Johann Sebastian Bach: Kantate BWV 137 Lobe den Herren ... · PDF fileJohann Sebastian Bach:...
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Johann Sebastian Bach: Kantate BWV 137
Lobe den Herren, den mchtigen Knig der Ehren
Entstehung der Kantate
Uraufgefhrt hat Johann Sebastian Bach (1685-1750) seine Kantate Lobe den Herren,
den mchtigen Knig der Ehren in Leipzig am 12. Sonntag nach Trinitatis, es war der 19. Au-
gust des Jahres 1725. Sie gehrt zur Kategorie der sogenannten Choralkantaten, die sich
an einem Kirchenlied orientieren, dessen variierte Melodie und Strophen sich in den ver-
schiedenen Stzen der Kantate wiederfinden. Die meisten geistlichen Kantaten Bachs
unterwerfen sich dagegen dem sonst vorgeschriebenen Perikopenzwang. Der besagt, dass
sowohl die Predigt- als auch die Kantatentexte die festgesetzten sonntglichen Bibelab-
schnitte (also die Perikopen) als zentrale Botschaft interpretieren und ausleuchten muss-
ten. Um diese sich jhrlich wiederholende Monotonie zumindest etwas aufzuweichen,
fgten bereits Ende des 17. Jahrhunderts Pfarrer in der Leipziger Thomaskirche der obli-
gatorischen Perikopen-Predigt noch eine Liederpredigt an, in der "... ein gut, schn, alt,
evangelisches und lutherisches Lied erklret und gleich nach geendigter Predigt..." von der Gemeinde
angestimmt wurde. Diesem Konzept folgend begann Bach im zweiten Jahr seiner Zeit als
Thomaskantor mit der Komposition einer Serie von Choralkantaten, von denen er fast
einen kompletten Jahrgang schuf.
Die autographe Partitur der Kantate ist verschollen, die Abschriften der einzelnen
Stimmen aus dem Jahr 1725 sind dagegen erhalten und befinden sich im Archiv der Stadt
Leipzig.
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Der Komponist
Zu dieser Zeit drfte sich Bach noch voller Elan fr sein neues Amt als Thomas-
kantor und Director musices der Stadt Leipzig engagiert haben. Spter sollten sich die Be-
ziehungen zwischen Bach als Arbeitnehmer und den Leipziger Ratsherren als Arbeitge-
ber deutlich abkhlen. Bach beschwerte sich unter anderem ber das hohe Ma an Ver-
pflichtungen, zum Beispiel zeitweilig jeden Sonntag eine neue Kantate komponieren, ein-
studieren und auffhren zu mssen, dazu auch damals schon mit durchaus renitenten
Zglingen der umfangreiche Unterricht an der Thomasschule, den er in den Fchern
Latein, Katechismus, Gesang, Musiktheorie und Instrumentalkunde zu halten hatte. Und
das Ganze bei einer zumindest zeitweise geringeren Besoldung als versprochen. Denn
zustzlich zu einem finanziellen Fixum bekam er einen variablen Anteil, die sogenannten
Accidentien, die bei musikalischen Auffhrungen anlsslich von Taufen, Hochzeiten und
Beerdigungen von den Familien zu entrichten waren. Je nach Umstnden konnten diese
deutlich geringer als geplant ausfallen, wie er spter in einem Brief formulierte: "... und
wenn es etwas mehrere, als ordinairement [Anm.: gewhnlich], Leichen gibt, so steigen auch nach
proportion die accidentia; ist aber eine gesunde Lufft, so fallen hingegen auch solche, wie denn voriges Jahr
an ordinairen Leichen accidentien ber 100 rthl. [Anm.: Reichst(h)aler] Einbue gehabt." Aber
Bach gab auch den Ratsherren der Stadt Leipzig immer wieder Anlsse fr Beschwerden.
Sie waren von Anfang an nicht begeistert ber seine Bewerbung und noch weniger ber
seine Anstellung, denn im Gegensatz zu seinen Vorgngern und Nachfolgern im Amt
des Thomaskantors verfgte er ber keine akademische Ausbildung und das in einer
Stadt mit einer schon damals mehr als 300-jhrigen stolzen Universittstradition. Da aber
die Wunschkandidaten der Leipziger (Georg Philipp Telemann, Christoph Graupner und
Johann Friedrich Fasch) nicht nach Leipzig kommen wollten bzw. von ihren Diensther-
ren nicht freigegeben wurden, war der Posten des Thomaskantors schon fast ein Jahr
vakant. Nolens volens lieen sich die Ratsherren schlielich auf Empfehlung Graupners
umstimmen und stellten den weitgehend unbekannten Hofkapellmeister aus der Provinz
Kthen ein. Dazu der resignierende Kommentar eines der damals beteiligten Ratsherren
Abraham Christoph Plaz: "Da man nun die besten nicht bekommen knne, msse man mittlere
nehmen."
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Der Textdichter
Der Text des zugrunde liegenden Chorals wurde vom Pfarrer und Lieddichter und -
komponist Joachim Neander (1650-1680) verfasst. Er verffentlichte ihn in Bremen in
seinem letzten Lebensjahr in seiner Publikation Glaub- und Liebesbung, die ursprnglich
nicht als Kirchenliedsammlung gedacht war, vielmehr "Zu lesen und zu singen auff Raisen /
zu Hau oder bey Christen-Ergetzungen im Grnen". Zuvor lebte Neander einige Jahre in Ds-
seldorf als Hilfsprediger und Rektor einer Lateinschule der dortigen reformierten Ge-
meinde. Hier wandte er sich strker der Erbauungstheologie zu und gestaltete pietistisch
geprgte Privatandachten, in den Augen der Amtskirche ein eklatantes Fehlverhalten, das
erst zu einem Predigtverbot und dann zu seiner Entlassung fhrte. Schlielich kehrte er
in seine Heimatstadt Bremen zurck, aber auch dort konnte er nicht ressieren. Er ber-
nahm die wenig privilegierte Stelle eines Hilfspredigers fr den morgendlichen Fnf-Uhr-
Gottesdienst, zu dessen Zuhrern eher das Prekariat der Stadt gehrte. Sein Gehalt, das
schon in Dsseldorf uerst karg bemessen war, wurde in Bremen nochmals reduziert.
So lebte er in Umstnden, die jeglichen Gedanken an eine Familiengrndung verwehrten.
Wenige Monate darauf verstarb der knapp 30-Jhrige an einer nicht nher beschriebenen
Krankheit. Auch sein Grab ist nicht bekannt. Es ist wirklich keine beeindruckende Bio-
grafie, eher die eines stndigen Verlierers und Zu-kurz-Gekommenen. Was ihn aber nicht
daran hinderte, in seinem bekanntesten Lied Gott, den Herrn zu loben, der ihn sicher
gefhret, ihm Gesundheit verliehen und ber ihm Flgel gebreitet hat: welch ein Glaube
und Gottvertrauen. Oder doch eher ein Dopamin gegen eine unbewltigte Lebensreali-
tt?
Und doch wenn auch sein Lebenslauf alles andere als glanzvoll war: auch fast 350
Jahre nach seinem Tod gehren seine Kirchenlieder zu den beliebtesten, sechs davon
sind im heutigen Evangelischen Gesangbuch enthalten (Text und/oder Melodie von Ne-
ander). Die heute bekannte Melodie zu Lobet den Herren hat mit Neander nichts zu tun, sie
entwickelte sich vielmehr erst Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem alten Kirchenlied Hast
du denn, Jesu, dein Angesicht gnzlich verborgen, das erstmals in einem Stralsunder Gesangs-
buch von 1665 zu finden ist.
Aber noch etwas bleibt mit dem Namen Neander fr immer assoziiert. In seinen
Dsseldorfer Jahren pflegte Neander in einem Tal der kleinen Dssel vor den Toren der
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Stadt zu dichten und zu komponieren. Dort hat er auch mit seiner Gemeinde Andachten
gefeiert, die ihm spter zum Verhngnis wurden. Trotz seiner wenig ruhmreichen Verab-
schiedung von Dsseldorf hat man ihm zu Ehren (als spte Wiedergutmachung?) um
1850 diese Gegend Neandertal genannt. Als dann wenige Jahre spter in einer Hhle des
Neandertals fossile berreste eines Urmenschen gefunden wurden, gaben Paloanthro-
pologen dieser Spezies den Namen des Fundorts: Homo neandertalensis. So wurde unser
Lieddichter zumindest indirekt Namenspate fr einen weltbekannten eiszeitlichen Ver-
wandten des Homo sapiens. Aber davon konnten weder Joachim Neander und auch nicht
Johann Sebastian Bach etwas ahnen.
Die Choralkantate
Der Aufbau der meisten Bachschen Choralkantaten folgt einer ziemlich festen
Struktur. Sie beginnen mit einer festlichen instrumentalen Einleitung, die in einen vier-
stimmigen Chor mit der Melodie des Kirchenlieds mndet. Dessen Text entspricht un-
verndert der ersten Strophe dieses Kirchenlieds. Welche Chorstimme die Liedmelodie
bernimmt, variiert von Kantate zu Kantate. Beim letzten Satz erklingt das Lied in einem
vierstimmigen Choralsatz, in dem normalerweise der Sopran den Cantus firmus, also die
Melodiestimme, bernimmt. In den dazwischen liegenden Stzen (Rezitative, Arien oder
weitere Chorstze) werden sowohl die Texte der Liedstrophen als auch die zugrunde lie-
gende Choralmelodie variiert. Im Gegensatz zu den meisten anderen Choralkantaten
weist das BWV 137 diesbezglich eine Besonderheit auf: sie orientiert sich strker an der
eigentlichen Choralmelodie, das heit, in allen Stzen wird die Melodie weniger stark va-
riiert, sie ist also deutlicher hrbar als in den anderen Choralkantaten. Folgerichtig enthlt
diese Kantate auch kein Rezitativ. Zudem sind textlich alle Strophen des Kirchenlieds
unverndert bernommen. Allerdings weichen Text, Melodie und Rhythmus des heute
gebruchlichen Kirchenlieds geringfgig von der zu Bachs Zeit gesungenen Fassung ab.
Der Begriff der Symmetrie war fr die Menschen der Barockzeit von groer Bedeu-
tung. Das zeigt sich beispielsweise nicht nur in der Architektur, Poesie, Landschaftsgrt-
nerei, sondern auch