Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

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Türkei Kampagne gegen Kopfgeldzwang Informationen zur „Freikaufsregelung“ Inhaltsverzeichnis Connection e.V.: Betroffene starten Kampagne gegen Kopfgeld 3 Don Quichottes gesucht ! 3 Gürsel Yildirim: Türkischer Militarismus, das türkische Problem 4 Gürsel Yildirim: Der deutsche Staat als Handlanger 6 Gürsel Yildirim: Der Fall Yasar 7 DFG-VK Berlin-Brandenburg: Übersicht zur „Freikaufsregelung“ 8 Rudi Friedrich: Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit 11 Bundesregierung: Einbürgerung – Allgemeine Hinweise 11 Staatsangehörigkeitsgesetz (Auszüge) 12 Vorläufige Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz 14 Gürsel Yildirim: Damit muss endlich Schluss sein 15 Bundesregierung: Antwort zu „Integrationshindernisse durch türkische Wehrpflicht“ 16 MdB Ulla Jelpke: Türkische Kriegsdienstpflicht ist Integrationshindernis 16 Weder einen Cent noch eine Sekunde für den türkischen Staat und sein Militär !

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Türkei

Kampagne gegen Kopfgeldzwang

Informationen zur „Freikaufsregelung“

Inhaltsverzeichnis

Connection e.V.: Betroffene starten Kampagne gegen Kopfgeld 3 Don Quichottes gesucht ! 3 Gürsel Yildirim: Türkischer Militarismus, das türkische Problem 4 Gürsel Yildirim: Der deutsche Staat als Handlanger 6

Gürsel Yildirim: Der Fall Yasar 7 DFG-VK Berlin-Brandenburg: Übersicht zur „Freikaufsregelung“ 8 Rudi Friedrich: Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit 11 Bundesregierung: Einbürgerung – Allgemeine Hinweise 11 Staatsangehörigkeitsgesetz (Auszüge) 12 Vorläufige Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz 14 Gürsel Yildirim: Damit muss endlich Schluss sein 15 Bundesregierung: Antwort zu „Integrationshindernisse durch türkische Wehrpflicht“ 16 MdB Ulla Jelpke: Türkische Kriegsdienstpflicht ist Integrationshindernis 16

Weder einen Cent

noch eine Sekunde

für den türkischen Staat

und sein Militär !

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Immer wieder melden sich türkische Wehrpflichtige beiConnection e.V., die das 38. Lebensjahr erreicht haben.Nach einer Regelung der Türkei wurden sie als Arbeits-migranten im Ausland bis zu diesem Alter zurückge-stellt. Sie haben einen Betrag von 5.112 � zu zahlenund dann noch einen dreiwöchigen Militärdienst abzulei-sten. Dies wird allgemein als Freikaufsregelung gehan-delt (siehe Rundbrief „KDV im Krieg“, Juli 2007). Hinzu-weisen ist darauf, dass diese Regelung nur türkischeStaatsbürger in Anspruch nehmen können, die als Ar-beitsmigranten dauerhaft im Ausland leben. Studentenund Asylsuchende sind von der Regelung ausgenommen.

Gürsel Yildirim macht in seinen Beiträgen zu Rechtdarauf aufmerksam, dass die Zahlung dieses Betrageseine Unterstützung des Militärs in der Türkei darstellt. Ersieht die sogenannte Freikaufsregelung als Kopfgelder-pressung an und startete vor wenigen Wochen eineKampagne, die wir begrüßen und auf den folgendenSeiten dokumentieren. Er ist selbst von der Regelungbetroffen, konnte aber nach mehreren Schwierigkeitendie deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Die türkischeGrenze kann er weiterhin nicht passieren, weil ihm alsFahnenflüchtiger die Verhaftung droht.

Den Betroffenen war es in der Regel nicht möglich,rechtzeitig die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen- ein anderer Ausweg, um der Wehrpflicht in der Türkeizu entgehen. Da die Einbürgerung in Deutschland anBedingungen geknüpft ist, die nicht alle erfüllen, weil siez.B. Hartz-IV Empfänger sind, ist ihnen dieser Weg ver-sperrt. Ansonsten hätten sie zuvor die Einbürgerung be-antragen können. Die Türkei würde sie ohne großenAufhebens aus der Staatsbürgerschaft entlassen. ImAnschluss können sie den sogenannten Rosa Schein

erhalten, mit dem sie das Recht behalten, sich wieder inder Türkei anzusiedeln. Die Wehrpflicht in der Türkeiwäre damit erloschen.

Da das Staatsangehörigkeitsgesetz der Türkei abervorsieht, dass über eine Ausbürgerung das Ministerkomi-tee entscheidet, ist der Interpretation Tür und Tor geöffnet.So verlangen die türkischen Konsulate ab Mitte 30 vonden Betroffenen, das Kopfgeld zu zahlen, bevor sie ausder Staatsbürgerschaft entlassen werden. Wer nicht recht-zeitig kommt, zahlt mehr: Ab 38 Jahren erhöht sich dieSumme auf 7.668 � . Wer älter als 40 ist, muss 10.000 �hinlegen.

Darüber hinaus gibt es für Doppelstaater auch dieMöglichkeit, die Ableistung der Wehrpflicht in Deutsch-land, also z.B. die Ableistung des Zivildienstes, von derTürkei anerkennen zu lassen.

Im November 2007 schrieb Gürsel Yildirim mit Blickauf die bisher gelaufenen Aktivitäten: „Seit Mitte Mai2007 sammelte ich Erfahrungen, die mir paradox er-schienen: Während sich eine Handvoll engagierter Men-schen, die von der Problematik nicht betroffen sind, soli-darisch verhalten und mich unterstützen, schwiegen diemeisten linken ‘Auslandstürken’. Die Betroffenen ärgern

sich über die ganze Angelegenheit der Kopfgelderpres-sung. Jedoch scheint die Angst vor dem türkischen Mi-litär tief in den Knochen zu sitzen. Ein Mix aus Ohn-macht, Befürchtungen über Sanktionen seitens der tür-kischen Behörden, Angst, nicht mehr in die Türkei rei-sen zu können usw. macht es den Betroffenen schwerzu agieren. Es erscheint mir aber paradox, über die Re-volutionspraxen der Vergangenheit und Zukunft zu plau-dern und über ein Thema, das sie unmittelbar trifft, zuschweigen. Dabei müsste die Kopfgelderpressung fürdiejenigen türkischen Männer, die sich als oppositionellzum militaristischen System und den Herrschaftsverhält-nissen in der Türkei verstehen, ein aktuelles Politikfeldsein. Ich werde weiterhin am Ball bleiben und versu-chen, andere Mitstreiter anzusprechen. Im Endeffektwünsche ich mir langfristig eine breite Kampagne.“

KontaktAskerkacagi Memet über E-Mail:[email protected]

Rundbrief „KDV im Krieg“ 5/07 3

Connection e.V.

Betroffene starten Kampagne gegen Kopfgeldzwang

TÜRKEI: Widerstand gegen Kopfgeldzwang

Don Quichottes gesucht!Wer nicht den nationalistischen Wahnvorstellungenverfallen ist, teilt als „Auslandstürke“ auch die militari-stische Sichtweise des türkischen Staates nicht. Manempfindet das Wesen dieser Regelung vielmehr als ei-nen gewaltigen Erpressungsversuch. Es geht schlichtum ein Kopfgeld für „Auslandstürken“, auch wenn da-bei so schön matriarchalisch vom „Mutterland“ gefaseltwird. Diejenigen die sich dem entgegenstellen, stoßenvereinzelt auf die Unterstützung engagierter Men-schen. Doch diese Kopfgeld-Problematik ist keine Pri-vatangelegenheit, sie muss endlich an die Öffentlichkeit.

Da der Einfluss des türkischen Staates über natio-nalistische Medien und Lobbyvereine auch hierzulan-de nicht zu unterschätzen ist, könnte der Kampf ein-zelner „Auslandstürken“ gegen das mächtige Militärals Beschäftigungstherapie eines Don Quichotte er-scheinen. Dennoch gilt: Es gib kein richtiges Leben imfalschen, und eine kritische Haltung insbesondere derbetroffenen „Auslandstürken“ gegen die Kopfgelder-pressung der Türkei würde sich mehr als lohnen.

Eine langfristige Kampagne der „Auslandstürken“gegen die Kopfgelderpressung der Türkei ist nicht nureine solidarische Haltung gegenüber den vielfältigenWiderstandsformen der Kriegsdienstverweigerer in derTürkei, sondern auch ein längst notwendiger Schritt fürdie eigenen Interessen als „Auslandstürken“!

Weder einen Cent noch eine Sekunde für den türki-schen Staat und sein Militär! Das ist die richtige Haltung.

Es fehlt noch an Mitstreitern! „Türkische Männer“als „Don Quichottes“ sind gesucht!

Solidarität mit Halil Savda, Osman Murat Ülke undanderen Kriegdienstverweigerern auf der ganzen Welt!

Askerkacagi Memet Kontakt: [email protected]

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TÜRKEI: Widerstand gegen Kopfgeldzwang

In der „Republik Türkei“ wird bereits den Kindern in derGrundschule beigebracht, dass jeder Türke als Soldat zurWelt kommt1, unterstützt von Lesestoff wie den Aben-teuergeschichten der „kleinen Soldaten“. Ein wesentli-cher Bestandteil des Sportunterrichts besteht in derAusführung von Kommandos wie „stramm stehen“ oder„marschieren“. Für die Sozialisation der Jungen ist derWehrdienst die wichtigste Stufe. Sprüche wie: „Wer sei-nen Wehrdienst nicht ableistet, ist kein richtiger Mann!“2,haben in der türkischen Gesellschaft ihren festen Platz.

Diese Haltung wird vom Generalstab der Türkei alsArgument gegen das elementare Menschenrecht aufKriegdienstverweigerung benutzt: „Wie alle bereits wis-

sen, stellen Traditionen und Normen nicht juristisch for-mulierte Quellen dar. Natürlicherweise ist auch unsereRechtsprechung von unserer Kultur beeinflusst. Dasnach der europäischen Kultur als Norm geltende Rechtauf Kriegdienstverweigerung steht im Widerspruch zuunserem Kulturverständnis und kann deshalb nicht Ge-genstand einer Diskussion sein.“ Als Beispiel diesesKulturverständnisses erwähnt der ranghohe Offizier Er-sin Kaya in der Zeitschrift des Generalstabes absurdeEinstellungen, die innerhalb der türkischen Gesellschaftexistieren würden: „Wer seinen Militärdienst nicht hintersich hat, verdient kein Frau.“ oder ihm werde „die Mut-termilch nicht gegönnt“, wenn er seinen Militärdienstnicht absolviert.3

Auch der Alltagsverstand und die Lebensverhältnis-se der meisten „Auslandstürken“ sind von türkischemNationalismus und solchen militaristischen Sichtweisengeprägt. Dafür sorgen nicht nur die türkischen TV-

Kanäle und Tageszeitungen, sondern auch die zumeistnationalistisch organisierten zahlreichen türkischen Ver-eine und deren Dachorganisationen. „Es gibt heute ei-nen Long-Distance-Nationalismus jener Leute, die in an-deren Ländern leben und sich selbst als nicht völlig ak-zeptierte Minderheit fühlen“.4

Inwieweit selbst hier geborene Jugendliche unterdem Einfluss der rassistisch-nationalistischen türkischenMedien und ihres sozial-politischen Umfelds stehen undvon solchen militaristischen Einstellungen sozialisiertwerden, konnte man bei den Demonstrationen in denletzten Wochen erleben, die teilweise unter Pogrom-stimmung gegen die kurdische Bevölkerung in Berlin,

Hamburg, Hannover oder Kölnstattfanden.

Es ist kein Geheimnis, dassdie Demonstrationen unter demEinfluss der türkischen Konsula-te standen. Organisiert wurdensie von den Grauen Wölfen oderanderen türkisch-nationalisti-schen Vereinen. Nach Angabender Tageszeitung Milliyet vom24.10.07 skandierten dort vor al-lem Jugendliche, dass jeder Tür-ke als Soldat zur Welt komme.

Je nach politischer Lage inder Türkei tauchen die Einstel-lungen auch in den Schulen auf.Pascal Buecker beschrieb in derJungle World 5, wie manche tür-kisch-nationalistisch orientiertenJugendlichen in den Schulenden Türkisch-Unterricht für ihrrassistisches Weltbild nutzen.Angesichts dessen ist es nichtverwunderlich, dass hierzulande

in der türkischen Community die Kopfgeldpflicht6 fast einTabuthema ist.

Zum Wesen der „Republik Türkei“

Um die Hintergründe der aktuellen Entwicklungen in derTürkei zu begreifen, ist es notwendig, einen Blick auf dieGeschichte und das Wesen der „Republik Türkei“ zuwerfen.

Die Gründungsväter der „modernen Türkei“ bestandenaus militärischen Eliten, die während des 1. Weltkriegsals Feldherren fungierten. Als einen der aggressivstenund mörderischen Spätzünder unter den Nationalstaa-ten basiert der türkische Staat auf Vernichtung und Ver-treibung der nicht-muslimischen Bevölkerungsteile, wieder Armenier, Yeziden, Suryanis und Pantos. Darüberhinaus war der Staat von Beginn an nicht für die Bürgergedacht, sondern umgekehrt: Die Bürger und die politi-

4 Rundbrief „KDV im Krieg“ 5/07

Gürsel Yildirim

Türkischer Militarismus, das türkische Problem

Foto: Nick Brauns, Junge Welt

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schen Parteien sind in erster Linie für den Staat undsein Militär da, und jedermann musste sich dementspre-chend verhalten.

Seit Gründung der „Republik Türkei“ 1923 fungiertdas Militär als ein Über-Vater des Staates und isthauptsächlich damit beschäftigt, die demokratische Op-position in Schach zu halten. Seitdem das Einparteien-System in der Türkei 1950 abgeschafft wurde, könnenpolitische Parteien zwar zur Wahl antreten, Koalitionenschmieden oder mit absoluter Mehrheit eine Regierungbilden, aber sie können nicht den gesamten Staat len-ken. Weder die politischen Parteien noch die Gewerk-schaften und andere zivile Organisationen wie die Be-rufskammern dürfen das politische System in der Öf-fentlichkeit laut in Frage stellen, sonst droht ihnen einVerbot. Dem entsprechend müssen sich die Regierun-gen in der Hierarchie der Herrschaftsverhältnisse denMilitärchefs unterordnen. Ihr weiteres „Schicksal“ hängtdavon ab, inwieweit sie die Spielregeln respektieren.Nicht nur das Verfassungsgericht, auch die wichtigstenSchaltstellen des Staates in Legislative, Exekutive undJudikative sind von Militärs besetzt oder werden von ih-nen kontrolliert.

Durch ritualisierte Verlautbarungen des Militärs unterdem Motto „Wir sind von Feinden umzingelt, die die Tür-kei spalten wollen“, werden immer wieder aufs NeueFeindbilder konstruiert. Begründet wird dies damit, dasssie das Erbe von Mustafa Kemal Atatürk - „Vater derTürken“ - schützen würden, die Türkei gegen die inne-ren und äußeren Feinde verteidigen und im Sinne vonAtatürks Modernisierungskurs aufrechterhalten wollen.Es werden Bedrohungsszenarien durch „Islamisten“oder „Terroristen“ beschworen oder es wird vor der „Ko-lonisierung der Türkei“ durch die Europäische Unionund USA gewarnt.

Bestärkt wird dies z.B. durch die Beisetzungsritualefür gefallene Soldaten. Seit sich die PKK dem bewaffne-ten Kampf verschrieben hat, sind diese Beisetzungen inder Tat öffentliche Demonstrationen hochrangiger Mi-litärs, die dort um junge Männer werben und zu Rache-akten gegen die „Terroristen“ anstiften. Während die imKampf gefallenen Soldaten in der Öffentlichkeit scham-los als „Helden“ gefeiert werden, gelten die getötetenkurdischen Töchter und Söhne als „armenische Bastar-de“. „Hoch lebe die Nation“ wird von den Untertanenskandiert. Eltern gefallener Soldaten, die Kritik am Miss-brauch ihrer Söhne äußern, werden in der Öffentlichkeitdiffamiert.7

Durch die vom Militär geschürten Ängste entstehennicht wenige paranoide männliche Persönlichkeiten undweibliche Militärbegeisterte, die das Militär als „Beschüt-zer“ betrachten. Von der antiimperialistischen Rhetorikdes türkischen Nationalismus und der Panikmache destürkischen Militärs vereinnahmt, stehen längst auch tra-ditionell eher linke Aleviten und Teile der türkischen Lin-ken, sowie der größte Teil der Zivilgesellschaft hinterdem Generalstab der Türkei.

Offene und indirekte Putsche

Läuft die gesellschaftliche und politische Entwicklunggegen die Interessen des Militärs, gilt ein Putsch jeder-zeit als legitim. Es hat 1960, 1972, 1980 geputscht undjegliche demokratische Entwicklung des Landes zunich-te gemacht. Auch mehrere Aufstände der Kurden nachGründung der „Republik Türkei“ wurden brutal niederge-schlagen. Seit 1975 ist das türkische Militär als Besat-zungsmacht auf Zypern und verhindert damit jeglicheAnnäherung der „Türken“ an die „Griechen“ der Insel.

Am 27. April 2007 kam es erneut zu einem „Putsch“des Militärs, diesmal jedoch per E-Mail: „Wer sich gegendas Verständnis des unantastbaren Führers Atatürkstellt, ist ein Feind der Republik Türkei.“ Der General-stab meinte damit einen in der Türkei gebetsmühlenartigritualisierten Spruch von Atatürk: „Wie erhaben ist es zusagen: Ich bin ein Türke.“ Als Vorwand für diese E-Mail-Intervention galt die Haltung der mit absoluter Parla-mentsmehrheit regierenden Partei für Gerechtigkeit und

Fortschritt (AKP), die entgegen den Erwartungen desMilitärs den Außenminister Gül als Kandidat für das Amtdes Präsidenten nominiert hatte. Hauptsächlich von denMilitärs veranlasst, ging daraufhin die „hohe türkischeNation“ auf die Straße und folgte damit unter anderemeinem Appell Deniz Baykals, dem Führer der oppositio-nellen Republikanischen Volkspartei (CHP). Laut Baykal,der als zivilpolitischer Arm des Militärs fungiert, sei dieTürkei „eingekreist und belagert“ von der Arbeiterpartei

Kurdistans (PKK), der Europäischen Union und denUSA. Die Türkei drohe zur „Kolonie“ zu verkommen. Erwerde dies mit Hilfe des Militärs zu verhindern wissen.

Die Fortsetzung folgte am 8. Juni 2007. Erneut mel-dete sich der Generalstab per E-Mail: „Die Erwartung(der Armee) ist, massenhaft Reflexe der türkischen Nati-on gegen die terroristischen Ereignisse zu zeigen.“ Die-ser Aufruf war insofern von neuer Qualität, als die Be-völkerung vom Militär direkt aufgerufen wurde, selbstaktiv gegen die von den Militärs als „nicht türkisch“ be-zeichneten Teile der Bevölkerung vorzugehen. Beson-ders gegen die Oppositionellen in den Provinzstädtender Türkei oder in den Ortschaften, in denen Kurdinnenund Kurden leben, ist seitdem ein Anstieg der offen ras-sistischen Aggressionen des aufgehetzten Mobs zu ver-zeichnen; er sieht sich bei Lynchjustiz und Massakerndurch die E-Mails der Paschas gedeckt.

Vor wenigen Tagen beantragte die Generalstaatsan-waltschaft zudem das Verbot der kurdischen Partei für

eine Demokratische Gesellschaft (DTP). Abgeordneteder Partei hatten sich für die Befreiung der Soldaten ein-gesetzt, die von der PKK gefangen genommen und imNordirak festgehalten worden waren. Die Kontakte zurPKK werden ihnen nun zum Vorwurf gemacht. Das Ver-botsverfahren sei keine Überraschung, so Nurettin Demir-tas von der Parteiführung: „Die momentane Lynchkampa-gne und die gegen unsere Partei gerichteten Angriffe rich-ten sich auch gegen unsere Rechtsfähigkeit. Als DTPwerden wir uns weiterhin für ein Schweigen der Waffenund eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einset-zen.“

Rundbrief „KDV im Krieg“ 5/07 5

TÜRKEI: Widerstand gegen Kopfgeldzwang

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TÜRKEI: Widerstand gegen Kopfgeldzwang

Krieg gegen die kurdische Bevölkerung

Seit 1984 hat das so genannte Kurdenproblemtausenden Zivilisten, Guerilleros und Soldatendas Leben gekostet. Rund 4.000 Dörfer sind inKurdistan entvölkert und tausende HektarWald durch „Dorfschützer“, Miliz und Militärszerstört worden. Die Lage spitzt sich weiter zu,die Gesellschaft zerfällt Schritt für Schritt inzwei Lager: Türken und Kurden - ein Bürger-krieg ist somit in der Türkei nicht auszuschlie-ßen. Im Rahmen einer Wahlveranstaltung fürdie Kandidaten und Kandidatinnen der DTPmahnte Leyla Zana am 18. Juli 2007 in Diyar-bakir: „Niemand soll mit unserer Würde spie-len. Zum letzten Mal reichen wir unsere Handfür den Frieden. Falls sie unsere gereichteHand nicht annehmen, ziehen wir diesezurück.“ Für solch einen friedlichen Schritt,scheint es auf der türkischen Seite bisher nie-manden zu geben. Insofern ist das so genann-te „Kurden-Problem“ tatsächlich ein „Türken-Problem“, ein blutiger Konflikt, der in erster Li-nie der Machtstabilisierung des türkischen Mi-litärs dient.

Die Türkei will die „Auslandstürken“ ab 38Jahren nicht aus der türkischen Staatsbürger-schaft entlassen, weil das Militär für die Krieg-führung gegen die kurdische Bevölkerungnicht auf das Kopfgeld der „Auslandstürken“verzichten will. Dieser Krieg dient der Macht-stabilisierung einer militaristischen Clique, dienach dem Parlamentwahlen im Sommer 2007für eine kurze Zeit an Einfluss einbüsste. Nunscheint es so, als ob sie die AKP-Regierungund den Staatspräsident Abdullah Gül unterihre Kontrolle bringen konnte. Der gemeinsa-me Feind - „die Kurden“ - schweißt die Erzri-valen zusammen.

Die gegenwärtig dramatische Entwicklungin der Türkei und Kurdistan verpflichtet uns„Auslandstürken“, dass wir uns positionieren:gegen die rassistisch-aggressive Lynchlustder türkischen Faschisten und gegen diemordlustigen Generäle der Türkei, die sich ge-gen die kurdische Bevölkerung und andereMinderheiten wendet.

Fußnoten1 Her Türk Asker Dogar!2 Askerligini yapmayan adamdan sayilmaz3 Mu. Kur. Bnb. Ersin KAYA : „Vicdani Red Uygula-

masi ve Türkiye: In „Stratejik Arasatirmalar Dergisi,Eylül 2006 Yili: 4 Sayi: 8,: „Das Recht auf Totalver-weigerung und die Türkei“ in der Zeitschrift des Ge-neralstabs der Türkei: „Zeitschrift für StrategischeStudien“

4 B. Anderson: taz vom 06. 08. 075 Jungle World Nr. 45, 20076 Bedelli Askerlik7 Her sey Vatan icin

Gürsel Yildirim

Der deutsche Staat als HandlangerIn der deutschen Gesetzgebung gibt es zahlreiche Hindernisseund bürokratische Blockaden, die Migranten aus der Türkei dasLeben erschweren, so z.B. bei der Einbürgerung.

Wer die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen will, mussbei den deutschen Behörden zunächst einen Antrag auf Einbür-gerung stellen. Ein solcher Antrag hat dann keine Aussicht aufErfolg, wenn der Betreffende zum Beispiel Hartz-IV-Empfängerist oder als hier Geborener wegen etwaiger „Jugendsünden“ poli-zeilich registriert ist.

Mit der Zusicherung, dass die deutsche Staatsbürgerschaftgewährt wird, verlangen die deutschen Behörden zugleichgrundsätzlich, dass der Betreffende beim Konsulat des Her-kunftslandes einen Antrag auf Ausbürgerung stellt. Hintergrunddafür ist die Regelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, dasses keine doppelte Staatsbürgerschaft geben darf.

Nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz der Türkei kann derMinisterrat der Türkei türkische Staatsbürger aus der Staatsbürger-schaft entlassen, wenn diese eine andere Staatsbürgerschaftannehmen. Selbst Wehrpflichtige werden aus der Staatsbürger-schaft entlassen. Wer aber bereits 38 Jahre alt ist - und aufgrundder restriktiven Einbürgerungsregelungen in Deutschland bislangkeine Möglichkeit sah, die deutsche Staatsbürgerschaft zu er-halten - und damit unter die Regelung des Kopfgeldes fällt, vondem wird verlangt, vor der Entlassung das Kopfgeld zu bezahlen.

Es gibt zwar Ausnahmeregelungen im Hinblick auf die Ein-bürgerungsprozedur der zukünftigen „Neu-Deutschen“. Mit denbürokratischen Vorgaben der Behörden wird aber kaum Rück-sicht auf Betroffene genommen, die sich aus moralischen oderethischen Gründen weigern, der Militärpflicht gegenüber ihrem„Mutterland“ nachzukommen.

Die Konsequenz ist, dass die Türkei einen fahnenflüchtlin-gen „Auslandstürken“ ab der Altersgrenze von 38 Jahren wederaus der türkischen Staatsbürgerschaft entlässt, noch den Passverlängert. Da die deutsche Aufenthaltsberechtigung an einengültigen türkischen Pass gekoppelt ist, bringt dies „persönlicheProblem“ zusätzliche Erschwernisse mit sich. Erteilt die Einbür-gerungsbehörde keinen deutschen Pass, fehlt dem „Auslands-türken“, wie B. Brecht es einst formulierte, „der edelste Teil ei-nes Menschen“ und der Betroffene ist auf sich gestellt.

Es ist nicht einfach, die prekären Lebensverhältnisse ohneeinen gültigen Pass zu meistern. Die Konsequenzen einer unge-wissen Alltagssituation dieser „Auslandstürken“ kann man zumTeil mit illegalisierten Flüchtlingen vergleichen.

Die „Illegalität“ für die betroffenen „Auslandstürken“ kommtaber nicht nur deshalb zustande, weil sie nicht ausgebürgertwerden, sondern auch deshalb, weil sie durch die deutsche Ge-setzgebung dazu gezwungen werden. Dies trifft besonders die-jenigen „Auslandstürken“, die weder finanziell in der Lage oderbereit sind, das Geld für ihr Kopfgeld aufzubringen, noch auf-grund gesetzlicher Hindernisse die Voraussetzungen für einerechtzeitige Einbürgerung erfüllen. Weil die gesetzlichen Rege-lungen der Einbürgerung auf die Gegebenheiten von vermeint-lich „ökonomisch nutzlosen Ausländern“ keine Rücksicht neh-men, werden manche von den Behörden in die Illegalität ge-drängt - auch nach 30 Jahren ununterbrochenen Aufenthalts inDeutschland. Ein Beispiel dafür ist Yasars Situation.

6 Rundbrief „KDV im Krieg“ 5/07

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Gürsel Yildirim

Der Fall Yasar

Vom deutschen und vom türkischen Staat in die Zange genommen

Yasar (41) lebt seit 30 Jahren in Deutschland und hatsich so gründlich im türkisch-deutschen Paragraphen-dschungel verheddert, dass er weder ausreichendenUnterhalt für seine Kinder verdienen, noch die Kopf-geldforderung der türkischen Armee bezahlen kann. Erkann sich nicht scheiden lassen und die Türkei nichtbesuchen. Wenn er als Taxifahrer unterwegs ist, muss erjede Verkehrskontrolle fürchten, Behördengänge wer-den für ihn zum unlösbaren Problem. Denn Yasar Ö.hat zwar einen unbefristeten Aufenthaltsstatus, aberkeinen gültigen Pass.

Yasar kam 1977 im Alter von elf Jahren als Familien-nachzügler nach Deutschland und lebt seitdem hier.Nach seinem Abitur studierte er einige Semester, bis eraus gesundheitlichen Gründen das Studium abbrechenmusste. Danach hatte er verschiedene Jobs und mach-te sich schließlich in der Gastronomie selbstständig.

Als sein Betrieb in wirtschaftliche Schwierigkeitengeriet, sammelten sich Verbindlichkeiten an, wie das indieser Branche häufig der Fall ist. Schließlich bestandein Gläubiger auf Abgabe eines Offenbarungseides.Der Verlust seiner Kreditwürdigkeit warf ihn ökono-misch vollends aus der Bahn.

Hinzu kam ein Scheidungsprozess, in dem er sichnoch immer befindet. Aus der Ehe von 1990 gingenzwei Kinder hervor, denen gegenüber er unterhalts-pflichtig ist. Trotz eines Ganztagsjobs kann er seineUnterhaltspflicht nicht in voller Höhe erfüllen. Das Ju-gendamt schießt den Differenzbetrag zwar monatlichzu, wodurch Yasar aber nun auch immer höhere Schul-den beim Jugendamt hat.

Diese Schulden sind der Grund, dass Yasar keineEinbürgerung beantragen konnte, denn Voraussetzungzur Erlangung der Staatsbürgerschaft ist, dass mankeine Verbindlichkeiten hat; schon gar nicht dem deut-schen Staat gegenüber.

Der türkische Staat verweigert ihm andererseits ei-ne Verlängerung seines Passes, solange er nicht dasKopfgeld bezahlt hat - offiziell nennt man diese Proble-matik „Bedelli Askerlik“, Ersatzleistung für Wehrpflicht.Eine Ableistung des Wehrdienstes kommt für Yasar alleinschon deshalb nicht in Frage, weil dann das Jugend-amt den vollen Unterhalt für seine Kinder bezahlenmüsste und damit die Schulden noch rasanter anstiegen.

Yasar beschreibt seine Lebensverhältnisse wiefolgt: „Ich stamme ursprünglich aus der Türkei. Bei unsgilt die Militärpflicht. Für im Ausland lebende türkischeMänner gilt: Der Wehrdienst muss bis zum 38. Lebens-jahr abgeleistet werden, verkürzt auf einige Wochennach einer Zahlung eines „Kopfgeldes“ in Höhe von biszu 10.000 � . Ich lebte jahrelang mit der Hoffnung, die-ses „Kopfgeld“ würde abgeschafft werden. Diese Hoff-

nung wurde einerseits durch die Aufnahmebestrebun-gen der Türkei in die EU und andererseits durch einevorhergehende Reduzierung des zu zahlenden Betragsgenährt. Nichts von alldem traf ein.

Vor zwei Jahren wurde mein Pass vom türkischenKonsulat in Hamburg um drei Monate verlängert, mitdem Hinweis, ich solle die Medien hinsichtlich einer Be-kanntmachung bzw. Gesetzesänderung verfolgen. Seit-dem lebe ich in einer Grauzone. Der unbefristete Auf-enthaltsstatus nützt mir wenig, da der legale Aufenthaltdie Gültigkeit des Passes erfordert. So lebe ich quasi il-legal in Deutschland.

Eine direkte Abschiebung droht mir glaube ich nicht,zumindest wenn man der Auskunft eines Mitarbeitersdes Bezirksamtes Glauben schenken darf. Mir droht le-diglich ein Bußgeld in Höhe bis zu 5000 � für dieses„Vergehen“, falls man zufällig erwischt wird.

Ich würde gern die deutsche Staatsbürgerschaft er-langen, um aus diesem Dilemma herauszukommen.Jedoch gibt es etliche Hindernisse, die es zu überwin-den gilt. Einerseits lässt mich die türkische Seite nichtaus der Staatsbürgerschaft austreten, da der „Dienstam Vaterland“ nicht erfüllt ist. Andererseits ist der Aus-tritt aus der jeweiligen Staatsbürgerschaft jedoch Be-dingung für die deutsche Seite zur Erlangung der hiesi-gen Bürgerrechte. Darüber hinaus muss man „solvent“sein, heißt, keine Verbindlichkeiten insbesondere demdeutschen Staat gegenüber haben.

So beißt sich die Katze in den Schwanz - oder sollteman an die Schlange denken, die sich selbst auffrisst?Die Spirale dreht sich immer weiter.

Dies bedeutet im Alltag, dass ich erforderlicheBehördengänge einfach nicht mache und hoffe, in kei-ne Verkehrskontrollen zu geraten. Wenn dies doch ge-schieht, zeige ich den Führerschein und hoffe, dass al-les glatt geht, da ich logischerweise den Pass nicht beimir habe. Meine Scheidung kann ich nicht durchführen,weil ich befürchte, dass vorm Familiengericht beim Vor-legen des Passes zur Identifikation alles auffliegt. Ichbin froh, dass das türkische Konsulat mit der Auslän-derbehörde keinen Informationsaustausch in dieserHinsicht unterhält. An einen Urlaub außerhalb der Bun-desrepublik ist nicht zu denken. So zieht sich dies wieein roter Faden durch meinen Alltag.

Die Liste ließe sich verlängern. Albträume beschertmir der Gedanke, dass ich mich von meiner Mutteroder meinem siebzigjährigen Vater nicht verabschiedenkann, wenn ihnen in der Türkei etwas passiert. Dieswürde mich mein Leben lang verfolgen.“

Immerhin hat Yasar Ö. inzwischen von der zustän-digen Ausländerbehörde ein auf sechs Monate be-grenztes Ausweisersatzdokument bekommen.

Rundbrief „KDV im Krieg“ 5/07 7

TÜRKEI: Widerstand gegen Kopfgeldzwang

Page 8: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

TÜRKEI: Informationen zur „Freikaufsregelung“

Was ist die „Freikaufsregelung“?Die „Freikaufsregelung“ bzw. Ableistung eines stark ver-kürzten Militärdienstes gegen die Zahlung einer hohenSumme wird im Gesetz „Militärdienst mit Devisenzah-lung“ (Dövizle Askerlik Hizmeti) genannt. Erläutert wirdsie in der 1. Zusatzklausel des Gesetzes zum Militär-dienst (Art. 1111).

Die Möglichkeit des Freikaufs ist nicht wirklich neu:Die Wehrpflicht wurde im Osmanischen Reich zum erstenMal 1842 eingeführt. Schon ab 1856 gab es eine „Frei-kaufsregelung“ für nichtmuslimische Untertanen im wehr-pflichtigen Alter. Viele orthodox-anatolische Griechen so-wie Armenier - Angehörige der zwei großen nichtmusli-mischen Gemeinden - waren u.a. auch im Handelswe-sen tätig und konnten dies in Anspruch nehmen. Die ho-he Wehrersatzgebühr stellte schon damals eine wertvol-le Einnahmequelle für Militär- und Staatsetat dar.

Auch nach dem Zusammenbruch des OsmanischenReiches wurde es per Gesetz in der Geschichte der Re-publik mehr als zehn Mal für kurze Zeiten ermöglicht,durch Zahlung einer hohen Summe einen stark ab-gekürzten Militärdienst abzuleisten, um den Überschussder Wehrpflichtigen für den Staat und die Armee ge-winnbringend zu verwerten.

Wer kann die „Freikaufsregelung“ in Anspruch nehmen?

Eine dauerhafte Regelung zum „Freikauf“ gibt es nichtfür in der Türkei lebende Wehrpflichtige; das Gesetzwird im Inland nur zeitweise und befristet angewendet.In den Zeiten, in denen eine Inanspruchnahme der„Freikaufsregelung“ im Inland möglich ist, ist sie keines-falls ein „Jedermannsrecht“. Allein die Zahlung der fest-gelegten hohen Summe geht über die Verhältnisse ei-nes Durchschnittsbürgers in der Türkei weit hinaus.Außerdem werden die Kandidaten durch eine nurscheinbar gerechte Lösung ermittelt: Damit ist es prak-tisch kaum möglich ohne Beziehung oder Bestechung inden Genuss dieses „Privilegs“ zu kommen.

Privileg für Arbeitsimmigranten

Eine dauerhafte Regelung zum „Freikauf“ gibt es nur fürdie türkischen Staatsangehörigen, die als Arbeitsimmi-granten im Ausland leben und dies auch entsprechendnachweisen können. Gründe für eine dauerhafte Ein-führung der „Freikaufsregelung“ waren:- Die reguläre Dauer des Militärdienstes (mindestens

8 Monate) gefährdete den Aufenthaltsstatus der imAusland lebenden Arbeitsimmigranten. Damit warauch ihre Beschäftigung bzw. ihr Berufsleben beein-trächtigt.

- Die Arbeitsimmigranten aus der Türkei sowie ihreKinder leben ausschließlich in Industrieländern, die

ein hohes Pro-Kopf-Einkommen aufweisen, das weitüber das in der Türkei hinausgeht. So stellen die Be-träge, die von diesen Menschen in ausländischerWährung eingetrieben werden, für das Militär undden Staat eine beachtliche Deviseneinnahme dar.

Die Gesamtsumme, die für den „Freikauf“ festgelegt ist,beträgt 5.112,92 Euro. Dieser Betrag kann wahlweiseauch in Raten bezahlt werden. Bei der Ratenzahlungmuss die erste Rate (1.278,23 Euro) gleich bei der An-tragstellung bezahlt werden. Der Restbetrag (3.834, 69Euro) kann bis zur Vollendung des 38. Lebensalters inhöchstens 3 Raten bezahlt werden.

Die Wehrpflichtigen, die gegen Zahlung der Wehrer-satzgebühr den abgekürzten Dienst ableisten, habenkeinerlei Verfügung darüber, wie ihr Geld verwendetwird!

Zu einem 21-tägigen Dienst ist man trotzdem verpflichtet

Nach Zahlung der Summe ist noch ein 21-tägiger Militär-dienst in der Türkei abzuleisten. Eine völlige Freistellungvon dem Dienst durch den „Freikauf“ ist z.Z. nicht mög-lich, auch wenn es dies in den vergangenen Jahren gab.

Wehrpflichtige, die zwar formell die Voraussetzungenfür die Inanspruchnahme der „Freikaufsregelung“ erfül-len, aber das 38. Lebensjahr bereits vollendet und bisdahin keinen Antrag auf „Freikauf“ gestellt haben undWehrpflichtige, die die Raten nicht bezahlt haben bzw.dem 21-tägigen Dienst nicht nachgekommen sind, kön-nen mit einer sofortigen Zahlung von 7.668,00 Euro beiAntragstellung den „Freikauf“ trotzdem noch in Anspruchnehmen.

Mit anderen Worten, es gibt für die Inanspruchnah-me des Freikaufs keine Altersgrenze, solange sich derBetroffene im Ausland mit einem nicht gültigen türki-schen Pass zurecht findet und eine Reise in die Türkeivermeidet. Die Zeit, in der der Wehrpflichtige als „Mu-sterungsflüchtig“ oder „Deserteur“ gegolten hat, wirdaus strafrechtlicher Sicht nicht wirklich berücksichtigt,sofern der Betroffene bereit ist, die genannten erhöhtenSumme bzw. den restlichen Betrag gleich zu bezahlen.Aber die Betreffenden sind weiterhin verpflichtet, den21-tägigen Militärdienst abzuleisten.

Worin besteht der abgekürzte Dienst?

Der 21-tägige Dienst kann bis zur Vollendung des 38.Lebensalters in einer beliebigen Einberufungsperiode(Celp dönemi) abgeleistet werden. Die Einberufungenfinden jährlich am 2. und 3. Januar, am 1., 2. und 3.April; am 1., 2. und 3. Juli und am 1., 2. und 3. Oktoberstatt. Der Antragsteller kann das Datum der Einberufung

8 Rundbrief „KDV im Krieg“ 4/07

DFG-VK Berlin-Brandenburg

Übersicht zur „Freikaufsregelung“

Page 9: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

beantragen und erhält daraufhin den Einberufungsbe-scheid zugeschickt.

Der abgekürzte Dienst wird unter äußerst flexiblenBedingungen abgeleistet und hat Berichten zufolgemehr den Charakter einer ideologischen Indoktrinationals eines körperlichen Drills. Der 21-tägige Dienst be-steht aus einer militärischen Grundausbildung und wirdbei der Brigadekommandatur für Soldatenausbildung(Burdur Er Egitim Tugay Komutanligi) in Burdur abgelei-stet, einer Kleinstadt im Südwesten der Türkei.

Nach vorliegenden Berichten wird der Dienst unterrelativ günstigen Bedingungen abgeleistet. Es soll mög-lich sein, per Handy in der Kaserne zu telefonieren,Mahlzeiten aus nahe liegenden Restaurants zu bestel-len und weitere Privilegien in Anspruch zu nehmen, diein einer normalen Kaserne keinesfalls toleriert würden.Einigen Berichten zufolge verlässt man die Kaserne,„ohne eine einzige Kugel ab-gefeuert zu haben“.

Ab der zweiten Wochebesteht etwa die Hälfte derGrundausbildung aus derobligatorischen Teilnahmean Vorträgen, die darauf be-dacht sind, die im Auslandlebenden Türken im Sinnedes Militärs ideologisch zubeeinflussen. Einige dieserVorträge tragen beispiels-weise folgende Titel: DerTerror (zur PKK), Unsere ge-opolitische Lage (zu den andie Türkei angrenzendenNachbarstaaten und ihrenPlänen), Türkisch-armeni-sche Beziehungen, Lobbyar-beit im Ausland, Nationalis-mus und Atatürk, Bürgerkun-de für Doppelstaater etc.

Ebenso ist man verpflich-tet zur Teilnahme an einer„Konsultation“ mit einem hochrangigen Soldaten und ei-ner anschließenden anonymen Umfrage, bei der es u.a.auch um die den Teilnehmern bekannten „feindlichen“Organisationen oder Personen im Ausland geht. Freiwil-lige würden gar ermuntert, eigenständig einen schriftlichenBericht über ein vorgegebenes Thema anzufertigen.

Nach Zahlung des Freikaufbetrags und Ableistungdieses Dienstes erhalten die Wehrpflichtigen die Entlas-sungsbescheinigung (Kesin terhis belgesi), die alsNachweis gilt, dass die Wehrpflicht erfüllt wurde.

Recht auf „Freikauf“?

Es ist deutlich, dass die „Freikaufsregelung“ keineswegsauf einer Anerkennung der Rechte und Freiheiten desIndividuums seitens des Staates beruht. Im Gegenteil:Es ist ein deutliches Bespiel dafür, wie Rechte und Frei-heiten der Menschen per Gesetz ausgeraubt, sozialeUngleichheiten hergestellt und ausgenutzt werden.

Während die Zahl der Deserteure in die Tausende reichtund Tausende von wehrpflichtigen Männern durch denZwang zur Erfüllung der Wehrpflicht zum Töten gezwun-gen werden, schaffen Staat und Militär Privilegien fürbestimmte Gruppe, nötigen diese Menschen, die Kostender Gewalt und des Kriegswahns mitzutragen und sichmit dem Zwang der Wehrpflicht abzufinden.

Während die Menschen widerwillig und durch denZwang des Staates und der Gesellschaft ihr Leben ris-kieren, die Schikane und Herabwürdigung der Armeeüber sich ergehen lassen, werden die „besser verdien-enden Bürger“ erpresst, die ihrem ganz natürlichen In-stinkt folgen, ihr eigenes Leben und die der anderen zubeschützen.

Das türkische Verfassungsgericht beschloss, dassdie „Freikaufsregelung“ das verfassungsrechtliche Prin-zip der Gleichheit nicht verletzt. Alleine der Konflikt zwi-

schen der PKK und der türkischen Armee kostete in denletzten 15 Jahren über 30.000 Menschenleben. Ange-sichts der Tatsache, dass dies ohne Wehrpflicht nichtmöglich gewesen wäre, ist dieser Beschluss als selbst-herrlicher Zynismus des türkischen Staates anzusehen.Es ist ohne Zweifel eine verkappte Maßnahme, um dassogenannte Recht auf „Freikauf“ mit der rechtstaatlichenFassade in Einklang zu bringen.

Was können Doppelstaater und Immigrantenmit türkischer Staatsangehörigkeit tun?

Wehrpflicht sowie Militär sind höchst verabscheuungs-würdige Formen der organisierten Menschenverach-tung. Sie sollten in keiner Form unterstützt werden.

Wir raten deshalb Doppelstaatern, sich nicht mitdem „kleinerem Übel“ des Freikaufs abzufinden undrechtzeitig die türkische Staatsangehörigkeit aufzuge-ben. Mit der von den türkischen Behörden ausgestellten

Rundbrief „KDV im Krieg“ 4/07 9

TÜRKEI: Informationen zur „Freikaufsregelung“

Aktion des Bündnisses für Kriegsdienstverweigerung am 5. Juni 2007 in Istanbul. Am gleichen Taggab es auch Solidaritätsaktionen in den USA, in Großbritannien, Irland, Italien und Griechenland.

Page 10: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

TÜRKEI: Informationen zur „Freikaufsregelung“

Rosa Karte können Sie auch nach der Ausbürgerungohne nennenswerte Nachteile oder Einschränkungen inder Türkei leben.

Sollten Sie keine weitere Staatsangehörigkeit haben,so erkundigen Sie sich frühzeitig, ob Sie in Deutschlanddie Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen. Bei denentsprechenden Behörden und Beratungsstellen wer-den Sie genügend Informationen zur Einbürgerung er-halten. Nutzen Sie die Zeit, in der der Militärdienstzurückgestellt wird, für Ihre Ausbürgerung!

Haben Sie einen Teil des Freikaufsbetrages bereitsbezahlt, so können Sie ihn nur dann zurückerstattet be-kommen: a) wenn Sie die türkische Staatsangehörigkeitaufgeben oder aus der türkischen Staatsangehörigkeitentlassen werden; b) wenn Sie sich aus gesundheitli-chen Gründen ausmustern lassen.

Wie können Sie sich ausmustern lassen?

Sie können in Deutschland im türkischen Konsulat einenAntrag auf Ausmusterung stellen, wenn Sie glauben,dass Sie aus gesundheitlichen Gründen für die Armee„untauglich“ sind. Dafür benötigen sie einschlägige me-dizinische Atteste von Ärzten, die von den türkischenBehörden anerkannt werden. Die türkischen Konsulatehaben eine Liste dieser Ärzte vorliegen. Die Atteste undalle weiteren relevanten Dokumente müssen in beglau-bigten türkischen Übersetzungen vorliegen. Der Antragwird zuerst vom Konsulat geprüft, dann an die zentraleGesundheitsbehörde des Nationalen Verteidigungsmini-steriums weitergeleitet und dort entschieden.

Wenn die Gesundheitsbehörde das Attest für dieAusmusterung nicht ausreichend findet, was in der Re-gel der Fall ist, müssen Sie sich in einem Militärkranken-haus in der Türkei erneut untersuchen lassen. SolangeSie keine gravierende körperliche Behinderung haben,sollten Sie mit einer Aufforderung der Militärbehörde zueiner weiteren Untersuchung in der Türkei rechnen.Auch wenn der Antrag im Ausland gestellt werden kann,akzeptiert das türkische Militär die ausländischen Attestein der Regel nicht und fordert eine weitere Untersu-chung in bestimmten türkischen Militärkrankenhäusern,die ihnen ebenfalls vom Konsulat bekannt gegeben wer-den.

Das Verfahren zur Ausmusterung in der Türkei giltauch dann, wenn sie als deutscher Staatsangehörigeruntauglich gemustert wurden und eine entsprechendeUntauglichkeitsbescheinigung vorlegen können.

Wenn Sie ausgemustert worden sind, den Freikaufs-betrag aber schon teilweise bezahlt haben, bekommenSie den Betrag nach einer entsprechenden Anforderungzurückerstattet.

Was passiert, wenn man die Wehrpflicht völlig ignoriert?

Wenn Sie bezüglich der Zurückstellung des Militärdien-stes nichts unternehmen und mit Hilfe Ihrer weiterenStaatsangehörigkeit ohne Probleme gelebt haben, soll-ten Sie die Einreise in die Türkei vermeiden. Für die tür-

kischen Behörden ist Ihre zweite Staatsangehörigkeit ir-relevant: Sie würden dort wie ein Fahnenflüchtiger be-handelt und der Rekrutierungsbehörde überstellt. Da diedoppelte Staatsangehörigkeit seitens des deutschenStaates sowieso unerwünscht und eigentlich nicht ge-stattet ist, aber faktisch ignoriert wird, sollten Sie nichtdavon ausgehen, dass das deutsche Konsulat sich ein-setzen würde, um Ihre Zwangsrekrutierung zu verhin-dern - schon gar nicht in der Türkei.

Wenn Sie zurückgestellt worden sind, aber trotz desvollendeten 38. Lebensjahres weder den Freikaufsbe-trag bezahlt noch Dienst abgeleistet haben, wird Ihr tür-kischer Pass vom Konsulat nicht mehr verlängert. Da IhrPass in Deutschland zugleich als Ihr Personalausweisgilt, werden Sie auch nicht mehr im Besitz eines gülti-gen Ausweises sein. Dies wird Ihnen sicherlich Schwie-rigkeiten bereiten, wo und wann immer Sie sich auswei-sen müssen.

Wenn Sie keine deutsche Staatsangehörigkeit, le-diglich einen Aufenthaltstitel haben, ist dieser an ein gül-tiges Ausweisdokument gebunden. Nach § 52 Abs. 1Nr. 1 AufenthG kann der Aufenthaltstitel widerrufen wer-den, wenn es keinen gültigen Pass oder Passersatzmehr gibt. Wenn Sie sich in einem solchen Fall für einePassverlängerung an das türkische Konsulat oder Bot-schaft wenden, werden Sie mit Sicherheit mit der Bedin-gung konfrontiert, zuerst die Wehrpflicht zu erfüllen bzw.sich mit der Zahlung von 7.668,00 Euro freizukaufen.

Weil die Passpflicht von den deutschen Behörden an„zumutbare Bedingungen“ geknüpft wird und die Behör-den die Ableistung des Militärdienstes als zumutbar er-achten, wird auch die Zahlung für die „Freikaufsrege-lung“ als zumutbar angesehen. Auch die Ablehnung desMilitärdienstes, z.B. wegen Kriegsdienstverweigerung,ändert für die deutschen Behörden nichts daran.

Eine Abschiebung in einem solchen Fall ist aberziemlich unwahrscheinlich, solange sie verheiratet sind,Ihre Ehefrau im Besitz der deutschen bzw. einer ande-ren EU-Staatsangehörigkeit ist und Sie im Besitz einer„Niederlassungserlaubnis“ oder einer „Aufenthaltser-laubnis“ sind. In diesem Fall könnten sie folgendes Vor-gehen in Erwägung ziehen, um die Zahlung für die„Freikaufsregelung“ zu verweigern: Sie sollten sichrechtzeitig und nachweisbar vor Ablauf des Passes umeine Verlängerung des Passes bemühen. Wenn danndie Gültigkeit Ihres Passes ausläuft, können sie einenAntrag auf „Reiseausweis für Ausländer im Inland“ stel-len. Gegen einen ablehnenden Bescheid können SieKlage einreichen. Während das Verfahren anhängig ist,sollten Sie parallel einen Ausweisersatz für die „Nieder-lassungserlaubnis“ oder „Aufenthaltserlaubnis“ beantra-gen (nach §§ 5ff Aufenthaltsverordnung). Für diesesVerfahren ist es unbedingt sinnvoll, einen Rechtsanwalthinzuziehen.

Übrigens sollten Sie nicht davon ausgehen, dass Sieirgendwann aus der türkischen Staatsangehörigkeit ent-lassen würden, da diese Regelung vom türkischen Par-lament aufgrund der steigenden Zahl der Staatenlosenund durch den Druck der deutschen Behörden 2003 ab-geschafft wurde.

10 Rundbrief „KDV im Krieg“ 4/07

Page 11: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

Aufgrund einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten UllaJelpke (Die Linke) bezüglich der Einbürgerung von türki-schen Staatsbürgern möchten wir uns im Folgendeneingehender mit der Frage beschäftigen, unter welchenUmständen eine Einbürgerung von ausländischenWehrpflichtigen in Deutschland in Frage kommt, die we-gen der Nichtableistung von Militär- oder Ersatzdienstim Heimatland nicht aus der Staatsbürgerschaft entlas-sen werden. Das ist insofern von großer Bedeutung, alsdas deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz (StaG) vondem Grundsatz ausgeht, dass es keine doppelte Staats-bürgerschaft geben darf. In der Realität gibt es jedocheine Reihe von Ausnahmen. Zu den allgemeinen Rege-lungen zur Einbürgerung siehe untenstehende Darstel-lung.

Viele Staaten, in denen es eine Wehrpflicht gibt, ma-chen die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft davonabhängig, dass der Militär- bzw. Ersatzdienst abgelei-

stet worden ist. Damit haben im Ausland Wehrpflichtigeerhebliche Schwierigkeiten, eine grundlegende Bedin-gung für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaftzu erfüllen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz selbstkennt hier nur die Formulierung, dass bei einer „unzu-mutbaren Bedingung“ für die Entlassung auch einezweite Staatsbürgerschaft toleriert werden kann. Wasdas konkret bedeutet, wird in den Anwendungshinwei-sen des Bundesministerium des Innern erläutert. Hierwurden tatsächlich einige bisherige Regelungen über-nommen, die z.B. ausländischen Kriegsdienstverweige-rern erweiterte Möglichkeiten zur Einbürgerung eröff-nen.

Interessant sind insbesondere die Ausnahmerege-lungen nach § 12 StaG - und hier der Satz 2 Nr. 3. DieAnwendungshinweise des Bundesinnenministeriumnennen mehrere Fälle, wann eine Mehrstaatigkeit vonden deutschen Behörden zu tolerieren ist:

Rundbrief „KDV im Krieg“ 6/09 11

Rudi Friedrich

Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit

Möglichkeiten für türkische (und andere ausländische) Wehrpflichtige

TÜRKEI: Kopfgelderpressung

Bundesregierung

Einbürgerung - Allgemeine Hinweise

Ein Anspruch auf Einbürgerung besteht, wenn folgen-de Voraussetzungen vorliegen: - Unbefristetes Aufenthaltsrecht oder Aufenthaltser-

laubnis zum Zeitpunkt der Einbürgerung;- Seit acht Jahren gewöhnlicher und rechtmäßiger

Aufenthalt in Deutschland;- Lebensunterhaltssicherung (auch für unterhaltsbe-

rechtigte Familienangehörige) ohne Sozialhilfe undArbeitslosengeld II („Hartz IV“);

- Ausreichende Deutschkenntnisse;- Kenntnisse über die Rechts- und Gesellschaftsord-

nung sowie die Lebensverhältnisse in Deutschland(„Einbürgerungstest“);

- Keine Verurteilung wegen einer Straftat;- Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen

Grundordnung des Grundgesetzes der Bundesre-publik Deutschland;

- Verlust bzw. Aufgabe der alten Staatsangehörig-keit.

Wenn eine der Voraussetzungen für die Anspruchsein-bürgerung fehlt, kann eine Einbürgerung nach Ermes-sen der Behörden erfolgen. Sie gibt den Einbürge-rungsbehörden die Möglichkeit zur Einbürgerung,wenn ein öffentliches Interesse daran besteht und Min-destanforderungen erfüllt sind. Folgende Vorausset-zungen werden von den Einbürgerungsbehörden inder Regel verlangt:- Die alte Staatsangehörigkeit muss bei der Einbür-

gerung verloren oder aufgegeben werden;- Nachweis ausreichender deutscher Sprachkennt-

nisse;- Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung

und der Lebensverhältnisse in Deutschland wie beider Anspruchseinbürgerung.

Auch die Ermessenseinbürgerung wird in der Regelerst nach acht Jahren Aufenthalt vorgenommen.

Für bestimmte Personengruppen gelten besondereRegelungen:- Ehegatten von eingebürgerten Ausländern sollen

bereits nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschlandmit eingebürgert werden, wenn die Ehe zwei Jahreim Bundesgebiet bestanden hat.

- Ehegatten und eingetragene Lebenspartner vonDeutschen haben einen Regelanspruch auf Einbür-gerung nach drei Jahren rechtmäßigen Aufenthaltin Deutschland, wenn die Ehe zwei Jahre im Bun-desgebiet bestanden hat.

- Bürger der Europäischen Union und der Schweizmüssen ihre bisherige Staatsbürgerschaft nicht auf-geben.

- Bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingenwird die Mehrstaatigkeit generell hingenommen.

Quelle: Bundesregierung. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerIntegration/Einbuergerung/einbuergerung.html

Page 12: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

TÜRKEI: Kopfgelderpressung

- Wenn der Wehrpflichtige über 40 Jahre alt ist, seitmehr als 15 Jahren nicht mehr im Herkunftsstaatund mindestens zehn Jahre in Deutschland lebt.

- Wenn der Wehrpflichtige durch die Ableistung desMilitärdienstes in eine bewaffnete Auseinanderset-zung mit der Bundesrepublik Deutschland oder ei-nem verbündeten Staat verwickelt werden könnte.

- Wenn der Wehrpflichtige zur Ableistung des Militär-dienstes für mindestens zwei Jahre ins Ausland gehenmüsste und in einer familiären Gemeinschaft mit sei-ner Ehegattin und einem minderjährigen Kind lebt.

- Wenn sich der Wehrpflichtige aus Gewissensgrün-den der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwi-schen den Staaten widersetzt und es keine Möglich-keit der Ableistung eines Ersatzdienstes gibt. Umdiese Regelung in Anspruch nehmen zu können,werden die deutschen Behörden sicher eine aus-führliche Begründung zur Kriegsdienstverweigerungverlangen.

- Wenn als Freikaufssumme die Zahlung von mehr alsdem Dreifachen eines durchschnittlichen Bruttomo-natseinkommens verlangt wird. Die Zahlung der vonder Türkei verlangten Freikaufssumme von 5.112,92e wird allerdings als zumutbar angesehen.

- Wenn der Wehrpflichtige in zweiter oder dritter Gene-ration in Deutschland lebt. Für diese Personengruppewird auch ein Freikauf als nicht zumutbar angesehen.

Praktische Konsequenzen für ausländische Wehrpflichtige

Wer unter eine dieser Gruppen fällt, kann also eingebür-gert werden, auch wenn eine Entlassung aus der bishe-rigen Staatsbürgerschaft nicht möglich ist. Das ist fürviele Betroffene sicherlich hilfreich.

Allerdings ist zu bedenken, dass der Betreffendeweiterhin der Wehrpflicht im Herkunftsstaat unterliegt.Selbst wenn er mit dem neuen deutschen Pass seineEltern oder Verwandten im Herkunftsland besucht, drohtihm dort die Rekrutierung und gegebenenfalls Strafver-folgung wegen nichtabgeleistetem Militärdienst. Das giltauch für die zweite oder dritte Generation.

Zudem sehen die Regelungen nicht vor, dass dieAbleistung eines Ersatzdienstes unzumutbar sei.

Doppelstaater

Wer die deutsche Staatsangehörigkeit bereits als Ju-gendlicher oder junger Erwachsener erwirbt, wird damitauch in Deutschland wehrpflichtig. Nach den aktuellenRegelungen werden Wehrpflichtige nur bis zur Vollen-dung des 23. Lebensjahres einberufen. Falls Doppel-staater in Deutschland vorher gemustert und für tauglicherklärt wurden, sind sie also zwei Mal wehrpflichtig.

Aufgrund verschiedener Abkommen hat sichDeutschland mit einigen Ländern, darunter Türkei undGriechenland, darauf verständigt, dass die Ableistungdes Militär- bzw. Ersatzdienstes in einem Land durchdas andere anerkannt wird. Wer diese Regelung in An-spruch nehmen will, muss sie rechtzeitig beantragen.

12 Rundbrief „KDV im Krieg“ 6/09

Staatsangehörigkeitsgesetz (StaG)

§ 12 (1) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr.4* wird abgesehen, wenn der Ausländer seine bisheri-ge Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter beson-ders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Dasist anzunehmen, wenn 1. das Recht des ausländischen Staates das Aus-scheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vor-sieht, 2. der ausländische Staat die Entlassung regelmäßigverweigert, 3. der ausländische Staat die Entlassung aus derStaatsangehörigkeit aus Gründen versagt hat, die derAusländer nicht zu vertreten hat, oder von unzumut-baren Bedingungen abhängig macht oder über denvollständigen und formgerechten Entlassungsantragnicht in angemessener Zeit entschieden hat, 4. der Einbürgerung älterer Personen ausschließlichdas Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entgegen-steht, die Entlassung auf unverhältnismäßige Schwie-rigkeiten stößt und die Versagung der Einbürgerungeine besondere Härte darstellen würde, 5. dem Ausländer bei Aufgabe der ausländischenStaatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesonde-re wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art ent-stehen würden, die über den Verlust der staatsbürger-lichen Rechte hinausgehen, oder 6. der Ausländer einen Reiseausweis nach Artikel 28des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechts-stellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt. (2) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr.4* wird ferner abgesehen, wenn der Ausländer dieStaatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaatesder Europäischen Union oder der Schweiz besitzt. (3) Weitere Ausnahmen von der Voraussetzung des §10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4* können nach Maßgabe völker-rechtlicher Verträge vorgesehen werden.

* § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 : „Ein Ausländer, der seitacht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Auf-enthalt im Inland hat und handlungsfähig nachMaßgabe des § 80 des Aufenthaltsgesetzes odergesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubür-gern, wenn er (...) seine bisherige Staatsan-gehörigkeit aufgibt oder verliert.“

§ 12 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG), zuletzt geändert am 5.2.2009.

Wer in Deutschland ausgemustert oder gar nicht ein-berufen wurde, kann diese Regelung nicht in Anspruchnehmen. Dann besteht weiterhin die Wehrpflicht im an-deren Land, mit allen Konsequenzen.

Besondere Regelungen zur Türkei

Viele Anfragen erhalten wir von türkischen Wehrpflichti-gen, die auf Dauer in Deutschland leben. Sie sind zum

Page 13: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

Teil bereits Ende 30 und werden von der Türkei dazuverpflichtet, den bis zu 15 Monate dauernden Militär-dienst abzuleisten oder eine Freikaufssumme von5.112,92 e zu zahlen und einen dann verkürzten Militär-dienst von vier Wochen abzuleisten. Ausführlich hattenwir dies im Rundbrief „KDV im Krieg“, Juli 2007, be-schrieben. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerungkennt die Türkei nicht.

Falls die Betroffenen der Forderung zur Ableistungdes Militärdienstes oder der Zahlung der Freikaufssum-me nicht nachkommen, verlängern die türkischen Kon-sulate die Pässe nicht. Das hat zur Konsequenz, dassauch der deutsche Aufenthaltstitel in Frage gestellt ist.Deutsche Behörden stellen hier zum großen Teil „Fikti-onsbescheinigungen“ aus. Diese sind mit der Aufforde-rung verbunden, die Frage der Wehrpflicht in der Türkeizu klären. Das hat aber erhebliche Konsequenzen be-

züglich Reisemöglichkeiten, Arbeitsmöglichkeiten undauch beim Bezug von Hartz IV.

Die Türkei bietet jedoch eine einfache Möglichkeit,diesem Problem zu entgehen. Wer früh genug die deut-sche Staatsangehörigkeit beantragt und erwirbt, wirdohne Probleme aus der türkischen Staatsbürgerschaftentlassen. Nach den uns vorliegenden Berichten vonBetroffenen gibt es keinerlei Schwierigkeiten, solangeder Antrag auf Ausbürgerung früh genug gestellt wird.Nach dem 30. Lebensjahr verlangen die türkischen Kon-sulate aber gerne die Freikaufssumme, auch wenn esdafür keine rechtliche Grundlage gibt.

Eine weitere Möglichkeit könnte die Ausmusterungdarstellen. Für türkische Wehrpflichtige sind hier hoheHürden gesetzt. Die Konsulate fordern von den Betroffe-nen amtlich übersetzte und beglaubigte Atteste, diedann den Militärbehörden in der Türkei vorgelegt wer-den. Das Militär verlangt jedoch in aller Regel, dass die

Betroffenen selbst in die Türkei reisen und die Untaug-lichkeit in einem Militärkrankenhaus überprüft wird.Auch hier wurde uns berichtet, dass die Ausmusterungvon der Zahlung der Freikaufssumme abhängig ge-macht wird.

Proteste und Aktionen

Es ist sehr erfreulich, dass es einige türkische Wehr-pflichtige gibt, die gegen die Freikaufsregelung vorge-hen. Bereits im Jahr 2007 begannen sie gegen dieKopfgelderpressung zu arbeiten. Der Widerstand dage-gen „ist nicht nur eine solidarische Haltung gegenüberden vielfältigen Widerstandsformen der Kriegsdienstver-weigerer in der Türkei“, so schreiben sie in ihrem Aufruf,„sondern auch ein längst notwendiger Schritt für die ei-genen Interessen als ‚Auslandstürken’! Weder einen

Cent noch eine Sekunde für den türkischen Staat undsein Militär! Das ist die richtige Haltung. Es fehlt noch anMitstreitern! ‚Türkische Männer’ als ‚Don Quichottes’sind gesucht! Solidarität mit Halil Savda, Osman MuratÜlke und anderen Kriegdienstverweigerern auf derganzen Welt!“

Dem können wir uns nur anschließen.

Kontakt: [email protected]

Rundbrief „KDV im Krieg“ 6/09 13

TÜRKEI: Kopfgelderpressung

Wandzeitung auf dem Kongress zur Kriegsdienstverweigerung, 27./28. Januar 2007 in Istanbul

Page 14: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

TÜRKEI: Kopfgelderpressung

14 Rundbrief „KDV im Krieg“ 6/09

Bundesministerium des Innern

Vorläufige Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz

12 Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit

12.0 Allgemeines § 12 regelt Ausnahmen vom Erfordernis der Vermei-dung von Mehrstaatigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4)Sofern einer der in den Absätzen 1 und 2 bestimmtenFälle vorliegt, erfolgt die Einbürgerung oder Miteinbür-gerung, ohne dass die Aufgabe oder der Verlust derbisherigen Staatsangehörigkeit erforderlich ist.

12.1.2.1 Rechtliche Unmöglichkeit des Ausscheidensaus der ausländischen StaatsangehörigkeitNach Satz 2 Nr. 1 erfolgt die Einbürgerung unter Hin-nahme von Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungsbewer-bern, deren Herkunftsstaat die Aufgabe oder den Ver-lust rechtlich nicht vorsieht. 12.1.2.2 Faktische Unmöglichkeit des Ausscheidensaus der ausländischen StaatsangehörigkeitSatz 2 Nr. 2 betrifft die faktische Unmöglichkeit desAusscheidens aus der bisherigen Staatsangehörigkeit.Regelmäßig verweigert wird die Entlassung in diesemSinn, wenn Entlassungen nie oder fast nie ausgespro-chen werden. Liste der Staaten, die faktisch keine Ent-lassung vornehmen: Afghanistan, Algerien, Eritrea,Iran, Kuba, Libanon, Marokko, Syrien und Tunesien.12.1.2.3 Versagung der Entlassung; unzumutbare Ent-lassungsbedingungen; Nichtbescheidung eines Entlas-sungsantrags12.1.2.3.1 Versagung der EntlassungDie Versagung der Entlassung setzt grundsätzlich eineeinen Entlassungsantrag ablehnende schriftliche Ent-scheidung voraus. Eine Versagung der Entlassungliegt auch dann vor, wenn eine Antragstellung auf eineEntlassung trotz mehrerer ernsthafter und nachhaltigerBemühungen des Einbürgerungsbewerbers und trotzamtlicher Begleitung, soweit sie sinnvoll und durchführ-bar ist, über einen Zeitraum von mindestens sechs Mo-naten hinweg nicht ermöglicht wird.12.1.2.3.2 Unzumutbare Entlassungsbedingungen12.1.2.3.2.1 Eine unzumutbare Bedingung im Sinne desSatzes 2 Nr. 3, 2. Fallgruppe liegt insbesondere vor,wenn die bei der Entlassung zu entrichtenden Gebühren(einschließlich Nebenkosten) ein durchschnittlichesBruttomonatseinkommen des Einbürgerungsbewer-bers übersteigen und mindestens 1.278,23 e betragen. 12.1.2.3.2.2 Macht der Herkunftsstaat die Entlassungaus der Staatsangehörigkeit von der Leistung desWehrdienstes abhängig, so ist dies eine unzumutbareEntlassungsbedingung, wenn der Einbürgerungsbe-werber a) über 40 Jahre alt ist und seit mehr als 15 Jahrenseinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Her-kunftsstaat hat, davon mindestens zehn Jahre im Inland,

b) durch die Leistung des Wehrdienstes in eine be-waffnete Auseinandersetzung mit der BundesrepublikDeutschland oder mit einem mit der BundesrepublikDeutschland verbündeten Staat verwickelt werdenkönnte, c) zur Ableistung des Wehrdienstes für mindestenszwei Jahre seinen Aufenthalt im Ausland nehmen müs-ste und in einer familiären Gemeinschaft mit seinemEhegatten und einem minderjährigen Kind lebt oder d) sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an je-der Waffenanwendung zwischen den Staaten wider-setzt und die Leistung eines Ersatzdienstes durch denHerkunftsstaat nicht ermöglicht wird. Kann die nach den Buchstaben a) bis d) unzumutbareWehrdienstleistung durch Zahlung einer Geldsummeabgewendet werden („Freikauf“), so ist dies in der Re-gel unzumutbar, wenn das Dreifache eines durch-schnittlichen Bruttomonatseinkommens des Einbürge-rungsbewerbers überschritten wird. Ein Betrag von5.112,92 e (umgerechnet von 10.000 DM) ist immerzumutbar. Im Rahmen der Zumutbarkeit ist auch an dieser Stelle zuprüfen, ob die Leistung ausländischen Wehrdienstesfür im Inland aufgewachsene Einbürgerungsbewerberzumutbar ist. Die Erfüllung der Wehrpflicht (ist) im Her-kunftstaat für Einbürgerungsbewerber zusätzlich unzu-mutbar, die bereits in der zweiten und weiteren Gene-rationen in Deutschland leben. Auch ein Freikauf istdieser Personengruppe generell nicht mehr zuzumuten. 12.1.2.3.3 Nichtbescheidung eines EntlassungsantragsMehrstaatigkeit ist regelmäßig hinzunehmen, wennzwei Jahre nach Einreichen eines vollständigen undformgerechten Entlassungsantrags eine Entlassungaus der Staatsangehörigkeit nicht erfolgt ist. 12.2 Einbürgerung von EU-Ausländern und Staatsan-gehörigen der SchweizBei Staatsangehörigen aus den anderen Mitgliedstaa-ten der Europäischen Union und bei Staatsangehöri-gen der Schweiz gilt ohne Einschränkung die Einbür-gerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Die Frageder Zumutbarkeit der Leistung ausländischen Wehr-dienstes ist unter § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2.Alt. zu prü-fen (vergleiche Nummer 12.1.2.3.2.2). 12b.1.3 Anrechnung von WehrpflichtzeitenNach Satz 3 besteht der gewöhnliche Aufenthalt auchbei der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Her-kunftsstaat fort, wenn der Ausländer innerhalb von dreiMonaten nach der Entlassung aus dem Wehr- oder Er-satzdienst wieder einreist.

Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums desInnern zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 5. Februar 2009(BGBl. I S. 158). 17. April 2009. Auszüge.

Page 15: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

Seit zum Tabuthema Kopfgelderpressung im Jahre2007 einige Beiträge veröffentlicht wurden, meldetensich viele der Betroffenen über unsere [email protected] zu Wort. Wir wol-len einige Rückmeldungen dokumentieren, um die Pro-blematik deutlich zu machen. Alle Namen sind geändert.

Offiziell nennt man das Problem der „Auslandstür-ken“ „Bedelli Askerlik“, Ersatzleistung für die Wehr-pflicht. Lebt ein türkischer Staatsbürger im Ausland, hat

er bis zu seinem 38. Geburtstag die Summe von5.112,92 e zu zahlen und drei Wochen unter militäri-scher Aufsicht in Burdur abzusitzen. Überschreitet er dieAltersgrenze von 38 Jahren erhöht sich die Summe fürdas Freikaufen auf 7.668 e. Für über 40-jährige gibt eshin und wieder eine „Amnestie“, wenn sie 10.000 e zah-len.

Die Türkei definiert diese Regelung als „Service fürAuslandstürken“. Wer diesen „Service“ nicht akzeptiert,gilt jedoch mit 38 Jahren als fahnenflüchtig. Teilt mandie Sichtweise des türkischen Staates nicht, empfindet

man diese Regelung als einen gewaltigen Erpressungs-versuch. Es geht schlicht um ein Kopfgeld. Erpresstwerden alle mit türkischer Staatsbürgerschaft, seien sieKurden, Armenier, Süryanis ...

Wer mit türkischer Staatsbürgerschaft in Deutsch-land lebt und sich der Zahlung und Ableistung des drei-wöchigen Dienstes verweigert, sich also gegen BedelliAskerlik entscheidet, muss erleben, dass er trotzlangjährigem Aufenthalt in die Illegalität gezwungen

wird. Aber nicht nur das zwingt Betroffene

dazu, tausende von Euros auf das Kontodes türkischen Militärs zu überweisen.Auch wer sich um Angehörige in der Tür-kei kümmern will oder einfach nur die El-tern in der letzten Lebensphase begleitenwill, sieht sich zur Zahlung genötigt. An-dere beschreiben ihre Lebensverhältnis-se als Sackgasse, leisten jedoch stillenWiderstand mit ungewissen Konsequen-zen und Zukunftsvorstellungen.

„Mit Schuldschein geboren“

Wer glaubte, als Doppelstaater mit ei-nem deutschen Pass das Problem lö-sen zu können, sah sich getäuscht.Der Doppelpass stempelt die Betroffe-nen zum „Zwangstürken“. Mustafa N.berichtet:„Ich wurde 1964 geboren und lebe seit1967 in Deutschland. Ich bin eingebür-gert, aber immer noch Zwangstürke, daich den Militärdienst nicht abgeleistet ha-be. 2005 erhielt ich meine Zusicherungauf Einbürgerung und stellte einen An-trag beim türkischen Konsulat, um dortausgebürgert zu werden. Monate späterkam die Ablehnung mit der Begründung,ich solle erst 7.668 e zahlen, erst danachwerde auf meinen Antrag eingegangen.2006 versuchte ich es erneut und schrieb

direkt nach Ankara. Ich machte auf meine Situation auf-merksam, dass ich von Hartz 4 lebe und nur 553 e imMonat zur Verfügung habe und dass ich zudem mit mei-ner Mutter zusammenlebe, die schwerbehindert und einPflegefall ist. Ich kann sie unmöglich alleine lassen undsehe auch keine Möglichkeit, das Geld auf legale Weisezusammenzubringen. Aber das interessierte sie nicht.Aus Ankara erhielt ich die gleiche Antwort.

Nachdem mein Antrag auch von Ankara abgelehntwurde, ging ich hier aufs Ausländeramt und sprach mitdem Leiter. Er schrieb freundlicherweise einen Brief an

Rundbrief „KDV im Krieg“ 6/09 15

Gürsel Yildirim

Damit muss endlich Schluss ein

Berichte über das Kopfgeld für „Auslandstürken“

TÜRKEI: Kopfgelderpressung

Grafik: Wilfried Porwol

Page 16: Kampagne gegen Kopfgeldzwang - Connection e.V

TÜRKEI: Kopfgelderpressung

16 Rundbrief „KDV im Krieg“ 6/09

Bundesregierung

Antwort zu „Integrationshindernisse durchtürkische Wehrpflicht für Auslandstürken“

Jeder Staat bestimmt selbst, ob, in welchem Umfangund unter welchen Voraussetzungen er seine Wehr-pflicht für seine Staatsangehörigen vorsieht und ob erein Ausscheiden aus seiner Staatsangehörigkeit vonder Erfüllung seiner Wehrpflicht abhängig macht. Hier-auf kann Deutschland nach völkerrechtl ichenGrundsätzen keinen Einfluss nehmen. Die Bundesre-gierung nimmt daher grundsätzlich zu Fragen im Zu-sammenhang mit einer ausländischen Wehrpflichtnicht Stellung.

Nach den Einbürgerungsvorschriften des Staats-angehörigkeitsgesetzes (StAG) ist Mehrstaatigkeitgrundsätzlich zu vermeiden (vgl. § 10 Absatz 1 Satz 1Nummer 4 StAG). Eine Ausnahme gilt u.a. dann,wenn der ausländische Staat die Entlassung aus sei-ner Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingun-gen abhängig macht (vgl. § 12 Absatz 1 Satz 2 Num-mer 3 Alternative 2 StAG). Zu den unzumutbaren Ent-lassungsbedingungen kann auch die vorherige Erfül-lung der Wehrpflicht im Herkunftsstaat gehören, vgl.auch Nummer 12.1.2.3.2.2 der hierzu ergangenenVorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministe-riums des Innern vom 17. April 2009. Danach kanndies u.a. der Fall sein, wenn Einbürgerungsbewerberbereits in der zweiten oder einer weiteren Generationin Deutschland leben. Auch ein Freikauf vom Wehr-dienst durch Zahlung einer Geldsumme an den Her-kunftsstaat ist dieser Gruppe generell nicht mehr zu-zumuten.

Eine Entlassung aus der türkischen Staatsan-gehörigkeit ist allerdings in der Regel ohne eine Wehr-dienstleistung in der Türkei oder die Zahlung einerentsprechenden Freikaufssumme möglich. Vorausset-zung für die Entlassung ist lediglich eine ordnungs-gemäße Zurückstellung vom Wehrdienst, die nachden bisherigen Erfahrungen regelmäßig vorgenom-men wird.

Statistische Erhebungen über eine nach türki-schem Recht bestehende Wehrpflicht von Personen,die in Deutschland leben, finden nicht statt. Gleichesgilt hinsichtlich der Frage, ob und auf welche Weisedie türkische Wehrpflicht erfüllt wurde.

Im Übrigen kann Ausländern, die von ihrem Her-kunftsstaat wegen Nichterfüllung der dortigen Wehr-pflicht keinen Pass erlangen können, ein Reiseaus-weis für Ausländer ausgestellt werden, wenn für siedie Erfüllung der Wehrpflicht in ihrem Herkunftsstaataus zwingenden Gründen unzumutbar ist (vgl. § 5 Ab-satz 1 und Absatz 2 Nummer 3 der Aufenthaltsverord-nung).

Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Ab-geordneten Ulla Jelpke u.a. und der Fraktion Die Linke. 3. Juni2009. BT-Drucksache 16/13532.

MdB Ulla Jelpke

Türkische Kriegsdienstpflicht für„Auslandstürken“ ist Integrationshindernis

„Die türkische Kriegsdienstpflicht für in Deutschlandlebende und sogar hier geborene türkische Staatsbür-ger ist ein unzumutbares Integrationshindernis.“, er-klärt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DieLinke zur Antwort der Bundesregierung auf eine Klei-ne Anfrage „Integrationshindernisse durch türkischeWehrdienstpflicht für Auslandstürken“ (BT-Drucksa-che 16/13532). Hintergrund ist die auch für so ge-nannte Auslandstürken geltende Pflicht, ihren „Militär-dienst für das Mutterland“ in der Türkei abgeleistet zuhaben. Im Ausland als Arbeitsmigranten lebende türki-sche Staatsbürger haben die Möglichkeit, sich für einBedelli Askerlik genanntes Kopfgeld von 5112,92 e,das bei über 40-jährigen auf 10.000 e ansteigt, vomWehrdienst freizukaufen. Ulla Jelpke weiter:

„Wer seinen Kriegsdienst in der Türkei leistet,kann durch die lange Abwesenheit seinen Aufent-haltsstatus in Deutschland verlieren. Außerdem wei-gern sich türkische Konsulate immer wieder über 35-jährige ohne Ableistung des türkischen Kriegsdienstesfür eine Einbürgerung in Deutschland aus der türki-schen Staatsbürgerschaft zu entlassen. Über 38-jähri-gen wird als „Fahnenflüchtigen“ der Pass nicht mehrverlängert, so dass diese in die Illegalität getriebenwerden. Damit handelt es sich bei der Freikaufsrege-lung schlicht um Kopfgelderpressung. Ich begrüße esdaher, dass die Bundesregierung zumindest bei Ein-bürgerungsbewerbern, die in zweiter oder einer weite-ren Generation in Deutschland leben, den Freikaufvom Wehrdienst für generell nicht mehr zumutbar hält.Ebenfalls ist es begrüßenswert, dass sie eine Einbür-gerung auch dann ermöglichen will, wenn eine vorhe-rige Entlassung aus der bestehenden Staatsbürger-schaft an „unzumutbare Bedingungen“ wie die „vorhe-rige Erfüllung der Wehrpflicht im Herkunftsstaat“ ge-bunden ist.

Ich erwarte allerdings weiterhin von der Bundesre-gierung, dass sie sich bei der türkischen Regierungfür eine generelle Abschaffung der Kriegsdienstpflichtfür türkische Staatsbürger in Deutschland einsetzt.Kriegsgegnern und Deserteuren aus der Türkei mussAsyl und eine erleichterte Einbürgerung ermöglichtwerden, da es in der Türkei weder das Recht aufKriegsdienstverweigerung noch einen zivilen Ersatz-dienst gibt und türkische Soldaten weiterhin zum Krieggegen kurdische Rebellen sowie zur Unterdrückungder demokratischen Opposition im Land missbrauchtwerden.“

Ulla Jelpke: Türkische Kriegsdienstpflicht für „Auslandstürken“ist Integrationshindernis. Pressemitteilung vom 7. Juli 2009.

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das Konsulat, machte auf meine Lage aufmerksam undfragte, ob es denn keinen anderen Weg für eine Ausbür-gerung gäbe, zumal ich bereits einen deutschen Pass ha-be. Darauf hin wurde er vom Konsulat angerufen und ihmgesagt, es gäbe Banken, bei denen ich einen Kredit auf-nehmen könnte, um den Betrag zu zahlen. Bei diesenBanken handelt es sich um türkische Banken, die als Si-cherheit deine Renteneinlagen verlangen. Sie wollennur deine Kohle. Als nächstes wird man mir wohl nochsagen: Flieg nach Bombay und verkaufe deine Niere.

Allein bei uns im Ort (einer Kleinstadt) gibt es unge-fähr 10 Leute, die mit diesem Problem leben müssen.Und die haben noch keinen deutschen Pass, viele ha-ben keine Arbeit und damit auch keine Aussicht auf Ein-bürgerung. Hinzu kommt, dass das Konsulat deren Päs-se nicht verlängert, womit sie praktisch illegal inDeutschland sind. Dabei sind einige schon über 30 Jah-re hier! Ich bin der Meinung, dass wir uns zusammentunmüssen. Nur gemeinsam können wir etwas erreichen.

Mir geht es nur darum, diese Art von Abzocke ansLicht zu bringen und sich der Erpressung nicht zu beu-gen. Es kann doch nicht sein, dass man als Türke miteinem Schuldschein geboren wird!“

„Stellen Sie sich nicht so an“

Im Gegensatz zu Angehörigen der Generale und vonreichen Türken erhalten „Auslandstürken“ nicht soeinfach eine Untauglichkeitsbescheinigung des Mi-litärs. Atteste von deutschen Kliniken reichen nichtaus. Zur Feststellung der Untauglichkeit müssensich „Auslandstürken“ den Untersuchungen des Mi-litärkrankenhauses in Ankara unterziehen. In derPraxis scheint dort Willkür und Rücksichtslosigkeitvorzuherrschen. Hier ein Bericht von Aydin T.:„Ich werde Mitte nächsten Jahres 39 Jahre alt und mussdann meinen Ausweis verlängern. Vor zwei Jahren hat-te ich eine schwere Operation, bei der mir zwei Band-scheiben entfernt wurden. Ich habe große Schmerzenund meine Finger sind taub. Viele Nerven wurden zer-stört. Darum habe ich große Probleme beim Sitzen, Au-to fahren usw. Von einer Klinik ließ ich mir das schriftlichbestätigen und meine Röntgenbilder vorlegen. Das wur-de in der Türkei eingereicht, mir aber gesagt, dass ichdas Geld trotzdem zahlen müsse. Wie das? Ich verste-he das nicht.

Nach einer Weile erhielt ich den Bescheid, dass ichdas Geld überweisen solle. Dabei war ich mir sicher,dass ich nicht zu zahlen habe. Ich rief beim Konsulat an.Sie sagten mir, ich müsse vorbei kommen und ein paarFormulare abholen und ausfüllen lassen. Das tat ich auch.Ich holte die Formulare ab, ließ sie von der Klinik ausfül-len und ins Türkische übersetzen. Das kostete 42 e.Dann reichte ich all das mit Lichtbildern usw. beim Kon-sulat ein. Ich fragte, wie lange es dauert, bis ich einenBescheid bekäme und erhielt als Antwort: 6-7 Monate.

In dieser Zeit läuft aber die Frist aus. Ich sagte dasund bekam die Antwort: ‚Sie müssen die 5.000 e zah-len, sonst sind es 7.500 e. Stellen Sie sich nicht so an.Ein Monat ist nichts, das bringt Sie nicht um.’“

„Die Einbürgerungszusicherung wurde nicht verlängert“

Bei all dem wirken die Regelungen in Deutschlandauf besondere Weise mit. Die Anforderung für eineEinbürgerung, eine Entlassung aus der türkischenStaatsbürgerschaft zu erhalten, zwingt die Betroffe-nen praktisch dazu, das Kopfgeld zu zahlen. Hier einBericht von Hasan A.:„Ich bin 43 Jahre alt und lebe seit 1970 in Deutschland.Mir war es in den letzten Jahren nicht möglich, einenAntrag auf Einbürgerung zu stellen. Vor zwei Jahrenhatte ich endlich die Gelegenheit dazu und erhielt aucheine Zusicherung, allerdings mit der altbekannten Vor-aussetzung, dass ich zunächst aus der türkischenStaatsbürgerschaft entlassen werden müsse. Das warnatürlich nicht möglich.

Dann las ich von einer erweiterten Möglichkeit derEinbürgerung und teilte dies der Ausländerbehörde mit.Man erklärte mir, das sei möglich, allerdings sollte ichmich zumindest legitimieren können, also zumindest ei-nen Ersatzausweis haben, um mich einbürgern zu kön-nen. Ich fand das unlogisch, stellte aber trotzdem einenAntrag auf Erteilung eines Ersatzausweises. Der Antragwurde prompt abgelehnt.

Da meine Zusicherung mittlerweile älter als zweiJahre ist, machte mir der Sachbearbeiter klar, dass erdie Zusicherung nicht verlängern werde, da ihm bei derErteilung ein Fehler unterlaufen sei. Er werde auch kei-ne erneute ausstellen. Die Erteilung einer Zusicherungkönne nur erfolgen, wenn es einen gültigen Pass gäbe.“

„Kein Geld + kein Militärdienst =fahnenflüchtig“

Einer besonderen Situation sehen sich Kinder vonbi-nationalen Ehen ausgesetzt, die Doppelstaatersind. Sie sind in beiden Ländern wehrpflichtig. EineAnerkennung der Dienstzeit erfolgt aber nur, wennder Militär- bzw. Zivildienst in einem Land abgelei-stet wurde. Ali T. berichtet:„Ich habe (leider) beide Staatsbürgerschaften. ‚Leider’wurde ich in Deutschland ausgemustert, musste also we-der Wehr- noch Zivildienst machen. Hätte ich den Dienstin Deutschland abgeleistet, würde er in der Türkei nichtmehr anfallen. Eine Ausmusterung in Deutschland isthingegen keine Ausmusterung in der Türkei. Die Türkeiwill Geld von mir. Das ist wohl der wahre Grund, warumalles anders lief. Für mich gilt: Kein Geld + kein Militär-dienst = fahnenflüchtig = keine Ausbürgerung = keineEinreise in die Türkei. Es tut mir leid, dass ich meineVerwandtschaft in der Türkei nicht mehr sehen kann.“

„Wunde in meiner Seele“

Ähnlich wie Ali T. erging es auch Alexander P. Erschildert, wie sehr es ihn schmerzt, nicht mehr indie Türkei reisen zu können:„Ich bin mittlerweile 44 Jahre alt und seit meiner GeburtDoppelstaater. Da ich sehr jung Vater wurde, wurde ich

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TÜRKEI: Kopfgelderpressung

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TÜRKEI: Kopfgelderpressung

in Deutschland von der Ableistung des Wehrdienstesbefreit. Das wird aber in der Türkei nicht anerkannt.

Bis heute hatte ich nicht die finanziellen Mittel, umdie geforderte „Kopfprämie“ zu zahlen und auch nichtdie Möglichkeit, hier alles stehen und liegen zu lassen,um mal kurz in einer türkischen Kaserne zu verschwin-den. Ich war damit beschäftigt, meine Familie zuernähren und mein Leben aufzubauen. Außerdem binich extrem antinationalistisch. Es fehlt mir jede Einsicht,ich könnte irgendwelche Verpflichtungen dem türki-schen Regime gegenüber haben.

Ich lebte viele Jahre in Istanbul, sah aber mit 17 Jah-ren dort keine Zukunftsperspektiven für mich. Es gabkein geregeltes Ausbildungssystem, kein pädagogischausgearbeitetes Schulsystem, keine Aufklärung über dieMöglichkeiten, wie ich mir eine Zukunft aufbauen kann.Das sind meiner Meinung nach aber die Pflichten einesStaates den Bürgern gegenüber. Ich war sehr verbittertund verließ die Türkei.

Doch mittlerweile, nach so vielen Jahren, musste ichfeststellen, dass hier eine Wunde in meiner Seele entstan-den ist, die nicht zu heilen vermag. Ich fühle michausgesperrt. Je älter ich werde, desto mehr packt mich dieSehnsucht nach meinem Istanbul, nach meinen Freunden,die ich zurückließ, nach meinen Kindheitserinnerungenin den Straßen, in denen ich aufwuchs. Ich möchte janur ab und zu mal hinfahren und die Luft riechen.

Warum ich Ihnen das schreibe? Ich glaube, Sie ge-hen meinen Weg! Dieser wird nicht einfach und ich wün-sche Ihnen viel Glück dabei.“

„Damit muss endlich Schluss sein“

Mitte Dezember 2008 beschloss das niederländischeParlament eine weitergehende Regelung zur Frage derEinbürgerung. Damit wird eine doppelte Staatsbürger-schaft dann toleriert, wenn die Betreffenden Militärdiensterfüllen müssten oder zur Zahlung einer Freikaufssum-me verpflichtet sind. Die positive Entwicklung in denNiederlanden löste allerdings andernorts keine Reaktio-nen aus. Das Thema wird sowohl von vielen Verbän-den, wie auch von Politikern ignoriert. Letztlich wirdkaum jemand Notiz von der Problematik nehmen, solange sich die Betroffenen nicht selbst zu Wort meldenund gemeinsam Forderungen stellen.

Die Evrensel berichtete am 24.12.2008 in der Euro-paausgabe darüber. S. Karabulut schrieb: „Es könnte ei-ne europaweite Kampagne organisiert werden, weil dieswirklich ein ernsthaftes Problem darstellt. Als ich kürz-lich bei einer Veranstaltung das Thema einbrachte, er-klärten die Teilnehmer ihre Betroffenheit und unterstütz-ten mich dabei. (...) Diese Regelung passt nicht in die

Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Ich werde sie anpran-gern. Bisher konnte uns niemand die Vorteile dieser Re-gelung erklärten. Es wird weitergemacht, weil es eineGeldquelle ist. Aber damit muss endlich Schluss sein.“Unser Hauptanliegen bleibt: Eine breite Kampagne ge-gen Kopfgelderpressung.

Kontakt: [email protected]

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Materialhinweise

Kampagne gegen Kopfgeldzwang Weitere Informationen zur FreikaufsregelungIn den Rundbriefen „KDV im Krieg“ Juli und November2007 hatten wir uns bereits ausgiebig mit dem ThemaFreikauf bzw. Kopfgeld befasst. Darin stellten wir dieKampagne dazu vor und schilderten die rechtlichenGrundlagen. Alle Beiträge zum Thema finden sich beiuns im Internet unter www.Connection-eV.de/pdfs/kopfgeld.pdf

Kriegsdienstverweigerung in der TürkeiIm März 2009 veröffentlichte ACCORD (Austrian Cen-tre for Country of Origin & Asylum Research and Do-cumentation) die Broschüre „Wehrdienstverweigerungin der Türkei“. Sie basiert auf einem im September2008 gehaltenen Vortrag von Suna Coskun, einer aufKriegsdienstverweigerung spezialisiertn Anwältin, dieunter anderem die Verweigerer Osman Murat Ülke,Mehmet Bal, Mehmet Tarhan und Halil Savda vertre-ten hat und vertritt. Die Broschüre befasst sich mit denrechtlichen Regelungen, bietet Falldarstellungen undberichtet über die Zustände in verschiedenen Haftan-stalten. Die Broschüre ist im Internet zu finden unterwww.eco i .ne t / f i l e_up load /90_1240555179_ accord-bericht-wehrdienstverweigerungtuerkei-200903.pdf

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Eine Information von Stand: 12. November 2009

Connection e.V. Gerberstr. 5, D-63065 Offenbach Tel.: 069-8237 5534, Fax: 069-8237 5535 E-Mail: [email protected]

Die Beiträge sind entnommen dem Rundbrief „KDV im Krieg“ Juli und November 2007 sowie November 2009

http://www.Connection-eV.de