Kann ich meinem Hirn trauen - Atheisten-Info · Und was das ist, kann man in der Süddeutschen...

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1 Kann ich meinem Hirn trauen? Quelle: www.wissenbloggt.de vom 6.2.2014 (am 5.3. ab Seite 4 unten ergänzt mit Teil 2 und am 8. 4. ergänzt ab Seite 6 um Teil 3, am 19.5. ab Seite 9 um Teil 4, ab Seite 13 am 8.7. um Teil 5 und 6, am 29.7. ab Seite 16 um Teil 7, am 29.9. ab Seite 18 um Teil 8 und am 28.10.2014 ab Seite 20 um den Schlussteil 9!) Der Autor Dr. Peter Hank (Volkshochschule München) war so freundlich, seinen Vortrag für wissenbloggt nie- derzuschreiben: Kann ich meinem Hirn trauen? Diese Frage ist der Titel eines Vortrags, den ich vor kurzem im Gasteig gehalten habe. Bevor ich die Frage beant- worte, möchte ich kurz die Vorgeschichte zur Frage (und zum Vortrag) erzählen. Ich selber komme aus der Physik und dort stellt sich diese Frage normalerweise nicht. Theorien werden aufge- stellt, Experimente gemacht und am Ende des Tages werden Theorien, die den Experimenten widersprechen, ver- worfen. Wie Thomas H. Huxley gesagt hat: "The great tragedy of Science - the slaying of a beautiful hypothesis by an ugly fact." "Die große Tragödie der Wissenschaft - das Erschlagen einer wunderschönen Hypothese durch eine hässliche Tatsache." Oft schmerzlich, wenn die eigene Lieblingstheorie den Bach runter geht, aber mit dem Experiment als unbestech- lichen Richter hat die Naturwissenschaft die einzigartige Möglichkeit, Theorien objektiv zu prüfen und falsche Theorien zu erkennen und zu entsorgen. Dieser Reinigungsprozess funktioniert sehr gut und so ist die Physik bis- her von Pseudowissenschaften weitgehend verschont geblieben. Vor diesem Hintergrund ist es für mich zutiefst verwunderlich, aber auch faszinierend, warum sich, in meinen Augen offensichtlich fragwürdige bis hin zu völlig absurde Ideen - Ideologien, Verschwörungstheorien, Alterna- tivmedizinische Verfahren, Glaubenssysteme - trotzdem weitgehender Anerkennung und Beliebtheit erfreuen. Und natürlich stellt sich mir die unangenehme Frage: Gibt es eigene Vorstellungen, bei denen ich genauso an ab- surde Ideen glaube und es nur selber nicht merke, weil mein Hirn mir sagt, dass wäre alles vernünftig und in Ord- nung. Kurz: Kann ich meinem Hirn trauen? Die Frage hört sich schon mal absurd an; genau so könnte ich mich fragen, ob ich meinen eigenen Augen trauen kann? Halt - auch wenn wir Sätze sagen wie "ich habe es mit eigenen Augen" gesehen, dann haben wir alle schon opti- sche Täuschungen erlebt, die unsere Augen und unser Hirn an der Nase herumführen. Viele dieser Täuschungen nutzen künstliche Situationen aus, die in der wirklichen Welt nicht vorkommen. Da un- ser Hirn aber seit Millionen von Jahren darauf eingestellt ist, sich in einer dreidimensionalen Welt zurechtzufin- den, kann man diese "eingebauten" Mechanismen nutzen, um dem Hirn auch eine Scheinwelt vorzuspiegeln.

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Kann ich meinem Hirn trauen? Quelle: www.wissenbloggt.de vom 6.2.2014 (am 5.3. ab Seite 4 unten ergänzt mit Teil 2 und am 8. 4. ergänzt ab Seite 6 um Teil 3, am 19.5. ab Seite 9 um Teil 4, ab Seite 13 am 8.7. um Teil 5 und 6, am 29.7. ab Seite 16 um Teil 7, am 29.9. ab Seite 18 um Teil 8 und am 28.10.2014 ab Seite 20 um den Schlussteil 9!)

Der Autor Dr. Peter Hank (Volkshochschule München) war so freundlich, seinen Vortrag für wissenbloggt nie-derzuschreiben:

Kann ich meinem Hirn trauen?

Diese Frage ist der Titel eines Vortrags, den ich vor kurzem im Gasteig gehalten habe. Bevor ich die Frage beant-worte, möchte ich kurz die Vorgeschichte zur Frage (und zum Vortrag) erzählen.

Ich selber komme aus der Physik und dort stellt sich diese Frage normalerweise nicht. Theorien werden aufge-stellt, Experimente gemacht und am Ende des Tages werden Theorien, die den Experimenten widersprechen, ver-worfen. Wie Thomas H. Huxley gesagt hat:

"The great tragedy of Science - the slaying of a beautiful hypothesis by an ugly fact."

"Die große Tragödie der Wissenschaft - das Erschlagen einer wunderschönen Hypothese

durch eine hässliche Tatsache."

Oft schmerzlich, wenn die eigene Lieblingstheorie den Bach runter geht, aber mit dem Experiment als unbestech-lichen Richter hat die Naturwissenschaft die einzigartige Möglichkeit, Theorien objektiv zu prüfen und falsche Theorien zu erkennen und zu entsorgen. Dieser Reinigungsprozess funktioniert sehr gut und so ist die Physik bis-her von Pseudowissenschaften weitgehend verschont geblieben.

Vor diesem Hintergrund ist es für mich zutiefst verwunderlich, aber auch faszinierend, warum sich, in meinen Augen offensichtlich fragwürdige bis hin zu völlig absurde Ideen - Ideologien, Verschwörungstheorien, Alterna-tivmedizinische Verfahren, Glaubenssysteme - trotzdem weitgehender Anerkennung und Beliebtheit erfreuen.

Und natürlich stellt sich mir die unangenehme Frage: Gibt es eigene Vorstellungen, bei denen ich genauso an ab-surde Ideen glaube und es nur selber nicht merke, weil mein Hirn mir sagt, dass wäre alles vernünftig und in Ord-nung. Kurz: Kann ich meinem Hirn trauen?

Die Frage hört sich schon mal absurd an; genau so könnte ich mich fragen, ob ich meinen eigenen Augen trauen kann?

Halt - auch wenn wir Sätze sagen wie "ich habe es mit eigenen Augen" gesehen, dann haben wir alle schon opti-sche Täuschungen erlebt, die unsere Augen und unser Hirn an der Nase herumführen.

Viele dieser Täuschungen nutzen künstliche Situationen aus, die in der wirklichen Welt nicht vorkommen. Da un-ser Hirn aber seit Millionen von Jahren darauf eingestellt ist, sich in einer dreidimensionalen Welt zurechtzufin-den, kann man diese "eingebauten" Mechanismen nutzen, um dem Hirn auch eine Scheinwelt vorzuspiegeln.

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Ein anderer Typ von Täuschung nutzt die Fähigkeit des Hirns aus, aus unvollständigen Hinweisen komplette Mus-ter zu erkennen.

Für einen Höhlenmenschen ist diese Fähigkeit überlebenswichtig gewesen, schließlich reicht es nicht, den Tiger erst zu erkennen, wenn er aus dem Busch rausgelaufen kommt. Allerdings kann diese, an sich nützliche Fähigkeit dann dazu führen, dass das Gehirn - auf Sicherheit bedacht - auch schon mal Muster erkennt, wo keine da sind. Am schönsten lässt sich dieser Effekt bei Gesichtern demonstrieren (Pareidolie), schließlich ist das Erkennen von Gesichtern besonders überlebenswichtig (könnte ja ein Feind oder Freund bzw. Paarungspartner sein).

Genauso wie diese optischen Täuschungen gibt es kognitive Täuschungen und auch die führen zum Beispiel dazu, dass wir Muster sehen, wo keine sind. Ein klassisches Experiment dazu hat P. C. Wason (On the Failure to Elimi-nate Hypotheses in a Conceptual Task, The Quarterly Journal of Experimental Psychology) durchgeführt. Ver-suchspersonen wurden dazu gebeten, herauszufinden, nach welchem Gesetz Reihen von drei Zahlen gebildet wur-den. Vorgegeben war die Reihe 2, 4, 6 und ein typischer Verlauf war etwa wie auf der Tafel dargestellt:

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Nach den ersten Versuchen mit 8, 10, 12 (korrekt), 14, 16, 18 (korrekt) und 1,3,5 (korrekt) hat die Versuchsperson die Regel formuliert, man müsste zur ersten Zahl jeweils 2 addieren - diese Regel, obwohl sie bei allen Versuchen korrekte Zahlenreihen erzeugt war aber nicht die richtige. Auch der zweite Versuch (gleiche Abstände) führte nicht zur richtigen Regel.

Tatsächlich ist es schon ausreichend, wenn die Zahlen mit aufsteigend aufgereiht sind.

Was man aus diesem Experiment lernt:

Unser Hirn neigt dazu, nach Mustern zu suchen und diese auch zu finden.

Dabei schießt es gern über das Ziel hinaus und findet Muster, wo keine sind.

Nur selten versucht eine Versuchsperson, ihre Regel dadurch zu prüfen, dass es nach Gegenbeispielen zur Regel sucht. Dabei hätte das dazu geführt, aufzudecken, dass die Regel viel zu eng gefasst war. (Eine dementsprechend große Rolle spielt daher auch die Falsifizierbarkeit in der Naturwissenschaft, aber das ist dort - ich möchte sagen - antrainiert, unsere automatischen Reflexe gehen, wie oben gezeigt, in eine andere Richtung.)

Warum ist dieses Experiment für uns auch für unser tägliches Leben relevant?

Weil wir auch dazu neigen, im täglichen Leben Muster zu finden und an diesen festhalten, ohne sie jemals zu prü-fen. Wenn wir an die letzte Fußballweltmeisterschaft zurückdenken, dann erinnern wir uns vielleicht an den deut-schen Fußballtrainer Joachim Löw und seinen blauen Glückspulli? Wer hat nicht schon davon gehört, dass bei Vollmond mehr Kinder zur Welt kommen? Wer glaubt, dass bei ihm die Ampel immer rot ist? Wem wurde noch kein Schnupfenmittel angeboten (Hühnersuppe, Zuckerkügelchen, …) mit dem Satz "Bei mir hat es geholfen!").

Gemeinsam ist dem, dass unser Hirn eine interne Strichliste führt, die jedes Mal und auch nur dann, wenn unser Muster bestätigt wird, eine zusätzlichen Strich erhält.

Der wissenschaftliche Begriff dafür ist Bestätigungsfehler oder Confirmation Bias und besagt eben gerade, dass wir dazu neigen, nur die Informationen wahrzunehmen und zu berücksichtigen, die unsere vorgefasste Meinung stützen. Wenn man nämlich eine ordentliche Statistik machen würde, dann müsste man auch die Geburten an an-deren Tagen zählen und dann käme man zu einem solchen Ergebnis:

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Ein Freund von mir hat dazu das Bild geprägt vom Glauben an ein Phänomen gleicht einer Ratsche - jedes passende Beispiel dient nur dazu den Glauben fester zu ziehen und - Gegenbeispiele werden nicht mehr registriert.

Mustererkennung und Bestätigungsfehler sind aber nur zwei Beispiel für kognitive Täuschungen, die dazu führen, dass unser Hirn irrationale Ideen entwickelt und daran festhält.

Es gibt viele weitere Beispiele wie die Verwechslung von Korrelation und Kausalität (Störche und Babys), Kognitive Dissonanz (wir tun auch Dinge, von denen wir wissen, dass sie ungesund sind, z. B. Rauchen), Dunning-Kruger-Effekt (warum gibt es so viele überdurchschnittliche Autofahrer).

Soweit Peter Hank. Skeptiker werden die Ratschen-Aussage auch für religiöse Anwendungen interessant finden: Glauben an eine Religion gleicht einer Ratsche jedes passende Beispiel dient nur dazu den Glauben fester zu ziehen und Gegenbeispiele werden nicht mehr registriert.

Zu dem Thema passt auch ein Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 5.2. "Gedächtnis Fälschungen am laufenden Band": Die Ferien waren phantastisch? Die Kindergeburtstage damals das pure Glück? Auf kaum etwas ist so wenig Verlass wie auf die eigene Erinnerung. Das menschliche Gedächtnis verzerrt, beschönigt und löscht Un-liebsames. Forscher haben nun die Zentrale der großen Fälschung identifiziert.

Und was das ist, kann man in der Süddeutschen nachlesen1.

Ergänzt mit Teil 2 am 5.3.2014:

Im ersten Teil von "Kann ich meinem Hirn trauen?" wurde am Beispiel der optischen Täuschungen, aber auch anhand anderer bekannter Effek-te wie dem Bestätigungsfehler gezeigt,

� dass unser Hirn sehr gut dazu geeignet ist, Muster (wie z. B. Ge-sichter) zu erkennen,

� dabei aber leicht über das Ziel hinausschießt und Muster auch dort findet, wo keine sind und

� es sich sehr schwer dabei tut, falsch erkannte Muster wieder zu verwerfen, da wir dazu neigen, nur die bestätigenden Fakten zu regist-rieren (Bestätigungsfehler).

1 http://www.sueddeutsche.de/wissen/gedaechtnis-faelschungen-am-laufenden-band-1.1880115

(Bild: Modell zur menschlichen Psyche, Kognition, On-kelDagobert, Wikimedia Commons)

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Im zweiten Teil soll nun behandelt werden, warum unser Hirn von der Evolution darauf programmiert wurde Muster zu finden und warum derselbe Mechanismus, der zu Urzeiten unser Überleben gesichert hat, heute für uns gefährlich ist. Es geht um die Frage:

Fürchtet sich unser Hirn vor den falschen Dingen?

Machen wir zuerst einen zeitlichen Rücksprung in die Steinzeit. Stellen wir uns dazu vor, ein Höhlenmensch fragt sich, ob Tiger gefährlich sind? Er denkt: "Mein Großvater, der Nachbar in der Höhle im zweiten Stock, der nervi-ge Schwager mit seinem neumodischen Rad-Dings und die süße, kleine Schwester wurden von Tigern gefressen - also Tiger sind wohl gefährlich.

Also wenn ich einen Tiger sehe, dann frage ich nicht lange, sondern laufe! Sehr schnell, sehr weit, nicht umsehen!

Das läuft unter dem Stichwort Häufigkeitsheuristik und hat zu Zeiten der Höhlenmenschen gut funktioniert. Da-mals war es auch sinnvoll, sich zur sicheren Seite hin zu irren und eher zu viele Gefahren zu sehen als zu wenige.

Jetzt stellen wir uns vor, der Höhlenmensch würde heute leben und die Zeitung lesen. Dann würde er von Gefah-ren lesen wie: Bildzeitung 5.10.2013: Bayer in Indien vom Blitz erschlagen oder Süddeutsche 19.1.2012: Australier bei Haiangriff schwer verletzt oder Stuttgarter Zeitung 17.2.2014: Flugzeugabsturz in Nepal: Alle 18 Insassen tot

Wenn er jetzt glaubt, dass sind die Gefahren des modernen Lebens, dann hat ihn sein Gehirn in die Irre geführt. Statt auf Haie zu achten sollte er lieber nach links und rechts schauen, bevor er über die Straße geht. Aber Autoun-fälle schaffen es nicht so oft auf die Titelseite, sondern nur als kleine Meldung in den Lokalteil.

Aber es hilft zu verstehen, warum es so viele Menschen mit Flugangst gibt. Nicht weil Fliegen so gefährlich ist. Das Risiko für einen tödlichen Autounfall für die gleiche Strecke ist 30x höher als beim Fliegen. Aber wenn es ei-nen Flugzeugabsturz irgendwo auf der Welt gibt, dann wird dafür gesorgt, dass unser Hirn davon erfährt und es vermerkt auf seiner internen Strichliste "Fliegen ist gefährlich".

Dazu noch mein persönliches Lieblingsbeispiel zu überschätzten Gefahren - ja, hier würde ich mit Fug und Recht von Panikmache sprechen.

Es gab in den Medien breit ausgewalzte Lebensmittelskandale zu Nitrofen, Gammel- und Pferdefleisch. War es Betrug? - sicher; war es unappetitlich? - auf jeden Fall; war es gefährlich? - nein, man stirbt nicht an Pferde-fleisch! Der einzige Lebensmittelskandal bei dem überhaupt eine deutliche Zahl von Menschen gestorben ist, war EHEC mit bedauerlichen 53 Todesfällen. Aber sehen Sie in die Graphik auf der nächsten Seite. Wissen sie, wofür die beiden anderen, noch höheren Säulen stehen? Welches die noch häufigeren Todesursachen beim Essen sind?

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Die Säule direkt neben EHEC sind Todesfälle durch Salmonellen (70-80 jedes Jahr in Deutschland - die 53 E-HEC-Toten hingegen waren ein singulärer Fall). Die noch höhere Säule steht für die 130 Menschen in Deutsch-land, die jedes Jahr dadurch sterben, dass sie sich am Essen verschlucken.

Also hören Sie auf das, was schon ihre Mutter Ihnen gepredigt hat: Schneid Dein Fleisch klein!

Was können wir nun unserem Höhlenmenschen (und damit uns selbst, denn unser Hirn denkt immer noch ähnlich) raten, wenn er wissen möchte, was wirklich gefährlich ist.

Ein mächtiges Hilfsmittel gegen die interne Strichlist, Häufigkeitsheuristik und Bestätigungsfehler ist es eine or-dentliche Statistik zu machen (zu Statistik möchte ich hier auch mal noch einen Beitrag schreiben). Besucht man z. B. die Webseite von Cancer Research UK , so findet man dort aufschlussreiche Informationen, welche Faktoren man selber in der Hand hat, um sein Krebsrisiko (für Herz-Kreislauferkrankungen kommt nicht viel anderes raus) zu vermindern2.

Kaum verwunderlich finden sich hier auf den Top 4, der vermeidbaren Risiken: � Rauchen. � Übergewicht � Zu wenig Obst und Gemüse � Alkohol

Derselbe Rat wie oben: Hören sie auf Ihre Mutter: Iss Dein Obst und Gemüse! Geh raus spielen! Und Rauchen und Trinken sollst Du auch nicht.

Für mich ist das dann die frohe Botschaft: Wenn man sich um die überschaubare Anzahl wirklich wesentlicher Themen (Rauchen, Alkohol, Übergewicht, Obst&Gemüse) kümmert, dann hat man die Hauptrisiken erledigt.

Die anderen Fragen: Butter oder Margarine, Salz oder nicht, Bio oder konventionell - das alles hat nur noch einen verschwindend kleinen Einfluss auf Ihre Gesundheit und oft ist noch nicht einmal klar in welche Richtung - davon braucht man sich nicht verrückt machen lassen. Und dann brauchen Sie auch keine Angst mehr vor der Frage ha-ben:

Fürchtet sich unser Hirn vor den falschen Dingen?

Wer sich noch tiefer mit dem Thema beschäftigen will, dem empfehle ich das Buch "Die Angst der Woche: Wa-rum wir uns vor den falschen Dingen fürchten" von Walter Krämer3.

Kann ich meinem Hirn trauen? (3. Teil - third encou nter)

Dr. Peter Hank (Volkshochschule München) hat uns den dritten Teil seines Vortrags über die Kognition zur Verfügung gestellt. Diesmal geht es um frappante Ungleich-gewichte bei der Statistik (Bilder: Peter Hank, bis auf das Bild von Semmelweis, Eugen Doby (1834-1907), Wi-kimedia Commons).

2 siehe http://www.cancerresearchuk.org/prod_consump/groups/cr_common/@nre/@hea/documents/image/cr_082588.pdf 3 http://www.amazon.de/Die-Angst-Woche-falschen-f%C3%BCrchten/dp/3492054862

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Heute soll es um eines der wertvollsten Werkzeuge eines Wissenschaftlers gehen; ein Werkzeug, welches Men-schenleben rettet, nämlich die Statistik.

Leider hat die Statistik keinen guten Ruf; unter anderem heißt es, sie wäre nicht intuitiv zu verstehen. Also die heutige Frage:

Taugt unser Hirn für Statistik?

Schauen wir uns dazu einmal an, wie sich unser Hirn im Alltag bei statisti-schen Fragen anstellt: Wie hoch ist die Chance für einen 6er im Lotto? 1 : 13.983.816 31,5 Prozent der deutschen Bevölkerung spielen Lotto (ab 18 Jahren, 6 aus 49) - warum? "Ich könnte ja Glück haben."

Wie hoch ist die Chance wegen Rauchens vorzeitig abzuleben? 1 : 7 25,7 Prozent der deutschen Bevölkerung raucht (ab 15 Jahre, Mikrozensus 2009) - warum? "Mich wird es schon nicht treffen."

Nichts weiter zu sagen; die beiden obigen Beispiele sollten eigentlich reichen, um zu zeigen, dass der Umgang mit Statistiken nicht gerade eine Stärke unseres Gehirns ist.

Allerdings spielen auch noch andere kognitive Fehlleistungen unseres Hirns eine Rolle, wie � Bestätigungsfehler (http://www.wissenbloggt.de/?p=22453): Wir suchen gerne nach den Beispielen, die un-

sere Lieblingsposition stützen - so kennt wohl jeder Raucher das Beispiel Helmut Schmidt, aber nicht die Sta-tistik, dass 9 von 10 Lungenkrebspatienten (frühere) Raucher sind.

� Häufigkeitsheuristik (http://www.wissenbloggt.de/?p=22917): Von den wenigen Millionengewinnern hört man in Fernsehen, Radio und Presse - die Millionen, die nicht gewinnen, bleiben unerwähnt.

Und gerade hier liegt der Wert der Statistik: Statistik ist gerade deshalb nicht intuitiv verständlich, eben weil sie uns hilft, uns vor intuitive Fehlleistungen unseres Hirns zu schützen.

Und diese Fehlleistungen sind alles andere als harmlos. Um das zu zeigen möchte ich Sie zu zwei Beispielen aus der Medizin einladen. Stellen Sie sich bitte vor, Sie wären ein Mediziner und kommen 1846 an eine Klinik, etwa Wien. Dort wird nach einem bestimmten Verfahren gearbeitet, für unser Beispiel Geburtshilfe. Wenn Sie rumfragen, ob die Behandlung etwas taugt, heißt es: "Ja, wir hatten dieses Jahr 4010 Fälle, in denen es geholfen hat."

Wenn Sie sich an das obige Beispiel Bestätigungsfehler erinnern, dann erinnern Sie sich auch an die Gefahren, wenn man nur die Beispiele zählt, die zur eigenen Position passen. Deshalb werden Sie auch nachfragen, in wie vielen Fällen die Mutter die Geburt nicht überlebt hat und wie die Zahlen z. B. für den zweiten Flügel der Wiener Klinik aussehen:

Wenn Sie jetzt alle vier Zahlen vergleichen, dann wird überdeutlich, dass 4010 mal "bei uns hat es geholfen", kein Zeichen für eine wirksame Behandlung, sondern für ein katastrophales Problem ist. Und probieren Sie es mal aus - wenn man nur eine der vier Zahlen aus obiger Statistik entfernt, dann können Sie keine klaren Aussagen mehr treffen - also immer aufgepasst, wenn man Ihnen Zahlen ohne Vergleichswerte präsentiert!

Dem Mediziner Semmelweis kam bei der Lösung des Problems, warum sterben soviel mehr Frauen in der einen Abteilung als in der anderen, ein tragischer Zufall zu Hilfe. Ein Freund von ihm starb, nachdem er sich bei einer Autopsie einer Leiche mit dem Skalpell durch den Handschuh und in die Hand schnitt. Die daraus folgende Infek-tion entwickelte ähnliche Symptome wie Frauen mit Kindbettfieber. Damit erklärte sich auch der Unterschied zwischen den beiden Kliniken - in der einen arbeiteten Hebammen und in der anderen Medizinstudenten, die re-gelmäßig mit Leichen arbeiteten. Semmelweis führte darauf hin im Jahr 1847 die Maßnahme ein, dass vor den Behandlungen der Wöchnerinnen die Mediziner sich die Hände desinfizieren mussten und - belegte dann auch den Erfolg der neuen Maßnahme durch Statistik:

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Damit gilt Semmelweis nicht nur und völlig zu recht als "Retter der Mütter" sondern auch als der erste, der die Statistik in die Medizin einführte; und tatsächlich ist das vielleicht sogar noch der größere Verdienst.

Gedankt wurde es ihm nicht von allen - besonders nicht von Kollegen von ihm - der Gedanke, dass ein Arzt un-sauber sein könnte, musste sich erst noch durchsetzen. Dabei sollte man aber auch daran denken, wie schwer es wohl einem selber als Arzt gefallen wäre, sich einzugestehen, dass man - wenn auch aus Unwissenheit und unbe-absichtigt - den Tod vieler Frauen im Kindsbett verursacht hat.

Nach diesem historischen Beispiel sollte man meinen, dass die Statistik einen Ehrenplatz in der Medizin hat und jeder Arzt und hoffentlich auch jeder Patient mit statistischen, medizinischen Informationen umgehen kann. Hier-zu noch ein Beispiel auch einer Studie von D. M. Eddy von 1982 (Probabilistic reasoning in clinical medicine: Problems and opportunities): � Ein medizinischer Test zeigt mit 90% Sicherheit (prK) ein Vorliegen der Krankheit an, � ebenso wird mit 90% Sicherheit (prG ) richtig erkannt, dass die Krankheit nicht vorliegt. � Ein Patient wird mit diesem Test getestet und der Test zeigt die Krankheit an. � Schätzen Sie, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die Krankheit hat?

Wenn Sie jetzt schon losgerechnet haben, dann sind Sie leider schon in die erste Falle gelaufen; ohne die Informa-tion, wie häufig die Krankheit verbreitet ist, ist die Aufgabe gar nicht lösbar.

Die Krankheit kommt bei 1% (pK) der Patienten vor. Berechnet wird das nach der Bayes-Formel und man kommt auf:

Falls Sie eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Krankheit geschätzt haben, dann sind sie aber in guter Gesellschaft. In der Studie haben fälschlicherweise und wie ich finde, ein tragisches Ergebnis - auch 95 von 100 Ärzten die Wahrscheinlichkeit auf über 50 % angegeben. Stellen Sie sich vor Sie gingen für eine Vor-sorgeuntersuchung zum Arzt (die Werte z. B. für Brustkrebs- oder auch Prostatakrebsvorsorge passen so ungefähr zum Beispiel - deshalb findet sich die Aufgabe in der Literatur auch unter Mammographieproblem). Ihr Arzt sagt Ihnen dann, "Ihr Test hat leider bei Ihnen Krebs angezeigt". Meine Reaktion wäre dann schon anders, wenn man mir sagte, meine Wahrscheinlichkeit für Krebs ist über 50% oder unter 10%.

Allerdings hat sich offensichtlich in der Medizin doch einiges getan; wenn Sie heute Informationsblätter zum Thema ansehen, dann werden dort die Ergebnisse meist nicht mehr als Wahrscheinlichkeiten in % sondern als Häufigkeiten ( 83 von 1000 ) angeben. Damit kann unser Hirn besser umgehen und damit kann man das Mammo-graphieproblem auch, wie ich finde, einfacher erklären:

Gehen wir von 1000 Patienten aus, die den Test machen. Von den 1000 haben 1% also 10 (mittlere Zeile links) der 1000 die Krankheit -> diese werden zu 90% also 9 von 10 richtig getestet und der Test zeigt die Krankheit an (2. Blase in der unteren Zeile). Also 9 Mal zeigt der Test die Krankheit richtig an. Aber da sind noch 990 Perso-nen (mittlere Spalte rechts), die zwar nicht krank sind, aber die auch getestet werden. In 10 % der Fälle, also im-merhin 99 mal funktioniert der Test nicht richtig und produziert das Ergebnis "krank" ohne das der Patient die

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Krankheit hat (3. Blase in der unteren Zeile). Eben weil die Krankheit nicht allzu häufig ist, werden viele Patien-ten getestet, die die Krankheit gar nicht haben und daher ergeben sich die 99 falschen Alarme.

Weil aber nur 9 der insgesamt 9+99 Teste mit dem Ergebnis "Krankheit" Patienten betreffen, die auch wirklich die Krankheit haben (der Rest sind die Fehlalarme), ergibt sich die endgültige Wahrscheinlichkeit zu:

Dennoch sollte man nicht denken, dass damit der Test sinnlos wäre. Bedenken Sie, vor dem Test wussten Sie nur, dass Sie die Krankheit mit 1% haben könnten. Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit 8,3% wenn der Test "krank" ergab, also 8 Mal höher. Da lohnt es sich schon eher, dann weitere Tests folgen zu lassen. Und wenn der Test für Sie "nicht krank" ergab, dann können sie nach dem Test zu 99.9% sicher sein, die Krankheit nicht zu haben, statt 99% vor dem Test.

Am Ende noch ein Wort zum Missbrauch von Statistik - ebenso wie Wissenschaft wird auch Statistik gerne miss-braucht - weil man mit "glasklaren" Zahlen und Fakten gerne über Denkfehler und fehlende Grundlagen hinweg-täuschen will. Mit am Meisten ärgern mich immer Statistiken mit Todesursachen, z. B. wenn behauptet wird, die Menschen wären früher gesünder gewesen, weil sie seltener an Krebs gestorben sind.

Erstens, weil damit darüber getäuscht wird, dass viele Menschen früher gar nicht alt genug geworden sind, um an Krebs zu sterben (1900 betrug auch in Deutschland die Kindersterblichkeit (bis fünf Jahre) noch 30%) und

zweitens weil so betrachtet auch in Zukunft die Medizin machtlos sein wird, weil immer Menschen zu 100% an irgendeiner Ursache sterben.

Wenn Ihnen also jemand mit solchen Statistiken kommt,

dann raten Sie zum Motorradfahren -

das reduziert auch die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu sterben.

Kann ich meinem Hirn trauen? (4. Teil der Trilogie - Korrelation und Kausalität)

Im letzten Teil von "Kann ich meinem Hirn trauen?" haben wir die Statistik als wert-volles Mittel kennengelernt, um uns vor intuitiven Fehlleistungen unseres Gehirns zu schützen.

Nehmen wir nun an, wir haben uns ordentlich der Statistik bedient und damit einen eindeutigen Zusammenhang zwischen zwei Größen - also eine Korrelation - gefun-den. Sind wir dann auf der sicheren Seite? Können wir dann sicher sein, dass wir den wahren Grund für ein Phänomen - also eine Kausalität - eindeutig festgestellt haben?

Oder ist auch hier unser Gehirn in eine kognitive Falle getappt? Die heutige Frage lautet also:

Findet unser Hirn vorschnell Zusammenhänge?

Dass man aus einer Korrelation nicht zwingend auf einen kausalen Zusammenhang schließen kann, dazu gibt es die beiden schon klassischen Beispiele:

Erderwärmung

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Störche als Babybringer

In beiden Fällen liegt eine klare Korrelation vor weniger Stoff ► ► höhere Erddurchschnittstemperatur weniger Störche ► ► weniger Geburten

Und genauso wissen wir, dass die Erderwärmung nicht Folge der Kleidermode ist und Babys nicht von Störchen gebracht werden. Damit eine Korrelation zwischen zwei Größen A und B entsteht, gibt es nämlich mehr als nur eine Möglichkeit: Erstens: Aus A folgt B: Also dass wirklich der Storch die Babys bringt. Viele Störche, auch viele Babys. Zweitens: Auch das Gegenteil könnte richtig sein: Aus B folgt A: Z. B. könnte es sein, dass das Babygeschrei Störche anlockt, auch dann würde immer eine höhere Zahl von Störchen und eine höhere Zahl von Babys zusam-men auftreten. Drittens: Eine dritte Größe C ist Ursache für A und B. Störche und Familien finden sich nur in ruhigen Gegen-den. Viertens: Zufall. Die Größen haben nichts miteinander zu tun, aber im Beobachtungszeitraum passen die Zahlen zufällig zusammen.

Ganz einfach passiert das natürlich bei im Wesentlichen konstanten Entwicklungen in eine Richtung (wie bei der Erderwärmung) - aber auch bei komplizierteren Kurven kann man auf zwei Kurven stoßen, die gut zufällig gut zusammenpassen.

Das demonstriert Tyler Vigen auf seiner Webseite http://www.tylervigen.com/ , auf der er zufällige Korrelationen zeigt, die er gefunden hat wie z. B. zwischen der Zahl der Menschen, die in einem Jahr einem Pool ertrinken und der Anzahl der Filme desselben Jahres, in denen Niclas Cage mitgespielt hat.

So weit, so gut. Scheint also alles ganz einfach und verständlich zu sein.

Warum also erzähle ich das? Auf einen so einfachen Denkfehler fällt doch keiner rein!

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Das ist richtig, so lange man bei absurden Beispielen bleibt. Nehmen wir aber dieselbe Argumentation bei einem Fall, der plausibler erscheint, dann sieht es schon ganz anders aus:

Sehen wir uns dafür den deutschen Krebsatlas für die altersstandardisierte Neuerkrankungsrate für Männer in 2010 an. Wie man leicht sieht, ist die Neuerkrankungsrate in Mecklenburg-Vorpommern am höchsten und dort befindet sich auch das Kernkraftwerk Greifswald.

Wenn Sie aufpassen, werden Sie sehen, dass es genügend Fälle in Argumentationen - selbst z. B. in Zeitungen, bei Politikern oder Interessensverbänden gibt, bei denen eine solche Korrelation als Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang verwendet wird. Und an diesem Beispiel sieht man, dass das Bestreben unseres Hirns von einem (möglicherweise zufälligen) Zusammentreffen auf eine Beziehung Ursache-Wirkung zu schließen,

höllisch gefährlich

ist, sobald ein Beispiel zumindest vorstellbar ist und noch mehr, wenn es so wie so gut zu unseren Erwartungen und in unsere Weltanschauung passt.

Aber - wenn man die erhöhte Krebsrate als Beweis für die Gefährlichkeit von Greifswald akzeptiert, dann müsste man nach demselben Argumentationsmuster auch akzeptieren, dass die niedrige Krebsrate in Hessen vom Kern-kraftwerk Biblis verursacht wird.

Tatsächlich aber ist es auch hier so, dass eine einfache Korrelation nicht ausreichend ist, um die Gefährlichkeit von Radioaktivität zu beweisen oder zu widerlegen.

Was ich Ihnen zum Abschied gerne auf den Weg mitgeben möchte, ist, dass wenn sie das nächste Mal an Korrela-tion und Kausalität denken, Sie nicht nur an das Beispiel mit Störchen und Babies denken, sondern auch das es viel gefährlichere Denkfallen gibt, wie das Beispiel mit Greifswald und Biblis!

Weitere Artikel von Peter Hank: � Kann ich meinem Hirn trauen? (3. Teil - third encounter) Statistik � Kann ich meinem Hirn trauen? (2. Teil - reloaded) falsche Furcht? � Kann ich meinem Hirn trauen? die kurze Antwort ist Nein

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Bildnachweis: � Korrelation: vom Autor � Erdtemperatur: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Instrumental_Temperature_Record_(NASA).svg <http://en.wikipedia.org/wiki/File:Instrumental_Temperature_Record_%28NASA%29.svg > � Wäscheleine: https://www.flickr.com/photos/focalplane/229880631/sizes/o/in/photostream/ � Störche - Babies: unauffindbar � Ertrinken - Niclas Cage http://www.tylervigen.com/ � fire-14799_640 http://pixabay.com/de/feuer-w%C3%A4rme-brennbaren-flamme-14799/ � Krebsatlas: http://www.ekr.med.uni-erlangen.de

Kann ich meinem Hirn trauen? (5. Teil - Suche nach Erklärungen)

Im 4. Teil von "Kann ich meinem Hirn trauen? wurde gewarnt, dass es gefährlich ist, von einem Zusammentreffen von Umständen - einer Korrelation - gleich auf einen ursächlichen Zusammenhang - eine Kausalität zu schließen. Warum aber sind wir so schnell dabei, Zusammenhänge zwischen Ereignissen zu suchen? Heute also die Frage:

Warum sucht unser Hirn so schnell nach Erklärungen?

Es scheint so, als würden wir Menschen den Zustand der Unsicherheit nur schwer aushalten. Wir wollen immer wissen, warum etwas passiert. Prinzipiell ist es si-cher auch sinnvoll, nach Ursachen zu suchen - schließlich kann uns das beim Ü-berleben helfen. Der Höhlenmensch, der nicht gelernt hat, das Wasserloch zu der

Zeit zu meiden, an denen die Löwen vorbeikommen, ist nicht der, von dem wir abstammen.

Was aber passiert, wenn wir versuchen ein Ereignis zu verstehen, für das es keine Erklärung gibt, zumindest kei-ne, die wir verstehen können?

Selbst heute noch können wir nur ganz ungefähr vorhersagen, wann und wo ein Blitz einschlagen wird. Sicher wa-ren früher Gewitter als Naturerscheinungen für die Menschen noch eindrucksvoller, da sie den Elementen mehr als wir ausgeliefert waren.

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Stellen wir uns nun vor, damals wurde ein Mensch vom Blitz getroffen. Sicher haben sich die Menschen dort Fra-gen gestellt wie:

Warum gerade der und kein anderer? Hätte mir das auch passieren können? Wie kann ich das verhindern?

Anscheinend sind in vielen Kulturen die Menschen zu dem Schluss gekommen, es waren mächtige Wesen, die Blitze auf die schleuderten, die Ihren göttlichen Geboten zuwiderhandelten.

Zeus Jupiter Thor

Die Blitze waren das sichtbare Zeichen für Verfehlungen des Opfers - es musste ja etwas Falsches gemacht haben, warum sonst würden es die Götter strafen. Und es war natürlich für die anderen klar, dass ihr Leben richtig und tadellos war - schließlich wurden sie ja verschont.

Heute natürlich glauben wir nicht mehr an den göttlichen Ursprung der Blitze - nicht unbedingt, weil jeder so viel genauer Bescheid weiß, wo Blitze herkommen. Ich denke, hier hat tatsächlich eine technische Erfindung den größten Einfluss gehabt, die alten Mythen zu vertreiben:

Dank des von Benjamin Franklin erfundenen Blitzableiters haben wir heute den Zorn der Götter nicht mehr zu fürchten. Tatsächlich führte der Blitzableiter auch zu Erklärungsnotständen - es ist schon schwer zu erklären, wenn - weil man auf den Schutz Gottes vertraut hat - der Kirchturm ohne Blitzableiter öfter abbrennt, das dane-benliegenden örtliche Hurenhaus - ausgerüstet mit der progressiven Technologie des Blitzableiters - aber unge-schoren davonkommt.

Zum Abschluss und zum Selbernachdenken noch ein Beispiel aus einem klassischen, psychologischen Experiment (Tversky, A. and Kahneman, D. (October 1983). "Extension versus intuitive reasoning: The conjunction fallacy in probability judgment". Psychological Review 90 (4): 293-315):

Linda ist 31 Jahre alt, alleinstehend, sehr intelligent und sagt offen ihre Meinung. Sie hat Philosophie studiert. Während der Studienzeit beschäftigte sie sich ausführlich mit Fragen der Gleichberechtigung und der sozialen Ge-rechtigkeit und nahm auch an Anti-Atomkraft-Demonstrationen teil.

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Welche der beiden Aussagen ist wahrscheinlicher?

Aussage A: Linda ist eine Bankangestellte.

Aussage B: Linda ist eine Bankangestellte und ist in der feministischen Bewegung aktiv.

Zahlreiche Untersuchungen führten immer wieder zum selben Ergebnis: 80% bis 90% der Versuchspersonen wählten B.

Wenn man sich nur überlegt, dass alle feministischen Bankangestellten auch Bankangestellte sind, wird sofort klar, dass Aussage A die richtige Antwort ist. Dennoch wird im Experiment sehr oft die Antwort B gewählt. Hier zeigt sich, dass die Antwort bevorzugt wird, die hilft, die vorhergehende Geschichte zu einem stimmigen Ganzen zu machen.

Und zum Abschluss noch eine Warnung: Richtig gefährlich wird dieser Hang zum Suchen nach Erklärungen dann, wenn - weil man die wirkliche Erklärung nicht kennt - eine Erklärung gesucht wird, die gerade zur eigenen Weltanschauung und den eigenen Feindbildern passt, hierzu ein paar Beispiele: � "Ueber die Art, wie sie andere ähnliche Krankheiten, insonderheit den Menschen, anzutun pflegen."

→ Hexen als Ursache von Krankheiten [1] � "Für mich ist das schon ein Wink mit dem Zaunpfahl, wenn das Meer herauskommt und eine Nation

überschwemmt, die so mit Lebewesen umgeht - wobei ich nicht alle Japaner über einen Kamm sche-ren will." → Naturkatastrophen als Rache von "Mutter Natur" am Menschen [2]

� "Diese Krankheit ist Sünde! Wer Aids hat, der ist doch selbst schuld. Es ist die Folge seines sündhaften Tuns." → Aids als Strafe für unsittlichen Lebenswandel [3]

� "Asbest ist schädlich, also muss er künstlich sein." → oder umgekehrt "Was soll an Zigaretten schon schädlich sein - alles rein pflanzlich!" [4]

� "Das Spiel fördert die Habgier und den Materialismus. … Das Spiel fördert Gewalttätigkeit." → Fol-gen von Fantasy-Rollenspielen

Sie finden sicher noch mehr. � http://de.wikisource.org/wiki/Der_Hexenhammer_(1923)/Zweiter_Teil,_Erste_Frage,_Kapitel_12 � http://www.sueddeutsche.de/bayern/anti-atom-aktivist-hans-soellner-seit-tschernobyl-hat-sich-nichts-

veraendert-1.1071330 � http://books.google.de/books?id=Eu4-

exWTc-FIC&pg=PA227&lpg=PA227&dq=aids+strafe+gottes&source=bl&ots=pC7dGlZzmz&sig=7Vjp0AcBGGKr7X7zYX-FA3_BQA4&hl=de&sa=X&ei=8macU-OGL8mQOOSRgYgF&redir_esc=y#v=onepage&q=aids%20strafe%20gottes&f=false

� http://www.focus.de/wissen/mensch/tid-23975/forschung-und-technik-medizin-piercing-ist-riskanter-als-kernkraft_aid_670342.html

� http://www.rpgstudies.net/erwachet/dungeons_and_dragons/

Bildquellen (pixabay, 3* Wikimedia Commons, flickr):

Gewitter: http://pixabay.com/de/texas-blitz-sturm-wetter-gewitter-79940/ Zeus: http://en.wikipedia.org/wiki/Zeus , Jastrow Jupiter: http://en.wikipedia.org/wiki/Jupiter_(mythology) , Olivierw Thor: http://en.wikipedia.org/wiki/Thor , DcoetzeeBot Blitzableiter: https://www.flickr.com/photos/chavals/2051355544/ Chaval Brasil

Kann ich meinem Hirn trauen? (6. Teil - Kognitive D issonanz)

Die vorhergehenden Beiträge unter "Kann ich meinem Hirn trauen?" drehten sich bisher mehr um die Frage, wa-rum unser Hirn zu falschen Wahrnehmungen oder falschen Schlussfolgerungen kommt.

Dass dies aber nicht die einzige Art ist, auf die uns unser Hirn täuscht, wird jeder - zumindest bei anderen - schon mal in einer Diskussion festgestellt haben. Es reicht nämlich in den meisten Fällen nicht aus, stichhaltigere Argu-mente oder gar unumstößliche Beweise für eine Behauptung zu haben, um das Gegenüber zu überzeugen. Häufig führt das eher zu einer Reaktion, wie sie so schön von Carol Tavris und Elliot Aronson als Buchtitel formuliert wurde:

"Ich habe recht, auch wenn ich mich irre!"

Und vielleicht hat auch schon mal jemand bei sich selber festgestellt, dass sie oder er Dinge tut, obwohl es keine guten Gründe dafür oder gar gute Gründe dagegen gibt. Die Frage für diesen Beitrag soll also lauten:

Warum lässt sich unser Hirn auch von guten Argumenten nicht überzeugen?

Ein Psychologe, der sich mit dieser Frage beschäftigt hat, ist Leon Festinger.

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Wie stark sich Menschen an ihnen wichtige Vorstellung klammern, hat Leon Festinger aus erster Hand beobach-ten können, als er (mit zwei Mitarbeitern) under Cover Mitglied einer Sekte um Marian Keech (eigentlich Dorothy Martin) wurde. Marian Keech hat den kommenden Weltuntergang vorhergesagt und ihren Jüngern verheißen, sie würden durch fliegende Untertassen gerettet werden. Als dann der Tag des Weltuntergangs kam und für alle of-fensichtlich die Welt nicht unterging, da verloren die Anhänger nicht etwa den Glauben an ihre Anführerin. Als die Flut ausblieb, behaupteten die Anhänger, die Gebete der Gruppe hätten Gott umgestimmt und so den Weltun-tergang aufgehalten. Mit erneutem Eifer machte man sich ans Missionieren.

Leon Festinger hat es in seiner Theorie der Kognitiven Dissonanz so formuliert: Kognitive Dissonanz bezeichnet einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Kognitionen hat - Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten -, die nicht miteinander vereinbar sind.

Leon Festinger: A Theory of Cognitive Dissonance. Stanford, CA: Stanford University Press 1957

Auf Basis der Kognitiven Dissonanz-Theorie kann man das Verhalten der Sektenmitglieder leicht erklären. Da sie so viel in ihren Glauben investiert hatten (zum Beispiel vorm Weltuntergang ihre Häuser verkauften), hätte der Gedanke, man wäre auf einen Schwindel hereingefallen, diese großen Opfer sinnlos werden lassen. Dagegen war die Erklärung, man selbst hätte den Weltuntergang aufgehalten mit den vorigen Investitionen gut und ohne nega-tive Gefühle vereinbar.

Festingers Ideen wurden durch ihn und viele weitere Psychologen auch experimentell geprüft. Im ersten dieser Experimente waren Studenten angehalten, eine sinnlose Aufgabe durchzuführen (Schrauben aus Brettern schrau-ben, die Bretter drehen und dann die Schrauben wieder anziehen). Außerdem sollten diese Studenten dann weitere Studenten davon überzeugen, auch an diesem Experiment teilzunehmen. Dabei waren die Studenten in zwei Gruppen geteilt, die eine wurde für ihre Teilnahme mit 1$, die andere mit 20$ bezahlt.

Wer, glauben sie, hat in der nachfolgenden Befragung diese sinnlose Aufgabe als interessanter bewertet? Die, die 1$ bekommen hatten, oder die mit 20$?

Tatsächlich hat dieses Experiment Festingers Theorie bestätigt. Wer 20$ bekommen hatte, war damit ausreichend für die sinnlose Tätigkeit bezahlt worden, so dass kein unangenehmes Gefühl aufkam. Wer aber für nur einen Dol-lar diese sinnlose Arbeit leistete, erklärte, diese Arbeit wäre interessant und lehrreich gewesen; wie sonst käme man auch dazu, jemand anderen zu dieser Arbeit zu überreden?

Auch im Alltag kann man viele Beispiele für diese Reduktion der Kognitiven Dissonanz finden, vielleicht sogar bei sich selber, sicher aber bei anderen.

Zum Beispiel gibt es viele gute Gründe, sich das Rauchen abzugewöhnen, nicht zuletzt die deutlich erhöhte Le-benserwartung, von vielen unangenehmen Begleiterscheinungen des Rauchens ganz abgesehen.

(nach "Mortality in relation to smoking: 50 years’ oberservations on male British doctors" R.Doll, R.Peto, K.

Wheatley, I. Sutherland)

Natürlich wird dann gerne der Großvater (oder Helmut Schmidt) angeführt, der doch auch 90 geworden ist. (Zu diesem Thema und dass eine Anekdotensammlung keine Statistik ersetzt, habe ich unter dem Stichwort "interne Strichliste" schon im ersten Teil dieser Reihe geschrieben.)

Ignoriert werden hingegen die viel aussagekräftigeren Statistiken mit Zehntausenden von Teilnehmern - die zei-gen nämlich, dass nur etwa 3 von 100 Zigarettenraucher 90 werden, hingegen über 20 von 100 Nichtrauchern.

Aber wer ändert schon seine Meinung wegen einer guten Statistik, wenn er einen schönen Einzelfall hat?

Zum Schluss - und um als Naturwissenschaftler auch meine klassische Bildung unter Beweis zu stellen - möchte ich anmerken, dass die grundsätzlichen Mechanismen der Kognitiven Dissonanz natürlich auch schon im Alter-tum bekannt waren.

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Das älteste mir bekannte Beispiel dazu stammt vom Dichter Äsop (etwa 600 v. Chr.) - die Fabel "Der Fuchs und die Trauben".

Bildnachweis: Human: PublicDomainPictures, pixabay Festinger: http://en.wikipedia.org/wiki/Leon_Festinger Rauchen - Überlebensrate: http://www.rauchfrei.de/raucherstatistik.htm Der Fuchs und die Trauben: http://www.gutenberg.org/files/24108/24108-h/images/11,1.jpg _________________________________________________________________________________________ Kann ich meinem Hirn trauen? (7. Teil - Dunning-Kru ger-Effekt)

Dr. Peter Hank setzt seine Aufklärungsreihe bei wissenbloggt fort mit einem Exkurs in die Welt des Autofahrens. Damit sich niemand angesprochen fühlen muss, zeigt das Bild von PublicDomainPictures, pixabay, einen gänz-lich unbekannten Autofahrer:

Letztes Mal ging es in der Reihe "Kann ich meinem Hirn trauen?" um das Phänomen der Kognitiven Dissonanz - also darum, dass es unserem Hirn schwer fällt, mit zwei sich wi-dersprechenden Kognitionen - Wahrnehmun-gen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten - abzufinden. Unser Gehirn reagiert dann typischerweise damit, dass eine der beiden Kognitionen abgeändert wird:

Was nicht passt, wird passend gemacht.

Noch stärker ist dieser Effekt, wenn eine der beiden Einstellungen für uns wichtiger als die andere ist und natür-lich ist unser eigenes Selbstwertgefühl eine der wichtigsten Größen überhaupt für uns. Kurzum, diesmal soll es um den Dunning-Kruger-Effekt gehen und um die Frage

Warum erzählt uns unser Hirn, wir wären überdurchschnittlich gute Autofahrer?

Jetzt mal Hand auf‘s Herz - wer von Ihnen hält sich für einen überdurchschnittlich guten und sicheren Autofahrer? Hier kann ich nach dieser Vorrede unter den Lesern keine unvoreingenommene Statistik mehr machen, aber wir können uns einige Ergebnisse ansehen, z. B. eine Studie von Ola Svenson aus dem Jahr 1980:

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Ola Svenson, Are we all less risky and more skillful than our fellow drivers?, Acta Psychologica 47 (1981) 143-148

Wenn sich die befragten Autofahrer richtig einschätzen würden, dann würde man erwarten, dass alle Balken etwa gleich hoch wären, also genau so viele Autofahrer in jedem der 10 Prozentbereiche wären. Irgendwie scheint man bei der Befragung nur die besten Fahrer erwischt zu haben. Bedenklich wird es dann noch, wenn man weiß, dass sich an der Statistik nichts ändert auch wenn man Autofahrer befragt, die schon wegen Verkehrsverstößen aufge-fallen sind oder die Unfälle verursacht haben. Dessen ungeachtet halten sich diese Unfallfahrer auch weiterhin für überdurchschnittlich.

Aber vielleicht sind Autofahrer auch nicht die besten Beispiele. Vielleicht ergibt sich etwas anderes, wenn man die Befragung bei einer Personengruppe durchführt, die von Berufs wegen schon darauf trainiert ist, Sachverhalte richtig zu bewerten. In der Doktorarbeit von Mark Schweizer, Kognitive Täuschungen vor Gericht, Zürich 2005 wurden Richter in der Schweiz und in der USA befragt und es ergab sich folgendes Ergebnis:

Es sieht so aus, als ob die schweizer Richter bescheidener sind als die US-amerikanischen (oberer Durchschnitt statt Spitze) aber auch in der Schweiz sind 90% der Richter bei den besten 50% dabei und nur 10% unter dem Mittel. Leider habe ich keine Statistik gefunden, wie viele Psychologen sich für außergewöhnlich gute Psycholo-gen halten - wäre interessant, ob die Kenntnis psychologischer Effekte hilft, sich realistischer einzuschätzen.

Dass sich oft gerade die aller unfähigsten für besonders schlau halten, das war auch der Ausgangspunkt für Kruger und Dunning. In ihrer Arbeit Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One's Own Incompe-tence Lead to Inflated Self-Assessments von 2009 in Psychology, 1, 30-46 schreiben sie:

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Bei mir hat es etwas gedauert, bis mir wieder die Experimente eingefallen sind, mit denen wir als Kinder versucht haben, mit Zitronensaft als unsichtbarer Tinte zu schreiben.

(Nebenbei bemerkt: Solche kleinen Geschichten sind für mich ein Grund, mir die Mühe zu machen, mir die Origi-nalarbeiten zu beschaffen. Es ist oft interessant zu lesen, was der Auslöser einer bestimmten Forschungsarbeit war.)

Jedenfalls haben Kruger und Dunning dabei die Hypothese aufgestellt:

"Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. […]

Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, [sind] genau jene Fähigkeiten, um zu entscheiden, wann eine Lösung richtig ist."

In ihren Experimenten haben sie dann mit den Versuchspersonen Tests zu verschiedenen Fähigkeiten (Gramma-tik, Logisches Denken, Erkennen von Humor) durchführt und das Testergebnis mit der Selbsteinschätzung vergli-chen. Selbst die Testpersonen im schlechtesten Viertel hielten sich für besser als das Mittel.

Und das war nicht das schlimmste der Ergebnisse; es kam auch vor, dass sich das schlechteste Viertel sogar für besser einschätzte als die beiden mittleren Gruppen!

Interessant auch was dabei passierte, als man mit den Versuchspersonen ein Training durchführte. Obwohl die Testpersonen besser abschnitten, war ihre eigene Wahrnehmung schlechter - wohl weil sie dabei gelernt hatten, was sie alles nicht wussten.

Was könnte jetzt für jeden von uns daraus die Schlussfolgerung sein?

Fahr vorsichtig, so gut, wie Dein Hirn Dir sagt, fährst Du nicht!

Bildnachweis: Bilder von Svenson: nach Ola Svenson, Are we all less risky and more skillful than our fellow drivers?, Acta Psy-chologica 47 (1981) 143-148 Bilder von Kruger: nach Kruger, Dunning, Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One's Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments von 2009 in Psychology, 1, 30-46 Bilder von Schweizer: nach Mark Schweizer, Kognitive Täuschungen vor Gericht, Zürich 2005

Kann ich meinem Hirn trauen? (8. Teil - Dunning-Kru ger-Effekt II)

Leider ist der letzte Teil zum Thema "Kann ich meinem Hirn trauen? schon eine Weile her. Thema war damals der Dunning-Kruger-Effekt (sie erinnern sich, es ging um die Frage warum sich so viele für überdurchschnittlich gute Autofahrer halten):

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Und wie Dunning richtig bemerkte und experimentell belegte, ist die Selbstüberschätzung natürlich dort am stärksten ausgeprägt, wo die Fähigkeiten am meisten fehlen. Als Physiker fallen mir da Beispiele aus meinem Fachgebiet besonders auf. Dort gibt es eine besondere Gruppe von Personen, die durch die Arroganz der Ignoranz auffallen. Das sind die Einsteinleugner. Darunter sind auch bekannte Personen wie zum Beispiel - zumindest die Älteren werden ihn kennen - Christian Anders. Richtig der Christian Anders - der in meiner Jugend durch Lieder wie "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo" bekannt geworden ist.

Und er hat - seiner eigenen Meinung nach - Einstein mit seiner eigenen Formel widerlegt4 (). Dort steht wörtlich: "Meines Erachtens bin ich der einzige Mensch auf dieser Erde, der Einsteins Irrtum durch Einsteins eigene For-mel widerlegt. Einstein erklärt die Lichtgeschwindigkeit als konstant und nicht zu erhöhen? Im gleichen Atemzug quadriert er sie (also c) in seiner Formel. Das geht doch wohl nicht, oder? Bereits wenn ich für c nur 1000 km/sec einsetze, platzt Einsteins Formel förmlich aus allen Nähten. Dann wäre nämlich c = 1000000 km/sec, also über dreimal höher als die Lichtgeschwindigkeit und würde zu einer Mega-Energie führen."

Eigentlich sollte schon einem Grundschüler auffallen, dass man, wenn man Kilometer mit sich selber multipliziert Quadratkilometer rauskommen und 1000 km/sec zum Quadrat nie und nimmer wieder die Einheit km/sec haben kann. Also einerseits die Behauptung schlauer als Einstein zu sein und dann Rechenfehler wie ein Anfänger - der Dunning-Kruger-Effekt hat wieder zugeschlagen und zwar ziemlich hart.

Was passiert nun, wenn eine solche Ansicht auf die Wirklichkeit stößt; also in dem Fall auf Physiker, die trotz den Ausführungen von Christian Anders immer noch an der Relativitätstheorie festhalten. Da ist es nur noch ein klei-ner Schritt zu Verschwörungstheorien - ich zitiere wieder Christian Anders: "Ein rücksichtsloser Gauner war Albert Einstein, der von seinen Leuten hochgehalten und stilisiert wurde, weil die eben so gerne ein Genie in den eigenen "von Gott auserwählten" Reihen gehabt hätten. Also machten sie Al-bert Einstein zum Genie. Sie machten einen mittelmäßigen Zwerg zum Genie. Aber Einstein war alles andere als ein Genie. In Wirklichkeit, so sage ich, war Einstein ein lausiger Mathematiker. Jeder Durchschnittsschüler hat wahrscheinlich mehr Ahnung von Mathematik als das mittelmäßig begabte Schlitzohr Albert Einstein." Wie ich meine, starke Worte von jemand, der schon beim Rechnen mit Einheiten versagt hat. Wobei ich immer Schwierigkeiten habe zu verstehen, warum man gerade um die Relativitätstheorie eine Verschwörung aufbauen sollte? Wenn ich als Physiker mir eine Verschwörung ausdenken würde, dann schon so etwas: Wissenschaftler sind ideale Sexualpartner für attraktive Frauen.5

Aber vielleicht als kleiner Trost für Einstein, er steht nicht allein auf der Liste der Wissenschaftler, die von Chris-tian Anders widerlegt wurden; schon fast selbstverständlich zu erwarten hat er auch die Evolutionstheorie wider-legt: Darwin irrt!: Der Affe stammt vom Menschen ab.6

Jetzt noch zu einem weiteren Punkt und hier muss ich zugeben, dass ich mich weit aus dem Fenster lehne, denn hier will ich meine eigene Theorie aufstellen -

Ich glaube, dass Dunning-Kruger auch einen Einblick gibt, wie der Aktienmarkt funktioniert.

Natürlich kann jeder in Aktien investieren und wenn er sein Portfolio ausreichend streut, dann wird sich sein Vermögen entlang der allgemeinen Entwicklung der Aktienkurse entwickeln. Wenn man also mit diesen Gewin-nerwartungen zufrieden wäre, dann wäre gegen diese Argumentation auch nichts einzuwenden. Tatsächlich aber glauben viele, dass sie viel mehr Gewinn machen können als die mittlere Kursentwicklung, also dass die schlauer sind - oder zumindest mehr von Aktien verstehen - als der durchschnittliche Anleger. Daher findet man Bücher oder Angebote wie diese: > Wie man mit Aktien Geld verdient: Mit diesem erprobten System kann jeder an der Börse gewinnen7 > Die Börsenformel: Mit diesen fiesen Tricks hat in 39 Minuten absolut JEDER genug Wissen, um monatlich lo-cker zwischen 4.758,- und 11.246,- am PC zu verdienen!8 > Bullrider: Ohne Risiko!9

Meine erste Frage wäre schon, wenn das so gut funktioniert, warum versuche ich so ein System zu verkaufen, statt mit meinem eigenen Geld die Gewinne einzufahren?

Daher mein Tipp an Sie: Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein - dann ist das wahrscheinlich auch so!

4 siehe http://www.diebewegung.com/?p=2507 5 http://www.der-postillon.com/2010/06/neue-studie-wissenschaftler-sind-ideale.html 6 http://www.amazon.de/Darwin-irrt-Affe-stammt-Menschen/dp/3937699007 7 http://www.amazon.de/Wie-man-Aktien-Geld-verdient/dp/3942888432/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1411552891&sr=1-1&keywords=Wie+kann+man+mit+Aktien+Geld+verdienen 8 http://www.youtube.com/watch?v=aY_acocwIyI 9 http://www.bullrider.biz/

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Kann ich meinem Hirn trauen? (9. Teil – Risikokompe nsation)

In den letzten beiden Artikeln von „Kann ich meinem Hirn trauen?“ ging es um den Dunning-Kruger-Effekt und warum es so viele überdurchschnittlich gute Autofahrer gibt. Damals habe ich davor gewarnt, dem eigenen Hirn zu sehr zu glauben – egal für wie gut jemand sich als Autofahrer hält, fahren Sie vorsichtig!

Die Gefahren durch Dunning-Kruger-Effekt sind nämlich offensichtlich. Es finden sich nämlich genügend Auto-fahrer, die sich für so fähig halten, dass die Regeln für „normale Autofahrer“ für sie nicht zutreffen und die mei-nen, sich so etwas leisten zu können:

genauso wie: � Alkohol am Steuer � Badelatschen zum Fahren � Fahren ohne Sicherheitsgurt

Dahinter steckt auch ein Effekt, der beschreibt, wie sich unser Verhalten ändert, wenn das wahrgenommene Risi-ko sich ändert: Kurz heute geht es um die Idee der Risikokompensation oder:

Warum können Sicherheitsmaßnahmen zu mehr Unfällen führen?

Hierzu eine Statistik aus den Vereinigten Staaten. In Montana wurden 2000 Geschwindigkeitsbegrenzungen ein-geführt. Wie sich die Zahl der Unfälle verändert hat, sieht man hier:

Woher kommt es, dass trotz oder vielleicht sogar wegen der Geschwindigkeitsbegrenzung die Zahl der tödlichen Unfälle angestiegen ist?

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Eine Erklärung hierzu gibt Gerald J.S. Wilde mit seiner Theorie zur Risikokompensation:

Damit ist gemeint, dass, wenn das empfundene Risiko z. B. durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung sinkt, dann ein Fahrer dieses kompensiert, in dem er anderweitig mehr Risiken eingeht, z. B. weniger Abstand hält.

Traurigerweise gibt es jetzt eine Vielzahl von Beispielen, dass gut gemeinte und sinnvolle Maßnahmen zur Un-fallverhütung keinen oder sogar eine negative Auswirkung auf die Zahl der Unfälle hatten. Einige Beispiele, hier-zu:

Münchner Taxistudie: Die Taxis mit ABS hatten mehr Unfälle, als die ohne ABS.

Schweden, Umstellung auf Rechtsverkehr: In den ersten zwei Jahren nach der Umstellung von Links- zu Rechts-verkehr gab es weniger Unfälle. Dadurch, dass das Autofahren als gefährlicher empfunden wurde, wurde vorsich-tiger gefahren – merke: der Effekt der Risikokompensation kann Änderungen des wahrgenommenen Risikos in beide Richtungen beschreiben.

Skihelme: Da gibt es inzwischen den Trend, dass statt eines Skikurses zu besuchen, ein Helm gekauft wird.

Holzfäller: Nachdem in Finnland Sicherheitsstiefel, Handschuhe, Helme und Schutzbrillen eingeführt wurden, nahmen die Verletzungen an den geschützten Stellen ab – dafür gab es mehr Verletzungen der ungeschützten Stel-len. Aufgrund des niedrigeren gefühlten Risikos arbeiteteten die Holzfäller schneller und weniger sorgfältig.

Fahrradhelme: Selbst wenn Sie als Fahrradfahrer weiterhin vorsichtig fahren – machen Sie sich darauf gefasst, dass Autofahrer Sie dann in geringerem Abstand überholen werden. Ich habe auch mal gehört, dass bei Radfah-rerinnen mit langen, blonden Haaren der Abstand beim Überholen größer sein soll. Sie könnten also an Ihrem Helm auch eine blonde Perücke befestigen.

Große Geländewagen: Fahrer in großen Geländewagen fühlen sich damit auch in der Stadt sicherer. Um das aus-zugleichen, sind weniger angeschnallt, dafür telephonieren mehr im Auto. Wie sich das auf die anderen Ver-kehrsteilnehmer auswirkt, können Sie sich vorstellen.

Um das Thema aber nicht zu negativ ausklingen zu lassen. Häufig halten die Effekte nur eine Zeit an, dann hat man sich an die Sicherheitsausrüstung gewöhnt und das Verhalten normalisiert sich wieder.

Und denken Sie daran, Ihr Hirn hat es immer noch selber in der Hand. Statt der Werbung der Autohersteller zu glauben, wie sicher Ihr neu gekauftes Auto ist, stellen Sie sich vor, im Lenkrad ist eine Lanze eingebaut, die genau auf Ihre Brust in die Herzgegend zielt – dann wird Ihr Gehirn Sie auch sicher fahren!

Damit endet fürs erste die Artikelserie zum Thema „Kann ich meinem Hirn trauen?“.