Karius und Baktus in die Flucht schlagen — Wann soll man zur chemischen Keule greifen?

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Karius und Baktus in die Flucht schlagen – Wann soll man zur chemischen Keule greifen?

Wann ist es sinnvoll, den Mikroorganismen in der Mundhöhle mit antiseptischen Mitteln zu begegnen? Und welche Mittel sind dann empfehlenswert? Diese Fragen waren unter anderem Thema einer parodon-tologischen Fortbildungsveranstaltung in Wien. Dr. Corinna Bruckmann von der Universitätszahnklinik Wien lieferte die Antworten.

Philipp Kaiser // freier Journalist, Wien

Unzulänglichkeiten der mechanischen Gebissreinigung las-sen die Anwendung antibakterieller Wirksto�e sinnvoll

erscheinen. Außerdem ist der Einsatz in bestimmten Situationen oder bei Risikopatienten angezeigt. Neben dem Anwendungs-zweck müssen auch die Anwendungsdauer und mögliche Neben-wirkungen berücksichtigt werden. Bruckmann stellte Ursachen und Risikoparameter parodontaler Erkrankungen bis hin zu spezi�schen Unterschieden der Gingivits und Parodontitis vor, nannte Gründe für die chemische Plaquekontrolle und stellte die aktuell zur Verfügung stehenden Substanzgruppen sowie ihre Indikationen vor.

1000 Spezies – noch nicht genug?Bakterien, Viren, Pilze und Protozoen – Stammgäste im menschlichen Organismus, und das nicht zu knapp. So sind es im Darm ungefähr 10¹¹ Mikroorganismen, während es in der Mundhöhle „nur“ 106 sind. Aus parodontopathogener Sicht

ist allerdings der Aspekt der Anzahl verschiedenartiger Spe-zies in den diversen Organen unserer Körper interessant. So haben wir beispielsweise um die 200 Spezies in Darm und Uro-genitaltrakt, während wir in der dazu verhältnismäßig klei-nen Mundhöhle rund 1000 Bakterienspezies au�nden kön-nen (Scienti�c American 2012). Dieser Aspekt und die damit im Zusammenhang stehende wissenscha�liche Erkenntnis, dass das Vorhandensein von Mikroorganismen eine notwen-dige Bedingung für die Entstehung entzündlicher Parodonta-lerkrankungen ist, trägt maßgeblich dazu bei, dass man sich über die mechanische und auch die chemische Plaquekontrolle Gedanken machen muss.

Zerstörerische ProzesseGrundsätzlich führen homöostatische Mechanismen zu einer Stabilität des Keimverbunds in der Plaque. Wird das ökolo-gische Gleichgewicht jedoch gestört, sind Karies und Erkran-

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kungen des Zahnhalteapparats o� irreversible Konsequenzen. Störfaktoren kariöser Läsionen sind häu� ger Zuckerkonsum, ein niedriger pH-Wert und schwacher Speichel� uss in Kombi-nation mit acidogenen/acidurischen Keimen wie Streptokok-ken und Laktobazillen. Erkrankungen des Zahnhalteapparats hingegen sind meist auf Entzündungen, vermehrten „Gingi-val-crevicular-� uid“(GCF)-Fluss und Immunsuppression bei Vorhandensein von gramnegativen Anaerobiern wie Spiro-chäten, Porphyromonas gingivalis und Tannerella forsythia zurückzuführen.

Die Ursache: oraler Biofi lmDer Bio� lm, früher Zahnplaque genannt, ist ein weicher, struk-turierter, zäher mikrobieller Zahnbelag. Er besteht aus Mikro-kolonien, die wiederum aus unterschiedlichen Bakterienspezies zusammengesetzt sind. Es handelt sich dabei um matrixum-hüllte Bakterienpopulationen, die aneinander und an Ober� ä-chen ha� en (Costerton 1994). Besondere Eigenscha� en dieser Bakterien sind, dass sie über wasserführende Kanäle mitei-nander kommunizieren, Nährsto� e austauschen und unter Bildung komplexer Strukturen untereinander synergistische Wechselwirkungen ausüben. Ihre Resistenz gegenüber Pha-gozytose und Bakteriziden schützt sie vor äußeren Ein� üssen wie antibakteriellen Sto� en.

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Mikroorganis-men, die in der Mundhöhle in einer planktonischen Phase (frei

schwimmend, nicht angehe� et) oder in einem ortständigen Bio-� lm (Plaque) vorliegen, da dieser ein gänzlich anderes Verhal-ten als planktonische Bakterien aufweist. Dazu zählt als einer der wichtigsten Faktoren, dass der Bio� lm nicht abspülbar ist. Des Weiteren hat er einen erhöhten Widerstand gegen Wirtsab-wehr sowie eine konstante Quelle von Bakterienprodukten. So erfordert es eine sehr hohe Antibiotikakonzentration, will man die Erreger im Bio� lm abtöten. Somit ist die zentrale Kompo-nente jeder erfolgreichen � erapie das mechanische Aufreißen und Entfernen des oralen Bio� lms.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie weit man tatsächlich im Rahmen des Zähneputzens diese Mikrokolonien entfernen kann. Zahnober� ächen und Sulcus machen nur rund 10 bis 20 Prozent der oralen Ober� äche aus. Unter dem Aspekt, dass sich der Bio-� lm allerdings auch auf der Mundschleimhaut et cetera anlagert, kann man davon ausgehen, dass auf rund 80 bis 90 Prozent der Mundhöhlenober� äche, trotz mechanischer Entfernung, bak-terielle Reservate zurückbleiben.

Wann kommt die chemische Plaquekontrolle zum Einsatz?Wie o� Putzen hinsichtlich einer Gingivitis tatsächlich nötig ist, zeigten Studienergebnisse von Lang et al. . Über einen Zeitraum von sechs Wochen würde theoretisch einmaliges Zähneputzen (Plaqueentfernung) alle 48 Stunden ausreichen, um einer Gin-givitis weitgehend vorzubeugen.

1 // Nekrotisierende Gingivitis. Hier kann eine Spülung mit antibakteriellen Wirkstoffen hilfreich sein

2 // So sollte es nicht aussehen: Zahnverfärbungen sind eine mögliche Nebenwirkung von Mundspülungen

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Hauptaugenmerk in der Diagnostik von Risikofaktoren par-odontaler Erkrankungen muss natürlich Patientengruppen geschenkt werden, die aufgrund von diversen Ein�ussfaktoren ein erhöhtes Risiko für parodontale Erkrankungen haben. Dazu gehören unter anderem Raucher, die im Vergleich zu Nichtrau-chern ein 2,5 bis 6-fach erhöhtes Risiko, an einer Parodonti-tis zu erkranken, haben, Menschen mit Diabetes, Schwangere, Implantatträger, Senioren aufgrund eingeschränkter Motorik hinsichtlich der mechanischen Plaqueentfernung und gestress-te sowie depressive Personen.

Bevor Mundspülungen, Zahnpasten, Gele oder Lacke zum Einsatz kommen, muss vom entsprechenden Behandler fest-gestellt werden, ob auf chemische Mittel vorübergehend oder langfristig als zusätzliche Hilfe zurückgegri�en werden soll. Zum akuten, vorübergehenden Einsatz dieser Sto�e gehören besondere Situationen wie vor oder nach chirurgischen Ein-gri�en, bei eingeschränkter Mundhygiene aufgrund Schie-nungen oder Traumata, akute orale Erkrankungen (aku-te nekrotisierende ulzerierende Gingivitis), im Rahmen von Parodontalbehandlungen sowie bei übersensiblen Zahnhäl-sen und zur gezielten Keimzahlreduktion in der Mundhöh-le. Längerfristig sollte eine zusätzliche chemische Plaquekon-trolle zum Einsatz kommen bei:→ unzureichender Mundhygiene und bereits bestehender

Karies,→ Gingivitis oder Parodontitis,→ Schwangerscha�,→ kieferorthopädischer Behandlung,→ fehlender Mundhygiene aufgrund Behinderungen oder

nachlassender manueller Geschicklichkeit,→ gleichzeitig bestehender systemischer Erkrankung und→ freiliegenden Zahnwurzeln.

Chemotherapeutika: Eigenschaften und EinsatzgebieteSeit mehr als einem Jahrhundert werden Mundwässer zur Gesundhaltung von Zahn�eisch, Zähnen, Mund und Rachen verwendet. Neben der Wirkung als „Parfüm“ sind prophylak-tische E�ekte jedoch nach wie vor zu hinterfragen. Aus diesem Grund ist bei der Anwendung medizinisch wirksamer antibak-terieller Mittel das Grundverständnis für Anforderungen und Arten dieser Substanzgruppen unerlässlich.

Zu den wesentlichen Grundanforderungen antibakterieller Substanzgruppen zählen laut Bruckmann:→ nachgewiesene Wirksamkeit und Spezi�tät gegenüber

oralen Mikroorganismen,→ Erreichen des Wirkorts und E�zienz (im Fall einer Gingi-

vitis eher supragingival, bei Parodontitis subgingival),→ Substantivität (also die Fähigkeit, sich lange an Zähnen

und Schleimhaut anhe�en zu können),→ Fehlen systemischer Nebenwirkungen (Toxizität, Allergie,

Resistenzbildung),→ Fehlen lokaler Nebenwirkungen (Verfärbungen,

Schleimhautirritationen),→ Beibehaltung des ökologischen Gleichgewichts,→ Möglichkeit einer Langzeitanwendung sowie→ Stabilität während der Lagerzeit und auch in situ.

Außerdem sollten sie wohlschmeckend, kostengünstig sowie einfach in der Anwendung sein.

Laut American Dental Association (ADA) sind die Haupt-gründe für die Anwendung chemisch wirksamer Mittel in der Mundhöhle die Erfrischung des Atems, Kariesverhinderung, Plaquereduktion, Gingivitistherapie, Zahnsteinverminderung und eine Kombination aller E�ekte. „Zu den von der ADA als oral wirksam bezeichneten �erapeutika gehören Chlorhe-xidin, Triclostan, Zinn�uoride und essenzielle Öle“, betonte Bruckmann.

Chemotherapeutika der ersten GenerationAls Chemotherapeutika der ersten Generation werden Substanz-gruppen bezeichnet, deren antibakterielle Wirksamkeit zwar in vitro bestätigt worden ist, in vivo jedoch fehlt. Dennoch haben sie eine gewisse Spezi�tät und gewissermaßen auch ausreichend E�ektivität gegenüber Mikroorganismen. Als deren wichtigste Vertreter sind zu nennen Fluoride, Hexetidin, quatenäre Ammo-niumverbindungen (Cetylpyridiniumchlorid, CPC) und essen-zielle Öle.

Bruckmann unterstrich in ihrem Vortrag deutlich, dass Flu-orid, bekannt als einer der wichtigsten Inhaltssto�e in Zahn-pasten, bei permanenter Dentition zur einer 24-prozentigen und im Wechselgebiss bei Kindern und Jugendlichen zu einer 37-prozentigen Reduktion von Karies führt. Außerdem dient es der Prävention von Karies bei Erwachsenen jeden Alters. Grundsätzlich sind alle Fluoride, wie unter anderem Amin-�uorid, Zinn�uorid oder Natrium�uorid, in ihrer Anwendung gleichwertig. Beachten sollte man allerdings, dass ihre Wir-kung dosisabhängig ist.

Die zweite Generation überzeugt„Eine starke antimikrobielle Wirkung, in vivo und in vitro, eine ausreichend hohe Substantivität, Spezi�tät und E�zienz zeigen Chemotherapeutika der zweiten Generation, zu denen Triclosan, Amin- und Zinn�uorid sowie Chlorhexidin (CHX) zählen“, erläuterte die Referentin. Triclosan, ein Bakterien-hemmer und vielfach eingesetzter biozider Wirksto�, deckt

Das sagt der Coach

Der Einsatz von antibakteriellen Wirksto�en ist abso-lut sinnvoll zur Plaque- sowie Gingivitiskontrol-

le und neben der mechanischen Entfernung des Bio�lms indiziert. „Goldstandard bei der Auswahl des e�ektivsten Wirkstoffs hinsichtlich einer siginifikanten Plaquere-duktion bleibt CHX. Bei längerfristiger Anwendung (>vier Wochen) ist es eventuell sinnvoller, auf essenzielle Öle zurückzugreifen, um diverse Nebenwirkungen zu umgehen. Bei Indikation ist eine mindestens 30-sekündige Spülung mit CHX, unabhängig davon, ob es sich um eine 0,2-prozentige oder 0,12-prozentige Konzentra-tion handelt, am sinnvollsten.

Dr. Corinna Bruckmann, Msc // Universitätszahnklinik Wien

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einerseits ein breites antimikrobielles Spektrum ab und bringt andererseits Vorteile durch gleichzeitige entzündungshem-mende Wirkung. Amin- und Zinn�uoride zeichnen sich hin-gegen durch hohe Substantivität und starke antibakterielle Wirkung aus, während sie verhältnismäßig geringere Neben-wirkungen als CHX mit sich bringen. Dies ermöglicht ihren den längerfristigen Einsatz.

Das Wirkspektrum von CHX reicht von Bakterien über Pilze bis hin zu lipophilen Viren wie dem Hepatitis-B-Virus. Umso mehr betonte Bruckmann die langanhaltende Wirkung von CHX: „Es hat den Vorteil, sich durch seine positive Ladung an Schleimhäute und Zahnober�ächen langfristig anhe�en zu kön-nen, auch genannt Substantivität, und gleichzeitig eine lang-same Abgabe in aktiver Form an den Speichel zu gewähren.“ Diese Vorteile wurden zuletzt in einer Studie von Jones et al. (2000) untermauert.

Klinische Langzeitstudien haben ergeben, dass kein anderer antibakterieller Wirksto� einen dermaßen großen Erfolg hin-sichtlich Plaquereduktion (45 bis 61 Prozent) und Gingivitisre-duktion (27 bis 80 Prozent) wie CHX vorweisen kann. Bruck-mann warnte allerdings auch vor möglichen Nebenwirkungen: „Verfärbungen aufgrund langanhaltender Substantivität, Dys-geusie, vor allem im Bereich salziger Geschmacksinterferenzen, seltene Parotisschwellungen, verstärkte Zahnsteinbildung sowie Mukosadesquamation und bei direkter Einwirkung Innenohr-toxizität können bei längerfristigem Einsatz von Chlorhexidin au�reten.“ Die Ursache der mit der Substantivität assoziierten Verfärbungen durch CHX ist weitgehend unklar. Belegt ist, dass diese reversibel und entfernbar sind, sich primär auf Zahn-, Brü-cken- und Kronenober�ächen bilden und es zu verstärkten Ver-färbungen bei gleichzeitiger Einnahme von Ka�ee, Tee oder Rot-wein kommen kann.

Ölziehen: eine Kur zur EntgiftungDie ayurvedische Lehre bedient sich eines weiteren Hilfsmittels: des Ölziehens („Gandusha“). Diese Methode wird zur Stärkung der Zähne, des Zahn�eisches und des Kiefers angewendet. Ob das Ölziehen auch tatsächlich einen antibakteriellen E�ekt und somit e�ektive Anwendung in der Mundhöhle �ndet, haben Stu-dienergebnisse von Asokan et al. (2008) beantwortet. Getestet wurde der antibakterielle E�ekt des Ölziehens, verglichen mit dem Einsatz des standardisierten Wirksto� CHX an Gesun-den. In einem Abstand von 24, 48 Stunden, einer Woche und zwei Wochen mussten zehn Probanden vor dem Zähneputzen Sesamöl schlürfen und saugen beziehungsweise mit CHX spü-len. Bei den gemessenen Plaqueproben war das Ergebnis eindeu-tig: Während es bei Gandusha erst nach einer Woche zu einer signi�kanten Reduktion von Streptococcus mutans kam, war dies bereits nach jeder Anwendung mit CHX der Fall. In diesem Zusammenhang verwies die Parodontologin auch auf eine wei-tere Studie von Asokan et al. (2009) und betonte deren Ergebnis: „Sesamöl kann bei jeweils einminütiger Anwendung für zehn Tage vor dem Zähneputzen zu einer signi�kanten Reduktion des Plaqueindex sowie Gingivalindex führen.“

Literatur beim Verlag

Quelle: Fortbildungsveranstaltung „Keimzahlreduktion mit der chemischen Keule“, Wien

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