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Kapitel 8: Die Lösung der Koreafrage als Voraussetzung für eine KSZA 205 8. Die Lösung der Koreafrage als Voraussetzung für eine KSZA „However, unfortunatly, the Perry recommendations stop short of offering to cut the Gordian knot in the obvi- ous absence of proper insight into the Korean ques- tion.“ (Kim, Myong-Chol 1999:2) Was Kim dem amerikanischen Sonderbeauftragten beschei- nigt, ist in der Tat eine der schwierigsten und komplexesten Herausforderungen an die US-amerikanische Außenpolitik. Aus der Geschichte klug zu werden gelingt den wenigsten Ländern ohne existenzielle Notwendigkeit. Und wer einmal bequem gesessen hat, wird seinen Sitz so schnell nicht aufge- ben, selbst wenn dieser über die Jahrzehnte morsch und brü- chig geworden ist. Die unbeweglichen Strukturen, die einst die Konfronta- tion entlang der koreanischen Demarkationslinie kennzeic h- neten, sind seit nahezu einem Jahrzehnt in Bewegung geraten. In den 1990er Jahren haben einige einschneidende Entwic k- lungen die Situation auf der koreanischen Halbinsel verändert. Zunächst ist nach dem Tode Kim Il-Sungs ein neuer Ver- handlungsspielraum entstanden, der durch seinen Sohn und jetzigen Generalsekretär Kim Jong-Il schon während der Ver- handlungen mit den USA 1994 in Genf wahrgenommen wur- de. 237 Zudem haben sich auch die politischen Verhältnisse in Südkorea verändert. Das bis 1992 bestehende Militärregime wurde durch eine bis heute im Amt befindliche Zivilregierung abgelöst, der mit dem jetzigen Präsidenten Kim Dae-Jung zum ersten Mal ein ehemaliger politisch Oppositioneller vorsteht. Neben der Demokratisierung der politischen Machtverhältnis- se strebt der jetzige Präsident eine Aussöhnungs- oder ‚ Son- nenscheinpolitik’ an, die zum ersten Mal in der Geschichte des geteilten Koreas tatsächliche Konsequenzen nach sich zog. 237 Kim Jong-Il erzielte damals die historische Vereinbarung mit den USA, die den seit Jahren andauernden Atomstreit formal beendete.

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8. Die Lösung der Koreafrage als Voraussetzung für eineKSZA

„However, unfortunatly, the Perry recommendations stopshort of offering to cut the Gordian knot in the obvi-ous absence of proper insight into the Korean ques-tion.“ (Kim, Myong-Chol 1999:2)

Was Kim dem amerikanischen Sonderbeauftragten beschei-nigt, ist in der Tat eine der schwierigsten und komplexestenHerausforderungen an die US-amerikanische Außenpolitik.Aus der Geschichte klug zu werden gelingt den wenigstenLändern ohne existenzielle Notwendigkeit. Und wer einmalbequem gesessen hat, wird seinen Sitz so schnell nicht aufge-ben, selbst wenn dieser über die Jahrzehnte morsch und brü-chig geworden ist.

Die unbeweglichen Strukturen, die einst die Konfronta-tion entlang der koreanischen Demarkationslinie kennzeich-neten, sind seit nahezu einem Jahrzehnt in Bewegung geraten.In den 1990er Jahren haben einige einschneidende Entwick-lungen die Situation auf der koreanischen Halbinsel verändert.Zunächst ist nach dem Tode Kim Il-Sungs ein neuer Ver-handlungsspielraum entstanden, der durch seinen Sohn undjetzigen Generalsekretär Kim Jong-Il schon während der Ver-handlungen mit den USA 1994 in Genf wahrgenommen wur-de.237 Zudem haben sich auch die politischen Verhältnisse inSüdkorea verändert. Das bis 1992 bestehende Militärregimewurde durch eine bis heute im Amt befindliche Zivilregierungabgelöst, der mit dem jetzigen Präsidenten Kim Dae-Jung zumersten Mal ein ehemaliger politisch Oppositioneller vorsteht.Neben der Demokratisierung der politischen Machtverhältnis-se strebt der jetzige Präsident eine Aussöhnungs- oder ‚Son-nenscheinpolitik’ an, die zum ersten Mal in der Geschichte desgeteilten Koreas tatsächliche Konsequenzen nach sich zog.

237 Kim Jong-Il erzielte damals die historische Vereinbarung mit den

USA, die den seit Jahren andauernden Atomstreit formal beendete.

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Damit ist nicht nur das Zustandekommen des als ‚historisch‘bezeichnete Gipfeltreffen der beiden koreanischen Staatsführergemeint: neben der Freilassung vieler politischer Gefangener(die bis heute anhält) erklärte Kim Dae-Jung auch einen unbe-dingten Gewaltverzicht gegenüber dem nordkoreanischenNachbarn und die Unterlassung jeglicher Handlungen, die aufeine Einverleibung oder Unterminierung der politischen Füh-rung des Nordens zielen.238

Im internationalen Bereich haben die 1990er Jahre zueiner Annäherung zwischen Nordkorea und den VereinigtenStaaten geführt. An die Genfer Verhandlungen schlossen sichdie Vierparteiengespräche zur Lösung der Koreafrage an. DerPerry-Bericht mit der anschließenden Aufhebung einigerSanktionen nährt die Hoffnung auf eine echte Chance zurNormalisierung der Beziehungen zwischen den USA undNordkorea. Und damit wären die beiden Hauptstränge des Lö-sungsweg für die Koreafrage benannt:

1. die Entspannung der Beziehungen zwischen Nordkorea undden USA mit dem Ziel der Normalisierung und

2. die Intensivierung des innerkoreanischen Dialogs.

Besonders die weitgehende Abkopplung der beiden Prozessevon dem jeweils anderen – d.h. eine stärkere Eigenständigkeitder südkoreanischen Seite – kann zu einer deutlich größerenDynamik in der Entspannungsbemühungen führen. Andern-falls wäre der ‚innerkoreanische‘ Dialog nichts anderes als dernordkoreanisch-US-amerikanische Dialog mit südkoreani-schem Sprecher. Im Prinzip sind sich alle beteiligten Staatendarüber einig, dass der konkrete Lösungsweg ein koreanischersein muss – unabhängig von der Frage, dass in der Vergangen-heit einzelne beteiligte Staaten einen solchen Lösungsweg –aktiv oder passiv – blockierten. Welche Anzeichen für eineLösung der Koreafrage sind also in den beiden o.g. Strängenzu finden?

238 Vgl. The Han-Kyoreh (Hg.) 1998

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8.1 Entspannung der Beziehungen zwischen Nordkorea undden USA

Die Evolution der Beziehungen zwischen den USA und Nord-korea hat – wie erwähnt zum Ende der 1990er Jahre eine –hoffentlich nachhaltige – Wende erfahren. Dabei entwickeltensich diese von der stummen Konfrontation über diplomatischeStrategie des Spielens auf Zeit bis hin zum mit dem Einsatzvon Raketen erzwungenen ernsthaften Dialog.

8.1.1 Die Lösungsansätze des Genfer Abkommens

Zwischen Mai 1992 und März 1993 unterzog die InternationalAtomic Energy Organization (IAEO) die nordkoreanischenAtomanlagen gemäß des ‚Safeguard-Verifikationsabkommens’als Unterprogramm des Atomwaffensperrvertrages insgesamtsechs Kontrollen. Hintergrund war die seitens der USA ausge-sprochene Befürchtung, Nordkorea könnte an der Entwicklungatomarer Waffen arbeiten.239 Nach dem letzten Golfkrieg ha-ben die USA Nordkorea als zweites Irak in Verruf gebrachtund behauptet, dass Nordkorea ein Atomwaffenarsenal besitze,welches die Sicherheit der Region bedrohe.240 Die anschließenddurchgeführten IAEO-Inspektionen ergaben Unstimmigkeitenzwischen dem von Nordkorea deklarierten und dem tatsächlichvorgefundenen Material, sodass die Behörde Sonderinspektio-nen für zwei weitere Anlagen forderte. Diese wurden vonNordkorea abgelehnt.

Der Streit zwischen den USA und Nordkorea eskaliertebis zur Kündigung des Non-Proliferations-Vertrag (NPT)durch Nordkorea. Den Austritt des Landes aus dem NPT- 239 Die USA sprach erstmals im Juni 1989 den Verdacht aus, dass ein

nordkoreanisches Kernwaffenprogramm existiere, vgl. Spekter/Smith 1989-1990:128

240 Auf einer Pressekonferenz in Washington betonte General Collin Po-well, der amerikanische Stabschef und neuem Außenminister derUSA in einem Interview mit der Army Times (8. April 1991):„Nach Saddam Hussein sind Kim Il Sung und Castro als Teufeldran, die wir niederhauen müssen“.

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Regime241 wollten die USA jedoch unter allen Umständen ver-hindern und erwogen verschiedenen Maßnahmen, angefangenvon internationalen Sanktionen – die jedoch von der UNOdurch die Ankündigung eines Vetos von Seiten Russlands undChinas nicht zustande kamen – bis hin zur Kriegsdrohung, diewiederum trotz einer Vielzahl amerikanischer Befürworter nieoffiziell ausgesprochen wurde.242

Vor dem Hintergrund der komplizierten und umfangrei-chen Problemlage auf der koreanischen Halbinsel wurde schonbald ein erweiterter Forderungskatalog Nordkoreas Gegen-stand der Diskussion. Dazu zählten als wichtigste Punkte dieNormalisierung der Beziehungen zwischen den USA undNordkorea und die Beendigung der 1993 wiederaufgenomme-nen ‚Team-Spirit’-Mannöver243. Letztendlich nahm Nordkoreaseine Ankündigung zurück, das NPT-Regime zu verlassen,weil sich die USA – nach ausgebliebener internationaler Un-terstützung für die von ihnen präferierten Sanktionsmaßnah-men – zu Verhandlungen über die nordkoreanischen Forde-rungen bereit erklärten.

Am 21.10.1994 haben die USA und Nordkorea ihren 18Monate andauernden Atomstreit mit der Unterzeichnung dessog. ‚Genfer Abkommen'244 formell beendet. Dieser Vertrag 241 Art. X, Abs. 1/ NPT besagt: "Jede Vertragspartei ist in Ausübung ih-

rer staatlichen Souveränität berechtigt, von diesem Vertrag zurück-zutreten wenn sie entscheidet, dass durch außergewöhnliche, mitdem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende Ereignisse eineGefährdung der höchsten Interessen ihres Landes eingetreten ist.Sie teilt diesen Rücktritt allen anderen Vertragsparteien sowie demSicherheitsrat der Vereinten Nationen drei Monate im voraus mit.",in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.) 1988

242 James Baker wird beispielsweise zitiert mit: „Die Zeit der Verhand-lungen ist vorbei. Das ist, als würden wir mit Saddam Hussein ver-handeln." Und der republikanische Senator John McCain, derKriegsgefangener in Vietnam war, empfahl: „Einzig die Androhungvon Gewalt und Auslöschung überzeugt Leute wie Kim Il Sung",vgl. o.V. 1994a:142-144

243 Die zwischenzeitlich unter der Bezeichnung RSO&I erneut durchge-führt wurde, vgl. Kapitel 4.1.3

244 Vgl. USIA 1994: 9f

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stimmt im wesentlichen mit der gemeinsamen Erklärung vom13.8.1994 überein, in der sich die USA und Nordkorea aufMaßnahmen zur Normalisierung der bilateralen Beziehungenverständigten. Die beiden Staaten bekundeten das Ziel, ihrewirtschaftlichen und politischen Beziehungen vollständig zunormalisieren und diplomatische Vertretungen in der jeweilsanderen Hauptstadt zu eröffnen. Nordkorea erklärte seinenWillen zum Austausch seiner Graphitreaktoren durch Leicht-wasserreaktoren und zur Einhaltung der Bestimmungen desAtomwaffensperrvertrags. Washington verpflichtete sich, beimBau der Leichtwasserreaktoren – in denen weniger atomwaf-fenfähiges Plutonium anfällt – zu helfen und bis zu deren Fer-tigstellung andere Energiequellen zu finanzieren. Inspektorender IAEO erhielten die Erlaubnis, das staatliche radiochemi-sche Labor, nicht jedoch die Atomanlage in Youngbyon zubesuchen.

Die anfallenden Kosten zur Finanzierung des Umbausdes nordkoreanischen Energiesektors in Höhe von voraus-sichtlich rund 5,2 Milliarden US$ sollten von einem unter süd-koreanischer Leitung stehenden internationalen Konsortiumnamens ‚KEDO' (Korean Energy Development Organization),übernommen werden. Der Energieausfall für Nordkorea, deraus der Abschaltung der Kernkraftwerke resultiert, sollte biszur Fertigstellung der Leichtwasserreaktoren durch Erdölliefe-rungen von jährlich bis zu 500.000 Tonnen kompensiert wer-den, wobei eine Beteiligung an den hierbei entstehenden Ko-sten durch weitere westliche Staaten zugesagt wurde. Darüberhinaus waren die Vereinigten Staaten bereit, der Demokrati-schen Volksrepublik Korea Zusicherungen gegen die Andro-hung des Einsatzes von Nuklearwaffen durch die VereinigtenStaaten zu geben.

Mit der Unterzeichnung des Abkommens wurde gleich-zeitig ein ‚Fahrplan’ entwickelt 245, der die Umsetzung der ver-traglichen Vereinbarungen zeitlich abstimmt. Wie aus der fol-genden Abbildung ersichtlich ist, sind bis heute viele Punkteunerfüllt geblieben. 245 Vgl. Abb. 11

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Abb. 11 Fahrplan des Genfer Abkommens vom 21.10.1994

Quelle: The Hankyoreh 21, 21.01.1997:28 (leicht veränderte Darstellung)

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Die USA z.B. verzögerten die Lockerung der Wirtschafts-sanktionen bis zum Beginn des Jahres 2000 vollständig – undseitdem teilweise. Außerdem blieben sie die Eröffnung einesVerbindungsbüros zur Vorbereitung der Aufnahme diplomati-scher Beziehungen schuldig. Die Lieferung von Schweröl zurVersorgung Nordkoreas mit zur Atomkraft alternativen Ener-giequellen findet in geringer als geplantem Umfang statt.Nordkorea drohte mit der Wiederaufnahme seines Atomener-gieprogramms.

„All the North Koreans have to do is keep their nu-clear activities frozen and carefully watch how theAmericans will try to fulfill their obligations. (...)The Americans have only three options: the first istto offer sufficient political and economic compensa-tion whose dollar value is a joke to the GDP of theUS; the second is to led the DPRK emerge as a majormilitary power with nuclear tipped ICBMs, which willin turn prompt a nuclear arms race in East Asia withJapan and South Korea going nuclear despite Ammericanprotests; and the third is going to war against NorthKorea.“ (Kim, Myong Chol 1999:5)

Dennoch liegt mit dem Genfer Abkommen erstmalig ein um-fassendes Regelwerk vor, welches Kooperationsmöglichkeitenzwischen den ehemaligen Gegnern vorsieht. Auch wenn sichdie Umsetzung nicht in dem Maße und Tempo vollzieht, wiegeplant, liegt hier der Grundstein für die einsetzende Ent-wicklung zur Überwindung der Konfrontation mittels Dialog.Die Tatsache, dass über die KEDO auch Südkorea und Japan(und mit Abstrichen die EU) in diesen Prozess miteinbezogensind, deutet ebenso auf die mehrstaatliche Dimension hin wiedie Miteinbeziehung der IAEO als multilaterales Sonderorgander UNO. Die Fortführung des in Genf 1994 begonnenenDialogs stellen die Vierparteiengespräche – ebenfalls im Ab-kommen verankert – dar, die weitere Schritte zur Lösung derKoreafrage einleiten sollen.

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8.1.2 Optionen auf die Zukunft: Das BedrohungspotentialNordkoreas und Perrys Bericht

Nach dem Genfer Abkommen herrschte eine große Erwar-tungshaltung innerhalb Nordkoreas hinsichtlich eines verän-derten Klimas in den Beziehungen zu den USA. Nordkoreafror sein Raketenprogramm Rodong 1 ein und schlug vor, dieMilitärische Waffenstillstandskommission in eine Sicherheits-kommission für militärische Zusammenarbeit umzuwandeln.Konkrete Angebote bezogen sich auf den Abzug der militäri-schen Einheiten von der Demarkationslinie.

Doch die USA spielten auf Zeit, weil sie erwarteten,dass das nordkoreanische Regime kurz vor dem Zusammen-bruch stehen würde. Öffentlich wurden bereit „soft-landing“-Konzepte diskutiert,246 die den vorausgesagten Zusammen-bruch des Regimes kanalisieren sollten, um zu verhindern dassdie zu erwartenden Unruhen unter der Bevölkerung unkontrol-lierbare Dimensionen annehmen und womöglich auf die ge-samte Region Nordostasiens ausstrahlen würden.

„Die große Chance, die im Genfer Abkommen lag, wurdeverspielt. Grund dafür ist die seine langsame Umset-zung durch die USA und die Veränderung der Machtver-hältnisse in Pyönjang. Der radikale Flügel in Nordko-rea setzt sich nun für eine Weiterentwicklung des Ra-ketenprogramms ein, da aufgrund der wirtschaftlichenSchwierigkeiten die Aufrechterhaltung einer konventio-nellen Streitmacht auf lange Sicht unmöglich er-scheint. Um den Handlungsspielraum des gemäßigten Flü-gels in Nordkorea zu stärken, müssen wir [US-Amerikaner] offenlegen, welche Bedrohung von unsererin Südkorea stationierten Armee tatsächlich ausgeht.“(Harrison 1999:10 (eigene Übersetzung))

Kim Jong-Il verstärkte den Druck auf die USA, in dem er denBeginn seiner Amtszeit am 5. September 1998 mit dem Ab-schuss eines Satelliten „Bright Star“ geräuschvoll einleitete247

246 Vgl. etwa Scalapino 1995:40-41; Park, Kun-Young (Hg.) 1999: 83-84247 Ob es sich dabei wirklich um einen Satelliten oder um den Test der

Mittelstreckenrakete Daepodong 1 handelte, ist umstritten. Wäh-rend offizielle Verlautbarungen aus Nordkorea und den USA dieSatelliten-Version aufrechterhalten, bezweifeln dies die meisten

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– und weitere Satellitentests ankündigte. Angesichts der inAussicht stehenden Fertigstellung der Entwicklung von Inter-kontinentalraketen (ICBMs) des Typs Daepodong 2 durchNordkorea war die USA zum Handeln gezwungen.

Abb. 12 Bedrohungspotential durch nordkoreanische Raketen

Generation Name Reichweite1. Generation(1985-1993)

Scud C(Hwa-song-6 )

Bis 500 km(Südkorea)

Export von ca. 250 Raketenim Zeitraum zwischen 1987-1992 in den Nahen Osten

2. Generation(1993-1998)

Rodong-1 Bis 1300 km(Japan, Peking)

Bisher 10 Stationierungen

3. Generation(seit 1998)

Taepo-dong-1

Bis 4100 km(Hawai)

Kann von U-Booten gestartetwerden

? Taepo-dong -2

Über 6000 km(USA, China)

Noch nicht getestet

Quelle: ROK Ministry of Defense (Hg.) 1999:250; Lewis/ Postol/ Pike1999:68, eigene Darstellung

Insbesondere vor dem Hintergrund der von Seiten der USAgefürchteten Proliferation der Waffen – Unterhändler aus demIrak, Syrien und anderen „Schurkenstaaten“ waren gern undoft gesehene Gäste in Pyöngjang – entglitten den USA zuneh-mend die Kontrolle nicht nur über die militärische Situation inder Region, sondern auch in anderen Konfliktherden auf dieserErde, wo die USA mittels militärischer Potenz ihre Feinde ein-schüchtert.

Innerhalb der USA wurde die Notwendigkeit zur Ände-rung der Strategie erkannt. William Perry, Sonderbeauftragterdes Kongresse und der Regierung, erarbeitete daraufhin Vor-schläge, wie die Situation am günstigsten zu entwickeln wäre.

Wissenschaftler und erhärten die Version eines Raketentests, vgl.AP (Hg.) 1998, siehe auch Han, Seung-Dong 1998:1-3

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Sein Bericht248, i.A. als „Perry-Report“ bezeichnet, wurdeneue Grundlage der außenpolitischen Strategie gegenüberNordkorea.

Perry empfahl, die containment-Politik gegenüberNordkorea zu beenden und durch eine Strategie der gegensei-tigen Schritte zu ersetzen. Insbesondere beschreibt er ein Drei-Stufen-Modell der Annäherung:

1. Kurzfristiges Ziel: Stopp des nordkoreanischen Raketen-testprogramms,

2. Mittelfristiges Ziel: Nordkorea gibt sein Raketen- undAtomprogramm auf.

3. Langfristige Ziel: Die Bildung eines dauerhaften Friedens-sicherungssystems.

Die (politischen) Kosten für die Erreichung des zweiten unddritten Zieles sind bisher nicht öffentlich erörtert wurden, wäh-rend die kurzfristigen Ziele bereits erreicht wurden, um denPreis der Aufhebung einiger wirtschaftlicher Sanktionen wiez.B. des

- Importverbots von Rohstoffen aus Nordkorea- Verbot des Konsumgüter- und Finanzdienstleistungsex-

ports nach Nordkorea- Investitionsverbot in die Bereiche Landwirtschaft, Berg-

bau, Öl, Holz, Transport, Straßenbau, Reise und Touris-mus,

- Verbots der Direkthilfe von US-Bürgern an Angehörigebzw. Personen in Nordkorea,

- Transportverbot einfacher Fracht nach und von Nordkoreavia Schiff oder Flugzeug und

- nichtmilitärischen Flugverbots zwischen Nordkorea undden USA

Restriktionen verbleiben weiterhin auf

- Verkauf von amerikanischen Waffen und Raketentechno-logie,

248 Vgl. US State Department (Hg.) 1999

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- nichtlizensiertem Verkauf von „dual-use goods“, d.h. zivilund militärisch nutzbaren Gütern,

- der Unterstützung in- und ausländischer Entwicklungshilfesowie

- nichtgenehmigten Finanztransfers zwischen US-Amerikanern und Nordkorea.

Weiterhin soll die Umsetzung des Grundlagenabkommenszwischen den beiden koreanischen Staaten befördert werden,wie auch die Wiederaufnahme der Verhandlungsgesprächezwischen Japan und Nordkorea hinsichtlich einer Normalisie-rung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten, die seitder 8. Vorbereitungsrunde vom November 1992 stillstehen,erreicht werden.

Aufgrund der 3-stufigen Strategie schlägt der Perry-Bericht fünf Maßnahmen vor, die zur Erreichung der Ziele ge-eignet scheinen:

1. Aufnahme von Verhandlungen bezüglich des Langstrek-kenraketenprogramms zur umfassenden Lösung des Pro-blems.

2. Errichtung von Verbindungsbüros bzw. Botschaften zurKoordination und Wahrung US-amerikanischer Interessen.

3. Innerhalb des Kongresses müssen überparteiliche Verein-barungen über die Strategie gegenüber Nordkorea gefun-den werden, um eine kontinuierliche Entwicklung der Be-ziehungen zu ermöglichen.

4. Die ‚Trilateral Coordination and Oversight Group‘(TCOG) zwischen den USA, Südkorea und Japan muss dieKoordinierung und Regulierung der gemeinsamen Positio-nen übernehmen.

5. Die Möglichkeit nordkoreanischer Provokationen muss imVorfeld diskutiert und reaktive Maßnahmen beschlossenund erklärt werden.

Die chinesische Führung hat derweil die Veränderung der US-amerikanischen Politik gegenüber Nordkorea begrüßt.

Doch trotz aller hoffnungsvollen Signale sind die Ver-handlungen der Vierparteiengespräche wieder einmal festge-

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fahren. Zurzeit streitet man sich über die Höhe der Kompensa-tionszahlungen für die Exportausfälle, die für Nordkorea mitdem Einfrieren des Raketenprogramms verbunden sind. Nord-korea fordert eine Milliarde US$ pro Jahr, die USA sind em-pört, hat man doch bereits 6 Milliarden US$249 bezahlt...

8.1.3 Inoffizieller Tendenzen

Parallel zu den offiziellen Verhandlungen gibt es einige be-merkenswerte Diskussionen, deren Impulse auf die offiziellenPositionen vorerst unbestimmt bleiben. Beispielsweise gibt eseinen vom damaligen Vizepremier und Außenminister Nord-koreas, Young Nam Kim, 1995 entwickelten Vorschlag, dassbei einer Beibehaltung der Stationierung der US-Streitkräfteim Süden ein ‚New Interim Peace Mechanism’ auf der korea-nischen Halbinsel installiert werden kann. Sein Konzept siehtvor, einen gemeinsamen Sicherheitsrat zwischen den USA undNordkorea ins Leben zu rufen und gleichzeitig ein bereits 1991im Grundlagenvertrag zwischen Nord- und Südkorea verein-bartes gemeinsames koreanisches Militärkomitee zu bilden.Der Sicherheitsrat würde die gemeinsame Kontrolle der US-amerikanischen und nordkoreanischen Streitkräfte ausübenund die Friedenssicherung in der entmilitarisierten Zone über-nehmen. Das gemeinsame Militärkomitee soll die Beziehun-gen zwischen den beiden koreanischen Militärs verbessern undMaßnahmen der Rüstungskontrolle durchführen. Das UNO-Kommando würde aufgelöst.250

„For more than two years, DPRK diplomats have been ar-guing a ‘new interim peace mechanism’. This notion isintended to alter the U.S. from ally and guarantor ofROK security to that of a peacekeeper and impartialmediator.“( Manning 1997:13)

Dieser ‚New Interim Peace Mechanism’ stellt zum ersten Maleinen Vorschlag von Seiten Nordkoreas dar, der die Möglich-keit einer (beschränkten) Beibehaltung der Stationierung derUS-amerikanischen Streitkräfte beinhaltet. Obwohl nicht da- 249 Vgl. Kim, Myong-Chol 2000:202-211250 Vgl. Manning 1997:12f

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von auszugehen ist, dass die USA sich auf eine Formel einlas-sen würden, die Nordkorea die Möglichkeit zur Kontrolle ihrerStreitkräfte gäbe, deutet sich hier zumindest an, dass die ame-rikanische Truppenstationierung ein verhandelbares Szenariovon Seiten des Nordens sein kann.

Eine weiterer Idee entwickelten Selig S. Harrison, derneben Jimmy Carter wichtigste Sondervermittler in der Atom-krise, der stellvertretende Außenminister der DVRK und Ver-handlungsführer des Genfer Abkommens 1994, Sok-Ju Kang,und der einflussreiche nordkoreanische Armeevertreter inPanmunjom, Lt. Gen. Chan Bok Lee. Sie stellten 1996 denVorschlag zur Diskussion, die Rolle der US-Streitkräfte umdie Funktion einer Schutzmacht für Nordkorea zu erweitern.Damit würde sowohl dem nordkoreanischen Bedürfnis nachSicherheitsgarantie Rechnung getragen, als auch der USA einestärkere Position als ‚regional balancer’ gegenüber China –aber auch Russland und Japan – zugewiesen. 251 Hintergrunddieses Vorschlags ist der Umstand, dass die im Vertrag vonGenf vereinbarten militärischen Sicherheitsmaßnahmen bishervon Seiten der USA nicht verwirklicht worden sind. Sicher-heitsgarantien von den USA an Nordkorea, als Ausgleich zuderen Verbleib im NPT-Regime und Verzicht auf seine‚nuclear independence’, sind jedoch von essentieller Wichtig-keit als weitere vertrauensbildende Maßnahmen.

„Wenn Kim Jong-Il das Recht auf die nukleare Unabhän-gigkeit aufgibt, ohne von den USA weitreichende Si-cherheitsgarantien zu erhalten, kann auf militärischeEbene eine Krise entstehen. Die militärische FührungNordkoreas würde kritisieren, dass Öllieferungen al-lein keine Sicherheitsgarantien für das Land darstel-len. Angesichts dessen steht Kim Jong-Il vor einergroßen Herausforderung, da er seine Macht gegen dieInteressen des Militärs nicht aufrecht erhalten kann.“(Suh, Dae-Sook 1997:112 (eigene Übersetzung))

Allerdings wird eine Ausdehnung der amerikanischen Ein-flusssphäre auf Nordkorea von Seiten der USA kaum er-wünscht sein, da eine solche Schutzfunktion teuer und – zu-mindest in der ersten Zeit – sehr spannungsgeladen sein wür- 251 Vgl. Harrison 1996:17-20

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de. Nordkorea andererseits müsste eine Erosion seines polit i-schen Systems befürchten und nähme die Möglichkeit gesell-schaftlichen und militärischen Widerstands aufgrund des durchantiamerikanische Propaganda geschürten Hass gegen die ‚Be-satzungsarmee’ in Kauf.

8.2 Politischer Wandel in beiden koreanischen Staaten alsChance einer Neuorientierung

Der zweite Hauptentwicklungsstrang zur Lösung der Ko-reafrage liegt – wie erwähnt – im kalten Schoß der koreanisch-koreanischen Beziehungen. Im Verhältnis der beiden Staatenzueinander ist mittlerweile eine gewisse Dynamik unverkenn-bar. Während die Demokratisierung in Südkorea das gesell-schaftliche Defizit bei der Formulierung eigener Interessenlangsam füllt, verändert sich auch die starre anti-südlicheHaltung Nordkoreas. Diese Dynamik fand ihren Ausdruck imersten koreanisch-koreanischen Gipfeltreffen seit dem Korea-krieg bzw. der Teilung des Landes.

Schon einmal stand ein Gipfeltreffen der beiden Staats-chefs kurz bevor: Im Juli 1994 bestand die Möglichkeit zu ei-nem Gipfeltreffen zwischen dem nach fast dreißig Jahren Mi-litärdiktatur ersten zivilen und seit 1992 im Amt befindlichenPräsidenten, Kim Young-Sam, und Kim Il-Sung. Doch mitdem Tod des nordkoreanischen Staatschefs zerschlugen sichdie an dieses Treffen geknüpften Erwartungen auf eine Wie-derbelebung des bis dahin vollkommen festgefahrenen Dia-logs. Die mittlerweile zur Krise avancierte Atomfrage und diedaraus resultierenden militärischen Spannungen zwischen denbeiden Ländern sollten auf diesem Wege deeskaliert werden.

Tatsächlich änderte sich an der restriktiven Innenpolitikauch unter Kim Young-Sam nichts. Im Gegenteil. Der TodKims Il-Sungs war Anlass für die Anordnung einer ‚allgemei-nen Mobilmachung von Militär, Polizei und Beamten’ in Süd-korea, alle Veranstaltungen zur Anteilnahme am Tod desnordkoreanischen Staatschefs wurden rigoros unterbunden.252

252 Vgl. o.V. 1994b:3

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„Die Verschiebung des vereinbarten Gipfels wegen desTodes Kim Il-Sungs am 8. Juli 1994 auf einen unbe-stimmten Zeitpunkt war zwar unausweichlich, aber dasbilaterale Verhältnis hat sich seitdem auffällig ver-schlechtert. Eine der Ursachen dafür lag vor allemdarin, dass die südkoreanische Regierung ihrem Partnerim Norden nicht kondolierte (...). Die ultrakonserva-tiven Kräfte in Südkorea (...) nahmen dies zum Anlaßfür ein Kesseltreiben gegen die vorrangig außerparla-mentarische Opposition (...).“ (Song, Du-Yul 1995:31f)

Kim Young-Sam nannte den Verstorbenen „Verursacher desKoreakriegs“ und schürte damit wütende Reaktionen auf Sei-ten Nordkoreas. Aufgrund seiner Äußerung, dass der Tod desnordkoreanischen Staatschefs gleichbedeutend mit dem Nie-dergang Nordkoreas sei, brachte er die Halbinsel an den Randedes zweiten Koreakriegs.

Trotz der objektiven Verschlechterung der Lage hattedie Zivilregierung Kim Young-Sams einen bleibenden positi-ven Effekt: Sie bereitete die Grundlage für die Wahl deszweiten, ebenfalls zivilen Präsidenten Kim Dae-Jung und sei-ner ‚Volksregierung’.

8.2.1 Die Sonnenscheinpolitik Kim Dae-Jungs

Mit dem überraschenden Wahlsiegs Kim Dae-Jungs am 18.Dezember 1997 und der Übergabe der Amtsgeschäfte im Fe-bruar 1998 begann eine bis heute anhaltende Phase der Dees-kalation und Bemühungen um Entspannung. Die Freilassungvon mehreren hundert politischen Gefangenen kann nicht nurals ein Zeichen innenpolitischen Versöhnungswillens gewertetwerden, sondern auch als Grundlage für das Gipfeltreffen mitKim Jong-Il vom 13.-15. Juni 2000 in Pyönjang. Bereits in derAntrittsrede seiner Präsidentschaft hatte er ein solches Treffenohne Vorbedingungen vorgeschlagen.

Darüber hinaus gab der neue südkoreanische Präsidentzu verstehen, dass die Bedingungen für eine nationale Wieder-vereinigung verhandelbar seien. Bereits zu früheren Opposit i-onszeiten hatte Kim Dae-Jung eine veränderte Position gegen-über der Regierung hinsichtlich ihres Wiedervereinigungskon-zeptes eingenommen:

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„Zur offiziellen Regierungserklärung Seouls kommennoch verschiedene Vorstellungen hinzu, worunter zumBeispiel auch das Konzept einer republikanischen Staa-tengemeinschaft von Kim Dae-Jung fällt, die erst nachzwei sukzessiven Phasen friedlicher Koexistenz undallseitigem Austausch zustande kommen soll.“ (Song,Du-Yul 1995: 27)

Dieses Konzept wurde vom damaligen Außenminister Nord-koreas als „deckungsgleich mit den nordkoreanischen Vor-stellungen“253 bezeichnet. Dies eröffnet weitaus größere Mög-lichkeiten für eine innerkoreanische Einheit, als jemals zuvorbestanden haben.

Die südkoreanische Regierung hat explizit drei „Haupt-prinzipien“ und sechs „Grundlagen“ ihrer Politiklinien gegen-über Nordkorea benannt. Die drei Prinzipen sind:

- „First the ROK government will never tolerate armedprovocation of any kind that would destroy peace. Inother words, the government will maintain a firm securityposture to deter war on the peninsula based on the solidand close ROK-US security cooperation, while takingstrong countermeasures against any armed provocation.

- Second, the government has no intention whatsoever ofunifying the peninsula by absorbing the North; the ROKhas demonstrated (...) that it does not intend to harmNorth Korea in the least, under any circumstances. Thisexpresses the government's will to construct a peacefulco-existence between the two Koreas and to concentrateon restoring national identity through exchanges and co-operation.

- Third, the government will actively promote reconcilia-tion and cooperation. This means that it will make effortsto convert the 50-year confrontational relationship into areconciliatory and cooperative one by sincerely imple-menting the Basic Agreement and conducting exchanges

253 Vgl. Son, Jang-Lai 1998: 7

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and cooperation.“ (ROK Ministry of Defense (Hg.)1999:63f)254

Die sechs Grundlagen der Sonnenscheinpolitik werden be-nannt mit:

- „pursuit of national security in parallel with North-Southcooperation;

- realization of peaceful coexistence and exchanges beforeothers;

- creating a positive environment for the North to changethrough reconciliation and cooperation;

- advancing North-South mutual benefits;- securing international support under the principle of re-

solving the problems by the two Koreas; and- pursuit of a policy toward North Korea rooted in a na-

tional consensus.“ (ROK Ministry of Defense (Hg.)1999:64f)

Kritiker wie Ronald H. Chilcote255 warnen vor allem vor dermangelnden Auseinandersetzung mit den Grundproblemen ausder Zeit der Militärdiktatur. Verschiedene Punkte sprechendemnach für eine lediglich terminologische, nicht aber struktu-relle Reform der Verhältnisse, u.a.:

- Die Einsetzung einer Zivilregierung folgt der von denUSA entwickelten Strategie von sog. ‚low intensity con-flicts’ 256 für verbündete Saaten in innenpolitisch instabilerSituation. Dadurch kann dem Wunsch von Bevölkerun-gen in diesen Ländern nach Veränderung und Demokrati-sierung entsprochen werden, ohne dass bestehende Herr-

254 Weiterhin heisst es in der Erklärung: „The first field of cooperation

will be economic, which both parties want and which could havefar-reaching repercussions. North-South reconciliation and coop-eration will not only promote mutual interests and benefits but alsowill help get rid of the North's armed provocations and threats byestablishing a mutually beneficial relationship.“ (ebenda)

255 Vgl. Cho, Hui-Yoen 1997256 Zur Systematik von ‚low intensity conflicts’ vgl: Chun, Won-Ha 1990,

insbesondere Teil 6: Low intensity Conflicts in Südkorea (229-239)

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schaftsstrukturen durch Aufstände in Gefahr gebrachtwerden, wie im Falle der Unterstützung des jetzigen Prä-sidenten durch den ehemaligen Putschisten Kim Jong-Pildeutlich wird.257 Machtmechanismen können auf dieseWeise eher konserviert werden, als durch anhaltende Re-pression

- Bestehende Repressionsorgane, wie Militär und Geheim-dienst, werden demokratisch legitimiert, ohne dass ihreKontinuität in Personal oder Größe angetastet wird.

Die momentanen Entwicklungen in Südkorea stehen innenpo-litisch allerdings auf unsicheren Beinen. Beispielweise hängtder politische Erfolg oder Misserfolg des Präsidenten wesent-lich vom Wohlwollen des ehemaligen Premierministers KimJong-Pil ab. Nur mit den Stimmen seiner Liberaldemokrati-schen Union wurde Kim zum Präsidenten gewählt – unter derBedingung, dass der ehemalige Putschist von 1961 im Jahr2002 der erste Premierminister einer bis dahin einzurichtendenparlamentarischen Regierungsform wird. Ob dieser dann wei-terhin der Versöhnungspolitik Kim Dae-Jungs folgen, oder inalte Konfrontationsmuster zurückfallen wird, ist nicht abzuse-hen.

Die innenpolitische Lage wird darüber hinaus von einernicht zu unterschätzenden Front der Ablehnung der Sonnen-scheinpolitik beeinflusst. Angeführt von der größten Oppositi-onspartei, die Große Nationalpartei, versucht die konservativeRechte im Land alle Bemühungen um eine Öffnung der Ge-sellschaft hin zu einem intensiveren Dialog mit dem verhass-ten Regime im Norden zu verhindern. Statt Gespräche ohneBedingungen fordern sie einen Dialog nach dem „give-and-take“-Prinzip. Die größtenteils aus der Anhängerschaft derehemaligen Militärdiktaturen bestehenden Mitglieder undWählerschaften der Konservativen Partei könnten das Land beieinem Wahlsieg 2002 nicht nur außenpolitisch um Jahrzehntezurückwerfen, sondern auch die Fortschritte der innenpolit i-

257 Bei seinem Vorgänger war es der 1980er Putschist Rho Tae-Woo, der

den Präsident Kim Young-Sam ins Amt verhalf.

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schen Liberalisierung und Demokratisierung zunichte mach-ten.

8.2.2 Transformationsprozesse innerhalb Nordkoreas

Wenn von innenpolitischen Veränderungen auf der koreani-schen Halbinsel die Rede ist, fehlt in den meisten politischenAnalysen der Blick in den Nordteil des Landes. Auch hiervollziehen sich, von der internationalen Öffentlichkeit weitge-hend ignoriert, Veränderungen in den Bereichen politischesPersonal, staatliche Verfasstheit und Ökonomie. Viele dieserVeränderungen haben dazu beigetragen, den innerkoreani-schen Dialog zu beflügeln, die Vierparteiengespräche voran-zubringen und die USA zu einer veränderten Haltung gegen-über Nordkorea zu bewegen.

Ein Ansatzpunkt für die Analyse der Transformation inNordkorea besteht in der Betrachtung des politischen Perso-nals – und der damit verbundenen Frage, ob sich die Machtba-sis im Land von einer militaristischen zu einer technokrati-schen Ebene verlagert. Dazu ist es zunächst notwendig, Hier-archiemodelle nordkoreanischer politischer Strukturen nach-zuzeichnen. Sie bilden die Grundlage für eine Betrachtung des‚Kangsong Taeguk‘ als staatliche Idealvorstellung, vor dessenHintergrund die militärischen und technokratischen Machtha-ber agieren.

„To construct Kangsong Taeguk according to the princi-ples of Juche is the most sacred and patriotic task ofour country and our people. Our strong Korean nationonce again weighed anchor for heroic undertaking forthe Korean people, who have bravely tied over inde-scribable trials in their history, to set into the newand successive marching road to make their countrymilitarily strong and economically properous, withouta moment to spare.“ (Rodong Shinmun 22. August 1998:2,zitiert nach Jeung, Young-Tai 1998:335)

Kangsong Taeguk wiederum entfaltet einen erheblichen Ein-fluss auf die Transformation der nordkoreanischen Gesell-schaft. Letztendlich sind nur vor diesem Hintergrund auch diewirtschaftlichen Reformen zu verstehen, welche vielleicht die

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international am stärksten wahrgenommenen Transformation-selemente beschreiben.

Von Militaristen zu Technokraten – Die neue politische EliteNordkoreas

Die politischen Systemkomponenten Nordkoreas – Partei, Ar-mee, Verwaltung – basieren alle auf dem selben Organisati-onsschema. Dieses besitzt zwei Machtebenen: einer oberenFührungs- und einer darunter liegenden Leitungsebene. Zuroberen Führungsebene gehören Politbüro-Mitglieder, einige 4-Sterne-Generäle sowie Minister und deren Stellvertreter.Mittlerweile besteht diese obere Führungsebene fast aus-schließlich aus Angehörigen der sog. ‚zweiten revolutionärenGeneration‘.

Zur Leitungsebene – der eigentlichen Machtbasis desLandes – gehören die Chefs der verschiedenen Abteilungender Partei und Verwaltung sowie die übrigen Generäle. Auchsie sind mittlerweile fast ausschließlich mit Angehörigen ausder Generation Kim Jong-Ils besetzt.

Der erste Blick suggeriert, dass es eine grundlegendeMachtverlagerung hin zu einer neuen, jungen Elite gegebenhat, doch tatsächlich ist die Situation weniger eindeutig. Ob-wohl die meisten der nachgerückten Personen der Leitungs-und Führungsebene ideologisch geschulte Technokraten sindund keine unmittelbaren Erfahrungen aus dem Koreakriegmitbringen, spielt die Verteilung der Macht zwischen den ein-zelnen Staatsorganen eine ebenso wichtige Rolle, wie landes-weite Entwicklungen, die z.B. auch durch die neue VerfassungNordkoreas vorangebracht werden sollen. All diese unter-schiedlichen Ebenen der Transformation und dem Erhalt vonMacht kumulieren in einem Schlagwort: Kangsong Taeguk.

‚Kangsong Taeguk' als Motto der Ära von Kim Jong-Il

Nordkorea besitzt vier Säulen, auf die sich das System stützt:Die Juche-Idee Kim Il-Sungs als herrschende Philosophie, dieArbeiterpartei als Kontrollinstrument, das Militär als außen-,aber auch innenpolitisches Sicherheitsorgan und Subsistenz alswirtschaftliches Prinzip. Seit Beginn der 1990er Jahre ver-

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schlechterte sich die wirtschaftliche Situation, besonders je-doch nach dem Wegfall der Direkthilfen des zusammengebro-chenen Ostblocks. Zur Erhaltung der Stabilität verstärkte sichso die innenpolitische Abhängigkeit Pyöngjangs von derideologisch-politischen und militärischen Komponente. DerFokus verschob sich weg von der wirtschaftlichen Disziplin,um das Überleben zu garantieren

Kim Jong-Il hatte im August 1998 seinen neuen SloganKangsong Taeguk – d.h. ‚starker und aufstrebender Staat‘vorgestellt. Dieses Motto ummantelt die Jahre des sog.‚Marsch der Entbehrungen‘, ein Slogan, der im Juli 1994 un-mittelbar nach dem Tode Kim Il-Sungs aufkam. Kangsong Ta-eguk ist eine Neubearbeitung der ‚Juche'-Führungsgrundsätzevon Kim Il-Sung, also eine Neuinterpretation der politischenUnabhängigkeit, wirtschaftlichen Selbstversorgung, und eige-nen Verteidigungsfähigkeit. Innerhalb dieser Bereiche lag da-bei die Priorität auf der Entwicklung des Landes zu einerideologischen und politischen Macht. Kangsong Taeguk – mitdem Fokus auf ideologischer und politischer Erneuerung –kann also als Fortsetzung einer langfristigen Überlebensstrate-gie bezeichnet werden.

„The slogan is designed to s(m)oothe the starving peo-ple after enduring several years of „arduous march“without much fruitful outcome. The powerful and pros-perous state is, namely, a state that is powerful anprosperous in the four areas —the politics, ideology,military, and economy. North Korea media maintain thatthe goal has already achieved in the first three ar-eas, only leaving unfulfilled the goal of becoming an‚economically‘ powerful and prosperous state. Thismeans that North Korea is very much ready for concen-trating on economic recovery and prosperity.“ (Paik1999:2)

Bis die Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeitund damit die letzte Stufe von Kangsong Taeguk in greifbareNähe rückt, setzt Kim Jong-Il auf die Stärkung der militäri-schen Macht und der ideologischen Führung

Während der ersten Sitzung der 10ten Obersten Volks-versammlung am 5. September 1998 formalisierte Nordkoreadie Regierungsformel Kim Jong-Ils durch seine Ernennung

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zum Vorsitzenden des ständigen Verteidigungskomitees. Dasneue Motto zeigt den zukünftigen Weg des Landes an, unterder offiziellen Führung des Obersten Kommandierenden KimJong-Il. Die Parteizeitung Rodong Shinmun titelte zur Neu-wahl der Volksversammlung

"Heute demonstriert unsere Republik ihr Prestige alsstarker Staat, sowohl politisch als auch militärisch".(Rodong Shinmun 5. September 1998:1(eigene Überset-zung))

Kim bemüht sich durch häufige Besuche bei Militäreinheitendarum, dass sein Bild in der Öffentlichkeit in erster Linie alsmilitärischer Machthaber wahrgenommen wird. Laut seineneigenen Aussagen müssen

"(...) militärische Schlagkraft und Ideologie imGleichgewicht sein, um den kommunistischen Staat Nord-korea zu erhalten." (Rodong Shinmun 16. April1999:1(eigene Übersetzung))

Von den drei wichtigsten Organen des Staates – die Volksar-mee, die Arbeiterpartei und die Oberste Volksversammlung –scheint die militärische Beziehung Kims Macht das Funda-ment zu verleihen. Überdies gibt es eine hohe personelle Über-schneidung zwischen den drei Staatsorganen, wobei ältereMitglieder der Arbeiterpartei ebenso wichtige Positionen in-nerhalb der Armee und der Volksversammlung innehaben.

Doch auch wenn Kim Jong-Ils Macht auf traditionellenFundamenten beruht, ergeben sich durch den Personalwechselinnerhalb der Führungs- und Leitungsebene zwangsläufig Ver-änderungen für den politischen Alltag. Der Umstand, dass in-nerhalb kurzer Zeit große Teile des politischen Personals aus-getauscht wurden, zeigt zweifellos den politischen Willen vonSeiten Kim Jong-Ils zu innenpolitischen Veränderungen.

Die neuen Mitglieder der Volksversammlung

Im Juni 1998 vollzog sich mit der Neuwahl der Mitglieder zur10. Obersten Volksversammlung nicht nur ein turnusgemäßerWechsel von Teilen der politischen Repräsentanz. Mit derNeuwahl veränderte sich erstmals die eher militärisch ausge-richtete Machtbasis des Gremiums hin zu einer neuen techno-kratischen Elite. Die Parlamentswahlen bewirkten das Aufrük-

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ken einer großen Zahl junger Funktionäre innerhalb der polit i-schen Hierarchie des Landes.

"Insgesamt gibt es 687 Parlamentarier in Nordkorea. 64% (443) der Abgeordneten wurden neu gewählt, davonsind 218 Angehörige einer neuen jungen Generation."(Yeonhap 1998: 4 (eigene Übersetzung))

Die jetzt in die Schaltzentralen der Macht aufrückende Gene-ration – allesamt sog. ‚autochthone Spezialisten‘ – wurde unterden Bedingungen eines sozialistischen Nordkoreas ausgebil-det. Dieser Typus,

" (...) der mehrheitlich zur Altersgruppe zwischen 55und 65 gehört, hat [.] relativ wenig Kontakte mit demWesten. Trotzdem ist dieser Typ ideologiebewußter(...)" (Song, Du-Yul 1995:102),

da sich seine Ausbildung nicht in den Partisanengruppen, son-dern in ideologischen Kaderschulen vollzog, wie z.B. der‚Schule der Weisen Revolutionäre' in Man Kwong-Dae – demGeburtsort Kim Il-Sungs. Die Kinder der Revolutionäre stellennun u.a. den Verteidigungsminister, den Vizemarschall, denChef des Geheimdienstes und viele Minister aus dem Wirt-schaftsbereich.

Vom personellen Umbau der Volksvertretung versprichtsich Kim Jong-Il einen deutlichen Reformimpuls, wie seiner-zeit in China der Personalwechsel unter Deng Xiao-Ping dasLand aus der Krise führte. Dieser Machtwechsel folgt auch derIdee Kims, dass

"(...) die Revolution vom Prinzip der Juche-isierung,Modernisierung und Verwissenschaftlichung geleitet undden konkreten Bedingungen des Landes angepaßt werdenmuss." (Kim Jong-Il 1992: 4)

Doch was sind die konkreten Bedingungen?

Transformation der innenpolitischen Bedingungen: die neueVerfassung Nordkoreas

Nordkorea erlebte bis zum Ende der 1990er Jahren eine derschwersten Krisen seit Bestehen des Landes in Form der Hun-gersnot, die von 1995 bis heute andauert und zu Beginn desJahres 1997 ihre schlimmsten Ausmaße annahm:

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„Im Frühjahr waren plötzlich die Bilder aus Nordkoreagekommen von abgemagerten Kindern, wie man sie ausÄthiopien kannte, aber in Ostasien seit dreißig Jahrennicht mehr gesehen hatte. Bilder aus Klassenräumen, indenen die Hälfte der Plätze leer blieb, weil die Kin-der zu schwach für den Schulweg waren.“ (Naß 1997:3)

Die Hungersnot des Landes war äußeres Zeichen der sich ver-schärfenden politischen Situation. Sicherlich haben auch dieschweren Naturereignisse wie Taifune, Dürren und Über-schwemmungen mit zur Nahrungsmittelknappheit beigetragen,doch weit entscheidender sind strukturelle Ursachen.

Seit 1990 verzeichnet Nordkorea ein negatives Wirt-schaftswachstum. Die Nettoeinnahmen der nordkoreanischenWirtschaft fielen von 23,1 Mrd. (1990) auf 12,6 Mrd. US$ imJahr 1998 – und damit auf einen Stand von vor 1980.258 EineUrsache liegt im Niedergang des Ostblocks und insbesondereder russischen Wirtschaft. Russland beendete 1992 seine mili-tärische Kooperation und Waffenexporte nach Nordkorea, undwendete sich von der alten Sowjetpolitik ab, die auf Tauschund Selbstversorgung basierte, ohne auf harte Währung für Öl-und Nahrungsmittellieferungen zu bestehen. 259. Selbst die 1996getroffene Vereinbarung, „(...) to raise bilateral trade andeconomic cooperation to the pre-1991 level (…)“, änderte fak-tisch wenig an der Versorgungslage Nordkoreas.

„Economic ties will not increase this dramatically un-less Russia provides massive economic aid to North Ko-rea. Considering Russia’s sagging economic conditionsand North Korea’s inability to repay its debts owed toRussia in the amount of 3.6 billion hard currency ru-bles [ca. 5,76 Milliarden US$] (…), however, trade be-tween Russia and North Korea is not likely to increasein a rapid pace for some time to come.” (Joo Seung-Ho1998:87)

Diese Zusammenhänge werden auch durch einen Blick auf daszwischen Nordkorea und Russland bestehende Handelsvolu-men untermauert: Während selbiges 1990 auf einem Niveauvon ca. 2,6 Mrd. US$ rangierte, stagniert es seit 1996 auf ei-

258 Zahlen aus: ROK Ministry of Reunification 2000:316259 Vg. Kapitel V.4.4

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nem Level von ca. 60 Millionen US$.260 Mit anderen Worten:innerhalb von vier Jahren entfielen mehr als 97,5% des Han-delsvolumens zwischen den beiden Staaten. Da eine Kompen-sation der ausbleibenden Versorgung mit Nahrungsmitteln undÖl durch den zweiten wichtigen Handelspartner, China, nichterfolgte, erhielten die seit 1950 bestehenden US-Wirtschaftssanktionen verständlicherweise eine weit größereBedeutung. 261 Wie so oft wurde auch im Falle Nordkoreas dieideologische Auseinandersetzung auf dem Rücken der notlei-denden Bevölkerung ausgetragen. Vor dem Hintergrund feh-lender Handelsmöglichkeiten leitete diese Notlage ersteSchritte jenseits einer zentralistischen Planwirtschaft ein.

Nachdem der dritte Siebenjahresplan, der ursprünglichbis 1993 angelegt war, schon um drei Jahre verlängert werdenmusste, entschied sich die Führung in Pyöngjang dafür, keineweiteren Planerfüllungsvorgaben mehr aufzustellen. Stattdes-sen zeigen sich mittlerweile kleine Anzeichen einer vorsichti-gen wirtschaftlichen Liberalisierung des Landes.

„Immerhin, die Not gebar eine kleine Revolution. Auchin Haeju gibt es jetzt einen privaten, vom Staat ge-duldeten Bauernmarkt. (...) In Pjöngjang soll es in-zwischen sieben solcher Märkte geben.“ (Naß 1997:3)

Eine solche Liberalisierung beruhte zu einem nicht unwesent-lichen Teil auf der Wahl Kim Jong-Ils zum Vorsitzenden derVerteidigungskommission am 5. September 1998262. Damitwar der neue Machthaber Nordkoreas in der Lage, drei wichti-ge Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die wirtschaftlicheund gesellschaftliche Reformorientierung vorangebracht wer-den kann:

260 Zahlen aus: ROK Ministry of Reunification (Hg.) 2000:380261 Vgl. Kapitel Zu dem juristischen und verfahrenstechnischen Aus-

wirkungen der Wirtschaftsblockade gegen Nordkorea siehe Davis1994

262 Bis heute bezeichnet sich Kim Jong-Il nicht als Staatschef, dieser Titelgebührt, seiner Meinung nach, auch nach seinem Tod nur seinemVater. Tatsächlich kumuliert die faktische Macht Kims in dessenAmt als Vorsitzender der Verteidigungskommission.

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1. ersetzte er den ineffizienten Staatsverwaltungsrat zum Teildurch neu geschaffene Ministerien,

2. ersetze er weite Teile des politisch-administrativen Perso-nals, und

3. ließ er eine Vielzahl von Verfassungsveränderungen ver-abschieden.

Kernstück der Reform war der Umbau des früheren Staatsver-waltungsrates, dessen 32 Abteilungen bisher die politischenRichtlinien erarbeiteten und ihre Umsetzung kontrollierten.Diese Abteilungen wurden durch eine Ministerialstruktur mit31 Ministerien – davon 23 mit wirtschaftspolitischer Relevanz– ersetzt.263 Die neue Verfassung Nordkoreas untermauert dieErnsthaftigkeit, mit der der Reformkurs vorangetrieben werdensoll. Eine Vielzahl der wirtschaftlichen Verfassungsgrundsätzewurde neu formuliert.264

Von besonderer Bedeutung ist die konstitutionelle Veran-kerung der Freihandelsgesetze. Zu ihnen gehört z.B.

- das Gesetz über Auslandsinvestition (Foreign InvestmentLaw ),

- das Gesetz über die Wirtschafts- und Freihandelszone(Free Economic and Trade Zone Law),

- die Joint Venture Gesetzgebung (Equity Joint VentureLaw und Contractual Joint Venture Law ) und

- das Gesetz für Auslandsunternehmen (Foreign Enterpri-ses Law ).

Die staatliche Außenhandelsagentur wurde abgeschafft, allejuristischen Subjekte und Personen können nun (laut Art. 36und 37) unabhängig von staatlicher Weisung Außenhandel be-treiben. Produktionsmittel sind fortan nicht mehr zwangsläufigEigentum des Staates oder der Kooperativen, sondern können(nach Art. 20) auch Eigentum von Gesellschaften sein. DieUnternehmenskalkulation verbleibt nun beim Betrieb, ebensowie mögliche Gewinne oder Verluste (Art. 33). Die Möglich-

263 Vgl. Chang, Myung-Bong 1998:14ff264 Vgl. Lee, Jong-Soek, 1999:165-167

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keiten zur Bildung von Privateigentum wurden (in Art. 24)ausgedehnt.

Das Patentrecht verlagert sich vom Staat zu juristischenoder natürlichen Personen, dadurch soll die Forschung, Ent-wicklung und Vermarktung eigener Produkte gefördert wer-den. Auch grundlegende Freiheitsrechte wie die freie Woh-nungswahl und Reisefreiheit wurden (in Art. 75) verfassungs-mäßig verankert.

Transformationsziel: Überwindung der ökonomischen Män-gel

Kim Jong-Il unternahm die Neubesetzung der Volksver-sammlung mit dem Schwerpunkt seiner Ministerien auf wirt-schaftliche Aspekte vor dem Hintergrund, dass mit den altenmilitaristisch geprägten Beamten kaum eine Belebung der her-untergekommenen Wirtschaft möglich schien. Als Herausfor-derung für die neuen technokratischen Teil der Elite Nordko-reas und als letzte Stufe von Kangsong Taeguk gilt es, die be-reits vorhandenen Anfänge einer vorsichtigen wirtschaftlichenLiberalisierung innerhalb der ideologischen Möglichkeitenauszuweiten.

Als Wendepunkt der nordkoreanischen Wirtschaftspoli-tik gilt allgemein die Sitzung des ZK der Arbeiterpartei imDezember 1993. Dort verabschiedeten die Mitglieder die sog.‚revolutionäre Wirtschaftsstrategie‘, die im Kern aus einerAbkehr von der bis dahin jahrzehntelang betriebenen Konzen-tration auf die Schwerindustrie bestand. Von nun an solltenLandwirtschaft, Leichtindustrie und Handel als zentrale wirt-schaftliche Komponenten im Vordergrund stehen. Mit derneuen Strategie unterbrach und beendete Nordkorea den er-folglosen dritten Siebenjahresplan.

Seit 1990 schmolzen die Exporte Nordkoreas – aus denbereits erwähnten Gründen – um über 60 Prozent, die Importeim selben Zeitraum um 55 Prozent.265 Doch die Bemühungen,die wirtschaftliche Situation in den Griff zu bekommen,scheiterten bisher auch an der Uneinigkeit innerhalb der poli- 265 Zahlen aus: ROK Ministry of Reunification 2000:379

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tisch-administrativen Elite des Landes hinsichtlich des neuenWirtschaftskurses. Konservative Parteiideologen warnten vorder Abhängigkeit von ausländischem Kapital sowie der Ab-kehr von der Schwerindustrieförderung, an der die gesamtemilitärische Produktion des Landes hängt. Die ParteizeitungRodong Shinmun spiegelt die Bedenken hinsichtlich einer li-beralisierten Wirtschaftspolitik z.B. im Vorwort zur Ausgabevom 17. September 1998 wieder. Dort heißt es:

"Laßt uns an der Politik, eine unabhängige nationaleWirtschaft aufzubauen, festhalten." (Eigene Überset-zung)

Das bedeutet, dass Nordkorea wohl auch weiterhin stärker aufKontrolle und Einflussnahme, als auf globale marktwirtschaft-liche Mechanismen setzen wird. Das monatlich erscheinendeParteimagazins Kunrosa, welche das ausländische Kapital mit„Opium" verglich und verächtlich über den aktuellen Globali-sierungstrend sprach, betonte in seiner Ausgabe vom Septem-ber 1998:

"Ein Land vernachlässigt sich selbst, wenn es ver-sucht, die eigene Wirtschaft mit zufällig bereitste-henden ausländischem Kapital anzukurbeln, anstatt aufdas eigene Potential zu bauen.“ (Eigene Übersetzung)

Auch die asiatische Wirtschaftskrise gab den Anti-Reform-Hardlinern neue Nahrung, die das Prinzip der Selbstversor-gung durch eine wirtschaftliche Öffnung des Landes gefährdetsahen. Letztendlich konnten sich die kritischen Stimmen je-doch nicht gegen den neu gewonnenen Einfluss der Reformerdurchsetzen.

Diese etablierten in den letzten Jahren einige besondereElemente in das nordkoreanische Wirtschaftssystem. Gemeintsind vor allem die wirtschaftlichen Sonderzonen: die Freihan-delszone Rajin-Sonbong, einige zollfreie Zonen – z.B. Nam-pound Won-san – und wirtschaftliche Sonderzonen – z.B. imDiamantgebirge – verlassen den bislang beschrittenen reinstaatlich kontrollierten und durch die sozialistische Ideologiegeprägten Kurs der nordkoreanischen Wirtschaftspolitik.

„In order to resolve the economic difficulties, NorthKorea has been pursuing a limited open door policy and

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established a free trade zone in the Rajin-Sonbongarea to attract foreign investment, but so far resultshave not been significant. Pyongyang also put specialemphasis on agriculture, light-industry and trade asthe first priority, but its socialist economic systemhinders any significant economic improvement.“(ROKMinistry of Defence (Hg.) 1997: 52)

Nach Angaben des nordkoreanischen Außenhandelsministerswurden bis Februar 1997 bereits 65 Investitionsprojekte miteinem Gesamtvolumen von rund 900 Millionen US$ getätigt,wobei die Gesamtsumme der bereits vereinbarten ausländi-schen Investitionen bei bereits 2 Milliarden US$ liegt. 266

Im Oktober 1998 hat in der Rajin-Sonbong-Freihandelszone zudem das Entwicklungsprogramm der Ver-einten Nationen – das UNDP – eine Wirtschaftsschule eröff-net. Ziel dieser Schule ist es, eine zukünftige Generation vonWirtschaftsexperten in marktwirtschaftlichen Systemzusam-menhängen, Buchhaltung sowie Ex- und Importbedingungenauszubilden. Damit unterstützt Nordkorea, neben dem weiter-hin dominanten Subsistenzgedanken der Juche-Idee, den lang-fristigen Einstieg in eine marktwirtschaftlich orientierte Tei-lökonomie.

Dem massiven Zufluss ausländischen Kapitals vorauseilen z.B. südkoreanische Touristen, die erstmals seit 50 Jah-ren im Diamantgebirge Urlaub machen. Der südkoreanischeKonzern Hyundai zahlt dem nordkoreanischen Staat für dieDurchschleusung der Touristen bis zum Jahr 2005 ca. 1 Milli-arde US$. Damit tritt der Autokonzern mit der koreanischenMoon-Sekte in Konkurrenz, die im Diamantgebirge bereits eingroßes Hotel, Thermalbäder und eine Autobahn gebaut hat.

In der zollfreien Zone Nam-po wiederum will Samsungeinen ähnlichen Betrag investieren, wie Hyundai im Diamant-gebirge. Nach ihren Vorstellungen sollen von dort in ZukunftKühlschränke, Fernseher und andere elektrische Haushaltsge-räte für den Weltmarkt produziert werden. Damit folgen sie

266 Vgl. Forschungsinstitut für nationale Wiedervereinigung (Hg.) 1997:

45

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einem anderen südkoreanischen Großkonzern, Daewoo, derdort bereits eine Textilfabrik betreibt.

„ (...) Mehr als 180.000 Südkoreaner haben bereits alsTouristen das Kumgang-Gebirge in Nordkorea besucht.(...) Mehr als hundert südkoreanische klein- und mit-telständische Firmen sind in Nordkorea aktiv. Investi-tionen von Großunternehmen haben entweder schon begon-nen oder sind im Gespräch. Diese Großunternehmen wer-den wahrscheinlich in diesem Jahr an der westlichenKüste Nordkoreas Industrieparks mit Baufirmen, Fabri-ken für Elektroprodukte, Fabriken zur Montage von Au-tos etc. errichten.“ (Kim Dae- Jung 2000:11)

Gesellschaftliche Auswirkungen der Transformation

Die wirtschaftliche Krise und die Uneinigkeit der verschiede-nen Eliten hinsichtlich des eingeschlagenen ökonomischenKurses des Landes zeigt indes keine Auswirkungen auf diepolitischen Machtverhältnisse. Nach wie vor wird das nordko-reanische Modell des Sozialismus mitsamt seiner politischenFührerschaft und Organisationsform von der Bevölkerung ge-tragen. Obwohl der Personenkult um Kim Il-Sung unter KimJong-Il keine adäquate Fortsetzung erfährt, bleibt der absoluteFührungsanspruch Kim Jong-Ils unberührt. Ungebrochen istauch das enge Verhältnis zwischen politischer und militäri-scher Führung im Land.

„(...) (A)fter the death of Kim Il-Sung high-level of-ficials have been conducting normal activities, and noevidence of power struggle has been detected. However,the status of the military seems to have beenstrengthened.“ (Forschungsinstitut für nationale Wie-dervereinigung (Hg.) 1997: 45)

Obwohl die Militärausgaben – wie gezeigt – das Land enormbelasten, bleibt die strukturelle Militarisierung der nordkorea-nischen Gesellschaft, die bis hin zu den staatlichen Kinder-gärten alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringt,bestehen. Denn sie wird von Seiten der nordkoreanischen Füh-rung als wichtigste ideologische Klammer zur Aufrechterhal-tung der eigenen Widerstandsfähigkeit gegen äußere Bedro-hungen angesehen.

„Die kurz- oder mittelfristige Prognose über die In-stabilität der nordkoreanischen Führung von Kim Jong-

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Il scheint daher ein Wunschvorstellung vieler Beobach-ter zu sein.“ (Song, Du-Yul 1995:99)

Viel wahrscheinlicher ist eine schrittweise Transformation desnordkoreanischen Systems unter Orientierung am chinesischenEntwicklungsmodell. China ist der einzig verbliebene Partnerdes Landes, dessen politische und wirtschaftliche Entwicklungals ideologiekonform gilt.

Die alten ideologischen Krusten erfahren indes nicht nurim wirtschaftlichen, sondern auch im sozialen Bereich eineAuflösung. Bei der Betrachtung des Begriffs des Individuumsbeispielsweise fällt auf, dass die neue Verfassung diesen nichtmehr nach sozialistischer Doktrin – in der das Individuumgleichbedeutend mit dem Arbeiter, der kleinsten Teileinheitder herrschenden Klasse ist – betrachtet, sondern ihn nun inseiner Rolle als Staatsbürger interpretiert. D.h. nicht nur Ar-beiter, sondern auch Unternehmer, Beamte oder Angestelltesind Individuen. Für alle Individuen gelten erweiterte Frei-heitsrechte, wie Wohnungswahl und Reisemöglichkeiten:

„Diese Anerkennung spiegelt sich in der Veränderungder nordkoreanischen Gesellschaft wider (...) Einesolche Veränderung wird durch die Erweiterung des Aus-tausches und der Kontakte der nordkoreanischen Bewoh-ner zu Stande kommen, die der Grundstein des poli-tisch-ökonomischen Reformkurses sein wird.“ (Chang,Myung-Bong 1998:30 (eigene Übersetzung))

Die Bildung von individuellem Eigentum ist ebenso neu undwesentlich, ermöglicht sie dem Einzelnen nicht nur Empfängerfestgelegter Einheitsleistungen (wie etwa der Wohnung, Nah-rung und Kleidung) zu bleiben, sondern durch EigeninitiativeGewinn zu erwirtschaften, Vermögen zu bilden und Besitz zuakkumulieren. In der Konsequenz bedeutet diese ein Abrückenvom Ideal der klassenlosen Gesellschaft und der weiterenAusbildung verschiedener neuer Eliten (z.B. Wirtschaftseliten,Informationseliten u.a.)

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8.3 Das Gipfeltreffen zwischen den beiden koreanischenStaatsführern

Das Gipfeltreffen der beiden Staatschefs war zweifelsfrei einedirekte Folge der Transformationssituationen der beiden ko-reanischen Gesellschaften. Für Kim Jong-Il war es vor allenDingen wichtig, das eigenständige Agieren des südlichen Bru-derstaates zu unterstützen.

„In ihrer Erklärung wiesen beide Koreas auf die Not-wendigkeit des eigenständigen Wegs zur Wiedererlangungder nationalen Einheit hin. ‚Das koreanische Volk isteins: wir haben ein gemeinsames Schicksal‘, sagte Süd-koreas Präsident. ‚Das Schicksal unseres Volkes mussdurch uns geschmiedet werden‘.“ (dpa-Meldung, 15. Juni2000)

Für Kim Dae-Jung hingegen standen die Verbesserungen fürdie direkten Kontakte zwischen den koreanischen Menschenund Familien im Vordergrund – quasi die „menschliche“ Di-mension des innerkoreanischen Dialogs. Die Zusammenfüh-rung getrennter Familien war nur einer der fünf Punkte umfas-senden gemeinsamen Vereinbarung, die auch von SeitenNordkoreas als unbedingte Voraussetzung für eine zukünftigestaatliche Einheit betrachtet wird.

„Der Besucheraustausch von Familien aus beiden Teilender Halbinsel soll laut Erklärung im August stattfin-den. Dabei wurde allerdings keine Zahl genannt. Durchdie Teilung der Halbinsel 1945 und den Koreakrieg wur-den Millionen von Familien getrennt. Bis heute istkein Kontakt zwischen ihnen über die Grenze möglich.Die Frage der Familienzusammenführung hatte SüdkoreasPräsident zu einer der obersten Prioritäten währendseines Besuchs in Pjöngjang gemacht.“ (dpa-Meldung,15. Juni 2000)

Als Indiz dafür, dass die seit der Teilung erhobene Forderungdes Nordens nach einer eigenständigen Formulierung polit i-scher Positionen mittlerweile auf fruchtbaren Boden gefallensein könnte, kann eine von Eberstadt (1999:3) dokumentierteangebliche Äußerung Kim Dae-Jungs bezüglich der nordko-reanischen Raketentests gelten,:

„President Kim Dae-Jungs reportet comment that anothermissile launch would not mean ‚the end of the earth‘betrays a stunning indifference to the security of his

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Japanese and American partners. (...) (T)he differ-ences in ROK-US alliance seem to have widened a bit(...)“

Hinsichtlich der zukünftigen Kooperation der beiden Teile derHalbinsel orientieren sich die Vereinbarungen des Gipfeltref-fens am ‚Katalysator‘ der Ökonomie. Dazu gehören die bereitsangesprochenen Investitionen Südkoreas in die Sonderwirt-schaftszonen sowie die Entwicklung des Tourismus im Dia-mantgebirge. In Nam-po wollen Hyundai, Samsung und LGeine 66 Millionen Quadratmeter große Produktionsstätte auf-bauen. Geplant ist die Ansiedlung von ca. 850 kleinen undmittelständischen Firmen. Für Südkorea bringt dies erwartete20 Milliarden US$ zusätzliches Exportvolumen pro Jahr.267

Während der innerkoreanische Handel von 13 Millionen(1990) auf 333 Millionen US$ im Jahr 1999268 angewachsenist, überschlagen sich die südkoreanischen Erwartungen hin-sichtlich der zukünftigen Handelsbeziehungen. Auch vor demHintergrund der noch nicht ganz überwundenen Folgen derAsienkrise wäre der Ausbau des innerkoreanischen Handelsfür Südkorea interessant.

Weitere Vereinbarungen betrafen verschiedene CBMs,die bereits 1991 im Grundlagenabkommen festgeschriebensind und u.a. die Bildung einer gemeinsamen Militärkommis-sion vorsehen.

Trotz veränderter politischer Leitlinien der USA gegen-über Nordkorea tritt die Diskrepanz zwischen propagierter„Koreanisierung der Koreafrage“ und hegemonialem An-spruch auch im Dunstkreis des Gipfeltreffens erneut zu Tage.

„Bevor Kim Dae-Jung aus seinem Amt scheidet, hofft er,den technischen Kriegszustand auf der koreanischenHalbinsel zu beenden. Das ist wesentlich für den Voll-zug von Versöhnung und Wiedervereinigung des koreani-schen Volkes. Die US-amerikanischen Politiker solltensich nicht in den Willen Kim Dae-Jungs einmischen,sondern diesen unterstützen“,

267 Vgl. Kweon, Tae-Ho 2000:23268 Zahlen aus: The Han Kyoreh, 13.04.2000

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rät Cumings (2000:4) am Vorabend des historischen Gipfels,doch die Kommentare aus dem US-Außenministeriums be-schränken sich auf die Raketenproblematik:

„Sicherlich ist ein Abbau der Spannungen erforderlich,doch was die mögliche Raketenbedrohung (Nordkoreas)angeht, habe ich nichts gesehen, was diese aufhebenkann.“ (dpa-Meldung, 15. Juni 2000)

Das Gipfeltreffen kann sich positiv auf die nach wie vor ent-wicklungsbedürftige Diskussionskultur in beiden koreanischenGesellschaften auswirken. Statt von ideologischen Doktrinenkönnte der Besuch Kim Dae-Jungs in Nordkorea – und der inAussicht stehende Gegenbesuch – mit dazu beitragen, dieDenkweise von Respekt vor den Leistungen der jeweils ande-ren Gesellschaft bzw. den praktischen Möglichkeiten zurÜberwindung der Teilung leiten lassen. Ryu Kwon-Ha(2000:2) beschreibt den möglichen Nullpunkt eines ideologie-freien Dialogs mit den Worten:

„Anlässlich des Gipfels (...) ist ganz Südkorea inVerwirrung geraten (...) Weil das ultranegative ImageNordkoreas und Kim Jong-Ils in den Köpfen der Südko-reaner plötzlich zusammenfiel, leiden sie jetzt anOrientierungslosigkeit (...)“