JORDI SAVALL LE CONCERT DES NATIONS

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JORDI SAVALL LE CONCERT DES NATIONS LAEISZHALLE GROSSER SAAL 10. & 17.10.2021 BEETHOVEN-ZYKLUS

Transcript of JORDI SAVALL LE CONCERT DES NATIONS

JORDI SAVALLLE CONCERT

DES NATIONS

LAEISZHALLEGROSSER SAAL

10. & 17.10.2021

BEETHOVEN-ZYKLUS

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Jordi Savall ist berühmt für seine tiefgehende Beschäftigung mit Alter Musik von Spanien bis zum Orient. Aus Anlass von Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag hat er sich den Sinfonien des großen Klassikers zugewendet und bringt sie jetzt (mit einem Jahr Corona- Verspätung) in die Laeiszhalle. Dafür hat sich der akribische Musik forscher emsig durch die Partituren gegraben und viel über die Absichten des Komponisten herausgefunden. Die äußerst flotten Tempo angaben etwa setzt sein nach historischen Maßgaben spielendes Orchester Le Concert des Nations bei den drei Konzerten ebenso exakt um wie auf der neuen Gesamtaufnahme.

So, 10. Oktober 20 Uhr | Sinfonien Nr. 6 & 7So, 17. Oktober 1 1 Uhr | Sinfonien Nr. 6 & 7 20 Uhr | Sinfonien Nr. 8 & 9

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Ludwig van Beethoven

ZURÜCK ZUM ORIGINAL

Jordi Savall über die Grundlagen seines Beethoven-Zyklus

Den ursprünglichen organischen Klang des Orchesters wiederzufinden, der Beethovens Vorstellung entsprach – dieser fundamentale Gedanke steht im Zentrum unseres Beethoven- Zyklus. Daraus folgte eine ganze Reihe von Vor-überlegungen, die unsere Neuinterpretation inspiriert, ja sogar bedingt haben.

Um alle Angaben zu Lautstärke und Artikulation überprüfen zu können, war es nötig, die existierenden Originalmanuskripte zu kennen. Daher haben wir sowohl Beethovens Handschriften als auch die bei den ersten Aufführungen verwendeten Partituren und Einzelstimmen studiert und verglichen. Eine der wichtigsten Entscheidungen betraf die Frage der von Beethoven geforderten Tempi. Um die Aufführung seiner Kompositionen abzusichern, hat er selbst äußerst präzise Metronom angaben hinterlassen – die, wie er schrieb, »zu mei-nem Bedauern oft missachtet werden«. Trotz seiner eigen händigen Angaben vertreten leider bis heute viele Musiker und Dirigenten die Ansicht, dass sie in der Praxis nicht durchführbar seien, oder sie verachten sie gar als antikünst-lerisch.

Ein anderer Aspekt betrifft die damals gebräuchlichen Orchesterinstru-mente, die maßgeblich den Klang prägen. Daher verwenden wir ausschließlich Instrumente und Spieltechniken, die denen der Beethoven-Zeit entsprechen: Streichinstrumenten mit Darmsaiten und historischen Bögen; Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte aus Holz, dazu Barockposaunen, Hörner und Natur-trompeten sowie Pauken, die mit Holzschlägeln gespielt werden.

Damit hängt die Besetzungsgröße zusammen. Wie Beethoven setzen wir je nach Sinfonie insgesamt 55 bis 60 Musiker ein. Etwa zwei Drittel von ihnen sind Mitglieder des Orchesters Le Concert des Nations, von denen uns viele schon seit 1989 begleiten. Etwa ein Drittel sind junge Musiker aus ganz Europa und anderen Kontinenten, die in einem Auswahlverfahren bewiesen haben, dass sie zu den besten ihrer Generation gehören.

DER ZYKLUS

Charakteristisch dabei ist das Verhältnis zwischen Bläsern und Streichern. Schon in einer zeitgenössischen Rezension über die Premiere von Beethovens Erster Sinfonie am 2. April 1800 heißt es: »Die Blasinstrumente waren gar zu viel angewendet.« Der französische Musikwissenschaftler und Beethoven-Biograf André Boucourechliev folgerte daraus schon 1963: »Das Gleich-gewicht der Instrumentengruppen wird bei heutigen Interpre-tationen oft missachtet. Die Hypertrophie der Streichergruppe ist eine der hart näckigsten Neigungen des ›Sinfonismus‹. Viele übersetzen den Ausdruck ›Sinfonie‹ in ›Orchester mit 120 Aus-führenden‹. Beethovens Zeitgenosse Ignaz Moscheles dage-gen berichtete, dass Beethoven vor allem ›Verwirrung‹ fürch-tete und nicht mehr als etwa 60 Interpreten für seine Sinfonien haben wollte.« Dieses neue Gleichgewicht ist für uns essen-ziell. Daher haben wir uns für eine ähnliche Orchestergröße entschieden, wie sie Beethoven bei den Aufführungen seiner Sinfonien zur Verfügung stand: 18 Bläser und 32 Streicher.

Das Geheimnis von Beethovens Genie drückt sich in der Sicherheit des schöpferischen Aktes aus, so wie sie durch sein Werk hindurchscheint. Diese Energie, die viele Nachfol-ger überrascht hat, war nie übertragbar, weil der Schaffensakt bei Beethoven häufig die Form eines Kampfes annimmt. Er ist, um schaffen zu können, oft gegen sich selbst angetreten; sein Werk ist das Resultat eines schöpferischen Vorgangs, der eine neue Kunstauffassung bezeugt.

Das Paradox, mit dem wir heute konfrontiert sind, hat der Dirigent und Musikwissenschaftler René Leibowitz bereits vor 40 Jahren dargestellt. Er erinnert an »den privilegierten Platz, den Beethovens Werk in unserem Musikleben einnimmt« (und der sich in Umfragen und Aufführungsstatistiken bis heute regelmäßig bestätigt). Und er fährt fort: »Man wäre versucht daraus abzuleiten, dass Publikum und Interpreten ein tiefes Bewusstsein für die musikalischen Werte beweisen, die in Beethovens Werk eine ihrer höchsten Ausdrucksweisen gefun-den haben. Allerdings gelangt man dann unvermeidlich zu dem

Die übersteigerte romantische Lesart von Beethovens Werken zeigte sich schon zu seinen Leb- zeiten. E. T. A. Hoffmann etwa schrieb 1810 ganz berauscht:

»Beethovens Musik öffnet uns das Reich des Unge heueren und Un ermesslichen. Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen, und alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, in der jede Lust, die, schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und untergeht. Und nur in diesem Schmerz, der, Liebe, Hoffnung, Freude in sich verzehrend, aber nicht zerstörend, unsre Brust mit einem vollstimmigen Zusam-menklang aller Leidenschaften zersprengen will, leben wir fort und sind entzückte Geisterseher.«

Gedanken, dass der Fall Beethoven etwas äußerst Verstörendes hat. Möglicher-weise gibt es keinen anderen Komponisten, der so kontinuierlich falschen und inkongruenten Interpretationstraditionen unterworfen wurde. Traditionen, die so weit gehen, den ganzen Sinn der Werke zu deformieren und zu verbergen – von Werken, die eine ungeheure Popularität genießen. Man scheint etwas anzu-beten, was man nur durch Deformationen kennt, und man deformiert systema-tisch etwas, was man anbetet.«

Unsere Recherchen und die daraus folgende Interpretation berücksichtigen all diese Grundfragen – nicht um ihrer selbst Willen, sondern um unser Haupt-ziel zu erreichen: Beethovens Sinfonien, die so bekannt sind und allzu oft über-dimensioniert und überladen aufgeführt werden, ihre Energie zurückzugeben. Das Resultat ist eine revolutionärer Brillanz, Artikulation, Ausgeglichenheit und Tonstärke und eine von der spirituellen Kraft der eigenen Botschaft getra-genen Dramaturgie. Aus dieser revolutionären Kraft erwächst ein dauernder Wachzustand des schöpferischen Geistes, in dem sich die Jugend der Werke nie erschöpft.

Gar nicht so leicht zu entziffern: Beginn der Sinfonie Nr. 9 in Beethovens Handschrift

DE R Z Y K LU S

DIRIGENT JORDI SAVALL

DIE KÜNSTLER

»Jordi Savall steht ein für die unendliche Vielfalt eines gemein-samen kulturellen Erbes«, würdigte die britische Tageszeitung The Guardian den katalanischen Dirigenten und Gambisten.

Seit mehr als 50 Jahren macht Savall die Welt mit außer-gewöhnlichen musikalischen Werken bekannt und bewahrt sie davor, in Vergessenheit zu geraten. Seine Konzerte, aber auch sein Wirken als Pädagoge, Forscher und Initiator kultureller Projekte haben wesentlich zu einer neuen Sichtweise auf Alte Musik beigetragen. Durch seine unermüdliche Erforschung unbekannten Repertoires und seine historisch fundierte, inter-kulturelle Perspektive auf große Menschheits themen genießt er auf der ganzen Welt einen ausgezeichneten Ruf. Er versteht Musik auch als Mittel der Völkerverständigung und wurde von der Europäischen Union zum »Botschafter für den kulturel-len Dialog« und von der Unesco zum »Künstler für den Frie-den« ernannt.

Jordi Savalls Repertoire reicht von der Musik des Mittel-alters über die Renaissance bis hin zu Barock und Klassik, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der mediterranen und iberischen Tradition liegt. Um seinem Anspruch gerecht zu werden, gründete er gemeinsam mit seiner 2011 verstorbenen Ehefrau, der Sängerin Montserrat Figueras, die Ensembles Hespèrion XXI (1974), La Capella Reial de Catalunya (1987) und Le Concert des Nations (1989).

Mehr als 230 Einspielungen hat Savall bisher aufgenommen. Sie erhielten zahlreiche Auszeichnungen wie einen Grammy und mehrere Midem Classical Awards und International Clas-sical Music Awards. Sein Schaffen wurde außerdem mit den höchsten nationalen und internationalen Ehrungen gewürdigt. So erhielt er den französischen Titel »Chevalier dans l’ordre national de la Légion d’honneur« sowie die »Goldmedaille für besondere Verdienste« der katalanischen Landesregierung. Für sein Lebenswerk wurde Jordi Savall 2012 mit dem däni-schen Musikpreis »Léonie Sonning« ausgezeichnet.

In den vergangenen Jahren war Jordi Savall regelmäßig zu Gast in Hamburg. So illustrierte er 2019 die Geschichte Venedigs musikalisch, dokumentierte 2017 die kulturellen Folgen des Sklavenhandels und zeichnete 2015 ein Panorama der europäi-schen Konflikte rund um den Dreißigjährigen Krieg.

DIRIGENT JORDI SAVALL

LE CONCERT DES NATIONS1989 gründeten Jordi Savall und Montserrat Figueras das Orchester Le Concert des Nations, um ihr Projekt Canticum Beatae Virginis zu realisieren. Dazu ver-einten sie Musiker mehrheitlich aus romanischen oder lateinamerikanischen Ländern, die in der Lage waren, auf historischen Instrumenten ein viel seitiges Repertoire vom Barock bis hin zur Romantik zu interpretieren. Es handelt sich durchweg um anerkannte Spezialisten der sogenannten »historisch informier-ten Aufführungspraxis«. Das Ensemble hat es sich zur Aufgabe gemacht, kon-sequent den ursprünglichen Geist der historischen Werke zu respektieren, sie aber zugleich für heutige Hörer lebendig zu interpretieren. Der Ensemblename selbst verweist auf das Werk Les Nations des Barock-Komponisten François Couperin.

1992 erweiterte Le Concert des Nations noch einmal sein Repertoire und debütierte mit Vicente Martín y Solers Oper Una cosa rara im Orchestergraben

des Théâtre des Champs-Elysées in Paris, am Gran Teatre del Liceu in Barcelona und am Auditorio Nacional in Madrid. Auch die folgende Opernproduktion von Claudio Monteverdis L’Orfeo wurde an renommierten Bühnen aufgeführt, neben Madrid und Brüssel auch im Wiener Konzerthaus. Außerdem brachte die BBC das Werk auf DVD heraus.

Zu weiteren Produktionen von Le Concert des Nations zäh-len Antonio Vivaldis Farnace im Teatro de la Zarzuela in Madrid und Il Teuzzone, halb-szenisch aufgeführt an der Opéra Royal du Château de Versailles. Diese Opern sowie Die sieben letz-ten Worte unseres Erlösers am Kreuz von Joseph Haydn sind ebenfalls auf CD und/oder DVD erschienen. Die umfangreiche Diskografie des Orchesters wurde vielfach prämiert.

D IE K ÜN S T L E R

BEETHOVEN

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Symphonien Nr. 1-5

Symphonien Nr. 6-9

Ref

.: AV

SA99

37R

ef.:

AVSA

9946

NEU AB DEZEMBER 2021

VIOLINE IJakob Lehmann*Manfredo Kraemer*Guadalupe Del MoralElisabet BatallerJuliano BuosiIgnacio RamalRicart RenartSara BalaschAlejandro Correa1

Noyuri HazamaAndrej Kapor

VIOLINE IIMauro Lopes**Santi AubertAlba RocaMaria RocaPaula WaismanAngelika WirthWon Ki-KimVictoria MelikCésar Sánchez1

Alberto Stevanin1

VIOLADavid Glidden**Éva PosvaneczÍñigo Aranzasti1

Alaia FerranFumiko MorieJoël Oechslin1

Núria PujolràsIván Sáez

VIOLONCELLOBalázs Máté**Antoine LadretteDénes KarasszonAnastasia BaravieraCandela GómezJörg Ulrich Krah

KONTRABASSXavier Puertas**Michele ZeoliPeter FerrettiAlberto JaraJosé Luis Sosa1

PICCOLOFLÖTECharles Zebley

FLÖTEMarc HantaïYi-Fen Chen OBOEPaolo GrazziMagdalena Karolak KLARINETTEFrancesco SpendoliniJoan Calabuig

FAGOTTJoaquim GuerraCarles Vallès

KONTRAFAGOTTKatalin Sebella3

HORNThomas MüllerJavier Bonet2

Lars Bausch3

Mario Ortega

TROMPETENJonathan PiaRené Maze

POSAUNEElies HernandisFrédéric LucchiAdrien Muller3

PAUKERiccardo Balbinutti

SCHLAGWERKAdrian Schmid3

Ana Nicolás3

Sergio Álvarez3

ASSISTENZLuca Guglielmi

CHOREINSTUDIERUNGLluís Vilamajó

* Konzertmeister** Stimmführer

1 nur Sinfonie Nr. 8 + 92 nur 17.10.3 nur Sinfonie Nr. 9

BESETZUNG

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Sonntag, 10. Oktober 2021 | 20 Uhr / Elbphilharmonie Abo 4 | 1. Konzert Sonntag, 17. Oktober 2021 | 11 Uhr / Elbphilharmonie Abo 1 | 1. Konzert Laeiszhalle Großer Saal

LE CONCERT DES NATIONS DIRIGENT JORDI SAVALL

Ludwig van Beethoven (1770–1827)

Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale« (1808) Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande: Allegro ma non troppo Szene am Bach: Andante molto moto Lustiges Zusammensein der Landleute: Allegro Gewitter, Sturm: Allegro Hirtengesang – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm: Allegretto

ca. 40 Min.

Pause

Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 (1812) Poco sostenuto – Vivace Allegretto Presto Allegro con brio

ca. 40 Min.

Das Konzert am 17.10. wird aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt als Stream auf www.elbphilharmonie.de ausgestrahlt Gefördert durch

KÜHE IM FAGOTT

Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale«

»Pastoral-Sinfonie, oder: Erinnerung an das Landleben. Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei.« So lautet der vollständige Titel von Beethovens Sechs-ter Sinfonie, und der Komponist legte größten Wert darauf, dass er auf dem Deckblatt der Partitur vollständig abgedruckt wurde. Offenbar ahnte er bereits, auf welch dünnes Eis er sich mit einer so konkreten Überschrift begeben hatte, die er im Nachsatz quasi gleich wieder relativierte. Tatsächlich sah er sich einer ästhetischen Grundsatzfrage gegenüber, die noch lange nach seinem Tod für hitzige Debatten sorgen sollte. Die Frage ist: Muss Musik immer für sich stehen, als abstraktes Kunstwerk zum Selbstzweck? Oder sollte Musik etwas Konkre-tes ausdrücken, ein Gefühl, eine Szenerie, eine Romanhandlung?

Dass Beethoven bei der Komposition tatsächlich ganz konkrete Bilder vor Augen hatte, zeigen schon die Satzüberschriften. Wo sonst nur italienische Tempobezeichnungen zu lesen sind, ist hier von einer »Szene am Bach« die Rede, vom »Lustigen Zusammensein der Landleute«, einem »Gewitter« und einem »Hirtengesang«. Und nicht nur das: All diese Dinge kann man in der Musik wirklich hören. So beginnt der zweite Satz mit dem leisen Murmeln einer Quelle, die sich nach und nach zu einem munteren Bächlein entwickelt – eine frühe Blaupause für Smetanas Moldau. Claude Debussy lästerte später, die Fagotte stellten dann wohl die Kühe dar, die aus dem Bach tränken. Gegen Ende des Satzes imitiert Beethoven sogar ornithologisch korrekt die Rufe von Nach-tigall (Flöte), Wachtel (Oboe) und Kuckuck (Klarinette).

Auch die derben Bauerntänze der Landleute lassen sich bestens heraus-hören. Nach dem schmetternden Einsatz der Hörner leistet sich Beethoven einen typischen Insider-Scherz: Die Oboe setzt mit ihrer tänzerischen Melodie leider einen Schlag zu früh ein und simuliert so einen Amateur-Dorfmusikus.

Plötzlich aber reißt die fröhliche Tanzmusik jäh ab. Ein Gewittersturm zieht auf. Im Streichertremolo braut sich Unheil zusammen, Blitze zucken und die Pauke lässt Donnerschläge durch den Saal rollen. Aus meteorologischer Sicht ist Beethoven damit Vivaldis Vier Jahres zeiten weit voraus, und Wagners Fliegen-der Holländer ist nicht mehr weit. Schließlich beruhigen sich die Natur gewalten und weichen dem Lied eines erleichterten Hirten.

Beethoven selbst war ein großer Naturliebhaber. In der Stadt muss damals ein infernalischer Lärm von Handwerkern, Pferdehufen und Marktschreiern geherrscht haben, vor dem er nur zu gerne in die Umgebung von Wien flüchtete.

DIE MUSIK

Ludwig van Beethoven sammelt Inspirationen für seine »Pastoral-Sinfonie«

»Mein Dekret: nur auf dem Lande bleiben«, notierte er einmal. »Mein unglück-seliges Gehör plagt mich hier nicht. Süße Stille des Waldes!« Kein Wunder, dass er das Bedürfnis verspürte, seinen Empfindungen und Beobachtungen in dem ihm eigenen Metier Ausdruck zu verleihen, der Musik.

Vielleicht ist Beethoven in seinem Mitteilungsbedürfnis dabei ein wenig über das Ziel hinausgeschossen – wie jemand, der seine Freunde mit einem gan-zen Schwall von Urlaubsbildern »beglückt«. Insofern mutet auch sein Versuch, die Satztitel rückwirkend zu relativieren, leicht verschämt an: »Man überlässt es dem Zuhörer, die Situationen auszufinden. Wer jemals eine Idee vom Land-leben bekommen hat, kann sich ohne viele Überschriften selbst denken, was der Autor will.«

Der Schlüssel zu diesem Dilemma könnte im ersten Satz der Sinfonie lie-gen. Schon sein Titel »Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande« zeigt ja, dass hier kein Naturlaut porträtiert wird, sondern eine menschliche Emotion. Die Musik ließe sich auch als allgemein positiv gestimmt beschreiben, ohne Bezug zum Landleben. Sie können also selbst entscheiden, ob Sie Beethovens musikalische Urlaubspostkarten als solche hören möchten oder als Spiegel eigener Erinnerungen und Gefühle.

CLEMENS MATUSCHEK

ORGIE DES RHYTHMUS

Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

Wollten Sie nicht schon immer mal einem Komponisten bei der Arbeit über die Schulter blicken? Dann können Sie entweder nach Bonn ins Beethovenhaus fahren und dort die mehr als hundert erhaltenen Seiten studieren, die Beetho-ven mit Skizzen für seine Siebte Sinfonie vollgeschrieben hat. Oder, noch bes-ser: Sie spitzen Ihre Ohren. Der Anfang dieser Sinfonie kommt nämlich einem Besuch in der Werkstatt des Komponisten gleich.

Die Musik gehört zunächst den Holzbläsern, die sich bedächtig vorantasten. Dann schleicht sich in den Streichern eine Sechzehntelbewegung ein, die ruhe-los die Tonleiter hinauf trippelt. Doch nach gut drei Minuten erreicht die Musik einen toten Punkt, einen einzelnen Ton, den Flöten und Geigen ratlos wieder-holen. Was nun? Beethovens Lösung: Er belebt den Ton, indem er ihn bewegt, ihm einen Puls verleiht. Das Resultat dieser kompositorischen Herzdruck-massage ist ein fröhlich hüpfender Rhythmus im 6/8-Takt.

Damit ist auch gleich das Thema die-ser Sinfonie definiert: Rhythmus! Für Melodien oder komplizierte Struktur-modelle interessiert sich Beethoven in diesem Werk weit weniger als sonst, weniger jedenfalls als für die rhythmi-sche Komponente, für die pure Energie der Vortriebskraft. Die Sinfonie stellt in dieser Hinsicht eine radikale Weiterent-wicklung seiner Fünften dar. Hatte Beet-hoven dort den Kosmos des gesamten Werkes aus einem einzelnen, ebenfalls rhythmisch profilierten Motiv gewonnen (»Tatatataaa«), so ist es hier das Prinzip des Rhythmischen an sich, das das Werk beherrscht. Der erste Satz wird von der Präsenz des tänzerischen 6/8-Taktes so vollständig dominiert, dass sich noch nicht einmal ein melodisches Gegen-thema durchsetzt. Der Musikwissen-schaftler Romain Rolland sprach in diesem Zusammenhang gar von einer »Orgie des Rhythmus«.

Auch der zweite Satz reduziert sich auf ein rhythmisches Modell, das einem

Ludwig van Beethoven (1815)

Trauermarsch gut zu Gesicht stünde, hätte Beethoven den Satz nicht flott mit »Allegretto« überschrieben. Formal handelt es sich um eine Folge von Varia-tionen – aber eben nicht über ein Thema, sondern über einen Rhythmus. Zwei-mal wird das düstere Moll durch einen Abschnitt in Dur unterbrochen, doch auch in diesen Phasen klingt der Kernrhythmus im Bass durch. Schon bei der Uraufführung musste dieser Satz wiederholt werden, und vor einigen Jahren erfuhr er als Untermalung der Schlüsselszene im oscarprämierten Film The King’s Speech neue Popularität.

Unnötig zu sagen, dass auch das wilde Scherzo ganz auf die Kraft des Rhyth-mischen setzt. Für Ruhe sorgt hier lediglich der zweimal eingeschobene B-Teil, der auf einem alten österreichischen Wallfahrtslied basiert. Am Schluss gönnt sich Beethoven noch einen kleinen Scherz: Er tut so, als setze sich der Wechsel zwischen A- und B-Teil unendlich fort – nur um den Satz mit einigen kräftigen Hieben zu beenden. »Als ob der Komponist die Feder auf den Tisch wirft«, empfand es Robert Schumann.

Der letzte Satz schließlich droht von seiner tänzerischen Energie fast er- drückt zu werden; Beethovens Lust an knackigen Rhythmen und treibenden Offbeats ist bis ins Exzessive gesteigert. Oft nimmt er sich noch nicht einmal Zeit dafür, unterschiedliche Abschnitte durch geschmeidige Übergänge zu ver-binden. Stattdessen lässt er die Musik lieber mit immer neuem Schwung ein-setzen, oft auf unvermuteten Harmoniestufen.

Die Wiener Uraufführung 1813 wurde ein voller Erfolg. Beethoven hatte das Konzert als Benefizgala zugunsten von Kriegsinvaliden deklariert; am selben Abend erklang auch seine Schlachtensinfonie Wellingtons Sieg zum ersten Mal. Alle Welt wollte bei dieser musikalischen Feier von Napoleons Niederlage dabei sein, und so konnte Beethoven auf die wohl prominenteste Orchesterbeset-zung aller Zeiten zurückgreifen: Komponisten wie Antonio Salieri, Louis Spohr, Giacomo Meyerbeer, Johann Nepomuk Hummel und Ignaz Moscheles spielten mit. Beethoven äußerte denn auch »mit innigster Rührung«, die Aufführung sei »das Nonplusultra der Kunst« gewesen.

Spätere Generationen waren dagegen geteilter Meinung. Clara Schumanns Vater Friedrich Wieck mutmaßte, die Sinfonie könne »nur in betrunkenem Zustand« komponiert worden sein, und der offenbar noch zarter besaitete Carl Maria von Weber befand gar, Beethoven sei »reif fürs Irrenhaus«. Auf offene Ohren stieß die Sinfonie dagegen bei Richard Wagner. Er bezeichnete sie als »Verherrlichung des Tanzes« – da Beethoven hier die elementare Kraft des Rhythmischen zu etwas Göttlichem geadelt habe.

CLEMENS MATUSCHEK

DIE MU S IK

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Sonntag, 17. Oktober 2021 | 20 Uhr | Laeiszhalle Großer Saal

Elbphilharmonie Abo 5 | 1. Konzert

LE CONCERT DES NATIONS CARL-PHILIPP-EMANUEL-BACH-CHOR HAMBURG

SARA GOUZY SOPRAN LAILA SALOME FISCHER MEZZOSOPRAN MINGJIE LEI TENOR MANUEL WALSER BASS

DIRIGENT JORDI SAVALL

Ludwig van Beethoven (1770–1827) Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93 (1812) Allegro vivace e con brio Allegretto scherzando Tempo di Menuetto Allegro vivace

ca. 25 Min.

Pause

Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 (1824) Allegro ma non troppo, un poco maestoso Molto vivace – Presto Adagio molto e cantabile – Andante moderato Presto – Allegro assai – Recitativo – Allegro assai

ca. 70 Min.

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MIT HERAUSGESTRECKTER ZUNGE

Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93

Ludwig van Beethoven wird ja gemeinhin als »Titan der Musikgeschichte« bezeichnet. Unser Bild von ihm ist geprägt vom heldischen Komponisten der Eroica, der in der Fünften Sinfonie »dem Schicksal in den Rachen greift«, in der Neunten die Menschheit verbrüdert und mit der Mondscheinsonate die Roman-tik begründet. Dabei vergisst man leicht: Beethoven hatte Humor! Und auch in seiner Musik gibt es sie, die unerwartet lustige Seite, die Selbstironie, den musikalischen Spaß – es ist die Seite der Achten Sinfonie.

Recht kurz und heiter ist sie geraten, fast ein wenig harmlos nach der ener-gischen Siebten Sinfonie. Doch der Eindruck täuscht: Beethoven sprüht hier vor Witz, der seinem einstigen Lehrer, dem großen Musik-Humoristen Joseph Haydn, in nichts nachsteht.

Von Anfang an geht es munter zur Sache. Ganz ohne Einleitung stürmt der erste Satz mit einer gut gelaunten Geste voran; sogar die Pauke darf die über-mütigen Achtelläufe der Violinen mitspielen. Aus diesem Impuls entwickelt sich ein stattliches Thema mit einer charakteristischen Punktierung. Doch schon nach wenigen Takten weiß die Musik offenbar nicht recht, wohin sie sich wen-den soll, verbeißt sich hoffnungslos in die punktierte Figur und gerät so völlig aus dem Takt. Erst ein ruhig fließendes neues Thema bringt den Satz voran. Und so groß der Wirbel ist, den Beethoven am Ende des Mittelteils veranstaltet, wenn das Thema in den Celli und Bässen wummernd zurückkehrt, so kokett lässt er den Satz im Pianissimo enden.

An zweiter Stelle einer Sinfonie steht ja üblicherweise ein getragener Satz, in der Eroica sogar ein finsterer Trauermarsch. Und nun? Ein Allegretto scher-zando! Lange Zeit dachte man, die charmante Melodie dieses Satzes stamme aus einem Kanon, den Beethoven spontan für den befreundeten Ingenieur Johann Nepomuk Mälzel komponiert habe, als Dank für die Erfindung des Met-ronoms. Inzwischen weiß man: Der Kanon entstand erst später, und ob ihn Beethovens Biograf Anton Schindler, auf den diese Anekdote zurückgeht, nicht gleich selbst geschrieben hat, lässt sich heute nicht nachvollziehen. Tatsäch-lich aber erinnert die Musik an ein tickendes Uhrwerk. Oder, wenn die Streicher plötzlich in hektische Läufe ausbrechen, an einen klingelnden Wecker ...

Dass auf dieses Intermezzo ein geradezu archaisches Menuett folgt, fällt ebenfalls weit hinter die Errungenschaften früherer Sinfonien zurück. Die pom-pöse Musik wird allerdings hörbar durch die Tatsache getrübt, dass die Holz-bläser gleich ihren ersten Einsatz zu verpassen scheinen.

DIE MUSIK

Ludwig van Beethoven, Zeichnung von 1815

Der Finalsatz beginnt im verheißungsvollen Flüsterton, nur um dem Hörer unvermittelt einen äußerst unanständigen Ton im Tutti-Fortissimo entgegenzuschleudern – »als ob jemand mit-ten im Gespräch die Zunge herausstreckt«, empfand es der Komponist Louis Spohr. Auch im Verlauf des Satzes bleiben unvermittelte Kontraste das zentrale kompositorische Mittel. Am Ende scheint sich Beethoven gar selbst zu persiflieren: Mit einer plumpen Halbton-Rückung erreicht er eine Coda, die exemplarisch die Unfähigkeit des Komponisten vorführt, zum Ende des Satzes auf den Punkt zu kommen und den Schluss-akkord zu erreichen.

Das Publikum der Wiener Uraufführung im Frühjahr 1814 wusste nicht recht, was von dieser Sinfonie zu halten sei. »Sie machte keine Furore«, konstatierte ein Musikkritiker, nicht ohne pflichtschuldigst anzumerken, dass die Konzentration der Hörer und der Effekt der Sinfonie unter den vorangegan-genen Werken – unter anderem der Siebten und Wellingtons Sieg – gelitten hätten. »Dabei ist sie viel besser«, kommentierte der Komponist nach Überlieferung seines Schülers Carl Czerny brummelnd.

Der entspannte Grundton mutet umso merkwürdiger an, wenn man sich Beethovens damalige Lebensumstände ver-gegenwärtigt. Die Sinfonie entstand innerhalb weniger Monate im Sommer 1812. Sowohl sein Gehör als auch sein Magen hat-ten sich so sehr verschlechtert, dass er den gesamten Sommer in verschiedenen böhmischen Kurorten verbrachte. Anderer-seits schrieb er von dort einen langen Liebesbrief an eine Frau, deren Identität bis heute nicht vollständig geklärt ist: »Schon im Bette drängen sich die Ideen zu Dir, meine Unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schick-sale abwartend, ob es uns erhört. Ja, ich habe beschlossen, so lange in der Ferne herumzu irren, bis ich in deine Arme fliegen kann.« Die Fröhlichkeit der Achten Sinfonie könnte also auch diesen Grund haben: Beethoven war verliebt!

CLEMENS MATUSCHEK

MUSIKALISCHES WELTKULTURERBE

Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125

Wo soll man anfangen bei dieser Sinfonie, über die wirklich alles gesagt zu sein scheint und die sich doch nicht in Worte fassen lässt? Mit der Leonard Bernstein einen Monat nach dem Fall der Mauer in Berlin die Deutsche Wiedervereinigung untermalte, aus der die Europahymne hervorging, deren Original manuskript 2001 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde, nach deren Umfang einst die Länge der CD ausgerichtet wurde (74 Minuten, so lang dauerte Wilhelm Furtwänglers Aufnahme von 1951 aus Bayreuth) und die immer dann erklingt, wenn es etwas zu feiern gibt (etwa Konzerthaus eröffnungen)? Schon Claude Debussy musste 1901 einsehen, dass der Sockel, auf den Beethovens Neunte Sinfonie von der Nachwelt gehoben wurde, ihr gleichzeitig das Genick brach: »Man hat sie in einen Nebel von hohen Worten und schmückenden Beiworten gehüllt«, schrieb er. »Sie ist – neben dem ›Lächeln der Mona Lisa‹ – das Meis-terwerk, über das am meisten Unsinn verbreitet wurde. Man muss sich nur wundern, dass sie unter dem Wust von Geschreibe, den sie hervorgerufen hat, nicht schon längst begraben liegt.«

Die Geschichte der Neunten Sinfonie geht weit über ihren bloßen Entste-hungsprozess hinaus und umspannt mehrere Jahrzehnte. Bereits als junger Komponist in seiner Heimatstadt Bonn begeisterte sich Beethoven für die Ode des nur elf Jahre älteren Dichters Friedrich Schiller. »Lasst uns die Worte des unsterblichen Schiller singen!« trug er in eines seiner Skizzenbücher ein. 1793 schrieb der Bonner Rechtsgelehrte Bartholomäus Fischenich an die Frau des Dichters, er könne »von einem jungen Mann berichten, dessen musikali-sche Talente allgemein gerühmt werden und den nun der Kurfürst nach Wien zu Haydn geschickt hat. Er wird Schillers Freude bearbeiten, und zwar jede Stro-phe. Ich erwarte etwas Vollkommenes, denn so viel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene.«

Bis sich Beethoven dieser Aufgabe tatsächlich gewachsen sah, verstrichen allerdings noch weitere 30 Jahre. Nach und nach wandte er sich von einer ein-fachen Liedvertonung ab und einer Sinfonie mit vokalen Elementen zu, doch erst aus dem Jahr 1822 findet man in seinem Skizzenbuch den Eintrag »Finale: Freude schöner Götterfunken«. Die Entscheidung, für den Schlusschor genau dieses Gedicht auszuwählen, war also keiner zufälligen Laune geschuldet; sie war vielmehr das Bekenntnis zu einem Text, der ihn ein Leben lang begleitete.

Diese intensive Beschäftigung des Komponisten mit der Ode steht kurioser-weise im Widerspruch zu deren eigener Entstehung: Es handelt sich »nur« um ein Gelegenheitsgedicht eines 26 Jahre jungen Dichters, geschrieben im Über-schwang im Sommer 1785, das niemals für die große Öffentlichkeit bestimmt war, sondern für einen Freund und dessen Freimaurerloge. Zum Glück wider-setzte sich Beethoven dieser Vorgabe. Und so fanden »zwei Leidgeprüfte und Schmerzerfahrene« zusammen, die »sich Trost zusingen in einem Gemein-schaftswerk über das, was in ihrer beider Leben gefehlt hat: die Freude«, wie es Dieter Hildebrandt einmal zusammenfasste.

Ludwig van Beethoven, 1823

DIE MU S IK

Als der Plan erst einmal stand, ging alles plötzlich ganz schnell. Beethoven hob für das Finale die zentralen Aussagen des eigentlich neun Strophen umfassen-den Gedichts heraus, ordnete sie in neuer Reihen-folge an und stellte die Sinfonie im Jahr 1823 erstaunlich zügig fertig. Am 7. Mai 1824 wurde sie im Wiener Theater am Kärntnertor zusam-men mit der Ouvertüre zu Die Weihe des Hau-ses und Teilen der Missa solemnis uraufge-führt. Die Reaktionen waren enthusiastisch, wobei man dem völlig ertaubten Kompo-nisten erst bedeuten musste, sich zum wild applaudierenden Publikum umzudrehen, wie Augenzeugen berichteten. Schon bald erklang die Sinfonie in vielen anderen Städten, darunter auch in London, wo das Werk ursprünglich von der Philharmonic Society in Auftrag gegeben worden war. Erstaunlicherweise waren sich die Kritiker nicht durchweg einig. So monierte Giuseppe Verdi später, das Finale sei »schlecht gesetzt«, während Richard Wagner in der Neunten »das menschliche Evangelium der Kunst der Zukunft« sah. Lange Zeit sollte es das einzige Werk bleiben, dass neben seinen Opern im Bayreuther Festspielhaus gespielt werden durfte.

Bei aller Fokussierung auf das Chorfinale, das Grenzen der eigentlich rein instrumentalen Gattung Sinfonie nachhaltig sprengte, wird gern vergessen, dass ihm noch drei weitere Sätze vorausgehen. Und auch sie stellten Beetho-vens bisheriges Schaffen in den Schatten: »Kein Kopfsatz, den man sich monumentaler, kein Scherzo, das man sich wilder und bac-chantischer denken könnte, kein Adagio, dem ein größeres Maß an Beseeltheit und Ver- Beethoven-Statue vor dem Beethovenhaus Bonn

sunkenheit innewohnte«, fasst es der Musikwissenschaftler Martin Geck im Beethoven- Handbuch zusammen. Allein wie die Musik zu Beginn des ersten Satzes irgendwo zwischen Dur und Moll im Pianissimo quasi aus dem Nichts entsteht, gehört zu den großartigsten Ein gebungen des Komponisten überhaupt.

Doch spätestens am Versuch, den vierten Satz zu beschrei-ben, biss sich die Wissenschaft die Zähne aus. »Die Form des Finales der Neunten gibt es nicht und kann es nicht geben«, resignierte etwa der amerikanische Forscher James Webster. Besonders treffend beschrieb es bereits ein Kritiker der Urauf-führung: »Das leidenschaftliche, mit allen Elementen und Kräf-ten der Musik kämpfende und ringende Wesen des Finales ist in der Tat nicht beim ersten Anhören aufzufassen. Beethovens Genie hat sich hier an keine Schranken gehalten, sondern sich seine ganz eigene Welt geschaffen, und darin mit einer so gewaltigen Kraft und Freiheit sich bewegt, dass man sieht, wie ihm die bisherige Welt zu klein erscheint, und er sich eine mit ganz neuen Gestalten bauen musste.«

Beethoven schien sich zunächst selbst unsicher zu sein, ob die Einbeziehung des gesungenen Wortes im Finale wirklich die richtige Entscheidung war. Zumindest fertigte er Skizzen zu einem rein instrumentalen Finale an. Besonders die Frage, wie sich der Einsatz der Singstimmen mit der Freude- Melodie nach der über 200 Takte umfassenden orchestralen Einleitung überzeugend gestalten ließe, trieb ihn um. Er entschied sich schließlich für die Einfügung eines Rezitativs, für das er selbst den Text schrieb. Mit den Worten »O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freuden- vollere«, wird die bedrohliche, schrill-dissonante »Schreckens-fanfare« (Richard Wagner) zurückgewiesen und dem Eintritt der Freudenhymne der Weg bereitet. Und was dann folgt, spricht für sich selbst.

SIMON CHLOSTA

Friedrich Schiller: Ode an die Freude

O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere!

Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum! Deine Zauber binden wieder Was die Mode streng geteilt; Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt.

Wem der große Wurf gelungen, Eines Freundes Freund zu sein; Wer ein holdes Weib errungen, Mische seinen Jubel ein! Ja, wer auch nur eine Seele Sein nennt auf dem Erdenrund! Und wer’s nie gekonnt, der stehle Weinend sich aus diesem Bund!

Freude trinken alle Wesen An den Brüsten der Natur; Alle Guten, alle Bösen Folgen ihrer Rosenspur. Küsse gab sie uns und Reben, Einen Freund, geprüft im Tod; Wollust ward dem Wurm gegeben, Und der Cherub steht vor Gott.

Froh, wie seine Sonnen fliegen Durch des Himmels prächt’gen Plan, Laufet, Brüder, eure Bahn, Freudig, wie ein Held zum Siegen.

Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt! Brüder, überm Sternenzelt Muss ein lieber Vater wohnen. Ihr stürzt nieder, Millionen? Ahnest du den Schöpfer, Welt? Such ihn überm Sternenzelt! Über Sternen muss er wohnen.

Freude, schöner Götterfunken!

D IE MU S IK

SARA GOUZY SOPRAN

In den letzten Jahren hat sich Sara Gouzy zahl-reiche Auszeichnungen ersungen. So durfte sich die französische Sopranistin unter ande-rem über einen Ersten Preis beim italienischen Opernwettbewerb »Antonio Bertonlini« freuen. Die junge Wahl-Berlinerin hat sich längst auf den Opernbühnen Europas etabliert und wurde in Partien wie Despina in Mozarts Così fan tutte oder Amor in Christoph Willibald Glucks Orfeo ed Euridice gefeiert.

Zu Beginn der aktuellen Saison sorgte sie mit Poulencs faszinierender Mono-Oper La voix humaine am Delphi Theater in Berlin für Auf-sehen. Konzertprojekte führten sie unter ande-rem ins Konzerthaus Berlin und ins Barbican Centre in London sowie zu Festivals wie dem Kissinger Sommer. Ihre besondere Leiden-schaft gilt dabei der Alten Musik sowie der Wie-ner Klassik. Auf einer gemeinsamen Tournee mit Jordi Savall singt sie nicht nur wie heute die Sopran-Partie in Beethovens 9. Sinfonie, sondern auch in Mozarts Requiem.

LAILA SALOME FISCHERMEZZOSOPRAN

Bereits mit acht Jahren stand die Berliner Mezzosopranistin Laila Salome Fischer auf der Bühne der Komischen Oper in ihrer Heimat-stadt Berlin. Schon drei Jahre später wurde sie dort als Jungstudentin an der Universität der Künste aufgenommen, wo sie ihre Gesangs-ausbildung auch nach dem Abitur fortsetzte. Bereits während ihres Studiums debütierte sie an der Deutschen Oper Berlin und bei den Musikfestspielen Potsdam. Es folgten Auf-tritte bei den Bregenzer Festspielen und am Staatstheater Cottbus, wo sie unter anderem als Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte gefeiert wurde.

Mit besonderem Interesse widmet sich Laila Salome Fischer der historischen Aufführungs-praxis und wurde in der Kategorie »Alte Musik« als Stipendiatin des Deutschen Musikwettbe-werbs ausgewählt. Die preisgekrönte Sängerin ist Mitglied des Barockensembles Il Giratempo und seit 2019 an der Staatsoperette Dresden engagiert.

MINGJIE LEI TENOR

Mingjie Lei gehört zu den vielversprechendsten jungen Opernsängern seines Faches. Geboren in Hengyang, China, studierte er in Peking, New York und Philadelphia. Von 2015 bis 2017 war er Mitglied des Ryan Opera Centre der Lyric Opera of Chicago. 2016 nahm er am Young Singers Project bei den Salzburger Festspielen teil. In Salzburg übernahm er 2017 auch die Partie des Liverotto in Donizettis Lucrezia Borgia.

Seit 2018 gehört Mingjie Lei zum Ensemble der Staatsoper Stuttgart. In der aktuellen Sai-son ist er dort als Tamino in Mozarts Die Zau-berflöte und als Don Ottavio in Don Giovanni zu erleben. Zu den Highlights der vergangenen Spielzeiten zählen Gastspiele an der Deutschen Oper Berlin, am Opernhaus Zürich und eine Tournee mit musicAeterna, Teodor Currentzis und Mozarts Così fan tutte. Auch als Konzert- sänger ist Mingjie Lei erfolgreich. Ausgezeich- net wurde er etwa beim Internationalen Ge- sangswettbewerb »Neue Stimmen« sowie mit dem »Song Prize« der BBC Cardiff Singer of the World Competition.

MANUEL WALSER BASS

Der Bassbariton Manuel Walser sang sich als Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper an die Weltspitze. Große Erfolge feierte er dort in Rollen wie Schaunard in Giacomo Puccinis La Bohème oder Masetto in Mozarts Don Giovanni. 2014 debütierte der mehrfach ausgezeichnete Sänger bei den Salzburger Festspielen in der Partie des Brutamonte in Franz Schuberts Oper Fierrabras und 2018 an der Staasoper Berlin als Harlekin in Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos.

Neben seinen zahlreichen Auftritten in be- deutenden europäischen Opernhäusern steht der Schweizer Sänger regelmäßig auch auf großen Konzertbühnen. Dabei ist er nicht nur ein leidenschaftlicher Liedinterpret, sondern auch ein gefragter Konzertsolist bei Orches-tern wie dem Concertgebouworkest Amster-dam oder dem französischen Barockensemble Pygmalion.

S OL I S T E N

CARL-PHILIPP-EMANUEL-BACH-CHOR

Mit seinen gut 70 Sängerinnen und Sängern steht der Carl- Philipp- Emanuel-Bach-Chor Hamburg für pure Singfreude und einen erfrischend unbändigen künstlerischen Ausdruck. Seit 1998 ist das renommierte Ensemble als freier Konzertchor tätig. Seine Historie reicht allerdings bis ins 18. Jahrhundert zurück, in die Zeit seines Namensgebers. Der musikalische Schwerpunkt liegt auf großen Oratorien und Messen; die experimentierfreudigen Musikerinnen und Musiker widmen sich darüberhinaus aber einem außergewöhnlich breiten Repertoire vom Barock bis in die Moderne, vom Oratorium und der Oper bis zur A-cappella-Musik.

Einladungen zu Konzertprojekten mit Klangkörpern wie dem Birmingham Symphonie Orchestra unter Mirga Gražinytė-Tyla, Zusammenarbeiten mit gro-ßen Künstlerinnen und Künstlern wie der Sopranistin Simone Kermes, dem Bariton Michael Volle oder den Dirigenten Kent Nagano und Sylvain Cambreling zeugen vom musikalischen Gestaltungswillen des Konzertchors. Ständiger Gastdirigent ist Hansjörg Albrecht, der Leiter des Münchener Bach-Chors und Bach-Orchesters.

CHOR

SOPRAN

Britta BirthLona BoxleitnerAgnes von BeöczyShirley-Anne GrüneisenClaudia HartzOriana HertleinMagdalena HuhnBarbara KleinerLinde Kohl-JürgensJolanta Lada-ZielkeAntje MännichGinny MöllerHanna RammingerKatja ReichmannAndrea RingleFreja SandkammLinda SmailusNavina SchoßJustine Spies

ALT

Benjamin Boresch Sabien de Brabander-Roeder

Gisela DungerPauline GanthierNina KopraLucie LaurerBarbara von LipinskiUte Liedemann-RiefelKaren Natorp-HenschenGabriele MerkesSwantje MöllerFranziska PoensgenSilvia RauserSophie Werkmeister

TENOR

Aörg BuchholzChristoph EderKay FuhrmannJoost Grubert

Rainer HallenslebenNico MichalakMatthias MöllerOliver Schuster,Ulrich Siegler,Florian StoelzelBogun Wang

BASS

Andreas GehringMatthias GrubmüllerEberhard JungeThomas JürgensJohannes KörnerPeter KubikFelix MoserHelmut ReichmannJonathan RohlederLukas RüheAndreas SchmidtChristoph Sturm

WWW.ELBPHILHARMONIE.DETICKETS 040 357 666 66

ALTE MUSIK IN ELBPHILHARMONIE & LAEISZHALLE

UND VIELE MEHR

18.10.2021 ENSEMBLE JUPITER | DESANDRE | DUNFORD

14.01.2022 SAVALL | DUFTSCHMID | LISLEVAND | HANTAÏ04.02.2022 »H-MOLL-MESSE«: BALTHASAR-NEUMANN-ENSEMBLES | HENGELBROCK

22.02.2022 AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN | VOCES SUAVES23.05.2022 LE POÈME HARMONIQUE | DUMESTRE

»MESSIAH«: ACADEMY OF ANCIENT MUSIC | TENEBRAE | SHORT18.12.2021

16.02.2022 »L’ORFEO«: EUROPA GALANTE | BOSTRIDGE | BIONDI

AMAZONE MIT KRISTALLSTIMMEDie »historisch informierte Aufführungspraxis«, wie sie Jordi Savall und Ensembles wie Le Concert des Nations mit ihren authentischen Spielweisen geprägt haben, ist längst zu einer eigenen, quicklebendigen Szene avanciert. Zu ihren jüngs-ten Vertretern zählt die französische Mezzosopranistin Lea Desandre, die mit kristallklarer Stimme weltweit für Aufsehen sorgt. In Hamburg präsentiert sie ein außergewöhnliches Arien- Programm rund um die Amazonen, jene stolzen Kriegerinnen der Antike, die in der Barockoper zum Kult-Rollenmodell avan-cierten und heute noch als »Wonder Woman« präsent sind.

Mo, 18.10.2021 | 20 Uhr | Laeiszhalle Großer Saal

Es ist nicht gestattet, während des Konzerts zu filmen oder zu fotografieren.

IMPRESSUMHerausgeber: HamburgMusik gGmbHGeschäftsführung: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen MargedantRedaktion: Clemens Matuschek, Simon Chlosta, Laura Etspüler, Julika von WerderLektorat: Reinhard HellingGestaltung: breeder typo – alatur, musialczyk, reitemeyerDruck: Flyer-Druck.deGedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier

Anzeigen: Antje Sievert, +49 40 450 698 03, [email protected]

BILDNACHWEISCover: Jordi Savall (David Ignaszewski); Beethoven 1820: Gemälde von Joseph Karl Stieler (Beethoven-Haus Bonn); Autograf der Neunten Sinfonie (Staatsbibliothek Berlin); Jordi Savall, Le Concert des Nations (beide Toni Peñarroya); Beethoven in der Natur: Gemälde von Julius Schmid (Wien Museum); Beethoven 1815: Gemälde von Joseph Willibrord Mähler (Beethoven-Haus Bonn); Beethoven: Zeichnung von Johann Theodor Lyser (1815); Beethoven 1823: Gemälde von Ferdinand Georg Waldmüller 1823 (Beethoven-Haus Bonn); Beetho-ven-Denkmal (Jakob Daniel Burgschmiet); Sara Gouzy (Jeremy Knowles); Laila Salome Fischer (Kinga Leftska); Mingjie Lei (Daniel Delang); Manuel Walser (Thomas Walser); Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor (privat); Lea Desandre (Monika Ritterhaus)

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