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JUN/JUL.11 Hits

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JUN/JUL.11

Hits

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EINSCHLAUFENComic, so sagt man, sei die «Neunte Kunst». Diesen Terminus schlug zumindest in den ganz frühen Siebzigerjahren mal ein französischer Li-teraturwissenschaftler vor. Man kann sich nun natürlich fragen, welchen Sinn es macht, die feingeistigen Aktivitäten zu nummerieren und so in eine Ordnung zu bringen. Für mich jedenfalls ist dies absolut begrüssenswert, denn die Quan-tifi zierung der Welt passt bestens zu unserem aktuellen Thema «Hits». Und wenn man dann auch gleich noch die gezeichneten Geschichten – ob nun Bande dessinée oder Graphic Novel – ins Eingabefenster der inneren Suchmaschine rückt, ergeben sich zwei längst vergessene Resultate. Erstens: Ein höchstwahrscheinlich aus dem Französischen übertragener BD, der hierzulande irgendwann vor geraumer Zeit unter dem döde-ligen Titel «Ein Satz heisse Ohren» veröffentlicht wurde. Darin versucht ein windiger Manager, ein Trüppchen bedepperter Musikanten zu einer Erfolgsformation zu trimmen, wobei er zwi-schendurch die Nerven zu verlieren droht, seine Klienten nach dem Release der grottenschlech-ten Debüt-Single jedoch gekonnt aufmuntert: «Hey, Jungs, wir sind in die Hitparade eingestie-gen – und zwar direkt auf Platz null.» Darauf einer der Musiker: «Null? Wahnsinn, das ist ja noch besser als Platz eins!»Das zweite Suchresultat betrifft ein Strichmänn-chen namens Alfred Hitkoch, das in den späten

Impressum Nº 05.11DER MUSIKZEITUNG LOOP 14. JAHRGANG

P.S./LOOP VerlagPostfach, 8026 ZürichTel. 044 240 44 25, Fax. …[email protected]

Verlag, Layout: Thierry Frochaux

Administration, Inserate: Manfred Müller

Redaktion: Philippe Amrein (amp), Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe

Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden (ash), Yves Baer, Silvio Biasotto (sio), Thomas Bohnet (tb), Daniel Böniger (boe),Pascal Cames (cam), Marcel Elsener, Christoph Fellmann, Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), Mauro Guarise, Adrian Hoenicke, Nino Kühnis, Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), Sam Mumenthaler, Philipp Niederberger, Jürg Odermatt, Christian Pauli, David Sarasin, Martin Söhnlein, Benedetto Vigne

Druck: Rotaz AG, Schaffhausen

Das nächste LOOP erscheint am 14. Juli 2011Redaktions-/Anzeigenschluss: 7. Juli 2011

Ich will ein Abo: (Adresse)10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 30 Franken (in der Schweiz).LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected]

Betrifft: Kokainfarbene Schaumkrone auf Goldgetränk

Achtzigerjahren jeweils auf der letzten Seite der Zeitschrift «MusikExpress/Sounds» in einem knappen Comic-Strip – man ahnt es – einem Trüppchen bedepperter Musikanten zum inter-nationalen Durchbruch verhelfen wollte. Ein längst vergessener Anti-Held aus dem damaligen Marquard-Magazin, das seine geschätzte Leser-schaft gerne mit langen Geschichten über die zerstrittenen Rolling Stones, BAP und Western-hagen in den Schlaf schrieb.Wir als wackere Vertreter der unabhängigen Musikpublizistik nähern uns dem Thema «Hits» auf anderen, wenngleich ähnlich verwackelten Wegen. Dabei treffen wir natürlich auf die dau-erbrennenden, dem Massengeschmack entspre-chenden Gassenhauer, aber eben auch weltver-gessenen Songs, die abseits von Verkaufszahlen und Bestenlisten ihre Funktion als Seelentröster und Erinnerungshilfe erfüllen. Sie alle stehen – neben Elton Johns «Daniel», der Titelmelodie von «Love Story», Bob Segers «Still the Same», «Only Prettier» von Miranda Lambert, Ian Tho-mas’ leider längst vergessenem «Painted Ladies» und diversen Leihgaben aus der Kitsch-Kollek-tion – im schwach beleuchteten Museum zwi-schen Gehörgang und Herzkranzgefässen, das ganz leise unter einer melancholischen Staub-schicht verschwindet.

Solid Gold Guido

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WAS KOSTEN HITS?Von nichts kommt nichts. Auch im Pop nicht. Was wird investiert, wenn dicke Gewinne rausschauen sollen? Loop hat sich einen Taschenrechner geschnappt und mal ein wenig kalkuliert.Hits zu landen, heisst vor allem: Geld scheffeln. Zumin-dest in der Laienoptik. Die vielen verkauften Singles und MP3s, die Tantiemen von den Radioplays - da kann ja nur ein Geldberg die Folge sein. Und am Horizont winkt erst noch die Zweit- und Drittverwertung in Werbung und Film. So fl eissig über die Gewinne getratscht wird, so wenig wird über investiertes Geld gesprochen. Dabei hat musikalischer Erfolg sehr viel mit Investitionen zu tun. Spätestens seit Musik physisch reproduzierbar ist, folgt sie den Regeln des Kapitalismus wie jede andere Kommodität auch. Zentral ist längst nicht mehr nur die Verkleinerung des Motivs im C-Teil, zentral sind Marktpenetration und positive Erfolgsbi-lanzen. Musik ist Markt, jede Single ein Unternehmen.Um als Unternehmen zu funktionieren, braucht es Investi-tionen. Aber wie viel wird investiert? Und wofür? Kaum jemand weiss, was ein Hit kostet – ausser Nerven, wenn er zum hundertsten Mal am Radio läuft. Fangen wir ganz vorne an: beim Song. Schreibt man ihn selbst, wirds güns-tig. Sonst sieht es anders aus. Dann kommen professionelle Songwriter wie Roman Camenzind von der Songwriting- und Produktionsfi rma Hitmill zum Zug. Die aber schwei-gen auch nach dreimaliger Kontaktaufnahme zum Thema. Wenn die Aussichten sechsstellige Profi te sind, kann man aber davon ausgehen, dass es in diesem Business nicht nur um eine Kiste Bier geht. Ist der Song dereinst geschrieben, folgen Aufnahme und Mixdown. Je nach Renommee von Toningenieurin und Studio kommt auch hier einiges zusam-men. In den berühmten Winterthurer Hard Studios etwa kosten zwei Tage rund 3500 Franken, um am Ende dann eine CD mit einem Song drauf in Händen zu halten. Danach

heisst es wie bei jedem Hit Lautstärke, Druck und Wumms zu maximieren, um nicht unterzugehen im bombastischen Hitbrei. Der Song muss gemastered werden. Bei Mastering-Guru Robert Hadley kann das schon mal mit 3000 Franken zu Buche schlagen. Schliesslich steht die physische Vervielfältigung an. Weil die Hitparade ein undurchsichtiger verklüngelter Klumpen aus Wirtschaftsinteressen darstellt, sind Informationen bezüg-lich Stückzahlen schwierig zu fi nden. Geht man von einer Goldenen Schallplatte aus, die unser Hit einspielen soll, so müssten mindestens 20 000 Stück hergestellt und ausge-liefert werden. In ein hübsches farbiges Digipak verpackt, kosten die CDs – 1000 Promo-Exemplare miteingerechnet – knapp 20 000 Franken. Hinzu kommen Abgaben an die Verwerungsgesellschaft Suisa von 4620 Franken.

HARTE KOSTEN, WEICHE KOSTEN

Mit diesen 31 120 Franken ist die Kostenfolge aber noch nicht zu Ende. Denn ein Hit muss heutzutage nicht nur Tanz impuls, sondern auch Identität anbieten, um bei der anvisierten Zielgruppe relevant zu sein. Das ruft PR-Agen-turen auf den Plan, ein Image muss her. Dieses will dann via konventionelle Werbung in Radio, Fernsehen, Internet und auf Plakatsäulen verbreitet werden, um den Song und die Gesichter dahinter bekannt zu machen. Konkrete Zahlen zu Budgets bei Majorlabels sind auch hierzu keine zu be-kommen. Bei Acts wie Lenka, die auf allen Kanälen präsent ist, dürfte mit einem Vielfachen von den 5000 Franken ge-rechnet werden, die vom Migros-Label Coffee Records für die Promoarbeit der Untergrundrapper Göldin & Bit-Tuner ausgegeben wurden. Schliesslich generiert auch der Song nochmals Kosten – schätzen wir mal konservativ 15 000 Franken. Um möglichst rentabel zu sein, muss ein Song ins Ohr und ins kollektive Be-wusstsein der KonsumentInnen. Wie auch in anderen Berei-chen des Kapitalismus heisst der Mechanismus dafür repeti-tive Konsumation. Mit jedem Abspielen steigt die Wertigkeit, da der Wiedererkennungswert des Songs steigt, ein zentraler Baustein von Hits. Auch in unternehmerischer Hinsicht, denn ein hoher Wiedererkennungswert hilft, die Zweitverwertung

rentabler zu machen. So dürften die Heavy Rotations bei Radios und öffentlicher Beschallung ganz oben auf der To-Do-Liste der Hitma-cherInnen zu fi nden sein. Vielleicht auch auf dem Budgetposten? Alexander Dal Farra, der für die Firma DMD2 Playlists und Heavy Rotations für Privatkunden wie Ex-Libris oder Orange zusammenstellt, beschwich-tigt. Telefonate von Labels mit ausdrücklichen Emp-fehlungen gäbe es natürlich schon, Bestechungsversuche seien ihm aber noch keine untergekommen. Die ver-antwortliche Person des Schweizer Radios DRS3 war für eine Stellungsnahme nicht erreichbar. Mit hoch-gezogener Braue schätzen wir die Kosten hierzu auf 300 Franken für die Gratis-CDs, die Promo-Karten und den Postversand.Konservativ geschätzt, dürf-ten sich harte und weiche Kosten über den Daumen gepeilt auf gut und gerne 45 000 Franken belaufen. Das ist zwar nichts im Ver-gleich zu gerissenen Ner-ven. Aber es zeigt, wieso Mainstream-Musik ein so hart umkämpfter Markt ist. Es geht zu häufi g um zuviel Geld.

Nino Kühnis

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PAUSENGESPRÄCHEMit «Hoover Jam» zogen Züri West 1996 ohne Rücksicht auf Verluste ihr Ding durch und enttäuschten erfolgreich die Erwartungen der Popnation Schweiz. Mit «The Fly» von U2 und «Bitte Baby» von Züri West konnte ich vor zwanzig Jahren bei der Pausenhofdiskus-sion um den besten Song bloss eine penetrante Duftmarke setzen, aber gegen «Enter Sandman» von Metallica und «Thunderstruck» von AC/DC konnte ich nicht anstinken. Ein Jahr später war bei den Kollegen an der Mittelschule «Come As You Are» von Nirvana das Mass aller Dinge. Dann kam 1993, Techno wurde das Ding, alle anderen Mitschüler wollten Patent Ochsners «Fischer» von mir – irgendjemand klaute mir gar das Tape. Doch meine Stunde sollte 1994 kommen. Zuhause warte-te ich ungeduldig vor der Stereoanlage, um die neue Züri-West-Single «Prinz» bei DRS 3 aufzunehmen. Die lauten Gitarren enttäuschten mich, mit Kunos Sprechgesang konnte ich nichts anfangen. Doch François Mürner hatte die Grandezza, auch die B-Seite zu spielen. Es war der Ra-diomoment meines Lebens. Zwei Wochen später stand die ganze Schule und kurz darauf der Rest der Deutschschweiz auf Kuno. Doch den Erfolg konnte ich nicht geniessen, die erfolglos angebetete Nadja, die ein Jahr zuvor Patent Ochs-ner cooler gefunden hatte, fuhr nun voll auf «I schänke dr mis Härz» ab. Ohne meines zu wollen.

ERFOLGREICHSTE SCHWEIZER KEHRSEITE

«Je Ne Regrette Rien» von Edith Piaf war die B-Seite von «Mylord», «Come Together» von den Beatles die von «Something», «Härz» von Züri West war die B-Seite von «Prinz». Der Song traf den Nerv der Deutschschweizer, innerhalb Monatsfrist verkauften Züri West 50 000 Al-ben. Die Rezensenten der Presse versuchten noch immer den Lesern zu erklären, was Mundartrock ist. Vergebliche Liebesmüh, mit Gotthard, Stephan Eicher, Züri West, Pa-tent Ochsner, DJ Bobo und Sens Unik war 1994 das ein-heimische Musikschaffen beim Volk angekommen. Ende Jahr hatten Züri West 155 000 Exemplare von «Züriwest» verkauft und Stephan Eicher und Krokus überfl ügelt. Zwar hatte das Album mit den neu eingespielten «Hanspeter»-Songs Schwächen, der Rest reifte aber gut. Das Post-Grunge-Stück «Toucher» gilt weithin als bester Mundart-Rocksong. Aber wie war das nochmals mit dem «Härz», Kuno? «Wir haben diesem Song extrem viel zu verdanken. An den Festivals werden Schweizer Bands selten gross ge-schrieben. Als wir das ‹Härz› veröffentlicht hatten, stan-den wir ganz klein auf den Plakaten. Danach, als wir nicht mehr so viel verkauft haben, hatten wir durch das ‹Härz› einen Stellenwert erlangt, der zu besseren Gagen führte.» Schätzungen aus den Medien gingen von 240 000 Franken pro Bandmitglied für das Jahr 1994 aus. «Wir leben von der Musik. Selbstverständlich nicht wie Krösus. Aber eine Platte und eine Tour reichen für zwei Jahre», erklärte mir Kuno 2008.

ZÜRI WEST LIEGT IN PHILADELPHIA

War das «Härz» ein Hindernis für Züri West? «Ja, es ist eine Hypothek. Ich habe überhaupt nie versucht einen Wiederholungssong zu schreiben. Obwohl man sich das bei ‹Hoover Jam› hätte überlegen müssen. Wir hätten viel-

leicht etwas machen müssen, das etwas gemässigter war.» Das sperrige «Hoover Jam» nahm die Band im kalten Win-ter von Philadelphia auf. Produzent war Stiff Johnson. Es ist das letzte reine Rockalbum von Züri West. Es enthält keinen Hit, vielmehr verstört «Ritigampfi » mit seinem pä-dophilen Text. «Dieser Song ist für mich die Verarbeitung des Filmes ‹Es geschah am helllichten Tag› mit Gert Fröbe. Der Song wurde falsch gedeutet. Ich spielte den Typen wie Fröbe im Film. Als Songschreiber singst du ihn, und dann stehen so junge Leute vorne am Konzert – das belastete mich schon.» Hoover Jam verkaufte noch die Hälfte des gelben Albums. «Aber wir sind uns selbst treu geblieben», resümiert Kuno. Züri West setzten ihren Weg fort, änder-ten über die Jahre ihr Line-Up und hatten 2008 mit «Haubi Songs» ein Album am Start, das an den Erfolg von «Züri-west» anknüpfen konnte.Immerhin gab mir «Hoover Jam» mit der Zeile «Zile um Zile / geng vo obe übers Blatt abe / immer nöi Wörte / aber gäng die gliche Buechstabe» das Motto für meinen schrei-benden Beruf. Mit meinem Cousin, der Züri West in den Achtzigerjahren in der Berner Reithalle erlebt hatte, kann

ich nicht mithalten. Den-noch erstaunt es mich, wenn sich jemand darüber wundert, dass Züri West schon vor dem «Härz» er-folgreich Musik gemacht haben. In solchen Momen-ten halte ich mich an mei-nen Schulfreund Martin: «Als du mit Züri West ge-gen Metallica und AC/DC angetreten bist, fanden wir das lustig, nachdem du an ein Konzert gegangen bist, wussten wir, dass es ernst ist. Nach dem ‹Härz› gin-gen wir selber hin. Und uns wurde bewusst, dass Züri West der Soundtrack unse-rer Jugend waren.»

Yves Baer

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DIE KLEINSTEN CH-HITSWelches die grössten Schweizer Hits aller Zeiten sind, hat bereits das hiesigeFarbfernsehen in mehreren bunten Shows ermittelt. Doch wie sieht es eigentlich am anderen Ende der Skala aus? Eine Exkursion ins Reich der Obskuritäten.

The Mods: «All the Day»Die Wirkung von Rock’n’Roll hat vor allem mit Energie zu tun. Was rockt, stürmt nach vorn, ohne Rücksicht auf Ver-luste, und wenn der Moment stimmt, kommt der Rock dabei auch ins Rollen. Mit der Energiezufuhr tun sich Schweizer Bands gerade auf Platte leider oft schwer – man will es al-len, besonders denen vom Radio recht machen, und kommt überdies in der strengen Atmosphäre des Aufnahmestudios nicht recht in Fahrt. Wegen ihrer ungestümen Energie mag

ich darum einige der frühen Schweizer Singles aus den Sieb-zigern, Vinylsingles von Kleenex, Mother’s Ruin oder TNT etwa, die alle etwas respektlos Frisches und eine naive Unbe-kümmertheit an sich haben. Das sind Platten, die sich etwas (zu)trauen.Die ersten Schweizer Punks legten aber schon 1965 los, als man das Wort noch nicht kannte. Die Mods aus Winter-thur waren das, was man damals landläufi g als Beat Band bezeichnete – sie selber sahen sich als lokale Statthalter der britischen Band The Kinks – ihre Haare waren länger, als es erlaubt war. Im Sommer 1965 spielte die Band um Sänger Ernst «Lonnie» Meier unter dem Titel «All the Day» eine der wildesten Platten der Schweizer Rockgeschichte ein: Die in Shadows-Manier verhallte Leadgitarre legte mit einem zacki-gen Stakkato-Riff vor, dann wirbelte sich das Schlagzeug in atemberaubenden Tempo ins Geschehen ein. Doch das war erst der Anfang: Das Tempo wurde in den gut zwei Minuten Spieldauer noch brutal nach oben gepusht, Meier radebrechte dazu in bestem Esperanto-Englisch etwas davon, dass er sein Mädchen «all the time» brauche – was man ihm angesichts der Heftigkeit dieses Testosteron-getrie-benen Beat-Gewitters auch abnahm. Die Single, die auf dem Luzerner Label Layola in Kleinstaufl age erschien, wurde im Radio natürlich kein einziges Mal gespielt, dafür drehte sie pausenlos in den Musikboxen jener Lokale, in denen sich

Halbstarke und andere Re-bellen trafen. Die Mods gab es auch nicht allzu lange, man lebte schnell und klink-te sich früh aus – Sänger Lonnie Meier starb in den Achtzigerjahren als Pilot bei einem Autorennen – in der sogenannten «Tarzankur-ve» von Oberhallau. «All the Day», dieses frühe Symbol eines ganz unschwei-zerischen Selbstbewusstseins und einer ausgeprägten Risikolust, wird heute im Original für Tausende von Franken gehandelt. Eine Nachpressung kann man für deutlich weniger bei Feathe-red Apple in Basel beziehen.

Sam Mumenthaler

bitte umblättern

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Transmartha: Unveröffentlichter SongIch hab sie spät, peinlich spät erst entdeckt. Im Septem-ber 2009 gab die Winterthurer Band, die 1998 als Sparta begann und 2007 mit «I Got a Girl» einen Radiohit hat-te, jeden Dienstag ein Konzert im Zürcher Kleinstklub La Catrina. Da stolperte ich unwissend rein. Kurz eine Stange trinken, das war der Plan. Aber dann habe ich noch ein Süpplein genommen, noch eine Hülse versorgt, noch eine Dose vernichtet, ich bin zu Fasse getreten und zum Hahnen gegangen. Warum? Ich hatte Durst. Denn ich alter Beatles-Verehrer hatte zu tanzen begonnen und war unverhofft völ-lig euphorisch geworden. Auf der Bühne standen Transmartha mit Andrew Wolfens-berger an Gitarre und Gesang, dieser begnadete, begnadete Songwriter, und hinter ihm stand der aufregendste Gitar-rist des Landes, Maurice Cosanier, mit einer roten Firebird reverse, und spielte Sachen, dass ich schreien musste. Und vorne rechts, vor der Bühne, stand mit einer Zigarette im Mund Claudio Barandun, der coolste Mensch seit James Dean, und hinten rechts hämmerte Pascal Gutknecht wie Ringo, nur viel lauter, und vorne links stand in engen Ho-sen Ernst David Hangartner, der sieben Instrumente spiel-te und dazu Backings sang und tänzelte und lächelte, dass den Mädels ganz bang wurde, um Verstand und Treue. Die Bühne brannte und die pure Freude funkte ins Publikum, wir waren ausgelassen und lachten uns an und legten den Kopf in den Nacken und schrien. Transmartha spielten ein hervorragendes Konzert, das sich vor Burt Bacharach und The Clash verneigte, sie coverten die Temptations, sie swingten, sie schlugen einem Beatmu-sik um die Ohren – und immer, wenn man meinte, jetzt komme dann grad dieser grossartige Refrain, wurde noch ein Mollakkord dazwischengeschoben. Ich fühlte mich wie im besten Puff der Welt, in dem man nach Strich und Faden verführt wird und völlig ausgepuncht rausgeht. Und dann passiert es. Vom Sänger schnoddrig angesagt als «Skizze, die ich entwarf, als ich meinte, auch ein Singer/Songwriter sein zu müssen», beginnt Wolfensberger zur geshuffelten Gitarre zu singen, wie es ist, wenn die Zeiten vielleicht doch besser werden. Und im bittersüssen Refrain singt er: «Suddenly there’s something / that keeps me going on / and suddenly there’s something / and it might become someone». Der perfekte Song, der es auf kein Album ge-schafft hat, ein Monster an Zärtlichkeit und Hoffnung: Durch den Donner und die Dunkelheit dieses Testosteron-Rock’n’Roll-Gewitters bricht die schüchterne Andeutung eines Mannes, der hofft, dass es die Möglichkeit gäbe, sich allenfalls also schon verlieben zu können. Und vielleicht ja sogar in – uns. Sich ein Herz fassen: Darum gehts in der Liebe, und darum gehts in der Popmusik. Und nun ist es aus. Transmartha hören auf. Am 2. Juni spielen sie zum letzten Mal. Im La Catrina.

Mauro Guarise

Misunderstood Minds on LSD: «Feel Alright»Sie waren ein radikal reduziertes, dunkles Duo und fum-melten am Skelett von Rock’n’Roll herum. Ein Bass, eine Stimme, ein paar wenige Gigs, eine Handvoll toller Songs. Mehr war nicht. Mehr brauchte es nicht: Misunderstood Minds on LSD – eine Art Munotstädter Version von Suici-de – tauchten Anfang der Neunziger auf und bald wieder ab. Zygi the Wild One (voc) und Albmoses (b) hinterliessen als einzigen Tonträger (standesgemäss) eine 7inch namens

«Cycledelic» mit psychedelischem Cover und vier Songs, quasi ihre «Greatest Hits»-Compilation. Den unglaublichen Motorrad-Boogie «Feel Alright» spiele ich seit einer Weile wieder oft als DJ, und jedes Mal will je-mand begeistert wissen, was und wer das ist. Kein Wunder: Die Nummer ist absolut eingängig und in ihrem Minimalis-mus absolut eigen. Dazu kommt ein Text, der klar macht, dass niemand dem Sänger sein «Right to Ride» nimmt: «Riding on my motorbike/ I got a trip in my head, and it makes me feel alright» – das ist bei aller Coolness dann doch die genaue Antithese zur BfU-«Take it Easy»-Kampa-gne. Und das ist gut so. Weil: So wild und gefährlich geht Rock’n’Roll. Zygis obercooler Bariton, der nur zu einem Schreien ausbricht, um zu betonen, wie «right, right, right, right, right» alles ist, was er als Biker tut, und Moses’ chop-perhaft brummender, stoischer Basslauf aus der ZZ-Top-Schule sagen in zwei Minuten, was gesagt werden muss.Auf derselben Seite der Vinyltranche fi ndet sich mit «Cos-mic Trip» gleich ein zweiter Hit dieses grossen Duos, feat. Zygis Naturtremolo in der Stimme, Echoeffekte, ein wie eine Motorradkette scheppernder Schellenkranz und ein Bass-Solo-Ausfl ug ins Innere der Lavalampe. «In der Tat: ein kosmischer Trip!» (Dr. Klenk)P.S.: Zur Ironie des Schicksals gehört, dass Zygi the Wild One bald nach diesen Aufnahmen einen üblen Motorrad-unfall hatte. Dass es nachfolgend zu Basement-Tapes von MMonLSD gekommen ist, bleibt auch 2011 ein Gerücht. Kein Gerücht ist hingegen, dass Zygi bis heute bei den Transen-Glam-Punks von Gutter Queens Gitarre spielt.P.P.S.: Die 500er-Aufl age von «Cycledelic» ist nicht ausver-kauft. Wer sich richtig gut fühlen und also ein Exemplar dieses genialen Teils will, schreibt an einen der renom-miertesten Moosforscher der Schweiz, an den einstigen MMonLSD-Basser Albmoses aka: Ariel Bergamini, Weber-gasse 34, 8200 SH bzw. [email protected]

Jürg Odermatt

Tartaruga: «Cara tristezia»Ende der Neunzigerjahre meldete sich bei mir ein junger Singer/Songwriter aus der Surselva. Er hatte eben auf ei-ner romanischen Compilation einen Song namens «Fretgs dultschs» (süsse Früchte) veröffentlicht und wünschte von mir Ratschläge. Thomas trug mir einige seiner Lieder vor. Sein Stil gefi el mir recht gut, ebenfalls seine herbe, warme Stimme. Er solle möglichst abstrakte Begriffe in seinen Tex-ten vermeiden, das war in etwa, was ich ihm mit auf den Weg geben konnte. Nebenbei erfuhr ich, dass er, als Sohn von Auslandromanen, in Mexiko geboren und aufgewach-sen war – und er schwärmte für dasselbe famose argentini-sche Rocktrio wie ich. Zwei Jahre später veröffentlichte Thomas Cathomen ein erstes, selbst verlegtes Mini-Album unter dem Künstlerna-men Tartaruga. Aufgenommen im behelfsmässigen Keller von Produzent Manfred Zazzi in Schlieren, alles selbst ge-spielt und gesungen – Drums, Akustikgitarren, Bass, Elek-tropiano, Human Beatbox und Chöre. Neun farbenfrohe, kratzige, leicht surreale Popsongs, aus denen von ganz fer-ne die grossen Lateinamerikaner zu grüssen schienen. Mein Favorit war Stück Nummer zwei, schon des Titels wegen, «Cara tristezia» – «Liebe Traurigkeit, musst mich ja nicht ständig begleiten.» Eine vokalisierte Schlagzeug-imitation leitete den Song ein. Ein angedeuteter, sanfter Reggae diente als Basis, hinzu kam ein stufenklimmender, eingängiger Refrain, und dann im Mittelteil eine kleine rhythmische Verschiebung, die sich als Eigenart heraus-stellte, wie auch das Hinausbremsen des Schlusses. Auf der Bühne erwies sich Tartaruga als ein besonders ex-pressiver, explosiver Sänger, er war offen für Experimente und Projekte, und alsbald war er zum Liebling der roma-

DIE KLEINSTEN CH-HITS

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nischen Szene der Nullerjahre avanciert. Bei einem seiner glelegentlichen Besuche in der mexikanischen Heimat ver-liebte sich Thomas allerdings derart, dass er beschloss, für immer nach Mexiko zurückzukehren. Ein letztes Abschieds-konzert in der Churer Werkstatt gab er im Mai 2006. Sporadisch treffen seither noch Grüsse ein, in Form von neuen Liedern – auf spanisch, romanisch, deutsch, englisch – signiert mit dem neuen Künstlernamen «:etc». Wir Ro-manen vermissen ihn dennoch. Und trösten uns mit «Cara tristezia», das längst ein «semperverd», ein Evergreen, im Tagesprogramm des Radio Rumantsch geworden ist. Ein echter Schweizer Nischenhit.

Benedetto Vigne

Lbinhurux eeee: «Under Water» Es begann an einem späten Abend vor dem Radiogerät, irgendwann in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre. Der «Sounds!»-Moderator von DRS 3 moderierte mit seiner Moderatorenstimme ein Musikstück an, dessen Urheber einen schwierig auszusprechenden Namen trug. Der Song hiess «Under Water» und bestand aus einer brüchigen Stimme, die zu unaufgeregter Einzelton-Gitarrenbegleitung vom Leben in der Unterseevegetation berichtete. Und dank eines Kassettenmitschnitts, den mein Bruder routinemässig angefertigt hatte, konnte ich mir das Lied in den folgenden Wochen und Monaten immer und immer wieder anhören. Aus der ebenfalls aufgezeichneten Abmoderation erfuhr ich dabei, dass sich der Künstler Lbinhurux eeee nannte. In späteren Sendungen folgten weitere Werke des ominö-sen jungen Mannes sowie die Ankündigung eines Albums mit dem Titel «I Will Call Myself John Flash in the Fu-ture». Dieses sei auf dem eigentlich längst weggedämmer-ten Yello-Label Solid Pleasure erschienen und werde aus-schliesslich im Kiosk am Zürcher Röntgenplatz verkauft. Das wusste ich aus dem Radio. Mehr wusste ich nicht.

Ein paar Jahre später stand ich im wohlsortierten RecRec-Shop des Plattenhändlers meines Vertrauens. Ich erzählte ihn von diesem klandestinen Klangkünstler mit dem selt-samen Namen, vom Kiosk am Röntgenplatz und der Ver-bindung zu Solid Pleasure. Er nickte kurz – und zog so-gleich ein Exemplar von «John Flash» aus dem Stapel. Wir spekulierten ein wenig über etwaige familiäre Beziehungen von Lbinhurux eeee zu den Yello-Herren, ich schaute mir den Rückumschlag des Plattencovers an - und machte dann einen folgenschweren Fehler, in dem ich «I Will Call Myself John Flash in the Future» wieder zurücklegte und stattdes-sen ein Motorpsycho-Album kaufte.Wieder ein paar Jahre später leerte ich das Postfach im Stu-dio eines kleinen Radiosenders, bei dem ein Kumpel und ich mit unseren Hobbymoderatorenstimmen eine Vierspur-Sendung moderierten. Dabei fi el mir ein Briefumschlag in die Hände. Absender: unbekannt. Poststempel: Zürich-Höngg. Inhalt: eine Kassette mit einem Song drauf. Wir legten sie ein und schickten das Lied – es handelte vom FC Zürich – über den Äther. Ich hörte mit, kombinierte kurz und war mir schliesslich sicher, dass es sich beim Sänger um den Schöpfer von «Under Water» handeln musste. Der Gesangsgestus, das sparsame Arrangement – alles passte. Spätere Einsendungen bestätigten den Verdacht schliess-lich. Doch der Mann auf der Kassette bleibt ein Mysteri-um. Auch wenn er mittlerweile eine hermetisch anmutende MySpace-Seite hat.

Philippe Amrein

Various ArtistsImmer wieder beschleicht mich ein mulmiges Gefühl, wenn ich in meiner CD-Sammlung auf die Abteilung für Schwei-zer Pop stosse. Gibt es irgendeinen relevanten Grund, diese CDs anders zu ordnen und damit zu bewerten als alle an-deren Rock- und Popbands? Natürlich nicht. Jetzt aber hat mir die umstrittene Zuordnung für einmal geholfen. Die obskursten Schweizer Hits? Schweizer Hits generell? Das ist für mich keine Frage: Hertz und nochmals Hertz! Keine Schweizer Band hat dieses Land so spitz und surreal, so anarchistisch und bürgerlich, so lokal und gleichzeitig in-ternational bespielt wie Hertz. «Willy Ritschard» (1982) ist vielleicht das bekannteste Stück. Besonders eigen sind – ironische Refl ektionen zum Heimatbegriff – aber auch die Nummern «Gottharddurchstich» und «Nimmerland».Die schönste Hommage an unsere kleine Weltstadt kommt von aussen und stammt von Knarf Rellöm: In «Little Big City» (2004 ) nimmt der zeitweilige Wahlzürcher und wie-der gewordene Hamburger Knarf Rellöm Abschied von der Zwingli-Stadt. Diese Stadt hat ihm das Shoppen zum allgegenwärtigen Kredo gemacht. «Little Big City» ist eine astreine New-Wave-Tanznummer, der damaligen Zeit ganz schön voraus – oder auch hintendrein. Man weiss das ja nicht mehr so genau.Vom Gotthard via Zürich nach Allschwil, wo gefakte Rapper einen Frontalangriff auf die politische Korrektheit vom Stapel reissen. Revolting Allschwil Posses «Summer, die schliichendi Süüch» ist noch immer frech wie Sau. Der Originalnummer 1995 wurde 2006 auf «Easy Rider» als Hidden Track nochmals veröffentlicht. Von mir aus könnte das auch ein drittes Mal passieren. Gewisse Dinge muss man immer wieder sagen. Überhaupt ist diesem Land nur mit schneidigem oder ele-gantem Sarkasmus beizukommen. Das ist mir der rote Fa-den durch die Schweizer Popmusik. Deshalb schliesse ich hier auch mit Peter Sarbach, dem traurigen Anarcho-Bar-den aus Freimettigen, der 1997 mit «1+1=3» ein wunder-bar leichtes und ironisches Stück auf die geltenden Konven-tionen geschrieben hat: «1 + 1 git halt mängisch 3, obschon me däicht das es 4 git».

Christian Pauli

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ROCK’N’ROLL SPRINGTIME

Weil er die Trennung der Beatles verkün-dete, straften die Kritiker Paul McCartney jahrzehntelang mit Verrissen, obwohl er weiter Hit um Hit schrieb. Heute sind seine ersten Soloalben Kritiker-Lieblinge und Inspiration für Rockgrössen wie Dave Grohl.Der Bruch ist ohrenfällig: Songskizzen, Folk und Instrumen-tals wechseln einander ab, bei «The Lovely Linda» platzt Gattin Linda mitten in die Aufnahme. Einzig «Maybe I’m Amazed» mit seiner chromatischen Klavierbegleitung erin-nert an die komplexen Songs der späten Beatles. Paul spielte sämtliche Instrumente, Linda – schon bei «Let It Be» Back-groundsängerin – steuerte Harmonien bei. Das Album «Mc-Cartney» wurde von den Kritikern verrissen, doch dem Pu-blikum gefi el es: Platz 2 in den USA, Platz 1 in England. Den Promo-Exemplaren lag ein Selbstinterview bei, in dem Paul erklärte, er hätte die Beatles wegen persönlicher und künstle-rischer Differenzen verlassen.

DEPRESSION IM RUDE STUDIO

Der Split der Beatles bedeutete für McCartney den Verlust der Geschäftspartner und Jugendfreunde. Paul zog sich mit Frau und Kindern nach Schottland zurück. Dort renovierte er eine Farm und richtete ein rudimentäres Studio, das Rude Studio, ein. «Ich hatte Depressionen, nahm Kokain, trank Whisky zum Frühstück und lebte von Lindas Geld, da meine Konten

gesperrt waren», resümiert Paul die Zeit, während der er sich Gedanken über die Zukunft machte. «Das Schlimmste war, meine Freunde zu verklagen, um aus den Beatles-Verträgen zu kommen!» Im Mai 1971 spürte das Magazin «Life» Paul in Schottland auf und enthüllte neue Pläne: das Album «Ram», das trotz negativer Presse in den USA Platz 1 und in England Platz 2 erreichte. Auch die Single «Another Day» war ein Top-Ten-Erfolg. Sämtliche Songs hatten Paul & Linda McCartney als Autoren. Für viele Kritiker war nicht akzeptabel, dass die angeheiratete Fotografi n John Lennon ersetzen sollte. Lennon fasste das Album «Ram» als Kriegs-erklärung auf: die Songs «Too Many People» und «3 Legs» nahm er persönlich und antwortete mit dem Song «How Do You Sleep», in welchem er Paul vorwarf, ausser «Yesterday» nur Muzak produziert zu haben. Die Slidegitarre auf dem Song spielte George Harrison. Beide bereuten den Song spä-ter. Auf dem Cover von «Ram» hält Paul einen Widder an den Ohren, was John auf «Imagine» mit einem Foto, auf dem er ein Schwein an den Ohren hält, konterte. Ende 1971 erschien das Debüt der Wings, das mit «Dear Friend» ein Friedensangebot an John enthielt. Die Kritiken waren erneut negativ, aber auch die Verkäufe enttäuschten. Die Songs entstanden teilweise in Jam-Sessions und kontras-tierten wie «McCartney» mit dem komplexen Spätwerk der Beatles. Zudem war Paul seiner Zeit voraus: «Love Is Stran-ge» ist die erste Reggae-Aufnahme eines weissen Musikers, drei Jahre bevor Eric Clapton mit «I Shot the Sheriff» den ka-ribischen Stil populär machte. Nachdem «Red Roses Speed-way» (1973) erneut trotz schlechter Kritiken die Chartspitze erreichte, war Paul 1974 mit dem Grammy für «Band on the Run» als Album des Jahres wieder «Top of the Pops».

SPÄTE ANERKENNUNG

Jahrzehntelang musste sich Paul für «Ram» und «McCart-ney» rechtfertigen. Letzteres begann ein Eigenleben zu füh-

ren: «Every Night» und «Maybe I’m Amazed» ge-hörten von Beginn an zu Pauls erweitertem Live-Set, 1976 platzierte sich die Live-Version von «Maybe I’m Amazed» in den USA auf Rang 10, 1991 spielte Paul «Every Night», «That Would Be Something» und «Junk» beim ersten Konzert der MTV-Unplugged-Serie – es waren die «jüngsten» Songs im Set aus Rock-Klassikern. 1996 wurden «Junk» und «Momma Miss America» – die mun-tere Jam Session, die zuerst «Rock’n’Roll Springtime» geheissen hatte – im Sound-track von Cameron Crowes «Jerry Maguire» verwendet. Seit Mitte der Neunziger-jahre taucht «Maybe I’m Amazed» regelmässig in den Listen der wichtigsten Rocksongs auf, und das Album «Ram» wird als ver-kanntes Meisterwerk neu bewertet. In Besprechungen von Pauls Album «Electric Arguments» (2008) wurde auch «McCartney» erstmals als Meisterwerk bezeichnet. Aber auch die Rockmusiker, bei denen McCartney lange Zeit als uncool galt, zollen ihm nun Anerkennung. Am Anfang standen Guns N’ Roses mit der Coverversi-on von «Live and Let Die». Bei den Grammys 2006 führte Paul mit Jay-Z eine HipHop-Version von «Yes-terday» auf. Jack White be-kannte 2009, dass Paul sein Lieblings-Beatle wäre und spielte bei der letztjährigen Verleihung des «Library Of Congress Gershwin Prize For Popular Song» mit dün-ner Stimme «That Would Be Something» im Medley mit «Mother Nature’s Son» vom weissen Album. Die nachhaltigste Kollaboration scheint aber die mit Dave Grohl zu sein. Seit 2008 ist dieser Drummer in Pauls Band und brachte ihn bei Them Crooked Vultures als Bassist ins Spiel. Stim-men die aktuellen Gerüch-te, dann nehmen Paul und Dave zurzeit ein Garage-Rock-Album auf.

Yves Baer

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DAUERBRENNER«Happy Birthday» oder «Candle in the Wind»? Die Frage nach dem grössten Hit aller Zeiten führt in die letzten Tage von The Police und dem vermeintlichen Liebeslied «Every Breath You Take».Der grösste Hit aller Zeiten? Eine Frage, die so einfach nicht zu beantworten ist. Gemäss dem «Guinness-Buch der Rekorde» ist «Happy Birthday» das populärste Lied der Welt. Doch auch wenn das Geschwisterpaar Mildred und Patty Hill 1893 die Melodie zum Kindergartenlied «Good Morning to You» schrieb – der Text wurde erst viel später zum Geburtstagslied umfunktioniert – und seit 1935 auch die Rechte daran hält, wäre eine eindeutige Zuweisung etwas fahrlässig. Genau so, wie wenn man Chubby Che-ckers «The Twist» zum grössten Hit der Musikgeschich-te erklärt, wie dies das US-Magazin Billboard kürzlich in einem undurchsichtigen Verfahren getan hat. Man könnte noch die nackte Verkaufsstatistik herbeiziehen. Diese führt mit 37 Millionen verkauften Einheiten die 1997 von Elton John neu eingespielte Ballade «Candle in the Wind» an. Aber Lieder wie «Morning Has Broken» oder «Yesterday», das mit 1600 Interpretationen den Rekord der meisten of-fi ziellen Cover-Versionen hält, werden bestimmt in diesem Moment irgendwo auf der Welt in einem Klassenzimmer gesungen oder an einem Lagerfeuer geträllert – öfter als der Totengesang auf Lady Diana. Bloss, wie soll man das empirisch und fundiert belegen? Insofern gibt es nur eine Lösung und zuverlässige Quelle bei der komplizierten Findung des populärsten Songs aller Zeiten: Die offi ziel-len Airplay-Zahlen der BMI (Broadcast Music Inc.). Und hier führt zurzeit mit sage und schreibe 9 Millionen Aus-strahlungen «Every Breath You Take» von The Police die Rangliste an. Würde man den Song nonstop back-to-back über den Äther schicken, käme man auf mehr als 70 Jahre Sendezeit. Und einem gewissen Gordon Matthew Thomas Sumner, besser bekannt als Sting, spielt dieser eine Song noch heute täglich über 2000 Dollar an Tantiemen ein. Der grösste Hit aller Zeiten!

FLUCH DER KARIBIK

Als Sting, Stewart Copeland und Andy Summers im Dezem-ber 1982 im AIR-Studio auf der karibischen Insel Montserrat «Every Breath You Take» aufnehmen, ist die Band eigentlich schon längst Geschichte. Die Zerwürfnisse sind inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem die drei einstigen Kumpels kein Wort mehr miteinander sprechen, wenn sie nicht müssen. Die drei Musiker sind nicht einmal mehr fähig, zur gleichen Zeit im selben Studio zu stehen, ohne dass ein handgreifl icher Streit ausbricht. So nimmt man das Album «Synchronicity» in drei verschiedenen Räumen auf. Kommuniziert wird lediglich über eine Videogegensprechanlage. Wobei eigentlich schon längst nur noch der egozentrische Sting das Sagen hat. Schliesslich ist er es ja auch, der «Every Breath You Take» geschrieben hat. Doch Stings Vision, eine möglichst einfache Ballade daraus zu konstruieren, wird immer wieder durch das übermotivierte Drumming Copelands torpediert. Während die anderen Titel des Albums jeweils einen Tag Aufnahmezeit beanspruchen, hat man bei «Every Breath You Take» auch nach einer Wo-che noch kein brauchbares Resultat. Zudem eskalieren die Streitigkeiten so sehr, dass Produzent Hugh Padgham nicht mehr schlichtend eingreifen kann und den Manager der Band, Miles Copeland, zu einer Krisensitzung in die Karibik einfl ie-gen lässt. «Das Album war quasi ein Meeting davon entfernt zu scheitern», bestätigt Padgham später. Man raffte sich also nochmal zusammen, und die Aufnahmen im AIR Montserrat konnten beendet werden.

MINIMAL-MAXIMAL

Umso aufreibender ging es dann aber nach einer kurzen Weih-nachtspause Mitte Januar 1983 in Quebec weiter, wo man sich für die Endabmischung traf. Auch hier prallten die Ge-müter von Sting und Copeland aufeinander. Oder eben gerade nicht. Denn während der eine am Skifahren war, sass der an-dere im Studio und schraubte eigenmächtig an den Aufnah-men rum. Am Morgen fügte Copeland seine geliebten Hi-Hat-Fillings ein, die Sting am Abend alle wieder löschte. Am Ende sollte jedoch Sting recht behalten. Als die Album-Vorabsingle «Every Breath You Take» im Mai 1983 erschien, schoss sie an die Spitze aller Charts weltweit. Alleine in den USA führte der Song acht Woche lang die Hitparade an und wurde schliesslich zum Bestseller des Jahres erkoren und kurz darauf noch mit

einem Grammy ausgezeich-net. Seither wurde der Song wiederholt gecovert oder gesampelt – zum Beispiel 1997 von Jack Jones und von Puff Daddy («I‘ll Be Missing You»), Otto veröffentlichte mit «Du nervst mich so» eine deutsche Version, und selbst DJ Antoine lieferte 2009 eine eigene Interpretation. Musik-geschichtlich spielt das Stück kaum eine tragende Rolle. Doch gilt es einzugestehen, dass «Every Breath You Take» ein Meisterwerk des Songwritings ist. Die Lied-zeilen richtete Sting direkt an seine Ex-Freundin: «Jeder Atemzug, jede Bewegung, je-des gebrochene Versprechen, auf Schritt und Tritt – ich be-obachte dich!» Zur simplen Textstruktur passen auch das monotone Gitarrenmuster und die Basslinie. Und wohl eben auch das zurückhal-tende, minimale Schlagzeug-spiel. Viele Hörer meinen jedoch, es handle sich um einen affi rmativen Lovesong, was Sting dazu veranlasste, in einem Interview klarzu-stellen, dass es bei dem Lied um Stalking, Überwachung, Kontrolle und Besessenheit ginge. «Ein Ehepaar erzähl-te mir: ‹Oh wir lieben dieses Lied, es wurde auch bei un-serer Hochzeit gespielt.› Ich dachte: Na ja, viel Glück.»

Adrian Hoenicke

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BLOSS KEINE HITSVor 25 Jahren brachte der NME die C86-Kassette raus. Sie markierte den Start-punkt für den Indiepop. Eine Ehrerbietung. Es war im März 1986, als dem «New Musical Express» (NME) eine Mixkassette beilag, die den Lauf der Dinge verändern sollte. Auf dem C86 genannten Tape zu hören waren mies produzierte Nummern von wenig bekannten Bands – die meisten davon klangen so, als stünden die Byrds zum ersten Mal im Proberaum und experimentierten mit Punk. Erst später berühmt wurden Gruppen wie The Wedding Present, The Pastels oder Primal Scream, die auf dem Tape ebenfalls ihre ersten öffentlichkeitswirksamen Auftritte hatten – auf die sie, wie im Falle von Letztgenann-ten, heute nicht mehr besonders stolz sind.

MORALISCH ÜBERLEGENE AUSSENSEITER

Wer das Tape durchhört (es ist 1987 bei Rough Trade auch auf Vinyl erschienen), bekommt, entgegen der vom NME heraufbeschworenen einheitlichen Szene, ein Potpourri von unterschiedlichsten Stilen aufgetischt. Von der rauen Fuzz-Nummer in der Manier von Jesus & The Mary Chain, die ihr Debüt ein Jahr zuvor veröffentlichten, über den liebli-chen Jangle Pop ( gespielt von The Shop Assistants), wie ihn Vertreter des Beat zwanzig Jahre zuvor schon pfl egten, bis hin zu avantgardistisch-schrägem Punk und Noise (The Shrubs: «Bullfi ghter’s Bones) ist alles auf den 60-Minuten-Magnetband vertreten. Allen gemeinsam war, dass sich die Musiker auf dem Tape entgegen den musikalisch aufge-plusterten Mitt-Achtzigern einer DIY-Mentalität verpfl ich-tet fühlten. Dies äusserte sich auch in zahlreichen damals gegründeten Vertrieben, Fanzines und Plattenläden. Aus-serdem sahen sich die Protagonisten jener Zeit als mora-lisch überlegene Aussenseiter und reagierten auf Macho-Rock mit Androgynität und zur Schau gestellter Schwäche.

Nicky Wire, Bassist bei den Manic Streat Preachers und bekennender Fan der Bewegung, brachte es mit folgendem Statement auf den Punkt: «Die Sänger trafen zwar selten den Ton, doch die ganze Szene hatte einen zutiefst mensch-lichen Anstrich.» Und fügte an: «Die Musiker damals wa-ren alle so normal, so wie wir. Das gab uns Mut, selber eine Band zu gründen.»Ähnliches lässt sich auch über die Protagonisten der Post-punk-Bewegung fünf Jahre früher sagen, als Bands wie die Raincoats, Scritti Politti (beide waren bereits auf dem C81-Sampler des NME vertreten) oder The Human League in den englischen Charts standen. Doch das war zum Zeit-punkt des Erscheinens der legendären Casette 86 schon lange her. Die meisten Bands von damals waren dann ent-weder in der Versenkung oder im Synthpop-Einerlei der Achtziger verschwunden.Im Unterschied zum Punk und seinen Nachfolgern schlos-sen die Bands auf dem C86-Tape keine Major-Deals ab. Hits zu produzieren, kam den oft politisch links stehenden Vertretern der Szene einem Hochverrat gleich. Das brach-te sie einerseits in die Lage, sich nie wegen Ausverkaufs rechtfertigen zu müssen. Doch andererseits erinnert sich heute kaum mehr jemand an Bands wie McCarthy, Mighty Mighty, The Servants, Close Lobster oder Big Flame, die alle auf der Kassette vertreten waren. «Das grösste Indie-Ding aller Zeiten», schrieb der NME rückblickend. Und beschreibt damit den nachhaltigen Erfolg der Bewegung: Kindliche Naivität gepaart mit einem unumstösslichen Idealismus und dem Glauben an eine bessere Welt.

DIE SPÄTEN ERBEN

Der musikalische Einfl uss der Kassette ist heute noch of-fenbar: Populäre Bands wie Belle & Sebastian, The Pains of Being Pure at Heart oder auch Saint Etienne, um nur ein paar wenige zu nennen, würden sich nahtlos in die Track-list der Kassette einreihen. Das im Zuge der Bewegung gegründete Label Sarah Records trug mit den Field Mice oder Heavenly massgeblich zur Etablierung des Twee-Pop

bei. Und im weitesten Sinne darf man auch Travis oder sogar Coldplay zu den spä-ten Erben der Bewegung zählen. Der erfolgreichste invol-vierte Vertreter der Szene war aber ein gewisser Alan McGee, der auf seinem damals gegründeten Plat-tenlabel Creation Records Primal Scream und später Oasis unter Vertrag nahm – und damit Weltruhm er-langte. Eine erwähnenswer-te Randnotiz wiederum lie-ferte auch Bobby Gillespies Wandel vom zarten Sänger zum gestandenen Rockstar: Im Eröffnungssong der Kassette, «Velocity Girl», haucht der Primal-Scream-Sänger folgende Zeilen: «My so called friends have left me / And I don’t care at all / Leave me alone.» Man ist gerührt – über die Sanft-heit des Songs und darüber, wie sich ein Leben wandeln kann. Vielleicht liegt darin auch heute noch der Reiz der C86-Kassette und ihrer Epigonen – dass man auf einen fl üchtigen Moment von Naivität, Unschuld und den Glauben an eine bessere Welt blicken darf.

David Sarasin

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HI, ENERGYIn den Achtzigerjahren waren Mike Stock, Matt Aitken und Pete Waterman die er-folgreichsten Produzenten. Von 1984 bis 1988 brachten sie mehr als 100 Songs in die Charts und verkauften weltweit über 40 Millionen Tonträger. Der Einfl uss des Trios hallt bis heute nach.Als sich Mike Stock, Matt Aitken und Pete Waterman – drei nicht mehr ganz so junge Briten – im Januar 1984 auf eine Zusammenarbeit einigten, hatten alle Beteiligten mit erheblichen fi nanziellen Problemen zu kämpfen. Der älteste und erfahrenste von ihnen war Pete Waterman. Er hatte lange Zeit als Radio- und Club-DJ gearbeitet und Ende der Siebzigerjahre zwischenzeitlich die Specials unter seinen Fittichen. Jetzt wollte der 37-Jährige eine eigene Produkti-onsfi rma gründen. Die erste Auftragsarbeit – ein Beitrag für den Eurovision Song Contest – geriet allerdings zum De-saster. Bereits die zweite Produktion, «You Think You’re a Man» der Drag Queen Divine, wurde hingegen ein Clubhit und erreichte im Juli Platz 16 der britischen Charts. Der Track defi nierte den frühen Hi-NRG-Stil des Trios. Über eine prägnante Linn-Bassdrum stapeln sich digitale DX-7-Bässe, die Akkorde und sich überpurzelnde Sequen-zerlinien tummeln sich im Hintergrund, dazwischen blitzen harsche Synthie-Bläser auf. Alles klingt nach Rhythmus, alles scheint nach vorwärts zu stürmen – schwule Marsch-musik, gewissermassen.

STEUERNDER SEQUENZER

Die Arbeitsweise von Stock, Aitken, Waterman galt damals als innovativ, ist heute aber der Normalfall und reicht in ge-wisser Weise bis in Motown-Zeiten zurück. Ein Song wird komplett produziert, Sängerinnen und Sänger kommen erst am Schluss hinzu. Für «I Should Be So Lucky» stand Kylie Minogue gerade mal eine Stunde im Studio. Session-Musi-ker brauchte es in den Achtzigerjahren keine, da ohnehin alles vom Sequenzer gesteuert wurde – mit ein Grund für den schier unglaublichen Output des Erfolgstrios.«You Spin Me Round (Like a Record)» von Dead or Alive markierte 1985 den Höhepunkt und zugleich das Ende des Hi-NRG-Sounds. Der Brand Stock, Aitken und Waterman war mittlerweile zum Hitgarant geworden, immer mehr Künstler buhlten um die drei Produzenten, die zum damaligen Zeitpunkt nach eigener Einschätzung immer noch «ziemlich arm» waren. Es folgte die Zusammenarbeit mit Bananarama, aus der gleich mehrere Hitsingles – «Venus», «I Heard a Rumour», «Love in the First Degree» – hervorgingen. Matt Aitken erinnert sich heute allerdings nicht gerne an die Aufnahmesessions, da die drei Mädchen bis dahin ihre Songs selber geschrieben und sich im Studio entsprechend renitent verhalten hätten.Naturgemäss einfacher dürfte sich die Arbeit mit Rick Astley, Jason Donovan oder eben Kylie Minogue gestaltet haben. Stock, Aitken, Waterman wandten sich zunehmend der fl acheren Popmusik zu, gleichzeitig wurde der Erwar-tungsdruck immer grösser. «Einmal rief uns die Plattenfi r-ma an und erkundigte sich, wann denn nun das Duett mit Jason und Kylie erscheinen würde», erzählte Mike Stock

der BBC. «Ich antwortete, es sei doch gar keines geplant. Daraufhin die Firma: die Plattenhändler hätten bereits 200 000 Singles vorbestellt. Und wir hatten noch keine ein-zige Note geschrieben!»

«STOP AITKEN WATERMAN»

Mögliche Vorbehalte der eigenen Musik gegenüber doku-mentierte die einzige Single, die Stock, Aitken,Waterman unter eigenem Namen 1987 veröffentlichten. In seiner ent-spannten Funkyness ist «Roadblock» so ziemlich das Ge-genteil von Kylie, Jason, Rick und Co. Tatsächlich verweist der Track auf die musikalischen Wurzeln seiner Schöpfer, die hauptsächlich mit dem amerikanischen Soul und R’n’B der Sechziger- und Siebzigerjahre aufgewachsen waren. Die englische Presse fi ng zudem an, sich über den Retorten-Pop von SAW lustig zu machen. Der «Guardian» übersetz-te ihre Initialen mit «Schlock, Aimless and Waterdown». «Stop Aitken Waterman» lautete an anderer Stelle die Forderung. In Interviews äusserten sich die derart Verun-glimpften zunehmend zynisch über das Musikgeschäft. Sie hatten mittlerweile Millionen gescheffelt und stattliche Anwesen auf dem Lande erworben. Mit dem Beginn des neuen Jahrzehnts schien die Zeit des Erfolgstrios ohnehin abgelaufen zu sein. Die zweite Woche des Oktobers 1990 war die erste seit zwei Jahren, in der sich kein einziger SAW-Künstler in den UK-Charts tummelte. 1993 verliess Mike Stock das Team.Der Einfl uss von Stock, Aitken, Waterman hallt allerdings noch heute nach. Nicht nur in Form der diversen Eighties-Revivals, auch der Europop der Neunziger wäre ohne SAW kaum denkbar gewesen. Die Art und Weise, wie solche Musik produziert wird, hat sich bis heute nicht verändert. Was das Songwriting angeht, gehörten die drei Briten zur alten Garde und es lohnt sich, unter der nicht leicht zu durchdringenden Klangoberfl äche nach einer Menge hüb-schen Melodien und Akkordfolgen zu stöbern.

Martin Söhnlein

Mike Stock, Matt Aitken und Pete Waterman (v.l.n.r)

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DIE NEUEN PLATTEN

Underground RailroadWhite Night Stand(One Little Indian)

Es gibt diese Franzosen-combo seit geschlagenen acht Jahren, und dies ist bereits ihr drittes Album. Aber grössere Wellen ha-ben die drei Mannen aus Paris auch in ihrer Wahlhei-mat London noch immer nicht geschlagen. In der Tat fördert selbst eine ausführ-liche Google-Expedition – ausser einem rudimentären Wikipedia-Eintrag – nichts über die Band zutage. Das ist nicht so leicht zu be-greifen, denn ihr teils aus frühen Radiohead, teils aus Madrugada, teils aus Pi-xies geschneiderter Sound ist voller raffi nierter Dop-pelböden und überrascht immer wieder von neuem. Die Combo arbeitet gern mit einem Wall of Sound, in welchem man nicht nur Gitarren und Drums zu hö-ren glaubt, sondern auch Synthies analoger Prägung und Streicher. Aus dem narkotischen Nebel dieser Musik tauchen die Ref-rains, Riffs und Klangde-tails auf wie die Lichtkegel einer rotierenden Disco-Kugel. Dabei gelingt das Kunststück, recht komplex durcharrangierte Stücke klingen zu lassen, als ob je-den Moment irgendwo ein Vulkan ausbrechen könnte. Ein echter Fund.

hpk.

LocussolusLocussolus(International Feel)

Als DJ und Edit-Provider ein Disco-Guru, hat sich DJ Harvey relativ spät zum Produzenten entwi-ckelt. Dafür weiss er in seiner Spätblüte umso ge-nauer, wie er klingen will. Los gings vor sechs Jahren zusammen mit Thomas Bullock von Rub N Tug als Map of Africa – eine Gereifte-Whiskeystimme-trifft-auf-bestens-abge-hangene-Strandbar-Band. In der Folge war er Teil der Whatever-We-Want-Supergroup Food of The Goods (!). Erst jetzt, gegen Fünfzig, folgt unter dem Pseudonym Locussolus das erste Soloalbum. Harveys Vorliebe für Balearic Rock und AOR schlägt auch auf dem selbstbetitelten Debüt – eigentlich eine Samm-lung von drei EPs, ergänzt durch Remixe – klar durch. Wüstenrock zu Discodub, Marlboro-Stimme auf ho-rizontalem Balzkurs, psy-chedelische Beach-Jams zu Disco-Beats, dies alles deut-lich verankert in den Club-Neunzigern: Harvey zieht alle Register, die ihn aus-machen und die er wie nur wenige beherrscht. Auch dank dem unterschwelligen britischen Humor, der die klischeehaften Texte erst geniessbar macht, entgeht Harvey der unfreiwilligen Kitschfalle. Mit diesem Album empfi ehlt sich der Disco-Lebemann als wür-diger Nachfolger des erst kürzlich verstorbenen Su-permax.

sio.

Various Artists116 & Rising(Hessle Audio)

Auch James Blake ist hier drauf, aber das ist nicht der Punkt. Die Highlights auf dieser Doppel-Compilation von Hessle Audio setzen eher andere. Hessle – das Dubstep-Label von Ra-madanman, Ben UFO und Pangaea – wartet seit der Gründung 2007 mit nur gerade 18 Releases auf, die aber umso nachhaltiger wirkten und neben Blake auch Namen wie TRG und Untold auf die Landkarte gesetzt haben. Nun folgt also die erste Labelschau. Auf CD 1 fi nden sich neue beziehungsweise unveröf-fentlichte Tracks der an-gestammten Akteure, aber auch von Newcomern und Freunden: eher Housig-old schoolige Tunes von Pangaea und Cosmin TRG, ein reduziertes, schlagkräf-tiges Subbassmonster von D1 und aktuelle 808- und Juke-Einfl üsse bei Addi-son Groove oder Pearson Sound (aka Ramadanman). Dessen und Peverelists epi-sche Drumtracks bilden die persönlichen Höhepunk-te dieser Werkschau, die ganz dem Weitblick des Labels entspricht. Retro-spektiv fällt die zweite CD mit Perlen aus der noch jungen Vergangenheit aus. Die minimalistische Break-beat-Wissenschaft führt die gebrochenen Beats ein-drücklich als unerreichtes Steckenpferd der UK-Szene vor und macht deutlich, mit welch zeitloser Quali-tät sich Hessle seinen Ruf als prägendes Label ver-dient hat.

sio.

Africa Hitech93 Million Miles(Warp/MV)

Mit Stilen wie Drum’n’Bass und Breakbeat-Hardcore nahm der britische Rave-Strang vor 20 Jahren sei-nen Anfang. Nach etlichen Weiterentwicklungen wie jüngst Dubstep ist dieser Strang in letzter Zeit nun immer mehr zu einer Art Makrogenre zusammenge-wachsen, das munter auf der Zeitachse hüpft und die Charakteristika der einzel-nen Stile auf vielfältige Art neu kombiniert. Der Sound von Africa Hitech ist für diese Integration geradezu prototypisch. Dafür sorgt nicht zuletzt Mark Prit-chard. Seit seinen Neunzi-ger-Projekten wie Global Communications oder Jedi Knights bis jüngst Harmo-nic 313 ist Pritchard ein Veteran und eine prägende Figur der Szene, während Sänger und Produzent Ste-ve Spacek den digitalen Soul einbringt. Frühneun-ziger-House, digitaler Reg-gae, Grime – und auch die Chicago-Linie von Acid bis zum aktuellen Juke – fi nden hier in aktuellem Gewand zusammen. Das prominen-te Duo geht noch weiter, bindet auch tribale und tro-pische Rhythmen ein. Und noch ein Thema prägt das Album: «93 Million Miles» bezieht sich auf die Distanz der Sonne zur Erde. «Light the Way» etwa baut direkt auf einem Sample von Sun Ra auf – und die weibliche Roboterstimme auf mehre-ren Stücken klingt gleich-sam wie eine Verheissung von einem anderen Stern.

sio.

Danger Mouse & Daniele LuppiRome (Parlophone/EMI)

Eine Maus für alle Fäl-le. Für Brian Burton alias Danger Mouse ist schein-bar alles möglich: Er füllt die Tanzpaläste, produziert für Kreti und Pleti und hat ein Händchen dafür, ande-ren Musikanten den per-fekten Produktions-Partner zu geben. «Rome», das tat-sächlich in Rom eingespielt wurde, hat Danger Mouse mit dem Auftragskompo-nisten Daniele Luppi («Sex and the City») geschrieben und eingespielt, aber ei-gentlich müsste man noch die Herren Serge Gains-bourg und Ennio Morri-cone nennen. Gainsbourgs Einfl uss zeigt sich etwa in den Intros, im scheinbar stolpernden Bass und den hier unmässig eingesetzten Streichern. Dagegen könn-ten die «Oh oh ohs» und «Ah ah ahs» sowie die Leit-motive direkt aus Morrico-nes Fundus stammen. Dan-ger Mouse hat sich dieses Mal mit den Gastsängern zurückgehalten, nur Norah Jones und Jack White steu-ern Gesänge bei. Die Jones ist wie immer eine Klasse für sich, und White liefert ein wenig waidwunde See-lenpein. «Rome» ist ein episches Album geworden. Noch ist diese Verbeu-gung vor dem Western der Siebzigerjahre ohne Bilder. David Lynch sollte diese bei Gelegenheit mal noch nachliefern.

cam.

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DIE NEUEN PLATTEN

The Baseball ProjectVolume 2: High and Inside(Blue Rose/MV)

Selten landet das Debüt einer Band sowohl bei Mu-sik- wie bei Sportfans einen Hit. Was liegt also näher, als nachzudoppeln? Das neue Album des Baseball Project (Steve Wynn, Scott McCaughey, Linda Pitmon und R.E.M.-Mitglied Peter Buck) ist eine hochkaräti-ge Songkollektion über die US-Sportart Nummer eins. Entzücken dürfte sie Base-ballfans, die gern in Erin-nerungen an alte und neue Sportgrössen schwelgen – und natürlich die Fans intelligenter Rockmusik. Die Songs auf «High and Inside» sind ein Mix aus witzigen Texten und einer starken melodischen Sensi-bilität, gepaart mit anspre-chenden Refrains. «1976», ein Ohrwurm über Mark «The Bird» Fidrych – den phänomenalen Pitcher der Detroit Tigers – verbreitet gute Laune. «Ichiro Goes to the Moon» ist ein mani-scher Punk-Pop-Titel über die wunderliche Gabe des Outfi elders der Seattle Ma-riners, enorm viel zu essen, Raketen zu bauen und, exakt, Baseball zu spielen. Musikalisch bietet «High and Inside» grössere Viel-falt als der Vorgänger. So erinnert der Alt-Country von «Pete Rose Way» an McCaugheys und Bucks anderes Projekt Tired Pony. Und «Here Lies Carl Mays» macht aus der Ge-schichte über den einzigen Pitcher, dessen Ball einen anderen Spieler getötet hat, eine bewegende Ballade.

tl.

Schorsch H. & Dr. WillTogether(BSC Music)

Schorsch Hampel hampelt seit den besten Krautrock-tagen in der Münchner Musikszene rum. Seit acht Jahren führt er die Combo Schorsch & de Bagasch, welche sich dem Blues ver-schrieben hat, selbigen aber ganz auf bayrisch bietet. Dr. Will ist sein Bruder, der sich einst bei diversen Indie-Bands als Drummer betätigte und in dieser Ei-genschaft bei einer Vor-spielprobe in London, wo es um den Job eines Live-Schlagzeugers bei einem Spinal-Tap-Konzert ging, Rat Scabies persönlich ausstach. Unterdessen hat auch Dr. Will den Blues entdeckt und mit seiner grandiosen Band The Wi-zards den Sound von New Orleans auf ähnliche Weise aufgefrischt wie Berliner Reggae-Bands dem Jah-Groove neue Synkopen abgewonnen haben. Auf ihrer ersten gemeinsamen LP kredenzen die Gebrüder Hampel eine Reihe von Co-ver-Versionen von Waits, Dixon, Hurt oder Hoo-ker, dazu kommen zwei, drei Eigenkompositionen. Die diversen Instrumente – Drums, Gitarren, Bässe, Mundorgel etc. – spielen sie alle selber, und zwar durch-wegs äusserst beswingt. Und zwischendurch tönts sogar richtig bayrisch: «Neili Früa am Moing» oder «Schleich di Boandl-kramer». Das Ganze klingt frisch wie der Morgentau, von Museumsstaub weit und breit kein Hauch. So richtig vergnüglich gut.

hpk.

22 PistepirkkoLime Green DeLorean(Bone Voyage)

Die fi nnischen 22 Piste-pirkko gehören mit zu den dienstältesten und sicher-lich eigenwilligsten Indie-Bands Europas, deren Ruhm in einer gerechten Welt weit grösser wäre. Seit 1981 aktiv, ist das Trio mit jeder neuen Platte für Über-raschungen gut. Das mitt-lerweile 14. Album «Lime Green DeLorean» ist dem raren Auto DeLorean ge-widmet: ein im Bandgrün-dungssjahr erstmals gebau-tes Coupé mit schnittiger Karosserie und charakteris-tischen Flügeltüren. Nach der Neil-Young-Hommage zu Beginn der Platte folgen der seltsame, atmosphärisch dichte Pop-song «Dream 1987», die ohrwurmige Single «Ufo Girl» und der derbe Rocker «Stupid», ehe die Band bei «So Much Snow» mit Motorschaden durch den Schnee rumpelt. Hübsche Balladen und schräge Indie-Rocker folgen. Dazwischen gibt es mit «Broken Toys» meinen Lieblingssong, der ins Ohr drängt und ge-plagten Eltern den lustigen Hinweis liefert («Broken toys make no noise»). Produziert hat diese Platte übrigens die Band selbst, nachdem vor drei Jahren noch der US-Indie-Held Kramer die Aufsicht hatte. Mit dem limettengrünen DeLorean ist den Brüdern Asko und PK Keranen mit ihrem Sandkastenfreund Espe Haverinen ein exzel-lentes Album gelungen.

tb.

Sound SurprisenSein Label Fais Do Do Records, das er später in Feature Records umbenannte, gründete J.D. Miller 1946 in erster Linie, um die Musik seines Schwiegervaters Lee Sonnier aufzunehmen. Sonnier war ein in der Region um Crowley, Louisiana, leidlich bekannter Akkordeonist, und weil die sogenannte «french music» dank Harry Choates massivem Hit «Jole Blonde» 1946 eine neue Blütezeit erlebte, witterte Miller eine Chance für seinen Schwiegervater. Nicht zu Un-recht: Sonnier nahm zwischen 1947 und 1952 acht Songs auf – darunter die sentimentale Nachwehen des Zweiten Weltkriegs erfolgreich einfangende Ballade «War Widow Waltz» (1950) und «Dans les grand meche», den ersten von einem pumpenden und keuchenden Akkordeon ange-triebenen Tanzbodenfeger der Nachkriegszeit. Ermutigt von seinen Erfolgen mit Lee Sonnier und Hap-py, Doc & The Boys, widmete sich J.D. Miller von 1946 bis 1959 mit besonderer Hingabe der «french music», wie Cajun damals noch genannt wurde – und das, obschon er kaum ein Wort Französisch sprach. Damit spielte er eine bedeutende Rolle für das Wiedererwachen der Musik der französischsprachigen Acadiens in Louisiana. 1946 entstanden in Louisiana in jedem hinterletzten Kaff neue Clubs und Tanzhallen, in denen Musik, Bier und schweisstreibende Tänze die düsteren Erinnerungen an den Krieg wegspülten. Dementsprechend gross war die Nach-frage nach Musikern, die diese Lokale bespielten, aber auch die Sendezeit der Radiosender füllten. Eine Eigenheit dieser Tanzhallen, die zumeist täglich offen waren und unter der Woche Musik ab Platten und am Wochenende Live-Bands anboten, war ihre Familienfreundlichkeit: Bis in die Fünf-zigerjahre waren auch Kinder zugelassen, was wiederum ein sehr grosses und breites Publikum bedeutete. Anderer-seits waren die Sponsoren gewisser Bands und Radioshows nicht ganz unschuldig: Millers erfolgreichster Act Happy, Doc & The Boys wurde vom Allzweck-Heilmittel Hadacol gesponsert, das sich vor allem in alkoholisch restriktiven und trockenen Gegenden grosser Beliebtheit erfreute, wies es doch einen Alkoholgehalt von 12% auf …Mit Interpreten und Combos wie Lee Sonnier, Happy, Doc & The Boys, Veteran Playboys, Andie Breaux & His Band, Pee Wee Broussard & His Melody Boys und anderen be-gleitete J.D. Miller diese Blütezeit der französischsprachi-gen Kultur Amerikas, bis er sich 1959 ganz von der «french music» löste und dem Country zuwandte. Der Rock’n’Roll und die Veränderung des Ausgehverhaltens hatten die Nachfrage nach neuen Cajun-Songs drastisch vermindert. Das Vermächtnis von J.D. Miller war zwar nicht vergessen, aber in alle Winde verstreut. Es existierten kaum Master-bänder, man wusste nicht recht, wie viele Aufnahmen fran-kophoner Musiker er überhaupt gemacht hatte (es waren 78), und es dauerte Jahre, diese Aufnahmen aufzutreiben. Nun liegt das Resultat dieser Recherchen vor: Die 3-CD-Box «Acadian All Star Special. The Pioneering Cajun Re-cordings of J.D. Miller» präsentiert sämtliche 78 klangmäs-sig beeindruckend restaurierten und in einem LP-grossen Hardcoverbuch kommentierten Aufnahmen. Ein kleines, aber sehr interessantes Kapitel aus der Historie amerikani-scher Pop-Musik.

Christian Gasser

Page 16: JUN/JUL · 2017. 2. 21. · In ein hübsches farbiges Digipak verpackt, kosten die CDs – 1000 Promo-Exemplare miteingerechnet – knapp 20 000 Franken. ... turen auf den Plan, ein

DIE NEUEN PLATTEN

Aaron NevilleI Know I’ve Been Changed(EMI)

Aaron Neville kann auf eine wechselvolle Karriere blicken. Der etwas unge-schlachte Mann mit der mit Rosenwasser mari-nierten Singstimme hatte Hits («Tell It Like It Is»)und Flops. Dieses Jahr feiert das New Orleanser Urgestein gar sein fünfzigs-tes Jahr als Musiker. Wie viele von seiner Sorte gibt es, die im goldenen Herbst ihrer Karriere noch etwas Gescheites abliefern? Ehr-lich, man kann sie an einer Hand abzählen. Der Titel «I Know I’ve Been Chan-ged» lässt böses befürch-ten, aber Entwarnung: Aa-ron Neville ist in Sachen Klassiker ganz sicher und ganz bei sich. Wie ein Fels in der aufgeschäumten Brandung «Zeitgeist» singt er abgeklärte Gospelsongs über Gott und die Welt. Die Stimme ist immer noch wie Milch und Honig und die innere Gelassenheit ist in jedem Lied zuhause. Kein Song hat ein zu viel an Sound, sondern lebt durch einzelne Klänge, von ganz leichtem Schlagzeug, dezentem Bass, butterwei-chen Gitarren und Klavier, gespielt von Aaron Nevilles altem Schulfreund Allen Toussaint. Keine Frage, Aa-ron Neville ist mit sich und der Welt im Reinen. Gos-pel ist Call & Response, es müsste mit dem Teufel zu und her gehen, wenn die-ses feine Gospelalbum kein Echo in der Welt auslösen würde.

cam.

Battles Gloss Drop(Warp/MV)

Die Verfertigung des zwei-ten Albums fi el für die New Yorker Battles nach dem Atemrauber «Mirrored» mit dem Mini-Hit «Atlas» ein wenig schwieriger aus als für andere Formatio-nen: Mit Tyondai Braxton, der auf lange Konzertfahr-ten verzichten wollte, stieg mitten im Aufnahmepro-zess die verfremdete Mi-ckey-Mouse-Stimme und das Genie der Band aus, die den Math-Rock zum Tan-zen brachte und den Nul-lerjahren ungehörte digita-lisierte Gitarren-Texturen schenkte. Das verbliebene Trio – Dave Konopka an den Gitarren, Ian Williams an den Keyboards und der Ex-Helmet John Stanier am Schlagzeug und dem hoch-hängenden Zymbal – rauf-te sich nach dem Verlust von Braxton zusammen, und legt nun mit «Gloss Drop» ein Album vor, das direkter und homogener ausfällt als der Vorgänger. Auch sind neue Pop-Spu-ren zu vernehmen wie in der örgelnden Single «Ice Cream», die der Vokal-Technoide Matias Aguayo besingt. Weitere Gäste am Mikrofon sind der Elektro-pop-Altstar Gary Numan, Blonde-Redhead-Sängerin Kazu Makino und der Bo-redom Yamataka Eye. Und wenn man dieses eng ver-wobene, dann und wann zu muskulöse Album so hört, gibt es selbst für den Prog-Rock eine schöne Zukunft.

bs.

Bill Wells & Aidan Moffat Everything’s Getting Older(Chemikal Underground)

Vor fünf Jahren trennten sich die Wege von Mal-colm Middleton und Aidan Moffat, deren Band Arab Strap während elf Jah-ren einer der strahlenden Fixpunkte der Glasgower Indie-Szene war. Seither machen beide unter dem eigenen Namen ganz gute Platten. So richtig zufrie-den war ich als grosser Arab-Strap-Fan aber bisher mit keiner der Veröffent-lichungen. Bis jetzt. Der dunkle, düstere Moffat hat offensichtlich im ex-perimentellen Pianisten Bill Wells den passenden Gegenpart gefunden, der Middleton adäquat erset-zen kann. Acht Jahre lang hat man zusammen an die-sem Debüt gebastelt. Der Arbeitsprozess sei derselbe gewesen wie einst bei Arab Strap, sagt Moffat – mit der Ausnahme, dass man nicht gekämpft hat. «Gorgeous, jazz-infl ected love songs» – so nennt die Platteninfo die Stücke auf dieser Platte, die schwer und melancho-lisch daherkommen und eine wunderbare, erhabe-ne Stimmung verbreiten. Musikalisch ist das meist ruhig gehalten – wie beim sensationellen «The Cop-per Top». Etwas fl otter ist «(If You) Keep Me in Your Heart», der älteste Titel, den die beiden schon vor acht Jahren geschrieben hatten. Eine November-platte mitten im Sommer.

tb.

Arctic MonkeysSuck It And See(Domino/MV)

Zum vierten Streich setzen sie an, die Arctic Monkeys, und bereits ereilt einen das Gefühl, die Band steue-re auf die Gesetztheit zu. Während «Humbug», von Queens-of-The-Stone-Age-Mastermind Josh Homme produziert, mitunter quer zur Rocklandschaft stand, schmiegt sich das neue Al-bum «Suck It And See» beinahe schon aufdringlich an diese an. Die Formation um den eher croonenden denn rockenden Alex Tur-ner hält sich fast durchwegs ans Midtempo. Das gibt dem Quartett die wohl er-wünschte Gelegenheit, die Noten auszuspielen, ruhig und ohne in Schwitzgefahr zu geraten. Nicht nur bei «Piledriver Waltz» darf die Gitarre ungestört tremolie-ren. Und zwar so sehr, dass man fast in ein Schunkeln verfällt. In den schlechte-ren Momenten stolpern die Arctic Monkeys vor allem über ihre Selbstüberschät-zung: «Brick By Brick» will die Stones, Kinks und The Smiths nicht bloss verei-nen, sondern toppen, will dreist sein, ist aber bloss Mischimaschi. Hätten sich die Briten schenken kön-nen. Dafür zählen das auf-reizende «Black Treacle» und das schnoddrig-schöne Titelstück zum Besten, was sich das Quartett bis dato ausgedacht hat. Die Arctic Monkeys tendieren auf «Suck It And See» et-was gar häufi g dazu, ihre Smartheit betonen zu wol-len. Wäre gar nicht nötig gewesen, das Album ver-fängt auch so.

mig.

Herman DuneStrange Moosic(City Slang/TBA)

Bereits vor neun Jahren be-richteten wir über das feine Album «Switzerland Heri-tage» der in Paris lebenden Brüder Herman Dune, die inzwischen allerorten ab-gefeiert werden. Das war damals bereits der dritte Streich der Band – aller-dings das erste Werk, das den Weg aus Frankreich herausgefunden hatte.Den charmanten Indie-Folk-Pop mit Anklängen an Velvet Underground, an Belle & Sebastian und den famosen Jonathan Rich-man verfolgt die umbesetz-te Band – einer der beiden Brüder ist inzwischen leider in Berlin hängengeblieben und ausgestiegen – nach wie vor. Nahezu zehn Al-ben sind entstanden. Ihr Meisterwerk ist «Not on Top» (2005). Doch auch die folgenden Grosswerke «Giant» und «Next Year in Zion» sind nicht schlechter – wie auch das neue Al-bum mit dem schönen Ti-tel «Strange Moosic». Was nicht nur an der hübschen Single «Tell Me Something I Don`t Know» liegt, bei der sich wegen des netten Videos auch ein Besuch auf Youtube lohnt: TV-Serien-Star Jon Hamm – der Don Draper aus der famosen Sixties-Serie «Mad Men» – zeigt einem blauen Yeti-Kind die grosse Stadt Aus-tin. Putzig, wie überhaupt diese grandiose Band, die ähnlich wie die fi nnischen 22 Pistepirkko ihren festen Platz im Indie-Olymp auf sicher hat.

tb.

Page 17: JUN/JUL · 2017. 2. 21. · In ein hübsches farbiges Digipak verpackt, kosten die CDs – 1000 Promo-Exemplare miteingerechnet – knapp 20 000 Franken. ... turen auf den Plan, ein

DIE NEUEN PLATTEN

Steve EarleI’ll Never Get Out of this World Alive(New West/MV)

So sehr und häufi g man T-Bone Burnett als Produzen-ten schätzen darf, so deut-lich muss gesagt sein: Dem neuen Werk von Steve Earle tut er nicht gut. Zu forsch und plakativ ist sein An-satz, der bisweilen wirkt, als ob Burnett ein Musical über den amerikanischen Bürgerkrieg vertonen wür-de. Dabei wäre die Stille im Fokus gestanden, die Mortalität. «I’ll Never Get Out of this World Alive» ist angetrieben durch den Tod von Earles Vater. Hin-ter dem zu direkt ins Ge-sicht klatschenden Sound schälen sich nur langsam elf Songs heraus, die von der Jugend in Militärstäd-ten, vom crevettenjagenden Opa oder einer nicht be-handelbaren Melancholie berichten. Wie auf seinem letzten Wurf, «Townes», geht der 56-Jährige in sei-nen Liedern auf, wird eins mit ihnen. Natürlich lässt er es sich nicht nehmen, der Rechten seines Landes erneut ans Bein zu pinkeln. Mit abgerissener Stimme stellt er fest: «I believe in God, but God ain’t us.» Nichts da mit göttlicher Auserwähltheit. Steve Earle sucht den Bluegrass heim, ebenso wie die Mörder-balladen oder den von der Steelgitarre getriebenen Folk. Neu erfunden hat sich der Musiker mit dem Album also nicht – was nichts an der Tatsache än-dert, dass es keinen (mehr) gibt, der unverfälschter ist und klingt als Steve Earle.

mig.

Joseph ArthurThe Graduation Ceremony(Fargo/Irascible)

«Our Shadows Will Re-main» war vor sieben Jahren. Und schier uner-träglich. Weil Joseph Ar-thur darauf klang wie ein Mann, der es sich eben in seinem dunkelsten Innern ungemütlich gemacht hat. Ein Album, schwer wie eine Depression und eins, das zwischen Wahnsinn und Genialität torkelte, aber nicht hinfi el. Erstaun-lich ist, dass der Amerika-ner sich wieder aufrappel-te – und nicht erstaunlich, dass seine Folgeplatten nie wieder an das Monster-werk heranreichten. Mit «The Graduation Ce-remony» nimmt der Musi-ker einen erneuten Anlauf. Und der Kritiker tut sich schwer: Täte das Album von einem unbeschriebe-nen Newcomer stammen, würde er die charmanten Melodien loben, die ruhi-gen Rock-Shuffl es hervor-heben und schliessen, dass der Künstler seine Meriten und eine Zukunft hat. Zu dumm, dass Joseph Arthur vor allem eine Vergan-genheit hat. Zwar singt er tapfer davon, nicht mehr davonzulaufen, doch er tut das im Stile eines Mannes, der sich mit dem Leben eher arrangiert denn angefreun-det hat. Bisweilen tauchen tiefere Schemen auf, bloss werden diese vom 39-Jäh-rigen mit radiofreundlichen Liedern wieder fl ugs in die Schranken gewiesen. Eine passable Platte, aber nicht passabel genug für einen wie Joseph Arthur.

mig.

Alison Krauss & Union StationPaper Airplane(Rounder)

Für uns Europäer war Ali-son Krauss die schönere, etwas ätherisch wirkende Hälfte der erfolgreichen Partnerschaft mit Robert Plant, die im wunderbaren Crossover-Album «Raising Sand» (2007) und sechs Grammy-Auszeichnungen gipfelte. In den USA ist Krauss mit elf Millionen verkauften Alben ein Su-perstar. Mit ihrer Blue-grass-Band Union Station gewann sie 20 Grammys – mehr als jede andere Frau im Musikgeschäft. «Paper Airplane», das sechste Stu-diowerk mit Union Station und das erste seit 2004, un-terstreicht die Stärken die-ser Bluegrass-Institution. Die neuen Songs sind herb und melancholisch, erzäh-len von gebrochenen Her-zen und Abschiedsschmerz und lassen doch ein Quänt-chen Hoffnung zu. Noch immer ist diese kostbare, diskrete Schönheit spürbar, die eines der Markenzei-chen der Gruppe ist. Als Sängerin brilliert Krauss in Songperlen wie Jackson Brownes «My Opening Farewell» oder Richard Thompsons «Dimming of the Day». Robert Lee Castlemans Titelstück ent-spricht der bedrückenden Grundstimmung des gan-zen Albums. Diese durch-bricht Gitarrist/Sänger Dan Tyminski mit phänomena-len Bluegrass-Balladen wie «Dust Bowl Children». Die klingt wie eine auf drei Ak-korde komprimierte Stein-beck-Novelle.

tl.

Fleet FoxesDie Nostalgie für die Sechzigerjahre begann am 11. März 1970. An diesem Tag veröffentlichten Crosby, Stills, Nash & Young die zehn Songs von «Déjà vu» – ein melancholi-sches Konzentrat amerikanischer Hippie-Musik, destilliert aus akustischen Gitarren und Gruppengesang. Heute sind die Sixties eine historische Ära, deren Protagonisten alt ge-worden sind und allmählich abtreten. Aber die Nostalgie ist geblieben, und niemand vertont sie derzeit beeindru-ckender als die Fleet Foxes: eine Band von Mittzwanzigern aus Seattle, die eben ihr zweites Album herausgebracht hat. Tatsächlich klingt «Helplessness Blues» mit seinen ver-nestelten Gitarren und sehnsüchtigen Chören wie ein verlorenes Album von Crosby, Stills, Nash & Young. Die Melodien können betören, und die Arrangements sind ein blühender, duftender Garten der Natur – die zwölf Songs verbrauchen so gut wie keinen Strom. Diese Weltfl ucht hat sich schon beim Debüt, erschienen 2008, bezahlt gemacht – die Fleet Foxes verkauften davon über 1 Million Exem-plare. Das neue Album dürfte den Erfolg weiterschreiben, wird die Band derzeit doch auch in den Massenmedien zum Thema – und damit zur meistbeachteten Americana-Band dieses Jahrgangs. Dass man in einem Pastiche aus alten Folk-Mustern und -Harmonien auch über unsere Zeit erzählen kann, haben kürzlich The Low Anthem aus New York bewiesen. Die Fleet Foxes aber locken mit ihrem musikalischen Gespinst aus viel Sehnsucht und etwas Mystik in ein vergangenes Idyll, das so allerdings gar nie existiert hat. Und mittendrin steht Robin Pecknold, Sänger und Songschreiber der Band, und fantasiert sich im Titelstück in einem pantheistischen Traum zu einem Rädchen in einer Maschine, die etwas Grösserem dient, etwas Sinnvollerem. Er wisse aber auch nicht, was das sei, singt er noch, und eine Brise von Welt-schmerz fächelt durch das Lied. So wird einem diese schöne Musik mit der Zeit dann doch etwas streng. Es hat etwas Mormonenhaftes, wie in dieser Folk-Pastorale nicht nur die Moderne ausgesperrt bleibt, sondern auch jede Körperlichkeit. Man hört diese jungen, bärtigen Männer in karierten Flanellhemden, wie sie ihre akustischen Gitarrenspiralen dengeln und ihre Hirtenge-sänge anstimmen; man hört die Flöte quinquillieren und glaubt bald, selbst gebackenes Brot zu riechen. Sogar der viel beschriebene Free-Jazz-Ausbruch des Saxofons in «The Shrine / An Argument» ist so harmlos wie Kindergeschrei am Ententeich. Schon Crosby, Stills, Nash & Young hatten mit «Déjà vu» das Folk-Erbe zu einer Rockmusik verhübscht, die den Ab-schied von Groove und souligem Grip als Fortschritt hin zu einer besseren Welt verkaufte und zu der man allenfalls tanzen konnte wie zu einem Tamburin. Schon am berühm-ten Festival in Woodstock hatte sich der weisse Hippie-Rock ja weitgehend seines schwarzen Erbes entledigt, und im gleichnamigen Song («Woodstock» von Joni Mitchell) sangen auf «Déjà vu» auch Crosby, Stills, Nash & Young: «Wir sind Sternenstaub / Wir sind golden / Wir müssen zu-rück in den Garten.» Und das ist das, was auch an den Fleet Foxes so irritiert – dass in diesem Garten, den sie sich träumen, die Americana eine blütenweisse ist.

Christoph Fellmann

Fleet Foxes: «Helplessness Blues» (Universal)

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DIE NEUEN PLATTEN

Art BrutBrilliant! Tragic! (Cooking Vinyl)

Freundschaften – insbeson-dere musikalische Freund-schaften – ziehen manch-mal kuriose Kreise. So hätte wohl auch der kühnste Pro-phet das Duo Frank Black/Eddie Argos nicht aus sei-nem Kaffeesatz herauszu-lesen gewagt. Frank Black, der mit den Pixies einst die teufl isch rockende laut/leise/laut/laut-Dynamik erfand. Eddie Argos, eng-lischer Blödelmeister, Art-Rocker und Worteschmied in der Tradition zwischen Bonzo Dogs und Ian Dury. «Brilliant! Tragic!» ist das zweite Album, welches Ed-die und seine Combo unter den Produktionsfi ttichen von Frank Black alias Black Francis eingespielt haben. Die freche Feder von Argos steht weiterhin im Mittel-punkt des Art Brut’schen Schaffens. Als typisches Beispiel soll hier diese skalpellscharfe Sezierung des Gefühls «Eifersucht» gelten: «You’re walking around like love’s young dream / He dresses like he came free with the NME / How can you bear to hold his hand?» Blacks Einfl uss ist in der Musik deutlich zu spüren. Unter seiner Regie sind Art Brut zu einer mus-kulösen Post-Pixies-Rock-band herangewachsen, der-weil Argos’ Sprechgesang unterdessen auch mal eine Melodie in den Mund zu nehmen wagt.

hpk.

Venetus FlosBound for Glory(Goldon Records)

Von Wohlstand und nor-mativen Verhaltenskodices ist im Beipackzettel die Rede. Von langjähriger Refl exion über das Phä-nomen des Seins und ihrer daraus resultierenden au-tonomen Interpretation. Auch Konzerte an Gymi-Festen fi nden Erwähnung. Wer solche Promotexter hat, braucht keine Kriti-ker. Also von vorn: Venetus Flos ist ein Trio aus Wall-bach AG. «Bound for Glo-ry» ist die Debüt-EP und schöpft aus Quellen, die bei den jungen Leuten seit einigen Jahren wieder hoch im Kurs stehen: Synth-Pop, Gruft-Rock – und was es sonst noch so an Düster-klängen aus den Achtzi-gern in die Gegenwart ge-schafft hat. Doch sind die fünf Songs mitnichten im Copy-Paste-Verfahren zu-sammengeschustert. Trotz der Neigung zu eingän-gigen Refrains wagt man lieber eine Wendung mehr als unbedingt nötig, geht zuweilen recht verschwen-derisch mit Ideen um und sorgt so für Abwechslung und Spannung. Gitarren und Keyboards treten ab-wechselnd in den Vorder-grund, und die Stimme von Julien Bitter sorgt mit Cha-risma für Hörerbindung. Dunklen Klängen tenden-ziell Zugeneigte, denen Les Yeux Sans Visage zu rockig klingen und The Beauty of Gemina zu technoid, dürf-ten hier eine erfreuliche Entdeckung machen.

ash.

Blood of GoldRemember Me Naked(Beautiful Records)

Schon wieder Schmerzen? Vor vier Jahren veröffent-lichte der Ex-Lovebugs-Bassist Sebastian «Baschi» Hausmann mit seiner Band Fucking Beautiful das Album «Here Comes the Pain Again», das «die Urkräfte der Rockmusik entfesselte», wie die NZZ damals befand. Vier Jahre später und mit neuer alter Band ist der Schmerz Weh-mut gewichen. Der Titel «Remember Me Naked» lässt grosse Melancholie erahnen. Die zum Quintett angewachsene Band spielt britische Americana, aufge-mischt mit Country, Folk, Rock, Polka. Warme, akus-tische Klänge dominieren, sind aber nicht das Mass aller Dinge. Hausmann und Martina Böhler insze-nieren sich im Duett als das Rock’n’Roll-Traumpaar – und rocken die Party, die natürlich auch mal ein Ende hat. Der letzte Song wird zum Höhepunkt der Emotionen, die abgerauch-te Party und das womög-lich verpfuschte Leben be-kommen ihren würdigen Abgesang. Traurig, beseelt, schunkelnd: «Welcome to the real life, welcome to the real pain, welcome to your mistakes again, hey you, the honeymoon is over...» Sie bringen es einem also schonend bei. Das Leben ist schön, aber nicht (für) immer. Der Stich ins Herz dauerte nur Sekunden. Der Schmerz bleibt.

cam.

The FeeliesOut of the blue, one more time: die fabelhaften Schlau-meier The Feelies. Ein Wunder, das niemand erwartet hat. Nach 20 Jahren zurück aufs alte Feld: «Here Before». Ein guter Witz, wenn Glenn Mercer auf «Nobody Knows» murmelt, ob sie zu spät kämen oder länger hätten warten sollen. Sein Schulterzucken auf unseren Wimpern: Wann immer ihr wollt, unsere Seelen für eure Sehnsuchtsmusik. Und vielen Dank auch für die Zückerchen in der langen Zwischenzeit, Wake Ooloo, Wild Carnation, oder Mercers Soloalbum «Wheels in Motion». Feine Nebenprojekte, die halt doch nicht die ganzen Feelies waren, zumal ohne Bill Million, den anderen Gitarristen. Dabei müssen die sich wahrlich nichts beweisen. Die haben nur Klassiker gemacht! Man frage die Fans: R.E.M., Yo La Tengo, Sonic Youth… Immerhin waren die nicht unschul-dig daran, dass die Band die vorzeitige Pensionierung ab-gebrochen hat. Also sind Mercer-Million mit der Bassistin und den zwei Perkussionisten ein paar Mal aufgetreten und dann in den Proberaum in Haledon gegangen und dann rüber ins Studio, Hoboken, alles im heimatlichen New Jersey, im Zwischenraum zwischen hysterischer Urbanität und zeitverlorener Ländlichkeit.Ihr fünftes Album dreht sich wieder um die Zeit und ist so zeitlos wie eh und je. Ein paar Spinnweben wegge-wischt, klingt das im Nu nach 16-Jährigen, die es sausen lassen – mit Punk, weil nichts zuviel ist. Im Dauerfl uss des mal schnelleren, mal bedächtigeren Immergleichen-Songs herrscht eine selten erreichte Entspannung, die auf cool ge-timter Aufregung beruht. Siehe Bandfoto, präzis stimmig: Die hocken auf einer Parkband, als ob sie sich wundern, dass da, wo einst ihr Jugendtreff stand, nun ein Altersheim steht. Was ja im Grunde dasselbe ist. Welches Jahrhundert? Egal, Alter, lass fl iessen... Auf das manische Debüt «Crazy Rhythms» hatte Stiff 1980 noch ein Logo draufgeklebt: «New Wave», weil die Horn-brillen und V-Pullover dieser Collegebuben abschreckten. 2011 könnte auf dem Sticker stehen: «Hier ist der Beweis.» Für Fans von Tocotronic, weil die immer mehr klingen wie die Feelies. Oder für die, die mit Teenage Fanclub im Lauf sind und die Chills und Go-Betweens vermissen. Hier ist der Beweis, der erste Motor, der ewige Antrieb – jedenfalls nach Velvet Underground und Stooges. Um es mit den Ae-ronauten zu sagen: Wenn man weiss, wie es sein muss, hat man’s im Leben – federleicht. Die Feelies wissen alles. Deep Fascination. Sooner or Later.

Marcel Elsener

The Feelies: «Here Before» (Bar/None/Namskeio)

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DIE NEUEN PLATTEN

Felice BrothersCelebration, Florida(Loose Music)

Die US-Band hatte ich vor dreieinhalb Jahren live gesehen und war hin und weg von dieser skurrilen Combo, die einen beseel-ten Auftritt mit Songs zwi-schen Americana, Appala-chen-Folk, Indie-Pop und Alternative-Country hin-legte. Gespielt mit Gitarre, Banjo, Fiddle, Mundhar-monika und Akkordeon, schräg und gleichzeitig ins Ohr gehend. Das Brüder-paar Ian und James Felice samt ihren drei Freunden und «Brüdern im Geiste» Christmas, Greg Farley und David Turbeville hat-te damals gerade mal ein Jahr zusammen gespielt und als Strassenmusiker die U-Bahnen von New York City unsicher ge-macht. Mit «Celebration, Florida» – ihrem vierten Album – überraschen die Felice Brothers nun auch die eingefl eischten Fans. Der Weg geht weg von der gemütlichen Oldschool, hinein in experimentellere Gefi lde. Man öffnet Ame-ricana in verschiedenste Richtungen. Plötzlich wer-den da nun auch mal Syn-thesizerlines aufgefahren, der Sound wird krautro-ckig oder geht in Richtung Acid-Jazz und Rave-Beats, Tom Waits’schen Barroom-Blues’ und Vaudeville. Das alles geschieht so, dass auch der alte Fan seine Freude an den Felice Brothers haben wird. Im Herbst sind sie wieder auf Europatournee.

tb.

Agnes ObelPhilharmonics(PIAS/MV)

Mit einem sonor gesproche-nen Trailer wird in Ham-burger Kinos dieser Tage für Agnes Obel geworben – was darauf hindeutet, dass die Plattenfi rma grosse Stücke auf die Dänin hält. Deshalb wohl kommt nun das erweiterte und delu-xierte Debüt «Philharmo-nics» erneut auf den Markt – und erst im Sommer will sich die Dreissigjährige an neue Songs wagen. In der um Live- und Piano-Sessi-ons erweiterten Ausgabe wird noch gewisser, wie sehr die Singer/Songwrite-rin von der Klassik beein-fl usst ist. Wie Obel selber gesteht, ist sie nicht uner-heblich von Bartóks Kla-vierwerken «Für Kinder» und den Folkvignetten Jan Johannsons geprägt. Man spürt, dass für die in Ber-lin lebende Künstlerin das Liedgerüst an erster Stelle steht, und dieses muss sit-zen wie ein einstudierter Hoftanz. Zuvorderst die getragene Ernsthaftigkeit, erst dann wird ein Plätz-chen für Verspieltes ge-sucht. Das Klavier klingt stolz, die Celli unterma-lend. Und wenn Obel singt, dann ausschliesslich mit verinnerlichter Grazie. Die Moderne ist bei ihr häufi g abwesend, bloss ein paar leise Beats und eine seltene Gitarre verweisen ins Jetzt. «Philharmonics» setzt ganz auf kühne Schönheit. Ein Konzept, das einlöst, was es verspricht.

mig.

Tune-YardsWhokill(4AD/MV)

Seit dem Album «Bitte Orca» der Dirty Projectors ist das aufgesplittete, fragi-le Lied mit virtuos montier-ten Stimmen, westafrika-nischen Gitarrenanleihen und allerlei eigentlich ver-quasten Ideen bestens eta-bliert. Merrill Garbus alias Tune-Yards, die die Projec-tors 2009 supportete, reiht sich in diese eigene Tradi-tion der Beinah-Popmusik ein, die eigenartig rumpelt und nicht genau weiss, ob sie nun auf den Kopf oder auf die Tanzenden zielt. «Whokill» – das zweite Album der Amerikanerin – erscheint im Vergleich zu ihrem Dictaphon-Skizzen-Vorgänger «Bird-Brains» ausgearbeiteter und beat-lastiger. So entwirren sich die Fäden schnell, und Ra-bauken-Songs wie «Gangs-ta» springen an und auf, als sei das Fabrizieren von abenteuerlicher Popmusik das Leichteste auf der Welt. Das liegt natürlich auch an den MitmusikerInnen, die der Platte einen direk-teren Zug verleihen – und Garbus überall hin folgen: In den Club, ans Lager-feuer, in Noise-Ausbrüche und an die Türschwelle im perkussiven Ausnahmelied «Doorstep». Eine schöne Freude, dieses Album.

bs.

London HotlineBrixton: Einst die Hochburg des Londoner Reggae, Zent-rum der Philosophen unter den jamaikanischen Secondos, der Ort auch, wo sich 1981 der jugendliche Zorn ob des britischen Umgangs mit schwarzen und weissen Working-Class-Kids in einem gewaltigen «Riot» entzündete, der die Politiker zum Umdenken zwang. Ab sofort wurde das Quartier nicht mehr ignoriert, sondern mit erheblichen Finanzmitteln eingedeckt, um allerhand kulturelle Zent-ren und soziale Hilfsstellen zu schaffen. Heute ist Brixton eine eigenartige Mischung aus alternden Hardcore-Rastas, wohlgekämmten jungen Investitionsbankiers, Werbeleu-ten, arbeitslosen Teenagers aller Hautfarben, Musikanten jeglicher Stilrichtungen und Anhängern verstiegener Sek-ten, die vor der U-Bahn-Station ihre Traktate verteilen. Ich war seit Jahren nicht mehr da. Dies darum, weil es zu weit ist, nach dem «Clubbing» mit dem Taxi heimzubrau-sen – aber auch, weil mich die Reggae-Entwicklung der letzten zehn Jahre absolut kalt gelassen hat. Am vergan-genen Samstag klemmte ich mir aber doch mal wieder das Auto unter die Füsse und rollte in den Süden. Um eine solche Expedition zu unternehmen, braucht es schon einen triftigen Grund. Es gibt dafür sogar deren zwei, nämlich Dr. Will & The Wizards und The Future Shape of Sound. Die beiden Bands spielen in einer Knei-pe namens Hootananny – und zwar im Rahmen der mo-natlich organisierten Club-Veranstaltung «Stranger than Paradise». Natürlich enttäuschen Dr. Will und The Future in keiner Weise. Erstere kredenzen üppigen Post-Dr.-John-Sound, TFSOS sind die Band von Produzent Alex McGo-wan (Martina Topley Bird, Starseeds uvm.). Sie kreuzen Trip-Hop mit Two-Tone, Rap und Zirkusmusik und ma-chen demnächst mal wieder ein Album. Als wahre Entdeckung entpuppt sich aber die Kneipe: Statt dem erwarteten versifften Pub ist diese ein gewaltiger Gin-Palast mit überfülltem Biergarten und einer langen Schlan-ge von Leuten am Eingang, die wie am Flugplatz auf die Sicherheitskontrolle warten. Im Hootananny, so stellt sich heraus, treten wöchentlich die grossen Namen der Reggae-Szene auf, derweil «Stranger than Paradise» ein monatli-cher «Cabaret»-Club ist. Darunter verstehen die Londoner seit ein paar Jahren coole Varieté-Abende, wo sich Klein-künstler, Comedians, Akrobaten und Stripperinnen die Klinke in die Hand geben. Es ist dies eine Erscheinung der 00s, so populär, dass die Stadtzeitschrift «Time Out» dafür eine neue Rubrik ein-führen musste. Und ganz dem Tutti-Frutti des Programms entsprechend, sind Cabaret-Nights ein Refugium gewor-den für Musik, die in keine Schubladen passt. Gerade sehe ich, dass auch die Genfer Post-Cajun-Combo Mama Rosin schon im Rahmen von «Stranger than Paradise» aufgetre-ten ist. Passt natürlich perfekt. Atmosphäre grossartig. Pu-blikum auch. In euphorischer Stimmung tuckere ich gegen drei Uhr früh zurück nach Kilburn. Auf der romantisch beleuchteten Vauxhall Bridge begegne ich einem Umzug: Hunderte von Frauen, alle tragen sie den BH über den Pullovern und den T-Shirts, und darüber wiederum eine durchsichtige, rosaro-te Plastikpellerine. Eine typische Saturday Night in London also. Man müsste öfters in den Süden fahren.

Hanspeter Künzler

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SZENEW

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DO 2.6

WILLIAM WHITE CH

HOLY GHOST FESTIVAL 2011DO 9.6

CRYSTAL STILTS USA

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BLACK STROBE LIVE/FR

THE CLOWNS CH

SEXOMODULAR CH

SA 11.6

DAMPFMASCHINE D

DUMBELL D

BITCH QUEENS CH

DIRTY BLONDES CZ

SA 18.6

BAND ITJAH FAYA LESSONS, THE DOODES THE SLOBES, THE FLARE

THE O‘S AND WEY, NO CLUE, XENIA

SALZHAUS SOMMERBAR16. JUNI BIS 16. JULI MONTAG BIS SAMSTAG

DO 16.6

PIXIE PARIS CH/D

DO 23.6

VERENA VON HORSTEN CH

SA 25.6

FRANKY FOUR FINGERS CH

DO 30.6

LEGENDARY LIGHTNESS CH

DO 7.7

MOST OF THE TIME CH

DO 14.7

ICKY UNDRESSED CH

SA 16.7

HELLROOM PROJEKTORS CH SAISONSCHLUSS

SALZHAUS WINTERTHUR I SALZHAUS.CH I STARTICKET.CH

A RICHARD AYOADE FILMSALLY HAWKINS PADDY CONSIDINE NOAH TAYLOR

CRAIG ROBERTS YASMIN PAIGE

Soundtrack by ALEX TURNER, ARCTIC MONKEYS

www.submarine-film.ch

AB JUNI IM KINO

Elektro

ROSALINDAWolkenfunkenRecords

SEBASTIAN

JUNGLE CAFE

Poetry

SlamChamp

23

djs marc mauricewunderkind

joe vendetta

DrumBassand

DJs physicalz Baselcredo bukound

Soloprogramm

4wave pictures

dennerclan

Lo-Fi Pop

Rheinhafen Surf

In ConcertThe

London

Basel

und

RASAFARIAFTERPARTY

From Kingstonto Brooklyn

BOOM DI TING REAL ROCKHIP HOP ON AIR GULLY DAG

BOOMBOXX FREQUENCY

RadioDeejays

und

juni

saisonschlussparty

WurstBeermeets

tap tabfeat.allstarteam

wurst und bier gibts hier, festbänke und grill im durchgang

TechnoMinimal

live!

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sommerpause!danachwww.taptab.ch

lob ich mir

(Smaat-De)

22.30 h

21 h

23 h

Tur 21.30 h Gig 22 h.. 22 h

19 h, gratis (ab 22 h , 5.-)

Tap Tab Musikraum | Baumgartenstrasse 19 | CH-8200 Schaffhausen

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DIE NEUEN PLATTEN

Seasick SteveYou Can’t Teach an Old Dog New Tricks(Play It Again Sam/MV)

Steve Wold, eher bekannt als Seasick Steve, ist ein Unikum. Eines, das un-sere Sehnsucht nach dem Usprünglichen, Authenti-schen befriedigt. Seit der siebzigjährige Bluesmusi-ker 2006 in der TV-Show von Jools Holland auf-trat, feiert der ehemalige Gelegenheitsarbeiter und Besitzer eines kleinen Auf-nahmestudios beachtliche Erfolge – besonders in Grossbritannien. Wohin er auch kommt, immer hin-terlässt Steve ein begeis-tertes Publikum – wenn er loslegt, gibt es kein Halten mehr. Der Singer/Songwriter bearbeitet eine dreisaitige Schrottgitarre, stampft mit dem Fuss den Rhythmus auf einer Holz-kiste (der sogenannten «Mississippi Bluesbox») und singt mit bärenstarker Gruftistimme Autobiogra-fi sches oder handelt gän-gige Bluesthemen ab. Sein ungehobelter Vortrag ver-mittelt den Eindruck, hier werde ein Band gespannt zwischen alten Folk- und Blues-Traditionen und so etwas wie Punk-Sensibili-tät. Dass er weiterhin im Sinn hat, energiegeladene Musik abzuliefern, beweist sein neustes und bisher bestes Album. Im Studio stand ihm u. a. Bassist John Paul Jones (Led Zeppelin, Them Crooked Vultures) zur Seite. Auf den meisten der zwölf Tracks hören wir jedoch Steve allein mit Drummer und Bühnenpart-ner Bob Magnuson. Ein verdammt cooles Album!

tl.

Warren HaynesMan in Motion (Stax/Concord)

Soulmusik war Warren Haynes’ erste Liebe. Als Teenager zog sich der spä-tere Allman-Brothers- und Gov’t Mule-Gitarrist Alben von Sam & Dave, Aretha Franklin oder Wilson Pi-ckett rein, bis ihm die drei Kings des Blues – Freddie, B.B. und Albert – bewusst machten, dass ein toller Sänger auch ein grossar-tiger Gitarrist sein kann. Ein Rollenmodell, welches Haynes verinnerlicht hat. Auf «Man in Motion», seinem neuen Soloalbum, steht der Gesang im Zent-rum. Mit kerniger Stimme handelt der Mann zeitlose Themen wie Liebe, Ver-langen und Verlust ab. Treibende Bläsersätze und brodelnde Hammondor-gel (u.a. von Ivan Neville, Ian McLagan), eingängige Gesangsharmonien (Ne-ville, Ruthie Foster), dazu eine ökonomisch agierende Rhythmusgruppe (George Porter Jr. und Raymond Webber) bestätigen, dass hier Fans des alten Stax- oder Hi-Records-Sound am Werk sind. Songs wie «The River’s Gonna Rise» – eine hoffnungsvolle Botschaft in turbulenten Zeiten – und das eindringliche «A Friend to You» kommen ebenso authentisch rüber wie Wil-liam Bells Stax-Perle «Eve-ry Day is a Holiday». Und in einer Nummer wie «Sick of My Shadow» breitet Warren Haynes die ganze Bandbreite seines Gitar-ren-Universums aus: Rock verschmilzt mit Soul, mit R’n’B und Jazz.

tl.

Monkey 3Beyond the Black Sky(Stickman/Irascible)

Es ist so eine Sache mit Bands, die an der Schnitt-stelle zwischen Stoner- und Post-Rock operieren. Vor allem dann, wenn sie rein instrumental zugange sind. Im Konzert lebt der Sound von Druck und Dröhnung, daheim aber fi ndet sich der kommune Hörer beizeiten recht ratlos inmitten über-langer Übungen in Repeti-tion. Ab und zu entdeckt man aber doch ein Album, das einen packt und fesselt. «Beyond the Black Sky» ist eines davon. Das Beiblatt spricht von einem verstö-renden und mysteriösen Traum, und dem ist nicht zu widersprechen. Mon-key 3 verstehen etwas von Spannungsbögen und ha-ben genug Esprit, um stets eine Wendung zu fi nden, bevor die Monotonie in Langeweile kippen kann. Auf seinem vierten Al-bum schichtet das welsche Quartett allerlei Gitarren und Keyboards über die pulsierenden Rhythmen. Neben die Sabbath-Riffs treten immer wieder Tex-turen, wie man sie auch bei Mono schätzt, und ab und zu erkundet man östlich Angehauchtes, wie es einst auch Ritchie Blackmore und Jimmy Page faszinier-te. Ein gelungenes Werk zwischen experimenteller Psychedelik und monolithi-scher Wucht.

ash.

45 PrinceNachdem sich zwei Demon’s Claws nicht mehr andauernd losreissen konnten für das Leben auf Tour, gründete Sän-ger, Gitarrist und Maler Jeff Clarke zusammen mit Gitar-rist Dale McDonald von Chocolat die Band Hellshovel für seinen eher introvertierteren Output. Und so dringt «Dixie Dust» (Gingerpig) mit seinem Falsettogesang zu uns durch den dicken Nebel einer Traumlandschaft, in der Elfen mit Cowboys zu Blasmusik marschieren. Ebenso entrückt ist «Summer’s Over» und zieht mit zwei sich perfekt ergän-zenden Gitarrenmustern in den Bann. Klar würde ich diese Single im 3D-Cover nicht tauschen gegen alle 3D-Filme dieser Welt.Seit dem Erscheinen ihrer Doppel-LP-Zusammenstellung auf Detour Records steht die Incredible Kidda Band zu-vorderst in der Power-Pop-Kiste. 1978 veröffentlichten sie ihre erste von vier Singles und nahmen noch etliche damals unveröffentlichte Demos auf, u.a. «Radio Caroline» (Last Laugh). Das Schlagzeug legt im Punktempo vor, Gitarre und Bass halten mit, spielen aber mit unendlichem Under-statement, und darüber liegt ein Gesang, an dem selbst die Mütter der Beach Boys ihre Freude hätten. Hier stimmt einfach alles, nicht nur die Frisur.Tav Falco ist der Grandseigneur des Rock’n’Roll. Seit mehr als dreissig Jahren ist er unterwegs mit seinen Unap-proachable Panther Burns und poliert unbekannte Perlen des Blues, R’n’B und Rockabilly der Fünfziger- und Sechzi-gerjahre mit seiner ureigenen Handschrift auf neuen Glanz und muss ebenso als «Originator» bezeichnet werden wie seine Ausgangspunkte Charlie Feathers oder R. L. Burnsi-de. «Administrator Blues» (Stag-O-Lee) eröffnet mit dem Signatur-Riff von Elmore James und mutiert unbemerkt in einen Rockabilly-Stroller in höchster Vollendung. «Real Cool Trash» steht diesem in nichts nach, sondern setzt mit Gitarrenfeedbacks, Wolfsgeheul und hypnotischen sechs Minuten gar noch einen drauf. Wessen Augen bei The Cramps aufl euchten, doch dessen Ohren von Tav Fal-co noch nie etwas gehört haben, sollte spätestens jetzt im Plattenladen in einer unbeobachteten Minute nach dieser lebenden Legende fragen.

Philipp Niederberger

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SZENE

Do. 26.5.11 Aktionshalle 20:30A Thousand Leaves

*TORO Y MOICloud Nothings

Fr. 27.5.11 - So. 29.5.11 Aktionshalle 20:00Fabrikjazz

TAKTLOS 11Festival für grenzüberschreitende Musik

Mi. 1.6.11 Clubraum 20:30Sugarshit Sharp

*THE JON SPENCER BLUES EXPLOSIONMama Rosin

Di. 14.6.11 Ziegel oh Lac 21:30Ziischtigmusig

SLIM CESSNA S AUTO CLUB& Support

Fr. 24.6.11 Clubraum 20:30A Thousand Leaves

*DESTROYER& Support

Do. 30.6.11 Clubraum 20:30Sugarshit Sharp

*BORIS / RUSSIAN CIRCLESSaade

Sa. 9.7.11 Aktionshalle 21:00Enter The Dancehall

*JOHN HOLT & FRANKIE PAULBoss Hi-Fi

*Vorverkauf: Zürich: Crazy Beat, Jamarico, Jelmoli (044 212 13 11), Migros City • Aarau: Dezibelle • Baden: Zero Zero • Bern: Olmo Ti-ckets • St. Gallen: BRO • Winterthur: Jamarico

JUNIDo. 2.6. 21.00 FARLOWDo. 9.6. 21.00 THE TURPENTINE TREACLE TRAVELING MEDICINE SHOW Sa.11.6. 21.30 GUTTER QUEENSDo.16.6 .21.00 BECKY LEE & DRUNKFOOT + SUPPORT: JACK TORERA & HER MOUSTRASH-BANDSa.18.6. 21.30 ROY AND THE DEVILS MOTORCYCLEDo.23.6. 21.00 BEELZEBUBSa.25.6. 21.30 THE LEGENDERY LIGHTNESSJULISa. 2.7. 21.30 YURI MEMBERDo.14.7. 21.00 UNHAIM + MIKE SHIVASa.16.7 21:30 KEESEL

www.marsbar.ch

TREE029

Fai BabaLove Sikk

LP / Download

TREE030

Combine–harvesterSome Ditty, a Mountain II

LP / Download

TREE031

Jannik GigerOpus Fatalis

LP / CD / Download

More! More! More!

www.atreeinafieldrecords.com

30 Jahre

1981 bis 2011

Vinyl- und CD-Import

Black Music & Electronica

Badenerstrasse 79, 8004 Zürich

Tel. 044/241 10 17 [email protected]

www.crazybeat.ch

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Filmeerscheint am 14. Juli.Abotalon auf Seite 2.

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NACHTSCHICHT

Abhenken mit dem Gartenfestival

In Bern herrscht am dritten Juliwochenende statt Gurten- bereits zum drei-zehnten Mal prima Gartenwetter. Und so pilgert man ins lauschige Lor-raine-Quartier, gönnt sich eine feine Verköstigung vom Essensstand und schlüpft in den Hinterhof-Garten des Café Kairo, wo an zwei Abenden die Musik aufspielen wird. Dieses Jahr im Programm des Gartenfestivals: Der Dunkelsänger Michael J. Sheehy predigt mit seiner Formation Mira-culous Mule, G. Rag und seine Hermanos Patchekos rumpeln orchestral zum Fest, während die School of Zuversicht aus Hamburg diskursiv in die Disco zieht. Als wäre das nicht genug, gilt es einmal mehr zu jubilieren ob den hiesigen Meisternichtsängern dieses Jahres. Da ist einerseits der Siebesiech, Frauenheld, Rock’n’Roll-König und Pfl asterträger King Pepe, der seine Gebeine zusammensucht und den grossen «Tierpark» vorstellt. Und da ist natürlich Manuel Stahlberger und dessen famose Band, die mit der berührenden Liedersammlung «Abghenkt» das Mundartlied in neuen lustig-melancholischen Höhen zum Tanzen bringen. Da denkt man schon ans Fliegen – «chumm mit». (bs)

15.-16.7, Gartenfestival, Café Kairo, Bern, www.cafe-kairo.ch

Sanktgallern mit QOTSA

Wie um fast jedes helvetische Brauchtum ranken sich auch um das Openair St. Gallen zahlreiche Mythen und Mysterien. So werden bei der 35. Aus-gabe des Festivals – als Headliner sind Linkin Park, Queens of the Stone Age (Bild) und die Fantastischen Vier angekündigt – folgende Rätsel Ge-genstand der Spekulation sein: Warum bekommt man das Depot für einen Plastikbecher erst dann zurück, wenn man einen grünen Plastikchip da-bei hat? Ist Sonnenbrand bei Pubertierenden ansteckend? Weshalb klingt der Ostschweizer Dialekt so bekifft? Handelt es sich bei der Füllung des Gämperli-Hamburgers tatsächlich um Fleisch? Und wie ist das bei einem Preis von 5 Franken pro Stück überhaupt möglich? Warum hat es alle Jahre wieder eine Milchbar auf dem Gelände? Und: Als es noch keine Handys gab, haben sich die Openair-Besucher da tagelang vergeblich gesucht? Ver-gessen wir zu guter Letzt eines der spannendsten Experimentierfelder nicht, das traditionell jedes Jahr ausgiebig ausgelotet wird: Wie viel lauwarmes Bier passt eigentlich in einen Menschen? Ich denke mal, dazu können der Berner HipHopper Baze oder der Basler Barde Baschi – neben Steff la Cheffe und den Young Gods gehören sie zu den Schweizer Acts – einen entsprechenden Diskussionsbeitrag leisten. (boe)

1.-3.7., Sittertobel, St. Gallen, www.openairsg.ch

Berserkern mit Slim Cessna’s Auto Club

Howdy und Yee-Haw! Slim Cessna und seine Mannen stiefeln in Cow-boyboots und –hüten auf die Bühne. Dort greifen sie zu Banjo und Kon-trabass, hauen in Felle, Tasten und Saiten und spielen den brünstigsten Stil-Bastard, den die südlichen USA je hervorgebracht haben. Da steckt Country drin und allerlei Artverwandtes von Polka bis Bluegrass, manch-mal kriegt Slim den Blues, und dann muss er gegen das Elend der Welt ber-serkern, als liefere er dem Leibhaftigen einen Wettkampf in Harrassenlauf und Hakenschlagen. Die Acts, mit denen das Sextett aus Denver die Bühne geteilt hat, liefern auch den Referenzrahmen: Johnny Cash und Cracker, 16 Horsepower und Supersuckers. Diese Band treibt Tränen in die Augen und Schweiss aus den Poren. Ihre Plattenfi rma heisst übrigens Alternative Tentacles und deren Gründer wiederum Jello Biafra. Der sagt über Slim Cessna’s Auto Club: «Das ist die Countryband, die in der Bar am Ende der Welt spielt.» (ash)

14.6., Ziegel oh Lac, Zürich; 15.6., Drahtwerk, Biel

Fernsichten mit dem B-Sides

An der diesjährigen Bad Bonn Kilbi, die bei Drucklegung dieser Zeilen noch einen Tag entfernt ist, betreuen die B-Sides-Macher die neue, kleinere Festivalbühne mitsamt Bar. Im Gegenzug reservieren sie an ihrem Festival für die verehrten und artverwandten Seisler die höchste Aussichts-Höhe des Krienser Sonnenbergs, der bereits zum sechsten Mal Schauplatz einer wunderbaren Pop-Verwirrung sein wird. Fett gedruckt sind im diesjäh-rigen B-Sides-Programm die krachenden Tanz-Sounds des sechsköpfi gen The Go! Team, die niedlichen Antifolk-Brüder Herman Dune oder der sehnende Folk-Noir von DeVotchKa. Ein schönes Wiedersehen gibt es mit Hans-Peter Falkner und Markus Binder alias Attwenger (Bild), die mit «Flux» wieder einmal ein neues Album veröffentlichten und ihr ganzes Repertoire – von Speedlandler, Dschakkabum bis Brass und Kantri – ab-decken werden. Irrwitzig und frei spielt derweil das amerikanische Duo Talibam auf, während Felix Kubin – der Wirbelwind am Korg-Manual – seine Space-Fantasien auf 177 BPM dreht. Natürlich ist auch das lokale Musikschaffen mit Formationen wie Grey Mole, Huck Finn oder Must Have Been Tokyo vertreten. Und da es nichts abzurunden gibt, feiert der Sedel seinen 30. Geburtstag, den unser 45 Prince alias DJ Wicked Wiggler passend vertonen wird. Wahrlich schöne Aussichten. (bs)

17.-18.6., Sonnenberg, Kriens, www.b-sides.ch

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