Jubiläumsveranstaltung der Stiftung Institut für Sozialtherapie Egliswil 03.09.2004 Stellenwert...
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Jubiläumsveranstaltung der StiftungInstitut für Sozialtherapie
Egliswil 03.09.2004
Stellenwert der ausstiegsorientierten Suchttherapie in der Schweiz
A. Uchtenhagen
Institut fürSuchtforschung Zürich
(www.suchtforschung.ch)
Überblick
• Konkurrenzierung der ausstiegsorientierten Therapien
• Entwicklungen im ambulanten Bereich
• Entwicklungen im stationären Bereich
• Thesen für die Zukunft
Konkurrenzierung ausstiegsorientierter Therapien
•Trend zu schadensmindernden Massnahmen–Erreichung der nicht-ausstiegswilligen Konsumenten
•Trend zu medikamentengestützten Behandlungen–Ausstiegsbereitschaft keine Vorbedingung
•Trend zur Bevorzugung ambulanter und teil-stationärer Therapien vor stationären Langzeit-behandlungen
–Flexiblere Regimes–Gleicher Nutzen bei geringeren Kosten
Entwicklung im ambulanten Bereich
•Frühinterventionen
•Entzugsbehandlung
•Psychotherapie
•Rückfallsprophylaxe
Früh-Intervention und Motivationsförderung ambulant
• Anwendbar bei riskantem/schädlichem Konsum von Alkohol, Nikotin, Medikamenten
• Ziel : Einsicht in die Vermeidbarkeit schädlicher Folgen, entsprechendes Konsumverhalten
• Mittel : klare Info, konkrete Vorschläge (Konsummenge, -umstände, Vermeidung von Risikosituationen
• Wichtig : Vertrauen des Patienten in seine Fähigkeit zur Kontrolle und Eigenverantwortung stärken
• Standardisierte Verfahren
Entzugsbehandlungen
• Diversifikation der Methoden– agonistengestützter Opiatentzug– antagonistengestützter Opiatentzug, UROD– symptomorientierte Medikation– nichtpharmakologische Methoden
• Ambulante und stationäre Settings– ambulanter Alkoholentzug– Stationärer Entzug mit ambulanter
Anschlussbehandlung
Voraussetzungen des ambulanten Entzugs
• Keine schwerwiegenden körperlichen Erkrankungen
• Keine Verletzungen, kein Unfall
• Keine Psychose oder Suizidalität in Anamnese
• Keine Krampfanfälle bekannt
• Patient ist ausreichend bekannt und verlässlich
• Patient ist ausreichend sozial integriert
• Gemeinsame Behandlungsplanung ist möglich
• Kein erhöhtes Risiko für schweren Entzug (Risiko-abschätzung z.B. nach LARS)
Psychotherapie ambulant
• Gesonderte Indikation• Vereinbarung über Vorgehen, Dauer, Kontrollen,
Sanktionen, Abschluss• Methoden :
- verhaltenstherapeutische (z.B. Desensibilisie-rung, skills training, contingency management)
- systemische (Paar-, Familientherapie)
- analytische (z.B. Verfahren für narzisstische Störungen)
• Probleme (Compliance, Abbrüche)
Rückfallsprophylaxe
• Erkennen von und Umgang mit Risikosituationen lernen; gesteigertes Bewusstsein von Selbstwirk- samkeit verringert Rückfallsrisiken (Marlatt und Gordon)
• Desensibilisierung von konditioniertem Suchtverlangen (Saunders und Alsop)
• Selbstkontrolle des Konsumverhaltens lernen
• Unspezifisches Training sozialer Fähigkeiten
• Nachbetreuung mit Krisenintervention
• Anti-craving medication mit Betreuung
Ergebnisse und Grenzen
• Frühinterventionen, Motivationsförderung– weniger und weniger schädlicher Konsum
• Entzugsbehandlungen– Kombination mit pharmakologischen Methoden– Abbruchquoten und Rückfälle
• Psychotherapie– ev. wichtige Unterstützung anderer Therapien
• Rückfallsprophylaxe– Kombination mit pharmakologischen Methoden
Entwicklung im stationären Bereich
• Wichtigste Trends
• Neuere Settings und Spezialfunktionen
• Indikation, Trends der Nutzung
• Entwicklung des Platzangebots
• Stand der Finanzierung
Langzeitbehandlung stationär
• Diversifikation der Therapieziele und -methoden
• Bessere Professionalisierung und Vernetzung
• Individualisierung der Therapie
• Ausgebaute Nachsorge
• Gute rehabilitative Ergebnisse, aber hohe Abbruchraten und hohe Selektivität
• Qualitätsstandards eingeführt (QuaTheDA)
• Akute Probleme mit der Finanzierung in CH
Diversifikation der Orientierung
•Typen der Orientierung –Religiöse Orientierung –Charismatische Orientierung („Guru“)–Familiäre Orientierung (Grossfamilie) –Basisdemokratische Orientierung –Experten-Orientierung (Professionalisierung, evidence-based)
•Entsprechend unterschiedliche Werthaltungen (Meyer-Fehr 1987)
Diversifikation nach Zielgruppen
•Zielgruppen : –Jugendliche –Frauen –Paare und Familien –Komorbiditäten –Minoritäten (Fremdsprachige etc.) –Delinquenten
•Spezialisierte Psychotherapien
•Spezialisierte Therapeutische Gemeinschaften
•Unterstützung von Selbsthilfe
Modifikation der Settings(Integrated systems approach)
•Modifizierte Therapeutische Gemeinschaften für Suchtkranke im Strafvollzug
•Modifizierte Therapeutische Gemeinschaften in Strukturen wie „foyer“ oder „sleep-in“
(Wexler 1995, De Leon 1997, Uchtenhagen 2002)
Modifikationen der stationären Therapien
•Reduzierte Dauer der stationären Phase, gefolgt von einer Wiedereingliederungsphase ambulant/teilstationär
•Spezielle Wiedereingliederungsprogramme (re-entry programme)
•Tagesprogramme / Tageskliniken
•Kombinierte psychosoziale - pharmakologische Angebote (Substitution)
Behandlung von Komorbidität stationär
(nach Moggi et al 1996)
• Unterschiede zur sonstigen Langzeittherapie :
- erweiterte Diagnostik
- spezifisches Phasenkonzept
- spezifische Motivationsarbeit
- Verzicht auf Konfrontationsmethoden
- Stellenwert der Pharmakotherapie
• Voraussetzung : psychiatrische Kompetenz im Team
Unfreiwillige Behandlung stationär
• Massnahmenvollzug in regulärem setting : gleiche Erfolgschancen wie bei freiwilliger Behandlung
• Behandlung in Sonderabteilung einer Strafanstalt : günstige Resultate, wenn als Option angeboten
• FFE in geschlossener psychiatrischer Klinik : zur Abwendung von Selbst- und Fremdgefährdung sowie zur Behandlung von Begleiterkrankungen
• Administrative Einweisung in Zwangsbehandlung : geringes Veränderungspotential
• Unfreiwillige Pharmakotherapie : nur bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung
Kombinierte Modelle stationärer Langzeittherapie mit Substitution
(de Leon 2003, Espegren et al 2003) •TG mit externem Methadonprogramm
•TG mit fakultativer Substitutions-Phase während der ersten 6 Monate, dann reguläres Programm (M-A)
•TG halbstationär (Tagesprogramm „Projet passages“)
•Selbsthilfe-Programm („12-step“, „Methadone anonymous“)
Theoretische Basis für Kombinationsmodelle
Recovery stage paradigm (de Leon 1996)
•10 Stufen des Heilungsprozesses –Verleugnung (denial)–Ambivalenz –Motivation (extrinsic - intrinsic)–Bereitschaft für Veränderung (readiness to change)–Bereitschaft für Behandlung –Distanz zu Suchtmitteln –Abstinenz–Durchhalten–Integration und verändertes Selbstbild
Indikationen für Kombinationsmodell
•Opiatabhängige mit fortgesetztem Heroinkonsum und chaotischem Lebensstil während methadongestützter Behandlung
•Hoch rückfallgefährdete Klienten in stationärer Behandlung
•Klienten die bereit sind ein stationäres Programm zu akzeptieren, aber (noch) nicht die Abstinenz
Indikationen für eine stationäre ausstiegsorientierte Therapie
•Fehlende Minimalvoraussetzungen für eine ambulante Behandlung
•Moratorium (Unterbrechung von Dauerintoxikation und chronischem Ausweichen vor therapeutischem Kontakt)
•Entzug (Teilentzug oder Vollentzug), Entwöhnung und Rehabilitation unter Kontrolle
•Vorbereitung einer ambulanten Therapie
•Präferenz des Patienten
Besondere Risiken der stationären Langzeittherapie
•Hohe Abbrecherquoten (bis 2/3)
•Schwächung von Selbstverantwortung und Sozialkompetenz in einem direktiven Milieu, Hospitalismus
•Anpassung an einen Lebensstil, der für das Überleben ausserhalb der Institution wenig geeignet ist
•Risiko des Rückfalls mit Todesfolge nach Therapieabschluss (Verlust der Opiattoleranz)
Ergebnisse stationärer ausstiegsorientierter Therapie
•Gute Ergebnisse bezüglich Suchtmittelfreiheit–aber auch Hilfe zum kontrollierten Konsum
•Gute Ergebnisse bezüglich sozialer Integration und Gesundheitszustand
•Nachhaltig günstige Ergebnisse–Signifikante Verbesserungen über 5 Jahre (NTORS)
•Gute Kosten-Effektivität–beste Resultate bei Gesamtkosten(Hubbard et al 1989)–bessere Resultate ambulant pro Tag (CALDATA)
Stationäre Langzeittherapie BRD (Gresch 2004)
•Dauer–Orientierungsphase ca. 3-4 Wochen–Behandlungsphase ca. 7-14 Wochen–Re-Integrationsphase ca. 8-12 Wochen–durchschn. Gesamtdauer ca, 18-30 Wochen
•Mangelnde Effizienz der psychotherapeutisch orientierten stationären Sucht-Rehabilitation
•Kosten–Senkung möglich im Programmbereich–Senkung möglich im Personalbereich
Stationäre drogenfreie Behandlungen Schweiz 1995-2001 : frühere Therapien der Eintretenden (nach KOFOS Schaaf et al 2002)
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
1995 2001
keine nur TG nur MMT beides
Therapieangebot für OpiatabhängigeSchweiz 1993-2002
0
5000
10000
15000
20000
St M H
1993 2000 2002
• St = Stationäre Langzeit-Therapie (drogenfrei) :
Zunahme 1993-2000 : 12%
Abnahme 2000-2002 : 6%
• M = Methadongestützte Behandlung :
Zunahme 1993-2000 : 34%
Zunahme 2000-2002 : 12%
• H = Heroingestützte Behandlung :
Zunahme 1994-2000 : 29%
Zunahme 2000-2002 : 1%
Aktuelle Entwicklung des Angebots an stationären Langzeittherapien
• Zahl der Institutionsschliessungen von1999 bis 2004 : 41
• Zahl der verloren gegangenen Behandlungsplätze geschätzt zwischen 300 - 350
• Alle Schliessungen erfolgten in der Deutschschweiz
Schliessungen stationärer drogen-therapeutischer Einrichtungen
1999-2004 (nach KOSTE)
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Schliessungen
Stand der Finanzierung stationärer Langzeittherapie (nach KOSTE)
• Umsetzung FiSu 1:1 : Kt. Tessin, Leistungs-finanzierung im Sinne FiSu Kt. Bern
• Annähend kostendeckende Tagespreise in den meisten Institutionen
• Kantonalisierung bei den Placierungen
• Druck auf Aufenthaltsdauer durch Kostenträger
• Zum Teil Leistungsvereinbarungen
• Regionale Absprachen, wenig Transparenz
Thesen zum Stellenwert der Abstinenz heute
• Suchtmittelfreiheit ist eher ein therapeutisches Mittel als ein Selbstzweck
• Menschen wollen Suchtmittel wie andere Angebote instrumentell einsetzen können
• Suchtmittelfreiheit ist nicht gleichbedeutend mit guter Lebensqualität
• Der gesellschaftliche Anspruch geht auf kontrollierten Konsum, nicht auf Abstinenz
• Ausstiegsorientierte Therapie wird von Be-troffenen nach wie vor verlangt
Thesen zur Versorgungs- und Finanzierungspolitik
• Ausstiegsorientierte therapeutische Angebote sind unentbehrlich für Menschen mit Suchtproblemen,für die es keine Ersatzstoffe gibt
• Ausstiegsorientierte Angebote sind unentbehrlich für eine Übergangsphase vieler Betroffener und für Mehrfachabängige
• Optimale Nutzung nur mit einheitlicher und verlässlicher Finanzierung
• Optimale Ergebnisse nur mit Weiterbildung und Freiräumen für Anpassungsprozesse