K rper vs. Geist 6 - ruhr-uni-bochum.de · T-Shirt, mit einer Red-Bull-Dose in der Hand und barfuß...

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gesund zu bleiben.Jeder hat sein Rezept,

Und wenn das mal nicht hilft, helfen wir.

Wer jeden Tag arbeitet – ob im Job oder im Haushalt, braucht zwischendurch auch mal einen Ausgleich, um abzutauchen und die Batterien wieder aufzuladen. Denn auch wenn positiv erlebter Stress gut ist, kann negativer Stress schaden. Deshalb unterstützt Sie die BARMER mit Gesundheitskursen zu Qigong, Yoga, autogenem Training und progressiver Muskelentspannung.

Weitere Informationen unter: www.barmer.de

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Kennen Sie das Moore’sche Gesetz? Vereinfacht ge-sagt, bedeutet die 1965 von Intel-Mitgründer Gor-

don Moore formulierte Regel, dass sich die Zahl der ak-tiven Schaltkreise, die auf einen Computerchip passen, etwa alle 18 Monate verdoppelt. Was bedeutet das? Das Fachchinesisch für Technikfreaks erklärt in Wahrheit eine der fundamentalsten Umwälzungen unserer Zeit: Mit der Rechnerkapazität steigt auch die Leistungs-fähigkeit der Informationssysteme. Exponentiell! Al-les geht schneller, wird effizienter, und wir sparen Zeit.

Nur, wo bleibt die gesparte Zeit? Manchmal kommt es mir vor wie in der Geschichte von Momo. In dem 1973 erschienenen Roman von Michael Ende überzeu-gen die „grauen Herren“ die Menschen, Überflüssiges wegzulassen, schneller zu arbeiten und Zeit auf einem Konto für später anzuhäufen. Tatsächlich werden sie je-doch um ihre Zeit betrogen und vergessen, im Jetzt zu leben und das Schöne im Leben zu genießen.

Momo rettet schließlich die Menschen. Die Zeit wird angehalten, die grauen Herren werden überlistet und die angesparten Stunden zurückgegeben. Das sollten wir auch tun. Innehalten, in uns reinhören und heraus-finden, was die Zutaten sind, die uns glücklich und zu-frieden sein lassen. Das ist übrigens auch Momos gro-ße Gabe: Zuhören. Gemeinsam mit der BARMER hat FOCUS-MONEY acht interessanten, ganz unterschied-lichen Menschen gelauscht und sie nach ihren Lebens-rezepten gefragt. Lassen Sie sich inspirieren – und den-ken Sie an Momo, wenn das Moore’sche Gesetz Sie jagt.

So geht gesund 4Gegen die Konvention landläufiger Gesundheitsregeln zu verstoßen ist keine Sünde. Denn auch faul sein oder Torte essen tut gut

Körper vs. Geist 6Er geht an körperliche Grenzen, sie strapaziert ihr Gehirn. Warum es glücklich macht, sich zu Höchst-leistungen zu pushen

Alt trifft Jung 10Nur wer sein Leben schon weit- gehend gelebt hat, kennt das Rezept für ein erfülltes Dasein. Oder doch nicht?

Familien-Unternehmerinnen 13Wie man ein fast 150 Jahre altes Unternehmen am Laufen hält und Großfamilie und Traumjob unter einen Hut bekommt

Geld und Glaube 16Sie leben in unterschiedlichen Welten und wälzen doch viele ähnliche Gedanken: Begegnung eines Mönchs und eines Bankers

„Was ist Ihr Lebensrezept?“ ist ein Gemeinschafts- Spezial von FOCUS-MONEY und der BARMER. Es enthält eine bevorzugte Behandlung des Kooperations- partners und seiner Produkte.Redaktion: Axel Hartmann, Thorben Lippert, Jens Masuhr, Marc Bächle, Kaja GodartVerlag: Die Verlagsbeilage erscheint in der FOCUS Magazin Verlag GmbH.Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: Frank PöpselNachdruck ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH & Co. KG, Leibnizstraße 5, 97204 HöchbergDatenschutzanfrage: 07 81-6 39 61 00, Fax: 07 81-6 39 61 01; E-Mail: [email protected]: 9/2018

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Aufs Gesundheitskonto zahlen nicht nur Sport oder eine gesunde Ernährung ein. Auch Schokolade oder eine Runde Wohnungputzen können Körper und Seele guttun

Menschen zwischen 18 und 45 fühlen sich dadurch einem deutlich höheren Alltagsstress ausgesetzt als die Älteren. Askese und Verzicht werden nicht zuletzt auch durch die Medien oft als Zeichen von Stärke ge-wertet, Genuss und Müßiggang als Schwäche. Die ei-gentlich guten Vorsätze, etwas für seine Gesundheit zu tun und Stress abzubauen, arten dann über kurz oder lang in noch mehr Stress aus. Entspannung auf Kommando funktioniert nur leider nicht. Vielmehr gilt: lieber mal eine Runde durchatmen und runter-kommen. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr. Mit zunehmendem Alter nimmt das schlechte Ge-wissen im Übrigen ab, dass man sich nicht „gesund-heitskonform“ verhält. Hier wird man anscheinend flexibler oder schlichtweg gnädiger mit sich.

Lieber auf dem Stand-up-Board übers Wasser pad-deln, statt auf dem Laufband im Fitnessstudio zu schwitzen, oder eine gemütliche Fahrradtour mit der Familie unternehmen, statt sich beim Spinning (der Fachbegriff für Indoor-Fahrradfahren) abzurackern

– so denken 61 Prozent der 18- bis 35-Jährigen in Deutschland. Ihr Hauptmotiv bei der Bewegung: der Spaß. Eine richtige und wichtige Erkenntnis. Denn alles, was man gern macht, tut Körper und Seele gut und hält somit gesund. Das Bewusstsein, dass kör-perliche Aktivität, Sport und gezielte Entspannung Wohlbefinden und Gesundheit fördern, ist bei den allermeisten vorhanden. Wir lassen uns aber ungern Gesundheit diktieren. Die Lockerung der Anspruchs-haltung zu Gunsten von Spaß und Genuss ist wichtig, denn sonst wird Gesundheit in extremer Form aske-tisch und lustfeindlich. Klar spielt auch beim Sport for fun körperliche Fitness eine zentrale Rolle. Sie steht aber nicht im Vordergrund. Self-Tracker und Mess-geräte können da gern zu Hause bleiben. 61 Prozent

Schon mal „gesund leben“ bei Google eingege-ben? Acht Millionen Ergebnisse à la „35 klei-ne Tipps mit großer Wirkung“, „Mit diesen vier

Schritten klappt es“ oder „10 Tipps für ein gesun-des langes Leben“. Wer die Zeit aufbringt, sich auch nur durch einen Bruchteil der Seiten zu klicken, wird am Ende vermutlich verwirrt und frustriert sein. Ver-wirrt über die Vielzahl an – sich zum Teil auch wi-dersprechenden – Ratschlägen und frustriert darü-ber, wie er denn das alles beherzigen und im Alltag umsetzen soll.

Lassen Sie sich nicht verrückt machen. Hören Sie auf sich. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zur „Selbst-behandlung“ und sein individuelles Rezept für ein gesundes und zufriedenes Leben. Wir wissen oft in-tuitiv, was gut für uns ist. Natürlich gibt es allgemein-gültige Basics. Möglichst viel Bewegung, eine ausge-wogene und nährstoffreiche Ernährung, ausreichend Schlaf, regelmäßige Vorsorge-Checks beim Arzt – al-les gut, alles richtig, alles sinnvoll. Hinzu kommen aber viele weitere Kleinigkeiten, die über unser Wohl-befinden entscheiden und die nicht minder wichtig für ein erfülltes Leben sind. Und die können den gän-gigen Gesundheitsregeln auch mal widersprechen. Das zeigt die Studie „Lebensrezepte“, die das Rhein-gold-Institut in Köln im Auftrag der BARMER Kran-kenkasse erstellt hat. Mehr als 1000 Interviews mit Menschen im Alter von 18 bis 60 Jahren, die bei re-lativ gutem Gesundheitszustand sind, wurden dafür geführt und ausgewertet. Die zentralen Erkenntnisse:

Wer allen Gesundheitstipps und Health-Trends, die durch den Medienwald schwirren, folgen will, der hechelt bald nur noch Idealen hinterher, die kein Mensch erfüllen kann. Und das fördert eins garan-tiert nicht: das Gesundsein. Gerade junge, aktive

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Gesundheit ist vielfach verbunden mit Begriffen wie Disziplin, Verzicht oder Bewusstsein. Dabei ist es manchmal einfach das Beste, auf sein Innerstes zu hören und genau das zu tun, worauf man gerade Lust verspürt: Sahnetorte und Schokolade essen statt Obstsalat und Müsli, den Fitnesskurs sausen lassen und sich stattdessen mit Freunden am See treffen oder einfach nur auf der Couch liegen und Löcher in die Luft starren. Denn nur wer auch loslassen und ge-nussvoll in etwas „eintauchen“ kann, tankt körper-lich und seelisch wieder richtig auf. 59 Prozent der Befragten der BARMER-Studie empfinden genuss-volles Ab- und Eintauchen als besonders hilfreiche Art der Selbstbehandlung, viele von ihnen verzichten zum Beispiel nie auf Sachen, die ihnen guttun. Vor allem in älteren Generationen wird dies praktiziert. Ausschließlich in Süßigkeiten zu schwelgen und auf der faulen Haut zu liegen ist natürlich kein gutes Re-zept. Wer sich gern mal gehen lässt, sollte auf eine gute Balance zwischen Genuss und Disziplin achten.

Wie unterschiedlich oder ähnlich die persönlichen Lebensentwürfe und Wohlfühl-Rezepte ausfallen, zei-gen Ihnen auch die vier Begegnungen von Menschen aus verschiedenen Ecken der Gesellschaft, Berufen, Leidenschaften und Generationen, die wir auf den folgenden Seiten aufgezeichnet haben. Lassen Sie sich inspirieren.

der 18- bis 25-Jährigen praktizieren Freizeitaktivi-täten, die Sport und Spaß verbinden. Bei den 36- bis 60-Jährigen sind es immerhin noch 49 Prozent. Män-ner und Frauen ticken da im Übrigen relativ gleich. 57 bzw. 54 Prozent sprechen sich dafür aus, gesund zu leben mit einer Spaßkomponente zu verbinden.

Hemden bügeln, das Wohnzimmer saugen, den Ra-sen mähen – für den einen lästiges Übel, für den an-deren eine Wohltat. Alltagstätigkeiten gehören zu den am wenigsten bewussten, auf der anderen Seite aber auch effektivsten Strategien der Gesunderhal-tung. „Ich habe ein riesengroßes Grundstück und ei-nen Sitzrasenmäher. Da fahre ich dann ewig rauf und runter und starre auf das Gras. Da kommt man echt runter“, berichtet etwa ein Proband im Interview für die BARMER-Studie. 44 Prozent der Deutschen se-hen in Putzen & Co. weniger einen Zwang als viel-mehr eine erholsame Auszeit, bei der man seinen Akku wieder aufladen und sich auf sich selbst be-sinnen kann. Das Werkeln und Räumen kann dabei geradezu eine kathartische Wirkung haben: Wer den Garten umgräbt, jätet zugleich auch emotionales Un-kraut; wer den Schrank aufräumt, ordnet auch seine Gedanken. Je unkomplizierter und selbstverständ-licher man diese persönlichen Strategien in den All-tag einbauen kann, umso entspannter gelingt die Gesunderhaltung – auch wenn es paradox klingen mag, dass man durch eine aktive Tätigkeit entspannt.

Rasenmähen muss keine lästige Pflicht sein, es kann auch entspannen

Extremsport und Gedächtnissport – zwei gänzlich unterschiedliche Welten. Wie man sich zu Höchstleistungen pusht und wie süß der Erfolg schmeckt

Von seinem Haus im Grünen – in der ruhigen baye-rischen Idylle – zieht es ihn hinaus in die weite Welt, um sich an den entlegensten Orten den Herausfor-derungen der Elemente auszusetzen. Das Klettern an 700, 800 Meter senkrecht aufsteigenden Felswänden oder das Überqueren von menschenfeindlichen, ark-tischen Schneelandschaften – für Glowacz kein ein-maliger Kick, sondern das pure Leben. Jetzt, in die-sem Moment, ist der 53-Jährige auf Expedition in Grönland. Der anspruchsvollste Abschnitt? Die Erst-besteigung einer sogenannten Big Wall. Frei klettern, wenn möglich. Danach ein Fußmarsch von über 1000 Kilometern durch das Inlandeis, fernab jeglicher Zivi-lisation. Kalt. Eisig. Einsam. Egal: Glowacz folgt da-mit einem Jugendtraum. „Grönland zu durchqueren hat mich schon als Kind fasziniert“, sagt er mit leuch-tenden Augen kurz vor Tourbeginn und wohlwissend um die Strapazen, die auf ihn zukommen.

Berg am Starnberger See. Selten passt ein Orts-name zu einer Persönlichkeit. In seinem Fall geht es nicht treffender: Stefan Glowacz. Voll-

blutkletterer, Extrembergsteiger, Abenteurer aus Lei-denschaft. Wer zu ihm nach Hause kommt, fühlt sich willkommen. Scheinbar intuitiv gelingt es ihm, sofort eine entspannte Atmosphäre zu erzeugen. Im luftigen T-Shirt, mit einer Red-Bull-Dose in der Hand und barfuß begrüßt er einen gut gelaunt mit einem lo-ckeren „Servus“ – nur wenige Tage bevor er zu seiner neuen Expedition aufbricht. Bayerische Lässigkeit? Nicht ganz. Seine markante Lockenmähne verrät, dass nicht alles „Take it easy“ ist, sondern in ihm ein Löwe schlummert, der kämpft, wenn es sein muss. Ein Löwe, der sich pushen kann, wenn er mit blu-tenden Händen in der Felswand hängt. Das ist oft-mals ein Kampf gegen sich selbst, um nicht aufzuge-ben. Das sind seine Sternstunden!

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KÖRPER VS. GEIST

Stefan Glowacz: Wer in den Seilen hängt, der muss den Willen haben,

sich durchzubeißen

Szenenwechsel: Bei sonnigen 25 Grad sitzt Chris-tiane Stenger in einem Münchner Café entspannt im Schatten und lacht herzerfrischend. Wer das Vergnü-gen hat, mit ihr einen Kaffee zu trinken, gewinnt den Eindruck, in dem Moment auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Charmant, höflich, spitzbübisch grinsend – das ist Stenger. Sie ist ein Tausendsassa mit einer einnehmenden Art und einer ganz beson-deren Fähigkeit: Sie hat ein irre gutes Gedächtnis.

Die gebürtige Münchnerin ist bekannt durch zahl-reiche Fernsehauftritte, in denen immer wieder ihr Gedächtnis thematisiert wird. So kann sie sich ewig lange Zahlenreihen merken. Ihr persönlicher Rekord: 280 Ziffern in fünf Minuten. Mit ihrem Talent schlüpf-te sie in die Moderatorenrolle der Fernsehsendung

„Deutschlands Superhirn“, in der es um schnelles Denken und Gedächtnisleistungen geht. Zudem schreibt sie Bücher, wie sich das Gehirn zu mehr Leistungen trimmen lässt. Ihr neuestes: „Deine besse-re Hälfte – Warum wir Rechts- oder Linkshänder sind und was das für unser Leben bedeutet.“ Obendrein besuchte sie eine Schauspielschule, die ihr unheim-lich viel Freude bereitete. Sich Rollentexte zu merken zählt für sie schließlich zu den leichtesten Übungen.

Gehirntraining. Gedächtnissport. Die Hirnzellen zu Höchstleistungen führen. Viele von uns sind zu faul, weil es anstrengt. Für die ehemalige Gedächtnisjuni-

orenweltmeisterin ist das spielerisch leicht. Und das seit Kindheitstagen. Wie ihr Gedächtnistalent ent-deckt wurde? Natürlich durch Schauspielerei. Als Kind dachte sie sich immer Krankheiten aus, um nicht in die Schule zu müssen. Für Stenger damals der schrecklichste Ort auf Erden, für einen Psycho-logen ein klarer Fall von Unterforderung. Ein Intelli-genztest gab ihm Recht und öffnete Stenger so das Tor zur Hochbegabtenförderung. Im Kurs Gedächt-nistraining erlernte sie Merktechniken. Der Trick: das, was man sich merken will, in eine Bildergeschich-te verwandeln. Je kreativer die Geschichte, desto besser für das Gedächtnis. Eine Privatschule bot ihr an, mehrere Klassen zu überspringen, wenn sie die Techniken im Unterricht anwendet. Für die Schüle-rin Stenger ein riesiger Motivationsschub. „Ich habe meine Fähigkeiten eingesetzt, um so früh wie mög-lich aus der Schule zu kommen.“ Für jeden nachvoll-ziehbar, der nicht gern die Schulbank gedrückt hat.

Sie nutzt ihr Talent auch heute noch tagtäglich, sei es auf der Bühne oder vor der TV-Kamera. „Für mich ist es nach wie vor motivierend, mein Talent gezielt für etwas einzusetzen, um voranzukommen und Er-folg zu haben“, lächelt sie. Auf die eigenen Stärken setzen. Genau das ist es. Jeder weiß, was sie meint: Wenn du etwas gut kannst, kommt der Erfolg häu-fig von allein.

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Christiane Stenger: Emotionen sind die Würze des Lebens und wichtig für ein gutes Gedächtnis

„Wenn du keinen Liebeskummer hast, weißt du nicht, wie sich Liebe anfühlt.“

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Und Glowacz weiß, wie sich Siege nach Niederla-gen anfühlen. Drei Jahre hintereinander versuchte er, den Berg Cerro Murallon in Patagonien zu bezwin-gen. Zweimal ist er nach eigenen Worten grandios ge-scheitert. Wenn man sein Ziel nicht erreicht, dann ist da nicht nur die Enttäuschung, dann wurmt das ei-nen. Der Autor des Buches „10 Gebote, um Abstürze zu vermeiden“ ist das beste Beispiel, wie sich das Ge-

fühl des Scheiterns in noch mehr Ehrgeiz verwandeln lässt. Beim dritten Mal steht er endlich ganz oben. Ein Glücksmoment! „Bergsteiger sind Emotionsmen-schen“, so Glowacz. Ihm glaubt man das sofort. Wenn das Gefühl dann nachlässt, braucht er neue Ziele, auf die er sich einlassen kann. Das ist sein Lebenselixier.

Auch für die Stenger sind Emotionen im Leben im-mens wichtig. „Emotionen braucht man für Kreativi-tät, und Kreativität braucht man für die Gedächtnis-techniken. Ich kann mir nicht von Natur aus 100 oder 200 Ziffern merken. Die Zahlen bleiben leichter im Kopf hängen, je emotionaler und verrückter die Ge-schichten im Kopf sind“, sagt Deutschlands jüngste Abiturientin des Jahrgangs 2003. „Emotionen zu zei-gen ist nicht nur wichtig für die Erinnerung, sondern auch für ein gutes Leben. Es hilft auch, sie zu einem gewissen Grad kontrollieren zu können“, sagt Sten-ger. „Mir hat die Schauspielerei unheimlich dabei geholfen, mit Emotionen umzugehen. Man kann sie besser einordnen und auch aufwühlende Dinge im Alltag besser verarbeiten.“

Die Schauspielerei – wenn Stenger davon erzählt, kommt sie ins Schwärmen. Stehen einem nicht ganz andere Wege mit dieser Begabung offen? Ein Doktor-titel in der Raketenwissenschaft oder in der Bio tech-Forschung und dann eine Professur an der Univer-sität? „Eine Uni-Karriere stand nie auf meiner Liste dessen, was ich unbedingt gemacht haben muss. Nach meinem Diplom in Politikwissenschaften habe ich zwar kurz darüber nachgedacht, aber den Gedan-ken schnell wieder verworfen. Das steht dem entge-gen, was die Leute von mir erwartetet hätten“, sagt die Münchnerin selbstsicher. Und das, obwohl sie sich mit ihren Gedächtnistechniken die komplizierteste Materie locker merken könnte. Nein, der Schauspiel-unterricht sollte es sein. „Ich musste auf mein Gefühl hören, womit ich jetzt auch total glücklich bin. Ich

Was treibt hingegen jemanden an, der sich immer wieder Situationen aussetzt, die sowohl seine Ge-sundheit als auch sein Leben gefährden können? Für Glowacz, der sich mental und körperlich im Grenzbe-reich bewegt, braucht es fast schon eine Besessenheit. Die Frage nach dem Warum steht ganz oben. Warum genau dahin? Warum mache ich das? Er muss über-zeugende Antworten für sich haben, wenn er sich menschenfeindlichen Regionen ausliefert. Halbe Sa-chen sind mit dem gebürtigen Tittmoninger jeden-falls nicht zu machen. „Ich kann nur zu was aufbre-chen, von dem ich überzeugt bin. Und überzeugt bin ich erst, wenn ich begeistert bin. Und das kann ich nur sein, wenn ich brenne und dafür lebe“, sagt Glowacz. Man spürt die Leidenschaft in ihm. Eine Leidenschaft, die aber auch Leiden schafft. Das Ziehen des Carbon-schlittens durch Schneewüsten. Die durch die körper-liche Anstrengung durchgeschwitzten Klamotten. Die schmerzenden Gelenke, obwohl der nächste Hand-griff genau sitzen muss. Dann braucht es Willen! „Klar schindest du dich! Aber man ist auch glücklich, wenn man sein Ziel erreicht und den Schweinehund über-wunden hat.“ Für Glowacz gehört die Quälerei dazu. Nur so lassen sich die Triumphe richtig auskosten. Auf die Frage, warum er sich quält, bringt er es auf den Punkt: „Wenn es kein Leid gibt, gibt es keine Freude. Wenn du keinen Liebeskummer hast, weißt du nicht, wie sich Liebe anfühlt.“

Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth Ärztlicher Leiter der Abteilung Sportmedizin der Charité Universitätsmedizin Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin

„Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, sich min-destens 150 Minuten pro Woche moderat oder 75 Mi-nuten intensiv zu bewegen. Wünschenswert wäre das Doppelte. Leider liegt mehr als die Hälfte der Menschen weit unter dieser Empfehlung. Wichtig dabei ist, dass die Belastungsintensität dem eigenen Leistungsniveau angemessen ist. Und mindestens genauso wichtig: dass man es langfristig und konsequent macht, also am Ball bleibt. Meine Tipps für den Alltag:

> ,Keep it simple‘ und machen Sie so viel wie möglich zu Fuß. Parken Sie beispielsweise das Auto einen hal-

ben Kilometer von der Arbeit entfernt, und gehen Sie den Rest. Es sind oft diese kleinen Dinge, die den Un-terschied machen. > Legen Sie sich einen Aktivitäts-Tracker zu. Die Arm-bänder oder Apps messen genau, wie viele Schritte man am Tag tatsächlich gemacht hat. Sie helfen, sich das ei-gene Bewegungspensum bewusster zu machen und ge-gebenenfalls etwas zu verändern.> Wenn die Motivation nicht reicht: Bewegung mit ande-ren und in der Gruppe ist immer hilfreich. So kann man die körperliche Aktivität besser halten oder steigern.“

„Immer dem eigenen Gefühl folgen und nicht versuchen, nach der Meinung anderer zu leben“

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mache die Sache, von der ich überzeugt bin.“ Diesen Rat gibt sie auch weiter: „Einfach sich selbst vertrau-en, immer den eigenen Gefühlen folgen und nicht versuchen, nach der Meinung anderer zu leben.“

Das Gefühl, anderen Menschen etwas beweisen zu müssen, hat der Extrembergsteiger Glowacz eben-falls nicht mehr. Nicht, wenn er eng gepresst am Felsen klettert. Nicht, wenn er Hunderte Kilometer Inlandeis vor sich hat. Nicht, wenn er mit einem Se-gelschiff im Polarmeer unterwegs ist. Er muss kon-zentriert sein. Reagieren auf die Umstände, wenn nö-tig. Wenn er in Grönland ist, kommen Tage, an denen er seinen Schlitten hinter sich herziehen muss. Das wird hart, das weiß er. Dann gilt es, den Tag in Etap-pen einzuteilen. Zwei, drei Stunden laufen und dann Pause. Das wiederholt sich, bis das Marschpensum am Abend erreicht ist. Am Abend, wenn es draußen schneit und stürmt, sitzen Glowacz und seine Expe-ditions-Mitstreiter in ihrem kleinen Zelt. Glowacz wird sich dann an einer kleinen Terrine Instant-Nu-deln wärmen und sich denken, was kostet die Welt für dieses kleine Glück. „Das ist jedes Mal die groß-artige Erkenntnis bei diesen Expeditionen, weil du immer wieder feststellst, wie wenig der Mensch ei-gentlich braucht, um glücklich zu sein. Das nimmst du immer wieder mit nach Hause und kannst dort alles ins Verhältnis setzen“, teilt Glowacz seine Er-fahrungen. Für ihn ist das Leben eine Aneinander-reihung von Augenblicken, sowohl negativ als auch positiv. „Die Augenblicke sind der wahre Reichtum eines Menschen, weil sie ihn prägen. Sie verändern

das Leben“, so der sympathische Bayer tiefgründig. Einfach alles aufsaugen wie ein Schwamm, dann er-gibt das Leben einen Sinn.

Für die Gedächtnissportlerin besteht das Glück ebenfalls aus Momenten. „Wenn man weiß, was ei-nen glücklich macht, dann sollte das Leben so gebaut sein, dass es möglichst oft zu diesen freudigen Mo-menten kommt“, sagt Stenger. Vor allem auch Vor-freude bedeutet für sie Glück, weil es damit länger anhält. Das kann ein in der Zukunft liegender Ur-laub sein oder ein Kinobesuch mit einer bestimmten Person in zwei Wochen. „Die Erwartung macht ei-nen oftmals noch glücklicher, als wenn es dann ein-trifft. Nur darf die Erwartungshaltung nicht zu hoch angesetzt sein“, gibt Stenger ein Rezept für ein zu-friedenes Leben preis.

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Die Geheimnisse eines erfüllten Lebens kann nur kennen, wer das Leben gelebt hat. Denkste! Manchmal sind die Rezepte von Alt und Jung überraschend ähnlich

rausforderungen des Alltags. Kleine Dinge, die Alide Rau große Freude bereiten. Denn: Viel hat die hoch-betagte Hannoveranerin vom Leben nicht verlangt.

„Ein Bett und ein Dach über dem Kopf – und was zu essen.“ Das war ihr bereits genug. „Ich kann doch nur auf einem Stuhl sitzen“, philosophiert die alte Dame. „Millionärin wollte ich nie werden.“

Glücklich und zufrieden dagegen schon. Wie wir alle. Die Frage ist nur: Wo liegt der Schlüssel zum Glück? Was sind die Geheimnisse? Und wer kann sie uns verraten? Wohl doch am ehesten diejenigen, die bereits die größte Wegstrecke hinter sich und ihre Erfahrungen im Leben gemacht haben – Menschen wie Alide Rau. Die 81-Jährige sitzt in ihrem Sessel und genießt die Aufmerksamkeit sichtlich: das Blitz-lichtgewitter der Kamera und die Gelegenheit, aus ihrem Leben zu erzählen. Ein gesundes, zufriedenes

Der Fotograf staunt nicht schlecht, als Alide Rau ihm die Tasche mit den alten Kameras reicht. „Schauen Sie mal, ob Sie darunter das

eine oder andere Schmuckstück finden. Mein verstor-bener Mann hat die gesammelt. Sie können damit si-cher mehr anfangen als ich.“

Noch bevor das erste Wort zum Thema Zufrieden-heit im Leben gewechselt ist, lebt die rüstige alte Dame eines ihrer Glücksgeheimnisse vor: Geben macht glücklicher als Nehmen. Für die Rentnerin aus Hannover ein lebenlanges Prinzip. Wer viel und mit dem Herzen gibt, der erhält auch viel zurück, lau-tet ihre Erfahrung. Ob beim Vorlassen an der Super-marktkasse oder im Umgang mit dem „netten Nach-barsjungen“. Der 17-Jährige von nebenan hat die drollige Rentnerin längst in sein Herz geschlossen – hilft beim Tragen des Fahrrads oder bei anderen He-

Alide Rau, 81 Die rüstige Rent-nerin blickt auf ein gesundes und zufriedenes Leben zurück

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Leben, auf das es sich lohnt zurückzublicken. Trotz oder gerade wegen der gewagten Flucht aus der DDR Mitte der 50er-Jahre, als die damals 18-Jährige nicht mehr lügen, sich nicht mehr mit falscher Iden-tität durchs Leben boxen wollte. „Da stand ich dann irgendwann am Frankfurter Flughafen mit einem Koffer, einem Rucksack und fünf West-Mark in der Hand“, erinnert sich die alte Dame – und lächelt.

„Aber ich habe mich nicht mehr verbiegen müssen“, begründet sie ihren Schritt. „Ich bin mir immer treu geblieben.“

Ihr zweites Geheimnis, weswegen sich das Leben, wie Alide Rau heute sagt, „richtig“ anfühlt. Auch aus beruflicher Sicht. „Ich wollte eigentlich immer Kin-derärztin werden“, verrät sie. „Aber das Geld für ein Studium war nicht da. Von meinem Wunsch, mit Men-schen und für Menschen zu arbeiten, hab ich mich trotzdem nicht abbringen lassen.“ Alide Rau grün-dete eine Praxis und arbeitete fortan als Masseurin.

„Ich habe auf meine innere Stimme gehört und hab versucht, Kurs zu halten auf dem Weg, der mir am ehesten entspricht.“

In sich hineinhorchen und fühlen, was das Bes-te für einen ist: leicht gesagt in einer Zeit, die von Stress und Hektik geprägt ist, in der der Lautstär-kepegel zunimmt und die Aufmerksamkeitsspanne mit wachsender Informationsmenge sinkt. Eine ju-gendorientierte Kultur, in der dem Neuen und Mo-dernen der größte, dem Alten und Althergebrach-ten dagegen kaum noch ein Wert beigemessen wird. In der uns Snapchat, Twitter oder Facebook vor die Bildschirme zwingen, statt uns Ruhepausen zu las-sen, um den inneren Kompass zu checken. Wirklich? Müssen wir erst alt werden, um zu erkennen, dass der glückliche Mensch sein Leben nicht darauf ausrichtet, worauf es ankommt, sondern darauf, worauf es IHM ankommt? Die Tatsache, dass es in der Regel hochbe-tagte Menschen sind, die mit Weisheit zurückblicken, weil es ihnen gelungen ist, den Schlüssel zum Glück zu finden, spricht für einen Prozess, bei dem an den entscheidenden Weggabelungen des Lebens die Ent-scheidungen zu treffen sind, die sich „stimmig“ an-fühlen. Ein lebenslanger Lern- und Suchprozess, an dessen Ende ein Leben (fast) ohne Reue, dafür voller erfüllender Momente steht. Doch es geht auch früher.

Einer, der sein Leben noch vor sich hat und die Ge-heimnisse des glücklichen Lebens bereits in frühen Jahren lebt, ist Jannis Oberbeil – 18 Jahre alt, Abi-turient aus München. Ein echter Schwiegermutter-Traum: gut aussehend, intelligent, sportlich, musi-kalisch, zielstrebig. Ein Kumpeltyp. Einer, der nicht viel pauken muss, um gute Noten zu schreiben, und

daher ausgiebig Zeit für die süßen Dinge des Le-bens hat: mit Freunden Spaß haben, Sport treiben, auf Reisen gehen, Geige spielen. Und: auf die inne-re Stimme hören. Worauf es ihm im Leben ankommt?

„Gesundheit, Familie, Freunde“, lautet die für einen Jungspund überraschend weise Antwort. „Alles an-dere ergibt sich daraus.“

Seine Ansichten wirken echt. Der größte Glücks-moment in seinem Leben? „Die Freundschaft zu einem Thailänder während eines einjährigen Aus-landsaufenthalts, obwohl man sich anfangs mit kei-nem Wort verständigen konnte – das war eine tolle Erfahrung.“ Überhaupt: Der Umgang mit Menschen, Kontakt zu anderen, Freundschaften und der feste Familienhalt – Voraussetzungen für ein zufriedenes Leben, auf die der Münchner gleich mehrmals zu sprechen kommt. So wie Rentnerin Rau. „Die Men-schen müssen mehr Briefe schreiben“, sinniert die alte Dame. „Briefe schreiben ist wichtig, um den

Jannis Oberbeil, 18: Gesundheit, Familie und Freunde ge-hören für den Münchner zum Glücklichsein

„Ich habe auf meine innere Stimme gehört und dabei versucht, Kurs zu halten auf dem Weg, der mir am ehesten entspricht“

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die er mit Stolz zurückblicken kann. Vor allem die dreitägige Rücktour per Anhalter nach München er-wies sich als „krass“. „Es regnete stundenlang in Strömen, und kein Mensch hielt an“, erinnert sich der Schüler, der kurz davor war aufzugeben. „Umso schöner das Gefühl, es am Ende doch geschafft zu haben.“ Heute weiß Oberbeil: „Es gibt immer eine Lösung im Leben.“

Auch in beruflicher Hinsicht hört der Abiturient auf seinen Bauch. „Ich möchte Sport studieren und als Personal Trainer arbeiten“, sagt Oberbeil, der meh-rere Stunden pro Woche im Fitnessstudio trainiert und begeistert Handball, Basketball und Tischtennis spielt. Ob er sich angesichts seiner Möglichkeiten da-mit nicht zu billig verkauft? „Sicher kann man mit an-deren Berufen mehr Geld verdienen“, sagt der Schü-ler. „Aber um glücklich zu sein, braucht man kein hohes Einkommen.“

Freunde und Familie dafür umso mehr. Verwaltet wird das Beziehungsgeflecht – typisch – per Smart-phone. Laut Oberbeil „Fluch und Segen“ zugleich.

„Ohne Handy bist du heutzutage isoliert“, sagt der 18-Jährige und gesteht, dass das Handy den Kon-takt zum Freundeskreis enorm erleichtert. „Ande-rerseits verbringt man auf Seiten wie YouTube oder Snapchat schon enorm viel Zeit“, sagt Oberbeil. „Da kommen locker drei, vier Stunden am Tag zusam-men.“ Wenn’s die Zeit erlaubt, geht Oberbeil am Abend in sich. „Was war gut, was war schlecht?“, lässt der Schüler dann den Tag Revue passieren – um in den allermeisten Fällen zu dem Schluss zu gelangen: Es war ein guter Tag.

Kontakt zu seinen Liebsten zu pflegen.“ Ein kost-bares Gut. Erst recht im Alter. Denn der Freundes-kreis wird kleiner. Naturgemäß. Angst vor dem Tod? Wieder dieses Lächeln. „Keine Spur.“

Angst vor Schmerzen möglicherweise schon. Angst vor dem Tod an sich aber haben glückliche Menschen nicht. Im Gegenteil: Wer weise genug ist und den Tod als Teil der Existenz akzeptiert, für den gewinnt das Leben jene Dringlichkeit, die nötig ist, um zu erken-nen, worauf es ihm ankommt. „Lebe jeden Tag, als wäre er der letzte“, lautet ein Kalenderspruch. Leicht gesagt. Aber wer von uns lebt nach diesem Prinzip? Lebt im Hier und Jetzt, bewusst und präsent, frei von Selbstvorwürfen und Sorgen um die Zukunft? Dabei weiß jeder: Die Vergangenheit ist passé. Was die Zu-kunft bringt, ist kaum zu beeinflussen. Die Reaktion auf das Ergebnis dagegen schon. Wer sein Unterbe-wusstsein richtig programmiert, nutzt einen weiteren Schlüssel zum Glück: Leb das Leben in vollen Zügen, und zwar so, dass du später nichts bereust. „Versuch es!“, spornt sich Alide Rau stets von Neuem an. Ein gut gemeinter Rat an diejenigen, die auf ihrem Weg oft zögern und zaudern. Ihre Erfahrung deckt sich mit denen der meisten anderen (glücklichen) Hoch-betagten: Bereut werden im Alter (fast) nie die Din-ge, die angegangen wurden und schiefgelaufen sind, sondern solche, die gar nicht erst versucht worden sind. „Streichen Sie das Wort Langeweile aus Ihrem Wortschatz“, lautet ihr Rat.

So wie Jannis Oberbeil. Über das Angebot von Mit-schülern, ein Stück des Jakobswegs zu pilgern, dach-te der Reisefan nicht lange nach. Eine Erfahrung, auf

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Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin

„Je höher meine Gesundheitskompetenz ist, umso bes-ser sind mein Körpergefühl und meine Resilienz in psy-chisch oder physisch anstrengenden Situationen. Je frü-her Menschen kompetent sind, umso gesünder sind sie auch im Alter. Aber wie erreicht man die Jugend?

Vor allem im Alter zwischen 13 und 19 Jahren will man sich erproben und herausfinden, was man kann und was der Körper so mitmacht. Mahnungen und Zu-rechtweisungen bewirken da kaum etwas. Viel wich-tiger ist, dass man jungen Menschen zeigt und vorlebt, wie man das Leben genießt und wie man die Heraus-forderungen in Schule, Job, im Freundeskreis, beim

Konsum oder im Umgang mit Geld meistern kann und sich gut damit fühlt.

Junge Menschen sollen ihr eigenes Verhalten ent-wickeln dürfen. Das heißt auch zu akzeptieren, dass sie unter gesundheitlichen Gesichtspunkten vielleicht nicht immer „richtig“ handeln, weil sie zum Beispiel rauchen. Wenn sie das gleichzeitig bewusst durch Sport kompensieren, müssen wir solche Entschei-dungen hinnehmen. Gerade in jungen Jahren ste-hen freie Entscheidungen über allem. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die wir für die Gesund-heitsbildung beherzigen müssen.“

„Es gibt immer eine Lösung im Leben“

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FAMILIEN-UNTERNEHMERINNEN

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Familienunternehmen und Unternehmen Familie – zwei Aufgaben, die einen komplett fordern und zugleich erfüllen, wenn man sie richtig zu nehmen weiß

ältestem, von einer Frau geführten Unternehmen der Musikbranche – seit 146 Jahren in Familienbesitz.

Frühstückstisch abräumen, duschen, dann ab an den Schreibtisch. Trotz – oder gerade wegen

der fünf Kinder – kann Daniela Nagel ihrem Traum-beruf nachgehen. Sie schreibt Ratgeber und Romane, coacht Autoren und unterstützt den Verband kinder-reicher Familien Deutschland e. V. unter anderem bei der Pressearbeit und ist Teil des NRW-Vorstands. Ihr bislang erfolgreichstes Werk: „Fünf Kinder? Sie Ärmste! Ein Survivalguide für gelassene Mehrfach-mütter“. Das schrieb sich von selbst. Aktuell wartet sie auf die Verlagszusage für ihre neue romantische Komödie. „Schreiben ist Arbeit und Entspannung zu-gleich. Es ist Privileg und Luxus, dass ich meinen Traum so leben kann.“ Als Angestellte hätten sich Fa-milie und Job niemals so perfekt kombinieren lassen.

„Allerdings bin ich als Freiberuflerin mit schwanken-dem Einkommen sehr froh und dankbar, dass mein Mann als Festangestellter die Hauptlast beim Fami-lieneinkommen tragen kann.“ Wenn sie am Compu-ter sitzt, ist Daniela Nagel sehr konsequent. „Ich ver-suche, immer fünf Seiten am Tag zu schaffen. Ich kann ganz schnell den Schalter von Familie auf Arbeit um-legen. Da bleibt sogar Platz für Mittagsschlaf.“

Sechs Uhr. Bei Daniela Nagel klingelt der We-cker. „Früher war ich Langschläferin. Aber ich

habe gemerkt, wie gut es tut, eine halbe Stunde vor den Kindern wach zu sein, in Ruhe einen Kaffee zu trinken und nachzudenken“, sagt die 41-Jährige. Nach und nach tröpfeln sie ein: Elias, 18, Hanna, 16, Gabriel und Matthias, 12, Jakob, 7 und Vater Michael, 42, Bauingenieur. Start in den Tag im Unternehmen Großfamilie. Müslischalen füllen sich, Pausenbrote werden geschmiert, Taschen gepackt, ehe gegen acht der Letzte das Haus Richtung Job, Schule und Aus-bildung verlässt und wieder Ruhe einkehrt im Rei-henhaus im Kölner Stadtteil Rath/Heumar.Yvonne Trübger schiebt den Vorhang im Schlafzim-mer heute erst um 7.30 Uhr zur Seite. „Eine unge-wöhnliche Zeit für mich. Normalerweise bin ich um fünf Uhr wach und meditiere. Danach bin ich fitter, als wenn ich die anderthalb Stunden noch geschla-fen hätte“, erzählt die 49-Jährige. Zum Frühstück sitzt nur eine mit am Tisch: die äußerst eigenwillige, aber liebevolle Hundedame Jenna, eine Belgische Schäfer-hündin. Nachdem der Haushalt aufgeräumt, die Wä-sche gemacht und Jenna Gassi gegangen ist, führt der Weg ins Parterre des Hauses 117 in der Schanzenstra-ße in Hamburg. Um 9.30 Uhr öffnet dort die Tür des Pianohauses Trübger. Willkommen in Deutschlands

Die Erfah-rungen aus ihrer Groß-familie hat Daniela Nagel in einem Ratgeber verarbeitet

„Wie man fünf Kinder und den Job managt? Mit Gelassenheit, Humor und Gottvertrauen“

Daniela Nagel arbeitet als Autorin und lebt mit ihrem

Mann und ihren fünf Kindern in Köln

Ab 15, 16 Uhr füllt sich das Haus der Nagels wieder. „Wenn die Kinder kommen, dann fällt

bei mir der Stift, und ich bin für sie da.“ Wenn die nicht gerade ihren Hobbys nachgehen beim Tanzen, bei den Pfadfindern, der freiwilligen Feuerwehr oder im Sportverein. „Das war mal mehr, hat aber sehr ge-stresst. Jetzt macht fast jedes Kind glücklicherweise nur noch Hobbys, zu denen es selbstständig hin- und zurückkommt.“ Die Wochenenden sind der Familie

„heilig“ und arbeitsfrei. „Die Rollen als Elternteil und Autor zu mischen funktioniert nicht, habe ich gelernt. Bei meinem ersten Buch habe ich das noch nicht be-herzigt. Während ich schrieb, hat mein kleiner Sohn nebenan einen Kurzschluss verursacht. Das war das Schlüsselerlebnis.“ Trotzdem: Wie schafft man das al-les? Mit Konzentration auf das Wesentliche, Gelas-senheit, Humor und Gottvertrauen. „Ich liebe mei-nen Beruf, aber er ist nicht mein Leben. Wenn was nicht klappt oder eine schlechte Rezension kommt, regt mich das nicht mehr auf. Das habe ich aus der Mutterrolle mitgenommen. Wir sind gesund und zu-sammen. Das zählt.“Die Entscheidung, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, fiel früh bei Yvonne Trübger, mit 16 Jahren.

„Mein Vater hat mir immer freigestellt, ob ich die Fir-ma übernehmen möchte. Das Wichtigste, das er mir mitgab, war, dass ich das, wofür ich mich entscheide, mit ganzem Herzen mache.“ Mit 24 erfolgte der Ein-stieg ins Geschäft nach Klavierbauerlehre, kaufmän-

Im Büro sichtet Yvonne Trübger zunächst Post und Mails. Klar ist sie die Chefin, aber deswegen pickt sie sich gegenüber ihren sechs Mitarbeitern nicht die Ro-sinen raus. „Ich fege auch vor der Tür oder überstrei-che Grafitti an der Hauswand.“ Aber am liebs ten berät sie natürlich Kunden. Mehr als 150 Klaviere und Flü-gel der Marken Blüthner, Schimmel, Grotrian-Stein-weg und Yamaha warten auf 700 Quadratmeter Flä-che auf neue Besitzer und Mieter. „Im Austausch mit Menschen erfahre ich oft Glücksmomente. Unsere Kli-entel ist so vielfältig: Kinder, Eltern, Studenten, Seni-oren, Profis, Amateure – aus allen gesellschaftlichen Schichten. Und das Schöne: Wir haben meist nur net-te Kunden, denn Musik verbindet auf einer besonde-ren Ebene.“ Der unternehmerische Part will natürlich auch erfüllt werden. Abstatzstrategien entwickeln, am Marketing arbeiten. So geht es im Pianohaus nicht nur ums Verkaufen: Es gibt Konzerte und Wettbe-werbe im hauseigenen Konzertsaal, Förderpreise für Nachwuchsmusiker, Workshops, einen Proberaum für Studenten, die zu Hause nicht üben können, Chari-ty-Aktionen. „All das gehört seit jeher zur Philoso-phie unseres Hauses.“ Manchmal sind auch besonde-re Ideen gefragt. Als im Hamburger Schanzenviertel 2017 das Chaos rund um den G20-Gipfel tobte, verbar-rikadierte man die Schaufenster des Geschäfts nicht einfach. „Immer schön Piano“ stand in großen Lettern auf den Holzplatten. Der Humor wurde von den Auto-nomen goutiert. Das Geschäft blieb verschont.

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„Wenn man etwas gern macht, zählt man nicht die Minuten“

Yvonne Trübger führt in vierter Generation das

Pianohaus Trübger im Hamburger Schanzenviertel

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„Sind Sie schon mal völlig in einer Tätigkeit versunken und glücklich wieder aufgetaucht? Dann war das wahr-scheinlich ein Flow-Erlebnis. Es kann einem beim Sport, Musizieren oder Kochen passieren oder auch bei Tätig-keiten bei der Arbeit wie Schreiben, Analysieren oder Problemlösen. Flow-Tätigkeiten beanspruchen uns ge-nau im richtigen Maß. Gleichzeitig wissen wir bei je-dem Schritt, was wir zu tun haben, sind voll konzen-triert, Probleme oder Zweifel vergessen wir einfach. Die aktuelle Forschung zeigt, dass Flow-Erleben positiv mit Leis tung und Kreativität zusammenhängt sowie mit größerem Wohlbefinden. Flow-Zustände entstehen oft in stressrelevanten Situationen, so konnten Forscher et-wa bei Chirurgen während komplizierter Operationen

Flow beobachten. Demnach scheint ein gewisser Grad von Stress – etwa durch herausfordernde Aufgaben oder auch durch Zeitdruck – Flow zu fördern.

Doch Achtung: Dosis und Dauer der Anforderun-gen müssen stimmen. Nur wer erholt den nächsten Tag beginnt, kann sein volles Flow-Potenzial ausschöp-fen. Wenn rund um die Uhr E-Mails eintreffen und wir ständig mobil erreichbar sind, erschwert das das Ab-schalten. Außerdem hilfreich, um abzuschalten: mög-lichst wenig Unerledigtes am Arbeitsplatz zurücklassen, über das wir in der Freizeit noch nachgrübeln müssen, und kurz vor Feierabend nichts Neues mehr anfangen. Schreiben Sie sich eine To-do-Liste für den nächsten Tag, um es getrost aus dem Kopf zu verbannen.“

Prof. Dr. Corinna PeiferJunior-Professorin an der Ruhr-Universität Bochum und Leiterin der Arbeitsgruppe Angewandte Psychologie in Arbeit, Gesundheit und Entwicklung

an drei Abenden die Woche geschäftlich unterwegs bei eigenen Veranstaltungen oder geschäftlichen Terminen außer Haus.“ Aber als Familienunterneh-merin gibt es ohnehin keine Trennung von Privat- und Berufsleben. Um runterzukommen, setzt sie sich manchmal selbst noch an den Flügel in ihrer Woh-nung – mit Silent-Technik, versteht sich, der Nach-barn wegen – oder legt eine CD ein. „Klaviermu-sik berührt meine Seele. Ich gehe auch regelmäßig in Konzerte.“ Und Kochen muss sein, auch wenn es spät ist. „Das ist wie Meditation. Ich liebe asia-tische und italienische Küche. Zu 80 bis 90 Prozent lebe ich vegan, die übrigen Prozent, wie es mir Spaß macht. Ich bin nicht missionarisch. Ich mache das, weil es mir guttut.“

Wenn man in einer Großfamilie lebt, versteht man dann Menschen, die keine Kinder wollen?

Daniela Nagel ist da offen: „Vollkommen. Man sollte nicht das machen, was andere von einem erwarten. Das ist für mich auch ein wichtiges Lebensrezept.“Yvonne Trübger leitet das Pianohaus in vierter Gene-ration. Was kommt danach? „Es wird wohl keine eige-ne fünfte Generation geben. Aber das Leben hält so unendlich viele Möglichkeiten bereit. Ich werde mein Bestes geben, solange es geht. In vier Jahren feiern wir erst mal 150 Jahre Jubiläum.“

nischer Ausbildung und Auflandsaufenthalt. Ein Le-ben ohne Tasten? Unvorstellbar. Unternehmerin zu sein war nie eine Last für die Hamburgerin. „Ich bin mit einem Urvertrauen in das eigenverantwortliche Handeln erzogen worden. Ich bin dankbar, dass mei-ne Vorfahren das Unternehmen durch so viele Jahre und schwierige Zeiten gesteuert haben. Diese Tradi-tion macht mich stolz, und ich trage gern die Verant-wortung – aus vollem Herzen.“

Zum Abendessen versammeln sich die Nagels wieder um den Esstisch. Gekocht wird gesund

mit Kräutern und Gemüse auch aus dem eigenen Garten, der Rückzugsoase der Familie. Bis alle im Bett sind, ist es meist spät. „Mir ist es wichtiger, abends noch etwas vorzulesen, als aufzuräumen.“ Kleine Vorbereitungen für den nächsten Tag werden natürlich trotzdem erledigt. „Ich will nicht morgens anfangen, Socken zu suchen.“ Eine Ausnahme macht Daniela Nagel in jedem Fall: für ihren Mann. „Unse-re Partnerschaft ist eine wichtige Kraftquelle. Wir ver-bringen bewusst Zeit miteinander, auch abends noch, schreiben uns nette Nachrichten am Tag oder treffen uns mittags zum Essen.“ Bewegung gibt es auch zum Ausgleich, wobei die von allein kommt. „So oft es geht, mache ich Erledigungen zu Fuß und per Rad.“Bei Yvonne Trübger wird es auch spät. „Oft bin ich

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Beim G20-Gipfel in Hamburg setzte das Pianohaus Trübger beim Schutz seiner Schaufenster auf Humor

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Mönch und Finanzprofi – zwei Welten prallen im Gespräch aufeinander. Oder sind die Unterschiede vielleicht doch gar nicht so groß?

Marc-Oliver Lux: Erste Frage vorweg: Wollten Sie schon als Kind Mönch im Kloster werden?Abt Johannes: Ich hatte als Junge eigentlich drei Be-rufswünsche: Schäfer, Schornsteinfeger und Pfarrer. Schäfer habe ich um diese Eigenständigkeit und das eigene Leben beneidet. Bei den Schornstein-fegern faszinierte mich die weite Sicht vom Dach. Und bei den Pfarrern haben mich deren viele ver-schiedene Begegnungen mit den unterschiedlichs-ten Menschen interessiert. Ich fragte mich: Was steckt eigentlich dahinter? Ab diesem Zeitpunkt wurde aus dem Wunsch schnell ein Lebensziel.Marc-Oliver Lux: Ich habe früher in der Nähe des Flughafens gewohnt und wollte deshalb natürlich Pilot werden. Dafür hatte ich jedoch weder die Größe noch die guten Augen.Abt Johannes: Aber Sie bereuen nicht, dass Sie nun stattdessen in der Finanzbranche arbeiten?Marc-Oliver Lux: Nein, schließlich gibt es im Leben andauernd illusorische Wünsche. Man sehnt sich ja gerade nach dem, was man nicht erreichen kann. Ich habe mich früher auch sehr für Software inte-ressiert und eine eigene Firma gemeinsam mit zwei

Dr. Marc-Oliver Lux war unter anderem im Investmentbanking bei der Deutsche Morgan Grenfell in New York tätig und

ist Mitgründer der Vermögensverwaltung Dr. Lux & Präuner mit Sitz in Grünwald

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täglich neu bewerten: Wie kann, will oder darf ich im Beruf überhaupt weitermachen? Es ändert sich sehr viel, sodass ich selbst hin und wieder nicht mehr hinterherkomme. Beispielsweise kenne ich so viele Personen auf Grund meiner Arbeit, kann aber nicht mehr erfassen, wofür sie stehen und für wen sie arbeiten. Das ist belustigend, aber auch beängstigend.Abt Johannes: Aus solchen Gründen könnte ich derzeit nicht Ihr Leben leben. Vielleicht auch, weil das Kloster für mich ein geschützter Raum ist. Nicht weil ich Angst vor dem Leben jenseits der Kloster-mauern habe, sondern weil ich meine passende Le-bensform gefunden habe. Und die ist für mich ir-gendwie auch eine Berufung: Tagtäglich stelle ich mir die Frage, wo mein Platz im Leben ist und wo ich meine Gaben einbringen kann. Was hat Gott mit mir vor? Ich möchte diese Suche nach dem rich-tigen Leben und den wesentlichen Fragen nicht aufgeben. Meine Arbeit ist weniger Wort und Ant-wort, sondern vielmehr Frage. Und ich sehe es als unwahrscheinlich großen Luxus an, dieser Frage nachgehen zu können.Marc-Oliver Lux: Aber glauben Sie denn, dass Sie im geschützten Kloster gesünder leben können?Abt Johannes: Mein Tagesablauf ist natürlich sehr strukturiert und ausgewogen. Zeiten für Ruhe, Ge-bet sowie Zeiten zur Kommunikation und Arbeits-zeiten – das ist alles gut geregelt. Ob mich das von Krankheit verschont, ist eine andere Sache. Das will ich mit diesem Tagesablauf auch nicht er-reichen. Stattdessen kann ich mich so aus meiner Mitte heraus bewegen und das richtige Maß be-stimmen. Dabei ist die Einhaltung dieser Grenzen natürlich wichtig – und das ist auch die große He-rausforderung unserer Zeit. Heute herrscht eine große Grenzenlosigkeit. Und wenn ich den Um-gang mit Medien und die ganze Beschleunigung sehe, dann erachte ich meinen geordneten Lebens-entwurf als einen großen Luxus. Deshalb ist mein Leben vielleicht doch ein bisschen gesünder als ein grenzenloses Leben wie Ihres. Denn wie kön-nen Sie sich dabei überhaupt noch Grenzen setzen? Machen Ihre ganzen Termine und das viele Geld denn nicht auch irgendwann krank? Marc-Oliver Lux: Es ist das Geld anderer Leute, dazu habe ich schon eine andere Beziehung als zu meinem eigenen Besitz. Ich spüre natürlich ein Verantwortungsgefühl, versuche das in solchen Momenten sehr rational zu sehen. Und das hilft. Aber in Sachen Grenzenlosigkeit muss ich Ihnen schon Recht geben. Ich merke ganz klar, dass es

Informatikern gegründet. Aber ich musste mir auch eingestehen, dass mir deutliche Grenzen auf der technischen Seite auferlegt sind. Das war für mich der Grund dafür, wieder zurück in den Finanzbe-reich zu wechseln. Ich habe in der Vergangenheit viel gesehen, vermisse aber davon nichts. Ich er-achte es als viel schwieriger, in einem jungen Al-ter den Entschluss zu fassen, Mönch zu werden. Bedeutet das nicht viel Durchhaltevermögen und Entbehrungen?Abt Johannes: Manchmal schon. Bereits als Jugend-licher habe ich mir ab und zu gewünscht, die glei-chen Hobbys und die gleichen Fächer zu mögen wie meine Mitschüler. In meiner Anfangszeit als Mönch hatte ich dann einen jungen freundlichen Mann mit einer netten Frau als Nachbar. In per-sönlichen Krisenzeiten dachte ich schon: Mensch, der hat es deutlich einfacher als ich. Aber auch er wird seine Probleme gehabt haben: Belas tung auf

Abt Johannes Eckert trat 1993 im Alter von 24 Jahren in das Kloster Andechs ein. Sieben Jahre später wurde er zum Priester geweiht und 2003 das erste Mal zum Abt der Benediktinerabtei St. Bonifaz gewählt

der Arbeit, Ehekrise, Krankheiten – wer weiß das schon? Man schaut immer auf die andere Seite des Gartenzauns und ringt mit sich. Das gehört zum Lernprozess. Und das ist auch das Reizvolle daran. Marc-Oliver Lux: Also sind Sie schon zufrieden mit Ihrem besonderen Leben?Abt Johannes: Ich bin glücklich im Kloster, hier lebe ich sehr gern. Natürlich muss ich mich als Abt auch um viele Dinge kümmern, die ich vorher nicht auf dem Schirm hatte. Trotzdem habe ich aber noch Zeit für die Beschäftigungen, die ich schon immer gern gemacht habe. Kommt das in Ihrem Beruf nicht manchmal zu kurz?Marc-Oliver Lux: Ganz im Gegenteil. Ich wollte, ab-gesehen von meinem Wunschberuf Pilot, schon im-mer einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen. Es hat mich seit jeher fasziniert, nicht fremdbestimmt zu sein, sondern stattdessen selbst ein Unterneh-men aufzubauen. Ich kann meine eigenen Ideen verwirklichen und die Dinge tun, die mir gefallen. Allerdings werde ich deshalb auch nie mit mei-ner Arbeit an einem versöhnlichen Ende ankom-men – die Welt verändert sich zu schnell. Ich muss

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planen. Ich finde aber nicht, dass das für mich un-bedingt gesundheitlich schlechter sein muss. Denn klar vorgegebene Regeln sind vielleicht auch nicht immer besser. Denken Sie an einen einfachen Job am Fließband mit ganz klaren Regeln, acht Stunden der gleiche Handgriff: Das ist ja schließlich auch nicht für jeden eine erfüllende Arbeit. Ich kann mei-ne Erfüllung auch in meinem Alltag finden. Abt Johannes: Dann haben wir da sogar etwas gemeinsam. Ich empfinde Erfüllung etwa in der Liturgie, in den Gottesdiensten oder wenn ich Menschen treffe. Selbst wenn ich Ansprachen re-cherchiere, kann ich neben dem kreativen Druck auch entspannen und zur Ruhe kommen. Marc-Oliver Lux: Aber haben Sie denn auch mal so etwas wie Urlaub?Abt Johannes: Ja, an freien Tagen gehe ich sehr gern zum Bergsteigen oder arbeite an Buch-projekten. Auf Grund meiner Lebensform kann ich allerdings keinen großen Freundeskreis pfle-gen, mit meinen besten Freunden sitze ich trotzdem zur Entspannung gern zusammen. Und wenn wir beispielsweise das Fest des heiligen Benedikt fei-ern, kann ich mich ebenfalls entspannen – während etwa in München ein ganz normaler hektischer Ar-beitstag ist. Da kann ich alle Bedenken und Ängs-te abschütteln. Marc-Oliver Lux: Wovor haben Sie denn Angst?Abt Johannes: Ich habe vor allem Angst vor einer schlimmen Krankheit, die mir große Schmerzen bereitet. Existenzielle Ängste habe ich dagegen weniger, davon bin ich sehr frei. Einzig über die politische Lage denke ich im Moment viel nach. Ich wünsche mir einen Fortbestand der Demokra-tie und unseres Rechtsstaats. Es wäre schlimm, wenn uns unsere lieb gewonnenen Sicherheiten genommen und Diskriminierungen alltäglich wer-den würden. Marc-Oliver Lux: Das ist wahr. Ich hatte in Zeiten der Finanzkrise Angst: Ein falscher Schritt weiter, und das System hätte zusammenbrechen können, sowohl der Finanzbereich als auch die Demokratie an sich. Das war eine beunruhigende Phase, in der ich dieses sehr neue Gefühl kennenlernte. Das war das erste Mal, dass ich die existenzielle Angst am eigenen Körper spürte. Und dazu kommt dann noch die immer anwesende Furcht vor Schicksalsschlä-gen wie Schlaganfällen oder schweren Krankheiten. Sie sind so unvorhersehbar und können das Leben unmittelbar beeinträchtigen. Gerade im Kontakt mit meinen Kunden erfahre ich von solchen Schick-salsschlägen. Aber auf der anderen Seite geht die

Momente gibt, in denen es in meinem Kopf einfach weiterrattert. Auch wenn ich vielleicht gerade lie-ber meine freie Zeit genießen sollte.Abt Johannes: Aber wann können Sie denn dann abschalten und Abstand gewinnen?Marc-Oliver Lux: Zum Ausgleich nehme ich mir be-wusst Auszeiten – zuletzt hatte ich etwa Termine im Ruhrgebiet und in Frankfurt und bin dann spon-tan übers Wochenende an die Küste gefahren. Da habe ich das schöne Wetter ausgenutzt und konn-te abschalten. Und von solchen Auszeiten kann ich auch lange zehren. Es muss nicht immer ein lan-ger Urlaub sein. Manchmal reichen schon ein paar Tage für etwas Abstand zu der von Ihnen angespro-chenen Grenzenlosigkeit.Abt Johannes: Und wie begegnen Sie dieser Gren-zenlosigkeit im Alltag?Marc-Oliver Lux: Als Selbstständiger kann und muss ich mir bestimmte Regeln selbst auferlegen. Und trotzdem können sie dann auch von unumgäng-lichen Terminen über den Haufen geworfen wer-den. Deshalb muss ich mir eine gewisse Flexibi-lität erhalten und kann meinen Tagesablauf nicht

„Als Selbstständiger kann und muss ich mir bestimmte Regeln selbst auferlegen“

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Prof. Dr. Gerd Gigerenzer Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin

„Gemessen an der Lebenserwartung und der Kinder-sterblichkeit, leben wir in Deutschland heute so gesund wie nie zuvor. Dennoch haben gerade in Deutschland viele Menschen Angst, etwa vor genetisch modifi-ziertem Mais und Krebs erzeugenden Stoffen in Zimt-sternen, Preiselbeeren und Schokolade. Natürlich gibt es Gesundheitsrisiken, aber die Furcht davor ist größer, als sie sein müsste. Gesund zu leben bedeutet, infor-miert zu leben und zu akzeptieren, dass man nicht alles unter vollständiger Kontrolle haben kann. Man sollte sich auch mal entspannen. Verantwortung für Entschei-

dungen zu übernehmen bedeutet auch, dass man ein gewisses Risiko eingeht. Denn nichts ist sicher, und man kann Fehler machen. Wenn man aber die Verantwor-tung immer lieber abgibt, schützt einen das auch nicht davor, dass Fehler passieren. Gute Entscheidungen sind daher stets eine Kombination aus Kopf und Bauchge-fühl. Mein Tipp, um gesund zu bleiben: Informieren Sie sich, misstrauen Sie jeder Angstmache, und haben Sie den Mut, selbst Verantwortung für sich und die Ge-sundheit zu übernehmen. Und wenn Sie nicht weiter-wissen, dann hören Sie auf Ihre Intuition.“

„Ich weiß nicht, wie lange ich noch auf dieser Erde lebe – aber ich bin mir dieser Unwissenheit eben auch bewusst“

Welt nie ganz unter. In irgendei-ner Form kann es immer weiter-gehen, glaube ich.Abt Johannes: In solchen Mo-menten gibt Geld vielen Men-schen Sicherheit. Aber Geld kann auch nicht alles gewährleisten – zum Beispiel eben Gesundheit. Selbst in meinem Dienst als Abt darf Geld nie die größte Rolle spielen. Denn auch wenn nicht genügend Vermögen für unser Kloster da ist, kümmern wir uns zuerst um das Reich Gottes. Des-wegen bin ich froh, dass ich für mich im Kloster nicht viel Besitz brauche und Geld keine große Rol-le spielt. Auch nicht als Statussymbol.Marc-Oliver Lux: Leider gehört Geld als Statussym-bol zum Leben außerhalb des Klosters dazu. Aber viele Menschen sehen in ihrem Geld einfach ei-nen Sicherheitsstatus für ihre existenziellen Ängs-te – so wie ich sie auch habe. Allerdings lebe ich das vielleicht anders aus: Ich bin eher unmateria-listisch und brauche kein Haus oder Grundstück. Da ist Geld weniger emotional, als man denkt. Ich strebe dafür eher nach Erlebnissen. Denken Sie an das alte Beispiel Geschenke: lieber mal keinen Geldschein in die Hand drücken, sondern ein Er-lebnis mit Freunden planen. Ich will die Welt sehen und frage mich: Wie sieht es auf unserer Erde aus, und wie kann ich in Kontakt zu anderen Menschen

kommen? Und wenn ich wieder zu Hause bin, re-lativiert sich für mich auch vieles wieder.Abt Johannes: Ich dagegen will lieber ein Suchen-der im Kloster bleiben. Es ist dabei immer wie-der eine gute Übung, sich die eigene Endlichkeit vor Augen zu führen. Ich weiß nicht, wie lange ich noch Zeit habe und auf dieser Erde lebe – aber ich bin mir dieser Unwissenheit eben auch bewusst. So lerne ich, im Jetzt zu leben, und das möchte ich auch, mich mit meinen jetzigen Herausforde-rungen auseinandersetzen, anstatt mich überall einspannen zu lassen. Wir haben schon jetzt Paare, die ihre Hochzeit für 2020 planen. Das müssen sie aber eigentlich nicht. Denn in diesen zwei Jah-ren kann noch so viel passieren. Das Leben spielt ja immer anders – Angst braucht man davor aber nicht zu haben.

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unsere Initiative für gesundes Hören.

Fetter Sound, ohne sein Gehör zu schädigen?Gedacht, gemacht:

Die Initiative von BARMER und Mimi Hearing Technologies will für Hörgesundheit sensibilisieren und Hörschäden vorbeugen. Unterstützung bietet die App „Mimi Music“. Sie passt nach einem kurzen Hörtest die Musik auf dem Smartphone an die eigene Hörfähigkeit an. So kann man bei leiserer Lautstärke seine Musik trotzdem voll genießen und schont dabei das Gehör. Mehr Infos unter barmer.de/hoeren oder App direkt downloaden.

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