende der Behandlung verfasst. Sobald ein Patient das Krankenhaus betritt, beginnt der Dokumentationsprozess, jeder kleine Kontakt, jede kleine Beobachtung der Ärzte und Pflegekräfte gehören dazu. Vieles wird hier redundant aufgenommen – ein Aufwand, der nicht sein müsste.

Sie haben – gemeinsam mit HIMSS Europe – eine Studie durchgeführt, die dem Zeitfresser Dokumentation aus die Spur kommt. Was haben Sie herausgefunden?MV: Hier sticht der Aufnahmeprozess klar hervor – eine Beobachtung, die ich aus meiner eigenen Arbeit am Klinikum nur bestätigen kann: Gut 43 Minuten verwenden Arzt- und Pflegepersonal durchschnittlich am Tag für diese Dokumentationsarbeit: der Erstkontakt, die Vorstellung, die Anamnese, die Aufnahme der Vorerkrankungen, das alles will doku-mentiert werden. In der Regel passiert das noch auf Papier, das heißt, die Angaben müssen später noch elektronisch erfasst werden. Hier laufen viele Dokumentationsschritte nebeneinander her und müssen später zusammengeführt werden. CT: Außerdem ist durch die neuen Anforderungen, die in den letzten Jahren an die Krankenhäuser gestellt werden, der Dokumentations-aufwand einmal mehr gestiegen. Denken Sie etwa an die Pflegedoku-mentation nach PKMS, also dem Pflegekomplexmaßnahmen-Score: die Krankenhäuser müssen die sogenannte „hochaufwändige Pflege“ fallbezogen nachweisen, das erzeugt natürlich einen hohen Aufwand. Aber auch die allgemeine Kodierung der medizinischen Leistungen nach dem Fallpauschalensystem bedeutet viel Arbeit. So gibt es auch für die Kodierung von Nebendiagnosen, die ja potenziell den Erlös ei-nes Krankenhauses steigern können, Dokumentationsvorgaben.

Können Sie ein Beispiel nennen? CT: Wenn ein Krankenhaus eine Sepsis dokumentieren will, muss es Richtlinien beachten: Bei der Dokumentation sind zahlreiche

zusätzliche Kriterien zu erfassen und zu notieren, der Nachweis von Blutkulturen, Laborparameter und Temperaturangaben ebenso wie Herzfrequenz und Werte der Blutgasanalyse oder – alternativ dazu – die Atemfrequenz. Aber auch für die Komplexbehandlun-gen gibt es viele Vorgaben,...

... also für zusammengesetzte unterschiedli-che Therapien spezifischer Krankheitsbilder ...CT: ... wie etwa für die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung, ja. Hier werden Aufzeichnun-

gen zu Teambesprechungen, verschiedene Assessments und die Do-kumentation von Therapeutengruppen gefordert. Diese Behandlungen sind in den letzten Jahren immer differenzierter organisiert worden. Um hier die gestellten Anforderungen zu erfüllen, müssen Kliniken einen hohen Aufwand betreiben.

Welche Rolle spielen die Anforderungen des MDK?CT: Bei den MDK-Prüfungen geht es natürlich nicht nur um die Ko-dierung nach den Kodierrichtlinien. Hier wird auch die Dauer der sta-tionären Behandlung geprüft, also ob die Überschreitung der unteren Grenzverweildauer (uGVD) notwendig war, und die Abrechnung etwa-iger Zuschlagstage bei Überschreiten der oberen Grenzverweildauer, ebenso das ambulante Potenzial. Das heißt, es wird danach gefragt, ob ein Patient, der beispielsweise an der Leiste operiert worden ist, denn auch wirklich stationär aufgenommen werden musste – oder ob er nicht auch hätte ambulant behandelt werden können. Diese Angaben müssen aus der Dokumentation hervorgehen.

Worauf achtet der MDK derzeit besonders? ... Inwiefern das neue MDK-Prüfverfahren die Kliniken in die Pflicht nimmt und wie diese den Druck im Vorfeld abfedern können? Lesen Sie das vollständige Interview: www.nuance.de/healthcare

Rund 2,4 Millionen Krankenhausabrechnungen haben die Prüfer des Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) 2013 unter die Lupe genommen. Nun wurde das Prüfverfahren verschärft – und der Druck auf die Dokumentationsleistung in Krankenhäusern erhöht. Dr. med. Christoph Temath, gelernter Arzt und Medizincontroller beim Dortmunder Beratungshaus GSG Consulting, und Dr. Markus Vogel, Clinical Consultant bei Nuance, erklären HealthTech Wire, worauf es bei der Dokumentation von stationären Fällen ankommt.

MDK-PRÜFVERFAHREN VERSCHÄRFT: DEN DRUCK IM VORFELD ABFEDERN. ABER WIE?

Dr. Markus VogelDr. Med. Christoph Temath

Nuance [email protected]/healthcare+49 89 4587 3529@voice4health

Was sind bei dem Paradigmenwech-sel hin zu einer personalisierten Me-dizin die wichtigsten Herausforde-rungen?TP: International werden drei Kernher-ausforderungen genannt, die bewältigt werden müssen. Da ist zum einen der Zu-gang zu Biomaterialien: Es muss enorm viel Material in Biobanken gesammelt wer-den, um die Biomarker zu bekommen, die man benötigt. Die zweite Herausforderung ist die Bioinformatik, und die dritte ist die Translation, also die Übersetzung der Forschungsergebnisse in die me-dizinische Versorgung.

Inwieweit trägt das neue K1 Zentrum CBmed dazu bei, diesen Wandel voranzutreiben?TP: Im CBmed Projekt werden genau diese drei Herausforderungen adressiert. Das Projekt verbindet sechs österreichische Universitäten mit 20 Forschungspartnern national und international, sowie mit 40 Industriepartnern. Es setzt auf die Biobank Graz auf, die größte Biobank Europas. Entwickelt und eingesetzt werden sollen Bioinformatiklösungen für komplexe Fragestellungen, vor allem im Bereich der prädiktiven Analytik. Auf diese Weise werden Biomarker identifiziert, die potenziell therapierelevant sind. Anschließend werden diese Biomarker validiert und mit Hilfe klinischer Studien in die Versorgung gebracht.

Auf welche Datenressourcen greifen Sie für die Biomarkerfor-schung zurück?MP: Bei der KAGes arbeiten wir schon seit über 10 Jahren mit einem auf SAP basierenden klinischen Informationssystem am Universitätsklinikum Graz und an 23 weiteren Standorten. Insgesamt sind das medizinische Datensätze von 1,9 Millionen Patienten. Es gibt also viele der Daten, die wir benötigen, bereits im KIS, und die werden wir nutzen. Es gibt die großteils unstrukturierten Daten aus der freitextlichen klinischen Dokumentation, die teilweise strukturierten Daten aus Laborsystemen und Pathologiesystemen und es gibt die hoch strukturierten Daten der genetischen Sequenzierung in Spezialsystemen. All diese Daten müssen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Und damit solche Analysen möglichst in Echtzeit

erfolgen können, benötigen wir neue Architekturen wie die In-Memory-Plattform SAP HANA, bei der die auszuwertenden Daten nicht auf Festplatten liegen sondern im Arbeitsspeicher und damit sehr viel schneller verfügbar sind.

Wie läuft so ein Big-Data-gestütztes Forschungsprojekt ganz konkret ab? TP: Ich gebe ein Beispiel aus der Zeit vor der Big Data-Ära. Eine wichtige Frage in der onkologischen Forschung ist ja die

Frage nach der Prognose der Patienten. Die Medizinische Universität Graz konnte zeigen, dass ein relativ simpler Parameter, nämlich das Verhältnis unterschiedlicher weißer Blutkörperchen zueinander, einen erheblichen Teil der Prognose einer Tumorerkrankung vorhersagen kann. Die Prognose hängt also nicht nur von der Aggressivität der Tumorzellen ab. Mit Hilfe der neuen technischen Möglichkeiten können wir in Zukunft sehr viel komplexere Zusammenhänge entdecken und dann überprüfen, wie sie klinisch umsetzbar sind.

Welche IT-Tools kommen dabei zum Einsatz oder werden zum Einsatz kommen?MP: Zum einen brauchen wir natürlich die schon angesprochenen In-Memory Technologien, um Analysen derartig großer Datenmengen überhaupt in akzeptabler Zeit vornehmen zu können. Zusätzlich sind bestimmte analytische Werkzeuge erforderlich, die SAP teilweise bereits anbietet. Eine Anwendung ist die unter anderem auf Erfahrungen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zurückgehende Applikation „Medical Research Insights“. Sie erlaubt es, mit Hilfe von Textanalytik und semantischen Suchen strukturierte und unstrukturierte Daten gezielt auszuwerten. Für die prädiktive Analytik steht zusätzlich SAP Predictive Analytics zur Verfügung.

Im K1 Zentrum CBmed der Medizinischen Universität Graz sollen Erkrankungen mit Hilfe moderner Datenbanktechniken und Big Data Tools prädiktiv modelliert werden. Univ. Prof. Dr. med. Thomas Pieber, wissenschaftlicher Leiter von CBmed, und DI Dr. Markus Pedevilla, Leiter Medizininformatik und Prozesse bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH (KAGes), erläutern, wie das geht.

BIG DATA GOES KLINIK: IT-TOOLS FÜR DIE PERSONALISIERTE MEDIZIN

SAP Österreich GmbHHelmut Ehrenmü[email protected]+43 1 28822 0www.sap.at

Univ. Prof. Dr. med.Thomas PieberDI Dr. Markus Pedevilla

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Wenn Petra Ritter an das Jahr 2011 denkt, dann fällt ihr vor allem ein, wie unzufrieden viele Kliniker damals mit der IT in der Radiologie waren. „Wir hatten die Situation, dass unser bisheriges PACS vom Herstel-ler kaum noch gepflegt wurde“, erinnert sich die Leiterin Medizinische Physik am Agaplesion Krankenhaus. „Das System wurde immer lang-samer, und viele Bugs wurden gar nicht mehr aufgelöst. Es war dann irgendwann klar, dass wir einen Wechsel vornehmen würden. So konn-te es nicht mehr weiter gehen.“

Überzeugend in Leihstellung und EchtbetriebEin PACS blind nach Katalog zu kaufen, kam für die Frankfurter nicht in Frage. „Wir sind ein relativ großes radiologisches MVZ, bestehend aus Röntgendiagnostik, MRT, Nuklearmedizin und Strahlentherapie, und wir haben außerdem das größte Brustzentrum im Rhein-Main-Gebiet. Das stellt relativ hohe Anforderungen an ein PACS“, betont Dr. Wilfried Herrmann, Leitender Arzt Radiologische Diagnostik/MRT und Organi-satorischer Leiter des InterdisziplinärenBrustzentrums am Agaplesion Markus Krankenhaus. Um zu sehen, was die unterschiedlichen PACS-Anbieter leisten, haben die Frankfurter von vornherein Leihstellungen eingefordert. Petra Ritter kann sich daran noch lebhaft erinnern: „Schon an dieser Stelle sind einige Anbieter rausgefallen. Teilweise waren selbst große Unterneh-men nicht in der Lage, uns eine funktionierende Leihstellung vor Ort aufzubauen.“ Am Ende dieser Vorauswahl blieben fünf Unternehmen übrig, die eine Leihstellung realisieren konnten. Dann wurde getestet. „Wir haben die Systeme jeweils vier bis sechs Wochen hier gehabt. Nachdem die Anwender mit dem alten System so unzufrieden waren, wollten wir ihnen die Möglichkeit geben, die neuen Systeme selbst in Augenschein zu nehmen.“

Nach den Leihstellungen gab es mit dem IntelliSpace PACS von Philips bereits einen klaren Favoriten. „Die Leihstellung hat bei Philips einfach unheimlich gut funktioniert“, so Ritter. „Das System war ausgesprochen stabil. Die Geschwindigkeit hat uns gut gefallen. Wir sind dann ans Unfallkrankenhaus Berlin gefahren und haben uns das System dort im Echtbetrieb angesehen. Da hat uns vor allem beeindruckt, wie viele Satellitensysteme angebunden waren. Nachdem die Berliner Kollegen auch mit dem Support sehr zufrieden waren, haben wir unsere Ent-scheidung getroffen und sie nicht bereut.“

Hohe Performance im klinischen AlltagDass die Entscheidung richtig war, hat sich im klinischen Alltag rasch gezeigt. Nachdem es in der Vergangenheit große Probleme mit der Performance und dem Service gab, lag darauf ein besonderes Au-genmerk. „Die Performance ist wirklich überzeugend. Die Bilder sind praktisch sofort da. Länger als drei Sekunden dauert es nie“, berichtet Wilfried Herrmann. Der Hersteller des Vorläufer-PACS hatte bei Per-formance-Problemen immer auf das angeblich unzureichende Klinik-netzwerk verwiesen, ein durchgängiges 1Gbit-Netzwerk. „Das neue PACS nutzt jetzt genau dasselbe Netzwerk. Wir haben nichts verändert und erreichen trotzdem diese hohe Geschwindigkeit.“ Auswirkungen hat das vor allem auf die radiologischen Demonstrationen und Fall-konferenzen, die am Agaplesion Markus Krankenhaus einen großen Stellenwert haben. Tagtäglich organisieren die Radiologen fünf Rönt-genbesprechungen. Dazu kommen jeweils wöchentlich onkologische Fallkonferenzen in den Bereichen Darmkrebs, Brustkrebs und Prost-atakrebs, und gelegentlich zusätzliche Fallkonferenzen onkologischer Arbeitskreise. „In diesen Runden sitzen teilweise 20, 30 Leute. Wenn es da jedes Mal 20 Sekunden dauert, bis ein Bild aufgebaut ist, geht enorm viel Arbeitszeit flöten.“ Diese Wartezeiten sind jetzt Schnee von gestern. „Wir haben in den Demonstrationen alle Bilder, die wir benötigen, sofort auf dem Schirm“, betont Herrmann. Und auch die Vorbereitung der Röntgendemonstra-tionen und Fallkonferenzen habe sich deutlich verbessert: „Die Ordner lassen sich besser anlegen, die Studien viel leichter zuordnen. Das geht alles um einiges schneller als früher.“

Betreibermodell bringt Kostenklarheit und entlastet die MitarbeiterAls besonderes Plus betrachtet Herrmann die Tatsache, dass die gute Performance des IntelliSpace PACS durch Garantiezusagen mit

Die Radiologen am Frankfurter Agaplesion Markus Krankenhaus sind alte IT-Hasen: Ein RIS gibt es schon seit 1986, ein PACS seit 2001. Als der Hersteller des bisherigen PACS verkauft wurde, stand ein Systemwechsel an. Das IntelliSpace PACS von Philips konnte sich gegen die Konkurrenz durchsetzen, weil es nicht nur im klinischen Alltag überzeugt, sondern auch ein durchdachtes Betreibermodell mit ehrgeizigen Performance-Garantien bietet. Vor allem die radiologischen Demonstrationen sind seither das reinste Vergnügen.

KEINE STUDIE ÜBER DREI SEKUNDENINTELLISPACE PACS – ARBEITEN OHNE WARTEZEIT

Malus-Regelungen unter-mauert wird. „Wir haben eine garantierte Verfügbarkeit von 99,9 % rund um die Uhr, und

eine vertraglich vereinbarte maximale Ladezeit von drei Sekunden pro Studie, unabhängig davon, ob sie einen Tag oder zehn Jahre alt ist.“ Falls diese Zusagen nicht eingehalten werden können, gibt es eine finanzielle Kompensation. Schwierigkeiten werden durch den enga-gierten Service prompt gelöst. „Wir hatten ein paar Mal im Spätdienst Probleme. Da hat sich Philips innerhalb einer Stunde drum geküm-mert“, berichtet Petra Ritter. „An irgendeinem Wochenende gab es sogar einmal ein Hardware-Problem, das wir gar nicht selbst bemerkt hatten. Da kam noch am Wochenende jemand vorbei, der die Festplat-te ausgetauscht hat und fertig.“ Möglich werden der aufwändige Service und die weitreichenden Ga-rantiezusagen durch das besondere Betreibermodell des IntelliSpace PACS, ein Managed Service-Vertrag mit 24/7 mit proaktivem Monito-ring. Bezahlt wird strikt nach Nutzungsvolumen. Philips kümmert sich nicht nur um Updates und Bug-Fixes, sondern um den kompletten Betrieb des PACS inklusive regelmäßiger Erneuerung der Hardware.

Neben der Performance war dieses innovative Betreibermodell für das Agaplesion Markus Krankenhaus einer der ausschlaggebenden Grün-de für den Erwerb des PACS. Dank monatlicher, nutzungsabhängiger Abrechnung können die anfallenden Kosten extrem gut kalkuliert wer-den. Petra Ritter betont, dass Agaplesion mit dieser Art der PACS-Fi-nanzierung Neuland betreten hat: „So etwas hatten wir vorher nicht. Oliver Fabry, der IT-Leiter der gesamten Agaplesion-Gruppe, hat das durchgerechnet und kam zu dem Ergebnis, dass es ein gutes Modell ist, vor allem im Zusammenhang mit den Garantiezusagen.“

Tiefe Integration mit RIS und KISFabry und sein IT-Team haben sich auch stark dafür engagiert, dass das PACS im gesamten Klinikum ausgerollt wird. An rund 200 Viewern haben die Ärzte auf allen Station Zugriff auf die Bilder. „Schön ist, dass die Ärzte dabei die gleiche Oberfläche nutzen wie wir, nur in etwas abgespeckter Form“, sagt Herrmann. Das hilft nicht nur bei den radio-logischen Demonstrationen, sondern auch bei telefonischen Nachfra-gen, bei denen die Kollegen auf Station dieselben Bildinformationen zur Verfügung haben, die auch der Radiologe vor sich hat.

Über Schnittstellen ist das IntelliSpace PACS nicht nur mit dem RIS (Medos RIS), sondern auch mit dem KIS (Orbis von Agfa Healthcare) verbunden. Die Programmierung der Schnittstellen geschah bereits in den Monaten zwischen Leihstellung und Installation, um die Phase der eigentlichen Installation so kurz wie möglich zu halten. „Bei der RIS-Integration gab es ein paar Hürden, die wir zu bewältigen hatten“, so Ritter. „In der Bedienung funktionieren manche Dinge jetzt etwas anders als zuvor. Das sind aber die üblichen Herausforderungen bei einem Systemwechsel. Entscheidend für uns war, dass Philips sich die-ser Dinge angenommen hat. Die Begleitung durch das Unternehmen war wirklich herausragend.“

Nächster Schritt: ExpansionEines der nächsten Projekte ist die Anbindung der Intensivmedizin. „Ziel ist es, die Bilddaten direkt auf die Monitore am Patientenbett zu transferieren, ähnlich wie wir das mit den PCs auf Station jetzt schon machen“, erläutert Herrmann. Auch eine Anbindung nicht-radiologischer Bildquellen ist angedacht, zum Beispiel der Endoskopie. Damit würde sich das IntelliSpace PACS schrittweise zu einem klinikweiten, universellen Bildarchiv weiterentwi-ckeln. „Betriebswirtschaftlich könnte man das problemlos abbilden, indem wir den jeweiligen Klienten im Haus je nach Nutzungsintensität monatliche Rechnungen stellen.“ Genauer in Augenschein nehmen möchte Herrmann in nächster Zeit auch noch die diagnostischen Funk-tionen, die das IntelliSpace PACS bietet. Derzeit laufen die Schnittbilder von den Modalitäten zunächst einmal auf einer zur Modalität gehörigen Workstation ein. Dort erfolgen Nachbearbeitungen wie etwa 3D-Re-konstruktionen oder MIP-Rekonstruktionen. Postprocessing dieser Art kann aber auch im PACS erfolgen. Herrmann: „Wir werden das in Zukunft machen, denn das hat viele Vorteile. Erstens sind wir dann un-abhängig von der Modalitäten-Workstation. Zum anderen könnten wir auch kleinere Nachrekonstruktionen rasch in der Röntgenbesprechung vornehmen, wenn das nötig sein sollte.“

Philips GmbH Market DACHJohannes [email protected]/healthcare+49 (0)40 2899 6364

DAS RADIOLOGISCHE MVZ AM AGAPLESION MARKUS KRANKENHAUSDas Agaplesion Markus Krankenhaus der Frankfurter Diakoniekliniken ist mit über 550 Betten eine der größten Gesundheitseinrichtungen im Rhein-Main-Gebiet. Es handelt sich um ein Krankenhaus der Schwer-punktversorgung mit überregionalem Versorgungsauftrag, spezialisiert unter anderem auf die Bereiche On-kologie, Gastroenterologie, Kardiologie, Nephrologie und Urologie. Radiologie, Nuklearmedizin und Strahlen-diagnostik sind in einem Agaplesion-eigenen MVZ zusammengefasst, zu dem auch das größte Brustzentrum im Rhein-Main-Gebiet gehört. Allein in der diagnostischen Radiologie werden pro Jahr etwa 40.000 Patienten versorgt, was in rund 70.000 Studien pro Jahr resultiert. Das radiologische MVZ beschäftigt acht Radiolo-gen, vier Strahlentherapeuten und einen Nuklearmediziner. Die diagnostische Radiologie verfügt über 14 Be-fund-Workstations. Zusätzlich wurden im Klinikum insgesamt rund 200 Viewer ausgerollt.

links: Petra Ritter rechts: Dr. Wilfried Herrmann

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— MEINUNG —— MEINUNG —— DIE LETZTE SEITE —

Google Flu Trends wird häufig als gelungenes Beispiel von „Big Data in der Medizin“ genannt. So auch in der letz-ten Ausgabe von 42 durch Aladin Antic. Zitat: „Einfach

die Häufigkeit von Anfragen zum Thema Grippe … in Google nach Region ausgewertet, und schon ist eine recht zutreffende Karte der entsprechenden Virusverbreitung fertig.“ Google er-kennt Krankheiten, Maschine besiegt Mensch. Viva BIG DATA! Doch es lohnt sich ein genauerer Blick: „Google Flu Trends“ nutzt eine Technologie, die die Eingabe von bestimmten Such-begriffen mit dem regionalen Vorkommen von Krankheiten korrelieren will. Der Algorithmus, der dazu verwandt wird, ist nicht bekannt und wurde mehrfach geändert.

Google-Mitarbeiter hatten in der Zeitschrift Nature (Vol 457, 19 February 2009) einen Artikel mit dem Titel „Detecting influ-enza epidemics using search engine query data“ veröffentlicht: 50 Millionen Suchbegriffe wurden wöchentlich zwischen 2003 und 2008 analysiert und die Ergebnisse anhand von 42 (sic!) Vorhersageparametern kalkuliert. Die Autoren zeigten sich euphorisch, „Influenza-ähnliche Symptome können innerhalb eines Tages vorhergesagt werden.“ Google wurde gefeiert, und der Beweis für die Vorteile von Big Data in der Medizin!

Doch nach und nach schlichen sich Zweifel und Skepsis ein, die zu einer ausführlichen Zusammenfassung („final final“) der Diskussion in der Zeitschrift Science (VOL 343, 14 March 2014) führten: „Big data and The Parable of Google Flu: Traps in Big Data Analysis“ wurde erneut analysiert und zusammengefasst: Google hatte mehr als doppelt so viele Fälle von Infektionen vorhergesagt, als sich tatsäch-lich über das CDC (Centers for Disease Control and Preventi-on), der nationalen Gesund-heitsbehörde der USA, im Nachhinein belegen ließe! Die Autoren in Science legen dar, dass es viele Beispiele dafür geben mag, dass die Analy-se von Suchmaschinen und

sozialen Netzwerken bestimmte Dinge voraussagen könnten. Allerdings seien wir weit davon entfernt, etablierte Methoden zu ersetzen. Die wesentlichsten Kritikpunkte sind:• Quantität von Daten ersetzt nicht deren Qualität• Suchmaschinen oder soziale Netzwerke sind nicht für medi-

zinische Datensammlungen konzipiert. Eine Person, die über eine bestimmte Krankheit googelt muss diese Krankheit noch lange nicht selbst haben

• Konstruktionsmechanismen von Studien, wie zur Messung der Validität oder Reliabilität, können nicht durch „pure Men-ge“ ersetzt werden

• Die Suchalgorithmen waren nicht konstant und wurden von Google selbst angepasst („blue team issues“)

• Sogenannte „red team attacks“, Datenangriffe zur Manipula-tion der öffentlichen Meinung, seien zwar unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen

• Fehlende Transparenz und die fehlende Möglichkeit der un-abhängigen Wiederholung (Replikation)

• Die Verbindung von großen Datenmengen mit „kleinen“ Suchbegriffen führt zwangsläufig zu einer „problematischen Heirat“ mit statistischen Konsequenzen. Dennoch beschreiben die Autoren, dass die Daten, die von

Google erhoben wurden, durchaus einen Wert haben. Aller-dings müssten sie mit anderen Datenquellen kombiniert wer-

den, wie sie etwa Gesund-heitsämtern zur Verfügung stehen. Bezeichnenderweise ist auf der eigenen Website von Google Flu im Mai 2015 NUR die erste euphorische Publikation von Nature zu fin-den. Data Scientist, also Men-schen, die Lesen UND Rech-nen können, ist laut einem Google-Gründer „the most sexiest job of the future“.

Es wird glücklicherweise auch weiterhin wichtig sein, dies kritisch zu hinterfragen. Big Data birgt enorme Poten-ziale in der Medizin – aber wir sollten versuchen, genau hinzuschauen. ¬

Google Flu: Nicht alles glauben, was hatschi macht.Ein (Gast-)Kommentar zum Artikel „Der Mensch hinter dem System“

von Aladin Antic aus der 42 N°4 (S. 54)

Von Peter Langkafel

PETER LANGKAFEL ist Herausgeber des Buches: Big Data in der Medizin: Diagnose, Therapie, Ne­benwirkungen. Medhoch­zwei 2014.

Foto

: SAP

INTELLIGENTE INFORMATIONS­TECHNOLOGIE.DAS NEUE NEWSPORTAL DER EUROPÄISCHEN HEALTHCARE­IT COMMUNITY.

WWW.HITCENTRAL.EU

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