Juristisches Sondergutachten Zum Wiener Gutachten von Prof. Bernd Holznagel

16
Juristische Anmerkungen zur Frequenzverteilungsuntersuchung von Mecklenbräuker et al. vom 25.03.2011 – im Auftrag der E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG – Professor Dr. Bernd Holznagel, LL.M. 27. April 2011

description

Nach der geänderten GSM-Richtlinie kommt es für die Beurteilung möglicher Wettbewerbsverzerrungen nicht darauf an, ob die Netzbetreiber tatsächlich eine flexible Nutzung der 900-MHz-Frequenzen beantragen oder anstreben. Die wettbewerblichen Auswirkungen sind vielmehr im Sinne eines „forward- looking approachs“ abstrakt im Vorfeld der Nutzung abzuschätzen. Es ist daher eine generelle, vorausschauende und in die Zukunft gerichtete Analyse der Struktur und des Funktionierens des Wettbewerbs im flexibilisierten 900- MHz-Bereich durchzuführen.

Transcript of Juristisches Sondergutachten Zum Wiener Gutachten von Prof. Bernd Holznagel

Juristische Anmerkungen

zur Frequenzverteilungsuntersuchung

von Mecklenbräuker et al. vom 25.03.2011

– im Auftrag der E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG –

Professor Dr. Bernd Holznagel, LL.M.

27. April 2011

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 2 -

Executive Summary

Nach der geänderten GSM-Richtlinie kommt es für die Beurteilung möglicher

Wettbewerbsverzerrungen nicht darauf an, ob die Netzbetreiber tatsächlich

eine flexible Nutzung der 900-MHz-Frequenzen beantragen oder anstreben.

Die wettbewerblichen Auswirkungen sind vielmehr im Sinne eines „forward-

looking approachs“ abstrakt im Vorfeld der Nutzung abzuschätzen. Es ist

daher eine generelle, vorausschauende und in die Zukunft gerichtete Analyse

der Struktur und des Funktionierens des Wettbewerbs im flexibilisierten 900-

MHz-Bereich durchzuführen.

Die Annahmen des Gutachtens von Mecklenbräuker et al.,

Wettbewerbsverzerrungen seien bereits deswegen ausgeschlossen, weil

keiner der Netzbetreiber eine Nutzung des 900-MHz-Bandes für Datendienste

beantragen werde, ist bereits aus diesem Grund methodisch unzulässig und

sachlich nicht gerechtfertigt.

Die Annahmen widersprechen zudem der öffentlich bekannten Strategie von

E-Plus, (auch) das 900-MHz-Band für den Aufbau eines mobilen

Breitbandnetzes nutzen zu wollen.

Ferner ist im Rahmen der Frequenzverteilungsuntersuchung ausschließlich auf

die möglichen Wettbewerbsverzerrungen im 900-MHz-Band abzustellen. Eine

Einbeziehung des 800- und 1800-MHz-Bands in die Abschätzung widerspricht

den Vorgaben der geänderten GSM-Richtlinie. Dieses Ergebnis unterstreicht

auch eine historisch-teleologische Auslegung des Begriffs der

Wettbewerbsverzerrungen aus rechtlicher Sicht.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 3 -

I. Hintergrund

Unter dem Geschäftszeichen BK 1-11/001 hat die Präsidentenkammer der

Bundesnetzagentur im Sommer 2010 von Amts wegen ein Verfahren

betreffend die Untersuchung nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/114/EG des

Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur

Änderung der Richtlinie 87/372/EWG des Rates über die Frequenzbänder, die

für die koordinierte Einführung eines europaweiten öffentlichen zellularen

digitalen terrestrischen Mobilfunkdienstes in der Gemeinschaft bereitzustellen

sind (sog. Frequenzverteilungsuntersuchung), eingeleitet.

Nach einer ersten Einschätzung der Sach-, Interessen- und Rechtslage in

ihrem sog. Impulspapier1 hat die Bundesnetzagentur angesichts der

Komplexität der zu klärenden frequenztechnischen und wettbewerblich-

ökonomischen Fragestellungen die interessierten Kreise der Öffentlichkeit im

Allgemeinen und die betroffenen Netzbetreiber im Besonderen zur

Stellungnahme zu den Kernfragen der Untersuchung aufgefordert. Im Auftrag

der E-Plus GmbH und Co.KG hat Torsten Gerpott ein Gutachten angefertigt,

in dem zu den aufgeworfenen frequenzökonomischen Fragen Stellung

genommen wird. Darauf aufbauend habe ich eine rechtsgutachterliche

Bewertung erstellt. Beide Gutachten hat E-Plus als Stellungnahmen im

Konsultationsprozess eingesendet.2

Im Rahmen der Frequenzverteilungsuntersuchung hat die Bundesnetzagentur

nun hat am 25. März 2011 selbst ein wissenschaftliches Gutachten mit

ökonomisch-frequenztechnischem Schwerpunkt veröffentlicht. Das

Gutachten mit dem Titel „Frequenzverteilungsuntersuchung der möglichen

1 Bundesnetzagentur, Impulspapier für Frequenzverteilungsuntersuchung, Mitteilung

457/2010, ABl.BNetzA Nr. 15/2010 vom 11.8.2010, 2715 ff., abrufbar unter

http://www.bundesnetzagentur.de/

cae/servlet/contentblob/159006/publicationFile/8295/ImpulspapierFreqVertUntersuchg

_pdf.pdf (03.05.2011).

2 Veröffentlicht als Gerpott/Holznagel, Flexibilisierung der Frequenznutzung –

Ökonomische und juristische Analysen, 2010.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 4 -

Flexibilisierung im 900-/1800-MHz-Band“ wurde von Christoph Mecklenbräuker,

Peter Gaigg (Institut für Telekommunikation der Technischen Universität Wien)

und Ernst-Olav Ruhle, Wolfgang Reichl, Helmut Malleck, Martin Lundborg,

Ernst Georg Berger (SBR Juconomy Consulting AG/SBR Rechtsanwälte)

erarbeitet.3 Das Gutachten befasst sich zwar in erster Linie mit

frequenzökonomischen Fragestellungen. Gleichwohl weichen die Prämissen

und Schlussfolgerungen des Gutachtens von Mecklenbräuker et al.

insbesondere hinsichtlich des gebotenen Umfangs einer

Frequenzverteilungsuntersuchung von meinem Gutachten in wesentlichen

Punkten ab.

Die Auftraggeberin bittet vor diesem Hintergrund um eine Replik zu den

abweichenden Aussagen. Dieser Bitte komme ich im Folgenden gerne nach.

II. Umfang und rechtliche Rahmenbedingungen der Wettbewerbsanalyse

1. Zugrunde liegende Annahmen des Gutachtens von Mecklenbräuker et

al.

Das Gutachten von Mecklenbräuker et al. kommt zu dem ausdrücklichen

Ergebnis, dass eine Flexibilisierung des 900-MHz-Bandes nicht zu

Wettbewerbsverzerrungen auf den Mobilfunkmärkten führen werde:

„Konkret sehen wir keine Indikationen, dass Wettbewerbsverzerrungen

aufgrund der Frequenzausstattung vorliegen. Insbesondere sehen wir

auch keine Wettbewerbsverzerrungen durch die Flexibilisierung des 900

MHz-Bandes.“4

Diese Einschätzung beruht im Wesentlichen auf zwei Begründungssträngen:

3 Im Folgenden zitiert als Mecklenbräuker et al.

4 Mecklenbräuker et al., Frequenzverteilungsuntersuchung, 2011, S. 81.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 5 -

Zunächst kritisieren Mecklenbräuker et al. das Vorgehen aus der

Stellungnahme von Gerpott/Holznagel, welches „primär auf den 900 MHz

Bereich abstellt“.5 Demgegenüber verweist das Gutachten von

Mecklenbräuker et al. auf ein „‘Ökosystem‘ an Funktechnologien für mobile

Breitbandnetze“6 und bezieht einige andere Frequenzbereiche in seine

Untersuchung ein, in denen GSM, UMTS und LTE betrieben werden können.

Dies betrifft neben 900-MHz konkret auch die Bereiche 800- und 1800-MHz. So

wählt das Gutachten ausdrücklich auf S. 51 als Referenzszenario für Telekom

Deutschland, Vodafone und Telefonica einen Ausbau im 800 MHz Band.

Dieses Szenario ergebe

„im Zusammenhang mit den Frequenzkosten der Versteigerung im

Frühjahr 2010 einen Vergleichsmaßstab (Referenz) für die Kosten“.

Insgesamt zieht sich der Vergleich der verschiedenen Frequenzbänder für die

Beurteilung möglicher Wettbewerbsverzerrungen durch das ganze Gutachten

von Mecklenbräuker et al.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs kommt das Gutachten sodann zur

Schlussfolgerung, dass

„die Flexibilisierung im 900 MHz Band für Netzbetreiber, die Spektrum im

800 MHz Band erworben haben, nicht präferiert wird. Der Grund dafür ist,

dass das 900 MHz Band noch für GSM-Technologie benötigt wird und das

800 MHz Band frei ist. Auch für Netzbetreiber ohne 800 MHz Spektrum ist

die Nutzung des flexibilisierten 900 MHz Bandes nach der Analyse (…)

nicht die optimale Lösung.“7

Auch bei ihnen sei daher nicht damit zu rechnen, dass sie eine Flexibilisierung

des 900 MHz nutzen/beantragen werden, da die Gesamtkosten (Netzkosten

plus Frequenzkosten) bei Verwendung von Spektrum im 1800-MHz-Band

5 Ebd., S. 38.

6 Ebd., S. 45.

7 Mecklenbräuker et al., Frequenzverteilungsuntersuchung, 2011, S. 81.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 6 -

nahezu identisch mit den Gesamtkosten im 800-MHz-Band seien. Da also nicht

zu erwarten sei, dass einer der vier deutschen Netzbetreiber vor Auslaufen der

Nutzungsrechte 2017 eine Flexibilisierung im 900-MHz-Band beantragen

werde, erkennt das Gutachten von Mecklenbräuker et al. folglich

„keine Indikationen für Wettbewerbsverzerrungen durch die

Frequenzausstattung bei Flexibilisierung des 900 MHz Bandes.“8

Damit rekurriert das Gutachten Mecklenbräuker et al. auf die in der

Flexibilisierungsentscheidung vom 12. Oktober 2009 geäußerte

Rechtsauffassung der Bundesnetzagentur, wonach

„jedenfalls solange keine Wettbewerbsverzerrung im Sinne von Art. 1 Abs.

2 der geänderten Richtlinie 87/372/EWG zugunsten der D-Netzbetreiber

auf Kosten der E-Netzbetreiber vorliegen [könne], wie die D-

Netzbetreiber die 900-MHz-Frequenzen ausschließlich für GSM-

Anwendungen nutzen.“9

Denn für diesen Zeitraum könne den D-Netzbetreibern gegenüber den E-

Netzbetreibern kein Wettbewerbsvorsprung durch die Möglichkeit eines

Parallelbetriebs von GSM und UMTS erwachsen.

8 Ebd., S. 16.

9 Entscheidung der Präsidentenkammer der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas,

Telekommunikation, Post und Eisenbahnen vom 12.10.2009 zur Flexibilisierung der

Frequenznutzungsrechte für drahtlose Netzzugänge zum Angebot von

Telekommunikationsdiensten in den Bereichen 450 MHz, 900 MHz, 1800 MHz, 2 GHz und

3,5 GHz, Vfg. 58/2009, ABl.BNetzA Nr. 20/2009 vom 21.10.2009, S. 31.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 7 -

2. Anmerkungen

Ziel der geänderten GSM-Richtlinie10 ist es ausweislich des Erwägungsgrundes

(13), die Frequenzbewirtschaftung im Interesse des Binnenmarkts im Bereich

der elektronischen Kommunikation zu flexibilisieren und den Zugang zu den

Frequenzen zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen und gleichzeitig die

europaweite Verfügbarkeit des GSM aufrechtzuerhalten, sowie zur

bestmöglichen Steigerung des Wettbewerbs durch Angebot einer großen

Bandbreite von Diensten und Technologien, soll die Nutzung des 900-MHz-

Bands für andere Technologien erlaubt werden, damit zusätzliche kompatible

europaweite Dienste bereitgestellt werden können, die störungsfrei neben

dem GSM betrieben werden können.11 Vor diesem Hintergrund ordnet Art. 1

Abs. 1 der geänderten GSM-RL an, dass die Mitgliedstaaten das 900-MHz-

Band für GSM und UMTS sowie für andere terrestrische Systeme verfügbar

machen, die europaweite elektronische Kommunikationsdienste erbringen

und im Einklang mit der Harmonisierungsentscheidung12 betrieben werden

können. Allerdings – so gibt Erwägungsgrund (6) zu bedenken – könnte die

Liberalisierung der Nutzung des 900-MHz-Bands möglicherweise zu

Wettbewerbsverzerrungen führen. Insbesondere könnten solche

Mobilfunkbetreiber, denen keine oder zu wenige Frequenzen im 900-MHz-

Band zugeteilt worden sind, um parallel UMTS und GSM zu betreiben, Kosten-

und Effizienznachteile gegenüber anderen Betreibern erleiden, die ohne

Weiteres in der Lage wären, in diesem Band sowohl GSM als auch Dienste der

10 Richtlinie 2009/114/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16.9.2009 zur

Änderung der Richtlinie 87/372/EWG des Rates über die Frequenzbänder, die für die

koordinierte Einführung eines europaweiten öffentlichen zellularen digitalen

terrestrischen Mobilfunkdienstes in der Gemeinschaft bereitzustellen sind, ABl.EU L 274

vom 20.10.2009, 25-27 (im Folgenden zitiert als GSM-Änderungsrichtlinie).

11 Erwägungsgrund (4) GSM-Änderungsrichtlinie.

12 Entscheidung der Kommission vom 16.10.2009 zur Harmonisierung des 900-MHz-Bands

und des 1800-MHz-Bands für terrestrische Systeme, die europaweite elektronische

Kommunikationsdienste in der Gemeinschaft erbringen können, ABl.EU L 274 vom

20.10.2009, S. 32-35.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 8 -

dritten Generation anzubieten. Um diesem Missstand vorzubeugen, gibt Art. 1

Abs. 2 der geänderten GSM-RL den Mitgliedstaaten vor, dass sie

„bei der Umsetzung dieser Richtlinie [untersuchen], ob aufgrund der

bestehenden Zuteilung des 900-MHz-Bands an die in ihrem Gebiet im

Wettbewerb stehenden Mobilfunkbetreiber Wettbewerbsverzerrungen

auf den betreffenden Mobilfunkmärkten wahrscheinlich sind (…)“.

Ein Vergleich der Vorgaben aus der geänderten GSM-RL mit den Ableitungen

des Gutachtens Mecklenbräuker et al. ergibt hiervon offenkundige

Abweichungen:

a) Konkrete Nutzung der flexibilisierten Frequenzen ist nicht

ausschlaggebend

Unvereinbar mit den Vorgaben der Richtlinie ist die Argumentation des

Mecklenbräuker-Gutachtens, eine Wettbewerbsverzerrung sei bereits deshalb

ausgeschlossen, weil keiner der Netzbetreiber eine Nutzung des 900-MHz-

Bandes für Datendienste beantragen werde.

Das Argument ist zum einen sachlich unzutreffend. So hat E-Plus

Presseberichten zufolge nämlich bereits im November 2010 bei der

Bundesnetzagentur beantragt, breitbandige Dienste über das eigene 900

MHz-Spektrum anbieten zu dürfen, um zunächst in drei Gebieten ohne GSM

900-Versorgung von E-Plus rund 100.000 Menschen mit mobilen

Breitbanddiensten versorgen und damit „weiße Flecken“ schließen zu

können.13 Diesem Antrag hat die Bundesnetzagentur im Dezember 2010

entsprochen.14

Zudem hat E-Plus – auch vor dem Hintergrund der geänderten GSM-Richtlinie

– seit Jahren eine Umverteilung der 900-MHz-Frequenzen gefordert, um im

13 Vgl. „DSL von E-Plus jetzt auch für das Land“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom

12.11.10, S. 17. 14 „E-Plus bringt mobiles Internet auf das Land“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom

18.12.10, S. 18.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 9 -

900-MHz-Band den zumindest für eine Übergangsphase notwendigen

Parallelbetrieb von Sprach- und Datendiensten durchführen und dadurch

flächendeckend mobile Breitbanddienste im 900-MHz-Band anbieten zu

können. Ein fehlendes Interesse an der Flexibilisierung des 900-MHz-Bandes

kann dem Mobilfunkunternehmen daher nicht unterstellt werden.

Zum anderen geht die Auslegung des Gutachtens von Mecklenbräuker et al.

an den Anforderungen und den Zielsetzungen der geänderten GSM-Richtlinie

vorbei. Zwar stellt Begründungserwägung (6) der geänderten GSM-Richtlinie

darauf ab, dass die Liberalisierung der Nutzung des 900-MHz-Bands zu

Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Eine liberalisierte Nutzung in diesem

Sinne liegt aber entgegen der Auffassung von Bundesnetzagentur15 und

Mecklenbräuker et al. nicht erst dann vor, wenn die betroffenen

Unternehmen eine Flexibilisierung tatsächlich anstreben und beantragen.

Vielmehr kommt es in zeitlicher Hinsicht für die Beurteilung nicht auf eine

tatsächlich flexible Nutzung des 900-MHz-Bandes an, sondern die

Auswirkungen einer Flexibilisierung sind in deren Vorfeld abstrakt

abzuschätzen (und bei Wahrscheinlichkeit zu beheben). So rekurriert

Erwägungsgrund (6) auf ein abstraktes Gefahrenszenario, das bei einer

flexibilisierten Nutzung des 900-MHz-Bands entstehen könnte. Dies wird

insbesondere in der konjunktivischen Formulierung („könnten bestimmte

Mobilfunkbetreiber […] Effizienznachteile gegenüber anderen Betreibern

erleiden, die in der Lage wären […]“) deutlich. Demgegenüber ist damit aber

keineswegs gemeint, dass eine entsprechende Untersuchung der möglichen

Wettbewerbsverzerrungen erst dann erfolgen solle, wenn die Netzbetreiber

die flexible Nutzung tatsächlich anstreben.

15 So auch Bundesnetzagentur, Impulspapier für Frequenzverteilungsuntersuchung, Mtlg.

457/2010, ABl.BNetzA Nr. 15/2010 v. 11.8.2010, 2715, abrufbar unter

http://www.bundesnetzagentur.de/

cae/servlet/contentblob/159006/publicationFile/8295/ImpulspapierFreqVertUntersuchg

_pdf.pdf (03.05.2011), S. 13.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 10 -

Denn die geänderte GSM-Richtlinie verfolgt mit ihrem Ansatz das in der

europäischen Telekommunikationsregulierung bekannte Prinzip des „forward-

looking approach“, das vor allem bei der Marktdefinition und -analyse zur

Anwendung kommt.16 Vergleichbar mit dem Untersuchungsauftrag der

geänderten GSM-Richtlinie zur zukünftigen Entwicklung des Wettbewerbs im

900-MHz-Band werden auch im Rahmen der Marktdefinition „Märkte, die für

die Zwecke der bereichsspezifischen Regulierung definiert werden, stets

vorausschauend bewertet, da die [Nationalen Regulierungsbehörden] die

künftige Entwicklung des Marktes in ihre Bewertungen einbeziehen.“17

Ausschlaggebend ist dabei nicht eine konkrete Wettbewerbsentwicklung,

sondern vielmehr „eine generelle vorausschauende Analyse der Struktur und

des Funktionierens des in Frage stehenden Marktes.“18

Ebenso wie die Marktdefinition, erfordert auch die Untersuchung

„wahrscheinlicher“ Wettbewerbsverzerrungen eine vollumfänglich

vorausschauende und in die Zukunft gerichtete Analyse bereits mit der

Umsetzung der geänderten GSM-Richtlinie. Dies zeigt neben dem Wortlaut

des Art. 1 Abs. 2 der geänderten GSM-Richtlinie auch die Einschätzung aus

Erwägungsgrund (7):

„Dabei [bei der Umsetzung der Richtlinie, Anm.d.Verf.] sollten sie

insbesondere untersuchen, ob der Wettbewerb auf den betroffenen

Mobilfunkmärkten durch die Umsetzung dieser Richtlinie verzerrt werden

könnte.“

Auch hier verdeutlicht der Konjunktiv („ob der Wettbewerb […] verzerrt

werden könnte“), dass eine Untersuchung der hypothetischen Auswirkungen

der flexiblen Nutzung des 900-MHz-Bands zu erfolgen hat.

16 Vgl. KOM, Commission guidelines on market analysis and the assessment of significant

market power under the Community regulatory framework for electronic

communications networks and services, 2002/C 165/03.

17 Ebd., Nr. 27.

18 Ebd.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 11 -

b) Einbeziehung des 800- und 1800-MHz-Bandes unzulässig

In seinem anderen Begründungsstrang bezieht das Mecklenbräuker-

Gutachten die Frequenzbereiche 800- und 1800-MHz in die Beurteilung

möglicher Wettbewerbsverzerrungen ein.

Die Netzbetreiber Telekom Deutschland, Vodafone und Telefónica könnten –

anstatt im 900-MHz-Band – im ersteigerten 800-MHz-Bereich mit

vergleichbaren Netzkosten Datendienste anbieten, sodass eine Flexibilisierung

des 900-MHz-Bandes mangels Attraktivität hier nicht zu

Wettbewerbsverzerrungen führen könne. E-Plus seinerseits habe in der Auktion

zur Digitalen Dividende Kosten eingespart, da das Unternehmen keine 800-

MHz-Frequenzen ersteigert hat. Auch diese eingesparten Frequenzkosten

seien zu berücksichtigen, sodass ein mobiler Breitbandausbau im 1800-MHz-

Bereich im Ergebnis ohne Wesentliche Verzerrungen möglich sei.

Diese These ist zum einen sachlich unzutreffend. Sie impliziert – konsequent zu

Ende gedacht –, dass eine Wettbewerbsverzerrung im Hinblick auf das 900-

MHz-Band nur dann feststellbar wäre, wenn E-Plus nicht um die 800-MHz-

Frequenzen mitgesteigert hätte, sodass die Frequenzkosten der

Wettbewerber für 800-MHz-Frequenzen niedriger gewesen wären und sie die

Ausbaukosten von E-Plus im 1800-MHz-Band nicht mehr aufwiegen könnten.

Da sich E-Plus aber bei der Auktion im Frühjahr 2010 um 800-MHz-Frequenzen

bemüht hat, würde das Unternehmen nun für seine Teilnahme an der Auktion

durch die Vorenthaltung einer Umverteilung benachteiligt.19

Eine solche Schlussfolgerung ist aber – unabhängig von der Frage, inwieweit

die Vergabebedingungen für die Versteigerung des 800-MHz-Spektrums

geeignet waren, einen chancengleichen Zugang zu eröffnen – weder mit

19 Gerpott, Anmerkungen zur Frequenzverteilungsuntersuchung von Mecklenbräuker et

al., 2011, S. 1.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 12 -

dem Konzept der Versteigerung der Digitalen Dividende20 noch mit der

Zielrichtung der GSM-Änderungsrichtlinie vereinbar.

Sie steht zunächst im Widerspruch zum Konzept der Frequenzversteigerung:

Wenn bereits eine bloße Teilnahme an der Frequenzauktion dazu führen

würde, dass ein Marktteilnehmer dadurch seine gesetzlich eingeräumten

Rechte verschlechtert (hier: das durch die GSM-Änderungsrichtlinie

eingeräumte Recht auf Überprüfung von Wettbewerbsverzerrungen), dann

läge hierin ein Verstoß gegen das Regulierungsziel der „Sicherstellung eines

chancengleichen Wettbewerbs und die Förderung nachhaltig

wettbewerbsorientierter Märkte“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG). Dann hätte aber

gemäß § 61 Abs. 2 Satz 1 TKG das Versteigerungsverfahren überhaupt nicht

durchgeführt werden dürfen. Hiervon war aber zum Zeitpunkt der

Verfahrensanordnung die Bundesnetzagentur ausdrücklich nicht

ausgegangen, vielmehr seien

„keine Gründe ersichtlich, dass das Versteigerungsverfahren nicht

geeignet ist, die Regulierungsziele nach § 2 Abs. 2 TKG sicherzustellen.“21

Von dieser Begründung kann die Behörde bereits aus Gründen der Rechts-

und Planungssicherheit für die Marktteilnehmer nun nicht Abstand nehmen,

war doch das Bietverhalten im Rahmen der Frequenzauktion darauf

ausgerichtet, Frequenzen zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition

zu ersteigern.

20 Entscheidung der Präsidentenkammer v. 12. Oktober 2009 über die Verbindung der

Vergabe von Frequenzen in den Bereichen 790 bis 862 MHz sowie 1710 bis 1725 MHz und 1805 bis 1820 MHz mit dem Verfahren zur Vergabe von Frequenzen in den Bereichen 1,8 GHz, 2 GHz und 2,6 GHz für den drahtlosen Netzzugang zum Angebot von Telekommunikationsdiensten sowie über die Festlegungen und Regelungen für die Durchführung des Verfahrens zur Vergabe von Frequenzen in den Bereichen 800 MHz, 1,8 GHz, 2 GHz und 2,6 GHz für den drahtlosen Netzzugang zum Angebot von Telekommunikationsdiensten, Verfügung 59/2009, ABl. BNetzA Nr. 20/2009 vom 21.10.2009.

21 Verfügung 59/2009, ABl. BNetzA Nr. 20/2009 vom 21.10.2009, S. 43.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 13 -

Ferner ist die Schlussfolgerung von Mecklenbräuker et al. auch nicht mit der

geänderten GSM-Richtlinie zu vereinbaren. Erwägungsgrund (4) zur

geänderten GSM-Richtlinie stellt darauf ab, dass die Nutzung für andere

Technologien erlaubt werden sollte, damit zusätzliche kompatible

europaweite Dienste im 900-MHz-Band bereitgestellt werden können. Ebenso

formuliert Art. 1 Abs. 2 der geänderten GSM-RL unmissverständlich, dass die

Mitgliedstaaten bei der Umsetzung untersuchen, ob aufgrund der

bestehenden Zuteilung des 900-MHz-Bands Wettbewerbsverzerrungen

wahrscheinlich sind. Die Richtlinie ist damit eindeutig: Es kommt ausschließlich

auf die Frage an, ob die Frequenzausstattung im 900-MHz-Bereich

Wettbewerbsverzerrungen befürchten lässt. Eine Gesamtschau mit anderen

Frequenzbereichen hat demgegenüber außenvorzubleiben. Dies liegt auch in

der Ratio des Ziels der geänderten GSM-Richtlinie, gerade die flexible Nutzung

des 900-MHz-Spektrums (und nicht etwa des 800- oder 1800-MHz-Bands) zu

ermöglichen,22 wie es auch in der Harmonisierungsentscheidung23 der

Kommission zum Ausdruck kommt.

Eine historisch-teleologische Auslegung des Begriffs der

Wettbewerbsverzerrungen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der geänderten GSM-

Richtlinie aus rechtlicher Sicht unterstreicht dieses Ergebnis: So wurde ab

Anfang der 1990er Jahre das 900-MHz-Band dem Markt ursprünglich nur für

GSM-Dienste zur Verfügung gestellt. Während die „first mover“ Telekom

Deutschland und Vodafone ihr GSM-Netz im 900-MHz-Band errichten konnten,

waren die E-Netze aufgrund von Sachzwängen zunächst ausschließlich auf

den DCS-Standard im wirtschaftlich unterlegenen 1800-MHz-Band

angewiesen. Denn weitere Frequenzen im 900-MHz-Bereich standen nach der

Ausstattung der D-Netzbetreiber in Deutschland bis zum Jahr 2005 nicht zur

22 Erwägungsgrund (3) GSM-Änderungsrichtlinie.

23 Vgl. Entscheidung der Kommission vom 16.10.2009 zur Harmonisierung des 900-MHz-

Bands und des 1800-MHz-Bands für terrestrische Systeme, die europaweite elektronische

Kommunikationsdienste in der Gemeinschaft erbringen können, ABl.EU L 274 vom

20.10.2009, 32-35.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 14 -

Verfügung.24 Dennoch wurde diese historische Ausgangslage in Kauf

genommen, um den Aufbau der digitalen Mobilfunknetze unter den

gegebenen technischen Bedingungen überhaupt zu gewährleisten und der

Bevölkerung damit mobiles Telefonieren zu ermöglichen. In den Folgejahren

hat sich hieran nichts wesentlich geändert.

Heute stehen Markt und Technik vor einem Neustart der Frequenznutzung im

900-MHz-Band. Die technische Entwicklung ermöglicht es, im 900-MHz-Band

neben Sprach- (GSM) auch Datendienste (UMTS, LTE) anzubieten. Dieses

möchte die Europäische Union den Marktteilnehmern ermöglichen, damit die

Bevölkerung auch von den neuen Diensten profitieren kann. Hierbei sollen

aber von Anfang an – dies wird aus dem Untersuchungs- und

Behebungsauftrag der GSM-Änderungsrichtlinie erkennbar – alle potentiellen

Wettbewerbsprobleme für den Start der neuen Datentechnologien im 900-

MHz-Band nach Möglichkeit vermieden werden.

Vor diesem Hintergrund erteilt die Europäische Union den Mitgliedstaaten den

Auftrag, die potentiellen Wettbewerbsverzerrungen, die eine Flexibilisierung

des 900-MHz-Bandes auf den Datenmarkt haben kann, zu untersuchen. Unter

diesen Vorzeichen und mithin dem Zweck des Art. 1 der geänderten GSM-

Richtlinie kommt es auf die wettbewerblichen Auswirkungen im 900-MHz-

Datenmarkt an. Hierbei kann es sein, dass die historischen Asymmetrien

nachwirken oder sich angesichts veränderter Rahmenbedingungen im

Datenmarkt auch eine vollkommen neue Wettbewerbssituation ergibt.

Dies zu beurteilen ist einer frequenzökonomischen Analyse vorbehalten. Die

Untersuchung von Gerpott kommt insoweit zu dem Ergebnis, dass

24 Vgl. zur historischen Entwicklung auch Bundesnetzagentur, Impulspapier für

Frequenzverteilungsuntersuchung, Mtlg. 457/2010, ABl.BNetzA Nr. 15/2010 v. 11.8.2010,

2715, abrufbar unter

http://www.bundesnetzagentur.de/cae/servlet/contentblob/159006/publicationFile

/8295/ImpulspapierFreqVertUntersuchg_pdf.pdf (03.05.2011), S. 13.; Sörries, Verpasste

Chancen und zukünftige Handlungsoptionen im Mobilfunk, 2010, S. 35 ff.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 15 -

„in Deutschland die Ausstattung […der D-Netzbetreiber…] mit Spektrum

im 900 MHz-Bereich […] bis in die Gegenwart deutliche

wettbewerbsverzerrende Effekte zuungunsten der E-Netzbetreiber nach

sich zieht“25

und diese sich bei einer Flexibilisierung auch bis in die Nutzung des 900-MHz-

Bandes für Datendienste fortwirkt:

„Die Wettbewerbschancen der E-Netzbetreiber […] auf dem Markt für

mobile Datendienste würden durch [die Frequenzflexibilisierung]

erheblich beeinträchtigt.“26

Aus rechtlicher Sicht ist bei der methodischen Auslegung des Begriffs der

Wettbewerbsverzerrungen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der geänderten GSM-

Richtlinie jedenfalls ausschlaggebend, dass allein die Situation im 900-MHz-

Band zugrunde zu legen ist.

25 Gerpott, Wettbewerbs- und Regulierungsimplikationen der 900 MHz-

Frequenzausstattung, 2010, S. 10.

26 Ebd., S. 41.

Prof. Dr. Bernd Holznagel Anmerkungen zum Gutachten von Mecklenbräuker et al.

- 16 -

Literaturverzeichnis

Gerpott, Torsten, Anmerkungen zur Frequenzverteilungsuntersuchung von

Mecklenbräuker et al. vom 25.03.2011, 2011.

Gerpott, Torsten, Wettbewerbs- und Regulierungsimplikationen der 900 MHz-

Frequenzausstattung von Mobilfunknetzbetreibern in Deutschland, in: ders./

Bernd Holznagel (Hrsg.), Flexibilisierung der Frequenznutzung –

Ökonomische und juristische Analysen, 2010, S. 7 ff.

Holznagel, Bernd, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Flexibilisierung des

900 MHz-Spektrums aufgrund der RL 2009/114/EG, in: Torsten Gerpott/ Bernd

Holznagel (Hrsg.), Flexibilisierung der Frequenznutzung – Ökonomische und

juristische Analysen, 2010, S. 82 ff.

Mecklenbräuker, Christoph/ Peter Gaigg/ Ernst-Olav Ruhle/ Wolfgang Reichl/

Helmut Malleck/ Martin Lundborg/ Ernst Georg Berger,

Frequenzverteilungsuntersuchung der möglichen Flexibilisierung im

900/1800 MHz Band – Wissenschaftliches Gutachten mit ökonomisch-

frequenztechnischem Schwerpunkt im Auftrag der Bundesnetzagentur für

Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen,

Abschlussbericht vom 25. März 2011, abrufbar unter

http://www.bundesnetzagentur.de/cae/servlet/

contentblob/195666/publicationFile/10375/GutachtenFreqVertUntersuchgS

BR _pdf.pdf (03.05.2011).

Sörries, Bernd, Verpasste Chancen und zukünftige Handlungsoptionen im

Mobilfunk, 2010.