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KARL RAHNER Vorlesung ¨ Uber die Gnadenlehre 1956/1957 Vorlesungsmitschrift f¨ ur das Internet bearbeitet mit Zwischen¨ uberschriften von Otto Sch¨ arpf Andere Texte von K.Rahner andere Texte z.B. von Lange, J. Marechal usw. Seminar:Natur und Gnade Seminar:Das Geheimnis Seminar: ¨ Uber die Ungl¨ aubigen Vorlesung ¨ uber die Buße (De poenitentia) Vorlesung:Sch¨ opfung und Urstand des Menschen Vorlesung: ¨ Uber den Urstand der Menschen Vorlesung: ¨ Uber die Urs¨ unde Dogmatische Anthropologie Fides implicita, Bonaventura, Person und Gnade Aus dem theologischen Kolloquium Editor: Otto Sch¨ arpf 2010

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KARL RAHNERVorlesung

Uber die Gnadenlehre1956/1957

Vorlesungsmitschrift fur dasInternet bearbeitet mitZwischenuberschriften

von Otto ScharpfAndere Texte von K.Rahner

• andere Texte z.B. von Lange, J. Marechal usw.• Seminar:Natur und Gnade• Seminar:Das Geheimnis• Seminar:Uber die Unglaubigen• Vorlesung uber die Buße (De poenitentia)• Vorlesung:Schopfung und Urstand des Menschen• Vorlesung:Uber den Urstand der Menschen• Vorlesung:Uber die Ursunde• Dogmatische Anthropologie• Fides implicita, Bonaventura, Person und Gnade• Aus dem theologischen Kolloquium

Editor: Otto Scharpf

2010

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Inhaltsverzeichnis

1 Theologischer Ort der Gnadenlehre 11.1 Theologischer Ort des Gnadentraktats . . . . . . . . . . . . 11.2 Zu behandelnde Themen der Gnadenlehre . . . . . . . . . . 5

1.2.1 Wiederholung und Anschluss . . . . . . . . . . . . . 8

2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre 92.1 Dogmengeschichtliche Voruberlegungen . . . . . . . . . . . . 9

2.1.1 Heilsgeschichte, ausgezeichnetes Stuck der Gotteser-fahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.1.2 Frage nach Qualitat und Intensitat . . . . . . . . . . 112.1.2.1 Geschichtliches Drama: . . . . . . . . . . . . 12

2.1.3 Eroffnung der Dimension der Gnade . . . . . . . . . . 132.2 Gnadenlehre im Alten Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3 Gnadenlehre im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . 16

2.3.1 Voruberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.3.2 Gnadenlehre bei den Synoptikern . . . . . . . . . . . 172.3.3 Gnadenlehre bei Johannes und Paulus . . . . . . . . 19

2.3.3.1 Der Geist Gottes: . . . . . . . . . . . . . . . 202.3.3.2 Gerechtigkeit: . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.3.3.3 Gnade: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre 233.1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.1.1 Allgemeine Lehrbucher uber die Dogmengeschichte . 233.1.2 Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.2 Einleitendes zur Vaterzeit im Allgemeinen . . . . . . . . . . 243.3 Gnadenlehre in der griechischen Patristik, Gesichtspunkte

primarer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253.3.1 1. Das gnostische Problem. . . . . . . . . . . . . . . . 253.3.2 2. Das platonische Problem. . . . . . . . . . . . . . . 27

3.4 Gesichtspunkte sekundarer Art . . . . . . . . . . . . . . . . 283.4.1 Gnadenlehre und Trinitatslehre . . . . . . . . . . . . 29

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Inhaltsverzeichnis

3.4.2 der griechische Optimismus: allgemeiner Heilswille . . 303.4.3 Hohepunkt der Begnadigung: Gnosis - Dunkelheit

Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303.4.4 Das platonische Aufstiegsschema . . . . . . . . . . . 313.4.5 Gnadenlehre als Tauftheologie . . . . . . . . . . . . . 323.4.6 Theologie der Mystik und Gnadenlehre . . . . . . . . 323.4.7 Moralismus der Antiochener . . . . . . . . . . . . . . 323.4.8 Inkarnatorische Gnadentheologie . . . . . . . . . . . 333.4.9 Beziehung des Menschen zum Logos . . . . . . . . . . 33

3.5 Gnadenlehre in der lateinischen Patristik . . . . . . . . . . . 343.5.1 Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

3.5.1.1 Mensch, Bedeutung, Charakter . . . . . . . 343.5.1.2 Spezielle Punkte aus der Gnadenlehre Au-

gustinus’s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353.5.1.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 363.5.1.4 Was wollen wir damit sagen? . . . . . . . . 363.5.1.5 Geschichte der Zurechtdistinguierung des

Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.5.2 Welche endlichen Mangel weist die Gnadenlehre Au-

gustinus auf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393.5.2.1 Pradestinationslehre (universellen Heilswil-

len gibt es bei ihm nicht) . . . . . . . . . . 393.5.3 Wiederholung, Zusammenfassung . . . . . . . . . . . 40

3.5.3.1 Ansatze bei Augustinus in andere Richtung 413.5.4 Verhaltnis von Gnade und Freiheit. . . . . . . . . . . 42

3.6 Nachaugustinische Theologie der Gnade . . . . . . . . . . . 433.6.1 Nichts Neues zunachst . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.6.2 Grunde fur scheinbar semipelagianische Formulie-

rungen: Entdeckung des habitus, Problem des An-fangs dieses habitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

3.7 Auswahl aus der mittelalterlichen Gnadentheologie, einigeDinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463.7.1 Streit uber die Pradestination. . . . . . . . . . . . . . 463.7.2 Anselm von Canterbury, +1109 . . . . . . . . . . . . 463.7.3 Peter Abalard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.7.4 Versuche einer Art Systematik der Theologie . . . . . 473.7.5 Gnadenontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

3.8 Gnadenlehre bei Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.8.1 Formelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.8.2 Inhaltliches der thomistischen Gnadenlehre . . . . . . 503.8.3 Charakteristik der thomistischen Gnadenlehre . . . . 50

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3.8.3.1 Grundvoraussetzungen: synthetische ge-schichtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . 50

3.8.4 Auswirkung dieser geschichtlichen Stellung auf dieLehre von Natur und Gnade . . . . . . . . . . . . . . 513.8.4.1 Auswirkung auf medizinellen und elevie-

renden Aspekt der Gnade . . . . . . . . . . 553.8.5 Probleme um die Vorbereitung auf die Rechtfertigung 56

3.8.5.1 Problem Gnade und Freiheit . . . . . . . . . 573.9 nachtridentinische Theologie der Gnade . . . . . . . . . . . . 58

3.9.1 Bajus und Bajanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 583.9.2 Jansenius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

3.9.2.1 Lehre des Jansenius . . . . . . . . . . . . . 623.10 uber die letzten 150 Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

4 Allgemeiner Heilswille Gottes 654.1 Aufbau des gesamten Traktats . . . . . . . . . . . . . . . . . 654.2 These 1 Allgemeiner Heilswille . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

4.2.1 Existentielle Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 664.2.2 Klassische Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 70

4.2.2.1 Status quaestionis . . . . . . . . . . . . . . 704.2.2.2 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704.2.2.3 Sensus, Adversarii, Qualificatio . . . . . . . 82

4.2.3 Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 884.2.3.1 Magisterium der Kirche . . . . . . . . . . . 884.2.3.2 Schriftbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . 934.2.3.3 Kirchenvater . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens . . . . . . . . . . . . . 974.3.1 Existentielle Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 97

4.3.1.1 Erkurs: Sunde, Sartre . . . . . . . . . . . . 1034.3.2 Klassische Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 107

4.3.2.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1074.3.2.2 Exkurs: Tat selbst als Gnade . . . . . . . . 1084.3.2.3 Exkurs: Gnadenwahl und nur hinreichende

Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1124.3.2.4 Adversarii, Qualificatio, Beweis . . . . . . . 114

4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae . . . . . . . . . . . . . . . 1174.4.1 Gnade Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1184.4.2 Gnade der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex 1295.1 These 4 auxilium speciale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

5.1.1 Klassische Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 131

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5.1.1.1 Exkurs: uber moralische Impotenz . . . . . 1325.1.2 Probatio: [kurz] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

5.1.2.1 Exkurs: uber Ro.7.c . . . . . . . . . . . . . 1475.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden . . . . . . . . . . . 155

5.2.1 Klassische Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 1555.2.1.1 Exkurs: uber lassliche Sunde (ca. 12 Seiten) 1575.2.1.2 Exkurs: simul iustus et peccator und pec-

catum leve . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1665.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte . . . . . . . . . . . 174

5.3.1 Klassische Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 1755.3.1.1 Exkurs: Distinktion honestus et salutaris . . 1755.3.1.2 Exkurs: Gibt es actus mere honestos . . . . 180

5.3.2 Probatio: klassische Beweisstruktur . . . . . . . . . . 1885.3.2.1 Exkurs: Augustinus’ Auffassng . . . . . . . 199

5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe . . . . . . . . . . 2055.4.1 Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

5.4.1.1 Exkurs: Geschuldetheit und Ungeschuldet-heit dieser Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . 221

6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Ko-dex) 2256.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade . . . . . . . 227

6.1.1 Klassische Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 2276.2 These 9 Initium Fidei und Gnade . . . . . . . . . . . . . . . 260

7 Gnade ist ungeschuldet 2657.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet . . . . . . . . . . . . . 2657.2 These 11 Unmoglichkeit irgendeiner positiven Disposition . . 279

8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade 2898.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade . . . . . 289

8.1.1 Ubernaturlichkeit und Bewusstheit . . . . . . . . . . 2908.1.1.1 wie sind die beiden Realitaten verbunden? . 2928.1.1.2 Ahnliches Problem in Christologie . . . . . 2938.1.1.3 Anderer Vergleich: mit Horen . . . . . . . . 2958.1.1.4 Entwicklung seit Augustinus . . . . . . . . . 2958.1.1.5 Ubernaturlichkeit muss offen bleiben fur

Erlebnisseite . . . . . . . . . . . . . . . . . 2978.1.1.6 Zusammenhang mit

”Sein ist Bei-sich-Sein“ 298

8.1.2 Exkurs: Begriff von Natur und des ens supernaturale 2988.1.2.1 Problematik eines Naturbegriffs aus unter-

menschlicher Wirklichkeit . . . . . . . . . . 299

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8.1.2.2 Natur im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . 2998.1.2.3 Ist nicht alles allgemeiner Brei? Wieviele

Naturen gibt es? . . . . . . . . . . . . . . . 3008.1.2.4 Begriff der Natur ist nicht so einfach . . . . 3018.1.2.5 Voraussetzung: es gibt verschiedene Naturen 3028.1.2.6 Natur: Versuch durch Eigenschaften zu be-

schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3028.1.2.7 Beim Menschen, was ist da Natur? . . . . . 3038.1.2.8 Mensch ursprungliche Natur, wie zu zeigen? 3048.1.2.9 Mensch, einzige angebbare Natur, ist es

durch Undefinierbarkeit . . . . . . . . . . . 3058.1.2.10 Ubernaturliches hat nur Sinn gegenuber

geistig Transzendentalem . . . . . . . . . . 3068.1.2.11 Warum ist es dann nicht geschuldet? . . . . 3078.1.2.12 Mensch: gegebene Natur, aber Schwierig-

keit sie zu definieren . . . . . . . . . . . . . 3098.1.2.13 Ziel dieser Natur? . . . . . . . . . . . . . . 3098.1.2.14 Natur des Menschen hat Gott als konkretes

Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3118.1.2.15 Natur des Menschen ist auf etwas aus, auf

das sie kein Recht hat . . . . . . . . . . . . 3118.1.2.16 Transzendenz hat auch Sinn ohne die Er-

fullung durch visio beatifica . . . . . . . . . 3128.1.3 Es ergibt sich auch was potentia oboedientialis ist: . . 3158.1.4 ubernaturlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3168.1.5 Klassische Thesenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 317

8.1.5.1 Sensus thesis . . . . . . . . . . . . . . . . . 3178.1.5.2 Adversarii: . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3188.1.5.3 Qualifikation: . . . . . . . . . . . . . . . . . 3198.1.5.4 Beweis: Magisterium: . . . . . . . . . . . . . 3218.1.5.5 Argument aus der Schrift . . . . . . . . . . 3218.1.5.6 PP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3248.1.5.7 Theologen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

8.2 Betrachtung der Ubernaturlichkeit der Gnade von GottesSeite her . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3278.2.1 Eine Disputationsubung dazu (also nicht einmal

quaestio disputata) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3288.2.1.1 Aufstiegsschema:Problem der Evolution:

Wesensschritte fassen wir vielleicht zu pri-mitiv auf: als schlechterdings ein Novum . . 328

8.2.1.2 Abstiegsschema: zeigt vielleicht deutlicher,was wir meinen . . . . . . . . . . . . . . . . 328

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8.2.1.3 Wesensstufen im Abstiegschema: Jede ho-here Stufe ist im Grunde die tiefere auch . . 329

8.2.1.4 Seinsstufen von oben nach unten . . . . . . 3298.2.1.5 Untere Stufe praeludiert in merkwurdiger

Weise immer hohere Stufe . . . . . . . . . . 3308.2.1.6 Wo ist Platz der Engel? . . . . . . . . . . . 330

9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungs-gnade 3319.1 Struktur des gesamten Traktats: Entwicklung des uberna-

turlichen Lebens des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . 3319.1.1 Wie geschieht diese Rechtfertigung? . . . . . . . . . . 331

9.2 These 13: Frage nach der Freiheit des Rechtfertigungsereig-nisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3329.2.1 Erstaunlichkeit der Tatsache: Der Mensch ist Gott

gegenuber auch der Gnade gegenuber frei . . . . . . . 3339.2.2 Freiheit bleibt bestehen auch gegenuber Gottes

Selbsterschließung an den Menschen . . . . . . . . . . 3349.2.3 Machtigkeit Gottes kommt dadurch zum Zuge, dass

er Kreatur mit echter Selbstmacht schafft . . . . . . . 3349.2.3.1 Unbefangenheit der Lehre der Kirche: lasst

verschiedenste Wahrheiten nebeneinanderstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

9.2.3.2 Gott ist aber doch nicht der bloß Zuschauende3359.3 Grundlegendes zur Freiheit des Menschen . . . . . . . . . . . 335

9.3.1 Bewegung durch die Gnade: Noch nicht unterschie-den welche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

9.3.2 Notwendigkeit von Antrieben . . . . . . . . . . . . . 3369.3.2.1 Geistfeindliche Bewusstseinspsychologie

kann geistig freie Akte nicht erfassen . . . . 3369.3.2.2 Geben der Motive geht Freiheit des Men-

schen voraus . . . . . . . . . . . . . . . . . 3369.3.2.3 Gnade kann nur in solchen unwillkurlichen,

spontanen Akten(actus indeliberati) han-deln: mussen geistig erfasst werden . . . . . 337

9.3.2.4 Erst wo Motivation ins Bewusstsein tritt,kann von Freiheit die Rede sein . . . . . . . 337

9.3.3 Motivationskraft der Gnade braucht nicht von uber-naturlicher Erhohung kommen . . . . . . . . . . . . . 3379.3.3.1 Ein konkretes Beispiel . . . . . . . . . . . . 3389.3.3.2 Ein anderes Beispiel . . . . . . . . . . . . . 339

9.3.4 Adversarii: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

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9.3.5 Qualificatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3429.3.6 Doctrina ecclesiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3429.3.7 Sacra Sciptura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3439.3.8 Kirchenvater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

9.4 These 14: In der gegenwartigen Heilsordnung gibt es Gnadedie nicht wirksam wird (hinreichende Gnade) . . . . . . . . . 3459.4.1 Erstaunliches an dieser These: Gott tut etwas und

der Mensch kann das vereiteln . . . . . . . . . . . . . 3459.4.1.1 Hinreichende Gnade ist Verscharfung und

Erlosung der Sunde . . . . . . . . . . . . . . 3469.4.2 Konkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

9.4.2.1 Suffiziens: verschiedene Arten . . . . . . . . 3489.4.2.2 Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

9.4.3 Dass es auch wirliche schwere Sunden gibt, also wirk-lich nur gratia sufficiens . . . . . . . . . . . . . . . . 349

9.4.4 Qualificatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3509.4.5 Probatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

9.4.5.1 Lehre der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . 3509.4.5.2 Sacra Scriptura et Patres Ecclesiae . . . . . 3509.4.5.3 Theologi: pure sufficiens ist nicht wirkungslos351

9.5 These 15. Wirklich hinreichende Gnade,die nicht wirksamist, ist Wohltat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3529.5.1 Grund fur die These: Wirksame Gnade unterscheidet

sich schon von Gott her von hinreichender Gnade . . 3539.5.1.1 Beispiel: Ausleihen einer Flinte . . . . . . . 3539.5.1.2 Problem dieser These: Gott weiß im logi-

schen Moment des Gebens der hinreichen-den Gnade, dass sie nicht wirksam wird . . 353

9.5.1.3 Unterschied zwischen beneficium materialeet formale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

9.5.1.4 Falsche Auffassung der Jansenisten . . . . . 3549.5.1.5 Geheimnis der Koexistenz von kreaturli-

cher und gottlicher Freiheit . . . . . . . . . 3559.5.2 Sachlich nicht durchschaubar, aber genugend einsich-

tig machbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3569.5.2.1 Bei Gott kein Unterschied zwischen objek-

tiver Realisierung und subjektiver Gesinnung3569.5.2.2 Gott gibt die Gnade obwohl er weiß, dass

sie unfruchtbar bleibt . . . . . . . . . . . . 3579.5.2.3 Der Unterschied schon von Gott her be-

rechtigt nicht, die Schuld auf Gott zu schieben3579.5.2.4 Negative ausgedruckt . . . . . . . . . . . . . 357

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9.5.2.5 Es gibt echtes Wirksamwerden der Kreatur,ohne dass das zur Leugnung der radikalenAbhangigkeit fuhrt. . . . . . . . . . . . . . 358

9.5.2.6 Wir wissen nicht, wie es vereinbar ist, nurdie beiden Satze sagbar, die beide wahr seinmussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade . 360

9.6.1 Es gibt wirksame Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . 360

9.6.2 Diese wirksame Gnade ist in actu primo efficax: Wassagt das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

9.6.2.1 Auch das Tun selbst ist nochmal von Gottgeschenkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

9.6.2.2 Nicht definiert, aber doch wichtig . . . . . . 362

9.6.3 Noch einige Subtilitaten, um zu verstehen was Banezund Molina meinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

9.6.3.1 Akt des Menschen und Wissen Gottes vondiesem Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

9.6.3.2 Als moglicher Akt, Gottes Wissen davon SSI363

9.6.3.3 Bedingt moglicher Akt, Gottes Wissen davon363

9.6.3.4 Tatsachlich Zukunftiges, Gottes Wissen da-von SV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

9.6.3.5 Diese Phasen konnen durch die verschied-nen Phasen der Zeit durchgeschoben werden 364

9.6.4 In actu primo: im Voraus zu was ist sie wirksam? . . 365

9.6.4.1 Unterscheide logisches und zeitliches Voraus 365

9.6.4.2 Lateinische Wiederholung . . . . . . . . . . 366

9.6.5 Inhalt der These ist allen System gemeinsam . . . . . 366

9.6.6 Wiederholung des Ganzen als Antwort auf Einwandeals Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

9.6.6.1 Handeln Gottes und Handeln des Men-schen: Gottes Wissen ist nicht nachtraglichsondern ursprunggebend . . . . . . . . . . . 367

9.6.6.2 Zusammenfasung . . . . . . . . . . . . . . . 368

9.6.7 Diese These wird auch von den Molinisten gehalten,wenn auch oft falsch dargestellt . . . . . . . . . . . . 369

9.6.7.1 Der eine gerettet, der andere nicht: weilGott die gratia efficax nur dem einen gibt . 369

9.6.7.2 Es muss aber doch Unterschied sein vonSeiten Gottes: nicht in gleicher Weise, weilvon Seiten des Menschen nicht gleich . . . . 370

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Inhaltsverzeichnis

9.6.7.3 Als Konkurs in derselben Ordnung, Als sol-licitatio nicht in derselben Ordnung: Ver-such einer Metaphysik dazu . . . . . . . . . 370

9.6.7.4 Von da aus: Losungsrichtung nennbar, aberbeachte Unterschied Banez und Molina . . . 371

9.6.8 Zur infallibilitas: Dreifacher Aspekt . . . . . . . . . . 3729.6.8.1 Zwingt nicht den Menschen, Freiheit bleibt

erhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3729.6.9 In welchem Sinn will Gott die Wirksamkeit der Gna-

de im Voraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3739.6.9.1 Nicht: weil sie nur hinreichend ist. Ware ge-

gen Heilswillen . . . . . . . . . . . . . . . . 3739.6.9.2 Trotzdem: Wirksame Gnade ist beneficium

maius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3749.6.9.3 Bedeutet aber nicht: Gott will sie, weil sie

wirksam ist: ist nicht Motiv . . . . . . . . . 3749.6.10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

9.6.10.1 Adversarii: . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3759.6.10.2 Qualificatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3769.6.10.3 Beweis: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

10 Freiheit, Scholastische Disputation 38110.1 These 17 Banez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

10.1.1 Allgemeine Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . 38110.1.2 Klassischer Banezianismus . . . . . . . . . . . . . . . 38610.1.3 Einwande dagegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

10.2 These 18 Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40110.3 These 19 Molina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

10.3.1 Exkurs uber den”Epochalen Molinismus“ . . . . . . 416

10.3.2 Unterschied zwischen Molinismus und Kongruismusdes Suarez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

10.4 Ubungs Disputatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

11 Christologie und Gnadenlehre 44111.1 Christologie und Gnadenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung 45312.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung . . . . . 453

13 Gnade als Vergottlichung des Menschen 47313.1 These 21 Verzeihung der Sunden . . . . . . . . . . . . . . . . 47313.2 These 22 Heiligmachende Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . 486

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Inhaltsverzeichnis

13.3 Scholastische Terminologie: Akzidens, Habitus etc. . . . . . . 50613.4 These 23 Ungeschaffene Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . 508

13.4.1 Was sagt Schrift dazu . . . . . . . . . . . . . . . . . 50813.4.2 Verhaltnis zu den anderen gottlichen Personen . . . . 51113.4.3 Exkurs: Wie Einwohnung ausdruckbar in scholasti-

scher Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51513.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade . . . . . . 523

13.5.1 Der Sinn der These und Begriffe . . . . . . . . . . . . 52313.5.2 Adversarii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53113.5.3 Qualificatio und Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . 534

13.6 These 25 Adoptovkindschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53613.6.1 Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539

14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden 54514.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe . . . . . . . . . . . . . . . 545

14.1.1 Explicatio Tenoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54514.1.1.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54614.1.1.2 SCHRIFTBEWEIS DASS DIESE TU-

GENDEN EINGEGOSSENE TUGEN-DEN SIND . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555

14.1.2 Adversarii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55914.1.3 Qualificatio der These: . . . . . . . . . . . . . . . . . 55914.1.4 Beweis aus Lehramt der Kirche (kurz) . . . . . . . . 560

14.1.4.1 PP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56014.1.4.2 R.th. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560

14.1.5 Moralische Tugenden, Gaben des Hl.Geistes . . . . . 56314.1.5.1 Gibt es auch eingegossene moralische Tu-

genden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56314.1.5.2 Was sind die Gaben des Hl.Geistes . . . . . 564

14.2 These 27 Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56614.3 These 28 Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581

14.3.1 Intentionale Struktur der Liebe . . . . . . . . . . . . 58214.3.1.1 Liebe religioser Akt schlechthin . . . . . . . 58214.3.1.2 Formalobjekt der Liebe . . . . . . . . . . . 58314.3.1.3 Sekundares Formalobjekt: geistige Kreatur . 58314.3.1.4 Gibt es auch andere Liebe des Nachsten?

Inkarnatorische Seite . . . . . . . . . . . . . 58614.3.1.5 Zusammenhang zwischen Liebe und Apo-

stolat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58714.3.1.6 Metaphysische Analyse dieses Zusammen-

hangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58814.3.1.7 Diese hat Stufen . . . . . . . . . . . . . . . 589

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Inhaltsverzeichnis

14.3.1.8 Wie kann man Gott um seiner selbst willenlieben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591

14.3.1.9 Liebe in der Ordnung des Kreuzes . . . . . 59214.3.1.10 Liebe und andere Akte, Quietismus . . . . . 593

14.3.2 Qualificatio und Magisterium . . . . . . . . . . . . . 59514.3.3 Schrift: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596

15 Leben in der Gnade 59915.1 Vorbemerkungen, Allgemeines zur aktuellen Gnade . . . . . 59915.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen . . . . . . . . . . 60915.3 Assertum I Ansichten rur aktuellen Gnade . . . . . . . . . . 62015.4 Assertum II: Braucht diese aktuelle Gnade auch der Ge-

rechtfertigte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624

16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichenGnade 62716.1 Zusammenhang und vorbereitende Uberlegungen . . . . . . . 627

16.1.1 Assertum I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62716.1.2 Assertum II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62716.1.3 Hat es Sinn, sich mit problematischer Frage zu be-

fassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62816.1.4 Konsequenzen fur die Verkundigung: praktisches

Vorgehen, verschiedene Adressaten . . . . . . . . . . 62916.1.4.1 allgemeine Adressaten . . . . . . . . . . . . 62916.1.4.2 Kritische Zuhorer: Protestanten . . . . . . . 629

16.2 Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade . . . . . . . . . . . . 63016.2.1 Zusammenhang zwischen Sein und Erkennen darf

nicht gelockert werden . . . . . . . . . . . . . . . . . 63216.3 Unterschied zwischen Gewusstem und Bewusstem . . . . . . 63316.4 Anwendung auf die Gnade: Wir haben Wissen aus der Of-

fenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63316.4.1 Gibt es Bewusstheit oder nur Gewusstheit der Gnade?634

16.5 Nichtintentionaler Bewusstseinszustand . . . . . . . . . . . . 63416.5.1 Formalobjekt als Bewusstes und seine Eigenschaften . 635

16.6 Es gibt Bewusstes, das nicht reflektierbar ist . . . . . . . . . 63616.7 Inhalt des Bewusstseins ist immer großer als Inhalt des Ge-

wusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63716.7.1 Tiefenpsychologisches Unterbewusstsein und Be-

wusstheit bei uns: Es gibt Bewusstes, uber das mannicht relfektieren kann . . . . . . . . . . . . . . . . . 638

16.8 Apriorisches Formalobjekt oder Woraufhin oder Horizont . . 64016.9 Keine Sicherheit uber Rechtfertigung moglich . . . . . . . . 642

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Inhaltsverzeichnis

16.10Zwei Uberlegungen, die zum Beweis unserer Meinung fuhren 64416.10.1Metaphysische Uberlegung . . . . . . . . . . . . . . . 64416.10.2Beweis aus den positiven Quellen: Heilige Schrift . . . 64416.10.3Woher die merkwurdige Skepsis gegenuber uberna-

turlichem Geistesleben? . . . . . . . . . . . . . . . . 64616.10.4Antwort aus einer Metaphysik des Geistes . . . . . . 647

16.11Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648

17 Wachstum des Gnadenlebens 65117.1 These 30 Verdienste: Entwicklung und Bewahrung des uber-

naturlichen Gnadenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65117.2 Warum will man von Verdiensten nichts wissen: wegen pro-

testantischer Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . 65217.3 einige fundamentale Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652

17.3.1 Jedes Verdienst ist selbst wieder Gnade . . . . . . . . 65217.3.2 Verdienst ist Vollzug des gottlichen Lebens . . . . . . 653

17.4 These 31 Verlierbarkeit der Gnade . . . . . . . . . . . . . . . 65717.5 These 32 und 33 spezielle Hilfe zur Beharrlichkeit notig . . . 66117.6 Schlusswort: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen des Stenographen und Editors

Da der lateinische Kodex”de gratia“ von Karl Rahner sehr ausfuhrlich

ist, so ausfuhrlich, dass er kaum in der Ausfuhrlichkeit in einer Vorlesunggeboten werden kann, vor allem die positiven Quellen und die Literatur, diedort angefuhrt sind, konnen in einer Vorlesung von 80 Vorlesungsstundennicht alle durchgenommen werden. In der Vorlesung weist Rahner immerwieder hin auf die positiven Quellen, d.h. die Lehramtsverlautbarungen unddie Stellen aus der heiligen Schrift, die die Horer im Kodex selber studierensollen. Dieser Kodex ist in den gesammelten Schriften als Band 5 angekun-digt und kann im Prinzip also dort nachgesehen werden, wenn er einmalerscheinen wird. Deshalb kommen die positiven Quellen bei der Vorlesungeindeutig zu kurz. Dafur werden aber die Erklarungen zum Verstandnis oftwesentlich verbessert im Vergleich zum Kodex, auf jeden Fall kurzer undpragnanter.

Rahner hielt sich in dieser Vorlesung an diesen lateinischen Kodex, je-doch immer wieder unterbrochen von Exkursen, die nicht im Kodex zu fin-den sind. Zwischedurch bringt er einen Uberblick, wie das Ganze logischerauseinander folgen wurde, wenn man es systematisch anordnen konnte.Zwei Jahre spater, in einer Spezialvorlesung uber dogmatische Anthropo-logie, wo er nicht darauf achten brauchte, dass er die gangigen Thesen bie-ten musste, weil auch die anderen Professoren dieses Fach prufen und derKanon der zu behandelnden Fragen in der Studienordnung festliegt, hat erdann ausprobiert, wie so eine Anordnung funktionieren wurde. Bei dieserVorlesung kam er dann nicht mehr auf die Fragen, die in der vorliegendenVorlesung und im lateinischen Kodex als Thesen 1 bis 7 vorkommen. Aberwenn man diese dogmatische Anthropologie kennt, dann sieht man, wieeigentlich alles das schon in dieser Kursvorlesung vorhanden ist. Die Vorle-sung Gnadenlehre berucksichtigt mehr die Entwicklung der Anschauungenuber die Gnade und muss so immer wieder auf die protestantischen Ansich-ten eingehen und ihre Entwicklung ebenfalls berucksichtigen, was naturlicheigentlich zunachst davon abzulenken scheint, was der tiefere Gehalt ist.Der systematische Zusammenhang geht einem besser auf, wenn man dieDarstellung der Gnadenlehre in der dogmatischen Anthropologie studiert.

Die Vorlesung hat den großen Vorteil gegenuber den Veroffentlichungenin Artikeln und Vortragen, dass sie keine so langen Anmarschwege braucht,keine langatmigen Begrundungen, warum das, was kommt, wichtig ist. Dasbraucht es bei der Vorlesung, die sich uber ein Jahr erstreckt, nicht. Da-durch wird das alles viel kompakter, und das wird auch dadurch nochgefordert, dass eigentlich nur ein Auszug des im Kodex Geschriebenen inder Vorlesung vorgetragen werden kann. Exkurse, die uber das hinausge-hen, habe ich meist mit roten Uberschriften versehen. Diese sind auch im

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis rot. Außerdem habe ich viel weniger Zwischenuberschrif-ten gemacht. Ich habe den Text mehr strukturiert durch Hervorheben mitFettschrift und Einrucken und durch Anordnung des Textes selbst mit Lis-ten und Aufzahlungen, so dass man die Alternativen besser sehen kann.Dadurch sieht man schnell, mit welchen Stichworten, die eingeruckt gleichbei dem zugehorigen Satz stehen als Nebensatz, eine Begrundung gege-ben werden soll. Die Satzstruktur Rahners habe ich dazu nicht geandert,sondern so gelassen, wie sie gesprochen ist, aber untergliedert durch Ein-rucken und Fettschreiben: So wie Rahner das durch Betonung und Pausenund die Sprechweise bei Nebenbemerkungen im Vortrag durchscheinen lies.Das macht naturlich viel mehr Arbeit als Zwischenuberschriften zu machen.Deshalb habe ich das nicht ganz durchgehalten auf allen 650 Seiten. Text-teile, die ich schon fur die dogmatische Anthropologie bearbeitet hatte,habe ich meist so gelassen, wie ich sie dort geschrieben hatte, weil ich nocheinige andere Mitschriften zuganglich machen will.

Bezuglich des Gebrauchs des Latein in der Vorlesung ist Folgendes zusagen: Am Anfang bei der Darstellung der Dogmengeschichte der Gna-denlehre ist alles Deutsch. Bei dem Teil uber die Thesen benutzte Rahneram Anfang sehr haufig Latein, was auch durch die Benutzung des Kodexals Vorlage der Vorlesung bedingt war, wenn es auch dadurch nicht nurein Vorlesen des Kodex sondern ein frei formuliertes Latein war. Ich ha-be mich bemuht, wenn lateinische Passagen vorkommen, diese zweispaltigdarzustellen mit deutscher Ubersetzung in einer Spalte. Aber das ist sehrschwierig, weil mir selbst beim Lesen gar nicht immer aufgefallen ist, dassda eine Passage lateinisch ist. Immer wieder, wenn ich den Text durchging,fand ich, dass da auch noch irgendwo eine lateinische Passage vorkommt.Bei der These 19 uber den Molinismus kommt fast eine ganze Vorlesungauf Latein vor, wo Rahner dann sagt: Nun dasselbe nochmal Deutsch. Imzweiten Semester dieser Vorlesung ist der Gebrauch des Lateinischen ganzzuruckgetreten, um schneller voranzukommen.

Einige spezielle Fragen betreffen die Fragen des Naturbegriffs, der hierganz klassisch in der These 12 durchgezogen wird, und eigentlich eine Na-turphilosophie entwickelt, wie sie heute nirgends in der Philosophie mehrzu finden ist, wie sie aber das, was der Begriff des Ubernaturlichen brauchtganz uberzeugend liefert, ohne in die Fragen der Physik und Biologie ein-steigen zu mussen, aber in einer kuhnen Konstruktion weit uber das hinaus,was diese damals schon als Problem kannten auch dafur Losungen durchs-echeinen lies und dabei doch ganz anders ist als im Seminar Natur undGnade aber doch mit einem Exkurs uber eine Betrachtung der ganzen Na-turordnung von Gott her.

Auch die Darstellung des Bezugs der Gnade als Gnade Christi wird ineinign Vorlesungen behandelt (These 3 und in These 12 (8.1.1.2) und nach

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Inhaltsverzeichnis

These 19). Dadurch lasst sich auch hier der Zusammnhang zwischen Be-wusstheit der Gnade, Ubernaturlichkeit, Christologie in einem breiterenRahmen darstelen als in der dogmatischen Anthropologie, wo doch fur sol-che Fragen zu wenig Zeit war.

Diese Vorlesung ist zusammen mit dem Seminar Natur und Gnade unddem Seminar uber das Geheimnis und der Vorlesung uber dogmatischeAnthropologie eine Gesamtdarstellung der Rahnerschen Gnadenlehre, nichtnur ein Auszug. Wenn jemand behauptet, dass die Rahnersche Gnadenlehreharetisch sei, dann muss er es an diesen Texten zeigen und nicht nur einfachbehaupten. Einer der so was nur behauptet, kann von sich nicht sagen dasser ein Theologe sei.

Der dogmengeschichtliche Teil dieser Vorlsung ist im lateinischen Kodexerwahnt, dazu gab es aber meines Wissens keine schriftliche Unterlage.

Im Vorwort des lateinischen Kodex weist Rahner darauf hin, dass erseinem Kodex das Werk von Hermann Lange. De Gratia, tractatus dog-maticus von 1929 zugrunde legt. Eine gescannte Version dieses Werks istebenfalls auf dieser homepage zuganglich. Wenn jemand jedoch meint, dassdieses

”Zugrundelegen“ wortlich kopierte Textpassagen bedeuten wurde, so

wird es ihm schwerfallen, auch nur einen wortlich kopierten Satz zu finden.Das bedeutet bei Rahner nur, dass sein Kodex eigentlich seine eigenenIdeen darstellt aus Anlass des Textes von Lange, also so ahnlich wie dieKommentare der Theologen des Mittelalters zu Petrus Lombardus, wobeiauch ganz entgegengestzte Meinungen z.B. beim ubernaturlichen Formal-objekt und anderen Themen von Rahner vertreten werden. Wo Uberein-stimmungen da sind, hat Rahner im Vorwort beschrieben, dass er Langeexzerpiert hat, d.h. aber vielleicht, dass er die Exzerpte, die man sich zurPrufungsvorbereitung macht, und die er sich schon beim Studium gemachthat, zugrundegelegt hat. Beim Vergleich der 1.These mit der These 25 beiLange uber den allgemeinen Heilswillen kann man diesen Prozess deut-lich verfolgen. Lange diskutiert und beschreibt die historische Entwicklungund die verschiedenen Meinungen uber diese These und diese Meinungensind bei Rahner dann als Begriffsunterteilungen exzerpiert worden und ent-sprechend in seinem Kodex verarbeitet. Viele Ideen, die mir als typischeIdeen Rahners erschienen waren, sind eigentlich schon bei Lange zu finden.Lange beschreibt meist sehr gut, mit vielen Zitaten, die historischen Ent-wicklungen, die dann oft Rahner als bekannt voraussetzt und dann nochBemerkungen dazu macht, die dann eigentlich erst, wenn man auch Langekennt, zu ihrer vollen Klarheit kommen. Deshalb lohnt es sich sicher, auchbei Lange nachzulesen.

1. 1.Vorlesung 10.10.19562. 2.Vorlesung 12.10.19563. 3.Vorlesung 17.10.1956

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Inhaltsverzeichnis

4. 4.Vorlesung 17.10.1956 2.Stunde5. 5.Vorlesung 19.10.195666. 6.Vorlesung 24.10.19567. 7.Vorlesung 24.10.1957 2.Stunde8. 8.Vorlesung 26.10.19569. 9.Vorlesung 7.11.1956

10. 10.Vorlesung 7.11.1956 2.Stunde11. 11.Vorlesung 9.11.195612. 12.Vorlesung 14.11.195613. 13.Vorlesung 14.11.1956 2.Stunde14. 14.Vorlesung 16.11.195615. 15.Vorlesung 21.11.1956 1.Stunde16. 16.Vorlesung 21.11.1956 2.Stunde17. 17.Vorlesung 23.11.195618. 18.Vorlesung 5.12.1956 1.Stunde19. 19.Vorlesung 5.12.1956 2.Stunde20. 20.Vorlesung 7.12.195621. 21.Vorlesung 12.12.195622. 22.Vorlesung 12.12.1956 2.Stunde23. 23.Vorlesung 14.12.195624. 24.Vorlesung 15.12.195625. 25.Vorlesung 17.12.195626. 26.Vorlesung 18.12.195627. 27.Vorlesung 19.12.195628. 28.Vorlesung 19.12.1956 2.Stunde29. 20.12.1956 Vorlesung 29.30. 16.1.1957 Vorlesung 30.31. 16.1.1957 Vorlesung 31. 2.Stunde32. 18.1.1957 Vorlesung 32.33. 23.1.1957 Vorlesung 3334. 23.1.1957 Vorlesung 34. 2.Stunde35. 35.Vorlesung 25.1.195736. 36.Vorlesung 30.1.195737. 37.Vorlesung 30.1.1957 2.Stunde38. 38.Vorlesung 1.2.195739. 39.Vorlesung 6.2.195740. 40.Vorlesung 6.2.1957 2.Stunde41. 41.Vorlesung 8.2.195742. 42.Vorlesung 13.2.195743. 43.Vorlesung 13.2.1957 2.Stunde44. 44.Vorlesung 27.2.195745. 45.Vorlesung 27.2.1957 2.Stunde

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46. 46.Vorlesung 1.3.195747. 47.Vorlesung 13.3.1957 These 1548. 48.Vorlesung 13.3.1957 2.Stunde These 1649. 49.Vorlesung 15.3.195750. 50.Vorlesung 20.3.195751. 51.Vorlesung 20.3.1957 2.Stunde These 1752. 52.Vorlesung 22.3.1957 These 1853. 53.Vorlesung 26.3.195754. 54.Vorlesung 27.3.1957 These 1955. 55.Vorlesung 27.3.1957 2.Stunde These 1956. 56.Vorlesung 29.3.195757. 57.Vorlesung 30.3.1957 Christologie58. 58.Vorlesung 3.5.1957 These 2059. 59.Vorlesung 8.5.195760. 60.Vorlesung 8.5.1957 2.Stunde These 20 fertig61. 61.Vorlesung 10.5.1957 noch These 2162. 62.Vorlesung 15.5.1957 These 2263. 63.Vorlesung 15.5.1957 2. Stunde64. 64.Vorlesung 17.5.1957 These 2365. 65.Vorlesung 22.5.1957 These 2466. 66.Vorlesung 22.5.1957 2.Stunde noch These 2467. 67.Vorlesung 24.5.1957 These 2568. 68.Vorlesung 28.5.1957 These 2669. 69.Vorlesung 28.5.1957 2.Stunde70. 70.Vorlesung 31.5.195771. 71.Vorlesung 4.6.1957 These 2772. 72.Vorlesung 5.6.1957 These 2873. 73.Vorlesung 5.6.1957 2.Stunde74. 74.Vorlesung 7.6.195775. 75.Vorlesung 7.6.1957 2.Stunde76. 76.Vorlesung 19.6.195777. 77.Vorlesung 19.6.1957 2.Stunde Assertum uber Bewusstheit78. 78.Vorlesung 21.6.1957 Bewusstheit Fortsetzung79. 79.Vorlesung 26.6.1957 Verdienste80. 80.Vorlesung 26.6.1957 2.Stunde

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Inhaltsverzeichnis

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1 Theologischer Ort derGnadenlehre

Zunachst 10.10.1956 Vorlesung 1.

De gratia Christi

1. einige vorbereitende Uberlegungen uber die Stellung dieses Traktatim gesamten des Dogmas und

2. einen allgemeinen Uberblick uber die Geschichte der Gnadentheolo-gie.

3. Einzelnes kommt innerhalb des Gnadentraktats selbst.

1.1 Theologischer Ort des Gnadentraktats

Es ist ublich, dass es solchen Traktat gibt. Bei Thomas von Aquin findetsich andere Einteilung. In der Schule mussen wir uns an die ublicheEinteilung halten.

Aber jedes Einteilungsprinzip ist auch ein selektives Prinzip derFragen, die behandelt werden und derer, die nur nebenbei erwahntwerden.

Es erhebt sich also die Frage: Was wird behandelt in diesem Traktat unddas hangt wieder davon ab, wo er in der Gesamttheologie hingehort.

Dogmatik ist eine schwierige Wissenschaft insofern als sie in unauflosli-cher Einheit einerseits Bericht uber Geschichte ist (Historie) und aufder anderen Seite spekulative, systematische Wesenswissenschaftist.

Gnadentraktat ist ein Stuck der theologischen systematischen An-thropologie.Wohin gehort die theologische Anthropologie? Man konnte mit

Recht sagen,in eine eigentliche Theologie (= Reden uber Gott) gehort die An-

thropologie nur deshalb hinein, weil Gott Mensch geworden ist,so dass es keine Theologie ohne Anthropologie gibt.

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1 Theologischer Ort der Gnadenlehre

Das heißt, es gibt eine Theologie, in der wegen der Mensch-werdung dauernd von dem Menschen geredet werdenmuss.

In einer eigentlichen Anthropologie (= Reden uber den Men-schen) kann, weil und insofern Gott sich den Menschen selbstmitgeteilt hat, uber den Menschen nur noch richtig geredet wer-den, insofern Gott sich mitgeteilt hat. (Mensch immer als Geist,Partner Gottes ...).

Das heißt, es gibt eine Anthropologie, in der dauerndvon Gott geredet werden muss, weil es einen Gott derGnade gibt, der sich den Menschen mitgeteilt hat, so dassder Vollzug des Menschen nur denkbar ist, indem dieserMensch Gott annimmt, von seinem Leben, seiner Seligkeiterfullt ist und sich selbst vergisst.

Anthropologie der Ewigkeit: Tat der Liebe des Men-schen, der vor dem unbegreiflichen Gott von Angesichtzu Angesicht stehend ist.

Gnadentraktat ist nur Ausschnitt aus der Anthropologie.

Einen eigentlichen Traktat der theologischen Anthropologie gibt esnicht.

1. Dieser wird teils in”De Deo uno“,

2. teils in”De Deo creante et elevante“ (Wesen, Geistigkeit, Ur-

sprung des Leibes, ubernaturliche Erhohung im Paradies ...),3. teils spater in der Gnadenlehre, Ekklesiologie, Moraltheologie

(insofern sie wirklich Theologie ist) usw. abgehandelt.

Das ist nicht nur ein Fehler historischer Entwicklung, sondern auchdarin begrundet, dass sie das Ganze der Dogmatik uberhaupt ware.

Denn, wenn sich Gott selbst in seiner Ewigkeitsfulle usw. demMenschen so sagt,1. dass man ihn nicht mehr begreifen kann, außer man begreift

Gott,2. dann ist es klar, dass wenn man diesen Menschen begreift,

man alles begriffen haben muss, was Gott sagt.Z. B. selbst das Geheimnis der Trinitat:

a) Denn wenn wir genauer zuschauen, wie die eigent-liche Gnade aufzufassen ist,

b) dann werden wir sehen, dass darin Beziehung zurTrinitat gegeben ist,

c) dass also uber die Gnade nur richtig geredet werdenkann, wenn uber die Trinitat geredet wird.

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1.1 Theologischer Ort des Gnadentraktats

Wenn aber so im Grunde der Sache die Anthropologie adaquatbetrachtet die ganze Theologie ware, dann ist es nicht verwun-derlich,1. dass diese Anthropologie aufgeteilt wird auf mehrere Trak-

tate.2. Wollte man das verneinen, so musste man sagen, dass sie

nicht aus Teilen besteht.3. Aber dazu ist praktische Notwendigkeit vorhanden, daher

ist das nicht verwunderlich.

Unter der Voraussetzung der Annahme dieser Geteiltheit der An-thropologie: Wo ist in einer Theologie, die als Ganze uberallAnthropologie ist, wo ist der Mensch noch einmal in reflexemSinne Thema der Theologie?

1. Dort, wo Gott sich dem Menschen sagt, in seinem heilsge-schichtlichen Handeln Gott selbst ist.

Wird in diesem Sinne Theologie getrieben, dann ist die ersteFrage die, als was Gott in seinem Sagen, nach seiner Per-sonalitat, Wesen, heilsgeschichtlichen freien Tat dem Men-schen erscheint.

Erster Traktat also: De Deo uno, trino, elevante et creante.2. Diese Selbstaussage Gottes an den Menschen, welche nie

nur Reden sondern Tun ist, hat ihren Hohepunkt in demFleisch gewordenen Worte Gottes in Christus,

denn dort ist das Wort Gottes uber sich selbst gegeben, indem sich Gott selbst restlos an den Menschen aussagt.

Der zweite große Traktat ist also: de Verbo incarnato et deChristo redemptore.

Erster Traktat ist auch schon Christologie: von der Trinitatwissen wir nur, insofern wir von Christus wissen. Christusist dabei nicht nur Instrument, sondern die Mitteilung schonselbst.

3. Das Bleiben dieser”Selbstaussage Gottes in Christus Jesus“

geschieht in dem, was wir Kirche nennen.Sie ist das, was zunachst entsteht, insofern diese fleisch-gewordene Selbstaussage Gottes in der Einheit derMenschheit auftrifft und sich dort endgultig festsetzt.

Kirche ist die gehorte, angenommene, gnadenhafte Selbst-aussage Gottes des Dreifaltigen.

Der dritte große Traktat ware also: Ekklesiologie.

Insofern ist Theologie, Christologie, Ekklesiologie immer das

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1 Theologischer Ort der Gnadenlehre

Ganze, aber in drei Aspekten, Verwirklichungsweisen, Stufen des Ab-stiegs.

4. Weil die Aussage Gottes, die er macht, indem er sich selbst aussa-gend Mensch wird und selbst Mensch werdend den Menschen be-gnadigend ergreift, darum gehort nach der Theologie, Christologie,Ekklesiologie

ein Traktat her, in dem gesagt wird, was durch diese Traktatevom Menschen gesagt wird. So gesehen ist dieser Teiltraktat,der nach der Theologie, Christologie, Ekklesiologie kommt, ei-ner der das Ganze der fruheren Traktate in der Perspektive, imBlickpunkt auf den Menschen hin sieht.

Insofern nun von diesem Menschen innerhalb dieser Anthropolo-gie gesagt wird, dass er erlost ist, haben wir den Traktat

”De

gratia“.Darin mussten alle Dinge vorkommen, die damit zusam-menhangen.1. Gewisse Dinge davon werden im Traktat

”De Deo crean-

te et elevante“ behandelt,2. gewisse in der Sakramententheologie, Moraltheologie,

Aszese und Mystik, insofern es sich dort um theologischeDisziplinen handelt und nicht um Psychologie usw..

.........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

..................................

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..............................................................qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqChristus GnadeKirche

Inkarnation qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

gra

tia

de

Deo

ele

vante

Mora

l

Asz

ese

Sakra

mente

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqBeziehung Gnade−Christus

Gnade−Kirche

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Dreifaltigkeit

(Am ende der Vorlesung war dieses Schema an der Tafel mit Kreideskizziert.)

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1.2 Zu behandelnde Themen der Gnadenlehre

1.2 Zu behandelnde Themen der Gnadenlehre

Ausfaltungen der Frage: was heißt es”der Mensch ist der von Gott Begna-

dete“?

Wenn wir fragen, welche Fragen ergeben sich, wenn wir innerhalbdieses Gesamt nach dem Menschen als Geheiligtem fragen, dannzeigt sich sofort, dass sich dann mehr Fragen ergeben als de facto indem gewohnlichen Lauf eines Schultraktats gegeben sind.

Denn es musste im Grunde gefragt werden: Welches ist die Ge-schichte dieser unendlichen Heiligung, Begnadigung Christi

1. in der Geschichte der Menschheit und2. dann im einzelnen Menschen.

Wir mussten da fragen nach der Geschichte dieser Begnadigung inder Menschheit.

Nicht nur geschichtliche Neugierde, sondern die Frage nach derGeschichte musste gestellt werden, denn diese Begnadigung hatihre Geschichte. Beim ersten Menschen anders als jetzt. Die Wei-se ihrer Aneignung hat in der Heilsgeschichte ihre Entwicklunggehabt. Das zu wissen, ist nicht Luxus, sondern es hangt davonfur das Verstandnis unseres Daseins etwas ab.

Eigentlich musste das nicht nur in eine dogmatische Anthropolo-gie hinein, sondern auch in die Gnadenlehre, in die dogmatischeLehre von der Begnadigung des Menschen.

Die Geschichte der Begnadigung des einzelnen Menschen ist mehroder weniger im ublichen Traktat de gratia Christi behandelt.

Wir bauen unseren Traktat so auf: Was geschieht, wenn derMensch geheiligt, begnadigt wird, ausgehend von Gott, am Leit-faden des Menschen die Begnadigung durchgehend.

Die Begnadigung, Rechtfertigung, Heiligung des Menschen ist nichtetwas, was auch neben anderem beim Menschen geschieht (warum:spater!).

Daraus folgt aber, dass der Traktat”de gratia“ auch insofern uber den

Menschen handeln musste, als gefragt wird: Wie wirkt sich diese Be-gnadigung in der pluralen Wirklichkeit des Menschen und seinerindividuellen Geschichte aus?

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1 Theologischer Ort der Gnadenlehre

Nicht nur: Wie kommt der Mensch zur Rechtfertigung? Durchden Heilswillen Gottes, Vorbereitung und Verheißung der Gnadeusw.Es durfte auch nicht nur gefragt werden: Was geschieht?

1. Er wird getauft,2. er vermehrt seine Verdienste,3. erwirbt sich die Gnade der endgultigen Beharrlichkeit4. und schließlich das ewige Leben.

Sondern genauer: Wie vollzieht sich im Verlauf der Geschich-te des Einzelnen seine Begnadigung?

Das (Gnaden-) Leben eines Heiden in Tibet ist anders, als dasLeben als Priester in Mitteleuropa, ebenso Frau- und Mann-Sein, weltlichen, geistlichen Beruf haben, verheiratet oder ehe-los sein.

Alle das sind nicht nur Wirklichkeiten, von denen die Theologieetwas zu sagen hat,

sondern auch Ereignisse der Gnade Christi.Man kann naturlich streiten, ob das in den Traktat

”De gratia“

gehort. Aber eigentlich ware auch uber diese Dinge zu reden.Der Traktat musste also anders sein, als er ist vielleicht auchsein kann.

Wie, insofern die Gnade uber das Individuelle hinausgreift? In dieVerbande, Gemeinschaften, Gesellschaften.

Dann musste man auch sprechen uber die Geschichte der Gnadeuberindividueller Art in der Kirche und Menschheit uberhaupt.

Man konnte ja fragen,

1. ob nicht eine Kirchengeschichte als theologische Disziplinuber diese Dinge etwas sagen kann,

2. ob es eine Geschichte des Zu-Sich-Kommens, nicht des Einzelnenje fur sich, sondern des Zu-Sich-Kommens dieser Begnadi-gung in der Geschichte der Kirche und Menschheit gibt,a) so gut wie es vor Christus eine uberindividuelle Gna-

dengeschichte gegeben hatb) und so gut, wie die Kirche auch uberindividuell eine

Geschichte hat und haben kann,3. ob es nicht auch eine Geschichte der Gnade gibt in der Kirche,

geschichtliche Perioden und Phasen, dass nicht immer dassel-be passiert, sondern dass es Gnaden geben kann, in denen

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1.2 Zu behandelnde Themen der Gnadenlehre

die Menschen diesen Gott mehr als nah und fern erfahrenkonnen in verschiedenen Perioden.

4. Ob das in eine Kirchengeschichte gehorte oder in den Traktat

”De gratia Christi“ ware eine andere Frage.

Geschichte der Begnadigungqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Menschheit Einzelner

in genere in specie

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

in Geschichtedes Einzelnen

In Geschichteueberindividuell

ueblicher Traktat

Es gabe sehr viele Ausfaltungen der Frage:”Was heißt es, ’der Mensch

ist der von Gott Begnadete’?“ Es gibt mehr solche Fragen, Gesichts-punkte als de facto behandelt werden.

Dinge werden gewohnlich nicht behandelt, die an sich nicht so vomGnadentraktat abgetrennt werden konnten, wie das meistens dadurchinsinuiert wird, dass von diesen Dingen uberhaupt nicht geredet wird:

Verhaltnis der Gnade zu Christus: Es gibt dicke Bucher, in denenkeine funf Seiten daruber stehen. Man kann nicht einfach sagen,das wird woanders behandelt - in der Soteriologie. Man muss essich halt merken, dann braucht man nur noch

”De gratia Christi“

druber schreiben und das”Christi“ nicht mehr behandeln. So

geht das nicht.

Participatio cum natura Dei: Das ist eine Wesensaussage. Aber eswurde nicht hindern zu fragen: Wie tragt sie selber das Merkmalihrer Herkunft an sich? Wenn dann eine Moral der NachfolgeChristi gebaut wird und man mehr bemuht ist, echte theolo-gische Moraltheologie aufzubauen, echte christliche Sittenlehre,dann ist es richtig, wenn von der Christusformigkeit dieser Gna-de gesprochen wird.

Frage nach der Beziehung der Gnade zur Kirche: Fallt auchaus. Der Mensch wird als isoliertes Wesen betrachtet. Irgendwoim Sakramententraktat kommt dann spater die soziologische,ekklesiologische Seite der Gnade wieder ein wenig zur Sprache.Im gewohnlichen Traktat findet sich keine Behandlung derFrage, dass die Gnade eine Gnade der Kirche ist.

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1 Theologischer Ort der Gnadenlehre

Beziehung zum Sakramententraktat, uber den ekklesiologischenTraktat hinaus, fallt ebenfalls aus. Sakramente sind nicht nurrein willkurliche Anordnung Gottes. Man musste die bestimm-ten Stellen aufzeigen, wo man die sakramentale Greifbarkeitfur die existentielle Grundtat des Menschen lokalisieren musste.Konnte also engere Beziehung zum Traktat

”De sacramentis“

haben.

12.10.1956 Vorlesung 2.

1.2.1 Wiederholung und Anschluss

Wir haben uns oben uber den theologischen Ort der Gnadenlehre Gedankengemacht und dabei die Frage beruhrt, wo die theologische Anthropologiein das Ganze der Theologie hinein gehort, woraus sich auch einige Fra-gen hinsichtlich eines Kanons von Fragen, die uberhaupt behandelt werdenmussten, ergaben.

Wir haben gesehen: Der Fragenkreis ist großer als das, was gewohnlichbehandelt wird. Manche Themen werden an anderem Ort behandelt. Nunwollen wir einige Uberlegungen anstellen uber die Geschichte der Gnaden-lehre.

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2 Stadium 1: Heilsgeschichte,existentielle GnadenlehreAllgemeiner Uberblick uber dieGeschichte der Gnadenlehre.

Es kann sich hier nur um einige Andeutungen daruber handeln, denn dasEigentliche muss im Traktat selbst behandelt werden. Wir sprechen uberzwei Stadien:

1. Heilsgeschichtea) existentielle Gnadenlehre,b) Alter Bund und neuer Bund.c) Dogmengeschichtliche Voruberlegungen.

2. dogmengeschichtliche Entwicklung der Gnadenlehre.

2.1 Dogmengeschichtliche Voruberlegungen

2.1.1 Heilsgeschichte, ausgezeichnetes Stuck derGotteserfahrung

Heilsgeschichte ist ein ausgezeichnetes Stuck der Erfahrung Gottes durchden Menschen.

Wenn wir fragen:

Wo setzt eigentlich so etwas wie eine Offenbarung der Gnadenlehre ein,dann konnte man zunachst auf die Idee kommen, dass das eine abso-lut spezifisch christliche Angelegenheit ist: paulinische Briefe undJohannes und wenn es hochkommt im ubrigen NT. Vorher jedenfallsnicht. So einfach ist es nicht.

Tatsachlich hat es ja die Menschheit in ihrer ganzen Geschichtedie eine Geschichte des Heils und Unheils war, immer mit demlebendigen, frei handelnden Gott zu tun gehabt.

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2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre

Er war nicht nur Schnittpunkt der Uberlegungen, die der Menschselbst anstellt, nie bloß Zielpunkt menschlicher Uberlegungen undMetaphysik.

• So sehr es wahr ist, dass der Mensch aus den geschaffenen Din-gen Gott erkennen kann,

– so war es dennoch in der Menschheitsgeschichte nie so, dassder Mensch nur aus der Natur Schlusse ableitet

– und so auf eigene Faust zur Erkenntnis eines notwendigenSeienden kommt.

• Dieser Gott hat immer selber gehandelt, er ist heraus getreten.– Nicht nur so, dass er die Welt geschaffen hat und sich da-

durch kund tut,– sondern er hat tatsachlich im Lauf der Geschichte dieser

Welt auf der Buhne der Geschichte selbst gehandelt.

Er war immer schon ein Gott der Offenbarung, der Heilsgeschichte,

• ein Gott, der nicht nur der absolute Hintergrund, Trager, Ur-sprung der geschaffenen Wirklichkeit ist,

• sondern durch sein Handeln selbst einruckt und dem Menschenbegegnet in dieser Welt.

Der Mensch hat nicht nur uber diesen Gott nach-denkend ihn erkannt, sondern die Menschheit hattatsachlich auch immer Erfahrungen mit diesemGott gemacht, weil er selbst handelnd in der Ge-schichte der Menschheit auftrat.

Dieses”andachtige“ Nachdenken uber Gott und die Erfahrung Got-

tes gehen naturlich immer irgendwo unloslich ineinander uber, bil-den zusammen das konkrete, geschichtlich gesammelte Wissen desMenschen uber Gott.

• Der Mensch ist der aktiv Nachdenkende• und passiv Erfahrende

und beides zusammen konstituiert das Erkenntnisverhaltnis desMenschen zu Gott. Das konnte man genauer auslegen.

Jene Geschichte der Erfahrung Gottes, in der Gott sich so erfahrbarmacht,

• dass er selbst gleichsam selbst amtlich und ausdrucklich denKreis dieser Erfahrung abgrenzend markiert

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2.1 Dogmengeschichtliche Voruberlegungen

• gegenuber anderem - Falschem, falsch gedeuteten, depravier-ten Erfahrungen Gottes und bloßem Nachdenken uber Gott

- die so gleichsam in actu signato sich absetzt - nennen wir dieHeilsgeschichte.

Nicht als ob es daruber hinaus keine Erfahrung Gottes geben konne,sondern

• weil sie ein ausgezeichnetes, von Gott selbst markiertes Stuckder Erfahrung Gottes ist,

• sprechen wir von diesem Teil der Erfahrung Gottes in der Ge-schichte als der Heilsgeschichte,

– die besonders die mosaisch-israelitische Heilserfahrung Got-tes ist.

– Dort wird die Erfahrung Gottes als solche von Gott selbstgeschrieben,

– wird in pragnantem Sinne geschichtliche Offenbarung Got-tes

– und schlagt sich auch literarisch nieder in den heiligenSchriften zunachst also des AT.

Dort also, in dieser Heilsgeschichte als ausgezeichne-tem Stuck der Erfahrung Gottes durch den Menschenhaben wir den

1. geschichtlich handelnden,2. frei sich dem Menschen erschließenden,3. in ein Bundesverhaltnis zu ihm tretenden Gott

.

2.1.2 Frage des qualitativen Unterschieds und der Tiefedes positiven Verhaltnisse dieser Personen - eingeschichtliches Drama

Wenn sich nun eine Person in dieser Weise nicht nur gegenstandlich verratdurch die Objektivation seines Handelns (Fußspur usw.), sondern daruberhinaus mit der anderen Person in eine personliche Beziehung tritt, sie selbermeint, anredet, dann sind zwei Fragen zu stellen:

1. Ob dieses personliche Verhaltnis ein Positives oder Negatives, Liebeoder Hass, Zuneigung oder Ablehnung ist, gleichsam die Frage nachder absoluten Qualitatsdifferenz.

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2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre

2. Wenn es ein positives Verhaltnis ist, entsteht die Frage nach derIntimitat dieser so personal aufgenommenen Beziehung zur anderenPerson.

Ebenso ist es, wenn Gott nicht nur durch das Geschaffene, seineSchopfung, sich dem Menschen als geschaffenem Geist verrat,sondern zu ihm in personale Beziehung tritt, dadurch, dass er denMenschen sich erfahren lasst, dadurch, dass er frei in der Geschichtehandelt.

Dann entsteht die Frage, ob dieses Verhaltnis positives oder negativesist, und wenn es positives ist, welchen Grad der Nahe dieses Verhalt-nis erreicht.

2.1.2.1 Geschichtliches Drama:

Selbstverstandlich kann dieses Verhaltnis wiederum eine Geschichte haben.Dort, wo zwei Personen sich in Freiheit begegnen, entsteht Geschichte,

• weil dann nicht ein notwendig so und so Vorhandenes da ist,• sondern es sich um freie, unableitbare Tatsachen handelt.

Die Frage des qualitativen Unterschieds und die Frage der Tiefedes positiven Verhaltnisses dieser Personen wird ein geschichtlichesDrama.

In einem solchen kann nun1. Diese Intimitat wachsen bzw.

• Die von der Person Gottes gewollte• und - wie wir von spater wissen - von vorneherein realisierte

Begegnung2. sich in einem geschichtlichen Prozess enthullen.

Zu 2. Dazu ein Beispiel aus dem menschlichen Leben: Man kann sich den-ken, dass der A in die B schon so verliebt ist und absolut beschlossenhat, sie zu heiraten, bevor die B das merkt. Also kann es sein, dassder Wille zur Einheit mit dieser anderen Person auf der einen Sei-te schon da ist und trotzdem die Enthullung zu solcher personalenEntschließung erst noch eine Geschichte hat.

So ahnlich muss man sich die Sachlage in dem Verhaltnis zwischen Gottund dem Menschen vorstellen.

Tatsachlich wissen wir von hinten her, dass Gott von Anfang an dieWelt geschaffen hat,

• dass sie eine Welt personaler Geister sei,

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2.1 Dogmengeschichtliche Voruberlegungen

• und dass dieser Gott von vorneherein die Absicht hat, sich dieserWelt personaler Geister bis in letzte Einzelheiten hinzugeben,

• mit anderen Worten,– die Welt ist von vorneherein geschaffen als eine zu absoluter

Nahe zu Gott,– zur Inkarnation pradestinierte.

2.1.3 Gottes Eintreten in die Geschichte - Eroffnung derDimension der Gnade

Es gibt nur ein Geheimnis: Gott1 selbst.Dieses eine kann ich betrachten als Geheimnis Gottes, so wie es

in sich ist: Trinitatoder wie es es selber in realontologischer Mitteilung ist: Inkarna-

tion,oder in dem, was wir Gnade nennen.

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qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Christus Gnade

Inkarnation

Dreifaltigkeit

Die Absicht der Erschließung dieses seines personlichen Geheimnissesin der Welt lag der Schopfung von vorneherein zugrunde.

• Infolgedessen braucht zwar einerseits dieses letzte Geheimnisdes Sinnes der ganzen Schopfung nicht von vorneherein der Weltschon mitgeteilt und manifest sein,

• aber es muss dieser letzte Sinn schon im Anfang grundgelegtsein. Und das ist leicht einzusehen:

Insofern Gott geschichtlich handelt, mit den Menschen in Beziehungtritt, insofern er schon immer,

• von Anfang an personlich mit dem Menschen handelte,• immer schon nicht bloß Schopfer war,• immer in der Geschichte seiner Welt auftritt,

ist von vorneherein jene Dimension eroffnet, deren absolute Hohe dasist, was wir Inkarnation und Gnade nennen.

1siehe das Seminar uber das Geheimnis

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2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre

Nicht, als ob wir apriori schon wissen konnen, wie weit Gott indiesem personlichen Einlassen mit der Welt gehen will, aber dieDimension ist von vorneherein offen. Wenn einer eine Beziehungmit einem aufnimmt, kann man apriori nicht wissen, wie weit ergehen will und nicht, wie weit er gehen kann, aber dadurch, dasser sich uberhaupt mit dem Menschen so personlich einlasst, istgleichsam die Grenze des Absolut-Bei-Sich-Bleibens, trotz derSchopfung, schon uberschritten.Wenn Gott rein naturlicher Schopfer der Welt ware, hatte

er die Welt aus dem Nichts erschaffen, sie hatte gewisseAhnlichkeit mit ihm, ware aber immer von Gott getrenntdurch den absoluten Graben, der eben das Unendliche unddas Endliche, das Aus-Nichts-Gemachte und das durch sichselbst in absoluter Seinsfulle notwendig Bestehende trennt.

Von da aus ware Gott immer der Jenseitige, als Horizontvon Welt Gegebene, nicht der, der immer da ist. Er ware -biblisch - immer im Himmel und wir auf Erden.

Wir sagen ja: Gott ist der Schopfer der Natur und derGnade, und merken dann nicht den wesentlichen Unter-schied zwischen dem Gott, der als Schopfer der ungreifbareGrund von Welt ware, und dem Gott, der in der Welt sichals er selber der Welt gibt.

Anders: Es besteht ein absoluter Unterschied zwischen einemGott,• der seinem Geschopf nur das Geschopf selber gibt - ihm

geschaffene Gaben gibt, die eben immer gerade nicht Gottsind einerseits,

• und dem Gott, der sich selber dem Geschopf gibt, und zwarnicht dadurch,– dass er ihm etwas, was er geschaffen hat,– sondern sich selber durch sich selber und– nicht noch einmal durch etwas anderes vermittelt sich

selber gibt.

Nun in dem Augenblick, wo Gott als er selber in der Welt- Geschichteauftritt, ist die Dimension einer solchen absoluten Selbstgabe schoneroffnet.

Ergebnis: Insofern ist nun tatsachlich immer in der ganzen Heilsge-schichte existentiell Gnadentheologie, mindestens im Ansatz, Ent-wurf, in der formalen Struktur, getrieben worden.

So sehr erst dort, wo das Wort Gottes in absolutem, personli-

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2.2 Gnadenlehre im Alten Bund

chem Selbst-Dasein in der Welt der Welt und den Menschengegeben wird, Gnade im absoluten Sinn erst enthullt ist undsein kann und deswegen erst Gnadenlehre im NT getriebenwird,

So sehr ist dadurch, dass Gott selber mit den Menschen zu ver-handeln beginnt, und das geschieht schon am Anfang der Welt-geschichte, ist Gott selber in seinem personlichen Verhaltnis zuden Menschen greifbar und engagiert, und die Moglichkeit er-offnet, dass da der Anfang ist jenes absoluten Liebes Wortesdefinitiver Art, das Gott zur Welt im Fleisch des Sohnes gespro-chen hat.

Hintendrein merkt man, dass das erste personliche Wort, dasGott zur Geister Geschichte gesprochen hat, wirklich bloßdas erste Wort war eines Satzes, der die absolute, nichts vor-behaltende Selbstaussage Gottes an den geschaffenen Geistist.

2.2 Gnadenlehre im Alten Bund

Wenn deshalb auch schon im Alten Testament Gott als der zumBund Einladende, Ehebund mit dem Volk Schließende, der Vatererscheint,

wenn da schon von seinem Geist, der ausgegossen wird, gesprochenwird,

• von einem Verhaltnis der Huld, Geborgenheit, das immer mehrdas Dasein des Menschen hineinnimmt,

• das in den verschiedenen Richtungen immer universaler wird,1. universaler vom Volk zum einzelnen Menschen,2. universaler vom einzelnen Volk zur Volkergeschichte und

zur Menschheit uberhaupt,

Dann kann man

1. einerseits vom Neuen Testament und der radikalen Enthullungdes Geheimnisses Gottes aus gesehen zwar alle diese Aussagenim Alten Testament, auch dort, wo sie immer deutlicher werden,a) nicht ohne weiteres Enthullung des letzten Geheimnisses

nennen;b) man wird sehen, dass der Begriff des Vater- und Kind- Ver-

haltnisses zwischen Gott und Menschen zunachst sich aufdas Bundes-Volk bezieht,

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2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre

c) und erst allmahlich auf den Einzelnen geht,d) dass es nur ein Bild fur die Huld ist, usw.

2. Aber andererseits praludiert all das in einem vorlaufigen, nochirgendwie offenseienden Stil in dem, was wir im engeren SinneGnadenlehre nennen.a) Und so ist die Geschichte des Gnadenwaltens und der Gna-

denlehre schon von Anfang der Menschheit an und im AltenBund da.

b) Es kommt nicht additiv Brocken fur Brocken dazu,c) sondern ein Grundverhaltnis, das durch das Geschichtsver-

halten Gottes da war,d) manifestiert sich fortschreitend immer mehr in seiner abso-

luten Tiefe.

Insofern ist immer das Alte da, immer das Gleiche, und wird trotzdemfortschreitend Neues enthullt,

• so wie es in der Liebe zwischen zwei Personen ist;• es ist immer dieselbe Liebe, immer dasselbe Mitteilen und trotz-

dem immer neu.• Das ist das, was sich immer geschichtlich neu ereignet, offenbart.

2.3 Gnadenlehre im Neuen Testament

2.3.1 Voruberlegungen

Solange das im Stadium des Alten Bundes war, waren beide vorhin ge-nannten Fragen offen. In wahrstem und genau gemeintem Sinne war allesvor Christus eine Brautzeit, denn es war von der Welt her errechen-bar offen, ob dieses von Gott von Anfang an ergriffene Verhaltnis in ihrer(der Welt) Geschichte tatsachlich ein Verhaltnis der Zuneigung oder derAblehnung (des Gerichtes) auf die Dauer werden werde.

Erst im neuen Bund - und deshalb sind wir seit Christus im letzten,unuberbietbaren Stadium der Weltgeschichte - ist das Verhaltnis so gewor-den, dass es als positives unrucknehmbar geworden ist und auch erstim neuen Bund ist die zweite Frage endgultig bejaht, namlich nach demIntimitatsgrad dieses Verhaltnisses, und da ist offenbar geworden, dass esauch von Gott her ein nicht mehr Uberbietbares, das Verhaltnis ei-ner schauervollen Intimitat ist, die uber die Welt, die dieses Angebotablehnt, deswegen auch das absolute Gericht der Verdammnis ist und zwarder endgultigen.

Mit anderen Worten: das Verhaltnis Gottes als positives, nicht mehr

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2.3 Gnadenlehre im Neuen Testament

uberbietbares ist eschatologisch endgultig und manifest geworden,und seit es diese beiden Dinge gibt, gibt es eigentlich das, was man imchristlichen Sinne Gnadenlehre, die Theologie des ausgegossenen PneumasGottes im Herzen der einzelnen und der Weltgeschichte nennen kann, wo-bei immer beide Seiten gesehen werden mussen: die Seite der absolutenQualitatsdifferenz und die Seite des absoluten Intimitatsgrades.

Man konnte sagen: Alles was wir sagen, ist nur die Explikation dieser Tat-sache, angewandt auf den Menschen, der in der Selbsterschließung Gottesdiesem Gott als absolutem Schopfer frei gegenubersteht, wo es dann ei-ne Geschichte dieser Manifestation des absoluten Intimitatswillens Gottesder geistigen Kreatur gegenuber gibt, eine Geschichte 1. der Menschheit- Unheils- und Heilsgeschichte - und 2. Im Leben Leben des einzelnen -initium fidei, Festigung der Gnade, Wachstum, endgultige Befestigung imewigen Leben.

Von da aus ist dann die innere Struktur der neutes-tamentlichen, biblischen Gnadenlehre zu sehen. Erstvon diesem Ansatz aus begreifen wir, dass nicht erstin Paulus Gnadenlehre vorgetragen wird, sonderndass die Lehre der Synoptiker, Christi, seines Kreu-zes Gnadenlehre ist.

17.10.1956 Vorlesung 3.

2.3.2 Gnadenlehre bei den Synoptikern

Gnadengeschichte ist nicht etwas Unpersonliches, was durch die Mitteilungeinfach mitgeteilt werden konnte, sondern Gnadenleben ist ein personlichesVerhaltnis, das wachsen kann und sich enthullen kann. Deshalb ist Gnaden-lehre manifest geworden, wenn einer unter uns ist, der in der absolutestenStrenge des Wortes von Gott als seinem Vater sprechen kann, und sichder Sohn schlechthin nennen kann und gleichzeitig sich als unser Bruderbezeichnen kann und uns von diesem Punkt aus einlad mit allem Ernstseinem Vater Vater unser zu sagen.

Wenn darum in den Synoptikern von Gott dem Vater die Rede ist, vonseiner Vergebungsbereitschaft usw., dann ist das nicht die Predigt voneinem humanitaren Evangelium, das jeder andere Mensch auch machenkonnte, sondern dann basiert diese Predigt von Gott dem Vater und uns,seinen lieben Kindern auf dem Sohnesbewusstsein von Jesus Christus undhat in der Unermesslichkeit seines Sohnesbewusstseins die Grundlage und

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2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre

den Maßstab. Und darum ist dann solche Aussage als Maßstab der Aus-sage von unserem Sohnsein zu nehmen, wobei man bedenken muss, dassdieser Vater der Vater unseres Herrn Jesus Christus ist, nicht der Gott inder Ununterschiedenheit, sondern der als dessen Sohn sich Jesus weiß, mitanderen Worten: dieser ist unser Vater, denn wir haben diesen zu unseremVater, weil er der Vater dieses Sohnes ist.

Eine solche Lehre ist absolut in sich Gnadenlehre.

1. Denn die Predigt eines erbarmenden Gottes gegen schuldige Krea-tur, derart dass dieser Mensch, der Sunder ist, in allem Ernst, fernvon aller blumigen Sentimentalitat, in aller Radikalitat Kind diesesVaters wird: das ist absolut Gnadenlehre, zumal dieses Verhaltnis ver-kundet wird als ein im Letzten durch den Kreuzestod hergestelltesund durch die Auferstehung dieses Jesus von Nazareth begrundetes.

2. Da ist die Wiedergeburt im Grunde genommen schon eingetreten,und in der Auferstehung dieses

”seines Knechtes“, wie es in der al-

tertumlichen Theologie der Apostelgeschichte schon heißt, durch dieAuferstehung dieses Jesus ist die endgultige Garantie der Angenom-menheit der Menschheit im Grunde genommen schon gegeben.

3. Wenn und insofern die Synoptiker eine erlosende und vergebendeTat Christi am Kreuz kennen, durch die erst der Mensch in das wahreVerhaltnis zu Gott tritt, dann kann dieses nicht einfach ein solchessein, das rein in einem Schopfer-Geschopf-Verhaltnis besteht, nichteines sein, das auf der vergebenden Tat Christi am Kreuz beruhendgarnicht im Grunde aufgehoben werden kann.

Mit anderen Worten: durch die Lehrevon der Kindschaft des Menschen dem Vater Jesu gegenuber

in der Partizipation seiner Sohnschaft und durch die Lehrevom Kreuzestod und der Auferstehungist das synoptische Evangelium schon Gnadenlehre, das

heißtLehre von der ontologisch nicht mehr uberbietbaren

Intimitat der Beziehung des Menschen zu Gott,und paulinische und johanneische Gnadenlehre kann

das nicht mehr uberbieten sondern nur durch kompli-zierteren theologischen Begriffsapparat darbieten.

Das ist nicht bloß deswegen wichtig, weil es Leute gibt, die sa-gen,dass das einfache Evangelium Jesu durch die mythologisie-

rende Theologie eines Paulus verfalscht wird,

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2.3 Gnadenlehre im Neuen Testament

sondern deswegen besonders wichtig, weil wir so sehen,dass auch die radikalste Gnadentheologie durchauseinfach und schlicht kerygmatisch predigbar ist, einschlichtes Kerygma des Alltags sein kann.

Damit ist nicht gesagt, dass die komplizierte Begriffswelt desPaulus mit pneuma - mit dem Imperativ des Heilig-Werden-Mussens, des Sich-Muhens des Menschen usw. eine uber-flussige Komplikation waren.

Alle diese Dinge des spateren NT sind darum wichtig,• weil wir sonst in Gefahr sein konnten,

– auf der Erde allein sein zu wollen– und Gott nur so als unseren lieben Vater zu betrachten,– dass er sorgen wurde, dass wir hier auf dieser Welt uns

verschanzen konnten,– dass es uns gut geht und im ubrigen Gott druben ist.

• Deshalb einerseits und weil wir andererseits viel mehr sindals bloße Menschen, weil wir berufen sind zu all demUngeheuerlichen, weil wir seine Kinder sind,

• Darum kann man alles richtig sagen, wenn man sich nebenChristus als Kind Gottes hinstellt.

• Und muss man all das dazu sagen, was Paulus vom Pneu-ma, Geburt aus Gott, Wiedergeburt vom Christen sagt,einschließlich der Freiheit, Enthobenheit uber den Tod, dieSunde und das Gesetz.

Es gibt also eine Gnadenlehre schon in den Synoptikern. Und wennwir gewohnlich in der Gnadenlehre die heilige Schrift als die Grund-quelle betrachten und uns an die explizitere Form bei Johannes undPaulus halten, dann andert das nichts daran.

Die umfassendste Gnadenlehre ist Jesus Christus inPerson, und hat er durch sein

”kindliches“ Evangelium

schon verkundet, dadurch, dass er sagt, dass er derSohn Gottes und wir Gottes Kinder sind.

2.3.3 Gnadenlehre bei Johannes und Paulus

Dieses Einfache wird dann in Paulus und Johannes entfaltet, orchestriert,in den Aussageweisen ausgesagt, die der Mensch der damaligen Zeit hatte:vom Alten Testament her zunachst zwei Stichworte: Gerechtigkeit und derGeist Gottes.

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2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre

2.3.3.1 Der Geist Gottes:

Dieser Begriff des Geistes hat im AT eine lange Geschichte, auch eine Ge-schichte, wo sich dasselbe Wort anhangt an ganz disparate Dinge, so dassdasselbe Wort in den verschiedenen Dingen mit sich selber nichts zu tunhat, sondern das Pneuma Gottes immer mit einem Zu- Tun-Haben Gotteshochst personlicher Art mit dem Menschen zu tun hat:

Geist Gottes schwebte uber den Wassern; ... belebte den Menschen ...usw.. Insofern konnte dieser Geist-Begriff jene unuberbietbare Nahe Gotteszu den Menschen ausdrucken und sagen, zu der das Verhaltnis Gottes zuden Menschen gekommen ist, und daher konnte dieses Verhaltnis dadurchgesagt werden, dass Gott uns seinen Geist gibt.

Dieser Geist ist es, der die Tiefen Gottes erkennt, des Angeldes, desewigen Lebens usw., kurz: Hier konnen alle Momente der Erfahrung desMenschen mit diesem erleuchtenden, belebenden Gott, und alle eschatolo-gische Hoffnung des Menschen auf seine Vollendung eingetragen werden,und dieser Pneuma-Begriff zu einem Schlussel- Begriff der Gnadenlehrewerden.

2.3.3.2 Gerechtigkeit:

Da diese Gerechtigkeit die Gerechtigkeit der Heiligkeit des Menschen ist,jener die der Mensch nicht bloß im autonomen Verhalten sich selber gibt,sondern der Heiligkeit, die dadurch geschieht, dass der Mensch in den sa-kralen Bereich des heiligen Gottes dadurch hineinkommt, dass Gott ihn infreiem Erbarmen zieht, mit anderen Worten, die Gerechtigkeit, die durchdie Charis gegeben wird, durch das freie Erbarmen einer Tat, die Gott anuns wirkt,

Weil gewissermaßen die ganze Frage des Sittlichen und Religiosen in derForm eines dialogischen Verhaltens Gottes von uns zu Gott und Gott zuuns gesehen wird,

Darum kann auch deutlich werden, dass dieser Besitz des Pneumas, Hei-ligkeit, Gerechtigkeit, Sundenfreiheit, Wiedergeburt, Kindschaft etwas ist,was Gott gibt, und da er es ja gegeben hat dadurch, dass der Sohn kam,wird naturlich mit absoluter Scharfe deutlich, dass alles die unherbeizwing-bare Tat Gottes ist, mit anderen Worten: dass es Gnade ist.

2.3.3.3 Gnade:

Hier kommt dieses Wort Gnade im eigentlichen Sinne erst hervor: Das Un-geschuldete, Freie, was Gott an uns getan hat, aber es ist Ausdruck fur eineformale Modalitat, Eigentumlichkeit von etwas, die an den verschiedenstenWirklichkeiten hangen kann.

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2.3 Gnadenlehre im Neuen Testament

Es ist aber klar, dass dieses eschatologische, definitive, positive Verhalt-nis Gottes zu den Menschen in einer unuberbietbaren Nahe, Huld freiesGeschenk, Gnade ist.

Und so kann es bei Paulus zu einer Gnadenlehre kommen, kann von derGnade gesprochen werden, von dikaiosÔnh, q�ric, �giwsÔnh ... genasjai ëktou jeou (Jh). All das wird in diesem Gesichtspunkt der freien Huld Gottesund der von Gott ausgehenden, unzwingbaren und doch notwendigen In-itiative Gottes gesehen. Von da aus fullt sich dieser Begriff der Charis mitall diesen Wirklichkeiten, obwohl er das Unuberbietbare ist, hinter dem esnichts mehr geben kann.

Das ist die explizierte Gnadenlehre bei Johannes und Paulus.Diese Gnadentheologie wird nun ihrerseits auf alle Dinge, Probleme des

Menschen angewandt und von da aus diese gelost und religios falschenHaltungen entgegengesetzt.

Es wird diese auf die verschiedensten Seiten angewandt: Gesetz, Todes-verfallenheit des Menschen, dass er eine Sittlichkeit haben muss, habenSittlichkeit und Gnade etwas miteinander zu tun, kann der Mensch nochin der Sunde sein, wie verhalt sich die Gnade zur Familie, Mann und Frau,Beruf, Weltverhaltnis.

Und diese Gnadenlehre wird polemisch abgesetzt gegen:Pharisaisches Missverstandnis der Selbstgerechtigkeit (durch die Tat des

Menschen allein) in dem gesagt wird: Nicht der Mensch macht sich gerechtsondern Gott durch die freie Liebe Gottes selbst. Alles was der Mensch tunkann, basiert darauf.

Was jetzt da im Romerbrief antipharisaisch entfaltet wird, diese Gnaden-lehre wird in 1 Jh, Jk abgesetzt gegenuber einem Antinomismus, der nichteinsieht, dass diese (die Gnade) jenen Bereich der Sitte und Sittlichkeit ent-halten muss, der seinen Ausdruck im Gesetz findet. Insofern gibt es aucheine Absetzung der Gnadenlehre gegenuber Libertinismus, Antinomismus.

Das Ganze dieser Gnadenlehre kann in Bezug auf das ausstehende End-ziel des Menschen gesehen werden. Biblische Beschreibung ist nie bloß stati-sche Beschreibung eines Zustandes, sondern die Predigt einer im Kommenseienden Herrlichkeit Gottes, in der Gott die Welt in sein ewiges Lebenhineinnimmt.

Insofern kann auch bei Paulus und bei Johannes all das, was in einerkomplizierten theologischen Nomenklatur des Urthemas der VerkundigungJesu da ist, ganz schlicht zusammengefasst werden: dass Gott die Liebe istund uns tatsachlich geliebt hat und davon nicht absteht.

Wenn er selbst die Liebe ist in dem Sinn, wie es die Griechen nicht wuss-ten, dann ist es ja klar, dass wenn er liebt, er dabei nicht irgendetwas tut,was man neben anderem tun kann, sondern seine eigene Wirklichkeit, dieseine eigene Wirklichkeit ist schlechthin, vollzieht, (das heißt, was wir Wie-

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2 Periode 1: Heilsgeschichte, existentielle Gnadenlehre

dergeburt, Geistbesitz usw. nennen, ist damit gesagt, dass Gott sich selbstmit seiner eigenen Herrlichkeit, Lebensfulle, Tod usw. an uns weggeliebthat) und dann schließt auch die komplizierte Theologie des Gnadenkeryg-mas Christi mit einer ganz schlichten Wahrheit, wenn man durch Paulusund Johannes hindurchgegangen ist und sie verstanden hat:

Gott ist die Liebe und er hat uns geliebt.Wenn das die eigentlichste, unuberholbare Wahrheit unserer Existenz

ist, dann ist dieses Wort die Gnadenlehre, und eine solche ist durchausverkundbar.

Uber die Einzelheiten mussen wir uns dann spater wieder unterhalten.

17.10.1956 Vorlesung 4. (2.Stunde)

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3 Stadium 2: PraliminarerVorblick uber diedogmengeschichtlicheEntwicklung der Gnadenlehre

3.1 Literatur zur Dogmengeschichte derGnadentheologie

3.1.1 Allgemeine Lehrbucher uber die Dogmengeschichte

Der alte Schwane (Munster 1862-90)Tixeront (franzosisch)Groot (Romae 1931, lateinisch) Conspectus historiae dogmatumHarnack, Seeberg, Loofs usw. (Protestanten)

3.1.2 einiges, was monographisch und umfassend dieGnadenlehre behandelt

a) H. Rondet, Gratia Christi, Essai d’histoire du dogme et de theolo-gie dogmatique, 1948 (uber die gesamte Dogmengeschichte; lobliches,nutzliches, empfehlenswertes Buch, weil es viele Literatur enthalt,bringt wirklich die Geschichte zu verstandlichem Bild)

b) Landgraf, Dogmengeschichte der Fruhscholastik, I.Teil: Die Gnaden-lehre, Bd. I-II. 1952-53 Re. Das Ganze umfasst 5 oder 6 Bande. Dog-mengeschichte in Einzelaufsatzen (Sammlung, bestreichen das Feldgleichmaßig. Ist nicht systematische Dogmengeschichte der Gnaden-lehre).

Johann Auer, Die Entwicklung der Gnadenlehre in der Hochscholastik.I. Das Wesen der Gnade (1942) II. Das Wirken der Gnade (1951).Das dritte Heft kommt noch. Dogmengeschichte in der Hochscholastiksehr gut behandelt. Orientiert an Matthaus von Aqua-Sparta

c) uber die Vater: fast unubersehbare dogmengeschichtliche Literatur.Gnadentheologie der griechischen Vater:

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Jules Gross, La divinisation de chretien d’apres les Peres grecs,1938 Langsschnitt bietendes Werk.

Bauer, apostolische Vater.Galtier, Le Saint-Esprit en nous d’apres les Peres grecs (1946). Ob

das ein Proprium oder eine Appropriation sei.Mersch, Le corps mystique du Christ, Etudes de theologie histori-

que 2 Bde. 1951. Uber das corpus Christi mysticum. Geschicht-liche Arbeit. Bringt auch einiges Licht fur die Gnadentheologie.La theologie du corps mystique 2 Bde., 1944

Hugo Rahner, Uber die Gottesgeburt im Menschen.Hand Urs von Balthasar (nicht im schultechnischen Sinn, Arbei-

ten, die fur die Gnadenlehre wichtig sind). ... Maximus Confes-sor ... (Kosmogonie) Le mysterion bei Origenes (in Recherchesreligieuses) Presence et pense ... Gregor von Nyssa Dinge, dieim Grunde Gnadenlehre sind.

Alois Linke, Die Logosmystik bei Origenes 1938, Die Theologie derChristusmystik ZkTh 1948.

Jean Danielou, Platonism et theologie mystique. Auch an Hand derTheologie des Gregor von Nyssa, Ob und wieweit aus plato-nischer Konzeption des Menschen, die hochst spezialisiert undgeistig ist, das Christentum philosophisch geworden ist.

Josef Andreas Jungmann, Uber die Gnadenlehre im katholischenGlaubensbekenntnis und im Katechismus.

Du Manona, Dogme et Spiritualitee bei Cyrill von Alexandrien1945, Spiritualitat = Aszese und Mystik ...Athanasius ... An-gelicum 1948,

Bouier. L’incarnation ... bei Athanasius 1943

3.2 Einleitendes zur Vaterzeit im Allgemeinen

Wenn wir auf die Vaterzeit selber hinblicken und uns einige Gedankenuber die Grundzuge der Gnadentheologie machen wollen, dann unterschei-den wir der Sache nach, wie in manchen anderen Traktaten, zwischen dergriechischen und der lateinischen Patristik.

Die Trennungslinie ist nicht ganz identisch mit der Sprache. Es gibtauch Lateinische, die im Grunde Griechen sind, weil sie intensiv von denGriechen beeinflusst waren, und umgekehrt Griechische, die mehr Lateinersind, vielleicht aus Grunden des Aristotelismus usw.

Die Zentralidee der griechischen patristischen Theologie in der Gna-dentheologie ist die Vergottlichung, wahrend sie bei den Lateinern dieRechtfertigung ist.

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3.3 Gnadenlehre in der griechischen Patristik, Gesichtspunkte primarer Art

Naturlich ist das letztlich dasselbe: die Vergottlichung macht den Men-schen gerecht und die Rechtfertigung geschieht durch die Vergottlichung.Aber wenn auch diese beiden Dinge gnadenhafte Beziehung sind, so ergibtsich doch durch verschiedenes Wort und verschiedenen Blickpunkt, vondem aus man diese gnadenhafte Beziehung betrachtet, ein sehr wesentli-cher Unterschied, der vielleicht nicht in der Sache, aber in der Dosierungbei den Griechen und Lateinern festzustellen ist. Wo von der Vergottli-chung die Rede ist, kommen gewisser Probleme nicht zur Sprache, die beider Rechtfertigung zur Sprache kommen und umgekehrt. Die Lateinergestalten sie als Lehre von der Rechtfertigung. Was ergibt sich nun darauszunachst bei den Griechen.

3.3 Gnadenlehre in der griechischen Patristik,Gesichtspunkte primarer Art

Wir konnen bei den Griechen zunachst zwei Grundprobleme erwarten, diesich fur uns zunachst mindestens aus dem Grundansatz ergeben: das gno-stische Problem und das platonische Problem.

3.3.1 1. Das gnostische Problem.

Die Vergottlichung wird bei den Griechen als physischer Vorgang gesehen;naturlich nicht physikalisch gemeint sondern mehr ontisch-ontologisch, mitder Gefahr, dass sich eine ins Sachhafte, Dinghafte, Physikalische abglei-tende Konzeption entwickelt.

Das sehen wir schon in der Zeit des 2.-3. Jahrhunderts. Dort ist die großeHauptgefahr fur das Christentum und sein Verstandnis der:

Gnostizismus: Viele gedanklichen Dinge spielen da hinein. Grundkon-zeption: ins Ontische verzerrte Konzeption der Gnade. Vergottlichung gehtnaturnotwendig vor sich. Es ist die Entfaltung des gottlichen Urgrundes indie Vielfalt einer Welt hinein. Je nach dem, wie viel gottliche Substanz beider Verdunnung Gottes dahinein ubrig bleibt, ist eine solche Wirklichkeitmehr oder weniger von Gott entfernt.

Gnade wird hier so das Gegenteil von Gnade, ein Stuck pneumatischer,gottlicher Weltsubstanz. Deshalb gibt es diese verschiedenen Sorten vonMenschen: Pneumatiker und Psychiker, wobei Psychiker zwar geistig ra-tionale Wesen sind, aber doch nicht fahig, das Gottliche zu erreichen, weildie seinshafte Voraussetzung in ihnen von vorneherein fehlt.

Also: Vergottlichungsprozess der Welt ist rein uberpersonal, ein Schick-sal Gottes und der Welt, das unexistentiell gleichsam physikalisch gesehenwird.

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Von da aus sehen wir, dass die griechische Patristik von dieser Gefahrimmer bedroht ist.

Sie hat naturlich gegen diese Verzerrung protestiert: Sie musste immerbetonen, Gnade gibt es nur mit und durch die Freiheit des sich selbstentscheidenden Menschen hindurch.

Dadurch, dass sie die Freiheit betont - die Moglichkeit des Menschen,diese Gnade anzunehmen oder abzulehnen - will sie nicht pelagianisch sein- die Gnade unter den Menschen unterjochen - sondern den Menschen undGott als geistige Freiheit auffassen, die mit einander in existentiellem Dia-log stehen, will sie das Evangelium der freien Gnade als Tat des freien, umsich selbst wissenden Gottes gegenuber einem freien Menschen retten.

Und sie ist, obwohl sie Vergottlichungstheorie ist, im Ganzen der unrich-tigen Lehre von der seinshaften Gnade nicht verfallen.

Aber diese Thematik ist damit notwendigerweise gegeben. Das ist wich-tig zu sehen, damit wir von vorneherein den richtigen Rahmen sehen furdie Frage, ob die griechische Gnadenlehre im Gegensatz zur augustinischensemipelagianisch war (protestantischer Einwand). Schon im Altertum be-rief man sich darauf - Gegner des Augustinus (Julian von Eklanum, großerTheologe des Pelagianismus) hat sich auf Chrysostomus und Theodoretberufen. Man konnte also schon im Altertum diesen Eindruck haben.

Dieser Eindruck entsteht nicht, weil er berechtigt ware, sondern weileben die ganze Front der griechischen Gnadentheologie eine andere ware:Dort wo von einer Vergottlichung her die Gefahr einer physikalischen, pan-theistischen, gottevolutionistischen, naturnotwendigen Deutung der Gnadegegeben war, musste man dagegen reagieren und Damme aufwerfen unddeswegen die Freiheit des Menschen betonen.

So große geistesgeschichtliche Komplexe finden ihr eigenes Gleichgewicht,schaffen ihre eigene Grundtendenz, ihr eigenes Gegengewicht nach der an-deren Seite. Das muss man aber sehen als Gegengewicht.

Im christlichen Abendland, wo es selbstverstandlich ist, dass der Menschder freie ist, rechtlich mit Gott handelt, wo die Verantwortlichkeit des Men-schen selbstverstandlich ist, da muss nicht die Freiheit betont werden, son-dern da muss diese der Macht der Gnade unterstellt werden.

Das darf nun nicht polemisch gegen das andere System gestellt werden,sondern beide sind irgendwie das Ganze, naturlich mit historisch bedingterAkzentverschiedenheit; aber beide sind schwebende, sich gegenseitig tra-gende Systeme, in denen ein Element nicht als Leugnung und Gegensatzzum anderen aufgefasst werden kann.

Naturlich, wenn man in einer primitiven, pseudoscholastischen Weiseden einzelnen Satz eines Griechen herausnimmt und zu verrechnen suchtmit Lateinischem, dann kommt man in eine Zwangslage: entweder der einehat Recht und der andere hat etwas total Falsches gesagt, oder man muss

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3.3 Gnadenlehre in der griechischen Patristik, Gesichtspunkte primarer Art

unehrlich die Sache zurechtdistinguieren bis der Ostliche dasselbe gesagthat wie meinetwegen Augustinus.

Zuruck zum Ausgangspunkt: aus dem griechischen Ansatz: Gnade alsVergottlichungslehre des Menschen ergibt sich die Problematik des seins-maßigen Charakters der Gnade und die uberwundene Gefahr einer gnosti-schen, physikalischen Deutung dieser mit Recht als seinshaft aufgefasstenund so vergottlichenden Gnade.

3.3.2 2. Das platonische Problem.

Das zweite Problem, das sich bei diesem Ansatz ergibt, ist das platonischeProblem (das erste war das gnostische Problem).

Das platonische Problem besteht in Folgendem: Es liegt (oder es lag dergriechischen Patristik, deren Grundstromung der Platonismus gebliebenist) naturlich nahe, diese Vergottlichung als eine Entwicklung des Wesensdes Menschen, seiner Physis, aufzufassen.

Damit ist naturlich die Frage, zwar nicht fur die griechischen Kirchenva-ter, die sich relativ wenig um diese Frage kummerten, die ihnen nicht lag,und die damit von ihnen freilich auch nicht beantwortet ist, so dass damitvon ihnen die richtige katholische Antwort auch nicht bestritten ist: Istdieses Wesen, das sich vergottlicht, ist das unsere

”Natur“ des Menschen,

so dass die Vergottlichung das naturhafte, von Gott geschuldete Endzieldes Menschen ware, so dass das Ubernaturliche im Grunde geleugnet wareoder wie ist das bei den Griechen?

Die Griechen sehen den Menschen als Wesen, das im Grunde capax infi-niti ist, das heißt, so legen sie es weiter aus, in fortschreitendem Prozess inimmer großerer Vergeistigung vor Gottes Angesicht zu gelangen, fahig ist.

Damit ist naturlich das Problem Natur-Ubernaturliches nicht gesehenaber auch nicht geleugnet.

Die griechischen Vater gehen von der Tatsache aus, die sie im Evangeliumfinden: Wir sind wirklich Kinder Gottes, zur Nahe Gottes berufen. Wennsie davon ausgehen: der Mensch ist eben tatsachlich derjenige, der nurdann an sein Ziel gelangt ist, wenn er zu dieser vergeistigten Nahe Gottesgekommen ist, dann haben sie im Grunde etwas Richtiges gesagt.

Ob in diesem so begriffenen Urbestand des Menschen noch einmal zweiverschiedene Elemente gesehen werden mussen, namlich das, was wir ineinem modernen Ausdruck die Natur nennen und das was wir die uber-naturliche Berufenheit dieser Natur nennen konnen, das wird im GroßenGanzen bei den griechischen Kirchenvatern nicht mehr explizites Thema,und deshalb ist diesbezuglich auch keine wirkliche Aussage gemacht.

Es ware also verkehrt zu behaupten, weil die griechische Patristik nichtunterschieden hat zwischen Natur und Ubernaturlichem, wurde sie die

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Ubernaturlichkeit der Gnade leugnen. Sie sagt nur, der Mensch hat eineAnlage zur Vergottlichung. Ob diese Veranlagung sein konkretes Wesen,seine Ebenbildlichkeit Gottes, etwas ist, was im notwendigerweise von Na-tur zukommt oder ob es ihm zukommt, weil Gott ihn zu diesem Wesenberufen hat, daruber spekuliert die griechische Patristik nicht sehr explizitnach. Ich will nicht sagen uberhaupt nicht, aber es wird nicht das bevor-zugte Thema.

Vergottlichungslehre muss also einerseits den Menschen, um diese Ver-gottlichungslehre nicht zu einem unexistentiellen physikalischen Weltpro-zess depravieren zu lassen, als freiheitliches Wesen angeben, und sie mussandererseits den Menschen als ein fur diese Vergottlichung bestimmten, alsein in diesem weiten Sinn Geistwesen, ansetzen, ohne dass die Frage desVerhaltnisses von Natur und Gnade im naturalistischen Sinne beantwortetsein soll.

Beide Probleme, das Gnostische und das Platonische bei den Griechen,haben naturlich etwas mit der Tatsache zu tun, dass der Grieche die Sundenicht so ernst und tragisch nehmen kann in seinem griechischen Intellek-tualismus und Optimismus, wie die Schrift bei Paulus und die lateinischeTheologie durch Augustinus getan haben.

Irgendwo ist fur ihre Grundmentalitat die Schuld, das Bose in der Welt,dort wo sie nicht gleich manichaisch verzweifeln oder dort wo man nichtgleich wegen des Bosen in einem gnostischen Dualismus landet, dort istdoch fur sie das Bose die vorlaufige, sich von selbst ausgleichende Storungeines noch nicht zu Ende gekommenen geistigen Weltprozesses.

Dass das etwas ist, was den Griechen nicht nur in die Schuhe geschobenwird, lasst sich leicht nachweisen. Eine eigentliche Lehre von der Allver-klarung, wo die Verdammnis aufgehoben ist, hat es nur bei dem Griechengegeben. Weil so der Grieche weniger Verstandnis fur die letzte, unauflos-bare Tragik der Schuld als wirklich echter hat, darum ergeben sich auchwieder die beiden Aspekte, die sich aus der Vergottlichungslehre ergeben:

1. Der Mensch wird als freier angesetzt, der sich bekehren kann, wenn ernur will. 2. Und als einer, der von sich aus auf dieses Ziel hingeordnet ist.

3.4 Gesichtspunkte sekundarer Art

19.10.1956 Vorlesung 5.

Es folgen einige Gesichtspunkte sekundarer Art, die interessant sind undeinmal genannt werden mussen.

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3.4 Gesichtspunkte sekundarer Art

3.4.1 Gnadenlehre und Trinitatslehre

Von der Offenbarung her: Hat die Gnadenlehre etwas zu tun mit der Tri-nitatslehre? Das Mysterium der Dreifaltigkeit ist geoffenbart insofern esmit unserer Heiligung zusammenhangt. Es ergibt sich die Frage, die sichdurch die Theologiegeschichte hindurch zieht: Bedeutet dieser trinitarischeAspekt der Gnadenlehre so etwas wie eine Appropriation oder mehr einProprium? Haben wir zu den einzelnen Personen und sie zu uns ein ei-genes (proprium) Verhaltnis in der Gnade und durch sie oder verkorpertder eine Gott uns als das eine und selbe Prinzip, (das der Schopfung undBegnadigung). Ist dieses Verhaltnis kausaler Art, effizienter, finaler oderformaler Art oder so, dass wir zwar wissen durch den Glauben von diesemVerhaltnis, aber nicht auch selber im Gnadenleben durch es mitbestimmtwerden.

Insofern die griechische Patristik in der ihr eigenen Weise das Mysteriumder Trinitat zu konzipieren starker die Dreiheit der Personen betont alswir und von den drei Personen erst nachtraglich sagt, dass sie dasselbeWesen haben, im Gegensatz zur lateinischen, die erst das eine Wesen siehtund dann die drei Hypostasen, konnte man erwarten, dass die griechischePatristik das Verhaltnis des Menschen zu Gott in der Gnade trinitarischerkonzipiert als die lateinische.

Das ist richtig insofern als manche Griechen eher den Eindruck machen,dass sie die Beziehung des dreipersonlichen Gottes in der Gnade als Pro-prium und nicht als Appropriation auffassen.

Aber1. Ist das bestritten und2. Ist die griechische Trinitatstheologie aus anderen Grunden auch nicht

so, dass man sagen kann, sie habe schon in jedem wunschenswertenMaß nachgedacht uber dieses Geheimnis.

Denn die griechische Patristik geht fasziniert von der platonischen Ein-heitsidee den Gang der Geschichte. Diese Einheit ist so sehr in gewissemSinn Prarogative und Eigentumlichkeit Gottes, - so sehr die Lehre von derDreifaltigkeit Gottes verteidigt wird, besonders bei den Kappdoziern spe-kulativ genau terminologisch gefasst wird, so bleibt es doch dabei - so dassin der mystischen Frommigkeit dieses Thema (vom dreifaltigen Gott) nichtreligios-existentiell durchgefuhrt wird. Man sieht es dort, wo die griechischeMystik auf ihrem Hohepunkt ist, bei Dionysius Areopagita: Im Grunde istes die Ruckkehr der Dinge zu dem einen Gott, die als Themen im Mittel-punkt stehen.

Wir konnen festhalten: Im Griechischen ist der trinitarische Aspekt derGnadenlehre doch etwas deutlicher angelegt als im Lateinischen. Grundspater!

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

3.4.2 der griechische Optimismus: allgemeiner Heilswille

Die griechische Gnadenlehre unterscheidet sich durch großeren Optimis-mus. Bei der griechischen Patristik ist die Lehre vom allgemeinen Heilswil-len Gottes selbstverstandlich. Wahrend Augustinus infralapsarischen all-gemeinen Heilswillen Gottes nicht kennt, ist ein solcher in der griechischenPatristik selbstverstandlich, so dass sich viel leichter als bei den Lateinernalle Schuld als Missverstandnis enthullt, so dass ein Allverstandnis eintrittund eine Versohnung: So bei Origenes (Apokatastasis), Maximus Confessorund anderen, (obwohl das noch nicht ganz klar ist!)

Der Grieche, der intellektualistisch die Sunde als Negativitat sieht, die imGrunde eine Vorlaufigkeit ist, ist optimistischer als der Lateiner, besondersseit Augustinus.

3.4.3 Hohepunkt der Begnadigung: Gnosis - DunkelheitGottes

Dem entsprechend, parallel dazu ist auch die Gnade sehr viel intensiver alsbei den Lateinern aufgefasst als etwas, was den Hohepunkt in der Gnosishat. Gnade ist auch Erleuchtung, Enthullung einer Erkenntnis.

Das zeigt sich auch in der Stufenlehre des geistlichen Lebens bei EvagriusPontikus. erste Stufe: Praxis und zweite, hohere Stufe: Theoria ist das,wohin der Mensch durch sein sittliches Leben gelangen soll. Die Liebe istder Weg zur Gnosis, nicht so sehr der Gipfel, in der die Erkenntnis gipfelt,sondern die Weise wie man zu ihr gelangt.

Gnade wird gleichsam als Erleuchtung der erkennenden Geistigkeit desMenschen genommen. Der Hohepunkt ist dann diese substantielle Gnosis,das Identisch-Werden des Geistes des Menschen mit seiner nach Gott hinoffenen Erkenntnis.

Naturlich gibt es auch kontrapunktisch dazu andere Auffassungen. Inder Argumentation der Kappadozier gegen den Arianismus wird die Un-begreiflichkeit Gottes betont. Von daher auch sehr deutliche Abgrenzung,dass der Hohepunkt der gnadenhaften Einigung nicht das absolute Lichteines strahlenden Mittags, einer Gnosis ist, sondern wie bei Moses, dasEintreten in die Finsternis der Unbegreiflichkeit Gottes.

Bei Gregor von Nyssa ist es schwer zu sagen, ob diese Nacht die erstePhase oder der Hohepunkt uberhaupt der Gott Einigung des Menschen ist.

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3.4 Gesichtspunkte sekundarer Art

3.4.4 Das platonische Aufstiegsschema

Vom neuplatonischen Gesichtspunkte her versteht es sich leicht, weil dortdie ganze Schopfung als Abstieg Gottes betrachtet wird. 1 dass dem ent-sprechend zunachst einmal dann eben das Schicksal, die Geschichte unddie Aufgabe der Kreatur, als Aufstieg zu Gott betrachtet wird.

Die Gnadenlehre ist griechisch in der Grundkonzeption betrachtet einreditus ad Deum, und das wieder im Sinne einer fortschreitenden Gno-sis, zu Gott aus der Dunkelheit des Materiellen sich herausarbeitend, einfortschreitender Aufstieg zu den dem Menschen unsichtbaren jenseitigenGutern unter Verlassen der diesseitigen Guter, per visibilia ad invisibiliaKommen, etwas was die Kirche von der griechischen Patristik als etwasBleibendes hat.

Nur kommt es dadurch, dass der inkarnatorische Mitvollzug des AbstiegsGottes in die Welt hinein nicht so deutlich wird, ein Gesichtspunkt, Vorstel-lungsschema, das doch auch berechtigt ist und manches deutlicher sehenlasst.

Wir sind nicht nur die, die von dem Logos mitgenommen werden aus derWelt. Ein solches Aufstiegsschema ware ja unchristlich.

Eine Uberspannung eines solchen Abstiegsschemas Gottes und Aufstiegsdes Menschen zu Gott sieht man daran, dass fur eine doketische Theologiewesentlich ist, dass Christus (Gott) das Materielle beim Aufstieg zurucklasst.

Wenn wir heute sprechen von einer Ruckkehr zu Gott usw., dann habenwir ja im Grunde genommen auch noch ein solches einseitiges Aufstiegs-schema fur den Aufstieg des Menschen zu Gott. In Wirklichkeit verlasst jadie Seele nicht die Welt nur, der Mensch ist nicht der, der zwar noch derDiesseitige ist und dann der Jenseitige werden soll, sondern das Ziel ist jadie Auferstehung des Fleisches, Verklarung der Welt, ist die Vergottlichungdes Diesseits, nicht so sehr die Flucht des Menschen aus dem Diesseits.

Naturlich kann man, wenn man will, das verklarte Diesseits Jenseitsnennen und in diesem Sinne durchaus von einem Jenseits, einem jenseitigenMenschen sprechen.

Aber man musste sehen, dass diese Terminologie irgendwo gemessen ja(darin besteht) darauf beruht, dass Gott der Diesseitige geworden ist undzwar nicht der Diesseitige allein ist, indem wir erkennen, dass Gott in dieseWelt hineingekommen ist.

Wenn man so die Geschichte der Menschheit und die Grundstrukturdes Menschen sieht, sieht man, wie dieses Aufstiegsschema bis zu einem

1Hier fugte er ein: So was gibt es naturlich schon bei Thomas von Aquin. Wie kann er so etwas nursagen, dass es sinnvoll ist? Ich muss mich da irgendwie verhort haben. Nein, ist doch vernunftig, die3. (humanistische) Phase des Neuplatonismus gehort ins 15. und 16. Jahrhundert!

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

gewissen Grad einseitig ist.Trotzdem wird man sagen mussen, dass da und dort bei den Griechen,

auch bei dem Theologen, wo der Platonismus seine einseitigste christli-che Verwirklichung erhalten hat, in Origenes, es irgendwie anklingt, dassder Mensch durch die Gnade befahigt ist, aufzusteigen und mit Christusabzusteigen in die Welt.

Nebenbei: in den Exerzitien des heiligen Ignatius ist dieses mit GottHinabsteigen in die Welt und darin sein Schicksal Teilen ein Grundzug, der,so einfach und schlicht er gesagt wird, tatsachlich etwas ist, was vielleichtin seiner theologischen Tiefe von der normalen Theologie noch gar nichterreicht ist.

Wenn auch das platonische Aufstiegsschema das Grundschema derchristlichen Patrologie ist, so gibt es doch auch das: Der Christ ist der,der mit dem weltlich werdenden Logos eingeht in die Welt, um - nicht umgnostisch etwas daraus zu retten, indem man daraus flieht - sondern um indem Teilen des Kreuzes Christi diese Welt verklart heimzuholen. Hier istder Ansatzpunkt fur alles, was man Apostolat heißt.

3.4.5 Gnadenlehre als Tauftheologie

Die Gnadenlehre ist in der griechischen Theologie eine konkrete Tauflehre.Erleuchtung, Geburt Gottes im Menschen, Teilnahme am menschgeworde-nen Logos usw., all das ist im Grunde Gnadenlehre.

Auch im Zusammenhang mit der Eucharistie bei Cyrill und anderenVatern.

3.4.6 Theologie der Mystik und Gnadenlehre

Aus der Theologie der Gnade wird in der griechischen Theologie, mehr alsbei den Lateinern, eine Theologie der Mystik.

Die hochste Stufe der Einigung des Menschen mit Gott in der Logos-Mystik des Origenes, in der eigentlichen Theologie der Aszese und Mystikbei Evagrius Pontikus und bei dem Pseudoareopagiten, dem Vater der Mys-tik (der er ja nicht ist, sondern eher noch Evagrius Pontikus, der das schongehabt hat im Anschluss an Origenes) ist der Aufstieg zur Apateia, zurGnosis, auch zur �g�ph, zur Gottvereinigung im Besitz Gottes selbst.

3.4.7 Moralismus der Antiochener

Daneben gibt es naturlich auch den Moralismus der Antiochener. Wennsie im Brevier die Predigten des heiligen Johannes Chrysostomus lesen,wissen sie, was damit gemeint ist: handfeste Predigt, wo moralisiert wird,

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3.4 Gesichtspunkte sekundarer Art

wo sittliche Missstande im Volk bekampft werden, wo schon auch von einemBewusstsein der Taufe und Gnade die Rede ist, jedoch mit dem leisenUnterton, was sich fur einen Christen geziemt, wo der Prediger an dieFreiheit und Selbstverantwortung des Menschen appelliert, der sich aufeigene Faust entscheiden muss, obwohl er ihn als Menschen sieht, der vonder Gnade erfasst ist.

3.4.8 Inkarnatorische Gnadentheologie

Wenn wir uns fragen, ist die griechische Gnadenlehre mehr eine solche derInkarnation oder eine solche des Kreuzes, dann mussen wir sagen: einesolche der Inkarnation. Die Natur ist heil geworden durch die Inkarnation.Der Grieche leugnet nicht, dass Christus gestorben ist und dass das eineBedeutung hat fur unser Heil. Der Akzent liegt jedoch auf der Inkarnation.

Die lateinische Gnadenlehre ware mehr eine des Kreuzes. Bei den La-teinern ist die Inkarnation nur eine Konstitution des Subjekts, das erlosenkann, und nicht so sehr eine Tat, die, die Welt annehmend, erlosend wirkt.Das Wort

”nichts ist erlost, was nicht angenommen ist“ hatte der Lateiner

nicht pragen konnen, denn fur ihn ware der Handel mit Gott erst perfektam Kreuz. Da leistet der fleischgewordene Logos dem Vater Genugtuung,vorher ist alles offen.

Naturlich weiß der Lateiner auch, dass das alles geschieht, damit dasKreuz geschehen kann, wozu der unruckgangigmachbare Anfang die Inkar-nation ist.

Gnadentheologie ist bei den Griechen mehr auf der Theologie der In-karnation aufbauend, bei den Lateinern eher eine Gnadentheologie, dieaufbaut auf der Theologie des Kreuzes.

Das hat seine Bedeutung. Jene Konzeption der Nachfolge Christi, diedem Kreuz Tragenden nachfolgt, ist abendlandisch (Bernhard, devotio mo-derna, Ignatius ...). Sie hat in der Theologie des Kreuzes einen Anhalts-punkt. Es gibt vielleicht in der syrischen Patristik so etwas wie eine De-votio des Kreuzes, aber in der griechischen Patristik, wenigstens dort, wodie Theologie des Martyriums in den Hintergrund getreten war, tritt dasTeilen-Mussen seines Leidens, Schmach, Schmerz zuruck, weil da das Ab-stiegsschema im Hintergrund ist. Durch Christus ist ja der Durchbruch desLichtes, der Herrlichkeit, Gnade geschehen, und unsere Aufgabe ist, daranzu partizipieren. Im Mittelalter wird das naturlich ganz anders.

3.4.9 Beziehung des Menschen zum Logos

Auf eine Sache mussen wir noch eingehen, die nicht ganz unwichtig ist furdas Verstandnis der griechischen Patristik: auf die Beziehung des Menschen

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

zu Christus, dem Logos. Auch hier macht sich etwas geltend, was mehr zurinkarnatorischen Gnadentheologie passt.

Die Griechen haben es vom Platonismus her leichter, sich alle Men-schen in Christus (Adam) eingeschlossen zu denken, den real-mystischenEinschluss der Menschen in der Menschheit Christi, wo sich der Lateinerschwerer tut. Christus ist der Mensch von vorneherein, wir partizipieren andiesem Menschen, und zwar nicht nur in der abstract- logischen Weise,

”die

in Christus und uns Menschen verwirklicht ist“, sondern als real-mystischeEingeschlossenheit gedacht:

”Wir sind in Christus“. Im Verstandnis dieses

real-mystischen Wortes tut sich der Grieche leichter als wir vom Aristote-lismus her.

Wenn man mal ganz massiv ubertreibend formulieren wollte, so konnteman sagen:. Die griechische Gnadentheologie ist eine der Vergottlichungdes Menschen in fortschreitendem Aufstieg des Menschen zu immer hohe-rer Gnosis, in der Kraft des fleischgewordenen Logos, der eben, indem erdas tat, den Menschen vergottlichend, wieder geboren werden lassend, denMenschen mitnahm in seine in Gefahr weltlos zu werdende Menschheit.

Der Grieche denkt an die Vergottlichung des Kosmos und denkt kos-misch, nicht individuell personal, wie der Abendlander.

3.5 Gnadenlehre in der lateinischen Patristik

Was die lateinische Gnadentheologie der Vater angeht, so konnen wir unsauf Augustinus beschranken. Denn was vorher da ist, ist entweder schlichteAussage des Evangeliums oder Entlehnung von der griechischen Patristikher. Ambrosius, Hieronymus schreiben Origenes ab und bewirken so, dassein großes Erbe der griechischen Theologie in der abendlandischen Theolo-gie vorhanden ist. Augustinus fangt ja auch nicht von vorne an. Zu diesemgroßen Erbe gehoren Dinge wie Allegorie, Corpus Christi mysticum usw.

Wo fangt spezifisch Abendlandisches an? Bei Augustinus.

3.5.1 Augustinus

24.10.1956 Vorlesung 6.

3.5.1.1 Mensch, Bedeutung, Charakter

Er ist besonders fur die Gnadenlehre der Vater der Theologie, der, auf denman sich immer wieder berufen hat, auf den sich die verschiedensten Schu-len innerhalb und außerhalb der Kirche berufen haben: die Reformatoren,

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3.5 Gnadenlehre in der lateinischen Patristik

Bajus, Jansenius, Kongruismus, Banezianische und thomistische Gnaden-theologie.

Er hat den Manichaismus uberwunden und ist doch von seiner Lebens-fuhrung in dieser Periode des Manichaismus her der Mensch, der zwarduster in die Welt hineinblickt, das Elend, die Schuld, die Verstricktheitdes Menschen in die Finsternis sieht und doch der Mensch, der mit demgroßen brennenden Herzen abgebildet wird, und der die Spannungen seinesLebens in seiner Theologie widerspiegelt und sie dort aushalten muss.

Augustinus kennt einen großen Teil der griechischen Tradition in derGnadenlehre, nicht, weil er sie gelesen hat, sondern weil sie ein Allgemein-gut auch der lateinischen Tradition geworden war. Er predigt viel aus derSchrift, viel Traditionelles. So kommt bei ihm vor: die Geburt aus Gott, inChristus Eingegliedertsein, aus dem einen Geist, dem Geist Christi Leben,das Ausgegossensein des Geistes Christi, durch den Geist, der uns gegebenist ...

Andererseits gibt es auch die Lehre von der heiligmachenden Gnade,von der dauernden rechtfertigenden Wirkung der Gnade durch die Taufeim Hl.Geist, der als Umwandlung des Menschen im Menschen wohnt.

Aber Augustinus ist doch in erster Linie dort, wo er in wissenschaftlicherWeise gegen die Irrlehrer der Gnadenlehre schreibt, der, der den Menschenin seiner aktuellen, heilenden Gnade Gottes sieht. Wenn er das StichwortGnade sagt, dann denkt er nicht in erster Linie an die rechtfertigende Gnadeals einer dauernden Bestimmung des Menschen sondern an die Gnade, diedem Menschen zu aktuellem Heilshandeln hilft, indem sie ihm hilft, sichaus jener lastenden Knechtschaft der Sunde zu befreien.

Modern formuliert: Augustinus ist der Lehrer der aktuellen Gnade inso-fern sie die heilende und helfende Gnade ist, helfend das Gesetz Christi zuerfullen, das heißt nicht als Sunder, sondern als Kind Gottes zu handeln.

Dabei sieht Augustinus vor allem den Widerstand, den diese Gnade zuuberwinden hat und gerade in seinen polemischen und wissenschaftlichtheologischen Werken, damit Gnade nicht so sehr als dasjenige, was einegute Natur des Menschen vergottlicht und in gottliche Dimensionen erhebt,sondern als das, was den gefallenen sundigen Sohn Adams gerecht undGott angenehm macht und ihm die Moglichkeit gibt, das Gesetz Gottes zuerfullen.

Daraus ergeben sich die Punkte, auf die es hauptsachlich ankommt.

3.5.1.2 Spezielle Punkte aus der Gnadenlehre Augustinus’s

Augustinus betont die Notwendigkeit dieser Gnade zu jedem Heilswerk ge-genuber dem Pelagianismus. Er kampft ja schon vom Beginn des funftenJahrhunderts an, wo Pelagius auftritt und Julian von Eklanum, gegen den

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Pelagianismus, bis zum Ende seines Lebens (im opus imperfectum). Auchgegen das, was wir heute den Semipelagianismus nennen, gegen die Monchevon Sudgallien. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens sind diesem Kampfgewidmet. In dieser antipelagianischen Richtung seines theologischen Den-kens ist die Notwendigkeit der Gnade zu jedwedem Heilsakt betont.

Naturlich, da er den konkreten Menschen als den konkret Gefallenensieht, wo er das Heil des Zu-Gott-Gelangens wirken muss, sieht er in einemdie Erfullung des Gesetzes als eine heilswirksame Erfullung des Gesetzes.Er unterscheidet nicht zwischen Erfullung des Naturgesetzes auf der einenSeite und ubernaturlicher, erhohter Erfullung der Gesetze auf der anderenSeite; die Unterscheidung zwischen actus honestus und salutaris (was spaterfundamental werden wird) ist bei ihm nicht herausgearbeitet.

Er blickt auf den konkreten Menschen und sagt:”Der muss sein Heil

durch Taten wirken“. Wie kann er das? Nicht aus eigenen Kraften son-dern nur durch die Gnade Gottes, die ihn befreit. Die Frage nach einerNotwendigkeit einer ubernaturlich erhohenden Gnade des Menschen undseiner Tat einerseits und der Notwendigkeit einer heilenden Gnade und derBegierlichkeit andererseits werden nicht unterschieden. Es wird ungetrenntdie Notwendigkeit der Gnade eingescharft.

3.5.1.3 Zusammenfassung

Dass Gott die Initiative hat, dass der Mensch nicht in autonomer FreiheitGott gegenubersteht, dass er immer, nicht bloß in dem Wort der Offenba-rung sondern auch der Gnade Gott gegenuber der Antwortende ist auf einWort, das Gott ergehen lasst, so wie er will, dass der Mensch der ist, derauf das Erbarmen Gottes angewiesen ist, dass er in einer heilsgeschichtli-chen Situation der Erbsunde geboren ist und nicht im Besitz der Freiheitzu heilskraftigem Handeln ist, all das, was fur Christen selbstverstandlichist, fur einen der Paulus gelesen hat, und was doch wieder Wahrheitensind, die der Mensch immer wieder vergisst, dass diese von Augustinus sounuberhorbar dem Christen des Abendlandes eingepragt wurden, ist dasVerdienst des großen Lehrers der Gnade.

Gnadenlehre des Augustinus ist noch auf dem Wege.

3.5.1.4 Was wollen wir damit sagen?

Aber wir durfen auch nicht ubersehen, dass die Gnadenlehre des Augusti-nus noch auf dem Wege ist. Spater, im 17. Jahrhundert, wurde der Satzverworfen, man brauche nur Augustinus folgen. Augustinus ist auch nurein Lehrer in der Kirche. Was er sagt, ist nicht einfach das restlos Ganzeder katholischen Wahrheit des Evangeliums.

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3.5 Gnadenlehre in der lateinischen Patristik

Die Griechen haben auch etwas zu dieser Wahrheit beizusteuern, und daswas das Mittelalter mit den begrifflichen Moglichkeiten des Aristotelismusgesagt hat und was im Kampf gegen reformatorische Ideen, gegen Bajusgesagt wurde und von der nachtridentinischen Theologie gesagt wurde,muss auch berucksichtigt werden.

Augustinus brauchte das doch nicht berucksichtigen. Jeder Mensch ist eingeschichtliches und in seiner Wahrheitserkenntnis perspektivisches Wesen;er sieht alles aus einer gewissen Perspektive. Er macht Unterscheidungen,um andere zu ubersehen, er schaut Gewisses kontrastierter, um anderesnicht zu sehen. Er ist der geschichtlich Bedingte, aber doch nicht der, dereinfach uberholt ist durch das Spatere.

Das aber gibt uns auch immer wieder den Auftrag, im Lehrer der Gnadewieder zu studieren, um das Neue in seiner Perspektive zu sehen, um wiederanderes weniger deutlich zu sehen. Denn der Mensch ist ein geschichtlichesendliches Wesen, das immer ergreift, indem es aufgibt und Fortschrittemacht, indem es weggeht von Wahrheiten, die andere deutlicher erkannthaben. Das muss man immer bedenken, wenn man die Gnadenlehre Au-gustins studiert. Sie ist aber Ausgangspunkt und nicht Endpunkt.

Es stellt sich nun die Frage: In welcher Hinsicht konnen wir dieser augus-tinischen Gnadenlehre auch ihre Endlichkeit ansehen, wie sie gerade dort,wo sie die Wahrheit der Kirche verteidigt, den Tribut ihrer Endlichkeit be-zahlt, was es mit sich bringt, dass gerade der, der in wahrem Mussen dieWahrheit verteidigt, indem er sie verteidigt, es so macht, dass er sich mitseinem Schatten vor die Wahrheit stellt? Denn das hat Augustinus auchgetan.

3.5.1.5 Geschichte der Zurechtdistinguierung des Augustinus

Man kann naturlich in einer scholastischen dialektischen Methode immerbeweisen, dass das, was er sagte, so und so distinguiert werden musse. Bisins 19. Jahrhundert haben wir die Geschichte der Zurecht-Distinquierungdes Augustinus. Wo er nicht so recht in den Kram passte, da sagte mannicht, das sagte Augustinus und das ist aber doch falsch, sondern da wurdedistinguiert und gesagt, ja das muss man so verstehen.

So findet z. B. der Kongruismus Satze, die bei ihm passen, und distin-guiert andere, die nicht passen, und ahnlich alle anderen.

Wo man sich gegen Reformatoren wehrte, sagte man nicht: er hat diesenMangel und Ansatz in diese Richtung, den ihr zu ausgewachsener Haresiemacht; sondern man sagt: Das hat er gar nicht gemeint; und dann zitiertman einen Satz, den er auch gesagt hat.

Nur dumme Leute widersprechen sich nicht, weil sie nur ein geringesRepertoire haben. Bei großem weitem Geist wie Augustinus, der einmal

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

mit den Manichaern sich raufen musste, einmal kampfen musste gegenabsoluten Heilspessimismus einerseits und wieder gegen Pelagianismus an-dererseits, wenn der von dieser inneren Erfahrung aus Dinge sagte, die inder Wahrheit seines großen Herzens zusammenpassten und in der gegen-standlichen Formulierung nicht zusammenpassen oder schwer, dann ist dasverstandlich.

Will man Augustinus in ein System bringen, dann wird das zu einemhalben System, wie wir heute oder zu einem haretischen wie bei Bajus,Jansenius, Reformatoren.

Heute sollte man anerkennen: Das hat er deutlich gesagt und das und dassieht er nicht, merkt die Konsequenzen nicht. Manches bleibt ihm dunkel.Da sollte man deutlich sehen, und die verkrampften Versuche, alles beiihm in unser System hineinzubringen, bleiben lassen und zugeben, dass ermanches, was die Kirche inzwischen gesagt hat, eben noch nicht gesehenhat.

Auch das Unvollkommenere ist oft irgendwo noch das Reichere, das mitden großeren Valenzen noch Ausgestattete. Auch eine definierte Klarheitkann erkauft sein mit weniger deutlich Sehen der ganzen Wahrheit.

Wer das leugnet, der behauptet, entweder dass er Gott sahe, das heißt,dass er die Fulle der Wahrheit auf einmal prasent habe, und das kannman nur, wenn man Gott von Angesicht zu Angesicht sieht, oder dass dieWahrheit A gleichsam monadisch fur sich ware und mit der Wahrheit Bgar nichts zu tun habe, so dass man A erkennen konnte, ohne sich umB kummern zu mussen. Das ist falsch, weil die eine Welt von dem eineneinfachen Gott stammt. Es kann nicht sein, dass es eine Wirklichkeit gibt,die ganz erkannt ist, ohne dass man das Ganze der Wahrheit erkennt, d.h.Gott von Angesicht zu Angesicht. Mit anderen Worten, jede Wahrheit istauch dort, wo sie erkannt wird, endlich erkannt, das heißt, sie kann nochweiter erkannt werden, sie ist nicht die Fulle der Wahrheit.

Die andere Moglichkeit:”Entweder wahr oder falsch“ usw., geht nicht,

weil es definiert ist.

Das muss man begreifen, dann begreift man auch, dass auch der großteGeist immer noch das Ganze noch nicht haben kann. Naturlich ist es nichtso, als ob wir es jetzt hatten, aber wir mussen es so begreifen, wie wir esbegreifen, um es uberhaupt zu begreifen. Nicht so, dass diese eine Millionund wir zehn Millionen im geistigen Tresor haben.

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3.5 Gnadenlehre in der lateinischen Patristik

3.5.2 Welche endlichen Mangel weist die GnadenlehreAugustinus auf?

3.5.2.1 Pradestinationslehre (universellen Heilswillen gibt es bei ihmnicht)

Fur Augustinus ist es im Grunde so, dass nach der Erbsunde die Menschheitdie massa damanta ist, die also, wo der Einzelne einfach deshalb, weil er einSohn Adams ist, eo ipso mit Recht vor Gott der Verlorene ist, der keinenAnspruch auf das Heil hat, der in Adam dieses Heil schon verwirkt hat,wobei er nicht unterscheiden kann (oder hochstens am Rande oder es zuspat tut) zwischen Erbsunde und personlicher Sunde.

Hintendrein, wenn diese Distinktion einmal da ist, wenn es klar ist, dassdie Erbsunde analog Sunde ist und der Heilsverlust durch sie nicht das-selbe ist wie der Heilsverlust durch personliche Sunde, dann sagt auch derDummste: Ist ja klar, wie kann man es uberhaupt ubersehen. Dass dasnicht so einfach ist, zeigt schon die Tatsache, dass es erst nach 200 Jahrenangenommen wird, weil es nicht zum anderen passte, weil nichts Neueskommen kann.

Augustinus sieht diese Unterscheidung zwischen personlicher Sunde undErbsunde nicht. Augustinus kennt nach der Erbsunde (infralapsarisch)einen echten Heilswillen Gottes, der sich auf alle Menschen erstreckt, nichtmehr.

Die Menschheit marschiert in das Verderben. Aus dieser massa damnataruft Gott einige heraus durch seine Gnade, und das ist dann die Gnade,so dass Augustinus in seinem System neben der wirksamen Gnade einehinreichende Gnade nicht kennt.

Uberall, wo wir das Stichwort”hinreichende Gnade“ erwarten wurden,

z. B. auch in den spateren Schriften”De Pradestinatione Sanctorum“ fehlt

dieses Wort.Wenn Augustinus erklaren will, warum nicht alle Menschen gerettet wer-

den, dann sagt er nicht, sie weisen die hinreichende Gnade zuruck, sonderner sagt, sie werden von Gott durch gerechtes Gericht wegen der SchuldAdams in der massa damnata gelassen.

Der Scholastiker kann da sagen: Ja durch diesen Text leugnet Augustinusja die hinreichende Gnade nicht. Also wenn er rekurriert auf die Erbsunde,dann will er erklaren, dass er manchen nur hinreichende Gnade gibt, unddamit leugnet er nicht die hinreichende Gnade. Kann man naturlich somachen.

Aber wenn man sieht, wie Augustinus da ins Gedrange kommt, wie seinliebendes Herz selbst in eine verzweifelte Situation kommt, dann muss mansagen: nein, nein, wenn er das so klar gehabt hatte, dann hatte er dieses

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Atomgeschutz gegen den Pelagianismus an dieser Stelle eingesetzt. Er hat’snicht und greift deshalb zu theologischen Uberlegungen, die so weit herge-holt sind, dass man sagen muss, es sind Ausreden, die er nicht gebrauchthatte, wenn er diese Unterscheidung klar bewusst gehabt hatte.

Er greift, um den Satz zu erklaren, Deus vult omnes homines salvos fieri,zu den kompliziertesten Ausreden, um das

”alle“ wegzubringen, weil er nicht

erklaren kann, wie Gott einen solchen Heilswillen haben kann, weil es beiihm nur wirksame Gnade gibt. Darum will er das

”alle“ wegdistiguieren.

24.10.1956 Vorlesung 7. (2.Stunde)

3.5.3 Wiederholung, Zusammenfassung

Augustinus kampft gegen den Pelagianismus, der behauptet, das Evange-lium kann nur die Vergebung der Sunden sein, die man begangen hatte,aber nicht begehen musste, so dass man Gnade nur das nennen kann, washilft, die Sunden nicht zu begehen, die man sowieso nicht begehen muss,das heißt, die man von Natur aus schon meiden kann, also Gnade ist etwasNicht-Notwendiges, Dazu-Gegebenes.

Dagegen betont Augustinus die Notwendigkeit der Gnade fur jedes Heils-werk, das von Bedeutung ist. Diese Gnade wird stillschweigend als Gnadevorausgesetzt, so wie wir sie als wirksame und hinreichende unterscheidenwurden.

Fur den paradiesischen Menschen vor dem Sundenfall kennt Augustinusdas, was wir heute hinreichende Gnade nennen wurden, adiutorium sinequo non, solche Gnade, mit der er beharren hatte konnen, obwohl er nichtbeharrt hat.

Den Menschen nach dem Sundenfall gibt Augustinus nicht das adiuto-rium sine quo non sondern quod non, also die Hilfe mit er sie das Heiltatsachlich wirken. Da kennt er nicht universellen Heilswillen. Texte, diedem entgegenstehen, werden von Augustinus willkurlich zurechtgedeutet.

Augustinus hat den Eindruck, dass Gnade keine Gnade mehr ware, wennsie von Gott allen zugedacht ware. Sie ist nur dann Gnade, wenn sie wenigengegeben wird. Was allen gegeben ware, ware keine Gnade mehr, das ist diestillschweigende Voraussetzung, die uns heute nicht mehr einleuchtet.

Naturlich ist dieser Augustinus, der den allgemeinen Heilswillen Gottesubersieht, dennoch kein Jansenist.

Denn er hat ja die Existenz einer hinreichenden Gnade nicht geleugnet,und wenn man das nicht explizit tut, so leugnet man nicht ohne weiteresmateriell eine solche durch die anderen Mangel, z. B. durch die Vorbetonungder wirksamen Gnade.

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3.5 Gnadenlehre in der lateinischen Patristik

Andererseits, weil und insofern es einen wirklichen Unterschied gibt zwi-schen den beiden Gnaden, der von Gott kommt und nicht vom Menschen,(insofern) sieht er ja mit Recht das Geheimnis der Gnadenwahl Gottes, dernicht nur der Registrator der freiheitlichen Entscheidung des Menschen ist,sondern tatsachlich nach eigenem freien Wohlgefallen gibt.

Wenn wir das”Nicht-Leugnen der zureichenden Gnade“ sondern

”das

Ubersehen dieser Gnade, das nicht beabsichtigt ist“ berucksichtigen, dannkonnen wir nicht sagen, er sei im Grunde ein Jansenist.

Denn es ist ein wesentlicher Unterschied, ob man etwas ubersieht oderausdrucklich leugnet, ein Unterschied, ob diese Mangel selbst zu positiv be-haupteten Grundsatzen eines Systems werden oder ob sie nur durch Uber-sehen entstehen.

Es ist ein Unterschied ob man etwas Unzulangliches im 5. oder im 16.Jahrhundert sagt.

Durch schismatisches Denken in Gefahr, zu haretischem Denken zu kom-men, das ist der Fehler des Bajesianismus, der Reformatoren. Sie verengtendie Mangel des Augustinus zu grundsatzlichen Positionen. Damit trennensie sich von den grundsatzlichen Positionen des Augustinus, der diese En-gen eigentlich gar nicht wollte.

3.5.3.1 Ansatze bei Augustinus in andere Richtung

Dass Augustinus diese Mangel eigentlich nicht wollte, das sehen wir, wennwir auf den predigenden Teil von Augustinus blicken.

Dort weiß er, dass, so wie alle in Adam waren, auch alle in Christus sind.Er sagt auch: omnis homo Christus, alle sind in wahrem Sinne in Christus,berufen und begnadigt.

Wenn diese Seite auch so ausgebaut worden ware, durfte er den univer-sellen Heilswillen nicht beschranken; dann musste er bekennen, dass auchder Satz

”omnis homo Christus“ eine solche Fulle des Heils hat, dass der

Mensch kein Recht hat, dieses zu restringieren und hinter die Plane undEntscheidungen Gottes zu kommen.

So, wie das”omnis homo Adam“ das nicht einschrankbare Mysterium

der Schuld in Adam ist, so auch das”omnis homo Christus“ das nicht

einschrankbare Geheimnis einer seligen Berufung des Menschen.

Im Grunde setzt er voraus, jeder Mensch, den er anruft, ist ein durchGottes Gnade Berufener. Diese existentielle Seite seines Denkens, die imVollzug des Denkens aktiviert bleibt, nicht weiter ausgefuhrt zu haben, istder entscheidende geschichtliche Mangel, der nicht haretisch verabsolutiertwerden darf.

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

3.5.4 Verhaltnis von Gnade und Freiheit.

Was das Verhaltnis von Gnade und Freiheit angeht, so ist festzustellen, dassAugustinus (auch spater!) nie die Freiheit des Menschen der Gnade gegen-uber geleugnet hat. Liberum arbitrium bleibt erhalten. So unterscheidet ersich von den Reformatoren.

Freilich steht ebenso wenig das liberum arbitrium den Angeboten Gottesautonom gegenuber. Eine solche Freiheit hat Augustinus immer abgelehntund die gibt es auch nicht. Denn die Freiheit des Menschen ist doch nur einegeschaffene Freiheit, die nicht nur in ihrer Moglichkeit als Natur, sondernauch im Vollzug als Tat immer eingefangen bleibt in der Verfugung Gottes,so dass Gott nicht nur das Konnen, sondern auch das Vollbringen dieserFreiheit bringt in seiner Gnade. Das ist nicht nur augustinisch, sondernauch gut katholisch.

[—–Das hier es nicht nur so lernen konnen dieser naturlichen Freiheit alsbei Augustinus (mir scheint hier schon etwas her zu gehoren, was weiterhinten wiederkommt: die Befreitheit zum Heilshandeln, die gnadenhaft ist,ist bei Augustinus immer in Gefahr mit der Freiheit uberhaupt verwechseltzu werden.—]

Freilich wird man auch sagen mussen, dass er die Freiheit als das Ver-mogen des So-Und-So-Handeln-Konnens des Menschen nicht leugnet, dassaber diese Freiheit befreit werden musse durch die Gnade zu einem wirkli-chen Heilshandeln-Konnen, dass sie also zu ihrem Heil erst frei wird, wennsie durch Gottes Gnade befreit wird.

Man wird, nachdem dies festgestellt ist, sagen mussen, dass Augustinusimmer in Gefahr ist, die der Gnade vorgegebene psychologische Wahlfrei-heit des Menschen zu verwechseln mit jener Freiheit, die Gottes Gnadeunserer psychologischen Wahlfreiheit gibt.

Die Befreitheit zum Heilshandeln, die gnadenhaft ist, ist bei Augustinusimmer in Gefahr, mit der Freiheit uberhaupt verwechselt zu werden.

Er sagt: selbstverstandlich sind wir frei, wir werden ja erst frei durch dieGnade Gottes. Der Sunder ist ja der Sklave seiner Leidenschaften. Gott istja der Freie, obwohl er nicht sundigen kann.

Das sind naturlich Tiefen eines christlichen Freiheitsbegriffs, die von derscholastischen Theologie nicht beachtet werden. Es ist klar, dass ich sagenmuss, obwohl ich die Freiheit immer habe, habe ich doch die Moglichkeitdes sittlichen Handelns zu meinem Heil verloren und erhalte sie nur durchdie Gnade Christi. Jetzt handle ich frei und dann notwendig. Die Notwen-digkeit ist die Vollendung dieser Freiheit.

Freiheit ist ja nicht das an sich, dass ich immer wieder anders handelnkann, einmal so und dann wieder anders. Frei heißt nicht wetterwendisch,arbitrar, immer wieder anders handeln konnen, sondern Moglichkeit, sich

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3.6 Nachaugustinische Theologie der Gnade

definitiv zu vollenden, nicht Moglichkeit zum wieder Veranderbaren. Gera-de physikalische Notwendigkeit des Untergeistigen ist ja eigentlich immerMoglichkeit zum wieder Veranderbaren.

Aber so sehr wir alle diese Tiefen bei Augustinus zugeben mussen, soauch, dass er immer geangstigt von der Wahlfreiheit auch der Gnade ge-genuber geneigt ist zu uberspringen, um das Hintergrundige zu sagen, woeinmal erst das Vorder-Grundige gesagt werden sollte. Hier wurde zunachsteinmal zu sagen sein, so wie es die Kirche spater tut: es gibt eine libertasindifferentiae, eine Wahlfreiheit gegenuber der Gnade, so dass man sagenmuss, der Mensch kann der Gnade widerstehen. Naturlich wird dann dasGanze schwieriger, als es bei Augustinus ist.

Die Wahrheit ist nur dort, wo es um Gott und seine Gnade und dieTiefen seines Wesens geht, wo Augustinus seine Erkenntnis zurucktreibt indas Unausschopfbare des ewigen Gottes selbst, tragt aber gerade dadurchden Charakter der wirklichen Wahrheit an sich.

3.6 Nachaugustinische Theologie der Gnade

3.6.1 Nichts Neues zunachst

Wir gehen in raschen Schritten weiter. Prosper von Aquitanien, Schulervon Augustinus, nicht sonderlich bedeutsam. 6. Jahrhundert: Augustinis-mus gegen Semipelagianismus. Abgeschlossen im Konzil von Orange (Arau-sicanum, erstes Viertel des 6. Jahrhunderts [529]).

Dieser Augustinismus ist ein irgendwie schulmaßig brav gewordener Au-gustinismus. Dadurch hat er den Vorteil, gewisse Harten des ursprunglichenAugustinismus verloren zu haben, irgendwo ist der Universalismus da usw.Pradestination, Unterschied zwischen hinreichender und wirksamer Gnadebleiben im Hintergrund, werden ausdrucklich eingeklammert: dass es dakeine Verpflichtungen gibt, dem großen Lehrer zu folgen.

Gregor der Große, Isidor von Sevilla, haben sich nicht ausdrucklich mitder Gnade beschaftigt. Gnade ist da in Gefahr, zu sehr von Augustinussich entfernend, aufgefasst zu werden als so eine Art innerer Ruf und Ein-ladung Gottes zum Heilstun. Aber Gnade wird dann eben nicht in ihrerschrecklichen und großen Gestalt gesehen, wie es bei Augustinus war, dersie sah als die wirksam rufende Gewalt. Sie ist wieder in Gefahr, eine allge-meine Einladung, ein bloß allgemeiner Antrieb zu werden, den Gott jedemMenschen gibt, wobei man den Eindruck hat, ob sie wirksam wird oderbloß hinreichend, hangt nur vom Menschen ab. Das wird aber nicht reflexerkannt. Man beschaftigt sich nicht ausdrucklich mit der Gnade.

So kommt es, dass das Arausicanum (Konzil von Orange), wo in einer

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

sudgallischen Synode der Semipelagianismus verurteilt wurde, herzlich un-bekannt ist, und man deshalb auch das Problem garnicht mehr so sieht, wiees von Augustinus und vom Inspirator dieser Synode, Caesarius von Arles,gesehen worden war. Dadurch ist es moglich, dass Cassian, der in seinenCollationes diesen Semipelagianismus verbreitete, lange Zeit hindurch diegeistliche Lesung in den Klostern war, auch noch bei Theresia.

Dass diese Dinge nicht ausdrucklich aufgefasst und gesehen wurden, siehtman auch an Folgendem, bei Vinzenz von Lerin. Seine letzte Absicht war,dem Augustinus eins drauf zu geben, weil ihm die augustinische Gnaden-lehre nicht gefiel. Sein ganzer Traktat uber die rechten Lehren in der Kirchewird geschrieben, um die Prinzipien zu haben, sagen zu konnen, dass Au-gustinus nicht verbindlich sei mit seiner Gnadenlehre. Das hat man nichtgesehen, wenn man seine Bucher gelesen hat, so dass er unbefangen nochim Vatikanum 1 zitiert wurde (das was er dann tut auf Grund dieser Prin-zipien, stimmt nicht mehr!).

Diese Feststellung ist wichtig, weil sie den Schlussel gibt zum Verstandnisvon Beobachtungen im Mittelalter, die uns schockieren konnten. Wenn wirdie Interpretation, die fruher bei den Protestanten gelaufig war, anschauen,dann entdecken wir, dass der mittelalterlichen Theologie, auch der großenTheologie, der Vorwurf eines versteckten Semipelagianismus gemacht wur-de, dass der Mensch die Initiative habe im Heilshandeln, und zwar aufGrund seiner Natur.

3.6.2 Grunde fur scheinbar semipelagianischeFormulierungen: Entdeckung des habitus, Problemdes Anfangs dieses habitus

Richtig ist, dass das Problem nicht ausdrucklich gesehen wurde und es sozu unschuldigen Formulierungen kam, die man heute so nicht mehr sagenkonnte. Das hat seinen Grund in Dingen, auf die wir noch zu sprechenkommen werden: man wusste, dass jedes wirkliche Heilswerk des Menschenaus der Gnade kommt und nur durch sie moglich ist (aus Augustinus!),da aber aus Grunden, auf die wir gleich kommen werden, kam es da zugewissen Schwierigkeiten in der Formulierung.

Wir haben so gesagt: bei Augustinus gibt es war in seiner Paranese denBegriff der dauernden heiligmachenden Gnade, aber dort, wo er explizituber die Gnade schreibt, ist Gnade doch mehr oder minder die wirksameInspiration dynamischer Art fur das einzelne Heilswerk, himmlische Kraft,die Gott dem Menschen einfloßt, so dass er immer wieder Gott lieben kannund das Schwere uberwindet in einem

”Gott mehr lieben als sich selbst“,

wahrend der adamitische Mensch immer so ist, dass er sich mehr liebt als

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3.6 Nachaugustinische Theologie der Gnade

alles andere. Bei Augustinus ist also die aktuelle Gnade der Prototyp derGnade - auch heute noch! Auch wir denken nicht an die heiligmachendeGnade zunachst -

Das wird nun im Lauf der Hochscholastik gerade auf den Kopf gestellt.Jetzt wird in komplizierten Umstellungen durch den Einfluss aristotelischerKategorien (habitus!) der primare Begriff der Gnade die habituelle Gnade.Wenn Gnade gegeben wird, wird ein habitus gegeben, denkt der scholas-tische Theologe. Vielleicht ist es gar nicht falsch, dass Gott eigentlich dieFahigkeit, ubernaturlich handeln zu konnen, nur durch einen habitus ge-ben kann. Daher kommt es, dass ubernaturliche Heilsgnade und habituelleGnade bei Thomas dasselbe sind.

Darum ist die Gnade vollkommener Reue identisch mit der Rechtferti-gungsgnade selbst. Gott gibt das heilskraftige Handeln dadurch, dass erdas Vermogen, ihn setzen zu konnen, einen habitus, gibt.

So kommt jetzt die Lehre herein, dass es verschiedene solche habitus gibt,habitus der Liebe, der Hoffnung, des Glaubens usw.. Es taucht jetzt dieFrage auf, ob der habitus der heiligmachenden Gnade und der habitus derLiebe identisch sei oder nicht, was bei Augustinus unmoglich war. Gnadeist jetzt die Gnade Gott zu lieben.

Es taucht die Frage auf, ob es nicht bestimmte Akte gebe, die fur das Heilals Anfang wichtig sind, und doch nicht aus der heiligmachenden Gnadehervorgehen, weil sie das nicht konnen. Da kommen dann scheinbare semi-pelagianistische Formulierungen zustande, selbst noch bei Thomas.

26.10.1956 Vorlesung 8

Wir stehen im historischen Vorblick uber die Gnadentheologie beim Be-ginn des Mittelalters. Grundlegendes Moment: Benutzung aristotelischerBegriffe fur die Aussagen der Gnadentheologie.

Im Großen und Ganzen inhaltlich gesehen in den Bahnen des Augusti-nus weitergehend, denn die heidnische Philosophie kann nicht inhaltlichenBeitrag liefern.

Anstoß zu Veranderungen von der Seite der philosophischen Begriffekommend, die man in der Aussage des Dogmas benutzt.

In dieser Hinsicht ist entscheidend, dass man im Unterschied zu Augusti-nus’ aktualistischer Gnadenlehre jetzt mehr habituelle Gnadenlehre treibtund daraus auch die Lehre von der Notwendigkeit der Gnade neu begrun-det. Ob das leicht zu erfassen ist, oder ob es Schwierigkeiten gibt, werdenwir noch sehen - nachher, bei Thomas. -

Fur das gesamte Mittelalter gilt: Es wird weiter gemaßigter Augustinis-mus in der Gnadenlehre gelehrt, in aristotelischen philosophischen Termini,systematisiert und in Einzelfragen aufgeteilt. Das bringt neue Ideen und

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Gesichtspunkte zur Erfassung alter Probleme.

3.7 Auswahl aus der mittelalterlichenGnadentheologie, einige Dinge

3.7.1 Streit uber die Pradestination.

Gottschalk von Orbais (805-868), lehrte doppelte Pradestination, der Gu-ten zur Seligkeit, der Bosen zur Verdammnis. Der Streit war entstanden,weil von Augustinus her die Sache klar war und weil die Lehre vom wirkli-chen Heilswillen Gottes allen gegenuber und von wirklicher AuserwahlungGottes hinsichtlich derer, die das Heil erlangen, sehr schwer ausgleichbarsind.

Gottschalk studierte eifrig die Schriften Augustins und glaubte, doppeltePradestination sei das Richtige. 848 auf der Nationalsynode der deutschenBischofe in Mainz verurteilt. 849 Synode zu Quiercy zu Klosterhaft ver-urteilt. Sein Bischof Hinkmar von Reims, Rabanus Maurus, Pardolus vonLaon: Es gibt keine doppelte Pradestination, der Mensch ist frei, es gibteinen allgemeinen Heilswillen Gottes.

Es gab auch Freunde der Ansicht Gottschalks auf der Seite der Pradesti-natianer: Bischof Prudentius von Troyes, Abt Lupus von Ferriere bei Sens,Ratramnus von Alt- Korvey.

Synode von Quiercy 853, von Valence 855. Nur Partikularsynoden; dieSynodalen werden mit den theologischen Problemen nicht fertig.

859/60 Synode von Tousi bei Toul: Man stellt fest, dass die beiden vor-hergehenden Synoden, die sich in Ablehnung der Gottschalkschen Ansichtbekampften, nicht recht hatten.

Es gibt Pradestination: Der Mensch erlangt das Heil, weil Gott das Heilwirksam will und deshalb auch schafft.

Und andererseits: es gibt allgemeinen Heilswillen Gottes, und er ver-dammt niemand zur Holle vor der Voraussicht der durch eigene Freiheitgewirkten Schuld.

Wie das zusammenpasst, ist eine Frage, die damals nicht gelost wird undletztlich nicht gelost werden kann.

3.7.2 Anselm von Canterbury, +1109

1. Bekannt durch Erlosungslehre: Satisfaktionstheorie. 2. Er lehrte, dassdas Wesen der Erbsunde nicht in der Konkupiszenz besteht, sondern imVerlust der heiligmachenden Gnade. Dadurch ist die Moglichkeit gegeben,dass diese von der medizinellen abgesetzte Funktion, die nicht nur in der

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3.7 Auswahl aus der mittelalterlichen Gnadentheologie, einige Dinge

erbsundlichen Konkupiszenz, nicht in der Erweckung einer Gottesliebe imGegensatz dazu, bestehen kann. 3. Bei ihm ist auch noch anderes zu nen-nen: Idee der Prasenz Gottes gegenuber der Zeit - Aeterna praesentia Deiwird eingesetzt, schon damals, um gewisse Probleme zu bewaltigen, die furdas Zusammenstehen von Gnade und Freiheit von Bedeutung sind und furdas Wissen Gottes um die freie Entscheidung. 4. Auch, dass uber Augusti-nus hinaus die psychologische Wahlfreiheit herausgearbeitet wird, auch imVerhaltnis zur Gnade, da Augustinus irgendwie auf etwas ausweicht, wasnicht die menschliche Entscheidungs-Freiheit betrifft, sondern die von Gottgeschenkte Heilung und Befreiung dieser Freiheit. Hier bei Anselm habenwir den klaren Freiheitsbegriff des Mittelalters, der auch bei Thomas daist, wenn man auch bei Thomas nicht zweifeln ist, dass der augustinischeFreiheitsbegriff noch weiter wirkt und mehr bewahrt wird, als es spater derFall war.

3.7.3 Peter Abalard

Fur die Geschichte der Gnadenlehre ist weiter zu erwahnen ein Streit zwi-schen Peter Abalard und dem Konzil von Sens 1140 (Bernhard von Clair-vaux). Abalard war in Gefahr, Gnade und Freiheit pelagianisch zu interpre-tieren. Er hat Ausspruche getan, aus denen klar wurde, dass das Verhaltnisvon Gnade und Freiheit durch die Konstitution des liberum arbitrium ge-schehe. Jedenfalls wurde ein Satz zensuriert: quod liberum arbitrium perse sufficit ad aliquid bonum.

Er stellt sich die Frage nach den Tugenden der Heiden und Philosophen.Bei Augustinus ist es klar, dass diese glanzende Laster sind, so dass sieohne Hilfe Gottes absolut wertlos sind fur die Erlangung des ewigen Zieles.Da nun im Mittelalter die naturliche Sinnhaftigkeit der Akte des Menschendeutlicher ins Bewusstsein tritt, kommt es, dass man bei Aufrechterhaltungder augustinischen Grundposition doch deutlicher sieht, dass es eine Naturgibt, die zwar ohne Gnade Gottes den eigentlichen Sinn der tatsachlichenOrdnung ubersieht, aber doch auch einen Sinn hat. Dadurch entsteht jetztin reflexer Weise die Frage, wie es mit den Tugenden der Philosophen undHeiden steht.

3.7.4 Versuche einer Art Systematik der Theologie

In der Mitte des 12. Jahrhunderts haben wir die ersten Versuche einer ArtSystematik der Theologie uberhaupt. Man schreibt Kompendien; beruhmtdie Sentenzen des Petrus Lombardus (+1164). Er lieferte das Schulbuch,das von Thomas, Bonaventura usw. kommentiert wird.

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Wenn wir in die Sentenzen des Lombardus blicken, sehen wir, dass dieGnadenlehre an verschiedenen Stellen behandelt wird:

Pradestination: im ersten Buch (scientia Dei) Gnade und Freiheit: zwei-tes Buch (Schopfung, Sundenfall) d5,25,26 Engellehre und ErschaffungAdams. Glaube, Hoffnung, Liebe: drittes Buch (in der Christologie) d.23-33

Wichtig ist, dass es einen Tugendtraktat gibt in dieser Zeit, wo die ein-zelnen Tugenden in die einzelnen entfaltender Weise entwickelt werden.

Beruhmt ist Petrus Lombardus auch geworden in der Gnadenlehre inso-fern er die gottliche Tugend der Liebe mit dem Heiligen Geist selbst identi-fiziert. Dagegen hat Thomas protestiert und das als haretisch erklart. Dieganzen mittelalterlichen Theologen sind in diesem Punkt von ihm abge-ruckt.

Tugend und gottliche Tugend der Liebe ist fur das Mittelalter geschaffe-ner, eingegossener habitus, Fahigkeit des Menschen selbst, und kann nichtmit dem Heiligen Geist identifiziert werden. Dadurch entsteht auf der ande-ren Seite die Tendenz, die Rechtfertigungsgnade uberhaupt in sehr betonterWeise als habituelle, geschaffene Zustandlichkeit des Menschen zu sehen.Daran ist naturlich richtig, dass es eine solche geschaffene heiligmachendeGnade und entsprechende Tugend nach der Lehre der Kirche und Schriftgibt. Aber auf der anderen Seite ist in dieser Absetzung gegen eine in sichverstandliche Identifizierung von Liebe und Heiligen Geist, die etwas ist,was nicht so weit von Augustinus weg ist, etwas geschehen: - dadurch kames, dass die ungeschaffene Gnade in den Hintergrund trat und eigentlicherst wieder durch Scheeben (Petavius usw.) ausgegraben wurde.

Naturlich gab es immer eine Einwohnung Gottes. In der Frage der vi-sio beatifica kam die mittelalterliche Theologie nicht ohne ungeschaffeneGnade aus, aber wenn von heiligmachender Gnade die Rede war, war dieGeschaffene gemeint, kontrovers gegen Petrus Lombardus.

3.7.5 Gnadenontologie

Von da aus (12. Jahrhundert) sieht man in der Gnade diesen geschaffe-nen, zustandlichen, entitativen habitus und dem entsprechend auch beiden einzelnen Tugenden. Dadurch verlagert sich die Gnadenlehre von einerpsychologischen, phanomenologischen Betrachtungsweise in eine Gnaden-Ontologie, Metaphysik. Das hat naturlich auch seine bedeutsamen Folgen.

Ein habitus wird im Augenblick eingegossen, entweder hat man ihn odernicht. Wenn man deshalb die Rechtfertigung als habitus erkennt, ergibtsich, dass man ein stufenweises Werden dieser Rechtfertigung nicht hatund nicht haben kann. Deshalb sagt Thomas dass ...

Und wenn Thomas sich das Werden der Rechtfertigung uberlegt, dannist es der Augenblick, in dem der habitus infusus der gottlichen Liebe ein-

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3.8 Gnadenlehre bei Thomas

gegossen wird. Was in diesem Moment da ist, wie sich in diesem Momentder Mensch zu dieser Eingießung verhalt.

Wahrend Augustinus uber diesen Augenblick ein Drama dieser Recht-fertigung geschrieben hatte, konzentriert sich Thomas auf die Fragen: Wieverhalt sich Disposition und habitus nach dem Schema der causa efficiens,finalis, formalis usw.

Wir sehen also: Auch die große Theologie kann nicht anders als einseitigsein. Wenn man eines durchdenkt, vergisst man das andere.

Nun uberspringen wir die große Theologie, die in der ersten Halfte des 13.Jahrhunderts schon da ist und wenden uns gleich Thomas zu. Naturlich gibtes viele Arbeiten uber die Gnadentheologie des 13. Jahrhunderts. Landgraf,Auer, Lottin (belgischer Benediktiner) (die ganzen Probleme hinsichtlichder ubernaturlichen Tugenden. Dhont: uber Rechtfertigungslehre Doms:uber die Gnadenlehre Alberts des Großen, Manches von Pater Stufler isthier auch von Bedeutung. Was an historischen Arbeiten vor 1930 wichtigist, finden sie alles in dem lateinischen Gnadentraktat von Lange. Wasdanach bis 1945 im Großen Ganzen bei Rondet. Und seit dem: Muss manes zusammensuchen.

3.8 Gnadenlehre bei Thomas

3.8.1 Formelles

Auch beim hl. Thomas im Sentenzenkommentar sind die Stucke der Gna-denlehre dort zu suchen, wo sie bei Petrus Lombardus stehen. Auch in derSumma, wo ein schlichter, tiefsinniger Aufbau da ist, ist die Gnadenlehreauch noch an verschiedenen Orten verteilt. Problematisch ist der Aufbaubei Thomas, weil Christus erst im dritten Teil explizit auftritt, weil dieGnadenlehre schon in I,II auftritt, die doch von Christus abhangt.

Hauptstuck der Gnadenlehre I,II 109-114.1. I,II qu.109 De exteriori principio humanorum actuum, sc. de gratia

Dei2. I,II qu.110 De gratia Dei quantum ad eius essentiam3. I,II qu.111 De divisione gratiae4. I,II qu.112 De causa gratiae5. I,II qu. 113 De effectibus gratiae6. I,II qu. 114 De merito, quod est effectus gratiae cooperantis

Andere Stucke:7. I qu. 23 De praedestinatione Dei8. I qu. 24 De libro vitae9. I qu. 43 De missione divinarum personarum

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

10. I qu. 62 De productione angeli in esse gratiae et gloriae11. I qu. 95 De his quae pertinent ad voluntatem primi hominis sc. de

gratia et virtute et iustitiaI,II qu. 62-65 uber die eingegossenen Tugenden, also schon vor dem Hauptstuck

12. I,II qu. 62 De virtutibus theologicis13. 63 De causa virtutum14. 64 De medio virtutum15. 65 De connexione virtutumObwohl Christus erst in III, gibt es im zweiten Teil schon Stucke, wo

vom Gesetz Christi die Rede ist.• I,II 101/2 106 ss lex nova• II,II qu. 23ss ubernaturliche Liebe• III qu. 24 De praedestinatione Christi• III qu. 8 De gratia Christi secundum quod est caput ecclesiae

Gnade und Sakramente III qu 62, 69, 79 (Effekte der Sakramente)• III qu. 62 De principali effectu sacramentorum, qui est gratia• III qu. 69 De effectibus baptismi• lIII qu. 79 De effectibus sacramenti eucharistiae

Bei Thomas ist also die Gnadenlehre an verschiedenen Orten zerstreut,in anderer Systematik behandelt.

3.8.2 Inhaltliches der thomistischen Gnadenlehre

Wenn wir uns dem Inhaltlichen der thomistischen Gnadenlehre zuwenden,so sind heute sehr viele Dinge noch umstritten.

Dass Thomas auch eine sehr große Systematik in der Gnadenlehre hat,so wie er uberhaupt der schlichte Synthetiker ist, der in sehr offener Weisemit Blick fur die wesentlichen Dinge und doch mit metaphysischem Blickdie Dinge ordnet, an den richtigen Platz, in den richtigen Zusammenhangbringt, das gilt auch fur die Gnadenlehre. Diese grundsatzlichen Vorzugeder thomistischen Synthese brauchen wir hier nicht weiter ruhmen. In Ein-zelfragen werden wir spater immer wieder immer wieder auf Thomas zuverweisen haben.

3.8.3 Charakteristik der thomistischen Gnadenlehre

3.8.3.1 Grundvoraussetzungen: synthetische geschichtliche Stellung

Wenn wir fragen, was charakterisiert die Gnadenlehre des Thomas im Be-sonderen, dann konnte man auch sagen, er hat alle Eigentumlichkeiten,

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3.8 Gnadenlehre bei Thomas

die die mittelalterliche Theologie im Allgemeinen hat: Vorwiegen forma-ler Aspekte weniger Interesse an Psychologie Zurucktreten eines Interes-ses an der Geschichte der Gnade als Heilsgeschichte (wo einzelne Phasender Heilsgeschichte ebenso viele Phasen einer allgemeinen Heilsgeschichtesind.) Solche und ahnliche Zuge der mittelalterlichen Gnadenlehre kehrenbei Thomas wieder.

Daruber hinaus ist zu sagen: Er ist vielleicht auch ein synthetischer Mannnicht nur in seiner Theorie sondern auch in seiner geschichtlichen Stellung.Er bedeutet einen idealen Moment des Ubergangs, wo das Alte noch le-bendig da ist und das Neue schon da ist.

Wie ist das gemeint?Man konnte vielleicht sagen: Er ist der Augenblick, wo in einer viel-

leicht noch nicht bewaltigten Weise die Synthese zwischen augustinischerZusammenschau und nachtridentinischer Zerfallung von Natur und Gnadegegeben ist. Denn bei Thomas haben wir schon die Distinktion von Naturund Gnade sehr deutlich, und doch noch in einer Weise, in der der einheit-liche, noch ungespaltene Grundentwurf des Menschen als eines Menschender gottlichen Gnade noch da ist.

Darum ist Thomas auch sehr schwer historisch zu interpretieren. Jederfindet in ihm das, was er will. Z. B.:

Man kann Stellen finden, die an die Pradestinationslehre Augustins an-klingen, die auch den einheitlichen Blickpunkt des Augustinus beibehalten,und die als systematische Grundstruktur fur die konkrete Daseinsordnungdes Menschen noch sehen: Der Mensch ist zum Ubernaturlichen berufenund ein anderes Ziel gibt es nicht fur sein Dasein.

Andererseits hat er die Distinktion zwischen Natur und Ubernaturli-chem. Er hat die Unterscheidung in naturliche und ubernaturliche Tugen-den, was Augustinus noch nicht kennt. Augustinus: Wo der Mensch nichtaus der Gnade handelt, sundigt er in jeder Handlung. Bei Thomas waresolche Ausdrucksweise nicht mehr moglich.

Thomas ist der typische ideale Ubergangspunkt zwischen alter und neuerTheologie in der Unterscheidungsfrage des Verhaltnisses von Natur undGnade. Wie sich das auswirkt, soll noch ein bisschen deutlicher gezeigtwerden.

3.8.4 Auswirkung dieser geschichtlichen Stellung auf dieLehre von Natur und Gnade

Thomas hat naturlich von Aristoteles her deutliche Begriffe und handfesteBegriffe fur die Lehre von der Natur des Menschen. Eine eigentliche ari-stotelische Ziellehre gibt es nicht. Und so ist die Lehre des Thomas ein

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Ubergangsphanomen, eine ideale Synthese zwischen aristotelischer Natur-lehre und augustinischer Ziellehre, derart, dass dort wo Thomas vom Zieldes Menschen spricht, er immer augustinisch denkt und deswegen mindes-tens explizit eine eigentliche naturliche Ziellehre nicht entwickelt, sonderndas eigentliche Ziel des Menschen ist die visio beatifica, daraufhin hat derMensch ein desiderium naturale. Was das ist, fuhrt er nicht aus.

Interessant ist, dass Thomas sich so ausdruckt. Man kann sich den Kopfzerbrechen, wie das zu interpretieren sei. Man kann nachweisen, dass damitThomas nichts sagt, was gegen die antibajanische Lehre von der Ungeschul-detheit der visio beatifica ware.

Wichtig ist, dass Thomas einen Menschen kennt, der eine Natur hat, dieauf ein ubernaturliches Ziel ausgerichtet ist, und dass dieses Ziel nur durchdie Gnade erreicht werden kann.

Dass das nicht etwas ist, was gegen spatere Lehre spricht, ist schon,und recht interessant ist, dass Thomas die Dinge so noch zusammenhalt:Dass der Mensch eine Natur hat, dass diese Natur auf ubernaturliches Zielausgerichtet ist und dass dieses Ziel, das ihr einziges ist, das sie ersehnt,nur durch die ubernaturliche, ungeschuldete Gnade erreicht werden kann.

7.11.1956 Vorlesung 9

Wir haben begonnen, uns ein wenig den hl. Thomas und seine Stellungin Bezug auf die Gnadenlehre anzuschauen. Er kommt von Aristoteles herund sucht insofern den Menschen ausdrucklich zu begreifen: die bestimmteNatur des Menschen. Darin ist eine bestimmte Struktur seines Wesens ge-geben. Welches ist ihre Hinordnung, ihr Ziel? Bei der Beantwortung dieserFrage schiebt sich nun in diese Naturlehre, gleichsam daruber, die augus-tinische Ziellehre. Diese Natur hat als Ziel die visio beatifica, und wennder Mensch die nicht erreicht, hat er sein Ziel verloren. Und dieses Ziel isteines, das ihm nur durch die Gnade Gottes geschenkt werden kann.

Thomas ist sich deutlicher als Augustinus daruber klar, dass das nichtnur daher kommt, dass er sein Ziel durch die Sunde verloren hat, undes ihm als Sunder wieder geschenkt werden muss, sondern er ist sich be-zuglich dieser Gnadenhaftigkeit daruber klar, dass die visio beatifica demMenschen schon vorher ungeschuldet ist, uber die immanenten Fahigkeitendes Menschen, uber seine Natur hinausgeht.

In diesem Doppelten, einer augustinischen Ziellehre und philosophischenNaturlehre, bleibt Thomas stehen. Er kennt kein naturliches Ziel. Insoferner davon redet, ist das naturliche, diesseitige Ziel des Menschen gemeint.

Die Vorstellung, die in der nachtridentinischen Zeit ausgebildet wurde,dass der Mensch ein naturliches Ziel schon haben musse, das uber dasdiesseitige menschliche hinausliegt, also ein jenseitiges, diese Vorstellung

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3.8 Gnadenlehre bei Thomas

ist vielleicht in den Pramissen da, aber nicht ausgebaut bei Thomas. Erdenkt an die diesseitigen Ideale des Aristoteles in der nikomachischen Ethik.Wenn er an Jenseitiges denkt, denkt er an visio beatifica.

Wenn man sich auf diesen Rahmen beschrankt ist es so, dass man sagt,der Mensch hat von Natur aus ein Begehren nach der visio beatifica. Trotz-dem sagt er, sie ist ein ungeschuldetes Ziel, das ihm von Gott durch Gnadeund Glorie geschenkt werden muss.

Nebenbei: jetzt verstehen wir auch, was Thomas darunter versteht, wenner fragt, ob der Mensch auch in puris naturalibus hatte geschaffen werdenkonnen. Er denkt dann an die Frage, ob der Adam schon mit heiligmachen-der Gnade geschaffen war, oder diese erst im Laufe seines Daseins erhaltenhat. Das ist die Frage, ob er in puris naturalibus war.

Er stellt sich die Frage nicht so, ob Gott den Menschen auch schaffenhatte konnen in puris naturalibus, so dass er es bleibt. Er mein nicht:reiner Naturzustand ohne ubernaturliches Ziel, sondern wo er das Ziel hat,aber die Mittel noch nicht hat aber einmal bekommen muss (die Gnade),namlich (meint er also damit) dass es sinnlos ist, dass man ihm die Mittelnie gibt.

Naturlich kann man mit recht sagen: Wenn das Ziel ubernaturlich ist,was Thomas sagt, dann konnte naturlich geistige Natur von Gott geschaf-fen werden, der die Erreichung dieses Zieles - oder gar das Ziel - verweigertwird. Diesen Schluss kann man ziehen, und insofern ist bei Thomas auch diespatere Distinktion zwischen Natur und Ubernaturlichem und dem Men-schen, der nur mit Natur und doch mit dem Ziel des Ubernaturlichen hattegeschaffen werden konnen, angelegt, aber nicht durchgefuhrt.

Und die Frage, wie sie durchgefuhrt werden musste, steht Thomas nichtin allen Nuancen gut und gerade, wie das in der spateren Theorie, einerArt Stockwerkstheorie zwischen Natur und Gnade durchgefuhrt wurde. FurThomas ist Gnade immer etwas, was auch ins Bewusstsein hinuberwirkt.Das Desiderium des Menschen ist etwas, was es beim Menschen gibt unddas sich auf das ubernaturlich Ziel erstreckt.

Mit anderen Worten: Wir mussen Thomas geschichtlich dort stehen las-sen, wo er ist. Das ist ein Vorzug fur ihn und fur uns.

Er macht uns fur seine Position darauf aufmerksam, dass es eine Unter-scheidung zwischen Natur und Gnade gibt und das Ubernaturliche wirklichungeschuldet ist und etwas, was den bestehenden Menschen ungeschuldetist, also nicht so, wie die Erschaffung (die nur dem Nicht- Bestehendenungeschuldet ist.)

Und das hat die spatere Theologie gut gelernt: Er macht uns daraufaufmerksam, dass man die Einheit von Natur und Gnade im konkretenMenschen nicht auseinander reisen darf, und macht uns darauf aufmerk-sam, dass man seinen Intentionen nicht gerecht wird, wenn man die Natur

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

so begreift, dass ihre Potenz fur Ubernaturliches bloße Non-Repugnanz ist.Wenn das so ware, dann gabe ist kein desiderium naturale zum ubernatur-lichen Ziel. (Ob das innatum oder anders ist, ist hier nicht die Frage).

Jedenfalls gab es eine Auffassung, die die Natur rein in sich abgeschlos-sen betrachtete, so dass Gott ein hoheres Stockwerk darauf gesetzt hatteund das wir als gehorsame Kreatur zur Kenntnis genommen haben. Abervon uns aus ist es so, dass wir am liebsten innerhalb der Natur selig ge-worden waren. Und diese Theologie konnte von Thomas, von seinen mehraugustinischen Ansichten her, schon wieder eine Korrektur erfahren undannehmen.

Nach Thomas besitzt die Menschheit von Anfang an die heiligmachendeGnade, so dass also die gesamte Menschheit vom ersten Augenblick desAdams an schon auf das ubernaturliche Ziel hin finalisiert war und die-se Finalisierung nie verlieren kann, aus der konkreten Ordnung des einenubernaturlichen Zieles nicht heraus kann. Auch dort wo Gnade verlorenist, ist das das eine Ziel, so dass der Mensch verloren ist, wenn dieses Zielverloren ist.

Ist es so: An sich ware es der Natur von sich aus Wurst, wenn sie die visionicht erreicht. Dass sie ihr Ziel nicht erreicht, wird ihr durch zusatzlicheStrafen zur Erfahrung gebracht? Nein!!

Sondern: Sie als konkret existierende historische Natur hat ein Desideri-um fur die visio beatifica, so dass sie ihr Ziel nicht erreicht hat, wenn sieihr ubernaturliches Ziel (die visio beatifica) nicht erreicht hat, obwohl dieseein ubernaturliches Ziel ist.

Anders: Das was bei Thomas beinahe widerspruchlich zu sein scheint, istvielleicht gerade jener fast nicht festzuhaltende Moment, in der die geistigeEntwicklung irgendwie beieinander ist, und von der der spateren Generati-on die Aufgabe gesetzt ist, diese paradoxe Stellung des Thomas sich immerwieder zu erwerben und nicht durch Vereinfachung anzueignen.

Es ist falsch, zu meinen, wenn die Sache klar ist, dann sei sie auch wahr.Die adaquate Wahrheit ist nicht klar. Dort, wo jeder leicht jonglieren kann,dort ist es sicher nicht wahr, nur merkt man es nicht. Dort, wo ein großerTheologe paradox durcheinander zu reden scheint, da ist dann das Richti-gere.

Nur ware da genauer durchzudenken und zu sagen, warum der Menscheine Hinordnung auf die visio beatifica hat und doch diese notwendig alsungeschuldet hinnehmen muss, ob da eine genauere Unterscheidung zwi-schen desiderium condicionatum und einem grundsatzlichen unbegrenztenOffensein, was fur die visio beatifica nur desiderium conditionatum ware,wo die Frage auftaucht, wie weit die Gezieltheit notwendigerweise kommenmuss, ob das so oder so zu erklaren ist, wird bei Thomas nicht gelost. Aberder Grundansatz ware immer wieder neu zu erringen.

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3.8 Gnadenlehre bei Thomas

Unter dieser Hinsicht haben Lubac usw. doch ihre echte Bedeutung ge-habt, so sehr sie einer Korrektur von Seiten des Lehramtes bedurften. Wenneiner meint, diese Leute hatten nur klare Wasser getrubt, weil sie in ge-nialem Tiefsinn unsere Schulbucher nicht begriffen hatten, so ist das zuprimitiv.

3.8.4.1 Auswirkung auf medizinellen und elevierenden Aspekt derGnade

Thomas vereinigt dann bei der Frage der Gnade den mehr medizinellenAspekt der Gnade von Augustinus her und den mehr elevierenden Aspektder Gnade, den er naturlich so reflex uberhaupt nur haben kann, wenn eseine solche Natur gibt, der gegenuber die visio beatifica ein ubernaturlichesZiel ist. Das kann man uberhaupt nur sagen, wenn man den Menschen inphilosophischer Weise als abgegrenzte Natur betrachtet, uber die etwashinausgehen kann. Das Wort supernaturalis supponiert ja, dass etwas uberetwas sein konne.

Wir sehen, wie merkwurdige Position Thomas hat: er grenzt diese Naturab, zieht Grenzlinien, kann deshalb sagen: visio beatifica geht uber siehinaus. Und sagt gleichzeitig: Diese Natur ist auf diese visio hingeordnetund hat auf sie ein Desiderium, so dass das erste gerade wieder aufgehobenist. Aber das ist gerade wieder die richtige Position.

Die medizinelle und elevierende Position werden beide erst spater durch-gefuhrt. Spater wird es dann wieder klar: Es gibt eben eine gratia medi-cinalis und eine gratia elevans. Diese beiden Dinge hat man dann, sie sindvon Anfang an definitorisch festgelegt.

Historisch ist es nicht so klar gewesen. Da kommt eine Gnade von Augus-tinus her, von der gesagt wird, sie heilt den Menschen. Von Thomas wirdgesagt: Ja, die erhebt den Menschen auch. Da haben wir zwei Funktionenund nicht zwei medizinische Pulverchen.

Weil diese beiden Dinge bei Thomas innerliche Verbindung haben, ergibtsich dann, dass Thomas fragen kann, eine Frage, die bei Molina, nachtri-dentinisch, nicht mehr verstanden wird, ob man Gott lieben kann ohnedie erhebende Gnade. - ubernaturlich lieben nur, lieben auch mit der -von Augustinus her gibt es nur eine Gnade. Bei Thomas kann man nochnicht unterscheiden zwischen naturlicher und ubernaturlicher Liebe; es gibtnur eine Liebe. Von da aus ist dann zu sagen: Man kann Gott nur liebenmit der ubernaturlichen (erhebenden) Gnade. Trotzdem ist die Distinktionirgendwie schon da.

Von da aus stellt sich auch die Frage viel komplizierter, ob man ohneGnade Sunde meiden kann. Fur Augustinus: glattes Nein. Fur Thomas:komplizierter. Wenn man zu unterscheiden beginnt, ist die Frage, ob man

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

ohne Gnade in jedem Akt sundige sehr viel nuancierter und schwieriger zubeantworten.

So gehen neue Grundkonzeptionen und alte, die das noch nicht sehen,auch bei großen Theologen durcheinander.

3.8.5 Probleme um die Vorbereitung auf dieRechtfertigung

Thomas beschaftigt sich auch mit der Vorbereitung auf die Rechtfertigung.Aber die eigentliche dispositio proxima vollzieht sich fur ihn, weil Gnadeund Gnadenhabitus fur in dasselbe ist, durch die Rechtfertigungsgnadeselbst.

Wie disponiert sich der Mensch auf die Rechtfertigung? Die Frage, ob eseine Rechtfertigungsvorbereitung gibt ohne die Hilfe der heiligmachendenGnade selbst, wird nur am Rande gestellt. Hier sagt er Dinge, die beimjungen Thomas semipelagianisch aussehen. (Siehe auch vorne: nachaugus-tinische Gnadentheologie). Der spatere Thomas hat zwar Orange nicht ge-kannt, aber er hat bei Augustinus gelernt, was er gegen Semipelagianismussagt.

Dann kommt er aber begrifflich ins Gedrange: ubernaturliche und habitu-elle Gnade sind fur ihn dasselbe. Wenn nun gefragt wird: Brauche ich Gna-de, um Heilsakte zu wirken, die der Rechtfertigung vorausgehen, kommt erins Gedrange:

Auf der einen Seite muss er sagen: Es kann keine Gnade sein, dennubernaturliche Gnade ist habituelle Gnade. Auf der anderen Seite musser sagen: doch, man braucht Gnade, denn sonst gabe es Heilsakte ohneGnade.

Er hilft sich durch die Lehre von der inneren Hilfe Gottes fur den Willen.Er nennt das nicht gratia. Man kann nicht sagen, das sei schon gratiaactualis elevans; auch nicht medizinelle Gnade; es ist eben das, was Thomaserreichen konnte von seiner Position in seiner Zeit aus.

Ob er damit, dass er den spateren Konzept von gratia actualis super-naturalis nicht hat, glucklicher dran ist als wir, ist andere Frage, die wirspater noch mal behandeln werden. Wir unterscheiden: gratia entitativemedicinalis gratia elevans < actualis und habitualis.

Dass Thomas das nicht hat, zeugt nicht von seiner Ruckstandigkeit son-dern eher von etwas anderem. Darauf kommen wir noch.

Thomas betont auch die Notwendigkeit der Gnade fur die Perseveranz,was auch Augustinus sagt, dass der Gerechtfertigte uber die Rechtfertigunghinaus noch einmal der Gnade bedurfe; und dass die Gnade der Beharrlich-keit noch mal etwas Ungeschuldetes ist, wird noch mal herausgearbeitet.

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3.8 Gnadenlehre bei Thomas

3.8.5.1 Problem Gnade und Freiheit

Thomas sah deutlich das Problem von Gnade und Freiheit, wie es Augus-tinus noch nicht sah. Nun haben wir hier bei Thomas auch so etwas, wasschwierig ist, schwierig in sich zu verstehen und schwierig zu beurteilen.

Man wird sicher sagen konnen, der Thomas hat die Probleme der spate-ren Zeit, 16. - 18. Jahrhundert, heftig verhandelt bei Banez (Dominikaner)und Molina (Jesuiten), noch nicht behandelt. Alle Berufung auf Thomas,als ob er klar fur die einen oder anderen ware, ist falsch. Er hat die Dinge,die fur Banez und Molina wesentlich sind, praedeterminatio physica undscientia media, nicht.

Es stellt sich uns rein dogmengeschichtlich die Frage: Kommt das daher,dass der Heilige Thomas die Probleme noch nicht so exakt und grundlichstellt, oder daher, dass er in einer metaphysischen Kindlichkeit sieht, dassman die Frage so nicht stellen kann, wie sie spater gestellt wurde. Das istdie dogmengeschichtliche Frage hinsichtlich des Verhaltnisses von Gnadeund Freiheit.

Wo es sich um die Moglichkeit von Freiheit unter der Gnade handelt, sindzwei Dinge zu beachten: Einerseits ist Gott, weil transzendente Ursache,jeder freien Entscheidung prasent und weiß deshalb alles wegen der aeterni-tas alles zugleich, nicht voraus. Zweitens: Gott als transzendente Ursachebestimmt, ist erste, allumfassende, wirkliche, als Ursache voraussetzendeUrsache.

Und das sagt auf der anderen Seite: Gott als transzendente Ursachebestimmt dadurch, dass er die alles tragende gottliche Ursache ist, im einenFalle, dass etwas notwendig geschieht, im anderen Falle, dass es kontingentgeschieht.

Gott ist also gerade die Ursache der Modalitat des geschaffenen Han-delns. Ein Aufrechnen der Notwendigkeit Gottes gegen die Freiheit hatvon vorneherein keinen Sinn. Es gibt beides und beide hangen von der ab-soluten Ursachlichkeit Gottes ab. Und ihm gegenuber kann ich nicht ... sozu bestimmender Ursache machen, dass die Wirkung nicht mehr kontin-gent ware, und auf der anderen Seite kann ich nicht sagen, etwas entgehtseiner Allursachlichkeit.

Jetzt kann man fragen: Ist dadurch das eigentliche Problem noch garnicht gesehen oder ist dadurch schon so viel gesagt, dass etwas Weiteresnicht mehr gesagt werden kann? Spater Genaueres!

Jetzt wollen wir nur die historische Position von Thomas sehen. Er istnicht an jenem status quaestionis, an dem die spatere Theologie steht. Obdas gut oder verkehrt ist, ist andere Frage.

Hinsichtlich des Heilswillens Gottes lehrt Thomas universellen Heilswil-len. Aber da gibt es auch Aussagen, wo er in augustinischen Jargon zuruck-

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

fallt und sich weniger den Kopf zerbricht uber die konkrete Heilsmoglichkeitdes einzelnen Menschen.

3.9 nachtridentinische Theologie der Gnade

7.11.1956 Vorlesung 10 (2.Stunde)

Wir wollen uns bemuhen, moglichst rasch zum Ende zu kommen. Wirhaben die Lehre des Thomas, historische Situation, Gedanken Richtungin der er sich befindet, zu skizzieren gesucht. Wir konnen nicht genausodie anderen großen Theologen durchgehen. Skotus fangt schon an, in derUbernahme des Aristotelismus jene große Synthese, die Thomas geschaffenhat, zu losen. Andererseits unterstreicht er Gewisses mehr: das Irrationale(die Liebe) in Gott und anderes, so dass man gesagt hat, dass der Bane-zianismus mehr von Skotus als von Thomas beeinflusst ist.

Aus dem spateren Mittelalter ware noch auf die deutsche Mystik hinzu-weisen, in der in einem nicht ganz uberwundenen Pantheismus Gnadenlehregetrieben wird. Besonders ware hinzuweisen auf Ruysbroek (+1381), derdurchaus orthodox ist und auch fur die Theologie der Gnade im Verhaltnisdes Menschen zum dreifaltigen Gott sehr wesentliche Dinge zu sagen hat.

Naturalistische Tendenzen: nominalistischer Positivismus. Es wird derHiatus zwischen Natur und Gnade mehr herausgearbeitet: dass es an sichamor naturalis Dei geben konne und dann sehr leicht die Notwendigkeitder Gnade nur aus einer positivistischen Setzung erklart wird: (Furst vonRimini, Karl von Maleteste, Hus, Wikliff) (Johannes von Gott, Wessel,Gansfort), Ansichten, die vor Luther in Konstanz verurteilt wurden.

Wir uberspringen Luther und die Reformation, weil wir im Zusammen-hang mit den einzelnen Thesen darauf ausfuhrlich zuruckkommen werden.Es gibt Haresien, die uberzeitlich sind, so dass davon auch in sachlichemZusammenhang die Rede sein kann, weil man die ganze Wahrheit nur ver-steht, wenn man inneres Uberwinden der Haresie an dieser selbst gewonnenhat.

Wir sprechen im Folgenden uber 1. Bajus und Bajanismus 2. Gnaden-streit und Gnadenlehre des Jansenismus 3. Gewisse neuere Tendenzen undFragen der modernen Gnadenlehre.

3.9.1 Bajus und Bajanismus

Michael Bajus (1513-1589), seit 1551 Professor in Lowen, hat in Klimader Auseinandersetzung mit den Reformatoren mit dem Willen, die Lehre

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3.9 nachtridentinische Theologie der Gnade

der Kirche und das Trienter Konzil zu respektieren, Thesen aufgestellt,die merkwurdige Kombination zwischen archaischem Augustinismus undandererseits nominalistischen Einschlagen waren.

Diese Lehre wurde von Pius V verurteilt, ohne Bajus zu nennen. DieLowener Fakultat war zum großten Teil gegen Bajus. Die Fakultat hat dieBulle angenommen. Der Name war nicht genannt, aber es war bekannt,wer gemeint war.

Die verurteilten Satze waren in Rom eingereicht worden und vorher schonvon Theologen zensuriert worden. Die einzelnen Satze sind nicht qualifi-ziert, sondern nur am Schluss zusammenfassend (D1080); die Bulle sagtam Schluss, die einzelnen Satze sind respektive haretisch, irrig, verdachtig,temerar, skandalos, in pias aures offensionem immitentes.

Man kann nicht furchtbar viel daraus entnehmen. Trotzdem wesentlicheZensur, weil der Begriff

”ubernaturlich“ aus der Theologie zum ersten Mal

in der kirchenamtlichen Sprache vorkommt, so dass man sagen kann, dieGrundfalschheit des Bajus war die vergroberte Interpretation der augusti-nischen Lehre, die dahingeht, nicht zu unterscheiden zwischen der Gnaden-haftigkeit der Gnade dem Sunder gegenuber und sofern sie ubernaturlichist.

Nach Bajus kann man in Urzustand nicht zwischen Natur und Gnadeunterscheiden. Gnade im Sinne eines Ungeschuldeten, dem Menschen nichtGeschuldeten genommen, Gnade in diesem Sinne gibt es erst nach demSundenfall, weil der Mensch durch die Konkupiszenz das Recht auf dieseHilfe verloren hat.

Demgegenuber ist festzuhalten: auch im Urzustand gab es ubernaturli-che Gnade, das heißt ein consortium divinae naturae, das dem Menschenungeschuldet ist, auch der sundenlosen Natur des Menschen, so dass eineNatur geschaffen werden konnte auch ohne dieses consortium.

Bajus hat sich unterworfen. Man streitet sich daruber (ob es ihm ernstwar). Aufgrund der nicht absoluten Klarheit dieser Bulle konnte Bajus sei-ne Vorbehalte machen, ohne dem kirchlichen Lehramt gegenuber untreuzu werden. Man streitet sich bis heute, wie ein Komma in den Einleitungs-satzen der Bulle zu setzen ist.

Dort heißt es namlich (Komma Pianum D1080): Quas quidem sententiasstricto coram nobis examine ponderatas, quamquam nonnulla aliquo pactosustineri possent(,) in rigore et proprio verborum sensu ab assertoribusintento(,) haereticas ... respective ... damnamus.

Je nachdem man das Komma setzt, welches in der Originalbulle nichtdrin war, weil Bullen ohne Kommata ausgefertigt wurden, bedeutet das:entweder: Wenn man die Satze im Sinne des Autos versteht, kann manmanche noch durchaus hingehen lassen, aber so wie man sie gewohnlichversteht, sind sie zu zensurieren, oder: Manche konnte man gut interpre-

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

tieren, aber im Sinne des Autors seien sie falsch.

Es ist nicht zu bestreiten, dass die Kirche einen Satz in sensu auctorisverurteilte kann, aber andere Frage ist, ob die Kirche den Bajus so verur-teilt hat. Das hat man in den letzten Jahrhunderten angenommen und hatdie Behauptung der Anhanger des Bajus, als ob das Komma so gesetzt wer-den konne, dass die Kirche Bajus rechtfertige, als lacherliche Verdrehunghingestellt.

Jetzt hat ein Dominikaner nachzuweisen versucht, nicht ohne plausibleGrunde, dass tatsachlich das Komma so gesetzt werden muss, wie die Ba-jesianer es getan haben und zwar deshalb, weil Granvella der Kardinal,und die theologische Fakultat in Lowen, die gegen die Lehre des Bajus wa-ren, ganz selbstverstandlich das Komma so gesetzt haben, wie man es nachspaterer Auffassung unmoglich hatte setzen konnen.

Sachlich macht das fur uns nicht sehr viel aus. Es ist nicht sehr belang-reich, ob eine Bulle, die den Namen des Autors nicht nennt, ob da jeder Satzder verurteilt wird, zumal nur mit geringer Qualifikation verurteilt wird, obdie immer der Absicht des Bajus gerecht wird oder nicht. In einzelnen Fra-gen vielleicht etwas mehr von Belang, besonders moderne Fragen, insoferndas besagt: Ihr durft nicht alles Mogliche aus der Verurteilung herauslesen,wenn man diese Bulle so nimmt, wie sie aus historischen Grunde genommenwerden muss. Fur uns spielt diese Feinarbeit zunachst keine Rolle.

3.9.2 Jansenius

In diesem belgischen Klima von Lowen lebte Kornelius Jansen der Altere,Exeget und Bischof von Gent 1510- 1576.

Sein Neffe ist der beruhmte Jansenius 1585-1638, Professor zu Lowen,in den zwei letzten Lebensjahren Bischof von Ypern. Sein beruhmtes Werkuber Augustinus schrieb er in Tournay. Er wollte darin die genuine Lehredes Augustinus entwickeln.

Er geht von der Meinung aus: Augustinus ist der große Lehrer der Gnade,seine Lehre ist die katholische Lehre von der Gnade. Diese Lehre systema-tisiert er. Er merkt nicht, dass dabei etwas Unhistorisches herauskommt.Mit großem Fleiß und großer Belesenheit arbeitet er, aber es kommt dabeiein Pseudoaugustinus des 16. oder 17. Jahrhunderts heraus.

Dieses Buch, das er dem Urteil der Kirche unterwarf, kam erst nachseinem Tode heraus (zwei Jahre nach seinem Tode). Er hat also das Er-scheinen nicht erlebt. Aber das geistige Klima war sehr gunstig, wirkte wieeine Bombe. Es bildeten sich radikalste Parteien. Die Jesuiten waren da-gegen, aber es fand durch geschickte literarische Propaganda in Frankreichgroße Verbreitung.

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3.9 nachtridentinische Theologie der Gnade

Sein Freund, der Abt von St.Cyran, gewann einflussreiche Anhanger:Familie Arnauld d’Andilly mit dem hoch begabten Advokaten und Doktorder Sorbonne Anton Arnauld und der Abtissin des Klosters von Port Royal,Angelika Arnauld. Einsiedler, Beichtvater und theologische Freunde dieserfanatischen Nonnen, Pascal (hat in der Bekampfung der Jesuitenmoral inden Provinzialbriefen Schutzenhilfe geleistet), Nicole usw.

Bei solchen Dingen geht es nie bloß um die bestimmten Thesen in dieserAbstraktheit, sondern immer um große geistesgeschichtliche Stromungen;alles Mogliche ballt sich in diesem Komplex von Parteiungen zusammenund fuhrt zu diesen Dingen:

11 Jahr nach Erscheinen dieses Werks (diese Jahreszahl stimmt offenbarnicht 1653?) unter dem Einfluss des Vinzenz von Paul und von 85 Bischofenwurden funf Satze aus

”Augustinus“ zur Beurteilung nach Rom geschickt.

Innozenz X in der Bulle”Cum occasione“ 5 Satze des Jansenius als haretisch

verurteilt. (Diese kommen spater!)Man will nun einerseits den Papst respektieren, andererseits aber an

Jansen festhalten. Man sagt: Die Satze seien tatsachlich haretisch, aber sonicht in Jansens Buch enthalten. (Die Satze, wie sie in der Bulle stehen,seien zurecht verurteilt, aber nicht im Sinne des Jansenius verurteilt. Alsokonne man immer noch daran festhalten. Als dann der Papst feierlich er-klarte, die Satze sind so verurteilt, wie sie da stehen bei diesem konkretenBuch

”Augustinus“ erfand Anton Arnauld die Distinktion der quaestio iuris

und quaestio facti. Der Papst habe Autoritat hinsichtlich der quaestio iurisaber nicht facti. Letzterer brauche der Katholik nur silentium obsequiosumentgegenbringen. 1669 Klementinischer Friede (Klemens IX). 1694 QuesnelFuhrer.

1705 Klemens XI Const.”Vineam Domini“ (D1350). Bestatigt die Erlasse

der Vorganger samt”Cum occasione“. 1713 Klemens XI. Const. dogmatica

”Unigenitus“. Beruhmteste Lehrentscheidung gegen den Jansenismus. 101

Satze des Quesnel verurteilt, aus dem Buch”Moralische Reflexionen zu den

Evangelien“, in dem grundsatzlich die Lehre des Jansenius gelehrt wurde.Seit dem ist das die papstliche Entscheidung, um die gekampft wird. Die

Partei der Appellanten (12 Bischofe, an ihrer Spitze Nouilles Kardinal undErzbischof von Paris, die Sorbonne, Reims, Nantes usw.) appelliert gegendiese Bulle an ein Konzil. Das Ganze umgibt sich mit Feindschaft gegendie Jesuiten und hat sich wegen ihrer Auffassung vom Primat mit demGallikanismus verbundet.

Um eine Basis gegen diese Bulle zu haben, muss man vorgehen gegen dieUnfehlbarkeit. Auch Leute verbanden sich mit ihnen, die keine Jansenis-ten waren: Bossuet. Der Hof ist gegen die Jansenisten, ist aber gallikanischund sucht die Rechte der gallikanischen Kirche durchzudrucken. Seit 17..ist der Hof gegen die Appellanten. Der Jansenismus wird immer mehr Gal-

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

likanismus, pastorale Strenge verliert sich. Streitigkeiten treten in den Hin-tergrund, das große Publikum wird laxer und interessiert sich fur andereSachen. Es gelingt, ein Schisma in Frankreich zu vermeiden. Nur in Utrechtist seit 1723 schismatische Kirche mit einem Bischof und 2 Suffraganen.

Jansenismus lebt weiter, Deutschland, Italien. Pius VI verurteilt 1794die gallikanische Provinzsynode von Pistoia. Josef II von Osterreich, derSakristan von Osterreich, erklarte noch 1781 dass die Bulle

”Unigenitus“

in seinen kaiserlichen Landen nicht in Kraft sei.

3.9.2.1 Lehre des Jansenius

Die Lehre des Jansenius wird auch spater noch behandelt, ein haretischentarteter Augustinismus:

Adam war geschaffen und so wie er geschaffen war, in diesem Zustandder Gerechtigkeit, musste er geschaffen werden. Fur Jansenius gibt es keinegeistige Kreatur, die nicht zur visio beatifica geschaffen ware und nichtFreiheit von Konkupiszenz haben musste.

Der Verteidiger der Gnade nach dem Sundenfall, Augustinus, ist fur denGnadenzustand des Paradieses ein Leugner der Gnade. Nach Augustinusbrauchte Adam auch Gnade, aber nur adiutorium sine quo non, wie ichohne Licht nicht sehen kann, ich aber auch die Augen zumachen kann, sodass ich auch mit Licht nicht sehen kann. Im Paradies war eine Gnade, wiees das Licht ist, wenn ich konkret etwas sehen kann.

Jansenius leugnet, dass es im Paradies eine wirksame Gnade geben mus-se, um gut handeln zu konnen. Der Mensch ist dort autochthon (boden-standig, im Lande selbst entstanden) auswahlend, ohne dass die Auswahlnoch eine Gnade Gottes ware.

Nur infralapsarisch braucht man die Gnade. Der Mensch, der unter derKonkupiszenz steht, kann grundsatzlich etwas Gutes nur unter der Gnadetun, die jetzt eine wirksame ist und eine andere gibt es nicht. Christus istdeswegen nur fur die Pradestinierten gestorben.

Eine eigentliche Wahlfreiheit gibt es nicht. Der Mensch ist so von derKonkupiszenz gefesselt, dass er entweder diese oder jene Sunde tun muss,er kann unter den moglichen Sunden auswahlen, aber nicht ob er sundigtoder nicht sundigt.

Wenn man das alles in scholastischer Primitivheit darlegt, fragt mansich, wie ein Mensch solches Zeug glauben kann. Das ist nicht der ob-jektiv richtige Eindruck. Solange sie nicht kapiert haben, wie man auf soetwas kommen kann, haben sie im Grunde genommen nicht kapiert. Spa-ter werden wir das noch genauer durchnehmen. Hier nur, damit daruberauch etwas gesagt ist, damit man nicht meint, Jansenius habe zur Zeit desAugustinus gelebt, damit man weiß, wann Orange war usw.

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3.10 uber die letzten 150 Jahre

Der Jansenismus dauert in seinen Auswirkungen bis in die franzosischeRevolution, wo er dann abgelost wird durch den Rousseauschen aufgeklar-ten Naturalismus und es jetzt auch fur die Christen in falscher Selbstver-standlichkeit klar ist, dass der Mensch im Großen und Ganzen ein anstan-diger Kerl ist, wo man keine Schwierigkeit hat die Notwendigkeit der Gnadeeinzusehen fur ein Erhobenwerden um 2 Stockwerke, an die man sonst nichtherangekommen ware.

Erst durch die Aufklarung, diesen Naturalismus, der von außen kommt,der mindesten so haretisch war wie der Jansenismus, wird die Christenheitvon dem geistigen Druck des Jansenismus befreit, und man kann sich von daaus vielleicht fragen, wie es kommt, dass man sagen musste, der Napoleonund der Rousseau aber nicht die Theologen haben den Jansenismus besiegt.Dahinter stecken merkwurdige Dinge.

3.10 uber die letzten 150 Jahre

9.11.1956 Vorlesung 11

Nach der franzosischen Revolution und der Aufklarung setzt die Neu-scholastik wieder ein: Molinismus und Banezianismus, Tubinger Schule,neue Entwicklung durch Scheeben: vergottlichtes Leben. Entwickelt sichgegenuber verflachter Lehre der Aufklarung. Bei Scheeben hinsichtlich desWesens der Gnade wird die Gnade mehr betrachtet insofern sie ungeschaf-fene Gnade ist.

19. Jahrhundert: Wiederaufleben der scholastischen Theologie auch inder Gnadenlehre. Das 19. Jahrhundert hatte restaurative Tendenzen: Neu-scholastik wie Neugotik - man baute im Stil der alten Zeit und konnte esnicht ganz recht. Aber immerhin diese Scholastik war doch die notwendigeWiederaufnahme der alten scholastischen Theologie mit dem unveraußer-lichen Erbe, das mit ihr gegeben war. Geistesgeschichtlich nicht vermeid-barer Ruckgriff auf fruhere Vergangenheit und Boden unter die Fuße zubekommen. Das war nicht vermeidbar, so dass der Versuch der Tubinger,unmittelbar beim deutschen Idealismus und den Vatern anzuknupfen sehrloblich war, aber nicht gegangen ware.

Es gibt geistige Situationen, wo man hinterdrein sagen kann: Hatte mannicht restauriert, sondern sich auf den Boden der Jetztzeit gestellt, so waredas besser gewesen. Aber jedenfalls gab es eine Neuscholastik auch in derGnadenlehre, besonders nach

”Aeterni Patris“ (uber Thomas), gab es ein

Aufleben der scholastischen Theologie: Ehrle, Dennifle, Bartmann, Grab-mann

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3 Periode 2: Dogmengeschichte der Gnadenlehre

Neuere Fragen, die sich diese gestellt haben: Das neu beginnende Ge-sprach mit der reformatorischen Theologie, das erstarrt war und sich nurauf die Fundamentaltheologie beschrankt hatte, geht jetzt wieder ein aufdie eigentliche Theologie (Hammer, Malvais, Balthasar usw.).

Neuer Ansatz zu intensiver Bibeltheologie, manches aus vernunftig ver-standener existentieller Philosophie kann fruchtbar werden fur die Gna-dentheologie. Dann die Nouvelle Theologie, die durch

”Humani generis“

ein gewisses Ende hat, hat die Probleme und das Verhaltnis von Naturund Gnade neu gestellt. Dazu die Frage uber das Verhaltnis von gottlicherEinwohnung zur Gnade: Scheeben, Granderath in den 80iger Jahren.

Das gabe gewisse Ansatze und Moglichkeiten, in denen sich heute Gna-dentheologie weiterentwickeln konnte und sollte. Das ware jedoch so zudenken, wie Theologie sich entwickeln kann: so, dass man sich mit der Sa-che selbst beschaftigt ohne zu große Programme, indem man zur Sache,zur Schrift zuruckkehrt, sich als der, der man ist nach der Wahrheit Gottesfragt und auf sie hort. Wie weit man dann kommt, ist andere Frage. Wersich mit Gottes Wort beschaftigt und darin hort, hat etwas getan, ganzgleich wie das am Bisherigen gemessen sich als Fortschritt auswirkt odernicht.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

4.1 Aufbau des gesamten Traktats

Aufbau des TraktatsWir fangen an bei Gott: allgemeiner Heilswille.Dann folgt der Aufbau genetisch der Rechtfertigung des einzelnen

Menschen:Gnade, die den Einzelnen rechtfertigen soll.Vorbereitung der Rechtfertigung.Rechtfertigung.

Was mit der Rechtfertigung gegeben ist an eingegossenen Tugenden.Gnadenleben des Gerechtfertigten.Vollendung in der Herrlichkeit.

Insofern ist der Aufbau also einfach. Wir teilen nicht so ein: De gratiaactuali. De gatia habituali, was auch nicht sinnvoller ware wie die umge-kehrte Einteilung. Dass diese Einteilung nicht so fundamental ist, wie manseit der Zeit der Barockscholastik meint, werden wir spater sehen.

4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

1.These. Existit in Deo voluntas obligans et operosa quoad omniumhominum salutem supernaturalem

Es gibt in Gott einen tatwirkenden und Aufgaben stellenden Willenbezuglich des ubernaturlichen Heils aller Menschen

In diese These ist an sich viel hineingepackt:

voluntas Dei

obligans et operosa

circa salutemsupernaturalem

omnium hominum.

Es ist die Redevon tatwirkendem (von Gott aus etwas

tuendem)Heilswillen Gottes,

der sich auf den Menschen beziehthinsichtlich des ubernaturlichen Heilsauf alle Menschen;

nicht nur Moglichkeit,sondern Aufgabe stellender Heilswille.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

4.2.1 Existentielle Bedeutung

Eine solche These gilt fur guten Christen als Selbstverstandlichkeit.Wenn man einem Spießer von heute das sagen wurde, wurde er sa-gen:

”Na, hoffentlich! Wozu ist er der liebe Gott?“ Wenn man ein

Theologe ist, der zufrieden ist, dann wurde man daran auch nichtsBesonderes finden und glauben, das konnte nicht anders sein, es seidie selbstverstandlichste Wahrheit, die man sich denken konnte, esware von den Wahrheiten, die es zu verkunden gibt, die Anmutigsteund Selbstverstandlichste.

So einfach ist die Sache nicht. Man muss sich in andere Situation hin-einversetzen, in der die meisten Menschen sind, und wir selbst auch,nur merken wir es nicht. In die Situation des Sterbenden, wo es Krieggibt, Atombomben, Krebs gibt usw., wahnsinnige Dummheit, Bos-heit, abscheuliche Niedertracht, sich gegenseitig Schinden und Qua-len, die Situation dass es da Menschen gibt, die glauben, wenn sieeinen umbringen, Gott einen Gefallen zu tun. Dass es ein Christen-tum gibt, das Heilige, wie Jeanne d’Arc, zum Feuertode verurteilt.

Wenn man diesen Menschen sagt: Gott will dein Heil, nicht nur dirgegenuber gibt es diesen Heilswillen, sondern allen Menschen gegen-uber, allen, der ganzen Weltgeschichte gegenuber.

Dann ist es nicht verwunderlich, wenn die ganze Welt ruft, das istnicht wahr, das glaube ich dir nicht.

Ich, der kleine Mensch, kann ja etwas wunschen, aber doch es nichtfertig bringen. Ich kann wunschen, dass meine Frau gesund wird, unddoch nichts machen, wenn sie Krebs hat. Aber wie kann denn diesekonkrete Welt zu einem Heilswillen Gottes passen? Ihm kann nichtswiderstehen, er ist Gott. Er hat diese Welt so gezimmert, wie sie ist,mit den Spitalern, Idioten-Anstalten, Kriegen, Abortus, KZ’s, demdummen, dumpfen Leben der Menschen, z. B. in der Steinzeit mit einbisschen Verstand zum Fallenstellen, um ein Stuck Fleisch zu habenund Kinder zu kriegen und zu sterben. Da kann man nicht sagen,Gott hat die Menschen frei geschaffen, damit sie es sich einrichten.

Er ist Gott, darum konnen wir ihm die ganze Welt anlasten, wie sieist. Schon, Gott hat sie frei geschaffen und diese mißbrauchen sie.Ganz schon. Das andert nichts an der Sache. Alles, was sie anrichten,kommt ja nur daher, weil Gott die Welt so eingerichtet hat: dasswenig Platz ist, dass der Mensch tierische Instinkte hat, dass manglaubt, dass der andere einem alles wegfrisst aus der Futterkrippe.Gott hatte ja auch bessere Ausgangs-Moglichkeiten geben konnen.

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

Gelehrter wurde sagen: Bitte, bitte, deine Freiheit in Ehren. Ich glau-be gern, dass der Mensch frei ist. Ich glaube dir, Gott hat den Men-schen frei geschaffen, aber nach deinen Thesen wird bewiesen, dassdiese Freiheit intakt bleiben konnte und Gott trotzdem sorgen konn-te, dass die Menschen brave Lammer sein konnen. So weit hatte eres bringen konnen, ohne die Freiheit aufzuheben. Das hat er offenbarnicht gemacht, wie figura zeigt.

In dieser Situation kommen wir und sagen: es gehort zu unseren ka-tholischen Glauben, auf dem wir aufbauen, von dem aus wir un-ser Leben interpretieren, dass Gott allgemeinen Heilswillen hat, auchden Idioten, den Verbrechern gegenuber, auch den winzigen kleinenKindern, die kaum geboren schon sterben, weg geschmissen von denEltern, gegenuber, diesem ganzen Chor von Dummheit, einfaltigemGeschwatz, Heuchelei, Lugen die durch die Zeitungen und Reden derPolitiker geht, zum Trotz.

Diese Menschheit liebt Gott ernst, mit einem Ernst, der jeden, dersonst denkbar ist, ubertrifft. So sehr, dass er sagen kann: Wenn esschief geht, bin ich nicht schuld. Trotz allem, was du vorher gesagthast, wo du das alles auf Gott abschieben wolltest: Ich liebe die Welt,nicht so wie ein Werkelmann, der eine Maschine aufbaut, im GroßenGanzen geht sie, dass sie manchmal stehen bleibt, kannst du mir nichtubel nehmen. Gott hat die Welt gemacht, im gottlich radikalen Sinngewollt und entworfen.

So betrachtet: These klingt nicht sehr wahrscheinlich.

Je mehr man merkt, dass eine solche Behauptung nur gegen al-le scheinbare Erfahrung aufrechterhalten werden kann, da hier eineMenschheits und Welt Interpretation gegeben wird, die sich stellenmuss gegen eine Erfahrung der Geschichte meiner Zeit und der gan-zen Weltgeschichte, wobei die ganze Welt auf einer Seite und Gottallein auf der anderen Seite sagt: Betrachtet einmal das, esst keinDuplex am Rektors Namenstag, sondern schaut in alle diese Elends-viertel hinein und nehmt dorthinein diese Wahrheit mit: Diese Weltist sinnvoll, zum Heil bestimmt, so sieht man, dass diese These ei-ne existentialistische These ist, die in geschichtlichen Vorgang hineingestellt werden muss, die nicht so aussagbar ist, wie man sagt: Diesist eine Zimmerdecke usw.:

Es ist eine These gesagt von etwas, was im Geschehen ist, und wasman im Grunde genommen Gott abnimmt, abkauft, in der man sichin diesen Prozess hineinstellt.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Sobald ich den Versuch mache, aus der Welt hinauszutreten als neu-traler Zuschauer dann muss ich entweder Gott sein oder nur die er-barmliche Misere sehen, wovon sich das genaue Gegenteil der Theseergibt.

Nur, wenn ich mich glaubend, hoffend, liebend hineinstelle und sa-ge: ich bin mitverantwortlich, nur dann realisiere ich auch den Sinn,den Gott dieser Weltgeschichte gegeben hat, nur dann kann ich glau-ben, dass Gott allen Menschen gegenuber diesen Heilswillen hat, allenMenschen gegenuber als verpflichtenden.

Nur dort, wo man das nicht hat, Gott nicht glaubt, kann man sa-gen: Entweder ist die Welt in ihrem Urgrund selber noch dualistischzwischen Finsternis und Licht gespalten, (das heißt, man kann alsoin massiver oder verfeinerter Form nur Manichaer sein oder in abge-schwachter Weise doch?, indem man sagt: es ist nicht wahr, dass Gottalle Menschen heilsmaßig liebt, sondern nur einigen gegenuber. Heutewurden sie nicht sagen: Gott will das Heil nicht, sondern sie lebenim Grunde genommen der Uberzeugung eines profan gewordenen re-stringierten Heilswillens: Dieses ganze Geschmeiß, das sich wucherndvermehrt, sei im Grunde da, damit ein paar Genies, Staatsmanner,Dichter, Wissenschaftler usw. existieren konnen. (Dass Christus exis-tieren kann [3. These])

Es gibt unter Umstanden Leute (z. B. ein alter Rechtsanwalt), fur denist es etwas, was er am schwersten glauben kann, dass alle Menschenzu ewigem Leben da seien. Er hat Schwierigkeiten, sich selber dazuzu rechnen. Es kommt ihm als anmaßend vor, zu denken: er mitseinen paar ethischen Anlaufen, die doch nicht weiter gegangen sindals zu ein paar Anlaufen, dass er fur alle Ewigkeit existieren soll.Er ist zu mir gekommen, und sich Mut machen zulassen, das wiederanzunehmen, weil er das Gefuhl hat: ich bin Rechtsanwalt, versteheetwas von Kunst usw., im Grunde genommen aber bin ich nichtsanderes als eine Eintagsfliege, die sich mit Essen und Trinken undSchutz gegen Kalte beschaftigt.

Da sagt diese These: Nein, die Welt ist nicht nur da, weil es wert ist,dass es einmal Beethoven gegeben hat, Napoleon usw. sondern dieWelt ist fur dieses rachitische Kind, diese bluthustende Wascherin,diesen Dummen usw. nicht so, dass man denkt: Na, wenn du ra-dikal verschwindest, kann es nur nutzen. Nein! Fur diese! Der tutetwas, was fur die Welt Sinn hat. Nicht so, wie man Briefmarkensammelt, sondern so, dass Gott in dieser Weltgeschichte nicht in einpaar großartigen Exemplaren, sondern in diesen kleinen, herumkrib-

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

belnden kleinen Menschen etwas fertig bringt, was in Ewigkeit zu seinder Muhe wert ist. Immer das ist mitzudenken.

Man erleichtert sich das Problem, wenn man denkt, diese Weltge-schichte scheitert, und selbst wo sie anstandig ist, ist sie armselig.Aber dahinter steht Gott auf (am Ende der Welt) und macht etwas,was wert ist, zu bleiben. Nein, die Ewigkeit ist etwas, was jetzt wird.Wenn sie nicht jetzt ware und jetzt wurde, kame sie hintendrein auchnicht.

Diese These ist wesentlich eine Aussage nicht von der Zukunft als ei-nem erst spater Kommenden sondern die gottliche Interpretation des-sen, was jetzt ist und jetzt geschieht: Hier geschieht das ubernaturli-che Heil, hier muss bei allen Menschen geschehen konnen, was wir sa-lus supernaturalis nennen konnen, omnium hominum; jetzt geschiehtdieses Werden der absoluten Freiheit, die gottliche Mitteilung Gottesan die Kreatur selbst. Jetzt muss das passieren.

Wie wenig das selbstverstandlich ist, sehen sie ja daran, dass nicht ein-mal die Theologie diesen Satz klar bis in seine letzten Konsequenzenund Inkonsequenzen durchfuhrt und durchfuhren kann:

Denn wie wird das angewendet auf die ungetauft sterbenden Kinder,auf all jenes Entstehen von geistig substanzieller Wirklichkeit, dienach unserer Meinung entsteht in all den ungezahlten Fallen, nichtnur wo ein Kind geboren, 3 - 4 Jahre lebt und dann wieder gestorbenist sondern in all den anderen Fallen, wo es nicht zu normaler Geburtkommt.

Fruher hat man daran so gedacht: Es passiert auch, dass es nicht zurTaufe reicht, aber das sind am Rande stehende Dinge (selten). Wennes aber wahr ist, dass die Menschheit ein paar hundert Jahrtausendelebt, wenn der Adam nach den Prinzipien von Noldin gesunde Kin-der gezeugt hatte und diese in naturgetreuer Ehe hoch gebracht hatteusw., wie viele Menschen musste es heute geben? Nach uber hundert-tausend Jahren hatte es Millionen geben mussen. Gab es aber nicht.Das kam daher, weil drei Viertel vor er zum Gebrauch der Vernunftgekommen ist, gestorben ist.

Was macht Gott mit diesen Menschen? Im Grunde wissen wir esnicht. Im Grunde sagen wir diese These, ohne etwas dazu sagen zukonnen und sagen, ohne etwas dazu sagen zu konnen, diese These.

Das also steht drin in der These, die man gelangweilt studiert.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

4.2.2 Klassische Thesenstruktur

4.2.2.1 Status quaestionis

I. Status quaestionis:I. Das, was notwendig ist, damitder Sinn der These verstandenwird:

Multa, quae hic dicuntur,non possunt explicite et fusetractari.

Vieles ist aufgenommen, wassonst in anderen Traktatenschon behandelt wurde:

Providentia: ExistentiaDei ... scientia, liberavoluntas Dei ... Hancprìnoian divinamexistere, debemusscire. Deum esse, quiobligare potest, etiamsupponere debemus.Eum ut legislatoremexistere.

Potius: ista thesis est ap-plicatio veritatum ali-bi probatarum ad no-strum tractatum. DeDeo creante et elevan-te: De ordine superna-turali.

Deum hominem ad ordi-nem supernaturalemiam destinasse in crea-tione Adae ... Adamperdidit .. . id esse,quod Christus resti-tuit.

Vorsehung: Existenz Gottes ...Wissen, Freiheit Gottes... Dass diese GeneigtheitGottes existiert, mussenwir schon wissen. Dass esGott gibt, der verpflichtenkann, mussen wir auch vor-aussetzen, dass er als Ge-setzgeber existiert.

Vielmehr ist diese These eineAnwendung von Wahrhei-ten, die anderweitig schonbewiesen sind, auf unserenTrakat. Uber den SchopferGott, Gott als der Begna-dende, uber die ubernatur-liche Ordnung.

Dass Gott den Menschenschon zur ubernaturli-chen Ordnung bestimmthat bei der ErschaffungAdams ... dass Adamdas verloren hat ... dasist es, was Christus unswiedergebracht hat

14.11.1956 Vorlesung 12. (1.Stunde)

4.2.2.2 Begriffe

II. Conceptus:

A. Voluntas Dei: 1. Voluntas in genere, voluntas Dei: ex philosophia et

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

theologia naturali2.Divisiones: voluntatis

a) voluntas signi: im Allgemeinen nur auf den Willen Gottesbezogen.• Der Mensch macht die Erfahrung, dass gewisse Dinge da

sind in der Welt als Manifestation des Willens Gottes[manifestatio divinae voluntatis].

• z.B. der Engel spricht zum Abraham. Die Worte des En-gels werden von Abraham angenommen als Zeichen desWillens Gottes, wenn auch nur putative (angenommen).

• Diese werden angenommen als voluntas signi.Voluntas beneplaciti: der Wille selbst in Gott.

b) ein wirklicher wirksamer Wille oder eine bloße Velleitat(ich wurde gerne wollen, aber ich mag nicht).• Im ersten Falle wirklich auf die Verwirklichung der Sa-

che hinzielend,• im anderen Falle, dass das an sich ein wurdiges Objekt

solchen Wollens ware.c) voluntas absoluta - condicionata (absoluter - bedingter

Wille) (ist von d) gut und genau zu unterscheiden, obwohlsie gewisse Ahnlichkeit haben untereinander.)voluntas absoluta - voluntas conditionata.• Wenn der Vater seinem Sohn sagt: wenn du gute No-

te bringst, gebe ich dir 10 Mark, sonst bekommst duPrugel.

• Das ist voluntas condicionata.• Absoluta, wenn die Bedingung als erfullt vorausgesetzt

wird.

........................................................................................................ ......................

..................................................................................

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqRes Condicio

Subjektqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqwill absolut

Verbindung zwischen

• Bedingter Wille ist ein verknupfter hinsichtlich der Sa-che und ihrer Bedingung: Er ist ein bedingter hinsicht-lich des Gewollten.

• Das Subjekt will absolut die Verbindung zwischen Sa-che und Bedingung,– aber weil die Bedingung nicht absolut verwirklicht

wird, ist der Wille zu dieser Sache bedingt.– Condicione realisata (wenn die Bedingung erfullt ist)

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

geht er uber in absoluta.Problem: Jansenisten: Bei Gott gibt es keine voluntas

conditionata. Er weiß immer, ob die Bedingung erfulltist.

Was hat es fur einen Sinn, bei ihm einen solchen anzuneh-men, da er doch weiß, von Ewigkeit zu Ewigkeit, dassdie Bedingung nicht erfullt ist?

Antwort:in Deo talis voluntas con-

dicionata, quae simpli-citer est mere condicio-nata, forte haberi nonpotest.

Sed qui forte talia ele-menta habet, fortehaberi potest: Quiamulta facit dandogratiam homini, quinon salvatur: hortandoetc.

Si talia elementa non ha-bet, mere, pure condi-cionata, potestne hocesse? Fortasse talis inDeo reincideret in idea-lem complacentiam, decuius realisatione ser-mo non est. De hac repotestis ipsi reflectere.

in Gott kann es solchen beding-ten Willen vielleicht nicht ge-ben, der einfach rein bedingt ist

aber der vielleicht solche Ele-mente hat, den kann esvielleicht geben. Denn ermacht vieles, indem er demMenschen, der nicht gerettetwird, Gnade gibt, ihn ermahntusw.

Wenn er solche Elemente nichthat, rein, pur bedingt ist, kannes das geben? Vielleicht wur-de das in Gott zuruckfallen aufideales Wohlgefallen, von des-sen Realisierung nicht die Redeist. Denken Sie selbst darubernach

• Meistens ist es auch bei den Menschen so: wenn derVater obige Bedingung sagt, ist das bedingter Wille.

• Dieser kann bei menschlichem Vater wirklicher beding-ter Wille sein, weil er nicht vorausweiß, ob er gute oderschlechte Noten bringen wird.

• Auch bei diesem Vater ist diese voluntas,insofern sie voluntas signi bei sich hat,welche auch auf den Sohn eine Wirkung hat,

• selbst auch nicht ohne Wirkung.

Debet ergo etiam distinguia voluntate mere inefficaci;habet effectum. Et iste ef-fectus etiam est aliquid ef-fective et absolute volitum.

Muss also auch unterschieden wer-den von einem rein unwirksamemWillen, denn er hat eine Wirkung.Etwas wirksam und absolut Ge-wolltes ist dieser Effekt auch.

Abhangigkeit der Bedingung

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

Eine voluntas conditionata, bei der die Bedingung rest-los von dem bedingt Wollenden abhangt, ist ein Unsinn.Denn das ist kein Wille oder absoluter Wille. Ich kannnicht sagen: Ich will bedingter Weise, namlich, wenn ichwill, daher gehen. Gott hat auch gegenuber ungetauftenKindern Heilswillen, wenn ich sagen musste, die Erful-lung der Bedingung, die Taufe, an die das geknupft ist,hangt rein von Gott ab.

Ob Gott auch sagen kann, ich will diesen Menschen ret-ten, wenn der andere diese Bedingung erfullt. Sonstnicht. Kann Gott einer Mutter sagen: Ich will das Heildieses deines Kindes, wenn du es taufst? An sich mog-lich: Der Wollende kann sagen, ich habe das Recht, mei-nen Willen von der Bedingung abhangig zu machen, dievon anderem abhangt. Ob das sinnvoll beim Heil mog-lich ist, ist andere Frage.

Bei dieser These ist nicht reflex darauf geachtet, dassman sie so verstehen muss, dass die voluntas conditio-nata, wo es um Menschen geht, die zum Gebrauch derVernunft schon gelangt sind, zweifellos nur abhangig istvon ihm selbst.

Das Heil dieses bestimmten Menschen ist von Gott sogewollt, dass in irgendeinem letzten Verstand es nurnoch von diesem Menschen abhangen kann, ob er ge-rettet wird oder nicht.

An sich ware voluntas conditionata auch hier abstraktdenkbar, also dass die Erfullung der Bedingung durchDritten vorausgesetzt ware.Bei den Kindern ist die Sache schwierig. Da weiß man

es nicht. Aber bei allen Menschen. Bei den Kindern istkein Mensch verantwortlich fur diese ungetauft ster-benden Kinder außer Adam. Fallt auf Adam zuruck- aber daruber spater.

Zu oben, c): Wenn dieser Vater die 10 Mark verspro-chen hat und der Sohn bringt jetzt die gute Note,muss der bedingte Wille jetzt in absoluten ubergehen.Sonst beweist er die Veranderlichkeit der menschli-chen Willensentschlusse. Das gibt es bei Gott nicht.

d) voluntas antecedens - voluntas consequens. Objektivesatis obscura, kann aber doch nicht vermieden werden.Bisweilen ist es schwierig, den Unterschied anzugebenzwischen vorausgehendem und nachfolgendem Willen.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Moglichkeitem:• voluntas salvifica antecedens alicuius, qui damnatur:

unterscheide• voluntas salvifica consequenter ad praevisam damnatio-

nem, vult eam.– vel antecedenter ad praevisam impoenitentiam ...– Consequenter ad praevisam impoenitentiam ...

Cur antecedens et condicionata non coincidunt?• Gott kann auch antecedenter absoluten Willen haben.• Menschliches Beispiel: der Vater von c) kann sich sagen:

– Wenn ich meinen Filius jeden Tag durchhaue, dannkommt der durch das Examen.

– Dann kann er naturlich im Voraus wissen, dass derSohn im Examen durchkommt

– und schon absolut wollen, dass er ihm 10 Mark gebenwill.

– Er kann sie schon absolut auf die Seite legen: Diekriegt mein Sohn.

Bei Gott ist das sehr wichtig:Deus certe mittit

angelum ad BV et sol-licitat consensum eius.BV libere consentitin incarnationemVerbi Divini. Si BVnon consensisset,incarnatio facta nonesset.

Possumusne nuncdicere: Deum anxieexspectare debere?Vel potius: BV es-se causam nostraesalutis?

Non, quia Deuspotest non obstantelibertate velle hocabsolute antecedenterad hunc effectumpraevisum, quiagratia effici potest utBV re vera consentiat.

Gott hat den Engel zur seligenJungfrau gesandt und sorgt sichum ihre Zustimmung. Mariastimmt frei zu zur Inkarnati-on des Gottlichen Wortes. WennMaria nicht zugestimmt hatte,hatte die Inkarnation nicht statt-gefunden.

Konnen wir nun sagen: Gottmusse angstlich darauf warten?Oder vielmehr: Maria sei dieUrsache unseres Heils?

Nein, weil Gott trotz der Frei-heit das absolut wollen kann imVoraus zu diesem vorhergesehe-nen Effekt, weil er durch dieGnade bewirken kann, dass Ma-ria wirklich zustimmt.

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

Propterea dicerepotest: Ego volo ab-solute incarnationemVerbi Dei. Et deindeefficit ex sua voluntateut libere habeaturconsensus beataevirginis.

Deshalb kann er sagen: Ich willdie Inkarantion des Wortes Got-tes absolut. Und dannbewirkt ermit seinem Willen die freie Zu-stimmung der seligen Jungfrau.

........................................................................................................ ......................

..................................................................................

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqRes Condicio

Subjektqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqwill absolut

Verbindung zwischen

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Gott kann Res absolut wollen und trotzdem in Abhan-gigkeit von einer Condicio.• Dann muss er auch absoluten Willen fur die condicio

haben.• Wenn diese condicio freier Entschluss einer Kreatur

ist,– dann muss er sorgen, dass dieser freie Entschluss

entsteht.Es gibt also voluntas antecedens absoluta und volun-

tas antecedens condicionata. Deshalb fallt c) und d)nicht zusammen.• Ob Gott in gewissen Fallen so und in anderen Fallen

anders handelt, hangt von ihm ab.• Es ist davon auch in anderen Fallen die Rede:

– Gott kann absolut wollen, dass ich gesund bleibe,– und trotzdem die Gesundheit als von mir erbetene

wollen.– Dann muss er dafur sorgen, dass ich darum bete.

Gott kann auch sagen: ich will sie gar nicht absolut,sondern ich lasse das einfach davon abhangen, ob erbetet.

Distinguenselementum: Aliteret aliter in variisscholis.

Unterscheidendes Element Je-weils abhangig von der ver-schiedenen Schulmeinung

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Pro nobis: praevisamerita vel demerita,morte in statu gratiae(seu melius: praevi-sionem, et quidem insigno rationis priore)(prioritate rationis(Lersch II n 365)siehe Brugger 152:varii status mentisconcipientis eandemrem, quorum unustamen alterum logicesupponit, sed nonvice versa) Banez,Thomistae: andereUnterscheidungs-punkte anfuhrend:manifestatio iustitiaedivinae, pulchritudouniversi, ...

Circa voluntatemdamnandi, puniendi,voluntas Dei nonest absoluta nisiconsequens:

Fur uns entsprechend den vor-ausgesehenen Verdiensten undVergehen, dem Tod im Standder Gnade (oder besser Vor-aussicht, und zwar in signo ra-tionis priore) (Lersch II n.365)oder Brugger de anuma hu-mana 232: verschiedene inne-re Zustande, die dieselbe Sa-che begreifen, von denen dereine jedoch den anderen lo-gisch voraussetzt, aber nichtumgekehrt. Banez, Thomis-ten, fuhren andere Unterschei-dungspunkte an: Offenbarungder gottlichen Gerechtigkeit,Schonheit des Universums ...

Als Wille zu Verdammung, Be-strafung, ist Gottes Willenicht absolut, es sei dennnachfolgend.

Gott kann nicht absolut die Strafe eines Menschen wollenund deshalb, weil er die Strafe absolut will, dafur sorgen,dass die strafbare Handlung absolut vorhanden ist.Es scheint, dass die Calvinisten das meinen:suam iustitiam vindi-cativam vult manifes-tare, itaque quaerit utsint aliqui, qui habentculpam.

Er will seine rachende Gerech-tigkeit zeigen, deshalb sucht er,dass es solche gibt, die Schuldhaben

obligans, sincera et operosa Aufgaben stellend und Tat wir-kend. Fur uns zwei Dinge, die zu unterscheiden sind:• operosa: providentis creatoris (Tat wirkend, d.h. des

vorsehenden Schopfers)• obligans: legislatoris (Aufgaben stellend, d.h. des Ge-

setzgebers)

B. Aliquomodo praelibendo quasdam distinctiones gratiae (Irgendwiebrauchen wir schon in einer Vorausnahme gewisse Distinktionen derGnade)

a) efficax - sufficiens. (wirksam - hinreichend) Gott kann freierKreatur alle Mittel geben, die erforderlich sind, dass der Mensch

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

sein Heil erlangt, wenn er will: hinreichende Gnade. Gott kanndem Menschen solche Gnade geben, mit der er de facto mit-wirkt: wirksame Gnade. Weiteres brauchen wir nicht daruberdistinguieren. (Wir tun es aber doch in b)! Was bedeutet das?

b) gratia remote vel proxime sufficiens. semper certum effectumet terminum respiciens. (hinreichend nach weiterer Vorbereitungoder direkt hinreichend) Beispiel: Hebraischen Vortrag haltenkonnen: sofort - er kann schon so gut Hebraisch ... Oder entfernt:Die Bedingungen haben, um durch sein weiteres Tun in die Lagezu kommen, dass er das kann: Erst lernen.Christ: Der Mensch kann beten usw. .. diese und jene Gelegen-heit meiden, dass er einmal in einen Zustand gelangt, wo er dasganze Gesetz halten kann.Heide: Vielleicht kann er nicht hic et nunc Christ werden, sedhabet gratiam remote sufficientem: Wenn er das, was er kann,richtig tut, dann kann er spater Christ werden.Debet etiam interdum assignari sufficiens ad quid: Jede Gnademuss zu etwas

”proxime sufficiens“ sein. Was nicht zu einem

sufficiens kann proxime sufficiens zu etwas anderem sein.c) ad primam iustificationem ad saluten definitivam patet! specia-

lis gratia. Spater (These 33?) (zur ersten Rechtfertigung oderzum definitiven Heil, wofur man nach These 33 spezielle Gnadebraucht)

d) prouti a Deo offertur vel etiam confertur: oblata vel collata(angebotene und tatsachlich gegebene Gnade.) Angebotene, dienie gegeben wurde, ware im Ernst nie angeboten. Der Mensch,der diese gegebene, hinreichende Gnade ausschlagt und nicht be-nutzt, hat das darin gegebene Angebot fur spatere Moglichkeitnicht angenommen.Der Mensch handelt immer ins Unabsehbare hinein. Weitere Fol-gen kann er nicht ubersehen. Allerdings kann er nichts dafur?(Siehe Seminar uber Unglaubige)

C. circa hominem in statu viae, probationis in statu termini (ex alteraparte) (betreffs des Menschen im Pilgerstand, der Bewahrung oderim Endzustand)

a) secundum id, quod habent ex mediis, (nach dem, was sie ausden Mitteln haben:

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

dividuntur in tales qui fi-dem habent vel nonhabent

qui gratiamsanctificantem ha-bent vel non habent.

qui fidem habent: fideles,prouti habitus infususa Deo

qui fidem non habent: in-fideles, duplici modo:

positivi: qui deliberatomodo non credunt suf-ficienter propositum:ita ut ei consensuspraeberi possit.

negativi: qui non credunt,quia fides eos non suf-ficienter adjicitur.

werden sie eingeteilt in solche, dieden Glauben haben oder nichthaben,

solche die heiligmachende Gna-de haben oder nicht haben

Die den Glauben haben, Glaubigeinsofern sie die eingegossene Tu-gend des Glaubens von Gott ha-ben,

insofern sie diesen nicht haben inUnglaubige in zweifacher Weise:

positiv unglaubig, die uberlegterWeise nicht glauben, obwohl derGlaube ihnen genugend erklartist, so dass sie ihm Zustimmunggeben konnten

negativ unglaubig: die nicht glau-ben, weil ihnen der Glaube nichtgenugend nahegebracht wurde

14.11.1956 Vorlesung 13 (2.Stunde)

Haec norma est difficilis: (Diese Norm ist schwierig anzuwen-den). Wie konnen die infideles negativi praktisch unterschiedenwerden? Impossibilis. Praktisch von niemand mit wahrer Sicher-heit klar, ob der glaubig oder unglaubig ist. Die, die der Religionoffentlich angehoren und diesen Glauben de facto juridisch be-weisbar nicht zuruckweisen, sind glaubig.Relate ad fidem vel infidem ante iudicium Dei non est clarum.(Bezuglich Glauben und Unglauben ist alles vor dem GerichtGottes unklar) Es gibt solche, die scheinen nicht zu glauben undde facto glauben sie, die scheinen, den Glauben zuruckgewiesenzu haben, und es de facto nicht haben. Absolut moglich.Quaeritur semper de relatione nostra (Verhaltnis) relate ad in-fideles. (Die Frage uber unser Verhaltnis zu den Unglaubigenbleibt immer offen)Sicher ist: niemand bekommt das ewige Leben, der nicht amEnde seines Lebens glaubig ist. Es gibt solche, die bis zum Endeihres Lebens nicht glauben. Was ist von denen zu halten? Wasvon den Verwandten, die einmal glaubten und dann nicht mehrbis zum Ende des Lebens?Distinguendum est aspectus civilis und aspectus religiosus (sta-

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

tus eorum coram Deo, der das Innere erforscht - coram homini-bus, die nur das Außere sehen, das Gesicht).Die die heiligmachende Gnade nicht haben: Sunder genannt; diesie haben: iustiDistinctio conceptua-lis facilis Quaestio, quisunt peccatores quoadsingulos homines: im-possibilis

Die Unterscheidung ist begrifflichleicht, aber die Antwort, wer Sunderist bezogen auf einzelne Menschen istunlosbar.

b) Peccatores et infideles possunt iterum considerari (konnen wie-der unterschieden werden)prout sunt homines

bonae voluntatis velhomines obduratirelate ad modum,quo id non habent!

Peccatores: proutisunt aliquomodoobdurati, obcae-cati (voluntatedeliberata) contraDeum.

Omnis homo peccatorhabet talem aliquomodo. Alias non estpeccator: Er setztein

”non serviam“

ob sie Menschen guten Willenssind oder verhartet je nach derArt wie sie den Glauben nichthaben

Sunder, je nachdem sie irgendwieverhartet sind, verblendet (uber-legter Weise) Gott gegenuber.

Jeder Sunder hat diese Einstellungirgendwie, sonst ist er kein Sun-der, Er setzt ein

”ich unterwerfe

mich nicht“

Sed ipsa oppositio po-test habere satis nota-biles gradus definitatis.Distinguimus inter obdu-ratos et non tam obdura-tos. Quando vivit sempersollicitatur a Deo ut con-verti se potest. Ex alte-ra parte aliqua possibili-tas semper habetur alitersentiendi.

Aber diese Gegeneinstellung selbstkann ganz bemerkenswerte Stufen derEndgultigkeit haben. Wir unterschei-den zwischen Verhartung und nochnicht ganz Verhartetsein. Solange ei-ner lebtbleibt er immer von Gott an-gerufen, dass er sich bekehren kann.Anderseits bleibt immer irgendeineMoglichkeit anders zu denken.

Solange er lebt, ist abgeschlossene Verhartung nicht moglich.Si quis definitive esset

obduratus, negaretthesim nostram.

Ex altera partequaeri potest,num momentumexistentiale etpsychologicumfinis evolutionishominis necessariocoincidunt.

Wenn einer definitiv verhartet wa-re, wurde das unsere These leug-nen vom allgemeinen Heilswillen

Anderseits kann man fragen, obder Augenblick des existentiel-len und psychologischen Ziels derEntwicklung des Menschen not-wendig zusammenfallen.

Dass die definitive personale Entwicklung des Menschen mit

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

dem medizinischen Exitus eindeutig zusammenfallt, kannkeiner behaupten, noch das Gegenteil beweisen.Ist das geistig-personal-religiose Leben zu Ende gegangen, woder Unfall war, oder erst nach dem Tod? Das kann niemand ent-scheiden. In den 3x24 Stunden nach dem Tod muss noch Heils-willen da sein, der sich abhebt von dem gewohnlichen Heilswillenund sich in diesen drei Tagen geltend macht.Man kann auch nichts beweisen, dass in diesen Zeiten der Be-wusstlosigkeit etwas geschieht.Auch bei Verruckten kann man sehen, dass sie sehr viel in ihremLeben an geistigen Gutern mitbekommen haben. Das zeigt sichmanchmal einige Tage vor dem Tod.Ich habe einmal behauptet, ich sahe nicht ein, warum man imSchlaf nicht frei sei. (Da hatte man mich beinahe aufgefressen.Aber Freiheit und burgerliche Verantwortlichkeit fallen nicht zu-sammen) Ich habe ja im Schlaf Bewusstsein: intelligible Einsichtin logische Zusammenhange. Die Tatsache, dass ich nicht bur-gerlich verantwortlich bin im Schlaf, andert daran nichts.Ich glaube, der Verruckte denkt absolut logisch, nur mit ver-korkstem Material. Wahngebilde eines Verruckten sind im Grun-de genommen die logisch aufgebauten Kartenhauser, die deshalbfalsch sind, weil seine physiologischen Lieferanten falsches Ma-terial liefern.Nehmen wir an, es komme mir im Schlaf vor: Ich kann nur mei-nen Vater hassen oder den Teufel hassen. Dabei kann ich michdann entscheiden in dieser unsinnigen Aufgabe: den Vater zuhassen. Das ist hinsichtlich der Freiheit und der formal logischenIntelligenz moglich.Hier zeigt sich: Frage des obduratus ist schwierig zu losen.

Andere Schwierigkeit: Nehmen sie an, ein junger Mann verliertseinen katholischen Glauben. Mit Schuld. Geht in dieser Hal-tung auf die Universitat. Liest und studiert alles Mogliche zu-sammen. Alles was er tut, bedeutet physiologisch, psychologischusw. einen ungeheuren Berg von Einstellungen, Assoziationen.Ich kann mir durchaus denken, dass all das, was so angehauft istals vorgegebenes Material, dass das die Freiheit, nicht als for-male Moglichkeit, sondern die Materialitat der Freiheit so be-stimmt, dass der Betreffende im empirisch greifbaren Sinn niemehr zum katholischen Glauben kommt.

Wenn sie protestantisch geboren worden waren, hatten sie sichergenauso guten Willen wie jetzt und wurden doch nie katholisch.Musste ich sagen: Diesen guten Willen wie jetzt hatten sie dann

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

nicht? Warum sollen die anderen nicht ebenso guten Willen ha-ben? Warum sind sie nicht katholisch? Das faktisch vorliegendeEinstellungsmaterial ist in der konkreten Endlichkeit des Le-bens beschrankt. - Sie konnen auch in ihrem Leben nur so undso viele Seiten lesen. Da werden sie zunachst einmal meinetwe-gen 50000 Seiten protestantische Literatur gelesen haben. Ganzabgesehen vom guten Willen werden sie sich so viele Seiten deranderen Theologie angeeignet haben. Wenn sie noch 100 JahreLeben wurden, wurden sie dazukommen, katholische Literaturlesen zu sollen. Und vielleicht nochmal 30 Jahre spater kamen siedarauf: Das ist das Richtige. Und dann konnen sie nicht sagen:Ich hatte mit der katholischen Literatur anfangen sollen.Wenn das nun da ist, und einer empirisch uber diese Sache nichtmehr hinweg kommt, kann der dann den Glauben nicht mehrwieder gewinnen, weil er in dieser greifbaren Weise, indem eranfangt zu beichten usw., weil er dazu nicht mehr kommt?Das steht nicht mehr fest. Warum? Anderes Mal. (Siehe Seminaruber die Unglaubigen)Die Frage ist sehr brennend: Lennarz, Hurth (massiv orthodox)sagen: Die vatikanische Lehre, dass einer, der schon katholischwar, keinen Grund haben kann, abzufallen, beziehe sich nichtbloß auf objektive Richtigkeit, sondern auf die subjektive Rich-tigkeit dieses Grundes.An sich kann ein Katholik, qui fidem sub Ecclesiae magisteriosuscepit, nullam unquam habere potest iustam causam mutandi(D1794) eandem fidem. Er kann nur durch eine Schuld, und imGrunde mussen sie sagen: subjektiv schwere Schuld (da fangensie schon an, zu blinzeln und zu stottern) den Glauben verlieren.Stellen sie sich vor, da ware ein Theologe gewesen, der ware vomkatholischen Glauben abgekommen. Da muss ich sicher sagen:der hat ihn sub magisterio ecclesiae angenommen gehabt, derhat ihn durch subjektiv schwere Schuld verloren.Jetzt muss sich sagen: Diese Sunde kann er sicher nur dannwieder uberwinden, wenn er auch in einer empirisch greifbarenWeise wieder zum katholischen Glauben zuruckfindet. De hac renon constat, denn es kann die innere Einstellung eines Willensunter Umstanden auch anders werden, wenn das durch die fruhe-re falsche Einstellung erzielte Material nicht mehr uberwundenwerden kann. Apriori non constat, tale esse impossibile.Wir sehen also, dass die Frage, wer ein obduratus ist in konkretouberhaupt nicht gelost werden kann oder schwer.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

D. Quoad”supernaturale“ zunachst hier angegeben als definitorisch fest-

gelegt. Warum es von Bedeutung ist, so etwas abzugrenzen usw.kommt spater zur Sprache.

E. Finis: 1. Dass der Mensch das wirklich hat, dass das in quidditatedeterminata entis inscribitur: Sache der Ontologie.Dass man nicht aus allem alles machen kann, dass alles nichtnur das Brodeln eines allgemeinen Breies ist, dass es abgegrenz-te einmalige Wesenheiten gibt, die in diesem Sinne eine Naturhaben und mit dieser Strukturiertheit eine Finalitat mitgegebenist, eine einmalige gerichtete Geschichtlichkeit, gehort in die all-gemeine Ontologie. Das ist nicht leicht zu beweisen, besondersdem modernen Menschen.Wir machen es dem modernen Menschen mit unserem billigenGeschwatz nicht leicht. Man kann nicht die durchschnittlichescholastische Philosophie so mit diesem loben.Dieses geheime Lebensgefuhl, dass alles ein Brei ist, aus demman alles machen kann, man muss es nur unter die entsprechen-de Stanzmaschine legen, unterliegt der Physik. Ihr ist es ja imgewissen Sinne gelungen, vieles auf gewissen Brei abzugrenzen,so dass man gewissermaßen alles aus allem machen kann.Den Menschen ist schwer beizubringen, dass, je hoher die Seins-stufe, dass umso abgesetzter und selbst-bewusster das Seiendeist und dass die Deszendenztheorie im Vergleich zum periodi-schen System eine unmogliche Analogie ist.Wir mussten eine Metaphysik haben, in der das Hochste dasNiedrigste erklaren muss.

Z. B. in der Christologie musste Anthropologie von Christus aus-gehen. In Wirklichkeit machen wir es umgekehrt. Weil es Men-schen gibt, gibt es Tiere, weil es Geist gibt, gibt es die Materie,weil es die Geschichte Gottes gibt, gibt es uns. Usw..Diese Dinge einer christlichen gesattigten Ontologie, mit der istes nicht weil her bei uns.Es gibt kein naturliches Ziel. Es konnte eines geben. Aber dasist kein Ziel, solange es dieses nur geben konnte.

4.2.2.3 Sensus, Adversarii, Qualificatio

III Sensus thesis

1. Propter specialem difficultatem lassen wir die Kinder aus, dievorzeitig sterben. Wir sagen hier: circa adultos. Kinder vielleichtspater.

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

Da sieht man es wieder: Wo eine Frage schwierig wird, lasst mandas aus, schwingt sich auf das Ross der Selbstverstandlichkeitenund reitet stolz darauf.Nein! So einfach ist es nicht!Wir konnen hier Existentialisten sein; der Mensch, fur den dieseThese wichtig ist, ist der Mensch, der nach seinem Heil fragt.Das Wickelkind ist ja nicht dieser Mensch. Dem brauche ich die-se Frage nicht beantworten. Die Menschen, die diesen Einwandmachen, durfen sich ja nicht im selben Sinn so fur dieses Kindinteressieren, wie fur sich. Diese Frage muss der Mensch fur sichbeantworten.

Zu bb) operosa remote sufficientem: Non dicimus proxime suffi-cientem. Debemus cauti esse: saltem debet hominibus gratiasremote sufficientes dare ita ut si homines tales accipiunt ulteri-us ducuntur a Deo, und, wenn sie keine zu großen Hindernissesetzen, gelangen sie zum Heil.Non dicimus tt offere paratus est, sed: re vera confert. Si om-nia offerentur et nulla conferentur, dann kann man nicht vonuniversellem Heilswillen sprechen.

IV.Adversarii Adversarii.

Reformatores maximi momenti. Hodie; nude crude: fortasse paucio-res. Einen absoluten restriktiven Heilswillen Gottes, grob raus-gesagt, werden die Theologen heute nicht mehr zu sagen wagen.Calvin hat das noch gesagt. Luther auch zuerst, aber spaternicht mehr, zu universellem Heilswillen geneigt.

Calvin: Weil er sich die Unverrechenbarkeit Gottes mit uns nichtanders denken kann als so, dass er von vorneherein seine Straf-gerechtigkeit gewissen Menschen gegenuber zeigen will.

Hier ist mehr der rationale Philosoph am Werk: Will erklaren,verstandlich. Wenn man bedenkt, dass es nicht leicht zu sagenist, wieso Gott bedingten Heilswillen haben kann, da kommtman leicht dazu zu sagen: Entweder nur eingeschrankter Heils-wille oder Apokatastasis. Wenn beides nicht: Ich weiß von be-dingtem und trotzdem ernsthaftem Heilswillen Gottes und mehrweiß ich nicht.Ich kann ihn nicht von vorneherein universell machen, dennwenn Gott universellen hat, absolut, und ich weiß das, dannweiß ich, dass alle gerettet werden. Ich ware bei der origenisti-schen Apokatastasislehre. Was ich in dieser Richtung sagen darfund muss, gehort in den Traktat der Holle.

Saeculo 5. Lucidus contra quem scripsit Faustus. Faustus ipse:

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

tinctus Pelagianismo (Bischof von Sudgallien). Es kommt oftvor, dass ein Esel den anderen Langohr nennt. Er rebellierte ge-gen den restriktiven Heilswillen bei Augustinus. Der Mensch istendlich und sieht die Endlichkeit des anderen leichter als seineEigene.

Saeculo 9. Gottschalk (gegen welchen Hinkmar von Reims war).Irrationaler Voluntarismus. Arbeitet mit undurchdringlichenDekreten Gottes. Dass er einen Heilswillen Gottes haben konn-te, der eingeschrankt ist, ware verstandlich. Deshalb kann manHinkmar glauben.(Anmerkung 1)

• Wenn man das nur dumm findet, dann ist man selberdumm.

• Paulus redet auch nicht anders:– Wenn das Meiste die Geburt vermag, der Mensch

nicht Herr seiner Wege ist– und wenn die Welt von vorneherein tragisch endet

und– wenn man doch nicht sagen kann, dem lieben Gott

geht etwas schief,– dann muss es von Gott gewollt sein, dass es schief

geht.– Uns geht es schief, nicht Gott.Gott verherrlicht sich auch durch die Holle.

• Ich, der Lebende, bin der von Gott Angerufene, jederder noch nicht das Wort der Verlorenheit gehort hat,ist von ihm angerufen. Das ist eine Wahrheit, die gegendiesen Druck metaphysischer Erwagungen aufrechter-halten werden muss.

• Dort wo ich es selbstverstandlich finde, habe ich falschenGottesbegriff: Der liebe Gott, der fur uns sorgen muss,dass es uns gut geht. Nein! Wir sind fur ihn da.

(Anmerkung 2, siehe auch These 1, zur Pradestinationsleh-re der Schrift) Kann ich dann noch sagen: Er hat es an-ders gewollt? Das ist nicht so einfach; nicht Widerspruche,aber positive Vereinigung dieser verschiedenen Satze ist demMenschen nicht moglich.• Eine Logik, die dem Menschen adaquat ware, musste

solche Dinge ausbauen, die asymptotisches Anstrebenauszudrucken geeignet waren.

• Sobald man nicht sieht, dass im Grunde das Geheimnisnicht bloß der rein zufallig nicht aufgearbeitete Rest von

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

durchsichtiger Klarheit ist,• sondern sobald man einsieht, dass die Kreatur da ist

fur die Wahrheit, die ein Geheimnis ist und dass allesDurchschaubare nur das Vorlaufige ist und das Geheim-nis bleibt, selbst in der visio beatifica,

• dann hat man eine Position, von der aus solche Dunkel-heiten wie diese selige Wahrheit ertragen werden kon-nen.

Jansenistae.

Qualificatio V. Qualificatio

1. uber das ubernaturliche Ziela) Dass die unmittelbare Gottesschau fur den Menschen das

einzige Ziel ist, fur das er in der konkreten Ordnung de factoda ist, das ist eine Wahrheit, die man als eine Wahrheit desmagisterium ordinarium nennen kann oder saltem implicitedefinita.

b) Dass dieses Ziel ein ubernaturliches Ziel ist, wenigstens ge-messen an der faktisch existierenden Kreatur, das ist we-nigstens theologisch sicher. Wer also schlechterdings undin thesi leugnen wurde, fur die faktisch existierenden Men-schen und Engel ist das Ziel, das sie erreichen, naturlich,d.h. Gott konnte es ihnen nicht verweigern, Gott konnte sienicht so schaffen, dass sie diese Gottesschau nicht erlangen,wurde wenigstens gegen allgemeine theologische Uberzeu-gung sundigen, so dass eine solche Lehre eine eigentlichetheologische Zensur, Maßregelung verdient.

c) Talem esse simpliciter supernaturalem: hoc non est aliquid,de quo ecclesia in magisterio iam explicite loquitur. (Dassdassimpliciter ubernaturlich ist, daruber spricht die Kircheim Lehramt explizit nicht). Objectio contra hanc rem essetstultum, i.e. talis sententia omnem solidam probabilitatemegeret. (Etwas dagegen einzuwebdeb ware dumm, d.h. einersolche gegenteilige Sentenz wurde jede solide Wahrschein-lichkeit fehlen)

2. Allgemeinheit des Heilswillensa) steht eigentlich schon deutlich in der heiligen Schrift, auch

im Lehramt, der Predigt, der Haltung der Glaubigen. DassGott irgendwelche Gnaden an alle adressiert abgibt, auchdem Verharteten, irgendwie remote anbietet.

16.11.1956 Vorlesung 14

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Verurteilung des Satzes, dass Christus nur fur die Prades-tinierten gestorben ist (Innozenz X) bedeutet nicht, dass essicher ist, es gabe Leute, die nicht gerettet werden. Er refu-tiert nur den Satz

”Christus pro solis praedestinatis mortuus

est. Man kann nicht sagen, das habe nur Sinn, wenn es nonpraedestinati de facto gibt. Also gibt es solche. Wenn einerso sagt: Der schließt zu viel.Weiß ich aus dieser Verurteilung des Jansenius sicher, dasses non-praedestinati gibt? Aus dieser Verurteilung weiß iches nicht. Diese hat auch einen Sinn, wenn diese Verurtei-lung offen bleibt fur uns, die wir nicht wissen, ob es non-praedestinati gibt.Christus ist nicht gestorben deswegen, dass einige, die imVoraus bestimmt sind, das Heil erlangen, sondern Christusist fur alle gestorben, wie er selber in den Einsetzungswor-ten der Eucharistie sagt. Das konnte er als Sohn Gottesgar nicht, wenn es von vorneherein klar ware, dass er vongewissen Menschen das ewige Heil nicht wollte.Schauder erregendes Ereignis ware dann, wie sich der WilleChristi verhalt (vom allgemeinen Heilswillen) zu dem, dassde facto nicht alle gerettet werden. Er betet: Vater, ich weiß,dass du mir nichts verweigerst. Hat er fur alle gebetet? Ja.Warum werden dann nicht alle gerettet? Warum darf ichnicht sagen: Da du fur alle gebetet hast, warum darf ichdoch nicht sagen, also weiß ich, dass alle gerettet werden?Wie muss man sich dann den Vollzug des Gebets Christiim Zusammenhang mit dem bedingten Heilswillen Gottesgenauer vorstelle? (Das ist nur ein Hinweis auf eine Frage!)

b) im Konzil von Trient: dass Gott den Gerechtfertigten ge-nugend Gnade gibt, um in ihrer Rechtfertigungsgnade zubeharren.Nehmen sie an, es kame ein braver Mann und wurde sagen:ego materialiter saltem feci hoc et hoc peccatum contra sex-tum praeceptum. Kannst du dem sagen: revelatum est inconcilio Tridentino, Deum saltem iustis dare gratiam suf-ficientem ad omne peccatum evitandum. Du hast also derGnade widerstanden? Nein.Magni momenti est: dort wo re vera schwere Sunden gegenGott geschehen, hat der Mensch etwas getan, was er vermei-den hatte konnen. Der Mensch widerstand wirklich diesenGnaden.Jungling von 16 Jahren. Onanie. Angenommen, dass er sich

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

subjektiv schwerer Sunder angeklagt hat. Signum est evi-dens, eum aliquid fecisse, quod omittere potuisset. Non so-lum obiective grave sed subiective grave.Das Konzil von Trient definiert das und nur das: uberall, wotatsachlich der Mensch, der gerechtfertigt war, so sundigt,dass er die Gnade Gottes verliert, also nicht nur objektivsondern subjektiv schwer sundhaft sich verfehlt, uberall dorttut er es, obwohl er es anders konnte. Aber dort wo er ohneschwere Schuld objektiv sich schwer versundigt, aber nichtsubjektiv, da sagt das Konzil von Trient nichts.Ich will nicht sagen, dass diese Dinge nichts miteinanderzu tun haben. Wenn sie fur einen ins Wasser springen, undsein Leben zu retten, dann haben sie mehr Chancen, auchsubjektiv was Richtiges getan zu haben, als wenn sie denBetreffenden totschlagen. Auch wenn die ihn totschlagen,kann ich nicht feststellen, ob sie das mit subjektiv schwererSchuld getan haben. Aber doch haben nicht beide schlech-terdings die gleiche Chance subjektiv gleich gut vollzogenzu sein.Wenn einer kommt und sagt: Ich glaube nichts mehr. kannich dann sagen: nein, sie haben ganz bestimmt ein subjektivschlechtes Gewissen. Oder muss ich sagen: ja gut also, duhast nach deiner Meinung ein subjektiv schlechtes Gewissen.Kann ich dann sagen: Mehr als ein subjektiv gutes Gewissenbraucht man nicht haben, dann ist es in Ordnung.Sondern ich muss sagen: An sich hat die objektive Wahrheitund Falschheit nicht dieselbe Chance, subjektiv gleich gutvollzogen zu werden. Ich kann nicht sagen: der andere istein Schuft, sonst musste er katholisch bleiben (bzw. sein).Aber dieses Recht und diese Pflicht habe ich durchaus, einenKatholiken anders zu sehen als einen, wenn auch subjektivnicht schuldigen Anders- oder Unglaubigen.

c) Propter refutationnem sententiarum apud Quesnel, Janse-nistas. (wegen der Verwerfung der Satze bei Quesnel, dieJansenisten)

a)-d) de facto konnte man mehr sagen. Wenn man aber streng sich andie kirchenamtlich streng festgenagelten Satze halt, dann muss mandas so auflosen:

An sich veritas divina, wenn auch nicht bis in alle Konsequenzenhinein so klar, weil es nicht klar ist, dass die einzelnen Konsequenzenso daraus folgen. Aber einige dieser Folgerungen sind eben selbst

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

wieder definiert.

VI Non quaerimus Fast vorgelesen aus dem Kodex: relate ad quid an-tecedens: nos: ad praevisa merita et demerita, alii: ad maiorempulchritudinem universi usw. (vorausgehend in Bezug auf was, wobeiwir meinen, auf vorausgesehene Verdienste, andere Meinen großereSchonheit des Universums usw.)

De voluntate salvifica erga parvulos: (uber den Heilswillen ge-genuber den Kindern). Generatim supponitur: Evidens esse, in-fantem nullos actus fidei elicere posse. Non posse salvari sinebaptismate. (Im Allgemeinen wird vorausgetzt, es sei evident,dass Kinder keine Heilsakte erwcken konnen und so nicht geret-tet werden konnen ohne Taufe)

Concludunt: parvuli non baptizati de facto non obtinere beatitu-dinem supernaturalem. (Daraus schließen sie, dass dir Kinderohne Taufe de facto die Seligkeit nicht erlangen)

Dicendum est: multa sunt, quae ut securius supponuntur, quamtheologia de facto scit. Si aliquis ... ut etiam post finitam vitamprobationis .. num ista condicio verificetur in infantibus, de hacre certitudo non talis est quomodo supponitur. Num ista nondefinita tantum pondus habent, ut inde illi damnatos iri certi-tudinem theologicam obtineri possit:, dubitari debet. (Dazu istzu sagen: Es gibt vieles, was als sicherer vorausgesetz wird, alsdie Theologie de facto weiß. Wenn einer ... wie auch nach demEnde des Lebens der Bewahrung ... ob diese Bedingung bei denKindern verwirklicht ist, daruber besteht nicht die Sicherheit,wie sie vorausgetzt wird. Ob diese nicht definierten Dinge sogroßes Gewicht haben, dass daraus theologische Sicherheit er-halten werden kann, dass diese verdammt sind, ist zweifelhaft.)

Gumpel: Recensuit quod omnes theologi de hac re dicunt. (Gumpelzeigt, dass die Sicherheit der Theologen nicht so groß ist, wieman annimmt.)

4.2.3 Beweis

Probatio.

4.2.3.1 Magisterium der Kirche

I. Ecclesia. 1. quoad finem supernaturalem. (bezugl. ubernaturlichem Ziel)

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

a) visio beatifica unicus finis hominis eum obligans. (Visio beatifica isteinziges Ziel des Mensch, das anzustreben er verpflichtet ist.)

Carthago XVI: Pelagianer sagten: esse aliquam felicitatem praetervitam aeternam, dass der Mensch ohne Taufe eine gewisse Se-ligkeit auch ohe das ewige Leben haben kann.

Statum intermedium hat die Kirche damals (D102)(Nota!) ver-worfen. Definierte, zu Augustinus Zeiten festgesetzte Glaubens-wahrheit. Im Lauf der Zeit hat sich heraus gestellt: so richtigdas ist, so wenig darf man das so absolut voraussetzen (vielleichtbesser: herausstellen) wie Augustinus. So sehr es einen scharfenGraben gibt zwischen Seligkeit und Verdammnis, so sehr ist dieVerdammnis noch einmal differenziert.

Heute sagt der orthodoxeste Geistliche einer Mutter, deren Kindohne Taufe gestorben ist: Es hat eine naturliche Seligkeit.

Pius VI hat gegen Pistoja die scholastische Lehre in Schutz ge-nommen, dass es einen Limbus gibt: dass es Menschen gibt,die, weil sie die Seligkeit nicht erreichen, insofern sie sie nichterreichen, verloren sind und doch Inhalt naturlicher Seligkeiterreichen.

Billot sagte: auch sehr viele andere Menschen sind dort, die ausGrunden, fur die sie nichts konnen, ohne schwere personlicheSunde sterben, aber auch pneumatische Seligkeit nicht habenund deshalb existentiell auf dem Niveau von Kindern gebliebensind, auch wenn sie vielleicht im zivilen Leben Atomforschergewesen sind.

Sed retinendum est: (Man muss festhalten)iuxta religionem, legitimestatus intermedius interdamnationem et vitamaeternam, quam Deus vult,non haberi. Secus illud,quod alii habent, non potestdici damnatio.

Vom Standpunkt der Religion ausgibt es legitimer Weise keinen Zwi-schenzustand zwischen Verdammnisund ewigem Leben, sonst kann mandas, was jene haben, nicht Verdamm-nis nennen

De sorte hominum doctrina catholica: Idem dilemma: tertium nonhabetur.

Vaticanum 1: von allen Menschen gesagt. De voluntate obligantequoad finem supernaturalem dubium esse non potest. (Uber denverpflichtenden Willen zum ubernaturlichen Ziel kann kein Zwei-fel sein)

b) supernaturalis (ubernaturlich)

Haec veritas non adeo caput doctrinae apud patribus. In scholasticamedii aevi evoluta. Nonnisi post Concilium Tridentinum in magiste-

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

rium influit. (Diese Wahrheit ist nicht so sehr ein Lehrkapitel bei denVatern. Sie wurde in der Scholastik des Mittelalters entwickelt. Erstnach dem Konzil von Trient floss sie ein in die Lehre der Kirche.)

1.Mal: in damnatione Baji per Pium V. (in der Verurteilung desBajus durch Pius V.)

2.Mal in damnatione Frohschammer per Pium IX (1862) De su-pernaturali commercio hominis cum Deo, contra theoriam il-luminationis inculcare debuit ecclesia supernaturalitatem. (inder Verurteilug von Frohschammer durch Pius IX, (1862). Uberdas ubernaturliche Verhaltnis des Menschen zu Gott, musstedie Kirche gegen die Aufklarungstheorie die Ubernaturlichkeiteinhammern)

3.Mal explicite in Vaticano 1: Debuit ordinem supernaturalem fusi-us tractare, sed praemature est interruptum. Plus dicere voluit,de facto non potuit. (Explizit im Vatikanum. Dort musste dieubernaturliche Ordnung breiter behandelt werden, wurde abervorzeitig abgebrochen, Wollte eigentlich mehr sagen, konnte esaber de facto nicht)

2.Quoad universalitatem voluntatis salvificae. (bezuglich der Universa-litat des Heilswillens)

• Arelatense: schon gegen die Harten Augustins: Christum prosalute omnium mortuum esse. (Christus ist fur das Heil allergestorben)

• Arausicanum II: gegen Semipelagianismus: sufficientem grati-am habent. Deum non praedestinare ad malum nec ad poenam(Alle haben hinreichende Gnade, Gott bestimmt nicht zum Bo-sen und nicht zur Strafe voraus)

• Tridentinum: Per transennam et sine haesitatione: Christuspro omnibus mortuus est. (Nebenbei und ohne Zogern verlaut-bart, dass Christus fur alle gestorben ist) .... Siehe Kodex.

Kommt uns hier selbstverstandlich vor. In der Praxis ist aber die Be-deutsamkeit der Kirche als Gnadenmittel gar nicht so einfach.

Es gab viele Theologen, die sich pessimistisch und rigoros fragten,ob denn mit der Lehre, dass es außerhalb der Kirche Gnadengebe, gesagt sei, dass jemand, der außerhalb der Kirche sterbe,in der rechtfertigenden Gnade Gottes sterben konne. Cyprian,Augustinus hatten das nicht zugegeben.

Wenn wir horen, nach der Lehre der Kirche gibt es außerhalb derKirche vor dem Glauben Gnaden, dann durfen wir uns durch-

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

aus denken (das ist schon mehr unsere freie Interpretation) dasses auch Rechtfertigungsgnade außerhalb der Kirche und desChristentums gibt. Wie das dann zu vereinigen ist mit der Fra-ge, dass es unmoglich ist, Gott zu gefallen ohne Gnade, mit derNotwendigkeit, dass Rechtfertigung nur durch den Glauben ge-schehen kann. Behandeln wir hier nicht! (Siehe Seminar uber dieUnglaubigen)

Wichtig ist zu einer Integration des nichtchristlichen Lebens sichklar zu machen, dass es wirkliche Gnaden außerhalb des Chris-tentums und vor dem satzhaften Glauben geben kann.

Wie leicht man das vergessen kann, auch in der Theologie, zeigtdie dogmatische Beurteilung der außerchristlichen Religionen(die außer dem Judentum und dem Christentum liegen!). Gehtim Grunde meistens (Schmidt-Schule und Prumm) nicht ganzthetisch aber in der Gesamtoptik von der Voraussetzung aus,alle außerchristlichen Religionen setzen sich zusammen aus1. Philosophischer Gottes Erkenntnis2. Tradition von einer Uroffenbarung her und3. Depravation von Seiten des Menschen im Fortschritt der

Kulturen.Meistens kommen sie durch Analyse nur auf diese Elemente. Das

ist von der Kirche nicht nur nicht gefordert sondern sicher falsch.Warum sollte im Erscheinungsbild außerchristlicher Religionendas Walten der Gnade sich nicht irgendwie bemerkbar machen?Ich brauche von solcher Lehre her nicht so an diese herantre-ten: Da konnte ich noch ein Gran Vernunft finden, der nur vonDepravation uberwuchert sei.1. Selbstverstandlich kann ich nicht sagen, das seien nur ande-

re Erscheinungsweisen, hinter denen das Christentum stehe,so dass man nur eine Religion sagt, die sich nur in ver-schiedener weise Leib, Erscheinungsform schafft. So ist esauch nicht. Deshalb ist die andere Auffassung aber trotz-dem nicht richtig.

2. Man hat sich gefragt, ob es nicht auch außerhalb des Chris-tentums in indischer oder in islamischer Religion Phanome-ne einer echten, ubernaturlichen Mystik gebe, einer echten,hohen, tiefen, reinen Religiositat, bei der man dann vor-aussetzen konne, dass die Rechtfertigungs-Gnade die Wur-zel solcher Erscheinungen ist. Apriori liegt nichts im Wege.Aposteriori, ob das so ist, ist andere Frage. Sehr schwer be-antwortbar.

3. Man muss auch bedenken, dass es auch innerhalb des Chris-

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

tentums sehr viel (oder viel, wenn sehr zu sehr ist) Wustgibt, der wahrhaftig nicht erfreulich ist. Man kann sagen:Gehort nicht zum Christentum. Aber es sind Dinge, die anund fur sich nicht hatten sein sollen.a) (Ob es notwendig war, Menschen zu verbrennen, weil

sie nicht katholisch bleiben wollten?). Solche und vieleandere Erscheinungsformen des Religiosen, bei denenman, auch bei aller historischen Relativitat, mit der wirunseren Geschmack beurteilen mussen, trotzdem fragenmusste, ob sie gegen genuine Erscheinungsformen desReligiosen sind.

b) Gehort zu christlichem Bußeifer so ein sadistisches Wu-ten gegen sich? Solche und ahnliche Dinge gibt es sehrviele. De facto wurde es schließlich geduldet und es wur-den ahnliche Dinge geduldet, die uns heute nicht auffal-len; z. B. Oblaten-Wesen im 6./7. Jahrhundert. Ist daschristlich? Konnte man heute Buß-Formen des Alter-tums wieder einfuhren oder musste man nicht sagen:saltem rebus sic stantibus nicht berechtigt, obwohl mandenen bona fides zubilligen kann.

c) War 1890 Festhalten am Kirchenstaat etwas, was manfesthalten sollte oder besser anders? Fiskalismus im Mit-telalter im Zusammenhang mit Ablass war eine Sache,die nichts war. Pfrundenhaufung usw. waren Mißstan-de, die mehr oder minder eine Duldung, sogar legalis-tische Rechtfertigung fanden, in den offiziellen Betriebder Kirche aufgenommen waren.

4. Wenn man das bedenkt, muss man beim Vergleichen desChristentums mit anderen Religionen gerecht sein: Konkre-tes Christentum mit konkreter anderer Religion vergleichenund ideales mit idealer. Auch so kommt das Christentumimmer noch gut weg. De facto geschieht es aber oft anders.

5. Man kann nicht den Liberalismus der protestantischenTheologie beklagen und so tun, als ob dort, wo Katholi-ken sind, es eine Unglaubigkeit nicht gabe. In Frankreichpraktizieren nicht mehr Katholiken als in protestantischenLandern Protestanten praktizieren.

6. Man hat nicht ein Recht dazu, sondern, wenn der Satz gilt,dass es außerhalb der Kirche Gnade gibt, obwohl in ande-rem Gesichtspunkt, ist Gnade Christi und Gnade der Kirchevon ihrem Mittelpunkt her ausgestrahlt, dann braucht mannicht so zu tun, als ob wir die Leute dadurch retten, dass wir

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

beweisen, sie seien in den Klauen des Teufels. Das konnensie und wir innerhalb der Kirche auch sein.

7. Missionarische Taktik ist auch so moglich, dass man sagt,das, was ihr habt, das bringe ich zu adaquater Gestalt.

8. All das ergibt sich aus diesen Satzen.

21.11.1956 Vorlesung 15 h1

4.2.3.2 Schriftbeweis

1. finis supernaturalis (ubernaturliches Ziel)a.) unicus finis hominis eum obligans (einziges Ziel des Menschen,

das ihn verpflichtet)• aa) duplex tt classis hominum (es gibt nur zwei Klassen von

Menschen)• bb) Glaube so, dass wer nicht glaubt, verdammt ist.

b.) supernaturalis: spater ausfuhrlich bewiesen

Idea centralis: Ipsa vita ae-terna declaratur ut gratia ...Provenit ex voluntate liberaipsius Dei. Hominem respi-cit prout est creatura.

Zentrale Idee: Das ewige Lebenselbst wird als Gnade erklart.Geht hervor aus dem freien Wil-len Gottes selbst, Betrifft denMensch als Geschopf

Adoptio: Teilnahme an den Rechten des Sohnes als solchen, quaefit ex nihilo, non potest esse debita. (was aus dem Nichts wird(Geschopf) kann nichtgeschuldet sein)

c.) Weiteres in einer spateren These. Teilnahme an der gottlichenNatur, immer als freies Geschenk aufgefasst, als Gnade.Ubriges vom Schrift-Beweis: Siehe Kodex.

Zu 2. 1) d) die Erklarungen des Augustinus zu diesem Text (1 Tim 2,1-6) passen gar nicht zum Text: Dass es nur alle Klassen der Menschenseien. Darauf kommen wir zuruck bei der Tradition!

Von einiger Wichtigkeit ist es, einen Blick zu werfen auf die Pradestina-tionslehre der Schrift, Rom 9-11, auch Jh und Synoptiker.

Pradestination schließt wirklichen, allgemeinen Heilswillen Gottes nichtaus: wenn wir vom Unterschied der hinreichenden und wirksamenGnade reden werden: Dort werden wir horen: wirksame Gnade un-terscheidet sich nicht bloß durch das Einen-Faktischen-Effekt-durch-den-Menschen-Haben. Damit ist dann eo ipso erklart, dass es wirkli-chen allgemeinen Heilswillen Gottes gibt, auch wenn es partikularenErwahlungswillen Gottes gibt.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Wir mussen damit rechnen, dass de facto nicht alle selig werden. Obwir sagen: es werden einige nicht selig, oder: es werden existentielleinige wirklich nicht selig: im Traktat uber die letzten Dinge.

Also wir unterscheiden partikularen Erwahlungswillen Gottes vom uni-versellen Heilswillen Gottes, aber diesen nicht ausschließend. Warumdas nicht folgt und wie: beim Unterschied und der Existenz von hin-reichender und wirksamer Gnade.

Bei der Schrift muss man beachten, dass es eine semitische Primitivi-tat der Redeweise gibt, die zwischen Zulassen und Wollen GottesGottes nicht unterscheidet. (So auch: Hassen = minus diligere!) DerSemite lebt unter der großen, wichtigen Vorstellung, dass nichts demWillen Gottes entgeht. Dass also, wenn jemand verloren geht, desdadurch geschieht, dass er ihm die Moglichkeit gibt im freien Willen.Das beweist aber nicht, dass, weil alles umfasst, ist von wenigstenszulassendem Willen Gottes, dass deswegen die Kreatur den WillenGottes nivellieren konnte und sagen konnte, sie sind alle in dersel-ben Weise von Gott bewirkt. Im Grunde kann der Mensch sich nurversagen, weil Gott das zulasst.

• Daraus folgt nicht, wie die Pradestinatianer, Calviner meinen,dass deswegen die innere Unterschiedlichkeit in der Wirklich-keit, die Gott will, aufgehoben sei, dass das Gewollte bei Ver-dammung und Seligkeit im selben Sinne das Gewollte sei.

• Die Tatsache der Unbedrangbarkeit des Willens Gottes, der Un-entrinnbarkeit des Willens Gottes ist ein Pradikat, das dem Wil-len Gottes zukommt, das die innere Differenziertheit von Seitender Geschopfe nicht aufhebt. Scholastische: Gleichheit principia-tive bedeutet keine Gleichheit des Gewollten terminative.

• Wenn ich einfach sagen wurde, Gott pradestiniert den Ver-dammten genau so zur Verdammnis wie den Seligen zur Selig-keit, dann hatte ich den inneren Unterschied geleugnet, und dasware Haresie, und das will die Schrift nicht sagen.

– Denn dort im Romerbrief ist auch vom Heilswillen Gottesdie Rede.

– Es wird echt und unruckbar die Entscheidung zwischen Heilund Unheil einerseits tatsachlich auf Gott zuruckgefuhrt,

– andererseits auch auf den Menschen zuruckgefuhrt, die, ob-wohl sie vom Menschen in seiner Freiheit, Verantwortlich-keit konstituiert ist, dennoch nicht der souveranen Herr-schaft Gottes entgeht.

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4.2 These 1 Allgemeiner Heilswille

Die Schrift opfert weder die Freiheit des Menschen zugunsten einer Al-leinwirksamkeit Gottes, noch opfert sie die souverane UnabhangigkeitGottes. Wie beide zusammenhangen, weiß der Mensch nicht, wederMolina noch Banez. Wenn die Schrift daruber nichts sagt und diebeiden nicht vereinigt und nichts sagt, wodurch die beiden vereinigtwerden konnen, dann tut sie etwas, was die Kreatur nur kann.

Die Kreatur weiß, dass es den einen Absolutpunkt gibt, von demaus alles erklart werden kann. Aber sie kann sich trotz die-ser erkannten Absolutheit nicht auf diesen Standpunkt stel-len. Sie ist wesentlich befangen in pluralistischem Standpunkt.Diese Pluralitat kann nicht uberwunden werden innerhalb un-serer Moglichkeiten von Erkenntnis auch nicht Gottes, dasheißt Gottes-Erkenntnis ist nicht Verlassen dieses pluralistischenStandpunkts sondern ist die Einsicht, dass diese Pluralitat eineneinheitlichen Ursprung hat, der wir nicht sind.

Es klingt wie eine Paradoxie (fur Spießburger), aber es ist eine we-sentliche Eigentumlichkeit der Erkenntnis des Wesens Gottes,dass man es erkennt, wenn man erkennt, dass man das Erkann-te selbst nicht ist. Ich bin ja viel mehr durch die Erkenntnis einesBismarckherings ein Bismarckhering als das bei der ErkenntnisGottes ist, wo eben die Erkenntnis selbst wirklich mit Gott et-was zu tun hat und gleichzeitig, indem sie das hat, also Gottso nahe kommt, erst in diesen unendlichen Abstand von Gottzuruckgeht.

Dieses muss gesehen werden, wenn scheinbar die Schrift so un-metaphysisch zu reden scheint. Sie redet mit dem Mut dessen,der es gar nicht beabsichtigt, Gott zu sein, und Dingen neben-einander stehen lassen kann, deren Vereinbarkeit innerlich nichtgesehen werden kann. Naturlich muss man nicht Widerspruchsagen, aber das ist nicht Sagen-der-Harmonie.• Daher gehort das, was in der Fundamentaltheologie gesagt

ist uber die Mysterien. Dass wir A sehen und B sehen undnur negativ sehen, dass wir keinen Widerspruch haben. Dasaber ist kein Nachweis des Nicht-Widerspruchs.

• In der ersten These der Logik und Erkenntnismetaphysikmusste davon geredet werden. Dort: als ob der Mensch da-zu da ware, sich in klarem Licht aufzulosen. Die Kreaturist nicht einmal in der visio beatifica dazu da. Hintendreinsagt man dann, dass wir Gott auch im Himmel non possu-mus comprehendere. (Siehe auch These 1: Adversarii: An-merkung und unten und Seminar uber das Geheimnis)

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

• Das musste von vorneherein schon hier erkannt sein. DerMensch als Erkennender und Liebender ist nur kreaturlich,wenn das im ersten Ansatz mit ausgedruckt und erkanntist. In der Scholastik ist immer gewusst, dass der Menschkreaturlich ist, aber thematisch durchgefuhrt, was das be-deutet, in dem, was man erkennt, das ist sehr undeutlich.Deshalb hat man Schwierigkeiten.

4.2.3.3 Kirchenvater

III PatresOptimismus Patrum: Cla-re docuerunt universalita-tem voluntatis salvificae.Non agnoverunt intermedi-um. Haec omnia nulla diffi-cultas.

Der Optimismus der Vater: Sie lehr-ten klar die Allgemeinheit des Heils-willens, anerkannten kein Zwischding.Das alles ist ohne Schwierigkeit

Nur Augustinus macht Schwierigkeiten: Nach 397 (Diversas quaestio-nes, ad Simplicianum) hat Augustinus tatsachlich keinen universellenHeilswillen gelehrt. Wir bemuhen uns nicht, ihn herauszuhauen. Erist groß genug, um ein Mal in der Tinte zu sitzen. Auch eine Schwalbehier macht noch keinen Sommer im Jansenistischen Winter.Das Große ist, dass er kein Haretiker geworden ist, obwohl er ja An-lagen dazu hatte, dass er im Grunde doch Vertreter des universellenHeilswillens gewesen ist: Wo er predigt, predigt er alle an.

Im Mittelalter hat man sich die methodologisch interessante Frage ge-stellt, ob dem Menschen im Stand der Prufung jemals von Gott geof-fenbart werden konnte, dass er oder ein anderer sicher verloren gehe.Kann es uberhaupt eine Privatoffenbarung sicherer Art geben aneinen Einzelnen: du gehst sicher verloren, oder kann es das geben:Der andere geht sicher verloren? Ich glaube, dass diese Theologen,die das so prazise gefragt haben, richtig geantwortet haben: nein.

In der Predigt oft grasslicher Unsinn. Wer meint, er ware schon in derHolle herumspaziert, und er brauche nur sich von mystischen Nonnensagen zu lassen, wie viele Menschen in der Holle sind, der tauscht sich.Das hat mit eschatologischen Reden Christi nichts zu tun oder mussgenau so wie diese interpretiert werden.

Es ist festzuhalten, dass es wirkliche echt genuine existentielle Situationdes Menschen gibt, welche gewisse Erkenntnisse als fur ihn moglichegrundsatzlich ausschließt.

Was das fur welche sind, ist gleich. Wir behaupten, dass jeder objekti-ve Satz auch ein Satz fur den Menschen sein konnte, vorausgesetztdass er ihm mitgeteilt werden konnte, der leugnet im Grunde die

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

Endlichkeit des Menschen als Geist. Das ist Haresie. Der musste He-gelianer werden, der den Geist des Menschen mit dem absoluten Geistidentifiziert. Das musste man herausarbeiten. Aber das wird noch 200Jahre gehen.

4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

Kodex These 2Die Tatsache des universellen Heilswillens haben wir festgestellt. Nun

sagt die zweite These:

These 2. Haec vero voluntas salvifica Dei non est erga omnes homi-nes aequalis, cuius voluntatis inaequalitas est mysterium divinaepraedilectionis.

Dieser Heilswille Gottes ist jedoch nicht allen Mennschen gegenuberder Gleiche; diese Ungleichheit seines Willens ist ein Geheimnisder gottlichen Vorliebe

4.3.1 Existentielle Bedeutung

Modern ausgedruckt: Diese Allgemeinheit des Heilswillens darf nichtin demokratischem Sinne verstanden werden, weil Demokratie imGrunde kein metaphysisches Wertprinzip ist, das anzubeten ware.

Der Mensch als Geist ist im Grunde gerade nicht die Ware, die wederaus amerikanischer noch aus russischer Stanzmaschine Gottes her-auskommt, sondern er ist gerade als Geist derjenige, der jeder nureiner ist.

So sehr es ein Universale gibt, so sehr die Kirche gegen Situations-ethik ist, so sehr kann man sagen, dass jene absolute Einmaligkeitdes Menschen, unbeschadet dass es eine Natur gibt, immer etwas ist,was im Grunde nur christlich ist und war und nicht erreicht wurde,metaphysisch spekulativ auch noch nicht eingeholt wurde, obwohl esselbstverstandlich ist, dass das Christentum diese Wahrheit lebt.

Warum gibt es, wenn wir von der mythologischen Seite der Grie-chen absehen, keine individuelle Eschatologie fur den Menschen? Weiles nur das allgemeine Wesen gab. Der Mensch war im Grunde eineDutzend-Ware. Zu meinen, der hatte ewig weiter zu leben, das ist einNonsens.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Wenn wir es nun fur falschlich richtig halten, wir hatten fur ewig wei-terzuleben, dann mussen wir auch die metaphysischen Folgen darausziehen.

Wenn einer auf die Situationsethik loshaut, dann hat er sie nichtgezogen. Das ist nur der Fall, wenn es in diesem etwas gibt, was esim anderen nicht gibt. Wenn sie vom Universale reden, ist es ihnennicht klar, wie man sieht. Nicht einmal Thomas.

Wenn sich die Menschen, nach Thomas, nur durch die limitatio aparte materiae unterscheiden wurden, dann wurde das heißen: du bistgemessen an anderem moglichem Menschen bloß Negativitat. Darauswurde folgen: das aufzubewahren ist vollkommen uberflussig.1

Grob: wenn Gott sich eine Bibliothek anlegt, braucht er von je-dem Einfall nur ein Exemplar, es wird ja nicht abgenutzt. Wenn dieMenschheit im Grunde nur ein Einfall Gottes ware, und jeder Menschals Einzelner nur eine Restriktion dieses Einfalls ware, dann muss-te Gott seinen abstrakten Einfall aufbewahren, und die Einzelnenmussen wieder verschwinden.

In der Welt Gottes gibt es im Letzten nicht Demokratie sondern nurAristokratie. Jeder Mensch ist etwas Einmaliges, Unwiederholbares.

Bei den Engeln hat Thomas das kapiert. Suarez hat das nicht einmalbei den Engeln kapiert. Beim Menschen hat Thomas das irgendwieauch nicht ganz mitgekriegt, obwohl der Ansatz bei Thomas da ist,da die Seele als forma subsistens der metaphysische Haken ist, woman diese Uberlegungen aufhangen konnte.

Von da aus erkennt man auch deutlich, dass man sagen muss: DerHeilswille Gottes ist nicht bloß Heilswille Gottes, der den Einzelnentrifft, weil er die Menschheit anzielt, sondern ist wirklich ein Heils-wille, der den Einzelnen als Einzelnen meint, der den Einzelnen beiseinem Namen nennt, den sonst niemand kennt, der vom anderen

1Wo steckt der Unterschied? Wesen (essentia) Allgemeines: Prinzipien; Existenz: was aus der Freiheitkommt, je fur den Einzelnen Einmaliges Wesentliches: Imperative [gibt es fur thomistische Engel].Imperative sind nicht einfach Anwendung der Prinzipien! [Exerzitien: Wahlbetrachtung undWahl selbst: existentielle Logik, Imperative].Wir mussen den Mut haben zu Imperativen, nicht immer daruber reden und die Imperative, dieaufgestellt sind, torpedieren, nur das Sichere, Allgemeine sagen wollen, weil die Imperative nichtunangreifbar sind.Sie sind Sache der Laien je fur sich selbst: Rechte Wahl bei der Ehe, diesen Menschen nichtals Mann zu nehmen, kann man nicht in der Predigt beibringen. Priester werden, Arzt werden: Istkein Gebot Gottes, sondern Einsprechung des Hl. Geistes. Es muss doch auch Imperative geben, dievon allen durchgefuhrt werden. In kommunistischen Landern hat man Imperative! Falscher Imperativist besser als keiner. Warum steht es heute scheinbar so schlecht? Weil die Imperative noch nichtentwickelt sind. In Mittelalter war es nicht besser als heute, nur scheinbar besser.

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

nur erkannt wird, wenn er sich von Gott und seinem Sagen da hineinschwingt.

Nur insofern der andere den anderen als Unzuruckfuhrbaren stehenlasst, was in der Liebe geschieht, wird er ihm erst erkenntnismaßigzuganglich. Diese Perichorese von Erkenntnis und Liebe spitzt sichin solchem Fall besonders zu.

Gott liebt nicht so sehr den Einzelnen als er ihn als einen Sonderfallder von ihm geliebten Menschheit liebt, nicht als unum als einesprrincipium numeri, sondern insofern eins sagt: keine zwei.

Dass es ein”eins“ gibt, das

”kein zwei“ sagt, sieht man an Folgendem:

Wenn ich einen Gott sage, sage ich nicht, dass ein zweiter gedachtwerden konnte. Das ist aber gerade diese unmultiplizierbare Einheit,die kein Ursprung von Zahlhaftigkeit ist.

Zusammenzahlen kann man nur, insofern zwei dasselbe sind! Kannman sagen: Ich und Gott sind zwei? Das hat nicht viel Sinn. Kannich sagen: Es gibt drei gottliche Personen, wie ich sage: Es gibt dreiMenschen? Die drei gottlichen Personen sind nicht im selben Sinnauf einen Nenner zu bringen wie Fritz, Hans und Georg auf den Nen-ner Mensch zu bringen sind. Denn Person bei Gott ist gerade dasUnterscheidende, wahrend Mensch das Gemeinsame ist.2

Wenn nun Gott den einzelnen Menschen als den Einzelnen will undliebt, es in diesem Sinn universellen Heilswillen Gottes gibt, der gera-de nicht universal ist, dann folgt daraus in einer objektiv und absolutbetrachtet sekundaren Erwagung auch ein quantitativer Unterschied.

Landeshauptmann: Ich kann mich an ihn im Grunde gerade nur wen-den, insofern ich einer von vielen Selben bin. Fur meine unvertausch-bare Individualitat ist er nicht zustandig, insofern er Landeshaupt-mann ist (vielleicht insofern ich ihn besonders gut kenne und er meinFreund ist. Das darf aber nichts ausmachen insofern er Landeshaupt-mann ist. Das ware Ungerechtigkeit gegenuber anderen!)

Hingegen Gott ist nicht Prasident der ganzen Welt, der allen Un-tertanen freundlich die Hand schuttelt, wenn er wieder gewahlt ist,sondern der, der es fertig bringt, jedem in seiner einmaligen Indivi-dualitat zu geben, weil und insofern jeder Mensch, trotz allgemeinerBerufung zum Heil, immer der absolut Einmalige ist.

2dazu ist zu sagen: auch nur zu zahlen, insofern sie unterschieden sind. Bei Gott sie zahlen: insofern ens.An sich zum Zahlen nicht Wiederholung erforderlich

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Deshalb sagt diese These: Voluntas Dei est inaequalis, nicht in demSinn, dass er den einen mehr liebt und den anderen weniger, son-dern dass er jeden einmalig liebt. Von da aus dann erst in einemgestuften Sinn zu sehen.

21.11.1956 Vorlesung 16 2.Stunde

Talis voluntas non primogressu quantitativa differen-tia sed in diversa habitu-dine circa homines se ex-hibet, ita ut individualitasnon mere negativum sed po-sitivum quid sit, nempe ra-tio cur tale ens sit aeternum.

Ein solcher Wille zeigt sich im erstenSchritt nicht durch eine quantitativeDifferenz, sondern in einem verschie-denen Verhalten gegen die Menschen,so dass die Individualitat nicht etwasrein Negatives ist sondern etwas Po-sitives, namlich der Grund warum einsolches Seiendes ewig ist

In quantum individuales sunt, inquantum diversi, ipsa diversitastermini, dass sie auch zulasse Un-terschied respectu quantitatis, idest de inaequalitate proprie dic-ta, facile patet, quia probamus:hanc differentiam effectus volun-tatis salvificae non unice proveni-re ab ipsa libertate humana.

Dass sie, insofern sie Individuen sind,insofern sie verschieden sind, dieVerschiedenheit des Terminus selbstzeigt leicht, dass sie auch zulasseeinen quantitativen Unterschied, d.h.eigentliche Ungleichheit. Denn wirbeweisen, dass dieser Unterschied derWirkung des Heilswillens nicht nurvon der Freiheit des Menschen selbstkommt.

Non ita est ut Deus, sicut praesi-dens mundi paratus est unicuiquedare secundum merita eius. Tuncnon potest dici, eum habere vo-luntatem inaequalem circa singu-los relate ad merita.

Es ist nicht so, dass Gott, wie einPrasident der Welt, bereit ist, je-dem nach seinem Verdienst zu geben.Dann kann man nicht sagen, er ha-be ungleichen Heilswillen gegen denEinzelnen bezuglich der Verdienste

Dann ware die Verschiedenheit etwas, was rein von den großeren Ver-diensten der Untertanen allein kommt.

Wenn man sagen wurde, Gott hat nur Heilswillen im Allgemeinen, sodass von ihm aus kein Unterschied besteht, sondern nur insofern, alser den Guten belohnt und den Bosen bestraft, und zwar mehr oderweniger je nach der Gutheit oder Schlechtigkeit, dann hatte manden springenden Punkt dieser These nicht getroffen. Ipsa diversitasprovenit ex ipso Deo.

Die Verschiedenheit des Heilseffekts ist nicht nur eine Verschieden-

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

heit durch die Reaktion des Menschen auf gleichmaßig uninteres-sierten Heilswillen Gottes, sondern der Erfolg einer ursprunglichenunableitbaren actio Gottes selbst.

Wenn man sagt: warum ist ein kleiner Heiliger weniger hoch im Him-mel als die Mutter Gottes? Dann kann man sagen: weil Maria sichdurch ihre Freiheit großere Verdienste erworben hat. Warum hat Ma-ria sich großere Verdienste erworben als der hl. Stanislaus? Dann kon-nen und durfen sie nicht nur sagen, der eine hat sich mehr an denLaden gelegt, sondern: weil Gott durch seinen Willen diesen Unter-schied bewirkt hat.

Die merita selbst sind Folge der Entscheidungen des Menschen. Diesewieder liegen in der Hand Gottes. Der gesamte Unterschied hangtultimatim von einem Unterschied ab, den Gott selbst sua voluntatewirkt.

Warum tut das Gott? Warum hat er den Willen, den einen großere Ver-dienste erwerben zu lassen als den anderen? Weil es Gott gefallt. Mankann Gottes Willen nicht weiter zuruckfuhren.

Man kann auch die Freiheit nicht in rationale Sinnhaftigkeit redu-zieren, welche die Freiheit, wenn sie sinnvoll ist, in etwas anderesauflosen musste. Naturlich handelt Gott immer vernunftig, aber die-se Sinnhaftigkeit des Handelns Gottes ist nicht etwas, von dem ichdieses Handeln Gottes ableiten konnte, so dass ich sagen konnte: Weildas sinnvoll ist, hat Gott das gemacht.

Das kommt daher, dass die Freiheit und der Wille nicht nur die Mo-torik einer Sinnhaftigkeit ist, die unabhangig und zum voraus zurfreien Entscheidung sinnhaft ware und deshalb gewollt, weil sie sinn-haft ist. Nein, sie ist sinnhaft, weil freie Entscheidung sinnvoll ist.Dass ich diesen Inhalt wahle eher als anderen, ist sinnvoll deshalb,weil Freiheit sinnvoll ist.

Warum ist es nicht sinnlos, eine gute Welt zu schaffen, wenn man einebessere schaffen konnte? Weil jede Freiheit dem Endlichen gegenubersinnvoll ist. Die Kategorie der Entscheidungsfreiheit ist sinnvoll nurdem Endlichen gegenuber. Man kann nicht sagen: Gott liebt sichgezwungen. Aber auch nicht frei. Diese Disjunktion hat da keinenSinn. Hat nur Sinn dem Endlichen gegenuber oder dem als endlichvorgestellten Unendlichen (deshalb sind wir Gott gegenuber frei), weiles keine Begrundung hat und dadurch gerade die Sinnhaftigkeit derFreiheit als Freiheit schafft.

Darum kann ich nicht sagen: warum liebt Gott gerade diese Welt,

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

in der es diese Menschen gibt. Weil er sie will. Non potest in aliudreduci. Mysterium voluntatis divinae. Diese Souveranitat, dieses nichtvon anderem als zu Erstrebendem abhangig sein, das ist die FreiheitGottes. Freilich eine solche Freiheit, die sich darin zeigt, dass sie diesesandere liebt.

Wie kann man dann dieses aushalten? Ist das eine Resignation? Erhatte es auch anders machen konnen, lass’mer ihm den Gefallen?

Ipsa intellectualitas pervenerit ad obstaculum: Debet transire in ca-ritatem. (Der Verstand selbst kommt an ein Hindernis. Er muss indie Liebe ubergehen) Zum Wesen der Liebe Gottes gehort es, den an-deren in seiner unableitbaren Freiheit gelten zu lassen, ihn nicht mitetwas von ihm Verschiedenen begrunden zu wollen. Die Erkenntniseines anderen ist immer eine Erkenntnis eines anderen, in dem manihn durch anderes erklaren will.

Das geht letztlich nicht. Die rein bezwingende, auflosende, zuruck-fuhrende, bewaltigende Erkenntnis kommt an einen Punkt, wo siedie Bezwungene, Bewaltigte sein muss. Das kann sie nur aushalten,weil sie das Transzendentale neben der Liebe ist.

Wer nicht begreift, warum die Liebe nicht dasselbe Problem hat, derhat nicht geliebt. Den kann man nur auffordern, das zu versuchenoder zu verzweifeln. Die Strafe der Verdammnis: das Belassen dieserFreiheit in ihrer Sinnlosigkeit.

Das nur, damit man versteht, was diese These bedeutet.

Terminative: respectu termini,

... quarum diversitate ipsoshomines facit diversos. Haecincommutabilis singularitascaritatis eius nobis tum exeo facillime patet, quod sin-guli homines varia et diversagratiae dona possideant.

Terminativ, bezogen auf das Er-gebnis, den Zielpunkt, durch wel-che Verschiedenheit er die Menschenselbst verschieden macht. Diese un-vertauschbare Einzigartigkeit seinerLiebe erscheint uns auch daraus amleichtesten, weil die einzelnen Men-schen unterschiedliche und verschie-dene Gnadengaben besitzen

Das geschieht nicht durch die Antwort (responsum) des Menschensondern schon von Seiten Gottes aus. Gott gibt tatsachlich verschie-dene Gnaden. Dieses Gnadenangebot, Hilfsangebot Gottes ist nichtnur von Seiten des Menschen verschieden, sondern die Verschieden-heit der Benutzung ist selber noch einmal das Geschenk Gottes.

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

Non catholicum est putare,nostram reactionem in solli-citationem (Sorge) Dei nonesse donum Dei.

Es ist nicht katholisch zu glauben, un-sere Reaktion auf die Sorge Gottesware nicht ein Geschenk Gottes

Das Gegenuber-Gott-Etwas-Sein ist selber noch mal Gottes Gabe.Das Gute nicht nur als Moglichkeit, sondern auch als Wirklichkeit,nicht nur dass ich es kann, sondern dass ich es wirklich tue, ist vonGott. Die Realisation selbst ist noch einmal Gottes Gabe.

4.3.1.1 Erkurs: Sunde, Sartre

Hier mussen wir vorsichtig reden, aus Grunden, die spater kommen.

Dann habe ich vor Gott eigentlich nichts, nur die Sunde, und die istvor Gott gemessen nichts, worauf der Mensch sich nicht nur nichtseinbilden kann, sondern was?

Wenn Sartre sagen wurde: also bin ich nur etwas, wenn ich sundige,denn dann habe ich etwas getan, was auf niemand mehr zuruckzu-fuhren ist, denn dieser gegenuber wascht Gott seine Hande und sagt:Dafur kann ich nichts. Sartre wurde sagen: Dort wo ihr Gutes tut,musst ihr ja gerade noch mal sagen, das hat mir Gott gegeben, nichtnur das Konnen, sondern auch das Vollbringen. Dass ich es tatsach-lich gut mache, nicht nur, dass ich es kann, gibt mir Gott. Das isteine Wahrheit des Glaubens.

Dann habe ich ja nichts. Ich mochte aber etwas haben. Gibt es etwasin der Welt, was mir Gott selbst nicht abspricht und absprechen will,wo er nicht sagt, das ist von mir? Dann konnte man sagen: ja, einesgibt’s: die Sunde. Die hat ja Gott verboten. Wenn ich das tue, habeich etwas, was ich auch Gott gegenuber habe, mein Eigenes.

Warum ist das falsch?

Hier mussen wir auf das Problem des Thomismus und Molinismuskommen. Das steckt in dieser These auch drin. Obwohl Gott das nichtwill, konnte ich das nicht tun, wenn er es nicht zuließe, und dieseZulassung ist wirkliche Zulassung:

Wenn ich eine Fensterscheibe habe und ein anderer wirft sie mir ein,dann hat er diese von mir nicht gewollte Moglichkeit ohne mich ge-habt. Bei Gott ist es nicht so.

Nach dieser These konnte Gott durchaus das ohne weiteres verhin-dern, und zwar so, dass er mich dadurch nicht gezwungen hatte. Ich

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

kann nicht sagen: Wenn er es gegen meinen Willen verhindert, habeich doch gesiegt. So ist es nicht.

Er konnte es verhindern, indem er macht, dass ich es frei gar nichtwill. Auch der Sunder bekommt durch seine sundige Freiheit keineechte Autonomie Gott gegenuber.

Im Gegenteil. Weil und insofern Selbstandigkeit und Autonomie Gottgegenuber gar keine Wirklichkeit ist, die kontrar zur Abhangigkeitvon Gott steht, sondern im selben Maße, nicht im umgekehrten Ma-ße wachst und abnimmt, insofern ist derjenige Gott gegenuber amselbstandigsten, der am abhangigsten ist.

Wer konnte Gott gegenuber allein unabhangig sein? Das Nichts. Unddas hat nichts davon, das ist eben nichts.

Etwas sein neben dem absoluten Sein kann man eben bloß durch dasabsolute Sein, und dieser selbstverstandliche Grundsatz muss mutigauf alles angewendet werden, auch auf die Freiheit.

Die selbstandigste, autonomste Freiheit ist gerade die, die im posseund agere von Gott auf ihre Fuße gestellt wird. Wir konnen immernur tatig sein, indem wir das Gemachte auf unsere Fuße stellen. Gottkann tatig sein, indem er das andere auf seine Fuße stellt. Er alleinkann Freiheit geben. Das Frei-Geben im Gegensatz zur frei gegebenenFreiheit zu begreifen, ist nicht moglich.

Weil ich die Tatsache sehe, muss ich sagen, dass das Unendliche das-jenige ist, was Endliches machen kann, ohne aufzuhoren, unendlichzu sein, und dass das Endliche tatsachlich etwas vor dem Unendli-chen ist, nicht so, dass es schlechterdings getrennt werden kann vonGott, sondern dass es wachst, indem es Gott nahe kommt.

Wenn sie das als Entfernen auffassen, sagen sie: Er entfernt sich vonGott dadurch, dass er ihm nahe kommt.

Sunde ist also reine Negativitat, die nicht geschaffen ist, sondern zu-gelassen ist. Die Emanzipation von Gott durch die Sunde ist eineChimare, freilich eine Chimare, die der Mensch meinen kann unduber deren Faszination er nur in der Liebe zu Gott hinweg kommt.

Ich muss doch, bevor ich Gott liebe, wissen, dass es einen Sinn hat,Gott zu lieben, und das kann nicht darin bestehen, dass Gott unsandroht, uns zu bestrafen, wie der Starke dem Schwachen droht. Esgibt eine Sinnhaftigkeit, die eine in der Liebe zu Gott gebundene ist.

Begreifen, dass die Sunde sinnlos ist, kann man nur, wenn man liebt.Wenn man liebt, ist man nicht in der Sunde. Es gehort eine gratia

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

praeveniens dazu: Ich muss, bevor ich mich entscheide, die Entschei-dung und was ich dadurch lerne, vorausverkostet haben, denn sonstkonnte ich nicht begreifen, dass das das Richtige ware.

Es klingt komisch, aber wer die Metaphysik der Finsternis (der Sun-de) begreifen will, der muss Gott lieben oder der muss die Metaphysikder Liebe begreifen. Wer intellektuell begreifen will, warum der stolzeSunder, der sich vom Blitz Gottes erschlagen lasst, der der prome-theisch Starkere ist als der, der vor Gott Angst hat und seine Gebotehalt, dass ihm nichts passiert, was fur sich allein ja nicht ausreicht,denn wer nur in der Weise sich so verhalt, und dabei denkt: der liebeGott ist der Starkere, mir ist meine Haut lieber, unangenehme Ka-rambulaschen mit Gott mochte ich nicht haben, also vermeide ich es- wie ein Lausbub vermeidet, seinen Vater zu argern, weil er von sei-nem Geldbeutel abhangt - wer in dieser Weise nur sich verhalt, denbestraft Gott mit der Holle. Wer also begreifen will, dass im Grundebeide gleich schwach sind und armselig, der muss Gott lieben.

Was muss ich tun? Gott lieben! Wir werden spater sehen: es gibt eineattritio. Bei all dem bleibt aber die Tatsache: Man muss Gott lieben.

Da kann man sich fragen: Habe ich das schon einmal fertig gebrachtoder war ich der, der wie der Burger in einem Staat sich der Polizei ge-genuber verhalt, sich Gott gegenuber verhalt? - Man hat nichts gegenihn. Katastrophal wird es, wenn man mit ihm ubers Kreuz kommt.Wenn unser Verhalten nur dadurch motiviert ware, dann waren wirdie Verlorenen. Beweisen sie einmal, dass sie mehr haben!

Wenn sie jetzt sagen: Aha, also, der steigt mir aufs Dach, wenn ichihn nicht liebe: Ich liebe dich. Dann haben sie das vielleicht immernoch nicht getan. Es ist nicht so einfach mit dem lieben Gott.

Irgendwo muss das Reine der Liebe einmal entspringen. Im Traktatuber die Buße werden wir sehen: Sie kann eine Art Initialzundunghaben, aber nur deshalb, weil alles andere darauf hinzielt. Insoferngeht das Ganze der Welt in dieses Totale, Eine, Unauflosbare auf, dassdas das Mysterium Gottes ist und des Aktes, der Gott als Ganzenerreicht, das nennt die Schrift >Ag�ph.

Was ist das >Ag�ph? Wie merkt man, dass man mit Gott etwas zutun hat? Indem man ihn als Geheimnis gelten lasst, nicht nur theo-retisch gegenuber der theoretischen Vernunft sondern in der Kon-kretheit des praktischen Daseinsvollzugs. Wie waltet und drangt erals das Geheimnis an? Im Praktischen, Konkreten darin, dass er derUnerklarliche ist in seinen Gerichten, Wegen, Verfugungen uber uns.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Wie merke ich das, dass er das ist? Wenn ich an die Grenzen unsererEndlichkeit komme: Angst, Tod. Das Kreuz, der Tod ist fur diese Weltdie Weise, in der der liebende Gehorsam gegenuber dem Gott als demabsoluten Geheimnis in der Dimension der konkreten Vernunft realvollzogen ist.

Antecedenter ad praevisam cooperationem hominum:3

Gott macht die Menschen von sich aus verschieden. Es ist nicht so,dass Gott die Menschen bloß zur Notiz nehmen musste. Sie sehen,wie wenig selbstverstandlich unsere These ist.

Die Protestanten machen immer wieder den Vorwurf, unsere Gna-denlehre sei semipelagianisch, synergistisch. Sie werfen uns vor, wirwurden sagen: Gewiss, wir brauchen Gnade, wenn er sie nicht gabe,konnten wir unser Heil nicht wirken. Aber nach diesem Angebot derMoglichkeit macht die Freiheit der Menschen das eine oder andere.Und da sagt der Protestant: Das ist semipelagianisch.

Wenn er das gegen viele Katholiken sagt, hat er recht. Aber wenn ersagt: das ist katholisch, dann ist das falsch. Aber von der katholischenKanzel kann man solche Dinge horen.

Synergismus: Gott tut das Seine und der Mensch tut das Seine. Wirdleicht falsch! Denn das, was der Mensch als das Seine tut, ist ihm vonGott gegeben. Gott tut das Seine und das Unsere. Da wird die Thesevon der Universalitas voluntatis salvificae erst brennend und wichtigund bedeutsam fur die konkrete Haltung.

23.11.1956 Vorlesung 17

3 [Anmerkung von mir: Ahnliches kommt an vier verschiedenen Stellen in dieser These vor: 1. Statusquaestionis I,2: Caritas Dei ipsa est alia et alia antecedenter ad responsum quod ea apud homineminvenit (Frage: auch ad praevisam? ja. siehe 3.) 2. Sensus II,1: Deus inaequaliter homines diligit, itaut voluntas eius salvifica diversa et inaequalis sit relate ad singulos homines antecedenter ad eorummaiorem vel minorem vel denegatam cooperationem. 3. Sensus II,2: Et ex hac diversitate gratiarumvice versa diversitas voluntatis salvificae in casu particulari cognoscitur, quia iuxta fontes revelationisdiversitas in effectu non ex solo consensu vel dissensu hominis provenit, sed ex diversitate gratiae inactu primo, seu antecedenter ad actum voluntatis humanum, et hinc etiam ipsa voluntas Dei salvificain actu primo iam inaequalis dici debet. 4. Probatio II,4,A2)bb): ... seu gratia efficax iam antecedenterad consensum hominis alia est quam gratia de se sufficiens ... ]

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

4.3.2 Klassische Thesenstruktur

4.3.2.1 Begriffe

Diese These hangt auch mit vielen anderen Dogmen zusammen. VieleSchwierigkeiten werden in anderen Thesen gelost. Sie brauchen alsokeine Angst haben, wenn nicht hier schon alle Schwierigkeiten gelostwerden. Z. B. die Probleme der hinreichenden Gnade usw.. Kommtalles spater genauer.

Diximus: Deum habere vo-luntatem benevolam salvi-ficam diversam erga homi-nes. Hanc voluntatem di-versam non esse primariediversi gradus, sed potiusspectare diversitatem homi-num circa existentiam reli-giosam. Deinde habetur revera comparativa diversitas.Illa enim supponit quod cer-tas gratias dat, quas aliisdenegat (etiam ex Scripturaconstat)

Wir haben gesagt: Gott hat verschie-denen wohlwollenden Heilswillen ge-genuber den Menschen. Dieser ver-schiedene Wille sei nicht in erster Li-nie von vershiedenem Grad sondernvielmehr beziehe sich auf die Ver-schiedenheit der Menschen in ihrer re-ligiosen Existenz.Dann folgt daraus wirklich auch ei-ne komparative Verschiedenheit. Die-se setzt namlich voraus, dass er gewis-se Gnaden gibt, die er anderen vor-enthalt (das steht auch fest aus derheiligen Schrift)

Haec voluntas salvifica potest esse materialiter et formaliter diversa,secundum elementum affectivum et obiectivum (mens et beneficiumipsum in se spectatum)

• (Dieser Heilswille kann material und formal verschieden sein, af-fektiv und objektive betrachtet, in der Absicht und der Wohltatselbst in sich betrachtet)

• Potest enim quis parvum conferre cum affectu ingenti et ma-gnum beneficium conferre, quin habet magnum animum bene-faciendi.(Man kann namlich Kleines mit großem Affekt geben, und eingroßes Geschenk geben, ohne dass man eine große Absicht hat,eine Wohltat zu geben.)

• Beispiel: wenn ein Millionar 10000 Mark gibt einem armen Teu-fel und es selbst gar nicht merkt, und anderer gibt ihm 20 Mark,und das ist alles, was er hat und geben kann. So unterscheidetman beneficium materiale tale und formale tale.

• Wenn und insofern er die Bedeutung der Wohltat sieht und will:Dann gibt er beneficium et materiale et formale, etwas was gutist und als gut gegeben ist.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

4.3.2.2 Exkurs: Tat selbst als Gnade

Tat selbst Gnade?

Nunc oritur quaestio diffici-lis in connexione cum nostraquaestione: Affirmamus mo-do humano dictum: Deumre vera alio et alio modo af-fectum esse circa varios ho-mines. De beneficiis forma-libus in Deo loquimur:

Nun entsteht die schwierige Frage inVerbindung mit unserem Problem:Wir behaupten, menschlich gespro-chen, dass Gott wirklich sich verschie-denen Menschen gegenuber affektivanders verhalt. Wir reden von forma-len Wohltaten Gottes

Im Willen zu schenken verhalt sich Gott verschieden gegenuber denMenschen. Daraus entsteht ein Problem vor allem fur die Molinisten.

Wir sagen (auch die Molinisten) dass die gratia nicht nur wirksamist nach der responsio (Antwort) sondern antecedenter ad consen-sum humanum iam aliam esse gratiam sufficientem quam efficacem(im Voraus zur menschlichen Zustimmung sei die hinreichende Gnadeschon anders als die wirksame Gnade).

Spießburger: Gott gibt jedem Gnade und jeder kann damit sein Heilwirken. Das ist wahr, Glaubenswahrheit, wenigstens was gratia remo-te sufficiens angeht und die Gnadenerhaltung bezuglich der Gerecht-fertigten. Wittig hat sie vor circa dreißig Jahren in Zweifel gezogen.

Schließt man nun daraus: also gibt Gott jedem das Benzin und dasAuto und ob er in den Himmel fahrt oder nicht, ist dann rein seineSache, dann hat man Falsches gesagt. Das gilt es zu kapieren. Werbehauptet, dass man daraus schließen kann: Also kommt der Unter-schied zwischen den Menschen, die de facto in den Himmel fahrenund die nicht hinein fahren nur von den Menschen und nicht vomlieben Gott, hochstens kommt noch vom lieben Gott, ob man mitVolkswagen oder mit Mercedes oder schneller oder langsamer hinein-fahrt, aber das faktische Hineinfahren kame nur vom Menschen, derbehauptet etwas was nicht nur nicht behauptet werden muss, sondernwas katholisch nicht behauptet werden kann.

Aber, fragt man sich: Wenn Gott jedem das Auto gegeben hat, dasBenzin und die Moglichkeit zu fahren, was soll denn Gott noch ma-chen? Eben, dass der eine nun fahrt, macht Gott auch noch mal. Dasheißt der, der tatsachlich in den Himmel fahrt, kann nicht sagen: Mirhast du Auto und Benzin gegeben und auch dem anderen; ich ha-be es gemacht und der andere hat es nicht gemacht; da ist er selberschuld. Wenn er aber schließt, in diesem entscheidenden Punkt: Das

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

kommt allein auf mein Konto, dann ist er ein stolzer katholischerPharisaer und Pelagianer. Wenn er schließt: Dass der andere auchin den Himmel hatten fahren konnen, daraus ergibt sich, dass dastatsachliche Fahren nur von mir kommt, so sehr die Moglichkeit zufahren von Gott kommt, da irrt er sich heftig. Er ist ein Pelagianerund Pharisaer.

Das ist nicht zu predigen! Man muss vorsichtig sprechen in der Pre-digt, vielleicht eher vermeiden. Wenn aber ein tiefer Religioser aussich fragt, dann muss man sagen: Nicht nur fur das posse salvari sedultra posse adhuc distingui debet: ipsissima salvatio est gratia Dei,non tantum aliquid quo ego me secerno ab eo qui damnatur. (Nichtnur fur das gerettet werden Konnen, sondern uber das Konnen hin-aus muss noch unterschieden werden: Die Rettung selbst ist GnadeGottes, nicht nur etwas, wodurch ich mich unterscheide von dem, derverdammt wird.)

Das ist nicht nur etwas, was die Banezianer vorbringen. Wenn einMolinist das nicht vorbringt, ist er nicht einmal Molinist. Wald undWiesen Theologen meinen so: Bei den Dominikanern kommt es aufdie Gnade an, bei den Molinisten kommt es auf die Freiheit an.

Das ist ganz falsch und nicht katholisch. So unterscheiden wir unsnicht von den Protestanten. Wenn ein solcher beten wurde: Oh Gott,ich danke dir. Wenn ich gerettet werde, ist meine ganze Rettung,ein ganzes ja selbst, quoad sollicitationem gratiae ist wiederum deinGeschenk; dann betet er katholisch. Wenn er dann fortfuhre: Ergoego me habeo coram te sicut lapis et truncus; tunc foede se haberet.Denn Gott gibt mir die Gnade ja als Freiem, dass ich frei handle.

Ergo gratia duplex dicere potest1. Posse et quidem

a) posse superare obstacula ad infra trahentes, terrena etb) posse actum Deo dignum, actum pneumaticum ponere et

2. De facto agere, quod iterum dupliciter intelligi potesta) correspondenter ad ipsam legem agere non obstantibus obstacu-

lis quae obstant.b) actum Deo dignum ponere.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqGnade

Koennen(posse)

Tun selbst

(de facto agere)

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Es handelt ein Mensch. Diese Tat braucht:1. außere Umstande. Weiters2. innere Fahigkeit, Geeignetheit, geistig einen Akt auf Gott ihn tun

konnen (facultas + posse)a) gehort alles noch zur naturlichen Sittlichkeit des Aktesb) aber dann ist er ein Akt, der ein innerliches posse supernatura-

liter agere braucht.3. Auf Grund der außeren Umstande und inneren Moglichkeit ist er

noch nicht getan. Es muss noch die freie Tat, die faktisch gesetztwird, dazukommen. Diese ist noch unableitbar. Aus der Moglichkeitmuss Wirklichkeit werden.

Zu den außeren Umstanden gehort auch, dass er, wenn er das tut, stirbt,bzw. keine Gelegenheit mehr hat, diese Entscheidung durch Todsunde zu-ruckzunehmen.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqTun

(actio)

aeussere Umstaende

innere Faehigkeit

faktische freie Tat

fuer natuerliche Sittlichkeit

uebernatuerliche Faehigkeitqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Frage: Was ist daran Gnade? Was ist mir von Gott gegeben, so dass,wenn es nicht von Gott gegeben wird, es nicht da ist?

Dann darf man katholisch nicht sagen: Verstand, Wille, moralische Kon-zepte, Unterricht, Bei-Sich-Sein in Todeskrankheit, Tod usw., das alles istvon Gott, aber die Tat ist zwar nur entspringend aus diesen Dingen, aberetwas, was ich allein tue.

Sed: non obstante, quod ac-tio, aliqua actio meae libertatis,quod ista actio sit ipse ego, a quoquasi non separari possit, quodergo supponere non possumus di-stantiam inter me et actionemliberam, tamen ipsa actio est aDeo.

Sondern, trotzdem die Handlung, ei-ne Handlung meiner Freiheit, dassdiese Handlung mein Ich selbst ist,von dem dieses gleichsam nicht ge-trennt werden kann, dass wir also kei-nen Abstand zwischen mir und derfreien Handlung annehmen konnen,ist trotzdem die Handlung selbst vonGott.

Die freie Tat hat ein ganz anderes Verhaltnis zur Person als sonst et-was! Wenn man einen Buckel hat, kann man immer sagen: Das ist anmir. Aber man kann auch sagen: Das bin ich nicht. Da kann ich Gottzur Rechenschaft ziehen: warum hat er mich so langweilige Lehrerhaben lassen usw..

Bei der freien Tat kann man nicht sagen: Gott bestrafe die freie Tatund lasse mich in Ruhe. Bei allem anderen: gib mir besseren Ver-stand, usw. bessere Lehrer ... Nur nicht bei der freien Tat: Ich kann

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

nicht sagen, sperr diese Tat in die Holle und lass mich in den Him-mel. Bei allem anderen ist so was moglich: Bringe mir das jetzt beiim Himmel usw.Oder wenn man sonst Murks gemacht hat: einer mag durch fruh-kindliches Trauma rote Ruben nicht und dem anderen schmeckensie. Wenn keine Tat schuldiger Freiheit da ist: So kann man nicht inden Himmel kommen, aber das hast du verkorkst. Also bessere deinGeschopf aus, dass es in den Himmel passt.Man kann aber nicht sagen: Lieber Gott, ich habe zwar einiges ver-korkst, aber putze du dieses Gefaß deiner Barmherzigkeit auf Hoch-glanz, dann kannst du es auch im Himmel aufbewahren als Trophaedeiner Barmherzigkeit.

Nein. Die freie Tat bin ich. Man kann oft in der Beichte die Anklagehoren: Ich klage mich an, dass mir in der letzten Woche dieses passiertist.• Nichts ist passiert. Wenn es passiert ist, ist es keine Sunde. Wet-

ter passiert einem, Vergesslichkeit passiert einem, x Sachen pas-sieren einem,

• aber ich selber passiere mir nicht, und dieses Ich setzt sich selber,nicht etwas anderes, was man wieder abkratzen kann.

– Mit dieser actio, insofern sie sich vom posse unterscheidet,ist es eine eigentumliche Sache.

– Existenz des Menschen ist etwas anderes als alles andere.– Der Mensch als Subjekt ist etwas ontologisch ganz Anderes

als alle anderen Dinge, wobei seine Fahigkeiten usw. auchnoch zu diesen Dingen gehoren.

Dann muss ich sagen: das ist auch noch mal Gnade, insofern ich dasEinmalige, einsame, sich selbst sich verantworten Mussende, und weiles nicht vom anderen ist, auf anderen nicht Abschiebbare und darinund nicht in jemand anderem von der Gnade Gottes Abhangendebin.• Es gibt keine noch so kleine Insel, kein Ansatz, in dem ich mir

als vor Gott autonom vorkommen konnte.• Die Gnade wird Gnade der guten freien Tat nicht erst dadurch,

dass sie der Mensch annimmt,• sondern dadurch und insofern sie von Gott gegeben wird.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

4.3.2.3 Exkurs: Gnadenwahl und nur hinreichende Gnade

Antecedenter ad liberum consen-sum hominis de facto praestitumgratia illa, quae cum isto consen-su coniungitur, quae istum con-sensum liberum de facto attrahita parte Dei alia est quam gratiamere sufficiens.

Im Voraus zur freien, de facto gege-benen Zustimmun des Menschen istjene Gnade, die mit diesem Consensverbunden ist, die diese freie Zustim-mung de facto anzieht, von SeitenGottes anders als die rein hinreichen-de Gnade

Wir brauchen noch nicht alle Thesen, die spater kommen, herbeiziehen:Wie ist es bei der schlechten Tat? Da bist du schuld und nicht ich? Giltdasselbe fur das Nein des Menschen? Warum ist die gratia mere sufficiensnicht efficax? Usw. Gehort alles nicht hierher.

Quia et in quantum de facto ali-cui dat gratiam efficacem, quaede facto coniungitur cum ope-re salutari hominis, et alii dattantum gratiam sufficientem itaut ille inexcusabilis est et tamenmere sufficiens est talis prouti aDeo datur, novum problema ori-tur.

Weil und insofern er einem wirksameGnade gibt, die de facto verbundenist mit einem Heilsakt des Menschen,und einem anderen gibt er nur hinrei-chende Gnade, so dass dieser unent-schuldbar ist, und sie trotzdem nurhinreichend ist und zwar schon inso-fern sie von Gott gegeben ist, entstehtein neues Problem

Wenn Gott wirksame Gnade gibt, die er als solche schon kennt im lo-gischen Moment, wo er sie gibt, weiß Gott, dass er ein großeres Geschenkgibt, und er gibt diese, wie jede, ex affectu benefaciendi, und er weiß injenem Moment, dass dieses beneficium großer ist, dann sagen wir

sufficienter adesse beneficiumformale maius licet Deus dat ma-teriale maius non quia et inquan-tum est maius.Si Deus maiorem gratiam dat etscit maiorem esse, dein habemusetiam beneficium formale maius,licet non dat quia et inquantumscit eam esse maius.

das ist ausreichend dafur, dass das ei-ne formal großere Wohltat ist, auchwenn Gott das material großere Ge-schenk nicht gibt, weil und insofern esgroßer ist.Wenn Gott die großere Gnade gibtund weiß, dass sie großer ist, dann ha-ben wir damit auch eine formal gro-ßere Wohltat, wenn er sie auch nichtgibt weil und insofern er weiß, dasssie großer ist.

Wir sagen: Gott gibt hinreichende und tatsachlich wirksame Gnaden,dem einen die, dem anderen jene, so dass dieses Wirksamewerden derGnade bzw. Unwirksambleiben nicht bloß von autonomen Freiheits-Entscheidungen des Menschen kommt, sondern dieser Unterschiedvon Gott her gesetzt wird. Dann brauchen wird deshalb noch nichtbehaupten, dass Gott die Verschiedenheit, die er weiß, sieht, als gese-hen realisiert, deshalb mache, weil die eine bloß zureichende und die

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

andere gerade wirksam ist.Denn: wir sagen das deshalb, weil sonst der Heilswille Gottes gegen

die, die bloß hinreichende Gnade haben, nicht genugend gewahrt wa-re. Denn wenn wir sagen, Gott gibt einem hinreichende Gnade aus-drucklich, weil sie nur hinreichend ist, dann musste man sagen, erwahlt die gerade aus, damit der Betreffende sein Heil nicht wirke.Dann kann man nicht mehr gut von Heilswillen Gottes dem gegen-uber sprechen.

Das Gleiche gilt hinsichtlich der wirksamen Gnade. Er weiß, dass siewirksam ist. Sie ist auch als Gegebene wirksam, nicht nur als An-genommene und deswegen verschieden. Aber man kann nicht sagen,er wahlt sie aus, weil sie wirksam ist und er wahlt die andere aus,weil sie de facto nicht wirksam ist.

Trotzdem muss man sagen, Gott hat dem gegenuber, dem er wirksa-me Gnade gibt, eine großere Heilsliebe als dem gegenuber, dem erbloß zureichende Gnade gibt. Er gibt alle aus Heilsliebe, und er gibtdie Wirksame als Wirksame und als solche Vorausgewusste, und wennich einem in wirklichem innerlichem Wohltatswillen ein materiell Gro-ßeres gebe, dann bezieht sich mein Wille auch auf das Plus, wenn auchdas Plus nicht das Motiv war, warum ich das auswahle.

5.12.1956 Vorlesung 18

Voluntas salvifica est inaequalis• non tantum consequen-

ter ad eorum maioremvel minorem vel dene-gatam cooperationem

• sed iam voluntas sal-vifica prout procedit avoluntate Dei est inae-qualis.

Datur gratia efficax, sufficiens. Exexistentia huius differentiaegratiarum possumus deduce-re inaequalitatem voluntatissalvificae.

Mutuo se explicant et mutuopossunt esse fons probationisalteri asserti.

Heilswille ist differenziert• nicht nur nachfolgend zur

großeren oder kleinerenoder verweigerten Mitwir-kung des Menschen

• sondern schon der Heils-wille so wie er aus demWillen Gottes hervorgehtist ungleich

Es gibt Gnade als wirksame undals hinreichende. Aus der Exis-tenz dieser verschiedenen Gna-den konnen wir auch die Un-gleichheit des Heilswillens er-schließen.

Sie erklaren sich gegenseitig, undsie konnen gegenseitig Beweis-quelle der jeweils anderen Be-hauptung sein.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

(Entspricht im lat. Kodex S.11 f II,2)

4.3.2.4 Adversarii, Qualificatio, Beweis

Adversarii: Gegener der These

Semipelagiani: Massiliani, wie sie im Altertum heißen. Geben zu,dass sie Gnade brauchen, aber die notwendige Gnade gibt Gottgleichmaßig allen, so dass jeder Unterschied zwischen den Men-schen nur von den Menschen kommt.

Qualificatio: Nichts explizit definiert.

Sed thesis nostra, si omnia con-sideramus, totum genus huma-num: debemus dicere: nostramthesim esse de fide ex magisterioordinario, ex doctrina scripturae,ex communi persuasione etsi nonreflexa fidelium.

Geben zu, dass sie nicht einzeln wis-sen, dass sie gerettet werden, dar-aus, dass Gott allgemeinen Heilswil-len hat. Jeder hat die Uberzeugung,dass er sie erbeten muss, seine Gna-den, dass er nicht in Versuchung falle,dass Gott sein Leben gunstig und mitGluck leitet. Das ist aber gerade das,was in dieser These steht.

Beweis Probatio:

Magisterium Kirche: sagt nicht viel zu dieser Sache.

Tridentinum: implicite nostram thesim docet. Wenn es nur von denMenschen abhange, konnte man perseverantia nicht gratia divi-na nennen, die uber die Bedurfnisse hinaus gegeben wird.

Daruber hinaus im Streit zwischen Thomisten und Jesuiten im 16.und 17. Jahrhundert: Auf beiden Seiten festgehalten: gratia suf-ficiens ist in actu primo als sufficiens schon gegeben.

Dass gratiae efficaces et mere sufficientes aliae sunt iam proutiprocedunt a Deo;

dass mere sufficiens eine kleinere Gnade ist als die gratia efficax.

Schrift Schrift: wie im Kodex.

Christus ofters: Parabeln, in denen er beschreibt die Sorge Gottesfur die Menschen. Besonders in den Parabeln. Et ita porro, sirem consideratis.

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4.3 These 2 Inaequalitas des Heilswillens

Christus docet hominesa parte Dei reciperetalenta diversa. Nontantum ingenii, sedalii, ut ii, qui ea nonrecipiunt, damnati sunt.

Agitur de infelicitateaeterna; respectu hocmaiora et minora talentaaccipiunt.

Sunt electi: tales qui eligun-tur a Deo ex aliis, quinon eliguntur.

Christus lehrt, dass die Menschen vonSeiten Gottes verschiedene Talentebekommen: nicht nur des Verstandes,sondern andere, so dass die, die sienicht haben, in die Holle kommen.

Es geht um ewige Unseligkeit; diesbe-zuglich erhalten sie großere und klei-nere Talente

Es geht um Auserwahlte, d.h. solche,die von Gott ausgewahlt werden ausanderen, die nicht ausgewahlt wer-den. Wie viele das sind usw. ist hiernicht gefragt.

Conceptus electionis a parteDei, qua aliqui praedilig-untur, supponit inaequa-litatem voluntatis salvi-ficae. Isti homines, quipraediliguntur etc. nondamnantur antecedenterad reiectionem vel accep-tationem gratiae, sed ob-tinent salutem, quatenusa Deo eliguntur.

Begriff der Auserwahlung von Sei-ten Gottes setzt Ungleichheitdes Heilswillens voraus. Dieje-nigen Menschen, die auserwahltsind, werden nicht verdammtund zwar schon im Voraus zuihrer Annahme oder Verwerfungder Gnade. Sie erhalten das Heilinsofern sie von Gott erwahltwerden.

R 9-11 Populus messianicusin genere, non singuli.Sed non potest nonredundare in sortemsingulorum.• Etiamsi Paulus

non respicit sortemaeternam sedtemporalem, nihi-lominus agitur deactibus salutaribus,quae conferunt addecisionem sortisaeterni.

Es geht in R 9-11 um das messiani-sche Volk im Allgemeinen, nichtum die Einzelnen. Aber das kannnicht sich nicht auswirken im Losder Einzelnen.• Auch wenn Paulus nicht das

ewige Los sondern das zeitli-che betrachtet, handelt es sichnichtsdestoweniger um Heils-akte, die beitragen zur Ent-scheidung uber das ewige Los.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

• Ipsum discrimen intereos, qui accipiunt et re-spuunt gratiam collocatipse sanctus Paulus nonin ipsos homines sed inDeum. Alterum vocat al-terum non vocat ad fi-dem messianicum. Hocevidens est: Unus vultet alius non vult. Sedponit hoc in voluntatemDei in inperscrutabili vo-luntate. Nullatenus ne-gat libertatem, sed adhoc non debet affirma-re aequalitatem volunta-tis divinae circa salutem.

• Das ist vn Bedeutung: Die Unter-scheidung selbst zwischen denen,die die Gnade annehmen und sieabweisen legt der hl.Paulus selbstnicht in die Menschen selbst son-dern in Gott. Den einen ruft er,den anderen ruft er nicht zumGlauben an den Messias. Das istevident: der eine will und der ande-re will nicht. Aber er verlegt das inden unerforschlichen Willen Got-tes. Aber trotzdem negiert er dieFreiheit nicht, aber dazu muss ernicht die Gleichheit des gottlichenWillens zum Heil behaupten.

• Ubriges im Codex!

• Semper ratio habendamodi semitice loquendi,qui sine distinctione om-nia, quae fiunt imme-diate reducit in volunta-tem Dei et nullam cu-ram applicat distinguen-di inter permittentem,positive volentem; sed,etiamsi rationem haberedebeamus modo incau-to semitico apostoli, quihic locutiones VT app-licat, nihilominus debe-mus vim Pauli, si nosrestringamus, restringe-re ut aliquid remaneat:Deum habere circa sa-lutem hominum volunta-tem salvificam inaequa-lem.

• Man muss immer die semitischeSprechweise im Auge behalten, dieohne Unterschied alles, was ge-schieht unmittelbar auf den Wil-len Gottes zuruckfuhrt, und da-bei sich nicht darum kummert zuunterscheiden zwischen zulassen-dem und positiv wollendem Wil-len; aber auch wenn wir beruck-sichtigen mussen die unvorsichti-ge semitische Weise des Apostels,der hier die Sprechweise des Al-ten Testamentes anwendet, mus-sen wir die Kraft Pauli einschran-ken, wenn wir uns einschranken, sodass noch etwas bleibt, und das istmindestens: Gott hat bezuglich desHeils der Menschen einen unglei-chen Heilswillen.

Kirchenvater Patres

Kummern sich nicht viel um diese Sache; rem incunctanter ha-bent, haben keine Schwierigkeiten damit.

Ille qui hoc maxime urgebat: Augustinus, (der den meisten Nac-druck darauf legt).

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4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae

Ille discrimen inter eos, quivocantur et praedestinanturet eos qui in massa damna-ta manent adeo efferebat utapud eum vix sermo essepotest de voluntate salvificauniversali.

Er hat den Unterschied zwischen de-nen, die berufen sind und vorherbe-stimmt sind und denen die in dermassa damnata bleiben so sehr be-tont, dass bei ihm kaum noch die Re-de sein kann von allgemeinem Heils-willen.

Wenn wir als Dogma voluntas salvifica universalis beibehalten,durfen wir nicht ein cor temerum et mite des doctors gratiaesehen, das hinweisen wurde auf das mysterium gratiae, so dassultimatim Deus et non homo sit causa viarum humanarum. Somussen wir denken vor Gott, weil er uns gemacht hat und nichtwir uns selbst. Wir sind vasa, die Gott sich gemacht hat, wo-durch er zeigt, was er von sich zeigen will,.. quorum inhabitatnihil et miseria.

4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae

lateinischer Kodex These 3 (siehe auch nach These 19)

These 3 Haec Dei voluntas salvifica nos attingit in Christo Jesu inEcclesia.

In Christus Jesus und der Kirche kommt dieser Heilswille Gotteszu uns

Haec thesis complementicausa componitur.Tempus non habemus,latius considerare hancthesim, etiamsi digna estconsideratione.

Antea diximus ex una partevoluntas Dei salvifica estuniversalis, ex altera par-te tamen, eam esse inae-qualem.

Nunc additur: Haec gratia, dequa unice sermo esse po-test, est gratia Christiet ecclesiae, id est, ali-quid quod nos attingit inmedio aliquo, quod estChristus et sponsa eius,ecclesia.

Ex una parte: non negatur.Ex altera parte: non satis con-

sideratur. Cur?

Diese These wird der Vollstandigkeit wegenhinzugefugt. Wir haben keine Zeit, beidieser These lange zu verweilen, obwohlsie erwagenswert ware.

Zuvor haben wir gesagt, dass einerseits derHeilswille Gottes allgemein ist, anderer-seits aber, dass er ungleich ist.

Jetzt bleibt noch zu sagen: Diese Gnade, vonder allein die Rede sein kann, ist GnadeChristi und der Kirche, d.h. etwas, waszu uns kommt durch eine Vermittlung,namlich durch Christus und seine Braut,die Kirche.

Das wird gewohlich, einerseits zwar nichtverneint, anderseits aber doch nicht ge-nugend erwogen. Warum?

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

4.4.1 Gnade ChristiChristum esse natum ... nos

redemisse sanguine suo inara crucis ... Ecclesiamtamquam rem publicamauthoritativam esse, in quahomines ad finem obtinen-dum ducti sunt.

Nihil attenditur ad naturamgratiae: mere respectu cru-cis eam conferri a Deo. In-quantum positive quid di-cit: verum est. Sed non om-nia.

Gratia Christi intimius est gra-tia Christi quam quodChristus eam meretur inCruce.

Es wird gesagt: Christus ist geboren ...hat uns erlost mit seinem Blut aufdem Altar des Kreuzes ... Dir Kir-che ist die authoritative vollkomme-ne Gesellschaft, in die die Menscheneingegliedert werden, um darin zuihrem Ziel zu gelangen.

Es wird kein Bezug genommen auf dieNatur der Gnade. Nur gesagt, dasssie von Gott gegeben wird wegen desKreuzestodes Christi. Das ist wahr,aber es ist nicht alles.

Die Gnade Christi ist von ihrer innerenEigenart her mehr Gnade Christi alsnur dadurch, dass Christus sie unsam Kreuz verdient hat.

Zwischen der Gnade unserer Vergottlichung und der WirklichkeitChristi besteht ein engerer Zusammenhang als der, dass der Gott-mensch auf Grund der Wurde seiner Handlung diese Gnade verdienthat.

Wenn wir in diesem juristisch meritorischen Aspekt allein blei-ben, sieht man im Grunde nicht eigentlich ein, was die christlicheWelt wolle. Man bekommt den Eindruck: Zu was musste Gott,um diese aus dem Leim geratene Welt, warum musste Gott dain den Monteuranzug der Menschheit steigen, um diese Welt zureparieren? Das hatte er billiger machen konnen.

Naturlich, wir haben ihm keine Vorschriften zu machen. Dasist naturlich auch recht, wenn man nicht mehr zu sagen hat.Aber wenn man mehr sagen kann, hat der Theologe kein Recht,faul der Menschheit von heute Glaubens-Schwierigkeiten zumachen. In der Praxis nicht so selbstverstandlich; da sind nochviele Dinge zu sagen, dass es verkundbar ist in der Katechesedes normalen Christenvolkes.

Vielleicht ist das ein Splin von mir: Da ware noch unendlich viel zu ma-chen und nicht nur eine Spinnerei von mir personlich, sondern etwas,was zu den praktischsten Bedurfnissen gehort. Es wird heute so oft

objektiv total falsch von der Entmythologisierung geredet, miteinem Gefuhl des Unbehagens und der Angst des Nicht-Mehr-

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4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae

Zu-Rechtkommens mit der faktischen Verkundigung der christ-lichen Botschaft, die wir ernst nehmen mussen.

Wenn der Mensch das so versteht: Gott hat die Welt gemacht,gut, aber• sie ging ihm aus dem Leim.• Erschreckt steigt er jetzt in die Welt hinunter und• besanftigt gleichsam sich selbst, indem er in die Livree und

Vermummung der Menschheit steigt.– Wenn man die Religion so versteht und auffasst, fur

welche Auffassung Gefahr vorliegt,– dann werden die einen durch ein Wunder der Gnade

Gottes glauben und die– anderen werden sagen: Das ist Mythologie, die man heu-

te nicht mehr im Ernst glauben kann.

Man musste dazu sogar noch wesentlich uber diese These hinausgrei-fen.

Anfangen bei Gott: wie Gott uber sich hinausgreift in dem WortGottes. Dass dieser Gott in einem ersten Ansatz, den wir machenmussen - was wir nur aposteriori wissen, weil er so gehandelt hat,was aber im Geheimnishaften doch wieder selbstverstandlichist, weil Geheimnis und Selbstverstandliches nicht schlechthinbloße Gegensatze sind, denn Gott ist notwendig das Selbstver-standlichste und das Geheimnisvollste - dass dieser Gott, weilund insofern er Gott ist, der Gott ist, der notwendigerweise inder freien Moglichkeit einer Selbstaußerung ist, die die Selbst-Entaußerung ist.

Das heißt, Gott ist von vorneherein im ersten Ansatznicht als der actus purus, die in sich allein schwingende Fulle

der absoluten Wirklichkeit,sondern weil er das ist, in der notwendig mit seiner Wesen-

heit gegebenen Moglichkeit, aus sich heraus zu gehen.• Gott kann sich nicht verschwenden. Er ist der Unveran-

derliche,• aber die Grundformel ist, dass er der unveranderliche

actus purus ist,• aber in der frei zu verwirklichenden Moglichkeit steht,

am anderen selber weniger zu werden,• selbst sich nach außen entaußernd sich zu außern

und das geschieht, wenn es geschieht, notwendigerweise inder Entaußerung und Geschopfwerdung des ewigen WortesGottes,

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

• denn in ihm außert er sich fur sich selbst, und• wenn er sich entaußernd außert, geschieht es notwendig

in seinem Verbum.Die Urmoglichkeit Gottes als des actus purus ist die des

Ausgesagt-Werden-Konnens seines immanenten Wortes indas von ihm Verschiedene, wodurch dieses Verschiedene vonihm konstituiert wird.

Wir mussen begreifen, dass die Moglichkeit der Schopfung derWelt letztlich basiert in der Anderswerdung, der Geschopfwer-dung Gottes selbst,• nicht so, dass er nur schaffen konne dadurch, dass er sich

selbst in Inkarnation zum Geschopf macht,• sondern so, dass die Moglichkeit der Creatio fundiert ist in

der hoheren Moglichkeit der selbstentaußernden Selbstau-ßerung Gottes.– Weil Gott sich selbst in das Gottfremde begeben kann,– gibt es die Moglichkeit, dass es etwas Gottverschiedenes

geben konne.Wir wissen tatsachlich aus der Offenbarung, dass er auch diese

kenotische Selbstentaußerung wollte,• wobei naturlich diese Elemente nicht zeitlich so kommen

mussen.• Man kann so nur den ganzen Prozess außer Gottes in der

Zeit als in sich zusammenhangendes Ganzes sehen,• nicht wie innerhalb dieses die einzelnen Momente zeitlich

hintereinander erscheinen.Wir haben durchaus das Recht zu sagen, das Erste und Ur-

sprunglichste, was Gott wollte, war, sich selber in diesemungeheuren Ausbruch Gottes aus sich selbst, sich selbst in dasandere als er selbst hineinzusetzen.

Nun ist im Grunde das Ungeheure und doch Wahre, dass,wenn Gott in der Leere des Nicht-Gottlichen sich selber zeigtund zeigen will,• genau das entsteht, was wir den Menschen, den Gottmen-

schen nennen. Und weil er dies wollte,• gibt es eine Mitwelt des Gottmenschen, die Menschheit

und eine Umwelt, die Schopfung uberhaupt.– Und diese ist nun, diese Welt und Umwelt des mensch-

gewordenen Logos, in dem der Vater sich selber in dasNichtgottliche hineinsagt, diese Umwelt und MitweltGottes ist, weil - obwohl das anders ein konnte, abernicht ist, ist und gewollt ist -

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4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae

– als die Umwelt des Logos notwendigerweise die Bewahr-te, Angenommene, im Grunde genommen die Gerettete.∗ Wenn Gott auf Grund der Moglichkeit der Inkarna-

tion die bloße Welt als bloße Schopfung geschaffenhatte, hatte sie endgultig als Ganze verloren gehenkonnen.

∗ Wenn er sie aber als die Grammatik seiner Selbst-aussage schafft, als Gesamt dessen, was er sagt in dasNichtgottliche, wobei er sich selbst sagt, und alles an-dere nur, weil diese Selbstaussage nur gesagt werdenkann, indem das Ubrige dazugesagt wird. Dann kanndiese Setzung Gottes nur noch ein Satz sein, in demGott sein Erbarmen aussagt.

Diese Setzung Gottes, die in einer Geschichte der Natur unddes Geistes geschieht,• kann in sich selbst die hochsten und tiefsten Peripatien ha-

ben, kann auch eine Geschichte des Unheils sein,• auch insofern, als eben im Anheben dieser einen totalen Ge-

schichte, die die Geschichte des Verbum Patris incarnatumund incarnandum ist, noch gar nicht ihren geschichtlichenHohepunkt erreicht hat,– kann auch nicht offenbar sein, welches die letzte Sinn-

gebung dieser Geschichte ist.– Alles, was wir Geschichte Adams nennen, ist eine solche

Teilgeschichte, ein partieller Aspekt,∗ der im Grunde eingefasst und beschlossen ist durch

den Urwillen des Vaters,∗ sein eigenes Wort auch in das Nichtgottliche, Gott-

ferne hineinzusagen,∗ indem er dieses als Mensch, Schopfung, als Mit-

mensch zu anderen sagt.Damit ist ein endgultiges Ja zu dieser Welt und Umwelt des

Verbum incarnatum schon geschehen. Denn diese Welt isteine und hat eine Geschichte mit einheitlicher Struktur; damitist sie gesagt als ewige und ewig bleibende Selbstaussage Gottesin der ewigen Inkarnation des Wortes. Denn dieses Wort ist einWort der Gnade und des Heils.

Allerdings, weil dieses Wort Gottes eine zeitliche Erstreckunghat, ist noch nicht von vorneherein offenbar, was dieser Satzbeinhaltet.• Wie beim Satz des Menschen die einzelnen Worte am

Schluss erst ihre Bedeutung bekommen,

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

– je nach dem noch ein nicht– oder ein Fragezeichen kommt oder dergleichen,

• so auch in der Sage Gottes, in der Gott sich selbst in diezeitliche Geschichte hineinsagt,– anhebend mit der Erschaffung der Welt,– weil das schon Erschaffung der Umwelt seines eigenen

Logos ist.

5.12.1956 Vorlesung 19 (2.Stunde)

1. Wir stehen bei der Frage der genauen Bestimmung der Gnade unddes Heilswillens.

2. Das Medium ist Christus und die Kirche.3. Wir sind ausgegangen vom gottlichen Wort.

a) Dieses gottliche Wort ist das, was auch nach außen gesagt wer-den kann.

b) Es ist die Bedingung der Moglichkeit einer Schopfung.i. Gott hat diese Schopfung gewollt von vornherein immer als

die Mitwelt und Umwelt (geistige und physische) dieses zuentaußernden, dieses in das Nichts hinein geaußerten Wor-tes,

ii. so dass der Mensch geschaffen ist von vorneherein als das,als was Gott erscheint, wenn er sich selbst außern will.A. Damit ist nicht gesagt, dass jeder Mensch der Sohn Got-

tes ist.B. Aber diese Natur ist von vorneherein wesensmaßig die

Annehmbare. Nirgends steht es, dass auch eine andereNatur annehmbar sei.

Nun gehen wir einen Schritt weiter. Diese Umwelt und Mitwelt desausgesagten Wortes Gottes ist notwendig in das Schicksal dieses gott-lichen Wortes einbezogen.

Insofern dieses Verbum incarnatum von vorneherein auf Grund sei-nes Wesens zu einer Mitwelt, einem Menschengeschlecht gehort, hates mit ihm zusammen eine Bestimmung und ein Ziel. In dem Ver-bum incarnatum ist die Menschheit als Ganze zu dem Ziel diesermenschlichen Natur berufen, in der Gottes Logos sich ausspricht.

Naturlich nicht auch zur hypostatischen Union, denn das ist ja geradedas Incommunicable, nichts als der, der Umwelt mit Mitwelt hat.

Alles, was der Natur des Verbum incarnatum angehort, dazu istgrundsatzlich und im Wesen jede menschliche Natur berufen. Das,

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4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae

was in ihr als Geschopflicher wird und geschieht, insofern sie vomVerbum divinum geschieht als Außerung seiner eigenen Natur: Gnadeund visio beatifica, diese sind in der konkreten Ordnung nicht etwas,was in communi einer geistigen Kreatur, die multipliziert ist, zuge-dacht ist, sondern ursprunglich der natura humana Christi als inneres,ihm geschuldetes Moment der Selbstaußerung Gottes geschuldet undzugedacht ist (siehe S.18 Codex 3a).

Nur, weil diese vergottlichte, geistige, geschopfliche Natur als die desLogos eine homogene Mitwelt hat - notwendig - sind wir berufen zurTeilnahme an der gottlichen Natur in Gnade und visio beatifica.

Nur insofern er in der ewigen Annahme der menschlichen Natur einvon der menschlichen Natur nicht aufhebbares Ja gesagt hat, ist inder Inkarnation die Menschheit formal pradefiniert schon erlost.

Nicht, als ob sie nicht mehr erlost werden muss. Sie (die Menschheit)hat aber eine Geschichte. Insofern muss diese Erlosung auch eineGeschichte haben.

Aber diese Geschichte ist notwendigerweise eine erlosende, heilende,rettende Geschichte, wenn der Logos uberhaupt in sie eintritt.

Erlosung am Kreuz ist notwendige Folge dieser Inkarnation. Manmuss nur bedenken, dass es Gott gefallen hat, dass diese Umweltseines Logos eine Welt der Schuld ist.

Insofern der Logos in diese eintritt, ubernimmt er notwendig denTod dieser Menschheit, und diese freie Ubernahme des Todes ist eoipso schon die Erlosung und ware es auch, wenn diese Erlosung nichtin dem konkreten Volke geschehen ware und diese ihn nicht einemgewaltsamen Tode uberliefert hatten.

Was ware geschehen (passiert), wenn die Juden ihn nicht ans Kreuzgeschlagen hatten? Simpel zu beantworten: dasselbe. Denn das Kom-men in das Fleisch ware eben doch durch die Inkarnation eingetreten.Der Tod ware durch diese auch angenommen worden. Naturlicher Todware als freie Annahme des Geschickes genau so erlosend gewesen wiedurch die Annahme des gewaltsamen Todes.

Das lasst nur in Erscheinung treten, was geworden ware. Er kommtin das Schicksal seiner Welt, teilt das schon angebahnte Schicksaldieser Welt und macht diese Geschichte zu einer in das Leben Gottesoffenen, weil er eben die ganze Geschichte als seine eigene Geschichteund Mitgeschichte geplant hatte.

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

Wir haben die Gnade Christi und sind in ihm notwendig die von GottBerufenen, denen Gott das Heil geoffnet hat. Damit ist naturlichnoch nichts eindeutig uber das Schicksal des Einzelnen etwas gesagt,sondern nur uber das der einen Menschheit, in die Christus als Glied,und Kraft der Weltschopfungsintention uberhaupt als Haupt eintritt.

Weil zwischen dem Einzelnen als Glied der Menschheit und dem Ein-zelnen als Personen ein dialektischer Schwebezustand besteht, wo furdie personlichen Moglichkeiten fur den Einzelnen personlich bedeu-tungsvoll ist die Freiheit, ist durch die Freiheit fur ihn die Gesamt-bestimmung des Geschlechtes als ganzes noch nichts Eindeutiges, furuns erkennbar ausgemacht.

Wenn aber fur den Einzelnen nichts Eindeutiges gesagt werden kannhinsichtlich des Fallens in die Verdammnis oder des Erreichens derSeligkeit,

• so ist doch uber diesen Menschen notwendig etwas Ubernatur-liches auszusagen.

• Er ist der Berufene, der in der Ordnung der Begnadigung, diedas Ziel dieser Menschheit ist, steht.

• Er kann als der je Einmalige seine Freiheit nicht anders betati-gen, als ja oder nein zu seiner christologischen Situation als derzur visio beatifica Berufene sagen.

– Uberall, wo wir Menschheitsgeschichte treiben, uberall dort,wo Gnade ist, wo Menschheit ist,

– ist immer von vorneherein Menschheit als Gliedschaft mitdem Menschen schlechthin,∗ der eben der Logos ist,∗ der sich in das andere des Nichtgottlichen selber sich

entaußernd ausgesagt hat.

Nun, damit ist irgendwie schon das gesagt, was fur die Kirche gesagtwerden muss.

Jetzt konnte gesagt werden, warum Christus die causa exemplaris, fi-nalis, ... nostrae salutis ist, auch,

wieso die Menschheit als Natur nicht nur unabhangig von der Uber-natur Konzipiertes ist, auf das nur das andere aufgestulpt ist, sondernvon vorneherein potentia oboedientialis hat.

• Weil die menschliche Natur von vorneherein gar nichts anderesist als potentia oboedientialis fur die Selbstaußerung Gottes,

• ist sie auch potentia oboedientialis Kraft ihres Wesens, d. h.

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4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae

– ihr Wesen ist gerade potentia oboedientialis fur die innereVergottlichung des Logos und der Natur

– insofern sie in und um den Logos als geschaffene auftritt.

Deshalb bleibt Gnade Gnade aber Natur bleibt potentia oboedientia-lis.

Potentia oboedientialis heißt ganz und gar restlos und wirklich,ihrem Wesen nach Potenz fur die Gnade, nur bleibt dieser ge-genuber diese Gnade Gnade und nicht geschuldeter Akt.

Potentia oboedientialis heißt nicht weniger Potenz, so hinten-drein und per accidens, sondern

Menschennatur ist als Ganze das Vokabular Gottes, mit dessenHilfe er sich selber aussagt im Logos oder in der visio beatificaals unbegreifliches Geheimnis (ebenfalls: sich selbst aussagt)

Wo passen denn da die Engel hin? Davon bei anderer Gelegenheit.

4.4.2 Gnade der Kirche

Gnade der Kirche: Dadurch, dass der Logos Mensch wird, dass dieMenschheit Gemeinschaft dessen wird, der als der das Andere wer-dende Gott Mensch wird, ist die Menschheit eine Konsekrierte, ei-ne zum Heil Berufene, mit ubernaturlichem Existential ausgerusteteMenschheit, so konnen wir schlicht sagen: Volk Gottes.

Naturlich musste offenbar werden, dass die Menschheit dasBundesvolk Gottes ist, dass Gott, alttestamentlich, der Bun-deswillige ist (das bedeutet Gnade im AT).

Aber das andert nichts daran, dass die Menschheit, dadurch dasssie von vorneherein auf den menschgewordenen Logos hin ge-plant und geschaffen ist,

und zwar so, dass die Menschheit von vorneherein eine ist, diein der Gnade steht oder der Gnade beraubt aber die Gnadehaben sollende ist,

von vorneherein als Mitwelt des Gottmenschen gedacht ist, istsie real immer schon Volk Gottes,

das deswegen trotzdem das Bundesbruchige sein kann, alsonicht aufhort damit, mehr zu sein als bloß naturliche Mensch-heit.

Kirche ist nichts anderes als die konkrete Verfasstheit des in diesemSinne

• Volkes Gottes in jenem geschichtlichen Moment,

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

• da durch die tatsachlich erfolgte Menschwerdung Gottes der ab-solute und siegreiche,

• nicht mehr aufhebbare Heilswille Gottes manifest geworden ist.

In dieser Definition ist jedes Element wichtig. Ich wiederhole sie des-halb noch mal:

• Kirche ist nichts anderes als die Raum-zeitliche, geschichtliche,soziologische Verfasstheit des Volkes Gottes

• in dem heilsgeschichtlichen Moment da der endgultige HeilswilleGottes, der unaufhebbar ist,

• in der faktisch erfolgten Menschwerdung Gottes auch geschicht-lich manifest geworden ist.

– In dem Augenblick, da ... muss ich dazu setzen, weil nur da-durch sie von der Synagoge unterscheidbar ist. Sie ist nichtSynagoge, sie ist das eschatologisch manifest geworden Er-eignis des Heilswillens Gottes, das in seiner Geschichte ge-schichtlich in die definitive Phase eingetreten ist. Vor Chris-tus war die Geschichte offen (lesen sie Eph), offen in dem,was greifbar und geschichtlich manifest war im HeilswillenGottes.

– Er war naturlich von vorneherein schon eingestiftet im Pa-radies, aber nicht geoffenbart. Der war nicht heilsgeschicht-lich manifest geworden, weil Christus noch nicht erschienenwar, weil die Parusie noch nicht da war, der Sohn noch nichtgekommen war, der seinen Schatten in der vorchristlichenHeilsgeschichte voraus geworfen hatte.

– Er kundigte sich schon an. Der alte Bund ging schwangermit Christus. Aber das konnte man nicht wissen, weil dieunaufhebbare Tat noch nicht in ihr nicht mehr ruckgangigmachbares Stadium eingetreten war.

– Dadurch erst bekommt das Volk Gottes in seiner Geschichtesein ekklesiologisches Stadium, wird die soziologische, raum-zeitliche Verfasstheit erst das, was wir Kirche nennen, LeibChristi.

Dabei ist klar, dass eine solche Verfasstheit autoritativ-lehrender Arteinerseits durch positive Satzung geschehen muss, andererseits die-se aber nichts anderes ist als geschichtliche Gesetztheit, Setzung derkonsekrierten Menschheit, so sehr es positive Satzung ist, nur die(Setzung) Leibwerdung des mit der Inkarnation Gegebenen.

Und man kann vom Wesen der Kirche viel mehr daraus ableiten, wenn

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4.4 These 3 Gratia Christi et ecclesiae

man das zugibt, als es scheint, viel mehr am konkreten Wesen erkla-ren:

1. Inerrantia,2. opus operatum der Sakramente,3. Zugehorigkeit der Laien zur Kirche,4. das Eschatologische an der Kirche,5. Dualismus zwischen Amt und Charisma,6. die Kirche in ihrem Aspekt als Kirche der Sunder und trotzdem

der geschichtlichen Manifestheit ihrer Heiligkeit7. und vieles andere am Wesen und der geschichtlichen Verfasstheit

der Kirche ergibt sich aus diesem Grundansatz des Wesens derKirche, wie wir ihn vorher beschrieben haben.

Uberall dort, wo Gnade Christi ist, ist sie eine Gnade des Volkes Gottesund ist

1. entweder durch konkrete, raum-zeitlich historische Verfasstheitder Kirche Gottes vermittelt

2. oder tendiert in diese hinein,3. ist die Gnade immer kirchliche, ekklesiologische Gnade,

a) nicht, dass es nicht außerhalb ihr Gnade gabe (außerhalbihrer Verfasstheit), denn die Menschheit ist konsekriert• und weil sie konsekriert ist, gibt es Kirche,• und nicht, weil es Kirche gibt, hat sie Aussicht (die

Menschheit) begnadet zu werden.b) So stromt in diese Menschheit diese Vergottlichung, die die

der Menschennatur des Logos ist, hinein und begnadet inden Tiefen des Geistes diese Menschheit und manifestiertsich raumzeitlich und sozial in dieser Kirche.

c) Darin haben wir gegenseitiges Bedingungsverhaltnis, wie esbei den verschiedenen Wirklichkeitsmomenten zu erwartenist.

Diese eschatologische Erscheinung der Gnade bringt notwendig Gna-de (medio visibili, ex opere operato) mit sich.

• Denn sonst ware es eine zweideutige Gnade Gottes. Die Heils-geschichte ware nicht endgultig und unwiderruflich.

• Eschatologische Sichtbarkeit, Sichtbarkeit der Gnade Gottes istSichtbarkeit ex opere operato.

• Und umgekehrt, auch dort, wo sonst Gnade ist,– tendiert sie dahin, Kraft ihres eigentlichen Wesens, sich ma-

nifest zu machen

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4 Allgemeiner Heilswille Gottes

– in Kirchlichkeit, des Betens,– der Geduld,– des Wartens auf den wiederkommenden Herrn,

• was die Wesensvollzuge der Kirche als greifbarer Gemeinschaftsind.

Von dieser Seite her ist nicht nur die christologische sondern auch dieekklesiologische Struktur der Gnade zu sehen.

Wenn Kirche nichts anderes als die bleibende Prasenz des Wor-tes Gottes in der Geschichte der Menschheit ist, dann ergibtsich, dass eine christologische Gnade auch eine ekklesiologischein irgendeinem Sinn ist, auch dort, wo sie außerhalb der Kirchezu sein scheint. Insofern ist es klar: außer der Kirche kein Heil.

Sie hat aber ein geschichtliches Werden. Deshalb versammeltsich die Kirche von allen Winden,• indem sie sich auf sich zu bewegt im Reiche Gottes, in dem

es keine Differenz zwischen Erscheinung und Wirklichkeit,• zwischen Gnade und ihrer Leibhaftigkeit,• zwischen Sakrament und Gnade des Sakraments,• zwischen Fleisch und Gnade gibt,• denn dort ist alles Offenbarung der Herrlichkeit Gottes und

diese wird sich restlos an alle mitgeteilt haben.

Da gibt es noch Verschiedenheit der Gnade, Leib, Geist, Gnade usw.,

• aber trotzdem alles in allem, was jetzt zwar als metaphysischeFormel (Gott alles in allem) auch gesagt werden kann, aber alsheilsgeschichtliches Ereignis noch nicht.

• Er muss es noch werden. Aber dieser Prozess ist schon in sei-ne entscheidende Phase - nicht mehr umkehrbar - eingetretendadurch, dass der Logos Mensch geworden ist.

Deshalb ist die Gnade christlich und kirchlich und weil die Gnade aufdie Kirche hinsteuert, weil es in der Teleologie und im Plan Gottes

• eine Kirche von Anfang an gibt und• diese Kirche des ursprunglichen Entwurfs die Kirche der Endzeit

ist,• darum war auch die Gnade vor Christus immer schon eine Gnade

Christi und der Kirche.

Das andere konnen sie im Kodex selber nachlesen.

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5 Gnade als Mittel zum Heil,Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

(Kap. II,sect.1 des Kodex)

Existenz und Notwendigkeit der Gnade (gratiae medicinalis) [Sect.1 imKodex]

Bis jetzt sprachen wir nur vom Heilswillen.

Dieser Heilswille konkretisiert sich, wenn er die Menschheit erreicht, alsdas, was wir Gnade zu nennen pflegen.

• Naturlich ist dieser Begriff der Gnade schon verengt. Zunachstbedeutet Gnade Huld Gottes, Heilswille Gottes, Bundeswillig-keit Gottes, gnadiges Walten Gottes, bereit sich der Menschheitzu offnen.

• Aber auch das, was im Menschen wird als seine Zustandlich-keit, wenn diese Huld, dieser Heilswille Gottes tatsachlich imMenschen sich durchsetzt ist Gnade.

• Dann bekommt er die Gnade, er, der in der Gnade Gottes stand,erhalt dann die Gnade.

• Deshalb reden wir nun von der Existenz der Gnade im Allge-meinen.

Traditionell ist, dass wir von der Notwendigkeit der Gnade zum Heilsprechen. Wenn wir wissen, dass Gott dieses Heil will, ist es klar,

• dass dieses notwendige Mittel zu einem von Gott wirksam ge-wollten Ziel auch wirklich existiert.

• Deshalb mehr unter dem traditionellen Stichwort der Notwen-digkeit.

Diese Notwendigkeit hat einen doppelten Aspekt. Es ist zu sprechen:

1. Von der Notwendigkeit der Gnade zur Aufrechterhaltung desreinen Wesensgefuges des Menschen, fur die actus honesti: vonheilender, medizineller Gnade und

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

2. Insofern dieses Wesensgefuge nicht in sich selber schwingt, son-dern durch Gottes Gnade geoffnet in sich selbst: von ubernatur-licher Heilsgnade.

3. Die Notwendigkeit beider Gnaden wird in zwei Sektionen diesesKapitels behandelt.

7.12.1956 Vorlesung 20

De hac distinctione praeviomodo praesupponitur,talem esse legitimam.Probatur demum postea inuna ex thesibus sequenti-bus (these 8): Gratia, quaerequiritur ad ponendosactus salutares debet esseentitative et simplicitersupernaturalis sicut finis.

Si hoc nunc iam supponimus,distinguere debemus interactus, quae correspondenthonestati et tales, quaesunt salutares.

Tunc quaerere possumus, sietiam pro talibus auxiliumrequiritur, ut actus merehonesti poni possint.

Von dieser Unterscheidung wird im Vor-aus vorausgesetzt, dass sie legitimist. Das wird aber erst in einer derfolgenden Thesen bewiesen (These8), namlich, dass die Gnade, die zumSetzen von Heilsakten erfordert ist,seinshaft und grundsatzlich uberna-turlich sein mus, wie das Ziel selbst.

Wenn wir das jetzt schon voraussetzen,mussen wir unterscheiden zwischenAkten, die der moralischen Gutheit(honestas) entsprechen und solchen,die Heilsakte sind.

Dann konnen wir fragen, ob auch dafurHilfe notig ist, dass man rein mora-lisch gute Akte tun kann

Erst, wenn von anderer Ecke her spater klar geworden ist, dass es soetwas, wie ein ubernaturliches Ziel und innerlich seinshaft uberna-turliche Gnade gibt, erst dann konnen wir sachlich und nicht nurformal begrifflich verstehen, dass zu unterscheiden ist zwischen Ak-ten, existentiellen Vollzugen insofern sie seinem Wesen entsprechenund den Akten als totalen, de facto ubernaturlich erhobenen, deneigentlichen Heilsakten.

Wenn diese in der Natur der Daseins-Dimensionen daliegt und als sobegrundete vorausgesetzt wird, kann man fragen: Konnen wir aufdie Dauer die der Natur als solcher entsprechenden Akte ohne wei-tere Hilfe Gottes richtig vollziehen oder brauchen wir auch dazu aufdie Dauer eine besondere Hilfe Gottes?

• Diese Frage ist hier gestellt in caput II, Sectio 1: Notwendigkeiteiner gratia sanans.

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5.1 These 4 auxilium speciale

Schon diese Frage ist religios von großer Bedeutung: Das ubernaturli-che Ziel des Menschen, wie erhaben es auch sein mag, kann nichterreicht werden, wenn der Mensch schon gegen seine Natur sich ver-fehlen wurde.

• Denn da dann das Ubernaturliche, das eine Modalitat, eine ge-nauere Bestimmung dieser geistigen Natur ist, die als solche im-mer schon vor Gott steht,

• nicht mehr in Ordnung sein kann, wenn in schwer schuldhaf-ter Weise die Grundsubstanz des Menschen, die Natur, schontodlich getroffen ist,

• ist die Frage: Konnen wir diese Aufrechterhaltung unseres natur-lichen Wesensgefuges allein oder bedurfen wir der Hilfe Gottes,fur die Heilsexistenz von fundamentaler Bedeutung.

5.1 These 4 auxilium speciale

These 4. Homo lapsus sine auxilio Dei speciali non habet potentiammoralem diu servandi totam legem naturalem quoad substanti-am.

Nach dem Sundenfall hat der Mensch ohne spezelle Hilfe Gottesnicht die moralische Fahigkeit lange Zeit hindurch das Natur-gesetz im Wesentlichen zu beobachten

5.1.1 Klassische Thesenstruktur

II. Begriffe Conceptus

In hac thesi loquimur de terminisdifferentibus.1. homo lapsus: homo in sta-

tu non paradisico, qui ergonon instructus est dono in-tegritatis, sed peccato ori-ginali affectus, sed nondumper gratiam sanctificantemiustificatus.

Wir sprechen hier in dieser These vonverschienen Begriffen.1. Mensch nach dem Sundenfall, in

nicht paradiesischem Zustand, d.h.ohne die Gabe der paradiesischenIntegritat, im Zustand der Ur-sunde. Aber trotzdem noch nichtdurch heiligmachende Gnade ge-rechtfertigt.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Postea dicebimus, etiam iusti-ficatus indigere tale auxili-um, quod tamen hic non-dum dicimus. De hominepeccatore peccato originali,quomodo de facto ut filiusprotoparentum nascitur.

Est hiatus inter id, quod tam-quam persona esse vult etid, quod suo pondere, suanatura de facto est.

De homine lapso loquimur etdicimus, eum non haberepotentiam moralem diu ser-vandi totam legem natura-lem quoad substantiam.

Discernimus potentiam physi-cam, moralem, impoten-tiam physicam, moralim(non obstante praestantiapotentiae physicae)

De facto res adeo est difficilis,ut omnes difficultates vixsuperari possint. Cur?

In einer spateren These sagen wir,auch dieser braucht die Hilfe, aberhier sagen wir das noch nicht. Al-so hier geht es um den Menschenim Zustand der Erbsunde, wie erde facto als Kind der Stammelterngeboren wird.

Von diesem sagen wir: Es gibt einenHiatus zwischen dem, was er alsPerson sein will und dem, was ervon sich aus, aus seiner Natur defacto ist.

Wir sprechen vom gefallenen Men-schen und sagen, er habe nicht diemoralische Fahigkeit, lange Zeithindurch das ganze Naturgesetz inwesentlichen Dingen zu erfullen.

Wir mussen unterscheiden: physischeund moralische Fahigkeit, physi-sche und moralische Unfahigkeit(obwohl physische Fahigkeit vor-handen ist).

De facto ist diese Sache so schwie-rig, dass kaum alle Schwierigkeitenuberwindbar sind. Warum?

5.1.1.1 Exkurs: uber moralische Impotenz

Potentia physica: leicht zu verstehen. Dass die Tafel keine Zahlenzusammenzahlen kann, ist klar. Hat keinen Geist und Verstand.Wir glauben, das zu haben. Das nennt man potentia physica.Die Termini sind schwerer als das zu Definierende (bei dieserDefinition).

Man kann aber in Bezug auf etwas potentia physica haben,aber große Schwierigkeit in der Ausubung dieser potentia. Wirkonnen alle Mathematik, aber de facto ist das doch bei vielenschwierig. Schwierigere mathematische Dinge konnen wir kaumverstehen.

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5.1 These 4 auxilium speciale

Ipsam realitatem deficeredicere non possumus, sedexercitio obstare magnasdifficultates.

Quaestio: Num difficultasexercitii ex una partepossit tanta esse, ut exaltera parte de impo-tentia sermo possibilissit quin ex altera partepotentia physica etiamdeest.

Dass die Realitat der Fahigkeitselbst nicht da ist, konnen wirnicht sagen, aber der Aus-ubung stehen große Hindernis-se im Wege.

Frage: Ob die Schwierigkeit derAusfuhrung einerseits so großsein kann, dass anderseits voneiner Unfahigkeit die Rede seinkann ohne dass anderseits auchdie physische Fahigkeit fehlt

Z. B. ich habe sicher physische Potenz diese Kreide aufzuheben.Das zeigt auch, dass ich ein zehnmal Schwereres aufheben konn-te, vielleicht auch noch diesen Kasten, aber irgendwo hort sichdas auf. Im Gehorsams-Brief kommt ein Monch vor, der einenFelsblock wegwalzen will. Man muss guten Willen haben, sichdaran zu erbauen, aber den haben wir ja. Der Monch hatte keinephysische Potenz dazu. Das faktische Nicht-Fertig-Bringen kanndas Zeichen dafur sein, dass man die physische Moglichkeit dazunicht hat.

2. Die Frage ist nun: Gibt es ein Nicht-Fertig-Bringen, undzwar ein solches, das man von vorneherein aussagen kann,welches auf der anderen Seite die moralische Verantwortung furdieses Nicht-Fertigbringen belasst?

• Der Monch kann nichts dafur, wenn er den Felsblock nichtwegbringt, weil er Potenz dafur nicht hat.

• Ich kann nur verantwortlich sein fur ein Nichttun, wenn ichdie Moglichkeit dazu habe, es zu tun.

Gibt es ein Nicht-Geschehen, das so ist einerseits, dass man in ir-gendeinem Sinn sagen kann: Man kann das nicht, und trotz die-ses Nicht-Konnens die sittliche Verantwortung fur das Nichttundennoch bestehen bleibt?

• Wenn ich verpflichtet ware, das dahin zu legen und lasse esliegen, dann bin ich verantwortlich, denn ich konnte es.

• Wenn einer bei guter Aufmerksamkeit drei Satze sagenmuss, ohne sich dabei zu versprechen, kann man sagen: Dukannst, wenn du willst, diese drei Satze so sagen, dass dudich nicht versprichst und wenn du es tust, bist du schuld.

• Aber zweifellos kann ich sagen: Wenn du zehn Bande Her-derlexikon vorlesen musstest, konntest du dich, wenn duwillst, nie versprechen, und wenn du dich trotzdem ver-

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

sprichst, bist du schuld.– Man kann naturlich sagen: die zwei Satze kannst du,

die zwei auch usw., folgt daraus, dass man das ganzeLexikon durchlesen kann, ohne sich zu versprechen.

– Jeder vernunftige Mensch wird sagen: nein. Eulenspie-gel: Ich kann ein Haus tragen. Irgendwo kommen funfGramm, die es doch ausmachen, dass ich es nicht mehrkann.

• Eine Schwierigkeit einer Leistung kann so groß werden, dassman sagen muss: Fur diese geforderte Leistung fehlt diephysische Moglichkeit, auch wenn fur eine kleinere Leistungdie physische Moglichkeit da ware. Und wenn diese fehlt,hort sich auch Verantwortung dafur auf.

• Es gibt zweifellos auf der katholischen Welt neben schul-diger Zerstreuung auch das, dass man zerstreut ist ohneSchuld. Solche Zerstreuungen brauchen noch keine morali-sche Schuld bedeuten, weil sie auf das Ganze der gefordertenLeistungen physisch nicht vermeidbar waren.

Frage: gibt es zwischen dem”du kannst und willst nicht und bist

schuldig“ und dem”du kannst einfach nicht schlechthin“ - z.

B. das Bestimmte fehlerfrei - gibt es dazwischen eine Zone, woman sagen muss:

”In gewissem Sinne kannst du nicht und bist

trotzdem schuld“?

• Das klingt paradox, unlogisch.• Wenn wir auf Tatsachliches des konkreten Lebens schauen,

bewegt sich der Mensch immer in einer solchen Zwischen-zone.

• Warum sind unsere Zerstreuungen nicht unschuldig, obwohlkein Mensch alle vermeiden kann?

• Nur deshalb, weil wir den Schnitzer des Eulenspiegel ma-chen: Man sagt, jedes Einzelne kannst du, also bist du auchverantwortlich fur die Gesamtreihe der geforderten Leistun-gen (fur die Fehler, die in der Gesamtreihe geforderter Leis-tungen vorkommen).

• Der Buchdrucker kann sicher diese Zeile ohne Fehler setzen,auch die nachste usw..– Folgt daraus, dass er bei der hundertsten moralisch ver-

antwortlich ist?– Sagt der Buchdrucker, dafur kann ich nichts? Auch

nicht.– Er muss sich vielleicht sagen, ich hatte bei dieser hun-

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5.1 These 4 auxilium speciale

dertsten Zeile doch besser aufpassen konnen.

Gehen wir von anderer Seite an das Problem heran: Das Trien-ter Konzil sagt, dass auch der Gerechtfertigte außer durch einbesonderes Privileg nicht alle lasslichen Sunden meiden konne.

• Konnen wir jetzt sagen: was ist das fur ein Unsinn, wenn iches nicht kann, kann ich nichts dafur, vielleicht nur materiellsolche Sunden, subjektiv vielleicht nicht.

• Ich kann sie ja nicht meiden, also konnen sie auch nichtangerechnet werden?

Kann man sagen, das Konzil macht es uns, den armen Men-schen gegenuber so, wie ein Herr eines Druckereiverlags, derseinem Buchdrucker sagt:

• Du kannst doch nicht sagen, dass du diese Zeile nicht ohneFehler setzen kannst usw. Also mache das. Alles, was du anFehlern machst und was so Unkosten fur mich bringt, falltauf dich zuruck.– Randbemerkung: Das ist ex natura rei, nicht nur fak-

tisch! bei der impotentia geht es nicht ex natura reihervor sondern faktisch und Schwierigkeit dazu!

– Interessant: Man musste einmal der Interferenz vonPhysiologie und Logik im Kopf nachgehen.∗ Denn irgendwo ist mein logischer Apparat abhangig

von Physiologie.∗ Diese ist in einer Weise endlich, dass es irgendwo

Ladehemmungen gibt.∗ Welcher Teil von Fehlern ist daher abzuleiten, so dass

von sittlicher Schuld nicht die Rede sein kann?

Mit diesem Satz ist nicht gesagt, dass es nicht materielle lassli-che Sunden gibt, die subjektiv keine sind. Es gibt sicher Zer-streuungen, die keine Sunden sind. Wenn sie nicht gerade inmystischer Ekstase sind, dann werden sie, wenn sie betrachtenund draußen platzt eine Bombe, dann wird der Lauf der Gedan-ken notwendigerweise unterbrochen und man denkt sofort: Wasist da los? Was nichts mit der Betrachtung zu tun hat. Solchezwangshaften Verstoße gegen objektive Norm kann es geben undgibt es auch.

Gibt es etwas, was man als gemusst, nicht vermeidbar qualifizie-ren kann, und was dennoch nicht außerhalb unserer Verantwort-lichkeit fallt?

Die Theologen, die diese Frage der Notwendigkeit der medi-

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

zinellen Gnade behandeln, glauben, dass es so etwas gibt.Sie drucken es aus als impotentia moralis.

Weil diese da ist, kann ich sagen: Ohne besondere HilfeGottes kann der betreffende nicht alle Sunden auf dieDauer meiden.

Aber auch wenn er sie (die besondere Hilfe) nicht hat-te und wenn er tatsachlich diese Verstoße gegen dasNaturgesetz nicht meiden konnte, ware er doch dafur ver-antwortlich, wurde er bei diesem Nicht-Meiden doch auchsubjektiv schwere Sunde begehen.

Nun, wenn man sich einmal auf diesen Begriff einlasst, die hiergesehene Wahrheit des Glaubens schon einmal so formulierenwill und sich dann einen genaueren Begriff von dieser impotentiamoralis non physica machen will, der einigermaßen vollziehbarist, dann kann man Folgendes sagen:

diese impotentia moralis ist sicher mehr als ein bloßes nonimplere de facto totam legem diu.• Beispiel: sagen wir, es gabe nur hundert Menschen auf

der Erde. 50 von diesen hatten die anderen 50 totge-schlagen. Keiner hatte das 5. Gebot beobachtet.

• Dann musste man immer noch sagen, alle hatten es ge-konnt.

• Man kann nicht sagen, keiner hat es gekonnt.Impotentia ist mehr als bloß faktisch aus Freiheit nicht getan

haben. Auf der anderen Seite soll diese impotentia keinephysische, die Verantwortung Wegnehmende sein.

Es gibt Theologen, die sagen, man kann zwar die Serie, die ganzeSumme der abgeforderten Leistungen nicht erfullen, man kannaber jede Einzelleistung erfullen in sich betrachtet und also kannjene potentia physica, die zur moralischen Verantwortlichkeitgenugt, da sein, was, wenn der einzelne Akt nicht geleistet wird,eine Schuld bedeutet.

Wer damit sich zufrieden gibt, mag es tun. Ich halte es fur un-moglich.

• Dort wo aus der Schwierigkeit der Leistung als Ganzes alssolcher eindeutig hervorgeht, dass der konkrete Mensch, derdiese ganze Reihe von Forderungen leisten soll, es nichtkann,

• ist de facto eine impotentia physica fur diese ganze Leistunggegeben,

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5.1 These 4 auxilium speciale

– auch wenn ich nicht weiß, in welchem Einzelmomentdieser Reihe sich diese impotentia physica durchsetztund das Fehlen erzwingt,

– obwohl dieser Einzelforderung in sich betrachtet - ausge-gliedert aus dem Ganzen - der Betreffende hatte leistenkonnen.

• Das sind im Grunde genommen sehr praktische Dinge, dieim praktischen Leben vorkommen. Daruber konnen wirjetzt nicht sprechen.

• Ich meine, dort wo impotentia simpliciter antecedens vor-liegt. relate ad omnia elementa, geht diese uber in impoten-tia physica, quae aufert responsabilitatem.

Wie konnen wir also dennoch uns eine impotentia antecedensmere moralis und nicht physica erklaren? Jeder Statistiker weiß,dass bei gewissen Fontagen in Munchen mehr Selbstmordevorkommen als an anderen Tagen. Nehmen wir an, von denhundert Selbstmorden, die in einer solchen Periode vorkom-men, seien ruhig 80 von vorneherein nicht unter moralischerVerantwortung dieser Leute. Wir nehmen an, dass 20 dieserSelbstmorde frei schuldhaft sind, 20 dieser Selbstmorder hattenschuldhaft, frei sich umgebracht. Dennoch wird naturlich auchin diesen Fallen die Wetterlage mitgewirkt haben. Auch diesehatten sich nicht umgebracht, wenn kein Fon gegangen ware.Setzen wir mal voraus. Nun stellen wir uns vor: gerade diese20 Leute und sonst keine wurden auf dem Erdboden existieren.Dann hatten sich de facto alle umgebracht. Konnte man sagen,sie haben sich nicht frei umgebracht? Nein. Unter Fon Einwir-kung, aber wir setzen voraus, dass sie dieser Einwirkung freinachgegeben haben, obwohl sie nicht hatten nachgeben mussen.

Also: Aus zahlenmaßiger Universalitat des Versagens kann mannicht schließen, dass keine Freiheit da ist. Aber, je mehr Leutein der Statistik erfasst werden, um so geringer die Wahrschein-lichkeit, wenn alle gleichmaßig handeln, dass hier Freiheit ist.

Wenn 10000 Bohnen nur 6mm groß sind, konnte die 10001-te7mm groß sein. Wenn 100000 untersucht, wird es unwahrschein-licher, dass dann noch eine 7mm hat, bei 10000000000 noch un-wahrscheinlicher. Dann ist zu sagen: Diese Bohne kann es unterden normalen Bedingungen nicht auf 7mm bringen (wenn nichtdurch besondere Behandlung).

Nicht jede Universalitat des menschlichen Handelns beweistschon, dass dieses Handeln zwangsmaßig ist.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Aus Grunden, die wir spater noch zu betrachten haben, konnenwir hier schon sagen, dass Gott im Voraus zum faktischen freienHandeln des Menschen weiß, dass dieser Mensch frei handelnwird oder wurde, wenn er existieren wurde und wenn er in be-stimmte Verhaltnisse gesetzt wurde. Kein katholischer Theologeleugnet, dass er es weiß. Wie, ist andere Frage.

Wenn er im Voraus zum faktischen Handeln des Menschen weiß,wie er handelt, dann kann man sich grundsatzlich denken, dasser nur solche Menschen geschaffen hat, von denen er weiß, dasssie de facto ohne besondere Hilfe Gottes nicht alle schweren Sun-den meiden wurden, obwohl sie es konnten und obwohl es auchsolche geben konnte, die es de facto konnten.

Auch in diesem Falle hatte man impotentia moralis, ohne dasses eine physica beweist, die die Verantwortlichkeit des Menschenaufheben wurde. Die faktische Universalitat des Nichterfullens(die hypothetisch ist) des Naturgesetzes ohne besondere HilfeGottes beweist noch nicht notwendig, dass diese faktische Uni-versalitat aus einer Wesensnotwendigkeit sich ergibt, einer im-potentia physica entspricht.

Wenn also Gott in der Offenbarung sagt: Wenn ich euch nichtbeistehen wurde, wurdet ihr faktisch auf die Dauer alle Na-turgesetze nicht beobachten, dann haben wir ein Nichterfullen,das der Faktizitat vorausgeht und trotzdem, trotz Allgemein-heit keine physische Unmoglichkeit beweist, also trotzdem mitder moralischen Verantwortlichkeit vereinbar ist.

So finden sie es im Kodex. Wir werden uns das nachste Maluberlegen, ob man dieser kniffligen Uberlegungen uberhaupt be-darf, um das was in der These steht, zu halten.

12.12.1956 Vorlesung 21

Impotentia moralis supponitpotentiam physicam. Ubimaius non adest, de minorirationabiliter loqui nonpossumus. Si potentiaphysica non adesset, deresponsabilitate factumesset.

Moralische Unfahigkeit setzt physi-sche Fahigkeit voraus. Wo dasgroßere nicht da ist, kann uberdas niedrigere vernunftiger Wei-se nicht geredet werden. Wenndie physische Fahigkeit nicht daware, ware es geschehen um dieVerantwortlichkeit.

Wenn und insofern einer durch Injektionen von Gift so verandert

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5.1 These 4 auxilium speciale

wird, dass er den Glauben physisch nicht bekennen kann, tut er etwasobjektiv Falsches, ist aber nicht verantwortlich.

Quaeritur de impotentiamorali, quae supponitpotentiam physicam,quomodo talis est sineexceptione, concipipotest, quin responsabi-litatem deruit et receditin physicam.• Alii dicunt: pro

serie actuum. Re-sponsabilis manetpro serie actuum,etsi non totumobservari potest.

• Alii dicunt:Talem non suf-ficere saltem.Per augmentumdifficultatis necresponsabilitasmanet eadem, sedpotest ita augeri utde facto sermo esseiam non potest deresponsabilitate.Supponendum esseper se etiam seriemipsam (actuumvel legum) posseobservari; tantumhomines qui de fac-to existunt de factonon faciunt propterdifficultatem exse maiorem sedsuperabilem. QuiaDeus praevidet hocfactum, talis impo-tentia potest esseantecedens. Nonde possibilitateobservationis sedde actu de factohabito.

Frage ist bezugl. der moralischen Un-fahigkeit, die physische Fahigkeitvoraussetzt, wie eine solche oh-ne Ausnahme verstanden werdenkann, ohne die Verantortung zuzerstoren und in physische Unfa-higkeit uberzugehen.• Die einen sagen: fur eine Reihe

von Akten gilt das. Er bleibtverantwortlich fur eine Reihevon Akten, wenn er auch nichtdas Ganze kann.

• Die anderen sagen, dieseErklarung reiche nicht aus.Durch die Zunahme derSchwierigkeit bleibt nichtauch die Verpflichtung ge-nau so, sondern sie kann sovergroßert werden, dass defacto von Verantwortlichkeitkeine Rede mehr sein kann.An sich musse auch voraus-gesetzt werden, dass auch dieReihe selbst (der Akte oderGesetze beobachtbar sei. Nurdie de facto existierendenMenschen erfullen sie defacto nicht wegen der in sichgroßeren, aber uberwindbarenSchwierigkeit. Weil Gottdieses Faktum voraussieht,kann diese Schwierigkeit einevorausgehende Schwierigkeitsein und zwar nicht gezuglichder Moglichkeit der Beobach-tung sondern bezuglich dertatsachlichen Aktrealisierung.

Wenn und insofern Gott zwar weiß, diese Serie der Erfullung desNaturgesetzes ist an und fur sich als Ganze dem Menschen mog-

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

lich, und wenn er weiß, an sich kann es Menschen geben, die esan und fur sich machen werden, wenn er aber voraussieht, unterden faktisch Existierenden sind keine, die das tun werden, kannich sagen: in diesem Sinne moralisch unmoglich. Obwohl diese exnatura rei keine ware, die absolut sein musste, sondern die Ab-solute ist eine Faktische, allerdings in der scientia media schonVorausgesehene und deshalb eine Antecedens und deshalb eineimpotentia moralis und nicht bloß ein faktisches Nicht-Erfullen,so dass sie sich einerseits aus der Schwierigkeit zusammensetztund anderseits aus einem Element, das der Voraussicht Got-tes nachfolgt (der Voraussicht Gottes von den futuribilien), auswelcher Kenntnis Gott es weiß, dass tatsachlich keine Ausnahmevorkommt.

Vergleich: Klasse von 30 Schulern. Entsetzlich schwere Klassen-arbeit. Eine solche, die man an sich grundsatzlich von ihnenverlangen kann, aber an der obersten Grenze dessen, was mananstandiger Weise von ihnen verlangen kann. Angenommen, eshangt viel davon ab. Dann ist jeder in der Versuchung, abzu-schreiben. 3. angenommen, der Lehrer passt nicht auf sondernliest einen Roman. Dann kann ich doch unter Umstanden sagen:auf der einen Seite weiß ich, an sich muss sich bei diesen Bu-ben die moralische Kraft voraussetzen, aus moralischen Grundennicht abzuschreiben. Auf der anderen Seite weiß ich, es werdenfaktisch alle abschreiben, weil es so schwer ist.

Aus der Tatsache, dass alle abschreiben, kann ich in gewissemSinn sagen, es bestand die moralische Unmoglichkeit, und zwareine solche, aus der sich ergibt, dass keiner nicht abschreibt.Aber an sich sind diese Abschreibenden moralisch dafur ver-antwortlich und hatten trotz dieser Schwierigkeit die moralischeMoglichkeit gehabt, ihr zu widerstehen. Wo man von morali-scher Unmoglichkeit reden muss und trotzdem auf der anderenSeite haben sie auch die moralische Moglichkeit gehabt, nichtabzuschreiben.

Wenn diese Klasse 100000 Schuler hat, dann musste man anneh-men, dass darunter wenigstens einer ist, der dieser VersuchungWiderstand leistet und nicht abschreibt. In diesem Augenblick,wo diese gerade und diesen einen reduziert werden, um geradediesen, der nicht abgeschrieben hatte, hatten wir erst recht denBeweis einer moralischen Unmoglichkeit und hatten doch dasRecht zu sagen: An sich sind diese alle moralisch dafur haftbarzu machen.

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5.1 These 4 auxilium speciale

Wenn ich nun der ware, der von vorneherein weiß, dass der nichtdabei ist, kann ich Ihnen sagen: Ihr werdet alle abschreiben (weilich den hunderttausendsten weggelassen habe). So kann ich vonmoralischer Unmoglichkeit sprechen, die trotzdem nicht die Ver-antwortlichkeit aufgeht.

Das haben wir formal logisch gesagt, um aus Einwanden heraus-zukommen. Vielleicht ist die Sache in Wirklichkeit viel harmlo-ser.

Man konnte sich fragen, ob die Quellen, die uns diese These na-helegen, wirklich von an sich absoluter Ausnahmslosigkeit die-ser moralischen Unmoglichkeit reden, oder ob dem Sinn, demeigentlich Gemeinten dieser Aussagen der Glaubensquellen Ge-nuge geschieht, wenn man zugibt, weil es eine bloß moralischehochste Schwierigkeit ist, aber eine solche, die die moralischeVerantwortung nicht aufhebt, ist es nicht nur in abstracto son-dern auch konkret denkbar, dass es Ausnahmen gibt, das heißtMenschen, die, weil es doch nicht eigentlich unmoglich ist undnicht unmoglich sein kann, weil sonst sinnvoll nicht die Rede seinkann von Anrechnung, tatsachlich das Naturgesetz erfullen.

Warum kann man an der absoluten Ausnahmslosigkeitzweifeln, obwohl von solchen Ausnahmen die Glaubens-quellen nicht sprechen? An und fur sich bedeutet dieFormulierung eines allgemeinen Gesetzes noch nicht, dassdamit jede denkbare Ausnahme ausgeschlossen sein konnte.- auch in den Glaubensquellen: Paulus formuliert die All-gemeinheit der Erbsunde, ohne die Ausnahme von Mariaanzufuhren.

Es scheint mir auch unmoglich (dabei die Ausnahme anzu-fuhren), weil man die Sinnrichtung beachten muss: Du kon-kreter Mensch musst dich um diese Hilfe Gottes besondersbemuhen, sonst geht es dir in konkreto schief. Gleichsamdie auf jeden hinzielende, existentielle, jeden einzelnen alskonkreten meinende Anrede kann allgemein formuliert seinund trotzdem jeden im konkreten Verhalten meinen.

Aber fur mein konkretes Verhalten Gott gegenuber giltfur mich dieses Gesetz: Ohne besondere Hilfe Gottesbringst du es de facto nicht fertig, obwohl du verant-wortlich bist. Das bleibt fur mich konkrete Wirklichkeit,auch wenn es in konkreto wahr ware, dass da und dortein Mensch ware, der es faktisch fertig bringt, bei demdie spezielle Hilfe asymptotisch reduziert ware auf seine

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Erschaffung als freies geistiges Wesen und die konkreteSituation, in die er hineingesetzt ist. Im Grunde musstedieser auch danken, dass er das Naturgesetz beobachtethat.Weil das aber sehr schwierig ist, weil ohne Hilfe Gottes diemeisten Menschen auf die Dauer das Gesetz nicht beobach-ten konnten, ist der konkrete Mensch als Einzelner Gottgegenuber verpflichtet, sich so zu verhalten wie einer, derohne diese besondere Hilfe Gottes das Naturgesetz auf dieDauer nicht beobachten konnte (moralisch, wurde).

Beispiel: wenn ich sage: in dieser verseuchten Atmospharekommt einer in dieser bestimmten todlichen Krankheit nurdurch, wenn er schutzgeimpft ist, dann folgt fur jeden, derin dieser Situation lebt, die moralische Pflicht, wenn er nichtdas Recht hat sich umbringen zu lassen, sich impfen zu las-sen, auch wenn man theoretisch sagen konnte, es konnteauch moglich sein, dass der eine oder andere auch einmalohne Schutzimpfung an dieser Krankheit, die todlich aus-geht, vorbeikommt.

Wenn man also den existentiell allgemeinen Charakter die-ser These durchdenkt, wird man vielleicht der Allgemeinheitder Glaubensaussage auch genugend gerecht, auch dann,wenn man - in abstrakter Essentialitat gesehen - zugebenkonnte, dass dieses Prinzip Ausnahmen haben kann. Nam-lich: Diese Ausnahme ist eine Anonyme, gleichsam bedeutetfur den Menschen, der handeln muss, Gottes Hilfe erbittenmuss, seine Situation und Hilfe Gottes als Gnade entgegen-nehmen muss, praktisch nichts.

Eine existentiell interpretierte Aussage dieser These warealso zu halten, auch wenn man Ausnahmen zugeben kannund so das Problem nicht mehr hat: Wie kann eine impo-tentia moralis, die keine Ausnahme hat, trotzdem eine sein,die die moralische Zurechenbarkeit beibehalt und nicht phy-sische wird.

3. Auxilium speciale: Non vocatur gratia, a fortiori non superna-turalis neque interna. Non agimus de hoc num istud sit sensupresso gratia, num antecedenter ad peccata propria sit indebi-tum. Wir sagen, der Mensch braucht besondere Hilfe Gottes zurErfullung des Naturgesetzes. Ob das eine Gnade ist, die demadamitischen Menschen ungeschuldet ist, sagt die These nicht.

Spater werden wir sehen, dass diese Hilfe dem Menschen rein

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5.1 These 4 auxilium speciale

als bloßer Erbsunder geschuldet ist. Also nicht einfach gratiaeinsetzbar fur auxilium speciale, obwohl fruhere Quellen nichtgenau unterscheiden.

Braucht auch keine innere Fahigkeit, von Gott eingefloßte Kraftund Schwung sein, sondern kann durchaus außere Hilfe, Guns-tigkeit der Situation und Umstanden sein.

Beispiel: Wenn jemand rechtzeitig ins Bett gegangen ist undes morgens fertig bringt, punktlich, rechtzeitig aufzustehen, derkann diese sanfte außere Gewalt, die ihn zum rechtzeitig insBettgehen gebracht hat, mit Recht als außere Hilfe Gottes an-nehmen, die die Bedingungen dieser These erfullt (uber Pad-agogisches ist noch nichts ausgesagt, zumal Gott uns auch aufkrummen Wegen seine Gaben geben kann).

speciale: istud est speciale, inquantum homo ut sic necessarium ha-bet quia et inquantum est homo, sed non necessario est indebi-tum. Potest esse naturale quid. Von da aus sehen sie auch, wennman der Sache genauer nachgeht, warum dieses auxilium etwasist, was jeder Mensch faktisch als superadditum werten muss.Warum?

Wir sagen, es genugt fur den Begriff des Besonderen, der hinzu-gegebenen Hilfe Gottes, wenn sie etwas ist, quod superadditur adfacultates naturales, ad habitus naturaliter acquisitos et concur-sum, wenn es etwas ist, was der Mensch nicht notwendigerweisedadurch schon hat, dass er Mensch ist.

Klar: Kein konkreter Mensch handelt in faktischem Handelnbloß aus den Moglichkeiten, die er dadurch hat, dass er Menschist, immer notwendig aus seiner konkreten Situation heraus. DerDummste konnte immer noch dummer sein usw.. Die Situation,in der er lebt, konnte immer noch schlechter sein. Faktisch kannein Mensch gar nicht aus einer Wirklichkeit heraus handeln, dienicht mit diesem Plus Gottes (auxilium speciale) schon ausge-stattet ist. Das konnte naturlich großer sein, und Gott konnteein Plus geben, je nachdem wie dieser Mensch sich sonst auf-fuhrt.

Aber konkret wird es nie einen Menschen geben konnen, dersagen kann: Ich der hier Konkrete habe deswegen das Natur-gesetz ganz und auf die Dauer erfullt ohne speciale auxilium.Dieser Fall kann nicht sein, auch wenn wir das zugeben, dass eres ohne Hilfe konnte, rein durch das, was er hat, weil er Menschist.

Insofern ist keine Gefahr, dass jene bloß existentielle Universa-

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

litat, die bloß essentielle Moglichkeit noch zulasst, dass ein kon-kreter Mensch sagt: Ihr habt die Ausnahme zugegeben, ich binnun der, der diese Ausnahme darstellt und erfullt. Denn diesemkonkreten Menschen, der mit diesem Anspruch auftritt, konnteGott immer noch sagen: Du hast, weil du das und das gehabthast, das Naturgesetz tatsachlich erfullt. Das hattest du abernicht haben mussen. Ob ich es dir schuldete, ist andere Frage.Du hattest es nicht haben brauchen und wenn du es nicht gehabthattest, hattest du es nicht erfullt.

4. substantia legis, wesentliche Inhalte des Naturesetzes1. Ea quae sub gravi

observari debent, inoppositione ad ea, quaetantum sub levi obligant.Ad substantiam in primosensu pertinent omnia,quae obligant sub gravi,ubi homo etiam subiec-tive graviter peccaret, sihoc faceret.

2. Excludit modalitatemsupernaturalem. Defacto nos implemus legemnaturalem salutari modoper gratiam elevantem,ex virtute quam indiditdeificatio per SpiritumSanctum. De hac im-pletione supernaturalinon loquimur. Pro talinon solum hoc auxili-um speciale requiritur,sed gratia interna etsupernaturalis.

Was unter schwerer Sunde zu beob-achten ist, im Gegensatz zu dem,was unter lasslicher Sunde ver-pflichtet. Also zur Substanz m ers-ten Sinn gehort alles das, was un-ter schwerer Sunde verpflichtet, woder Mensch auch subjektiv schwereSunde begehen wurde, wenn er dastun wurde.

2. Ubernaturlichkeit wird ausge-schlossen. De facto erfullen wirdas Naturgesetz heilswirksam,durch die ubernaturlich erhohendeGnade, aus der Tugend, die uns dieVergottlichung durch den Hl.Geistgibt. Von dieser ubernaturlichenErfullung sprechen wir nicht. Da-fur wird nicht nur diese spezielleHilfe erfordert sondern innere undubernaturliche Gnade.

Wer das Naturgesetz so erfullen will, dass die Erfullung bedeut-sam ist fur ewiges Leben, dass es Taten sind, die dem ewigenZiel konnatural sind, der

bedarf innerer, seinshafter Vergottlichung des Menschen zujedwedem solchen Akt und nicht bloß fur die gesamte Dauerder Erfullung des Naturgesetzes.

Von dieser reden wir hier nicht. Wir sprechen hier nur da-von, dass es sich um Substanz des Naturgesetzes handelt,als um die Erfullung des Gesetzes, das aus naturalem Wesenerfließt als solchem, nicht ubernaturlich erhoht.

Dass damit das gemeint ist, was den Menschen unter schwe-

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5.1 These 4 auxilium speciale

rer Sunde verpflichtet.

5. diuturna impletio: Von dauernder Erfullung ist die Rede.

Aus historischen Grunden war in Mittelalter von Augustinus herdie Frage durchaus auch so gestellt,

ob es bestimmte einzelne, vom Naturgesetz zwar geforderteTaten des Menschen gebe, die dem Menschen auch als Ein-zelne wegen ihrer Schwierigkeit faktisch moralisch zu erful-len moralisch unmoglich sind.

Diese so gestellte Frage wird unter Umstanden bis heuteauch bejaht. Faktisch: ob hier nicht im Grunde die Un-klarheit der fruheren Zeit nachwirkt, wo man nicht unter-schied zwischen heilsamer und nur honester Erfullung, unddie Notwendigkeit der Gnade fur den heilsamen Akt aus-dehnte auf die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfe Gottesfur gewisse schwere Akte des Naturgesetzes.

Man hat bei Bellarmin und spater bei den Augustinern(Berti) auch gesagt.: Gott wirklich in einem Akt so zulieben, wie wir von Natur aus verpflichtet sind, gehtuber meine moralische Moglichkeit (nicht physische) auchhinsichtlich des einzelnen Aktes.

Von dieser Frage sprechen wir in der These nicht. Wir spre-chen nur von der diuturnior observatio, nicht ob es Einzelge-bote gibt, die uber unsere moralische Fahigkeit hinausgehenund ob es einzelne Akte gibt, die daruber hinausgehen.

Was heißt”langere Beobachtung“? Man kann da nicht sagen,

wenn du vier Tage ohne besondere Hilfe zugebracht hast, gehtdir die moralische Potenz aus. So zeitlich quantitativ kann mandas nicht sagen. Diuturnior: Du musst damit rechnen, dass duuber kurz oder lang faktisch versagen wirst, und dies sagt dir dieOffenbarung rechtzeitig an den Kopf, damit du daraus rechtzei-tig deine (Grenzen siehst) Konsequenzen ziehst. Du darfst dirnicht als autonom vorkommen als einer, der die moralische Kraftimmer mitgegeben empfindet, um die Forderung Gottes von derNatur her zu erfullen.

Wie lange das ginge? Was die Quellen seiner Kraft sind, dass sievon Gottes Vorsehung her ihm zufließen mussen, diese Tatsachewird hier ausgesagt und hat diese praktischen Konsequenzen,und wenn man sagen wurde: fur die nachsten drei Jahre habeich die Kraft und bringe es ohne Gott fertig, der wurde sehr baldmit seinem moralischen Latein am Ende sein, weil diese Thesefur ihn den Sinn gerade verfehlt hatte.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

12.12.1956 Vorlesung 22 (2.Stunde)

III Sensus: hisce patet

IV Adversarii Gegner der These

Classici: Pelagiani, qui adeoextulerunt vim naturaehumanae ut, si vult, ca-pax est implendi legemtotam et semper.

Inter Julianum vonEklanum et Augustinumex altera parte imprimisagebatur necessitas gra-tiae quae requiritur adfinem supernaturalem.

Klassisch: die Pelagianer, die dieFahigkeit der menschlichen Na-tur so sehr ubertrieben, dass er,wenn er will, fahig ist, immer dasgesamte Naturgesetz zu erfullen.

Julian von Eklanum und Augusti-nus haben andererseits haupt-sachlich gestritten uber die Not-wendigkeit der Gnade, die gefor-dert ist fur das ubernaturlicheZiel.

V Notae ut pondus fontium recte diiudicetur (Bemerkungen, um dasGewicht der Quellen richtig zu beurteilen)

• Non distinxerunt interimpletionem honestamet salutarem.

• Deshalb ist es schwierigerui, num agetur de im-possibilitate quae in hacvel de ea quae in thesi 8aagitur.

• Sie haben nicht unterschieden zwi-schen honester und heilswirksamerErfullung

• Deshalb ist es schwierig, zu kla-ren, ob es sich bei ihnen handeltum eine Unmoglichkeit die in die-ser These behandelt wird oder umeine, die in der 8.These behandeltwird

VI Qualificatio Theologische Qualifikation der These

Ex eadem difficultate non nisi theologica certitudo. Wir konnen nichtsagen: simpliciter definita. Allerdings ist klar, dass man sagen konnte:de fide catholica. Aber vorsichtiger: theologice certa.

(Difficultatem observationis legis naturalis etiam respiciunt.)

5.1.2 Probatio: [kurz]

Ecclesia: Beweis aus dem Magisterium

• Carthaginiense XVI.• Indiculus• Tridentinum See.6

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5.1 These 4 auxilium speciale

Carthaginiense XVI:necessitas gratiae sensuvago ad evitanda pec-cata personalia graviasecus committenda.Haec necessitas consistitsi non pro singulisactibus ad minimum prodiuturna observatione.

Indiculus: Pro omni homi-ne requiritur cotidianumauxilium Dei ad supe-randas diaboli insidiaset vincendas carnis con-cupiscentias. Textus, quinon solum elevationemrespiciumt, sed ipsam le-gem naturalem ut talemservandi.

Tridentinum: Doctrina etdefinitio etiam iustumindigere auxiliumaliquod, ut possitperseverare usque adfinem. Conservatioiustificationis nondumadaequate donata esteo, quod homo possideatgratiam sanctificantem.Instructus est ad hoc,sed tamen indigetauxilium speciale utretinere possit gratiamsanctificantem. Haecdifficultas practice con-sistit in impletione legisnaturalis et quod huicresistit, resistit etiamobservationi substantiaehuius legis eodem modo.

Carthaginiense XVI: Notwendigkeitder Gnade in einem vagen Sinn,um schwere personliche Sunden zumeiden, die sonst begangen wur-den. Diese Notwendigkeit besteht,wenn nicht fur die einzelnen Akte,so wenigstens fur die Beobachtungauf langere Zeit

Indiculus: Fur jeden Menschenbraucht es eine tagliche Hilfe Got-tes, die Nachstellungen des Teufelszu uberwinden und die Konku-piszenz des Fleisches zu besiegen.Es sind Texte, die nicht nur dieErhohung betreffen, sondern dieBeobachtung des Naturgesetzesselbst als solche

Tridentinum: Lehre und Definition,dass auch der Gerechtfertigte ei-ne Hilfe braucht, damit er bis zumEnde beharren kann. Die Erhal-tung der Rechtfertigung ist nochnicht adaequat garantiert dadurch,dass der Mensch die heiligmachen-de Gnade hat. Er ist dazu befahigt,aber trotzdem braucht er ein spezi-elle Hilfe, die heiligmachende Gna-de zu behalten. Diese Schwierigkeitist praktisch die der Erfullung desNaturgesetzes und was diesem wi-dersteht, widersteht auch der Be-obachtung der Substanz dieses Ge-setzes ebenso

Scriptura Ro. 7.c. Aus der Schrift, Ro 7.c.

5.1.2.1 Exkurs: uber Ro.7.c

Ibi multae restrictiones appli-candae sunt.

Dort sind viele Einschrankungenanzuwenden

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Sanctus Paulus sine dubio docethominem legem divinam,prouti observanda est uthomo Deo acceptus sit, talemnon fieri nisi per gratiam, quiahomo ligatus sua concupiscen-tia sub tyrranide peccati, inquam per peccatum Adaeintravit, non potest resistere,sed quodammodo necessariopeccat.

Paulus certe non respicit meramoffensam materialem sed ta-lem, quae hominem re veradamnat, damnabilem reddit.Certe peccata formalia respi-cit. Etiam Paulus scit, ap-parenter, hominem formaliterpeccabilem esse non posse, nisiper eius libertatem, in quadamsituatione, in qua etiam aliteragere posset, sed ita, ut, etsinon ex physica necessitate sedtamen ex vera necessitate ne-cessitati subiicitur, ex qua li-berari non potest nisi per au-xilium Dei.

Der hl.Paulus lehrt ohne Zweifel,dass der Mensch das gottlicheGesetz, wie es beobachtet wer-den muss, wenn der MenschGott gefallen soll, nur durch dieGnade beobachten kann, weilder Mensch gefangen durch sei-ne Konkupiszenz unter der Tyr-ranei der Sunde, in die er gera-ten ist durch die Sunde Adams,nicht widerstehen kann, sonderngewissermaßen notwendigerwei-se sundigt.

Paulus betrachtet sicher nichteine rein materiale Beleidigung,sondern eine solche, die denMenschen wirklich verdam-mungswurdig macht. Er meintsicher formale Sunden. AuchPaulus weiß, so konnen wirsehen, dass der Mensch formalsundig nur sein kann durch seineFreiheit, in einer Situation, inder er auch anders handelnkonnte, aber so, dass er, wennauch nicht aus physischer Not-wendigkeit aber doch aus einerwahren Notwendigkeit einerNotigung unterliegt, aus der ernicht befreit werden kann außerdurch die Hilfe Gottes.

Paulus sieht den Menschen, obwohl er ihn als frei erkennt, als einenMenschen, der durch die Sunde gefangen ist, wenn ihn nicht die Gna-de Gottes befreit. Dem darf man nicht durch naseweise Logik auswei-chen: dann kann er nicht anders, und wenn er nicht anders kann, kanner nicht sundigen. Das ist Unsinn. Paulus will ja, dass es Gefangen-schaft unter der Sunde gibt, die trotzdem sie eine Unausweichlichkeitder Sunde ist, Sunde ist.

Wie das logisch vereinbar ist damit, dass der Mensch nur sundigenkann, wenn er frei ist, das ist die Frage. Aber diese ist nicht ausder Welt geschafft dadurch, dass man das Problem aufhebt, in demman eine Seite der Sache leugnet, diese einseitige Unentrinnbarkeit

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5.1 These 4 auxilium speciale

leugnet oder leugnet, dass der Mensch trotz dieser Unentrinnbarkeitfrei ist und deshalb verantwortlich ist und gesagt werden kann, erkann anders, und er kann auch dann anderes, wenn ihn die GnadeGottes nicht befreit.

Der Sinn diese These ist nicht: Wenn ihm die Gnade Gottes dieseMoglichkeit nicht gabe, ware er ohne Schuld. Aber die Quellensagen: du bist praktisch der Gefangene der Tyrannei der Sunde,so dass du wirklich sundigst, wenn dich Gottes Gnade nichtbefreit, und du warest das auch, wenn sie das nicht tate.

Die Alternative ist ziemlich schwierig. Bei Paulus ist sie nicht:

Entweder Sklaverei unter der Sunde ohne Gnade oder Freiheitunter der Gnade, so dass nun da der Mensch entweder jetzterst trotzdem sundigt und schuldig wird oder weil er nicht mehrmuss, frei sundigt.

Das gibt es auch bei Paulus. Aber auch ohne Gnade ist einewirkliche Freiheit da und dem Menschen mitgeteilt, und deshalbsundigt er faktisch trotz und in dieser Freiheit, so dass von daaus gesehen sie doch so erscheint als die gewollte Freiheit derSunde.

falsche Alternative Alternative bei PaulusSklarerei keine Schuld (unfrei Freiheit bleibt

unter der Sunde des sich in Sklaverei BegebensFreiheit Schuld weil trotzdem Schuld weil trotzdem

unter der Gnade Schuld weil kein Muss Schuld weil kein Muss

Naturlich auch anders. Die Freiheit, die sich im Sundigen betatigt,ist sowohl eine Freiheit des Sich-In-Die-Sklaverei-Begebens wieauch eine, die im Grunde genommen schon auf erbsundlicherVerfallenheit an die Sunde basiert.

Man muss naturlich sich einmal klar werden: Freiheit begibtsich indem sie sich vollzieht

entweder in jene Notwendigkeit des adhaerere Deo hinein,die keine Unfreiheit ist, weil das Anhangen an den abso-luten Wert, an die absolute Fulle der Wirklichkeit trotz ih-rer Notwendigkeit keine Gefangenschaft an Einzelnes undEndliches besagt

oder der Mensch begibt sich in Realisation seiner Freiheit,wenn er sich schuldhaft frei verrennt (begibt er sich) in eineGefangenschaft, denn zu endlichem Wert ein absolutes Ja zu

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

sagen, und zwar ein solches, dass gar nicht mehr ruckgangiggemacht werden kann, ist wirkliche Sklaverei.

GrundSklarerei absolutes Ja zu Endlichem

unter der Sunde = Gefangenschaft an einzelnesFreiheit adhaerere Deobleibt keine Gefangenschaft an einzelnes

• Dort, wo der Mensch sich in endlichen Wert so vergafftund dahinein sich versteinert, weil die Freiheit nicht einedes immer wieder anders tun Konnens ist sondern End-gultiges schaffen will und diese Endgultigkeit die Fruchtdieser ist,

• dann ist wirklich eine Sklaverei gegeben, die, wenn sichdiese endgultige Freiheit zu Gott dem unendlichen Wertvollzieht, nicht vorhanden ist.

So ergibt sich aus der Freiheit selbst eine necessitas conse-quens (nachfolgende Notwendigkeit), welche von Gott hergesehen und in der von Gott her erleuchteten Situation sowas Ahnliches ist, wie eine Art vorausgehender Notwendiig-keit, das heißt, Gott kann uns sagen: Wenn ich mit meinerGnade nicht dich befreie, bist du der durch deine eigeneFreiheit sich Versklavende und zwar unweigerlich.

Das kommt nicht daher, dass wir nicht frei waren,• sondern dass wir unsere Freiheit frei so missbrauchen

wurden• und er uns diese Moglichkeit von vorneherein mitteilt,

– so dass eben jetzt unsere konkrete Freiheitssituationunter dem deutlichen Wissen steht:

– Entweder laufe ich gleichsam direkt zu Gott und ermir entgegen mit seiner Hilfe

– oder ich laufe faktisch frei, aber immer in die Skla-verei meiner Schuld und meines Verderbens.

Nun ist an sich diese Vorstellung, diese Daseinsanalyse im 7. Kapiteldes Romerbriefs bei Paulus sehr deutlich zu greifen.

Aber es ist zu bedenken: Paulus hat nicht explizit zwischen im-pletio salutaris und mere honesta legis distinguiert. Er sieht denkonkreten Menschen physisch, von seiner Natur her von Gott.

Er tragt das in sich, was wir seine Natur nennen. Er sprichtauch vom Naturgesetz, und wenn er im 1-2 Kapitel die

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5.1 These 4 auxilium speciale

Sundigkeit der Juden und Heiden beschreibt, reflektiert erauf Gebote und Verstoße, die wir zum Naturgesetz rechnenmussen und nicht zu positivem Gesetz, das nur der uber-naturlichen Offenbarung angehoren wurde, als ob der Satz:alle haben gesundigt, sich nur auf eine Sundigkeit aller Men-schen gegenuber positivem Gesetz beziehen wurde, sondernzweifellos auch, fast ausschließlich bestimmt durch Verstoßegegen jenes Gesetz, das wir heute als Naturgesetz anspre-chen.

Aber zunachst, insofern er den Menschen als konkretenbetrachtet und sein konkretes Heil, das er durch seineSchuld verfehlt, muss man sagen: Paulus sieht die sund-hafte Verweigerung der jenigen Beobachtung des gottlichenGesetzes, die heilswirksam also pneumatisch - bei uns uber-naturlich heilswirksam - ware und nicht die bloß naturlicheErfullung des Naturgesetzes (naturlichen Sittengesetzes)rein als solchen.

Insofern hat Paulus ganz recht, wenn er sagt: Diese Erful-lung, die er global im Auge hat, geht nur aus der Kraft desgottlichen Pneumas, also aus der Kraft eigentlicher Gnade.Insofern ist zuzugeben, dass er nicht explizit und abge-

grenzt unsere These lehrt, sondern das konkrete Gesetzist zu halten vom konkreten Menschen ohne gnadenvolleHilfe Gottes nicht moglich.

Wir distinguieren im Gesetz zwischen Naturgesetzals solchem und ubernaturlicher Finalisierung aufubernaturliches Ziel hin.• Wir unterscheiden im Menschen die Natur im mo-

dernen Sinn• und seine ubernaturliche Erhebung.

– Wir unterscheiden in der Gnade das, was wir hierauxilium speciale nennen

– und das, was wir in einer spateren These die gratiaentitative elevans (Pneumatisches) nennen.

All das ist bei Paulus in einem drin. Formal logisch folgt also nur:die Notwendigkeit der Gnade gilt nur fur das Gesetz insofern esetwas Ubernaturliches bedeutet, eine entitative Erhebung undnicht fur die Hilfe fur die Erfullung des Naturgesetzes.

Und der ganze Romerbrief lasst ja, - so sehr verbale Offenba-rung von außen usw. - alles zu verderblichen Machten werden,wenn nicht die aus Christi Kreuz stammende Erlosung durch das

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Pneuma Gottes hinzutritt. Aber das bezieht sich auf den ande-ren Teil: in gewissem Grade richtig, aber nur zum Teil: denn1. Ist im Gesetz auch das Naturgesetz als solches gesehen 2.Die tyrannisch versklavende Macht, die nach Paulus den Men-schen ohne Gnadengabe hindert, das Gesetz Gottes zu erfullen,ist nicht etwas, was nur sich auswirkt hinsichtlich der pneumati-schen Erfullung des Gesetzes, sondern auch als Aussage uber diePhysis des Menschen, weil âpijumÐa, Furcht vor dem Tod usw.Dinge sind, die sich auch gegen die Erfullung des Naturgesetzeswenden, nach empirischer Erfahrung, darin sich auswirkt.

Der infelix homo, der Freude hat am Gesetz Gottes, aber auchim Grunde seines Wesens nein sagt dazu, autonom sich gegenden Stachel des Gesetzes wehrt, das sind alles Dinge, die derMensch auch tut gegen das Naturgesetz als solches.

Ob dann das in genau derselben Radikalitat, die Paulus hierpreist, fur die Erfullung des Naturgesetzes gilt, oder eine ge-wisse Abschwachung gemacht werden muss (diuturna), daruberredet Paulus weder positiv noch negativ. Diese praecisio kannnicht aus Paulus entnommen werden. Ist aber nicht notwendig.

Wenn man diesen richtig interpretiert und ihn so versteht, wieder gesamte Gedankenduktus geht, muss man sagen: Paulussieht global mit der Erfullung des Gesetzes doch auch das, waswir hier meinen: Seine Notwendigkeit der Hilfe fur die Erfullungdes Gesetzes gilt auch fur die Erfullung der Substanz des natur-lichen Sittengesetzes und nicht bloß, wenn auch radikaler, furdie pneumatische Erfullung dieses Naturgesetzes.

Im Ubrigen wird man sagen mussen: Die Schrift kennt den Men-schen als den, der Gottes Hilfe anrufen muss, der erbitten muss,was er tun muss, der gewissermaßen das von ihm Gefordertevon Gott erbitten muss. Wenn wir bitten: Ne inducas nos intentationem, wenn wir immer wieder zu Gott fliehen mussenim Kampf gegen die Machte der Sunde, wenn wir unser Heil inFurcht und Zittern wirken mussen, wenn es Gott ist, der unserHeil wirkt, wenn wir uns selbst gegenuber misstrauisch, auchwenn wir stehen, achten mussen, dass wir nicht fallen, und da-mit wir das tun, Gottes Hilfe erbitten mussen, all das, was inder Schrift praktiziert wird als selbstverstandliche Haltung, alldas ware falsch, wenn unsere These nicht richtig ware.

Wenn der Mensch zur Erfullung des Naturgesetzes rein der Au-tonome, der einer weiteren Hilfe Gottes nicht mehr Bedurftigeware, dann ware er der Pelagianer, der danken musste, dass

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5.1 These 4 auxilium speciale

er existiert und als dieser, der er ist, aber nicht der Bettler,der die Barmherzigkeit Gottes anrufen muss, dann hatte er eineemanzipierte Freiheit, dann ware die existentielle Kreaturlich-keit, Bedrohtheit, Hinfalligkeit, Zweifelhaftigkeit seiner Freiheitnicht vorhanden.

Aber das muss der Mensch konkret, existentiell erleben: Er musssich als der wissen, der in seine auf niemand ableitbare Freiheitdurch Gott hineingestellt ist. Er darf sich nicht abladen auf an-dere, wenn er gesundigt hat. Er muss damit rechnen, dass erwirklich sundigen kann, und zwar so, dass Abschieben auf an-dere (Umstande, Teufel usw.) nicht mehr moglich ist.

Trotzdem und in dem muss er dort, wo er richtig handelt, seineFreiheit, und zwar nicht bloß als allgemeine Moglichkeit, sondernauch als Vollzug der Freiheit, den richtigen Vollzug der Freiheit,obwohl sie seine eigene freie Tat ist, empfangen als GeschenkGottes.

Diese Grundhaltung des Geschopfs ware konkret negiert, wenndiese These falsch ware, wenn der Mensch einen wesentlichenTeil seiner sittlichen Aufgabe als seine Leistung fur sich in An-spruch nehmen konnte.

Weil das nicht wahr ist und Paulus dagegen kampft, weil er aufseine Gerechtigkeit verzichtet und die Gottes annimmt, wenndafur Augustinus kampft, dann haben sie etwas der Christenheitgegeben, was sie nicht vergessen darf.

Patres aus der Lehre der Kirchenvater

Nicht viel zu sagen. Mussen kampfen gegen Irrlehrer. Potius alterampartem..

Der hl. Augustinus verlangt sogar noch mehr. Weiteres ist also nichtuber sie zu sagen.

Theologen: nach den Theologen

Mittelalter: Sie haben anderen status quaestionis. Sie frage namlichmehr: num gratia habitualis et iustificans necessaria sit ad implendamsubstantiam legis. [Ob gratia habitualis iustificationis sufficiat, inditavis et facultas hominis aut deinceps serviat et nos producat statum]

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

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qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Gerechtfertigter

braucht auxilium

Nein Ja

uebernat.

NaturErhoehung Erhoehung

unsere

.These

.leugnetnicht

erst recht

uebernat.

Natur............................................................................................................................................................................................................................. ..........................................................................................................................................................................................................................

Fragen nicht so sehr zunachst: Kann ein Mensch, der nicht in Standeder Gnade ist, aus den ihm zukommenden Kraften das Naturgesetzauf lange Zeit beobachten oder nicht? Sondern: Kann der Mensch, dergerechtfertigt ist, bloß aus dieser Gnade heraus, jetzt das naturlicheSittengesetz beobachten?

Wenn einer darauf mit ja antwortet: Ist er kein Gegner unserer These.Der sagt ja nur: Diese besondere Hilfe besteht in der Rechtfertigungs-gnade als solcher. Das ware also keine Leugnung der Notwendigkeiteines solchen auxilium. Die, die das leugnen, dass der Gerechtfertigteeine Hilfe braucht, der leugnet nicht unsere These.

Ware aber eine weitere Hilfe noch fordert, auch fur die Gerechtfer-tigten, der behauptet das naturlich erst recht fur die Nichtgerechtfer-tigten.

Negative Antwort auf diese Frage ist keine negative fur unsere These.Positive Antwort ist erst recht positive Antwort auf unsere These.

14.12.1956 Vorlesung 23

Noch einiges zur 4. These: Diximus: Si requiritur auxilium specialepro iusto non obstante gratia iustificante: a fortiori pro nostra partestant. Vasques et Ripalda: Denken so wie wir teilweise, und uberdas, worin sie sich unterscheiden, sprechen wir noch in einer anderenThese (7). Dort bringen wir ihre Auffassung.

Augustinismus: Sagen mehr wie wir: auch in einer folgenden These,in der die augustinische These weiter ausgefuhrt wird.

Ratio theologica: Was wichtiger ist, ist schon im status quaestionis. Esist nicht zu verwundern, dass der Mensch diese empfangene Hilfe

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

nicht von vorneherein bekam, so dass der Mensch verpflichtet ist,diese Hilfe zu erbitten von Gott und Gott praesto sit tale auxiliumpraestandi. Der Mensch kann und muss dependere. Daruber ist nichtmehr zu sagen.

5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

These 5. Nemo, ne iustus quidem, in statu naturae lapsae habet si-ne speciali privilegio Dei potentiam moralem diu vitandi omniapeccata venialia.

Niemand, auch der Gerechtfertigte nicht hat nach dem Sunden-fall ohne spezielles Privileg von Gott die moralische Fahigkeitauf lange Zeit alle lasslichen Sunden zu meiden

5.2.1 Klassische Thesenstruktur

I.Introductio Einfuhrung

Complementum thesis praece-dentis. Gehort aber eigent-lich in den Teil:

”De vita ho-

minis iustificati“Agitur de simili casu. Etiam

impossibilitas moralis.Eodem modo declarandaet concipienda est sicuti inthesi antecente. Sicut ibidistinguendum est:• Elementum simplici-

ter antecedens• Elementum adhuc an-

tecedens sed conse-quens ad voluntatemDei: De facto non exis-tere exceptiones.

Omnia quae iam diximus, quaeetiam plus ex parte existen-tiali declarari possent, dequibus codex latinus nihildicit, iam dicta sunt in the-si antecedenti.

Erganzung zur vorhergehendenThese. Gehort aber eigentlichin den Teil

”uber das Leben des

Gerechtfertigten“Es handelt sich um ahnlichen Fall,

Es geht auch um moralische Un-fahigkeit. Diese ist genau so zunehmen und zu erklaren, wiedort. Man muss darin unter-scheiden• ein einfach vorausgehendes

Element• ein Element, das noch vor-

ausgehend ist, aber nachfol-gend dem Willen Gottes: Defacto existieren keine Aus-nahmen

Alles was wir schon davon gesagthaben, was auch mehr exis-tentiell erklarbar ware, woruberder Kodex schweigt, haben wirschon gesagt

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

1. Non de non-iustificato, sediam de homine qui ha-bet gratiam sanctificantem.Unter dieser Rucksicht un-terscheidet sich diese Theseerstens von der vorher.

2. Sine speciali privilegio, ibi:sine auxilio speciali.

1. Nicht vom Nichtgerechtfertigenausgesagt, sondern vom Men-schen, der schon die heilig-machende Gnade hat. Unterdieser Rucksicht unterscheidetsich die These erstens von dervorherigen These

2. ohne spezielles Privileg, heißt eshier, dort ohne spezielle Hilfe

II. Conceptus Begriffe

auxilium: Hilfe

Deus ad vires adicere deberealiquid ulterius. Deum de factohoc dare supponimus.

Gott musse zu den Kraften der Naturnoch etwas Weiteres dazu geben. Wirsetzen voraus, dass Gott das de factogibt.

Folgt aus der ersten These: dass er alle Mittel gibt, dass derMensch sein Ziel erreichen kann. Dann muss er auch diese Hilfegeben de facto, damit der Mensch die schwere Sunde meidenkann, durch die er seines Heils verlustig geht.

Deus id dat vel offert saltem: (Gott gibt dieses oder bietet es we-nigstens an,) der Mensch, der personlich sundigt, empfangt Hil-fen die hinreichend sind (auxilia remote sufficientia accipit). Eti-am circa homines obduratos, gravi peccato iam imbutos. (Auchden verharteten, in schwere Sunde schon verwickelten) Also allenMenschen, wenn auch mensura inaequali (in ungleichem Maße).

privilegium speciale: (spezielles Privileg)

Non datur omnibus, immorarissimo in casu. Innuiturper conceptum privilegii immospecialis privilegii. Est contralegem universalem. Si hic ser-mo est de privilegio hoc di-cit: Per se existere legem ge-neralem Dei, nach dem er die-se Hilfe verweigert, mit der derMensch alle lasslichen Sundenmeiden kann.

Es wird nicht allen gegeben, sondernsogar in den seltensten Fallen. Daswird durch den Begriff des Privilegsangedeutet. Es existiert ein allgemei-nes Gesetz, von dem es eine Ausnah-me ist. Wenn hier die Rede ist vonPrivileg, so sagt das: An sich exis-tiert ein allgemeines Gesetz Gottes,nach dem er diese Hilfe verweigert,mit der der Mensch alle lasslichenSunden meiden kann.

Peccatum; Sunde

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

quid sit peccatum personale,originale, personale grave et le-ve, haec tractantur in tracta-tu de peccatis. Kann auch ausder Moral vorausgesetzt wer-den. Konnen wir also hier vor-aussetzen.

m

Was personliche Sunde ist, Erbsunde,schwere Sunde, lassliche Sunde, wirdim Traktat uber die Sunden behan-delt. Es kann ach aus der Moral vor-ausgesetzt werden, konnen wir alsohier voraussetzen.

Peccatum veniale: lassliche Sunde

Actus humanus liber moralitermalus (positive difformis a le-ge divina), quo tamen ex ma-teria obiective levi sive ex im-perfectione actus sive ex utro-que habitualis conversio ad De-um ut ultimum finem per cari-tatem non destruitur.

menschliche freie, moralisch schlech-te Handlung (positiv abweichend vomgottlichen Gesetz), die jedoch we-gen objektiv leichter Materie oderaus Unvollkommenheit der Handlungoder aus beiden Grunden die habitu-elle Verbindung mit Gott als letztemZiel durch die Liebe nicht zerstort.

Wir setzen auch voraus den Unterschied, dass das peccatum ve-niale Tantum analogo modo convenit cum peccato gravi.

Auch dass es lassliche Sunden gibt: im Tridentinum gegen dieReformatoren vorausgesetzt. Diese behaupteten: Semper gravi-ter talem sei der Sunder, dass jeder Mensch [schliste mensuramensurando] Vor Gott verneinten sie den Unterschied zwischenschwerer und leichter Sunde. Das ist haretisch. (De fide definita)

Dass es diese ex naturae rei gibt, nicht nur ex voluntaria (positi-va) ordinatione Dei legislatoris: Doctrina certa (doctrina catho-lica), ad fidem spectans, non definita.

5.2.1.1 Exkurs: uber lassliche Sunde (ca. 12 Seiten)

Die Erklarung dieses Unterschiedes, ist sehr schwer und obskur.Patres spirituales in exercitiis loquuntur de iis in exemplis etc,die den Menschen abschrecken wollen vor den lasslichen Sunden.Cur tale quid differt a peccato gravi, quamvis illud peccatumleve non est subreptitium sed scienter et volenter, hoc non facileest intelligendum, das ist nicht so leicht einzusehen. Wenn erklar einsieht, das ist gegen den Willen Gottes und er sagt doch:Ich mache das Gegenteil: Sese avertat a Deo. Cur non graviter?Das ist nicht leicht einzusehen.Metaphysica explicatio huius differentiae muss so sehr eintretenin die Essenz des Menschen, dass eine ganze Philosophie desMenschen zu Hilfe gerufen werden musste, dass dieser Unter-schied verstehbar ist.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Hoc esset necessarium et opportunum, Denn heute ist es nichtleicht eine doctrina de homine, sein Unterbewusstsein, Konku-piszenz, causae diminuantes zu haben, ut haberi debet in curapastorali etc.

St.Thomas dicit: Die Engel konnten peccata venialia nicht bege-hen. Auch der paradiesische Mensch konnte keine leichte Sundebegehen. Stulte (dumm) dicit (sagt) Pohle: wenn der Menschschwer sundigen konnte, konnte er erst recht leicht sundigen.(Nur, wenn man nicht metaphysisch denkt, kann man so etwassagen!).

Leviter peccare posse non estaliqua qualitas positiva sed in-dicat metaphysicam deficienti-am hominis.

Lasslich sundigen konnen ist nicht ei-ne positive Qualitat, sondern ist An-zeichen einer metaphysischen Man-gelerscheinung des Menschen

Libertas in se est dispositio ho-minis de se ipso, quod homototaliter de se disponere po-test et quidem definitive. Sihomo tamen actus ponit quiex una parte aliquid libertatisex se habent et ex altera par-te tam superficiales sunt (exis-tentialiter) ut solum sit pecca-tum veniale, hoc non est ali-quid positivum, aliquid attrac-tivum, sed aliquid, quod proditinternam pluralitatem et defi-cientiam radicalitatis volunta-tis eius

Freiheit an sich ist Verfugung desMenschen uber sich selbst, dass derMensch total uber sich verfugen kannund zwar definitiv, Wenn der Menschdoch Akte setzt, die auf einer Seiteetwas an Freiheit aus sich haben undauf der anderen Seite so oberflachlich(existentiell), dass es nur eine lassli-che Sunde ist, so ist das nicht etwasPositives, etwas was man erstrebenkann, sondern etwas, was die innerePluralitat und den Mangel an Radi-kalitat seines Willens verrat.

Dass der Mensch Akte setzen kann, die auf einer Seite als freiebezeichnet werden mussen und doch das Grundwesen der Frei-heit nicht ausdrucken - die totale Verfugung uber sich im Hin-blick auf sein Ziel - das kommt aus der Pluralitat des Menschen,weil der ein leib-seelisches Wesen ist, weil er eine Konkupis-zenz hat, weil seine Freiheit das nicht in jedem Augenblick fertigbringt, darum gibt es so was wie lassliche Sunden.

Es gibt lassliche Sunden, die wirklich ex natura rei von den schwe-ren Sunden verschieden sind, und naturlich ist diese Verschie-denheit, wenn sie besteht, das heißt, wenn wirklich schwere undlassliche Sunden verglichen werden, nicht nur graduell, nicht ein-mal essentiell, sondern so, dass sie nur analog miteinander zutun haben, wo in der Schuld als solcher nicht nur Ubereinstim-mung sondern Verschiedenheit ist. Das ist katholische Lehre desGlaubens.

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

Aber im konkreten Vollzug der Existenz ist dieser Unterschiednicht mit absoluter Sicherheit und Klarheit zu sehen und zurealisieren.• Weil Freiheit von sich aus in der Tendenz, zu ihrem eigenen

Wesen zu kommen,• auf die vollendete und definitive Verfugung des Menschen

uber sich selbst und seine reale Wirklichkeit hintendiert,• ist jeder Akt der Freiheit eine solche Tendenz.

– Es gibt nicht zwei Sorten von Vollzugen des Menschen.– Metaphysisch kann und muss ich so unterscheiden.

Da der Mensch nicht das Wesen ist, der einzelne Akte vollzieht,• so wie einer Munzen hintereinander ausbezahlt, wo jede

Hinreichung ein total in sich abgeschlossener Vorgang ist,• weil das ganze Menschsein (Menschenleben) im Grunde ein

Vollzug ist, eine gemeinsame Sinnrichtung hat,• weil jeder einzelne Akt von vorneherein aus dem einen We-

sengrund herauskommt, der zwei in einem Vorgang bildet,• weil jeder einzelne Akt im gesamten Lebensbild des Men-

schen ein Moment im Lebensvollzug des Menschen ist, unddieser eine Entscheidung in der Ganzheit des gesamten Le-bensvollzugs ist,

• darum hat jeder Akt dahin sich zu entfalten,– ist ein Moment an diesem Ganzen– und deshalb haben auch die lasslichen Sunden in ihrem

Wesen die Tendenz,– sich auszubreiten, sich zu vertiefen,– radikaler in sich hinein das ganze Wesen des Menschen

zu integrieren.Von da aus und aus vielen anderen Grunden

• der Gesamtontologie des Menschen und der existentiellenSeite dieser leib-seelischen Konstitution, die in der der Leibsich besitzt und doch weggegeben ist,

• auch die Dialektik der anima subsistens und forma corporishat eine existentielle Seite und Folgerungen daraus– ist der Mensch fur seine Reflexion sich nicht absolut

durchsichtig,– er holt in seiner Reflexion in der Gewissenserforschung

seine ursprungliche Freiheit nicht adaquat auf,– er weiß nie genau mit absoluter Sicherheit, ob er sich in

einem Akt total vollzogen hat oder nicht,– ob er eine existentiell schwerwiegende, personal den

Kern der Person treffende Entscheidung vollzogen hat

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

oder nicht.Er kann das nie mit moralischer Sicherheit entscheiden:

• Wenn ich da die letzte Zeile des Hymnus in der Terz nichtrecht gebetet habe, ist das gewiss nicht eine schwere Belei-digung Gottes, weder objektiv noch subjektiv.

• Aber weiter kratzend sieht man, dass es nicht so einfach ist:warum hast du diese verschluckt? Weil mir es eben jetzt aufdieses fromme Gebet der Terz nicht so angekommen ist.

• Warum kommt es dir nicht darauf an? Warum brennst dunicht dabei in Andacht vor Gott, dass es dir Angelegenheitwird?– Jetzt wird es schon etwas dusterer: Ich bin ja nicht ver-

pflichtet, so von Gottes Liebe erfullt zu sein, dass dasmir von selbst kame, diesen Hymnus mit Andacht undnicht zu schnell zu beten.

– Aber woher kommt es, dass du hic et nunc diese Ful-le des Schwunges, der Begeisterung, der Liebe zu Gottnicht hast, die, wenn du sie hattest, das Problem dieserverschluckten Zeile im Hymnus von selber losen wurde?∗ Ja, ich bin eben noch nicht so weit. Aber ich werde

mit der Zeit noch so weit kommen, wenigstens imFegefeuer.

∗ Musstest du nicht so weit sein? Ja warum musste ichschon so weit sein? Warest du nicht so weit, wenn duwirklich danach streben wurdest?

Ich glaube, man muss absolut sagen (nicht naher hier!): DerMensch ist verpflichtet, zur Vollkommenheit zu streben, undzwar unter schwerer Sunde. Ich kann nicht sagen, das Gebot,Gott aus ganzem Herzen zu lieben, sei nur ein Rat oder so et-was. Letztlich ist der Mensch dazu verpflichtet unter schwererSunde.Das heißt nicht, dass ich jetzt schwere Sunde begehen wur-

de, wenn ich es hier und jetzt nicht tue. Das ist eine Ver-pflichtung, die schwer ist, auf einen Zustand, der so charak-terisiert ist, hinzusteuern. Ich kann also nicht sagen: Weildu jetzt noch nicht Gott aus ganzem Herzen und mit allenKraften liebst, bis zu im Stand der schweren Sunde. Daskann ich nicht sagen.

Aber wenn du im Ernst positiv in wirklich existentiell tiefgreifendem Entschluss grundsatzlich dieses noch anzustre-bende Plus Gott verweigern wurdest, aus Gereiztheit gegendieses Maß sagen wurdest: Das ist mir grundsatzlich zu viel

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

und fur immer, auf dieses Abenteuer lasse ich mich nichtein. Ich erfulle seine Gebote und damit soll er mich in Ruhelassen. Da wurde der Mensch schwer sundigen.

Braucht der Mensch diesen schweren sundhaften Ent-schluss in dieser begrifflichen Formuliertheit formulierenoder kann er nicht vage, verschwommen und doch freigelebt diesen Entschluss haben, kann er nicht so, dass er esreflex selber nicht merkt, das stillschweigend voraussetzen- so weit lasse ich mich auf Gott nicht ein, das ist mir zuviel - und so schwer sundigen? Wer kann das beweisen?Wer kann wissen, ob im Grunde diese scheinbar harmlo-se Zerstreutheit, Wurstigkeit gegenuber der Liebe einemMenschen gegenuber, gegenuber der Andacht im Gebet,gegen die Harte einer Pflichterfullung im Grunde nur soda ist, weil dieser Entschluss, wenn auch nur verborgen,anonym, in dieser nicht-reflexen Weise vorhanden ist unddiese Dinge nur Folgen jenes sind?

In sich betrachtet sind und bleiben sie lassliche Sunden.Wenn ich diesen Akt so mit dem Seziermesser aus derTotalitat meines Wesens herausschneide, ist es nur einelassliche Sunde. Das hat seine Bedeutung.

Aber weil im geistig-personalen Selbstvollzug alles anein-ander hangt, gleichsam alles sich gegenseitig bedingt, woaus einer Grundhaltung unausgesprochen die einzelnenDinge folgen und wieder in diese Grundbefindlichkeit zu-ruckwirken, und wenn ich an einem Punkt ziehe und allesdamit herausziehe, was daran hangt, welche Entdeckun-gen wurde ich machen, wenn ich so eine lassliche Sundebetrachte?

Es kann sein, dass eine lassliche Sunde ex imperfectione ac-tus die halbe Welt in die Luft sprengt und doch vor Gottnichts anderes ist als der Ausbruch eines Vulkans, vor Gott,der die Taten des Herzens sieht und fur den alles anderenur die ganz dunnen, unwirklichen Verdammerungen undAtmospharen des Eigentlichen sind: der Taten der Freiheitund des Herzens.

Vor Gott konnte eine solche furchterliche Tat, vielleichtauch Stalins, im Grunde eine Harmlosigkeit sein, wahrend,wer weiß, der fromme Priester und Klostermann in seinemhartherzigen Sich-Verschließen gegen den Anruf Gottes,wer weiß, viel schuldiger ist, und im Grunde genommendieses Nein zur Entfaltung der Liebe Gottes in der Totalitat

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

seines Lebens, zu diesem totalen Angerufensein vor Gottnur tarnt dadurch, dass er 1000 gute Werk tut und einexemplarisches gutes Leben fuhrt und sagt, ich danke dir,dass ich nicht bin wie die anderen.

Naturlich darf man diese Uberlegung auch nicht ubertreiben.

Es ist nur eine Seite der Dunkelheit, in der der Mensch existen-tiell fur sich selber ist. Angesichts des inneren Zusammenhangszwischen objektiv sachhaftem und subjektivem Handeln ist diePraesumptio, dass die objektiv guten Dinge subjektiv gut ge-schehen. Das ist aber nur Praesumptio. Das, was wir lasslichnennen, ist aus seinem Wesen heraus in dieser Zweideutigkeit -Sunde und doch keine zu sein, keine Eigentliche und vielleichtdoch eine zu sein.

Von da aus zeigt sich die religiose und existentielle Bedeutungdieser These.

Wir viel geliebten Kinder Gottes, brennend vor Liebe zu Gott,umfasst von der Huld der Gnade, machen doch ab und zu eini-ge Dinge, von denen die Spirituale sagen, dass man sie bleibenlassen soll, wenn man kanonisiert werden will. So ist es nicht,sondern: Du konkreter Mensch bist, wenn nicht ein Privileg dirzu Teil wird, immer in einer bedrohten zweifelhaften Situation.Du weißt nicht, was mit dir los ist. Du kannst nie genau wissen,ob das eigentliche Zentrum deines Wesens in der Liebe zu Gottoder woanders ist.

Wenn du deine Taten prufst an objektiven Normen, kommt duvielleicht ganz gut weg. Du kannst das, bist verpflichtet, Gottdafur zu danken, dass du der Glaubende bist, der Geweihte, derfur Christus Zeugnis ablegen will. Aber ob das alles im Letztendein Eigentliches ist, das den Kern deines Wesens ausmacht,oder ob das dort ganz anders aussieht, kannst du nie genau sa-gen. Du kannst nie Rechnung machen, nie Bilanz aus deinemLeben. Wenn du das in den Exerzitien machst, bedeutet dasselber wieder einen neuen Posten, der nicht eingerechnet ist.

So weißt du nie, ob du schlechthin der Sunder bist, oder der Sun-der, den Gottes Gnade zu retten schon begonnen hat.

Von da aus konnen wir erst sehen, warum diese These, wennrichtig verstanden, die katholische Antwort auf reformatori-sches Sunderbewusstsein ist.

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

Es ist nicht so, dass die Kirche sagt: ihr seid keine Sunder son-dern Gerechtfertigte und Sunderbewusstsein ist Haresie. Dassman aber lassliche Sunden tut, ist nicht so schlimm.

Sondern es ist uns mit dieser These, richtig verstanden undnicht in pseudokatholischer Weise verharmlost, wirklich eineAntwort und ein katholisches Pendant gegeben zu dem, wasdie Reformatoren meinen, ja sogar eine viel gefahrlichere undradikalere Aussage, als die Reformatoren es konnen, die, weilvon vorneherein der peccator ein iustus ist, diese geschichtliche,existentielle Spannung des Ubergehen-Mussens aus Sunde inRechtfertigung nicht kennen und im Grunde verharmlosen.

15.12.1956 Vorlesung 24

Supponimus: 1. De peccatis ve-nialibus et de iusto 2.de impotentia morali, quaenon aufertur per auxiliumsed tantum per privilegiumspeciale cui obstat lex gene-ralis.

Nunc locuti sumus de natura etessentia peccati venialis. dedifferentia essentiali et si-militudine analogica interpeccatum grave et leve.

Tunc urgebamur re verapropter obscuritatemstatus existentialis in ip-sum exercitium libertatis,tendentis in perfectam de-cisionem totalem hominisde se ipso, quod non adeoconstare potest homini,num sint illa peccata tan-tum levia vel manifestatiohabitus (Haltung) graviterpeccaminosi.

Wir setzten voraus Lehre• 1. Uber lassliche Sunden und

uber den Gerechtfertigten• 2. uber die moralische Unfa-

higkeit, die durch diese Hilfenicht beseitigt wird,

• sondern nur durch ein spezel-les Privileg, dem ein allgemei-nes Gesetz entgegensteht.

Wir haben gesprochen uber das We-sen der lasslichen Sunde, uber denwesentlichen Unterschied und dieanaloge Ahnlichkeit von schwererund lasslicher Sunde.

Dann sind wir tiefer eingegangen, we-gen des obskuren existentiellen Zu-stands, auf den Vollzug der Frei-heit selbst, der die Tendenz hathin auf eine perfekte Totalent-scheidung des Menschen uber sichselbst, dass es fur den Menschennicht so sehr offensichtlich seinkann, ob diese Sunden nur lass-lich sind oder die Manifestatio ei-ner schwer sundhafen Haltung.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Habent (peccata levia) intrin-secam impulsionem quodaliquando gravia fiant Sednunquam ipsum est pec-catum grave, si sunt le-via in conceptu abstrac-to tantum sumpta. Tamensecundum libertatem, sicu-ti in vita exercetur, de-cisio graviter existentialisnon debet primo cum co-gnitione explicite reflexa es-se, neque punctum tempo-rale occupare sed diffuseanonymo modo totam vit-am,

Die lasslichen Sunden haben eine in-nere Tendenz, dass sie irgendwannzu schweren Sunden werden. Abersie sind niemals schwer, wenn sielasslich sind im nur abstraktenBegriff genommen. Jedoch nachdem Freiheitsvollzug, wie er imLeben vollzogen wird, muss eineschwerwiegende existentielle Ent-scheidung nicht zuerst mit explizi-ter, reflexer Erkenntnis geschehen,noch einen Zeitpunkt einnehmensondern in diffusem anonymen Mo-dus das gesamte Leben

Sittliche Entscheidung muss bewusste Entscheidung sein. Aber wirwerden spater oft darauf zuruckkommen:

Bewusstheit und reflex gegenstandliche Bewusstheit sind nichtdasselbe. Schlechtes Gewissen kann da sein ohne Gewissensbis-se. Diese gehoren der gegenstandlichen, reflexen Bewusstheit an:Dieses hast du frei getan und das war gegen dieses mir gesagtePrinzip. Im normalen Seelenleben kommen solche Dinge durch-aus vor. So, wie jemand krank sein kann und diese Krankheitauch erfahrt, aber diese Krankheit nicht abhebt und nicht ab-heben kann vom Wissen um ein wirkliches Gesundsein, so wiees ein Bewusstsein der Krankheit unreflexer Art, die man nurerfahrt, gibt, und wie es das gibt, dass einer, der jetzt krankist und doch das reflexe Wissen hat uber das, was Gesundseinheißt, sich sagt: ich bin krank, so kann es auch sein, dass einerdas unmittelbare, unreflexe Erlebnis haben kann und trotzdemgar nicht weiß, dass er krank ist.

So etwas gibt es auch bei der Freiheit: sie sitzt zunachst amSubjektspol, nicht am gegenstandlichen Pol, ist nicht hinter mei-nem Rucken aber hinter meinem reflexen, gegenstandlichen Be-wusstsein sich Vollziehendes; kann naturlich auch reflex sein.

So etwas gibt es: Und diese ungegenstandliche, diffuse, anonyme,subjekthafte und nicht vergegenstandlichte Freiheitserfahrungauch der subjektiv schweren Schuld kann es durchaus geben.

Von da aus bekommt die reflexe Erfahrung der lasslichen Sun-den, von der diese These spricht, ihren gefahrlichen, existen-tiell bedeutsamen Charakter. Man sieht sich in seinen lassli-chen Sunden in seiner wesentlichen Zweideutigkeit, gegenstand-

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

lichen Unverfugbarkeit in seiner Freiheit.Das Sunder-Sein, das mit den lasslichen Sunden gegeben ist, ist

also mehr, also etwas Dunkleres, Gefahrlicheres, als wenn ichnur sagen wurde, ich habe einige lassliche Sunden; die sind abernur lasslich, nur harmlos, alles Dinge praeter legem oder so was.Diese Sunden in sich betrachtet: ist auch richtig.

Wenn wir diese Dinge, die wir so nennen, in die Gesamtheit desmenschlichen Handelns hineinstellen, die die durchgehendeStruktur einer geistigen Grundentscheidung mitbestimmt,• wenn wir die lasslichen Sunden, die vom Trienter Konzil

gelehrte Unsicherheit uber diese• in die Freiheit hineinstellen, die hindrangt zu einem totalen

Uber-sich-selbst-Entscheiden, so dass sie mehr werden, alswas sie sind,– dann sehen sie, dass diese Lehre:

”Du hast lassliche Sun-

den und kannst sie, obwohl du fur sie verantwortlichbist, weil du impotentia moralis hast, nicht meiden,

– darum bist du ein Sunder und musst immer von dirweglaufen zur Gnade Gottes“,

– dass was da ist, was sich da anbahnt, was da, wennauch vielleicht in peripheren Schichten deines Wesensals lassliche Sunde sich vollzieht,

– aus innerer Dynamik heraus zu existentiellem Kern-Phanomen, zu einer Entscheidung des Kerns der Personwerden will.∗ Von da aus sieht man, wie Augustinus gekampft hat.

Das war das Merkwurdige an ihm, was vielleicht vonder alten Kirche her nicht so deutlich gesehen werdenkonnte, was aber richtig verstanden ein Plus an derspirituellen Erfahrung der Kirche war:

∗ Er hat gesehen, dass wir trotz der Taufe, der radika-len Rechtfertigung, Sunder sind.· Wenn wir den Tauf-Enthusiasmus bei Cyprian se-

hen, der noch bei Origenes da ist, aber schon ab-gebaut zu einem Noch-Sunder-Sein beachten,

· mussen wir sagen, dass Augustinus, er, der Bekehr-te, der nie glaubte das Bußsakrament empfangen zumussen,

· dass der aufstand gegen die Pelagianer: Es ist stolz(zu sagen) wenn ein normaler Christ meint, er seidurch die Taufe so aus der Finsternis hinaus ge-treten, dass das einfach schlechterdings hinter ihm

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

liegt, als das Vergangene.∗ Andererseits ist es nicht so, dass er glaubte: Simul

iusti et peccatores (wie bei den Reformatoren), sodass die beiden gleichzeitig bestimmen, so dass wirmit derselben Kraft, Wahrheit und Wirklichkeit Sun-der seien und Gerechtfertigte.· Moderner Protestantismus wird zugeben, dass die-

se statische Dialektik nicht richtig ist.· Dort, wo Gott uns gerecht macht, macht er das

wirklich auch und ein Zustand des individuellen Le-bens ist hinter uns, ist vergangen.

∗ Und trotzdem sollen wir nicht sagen: das liegt in we-senlosem Schein hinter mir. Ich muss doch noch Sun-der sein und zwar so, dass das etwas bedeutet, undnicht so, dass man sagen kann: Du bist noch derselbewie fruher, vor der Rechtfertigung.

– Von da aus muss man die Distinktion zwischen pecca-tum grave et leve sehen.

5.2.1.2 Exkurs: simul iustus et peccator und peccatum leve

Diese ist in der Kirche langsam geworden! Es ist nicht etwasSelbstverstandliches sondern etwas, was schwer zu verstehen ist,was in der existentiellen Dunkelheit dieser essentiellen Distink-tion gesehen werden muss, sonst ist es keine Losung, sonderneine Verwerfung des Grundproblems: Wie kann ich, der Sunder,mich wirklich durch Rechtfertigung Gottes als wahrhaft gerechtempfinden und trotzdem in Konkretheit des Lebens wissen vonder Sunde, von Adam, von Bedrohtheit meines Heils und dasnicht verdrangen darf, und nicht so tun darf, als ob das nichtmehr da ware.Im Grunde noch viele Dinge, die man begrifflich klarer und tieferherausarbeiten konnte. Wir mussen merken: So einfach und klarist es nicht.

Bei reformatorischen Theologen ist die scheinbare Radikalisie-rungDass ich ganz gerechtfertigt bin, es etwas, wie Sundenstra-fen, Fegfeuer, nicht-vergebene lassliche Sunden, gar nicht gebenkann: absolutes Entweder-Oder, ganz gerecht oder nicht gerecht,dass das in dialektischer Paradoxie mit Sunder-Bewusstsein ver-bunden ist, ist nur scheinbar eine Radikalisierung des Sunder-Bewusstseins des Christen.

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

Nur scheinbar:Wenn einer simul iustus et peccator ist, wenn er gerechtfertigtist, ist er im Grunde auch simul iustus et peccator vor der Recht-fertigung. Von dieser dialektischen Gleichzeitigkeit her ist nichteinzusehen, wozu der Glaube da ist: macht der aus tantum pec-cator einen simul iustus et peccator, oder wie in apokatastischerTheologie bei Karl Barth, nur der, der als Glaubender weiß, wiees um ihn steht, so dass er immer simul iustus et peccator istund das im Glauben weiß, oder ob es ihm nicht bekannt ist, wasim Grunde eine gleichgultige Angelegenheit ist.Peccator-Sein ist nur gefahrlich, wenn es nicht dialektischer Kon-trapunkt zum Iustus-Sein ist, sondern ein Ja zu einem Nein,welches Ja das Nein aufhebt.

Nach der Lehre des trienter Konzils kannst du ein Gerechtfertig-ter sein, dass du kein Sunder mehr bist, und du kannst, wenndu willst, diese Rechtfertigung, dieses aus der Zone der SundeHerausgegangen-Sein bewahren, so dass das Verloren-Sein hin-ter dir liegt als Phase des Lebens, die uberwunden ist.Und wenn Trient trotzdem sagt: Du bist Sunder, insofern dubedroht bist und den Anlauf zur eigentlichen Sunden machst.Du bist nicht gerecht, so dass du das eine oder das andere bist(Todsunder oder Gerechtfertigter), dann ist in dieser katholi-schen Lehre der Mensch viel mehr Gott ausgeliefert, als wenner weiß: Aha, ich habe eigentlich die List der Dialektik Got-tes durchschaut, ich weiß, dass ich gerechtfertigt bin und zwarabsolut, und die Tatsache, dass ich mich als bedrohter Sunderempfinde, andert nichts da dran.

Naturlich bei Luther immer auch andere Gedanken hinein wirkendDie das zu haretischer Deskription einer Erfahrung machen, diees tatsachlich christlich gibt.• Er war sich klar, dass dieses Glauben, dass man gerechtfer-

tigt ist, nicht etwas ist, was man einfach glaubt: Das glaubeich jetzt und Gott kann mir nichts mehr anhaben.

• Diese Heilsgewissheit war nicht der leicht praktizierbareTrick, sondern das, wozu er sich immer wieder mit der gan-zen letzten Kraft seines Glaubens emporzuringen sucht, ge-gen alle Anfechtung, Angst vor dem Deus irae und demDeus absconditus der Verwerfung,

• so dass Luther wusste an anderem Eck, dass er unterwegsist von Adam zu Christus, und weil er sich so in fieri er-lebt, glaubt er gewissermaßen dieses fieri nur beschreibenzu konnen, indem man den terminus a quo und ad quem

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

gleichzeitig sagt: Ich bin Sunder und der Gerechtfertigte.Bis heute ist in protestantischer Dogmengeschichte immer

noch ein Streit, ob forensische Auffassung des Melanchthon nureine schulmaßig klare Ausgabe war oder ob es Luther wirklichwiedergibt. Wenn viele meinen, dass das die Grundidee nichtwiedergibt, dass diese forensische Anrechnung nur schulmaßigklare aber unrichtige Formel ist, so kommt die als Formelharetische, als Formel nicht akzeptierbare, unklare TheologieLuthers heraus,wobei unsere, insofern es die leicht-verstandliche Schultheorieist, nicht den Vorzug vor dieser Klarheit hat.Denn es gibt Satze, die Haresien sind, die von der Kirche alsfalsch verworfen werden mussen. Solche Satze sagt die Kirchenicht. Gut!Konnen wir nicht unter Umstanden im Katechismus des realenKopfes, des Lebens, im Unterschied von den gedruckten Kate-chismen einfach manche Dinge nicht genugend sehen? (In derGesamtkirche als Ganzer, diese Frage lasen wir weg.)

Beim Einzelnen kann es vorkommen, das leugnet niemand: Erleugnet keinen Satz, aber er sieht sie nicht, er realisiert sie(eine Wahrheit des Glaubens) in seinem Leben nicht. Er sagtmit formaler Glaubenswilligkeit: Ich glaube alles, was die Kir-che zu glauben vorschreibt. Aber es gibt Wahrheiten, bei denenes fur konkreten Vollzug nicht gleichgultig ist, ob man sie ex-plizit glaubt sondern in implizitem Glauben. Sonst konnte mansagen: Ich habe nur einen Glaubensartikel: ich glaube alles, wasdie Kirche zu Glauben vorschreibt, was ich glaube, soll der Papstmachen.

Nein! Es kommt darauf an, was existentiell, explizit vom Einzel-nen geglaubt wird. Es konnen Auslassungen vorkommen beimEinzelnen, die fehlen.• Wie nennt man solchen Mann? Es gibt keinen Namen fur

ihn. Man musste das doch brandmarken.• Das kann doch schlimmer sein als eine satzhafte Haresie, bei

der dann vielleicht doch im konkretem Vollzug des Lebensund Glaubens diese Sache, die der andere nicht leugnet, aberunbeachtet lasst, besser sein kann als beim anderen.

• Also musste man fur den zweiten Mann auch einen Namenhaben. Merkwurdig: in der Christenheit gibt es diesen Na-men nicht.

• Solange man diesen Namen nicht hat, merkt der gewohnli-che Christ nicht, dass da ein Problem ist.

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

• Wie nennt man diese Auslasser? Katholisch sein = Pe-terspfennig zahlen, fur den Papst begeistert sein und abund zu kommunizieren - solches Christentum ist nicht zuempfehlen.

Andere Probleme, die hierher gehoren

Per longius tempus: langere Zeit hindurch: Genauer nicht von unsbeschreibbar.

Wir gehen nicht auf die Frage ein: Num homo evitare possit om-nia peccata plene deliberata (venialia!) necne, sine privilegio.(Ob der Mensch alle uberlegten lasslichen Sunden vermeidenkann oder nicht, ohne Privileg.Sufficit ut Christianus si-ne hoc privilegio saepealiquid facit, quod non so-lum est imperfectio sedlibere contra voluntatemDei, etsi subreptitio, itaut homo veraciter diceredebet: Ego sum peccator,dimitte nobis debita no-stra. Ego homo re vera si-ne privilegio speciali in eostatu sum, in quo debeome confiteri ut peccator,in eo in quo hoc habetmomentum religiosum.

Es genugt, dass der Christ ohne diesesPrivileg oft etwas begeht, das nichtaus Unvollkommenheit kommt, son-dern frei gegen den Willen Gottes,wenn auch Ubereilung, so dass derMensch wahrhaft sagen muss: Ich binein Sunder, vergib uns unsere Schul-den. Ich ein Mensch, bin wahrhaftohne spezielles Privileg in dem Zu-stand, wo ich mich als Sunder beken-nen muss, wo das religiose Bedeutunghat

Thema der Mariologie: Nun ware es von dieser Seite aus ganz in-teressant - ein Thema in der heutigen Mariologie - zu fragen:Wie ist das bei der Mutter Gottes?• Nicht so, dass ein Zweifel ware, als ob sie nicht gesundigt

hat. Das hat sie nicht. Augustinus wusste das schon: Er mo-ge hinsichtlich der Frage der Sunden Maria ausgenommenwissen. Warum das biblisch ist ...

• Sondern: Wie und inwiefern ist solches Sein beim Erlostenuberhaupt christlich und wie setzt sich das um und nichtum in die subjektive Haltung des betreffenden Menschen?– Hat Maria einmal gesagt:

”Ich habe naturlich keine Sun-

den“?– Sie konnte nicht sagen:

”Ich habe Sunden“. Das ware

bei ihr ein Irrtum, verkehrt gewesen.– Musste sie sich sagen (reflex): Ich habe keine Sunden,

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

auch keine lasslichen?– Gehort das zu ihrem Vollzug des christlichen Daseins

oder gehort gerade das Gegenteil dazu?Das wurde beitragen zur Erhellung des christlichen Daseins an

einem Modell.• Uber Theresia bei Balthasar: dass ein Jesuiten Beichtvater

ihr beigebracht habe explizit, sie habe nie schwer gesundigt,und sie hat es naturlich in ihrer kindlichen Art angenom-men. Er glaubt, dass ihr in ihrer religiosen Entwicklung sehrgeschadet worden sei durch diese schulmeisterlich indiskre-te, das Wesen der christlichen Existenz verbiegende Sache.

• Das ist ein Problem, das wichtig ist fur das richtige Gebender Exerzitien. Muss man voraussetzen, dass der Christ einmassiver Todsunder war und ist? Und immer wieder ist?Oder muss man das Gegenteil praesumieren? Und was tunsie, wenn man es prasumiert?

• Sie haben in anstandigem, gut geleiteten Kolleg 50 Bubenvor sich, lauter strebsame, nette Jungens, die sich religiosinteressieren, die burgerlich gesehen saubere, grad gewach-sene, strebsame Kerle sind. Muss man da sagen: Aestimatiocivilis. Im Grunde sind 95 Prozent von ihnen schon einmal insolchem Zustand gewesen, dass, wenn sich gestorben waren,sie in die Holle gekommen waren? Gehort das zum christli-chen Prediger, Exerzitienmeister dazu, das vorauszusetzen?Daruber konnen wir hier nicht sprechen.

Qualificatio dieser These

Pro diuturna evitatione, patet: ich muss das von jedem Menschensagen konnen, was definiert ist. Nicht alle leben 80 Jahre. Auch dernur noch zehn Jahre lebt oder funf Jahre. Daraus ergibt sich vonselber: iam diuturnior evitatio est speciale privilegium

17.12.1956 Vorlesung 25

Probatio Beweis

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

• Breviter, quae ex fontibusad probationem afferri so-lent. Fontes partim docentexistere talem impotentiammoralem evitare (zu mei-den) omnia peccata leviapartim dicunt de facto nondiu evitari omnia

• Ex facto tam universali,recte concludimus ad impo-tentiam moralem. Si practi-ce non omnia evitantur, de-bet aliqua impotentia mo-ralis existere. Ergo ad pro-bationem etiam talia enun-tiata sufficiunt.

• Kurz, was aus den Quellenzum Beweis angefuhrt zu wer-den pflegt. Die Quellen sageneinerseits, dass eine solche mo-ralische Unfahigkeit besteht al-le lasslichen Sunden zu meiden,anderseits sagen sie, dass de fac-to nicht alle fur langere Zeit ge-mieden werden.

• Aus so allgemeiner Tatsacheschließen wir richtig auf einemoralische Unfahigkeit. Wennpraktisch nicht alle gemiedenwerden, muss es eine moralischeUnfahigkeit geben. Also reichenzum Beweis auch solche Aussa-gen.

I. Magisterium Ecclesiae aus dem Lehramt der Kirche

a) Carthaginiense IVb) Concilium Viennense: Pseudomystica theoria reicitur (pseudo-

mystische Theorie wird verworfen)c) Tridentinum, besonders beachten: pro tota vita (fur das ganze

Leben).

II. Scriptura aus der Hl, Schrift

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Scriptura non habet propriedictam et immediate inten-tam doctrinam pro nostrathesi. Supponit homines es-se infirmos, debent iterumet iterum petere misericor-diam et remissionem. Om-nes saepe cadere etc..

Haec re vera, pro ista practicaet existentiali universalita-te, non obstante difficulta-te num non exceptio existit,certe a Sacra Scriptura sup-ponitur.

Dimitte nobis debita nostra: inalio casu Christo respode-re possemus: Cur doces no-bis talem orationem Hiscescriptura nos docet: Tu especcator et quidem semper.

Ex altera parte: Iustificati seglorificant eius iustificatio-nis.

In der Schrift finden wir keine ei-gentliche und unmittelbar beab-sichtigte Lehre fur unsere These.Sie setzt voraus,dass die Men-schen schwach sind, immer undimmer wieder bitten mussen umBarmherzigkeit und Verzeihung,dass alle oft fallen usw.

Und das wird tatsachlich, mit je-ner praktischen und existentiel-len Allgemeinheit, ohne Beach-tung der Schwierigkeit, ob es kei-ne Ausnahmen gibt, von der hei-ligen Schrift als sicher vorausge-setzt.

Vergib uns unsere Schuld: sonsthatte man Christus sagen kon-nen, warum lehrst du uns so einGebet. Damit sag die Schrift:Du bist ein Sunder und dasgewissermaßen immer.

Andererseits ruhmen sich die Ge-rechtfertigten ihrer Rechtferti-gung

Beide existentiellen Seiten des christlichen Lebens zu verbinden: fi-ducia, sie seien gerechtfertigt, und doch Sunder, Wenn das nicht sogeht, dass das durch Paradoxie geschieht, muss man sagen: ist Sunderdurch lassliche Sunden ist gerecht - die Sunden, durch die der habituszerstort ist, sind nachgelassen.

Dass die lasslichen Sunden nicht leicht zu nehmen sind, sondern exis-tentiell, so dass er immer auf Gott angewiesen ist, haben wir schongesagt.

III.Patres aus den Kirchenvatern Nemo est qui negat, eos hoc non docere.(Niemand behauptet, dass die Vater das nicht lehren).

IV. Theologi Lehre der Theologen

Es gibt solche, die mehr behaupten als wir: auch die uberlegten (plenedeliberata) lasslichen Sunden nicht.

Wir konnen sagen, die aszetische Lehre der Kirche supponiere, dassder Mensch ein Gelubde ablegen kann, alle uberlegten lasslichen Sun-den zu meiden. Dieses scheint vorauszusetzen, dass sie vermieden

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5.2 These 5 Privileg bezgl. lasslicher Sunden

werden konnen. Vielleicht muss man sagen: der ganze Disput hatkeinen Sinn (ipsa disputatio ita non habet sensum). Oder nur: es istschwierig zu sagen, wann Ubereilungssunde (subrepticium) und wannuberlegte lassliche Sunde (deliberatum).

Eine absolute, nach der Anstellung von langen Exerzitien und Be-trachtungen absolut deliberierte Verletzung eines gottlichen Gebotesware vielleicht in außerlicher Materie aber vielleicht in innerlicherHaltung keine bloß lassliche Sunde mehr.

So fragt sich, weniger formalistisch angeschaut, wo hort Ubereilungs-sunde auf und wo fangt absolut uberlegte lassliche Sunde an. Viel-leicht gar nicht so einfach zu sagen, weil man nicht vor sich hat, wasdamit gemeint ist, wie es durch die formalen Begriffe aussieht. Ist esvielleicht daher nicht moglich zu sagen, das eine geht und das anderenicht?

Dass der Mensch durch systematisches religioses Leben usw. dazukommen kann, die Zahl der lasslichen Sunden und die Uberlegtheitwesentlich zu vermindern, ist durch diese These wahrhaftig nicht aus-geschlossen. Nur muss man sich daruber klar sein, dass die offiziellenAszeten zu ihrem Lob meistens in einem Naturschutzpark des liebenGottes leben, und es so leichter als die normalen Christen haben,die ungefragt etwas mehr unter dem kuhlen Wind und den realenGefahrdungen des normalen menschlichen Lebens leben.

Dass es von da aus schwieriger ist zu sagen, der Berufsaszet meidesehr viel mehr lassliche Sunden als der andere, das weiß nur Gott,denn die Frage ist, wieweit beim anderen, der nicht im Glaskastenlebt, wirklich formelle lassliche Sunden sind, obwohl es massivereDinge zu sein scheinen, aber eigentlich gar nicht in den Umkreis dersittlichen Entscheidungen fallen.

Anders: Blume im Glashaus gezogen, kann ihr Wesen reiner, stilechterentfalten als sie es auf dem Berg, wo der Wind blast, kann. Dort wirdsie zerzaust. Aber welche von den Blumen Gottes Auge mehr gefallt,weiß man nicht genau. Naturlich hinkt dieser Vergleich.

Vielleicht gehort es auch zu den sittlichen, lobwurdigen Taten desMenschen als eines endlichen Wesens, sich nach Kraften und Mog-lichkeiten selber ein sittliches Milieu zu schaffen, in dem christlicheTugenden besser gedeihen konnen.

Wer ohne Grund sich in Milieu aufhalt, das ungut ist fur christlicheTugenden, kann nicht sagen: Ich habe getan, was ich konnte, obwohler nichts fertig gebracht hat, und doch noch mehr, als wenn ich in

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

einem Glashaus gelebt hatte. Das kann er sagen, wenn er nicht verant-wortlich ist fur dieses Milieu, aber nicht, wenn er dafur verantwortlichist.

In der Praxis ist das aber sehr schwierig - Beispiel konfessionelle Schu-le -

Jedermann sagt, nach Lehren der Kirche usw., es muss eine konfes-sionelle Schule geben. Eltern mussen diese verteidigen. Das leuchtetein. Das ist darauf zuruckzufuhren, dass der Mensch die Pflicht hat,gunstige Situation zu schaffen. Wenn aber die christliche Schule nureinen kleinen Sektor der Einflusse darstellt und auch zusammen mitdem Elternhaus nur kleinen Sektor darstellt, konnte man fragen, obnicht Freilandkultur besser ware als in geschutztem Glashaus aufzu-wachsen.

Aber man kann auch wieder nicht sagen: Wenn das Kind schon soviele negative Einflusse des Radios, der Nachbarschaft und so weiteraushalten muss, kann man ruhig noch ein paar ungunstige Einflussedazugeben - das sollten nur de Schwierigkeit zeigen - Großere Schwie-rigkeit, weil konfessionelle Schulen ja auch problematische Großensind, weil es mit Christlichkeit der Lehrerschaft oft nicht weit her istund so die faktischen Schulen sich nicht unterscheiden.

Das ist jedoch nicht durchschlagend, weil de iure immer noch einHaar besser ist als ein bloß faktischer Zustand.

Rest kann im Kodex gelesen werden.

5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

These 6. Ad hoc ut actus humanus non sit peccatum, non necessa-rio et semper requiritur gratia intrinsecus eum ordinans ad fi-nem supernaturalem, seu aliis verbis: actus humanus moralis nonadaequate distinguitur in peccatum personale formale et actumsalutarem. Hinc non omnia opera peccatorum et infidelium suntpeccata.

Damit ein Actus humanus (eine menschliche Handlung) keineSunde ist, ist nicht notwendig und immer Gnade erforderlich,die ihn auf das ubernaturliche Ziel hin innerlich ausrichtet, mitanderen Worten eine moralische Tat des Menschen wird nichtadaquat eingeteilt in formale personliche Sunde und Heilsakt.Also sind nicht alle Werke der Sunder und Unglaubigen Sunden.

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

5.3.1 Klassische Thesenstruktur

These 6

Nexus: Zusammenhang mit Vorausgehendem

Wir stehen in der Ersten Sektio uber die Notwendigkeit der gratiasanans (der heilenden Gnade). Wir sagten schon: diu observare nonposse (lange ist die Beobachtung nicht moglich). Man kann nun fra-gen, ob das auch gilt von den einzelnen Akten,

de levi actu, de momentaneaobservatione prouti nuncurget. Darauf antwortenwir negative: etsi fortassedifficiliores actus, tamen si-ne auxilio speciali fieri poss-unt. Sed propter qualifi-catione diversa procedimusper gressus.

Hic dicimus: Esse posse actusconformes legi naturali quinhabeatur gratia intrinsecuseum ordinans ad finem su-pernaturalem.

thesis 6: Ad hoc ut actus hu-manus non sit peccatum,non necessario et semperrequiritur gratia intrinsecuseum ordinans ad finem su-pernaturalem, seu aliis ver-bis: actus humanus moralisnon adaequate distinguiturin peccatum personale for-male et actum salutarem.Hinc non omnia opera pec-catorum et infidelium suntpeccata.

von einem leichten Akt, von ei-ner augenblicklichen Beobac-tung, wie sie nun gerade notigist. Darauf antworten wir vernei-nend: Auch bei vielleicht schwie-rigeren Akten, ist es doch mog-lich dass sie ohne spezielle Hilfegeschehen konnen. Aber wegender verschiedenen Qualifikationgehen wir schrittweise voran.

Hier sagen wir, Akte, die dem Na-turgesetz konform sind sindmoglich auch ohne Gnade, diesie innerlich hinordnet auf dasubernaturliche Ziel.

These 6: Damit ein Actus huma-nus (eine menschliche Hand-lung) keine Sunde ist, ist nichtnotwendig und immer Gnade er-forderlich, die ihn auf das uber-naturliche Ziel hin innerlich aus-richtet, mit anderen Worten ei-ne moralische Tat des Menschenwird nicht adaquat eingeteilt informale personliche Sunde undHeilsakt. Also sind nicht alleWerke der Sunder und Unglau-bigen Sunden.

5.3.1.1 Exkurs: Distinktion honestus et salutaris

Die Frage in dieser und der folgenden These ist nicht so leicht,weil viele Betrachtungen, die sehr verschieden sind und sehr viele

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Rucksichten zu beachten sind, die schon den Status quaestionisdunkel machen.

Wir konnten auch sofort die folgende These setzen: Homo lap-sus sine omni auxilio indebito potest facere et quandoque facitaliquos actus naturaliter honestos, also ohne jede gratia medi-cinalis et supernaturalis. Dann ist es evident, dass der Menschbisweilen auch actus mere honestos macht.

Sed1. Qualificatio est satis di-

versa.2. Quaestio ipsa est valde

intricata et difficilis.

Aber1. Die Qualifikation der These ist

sehr verschieden2. Die Frage selbst ist sehr verwi-

ckelt und schwierig

Deshalb stellen wir zuerst diese Frage.

Die Frage hat, wenn wir sich vom Leben und der Existenz desMenschen her sehen, einen doppelten Anspekt:

1. Zunachst den: Ist jede Tat des Menschen, die nicht eineneue, unsittliche, verdammungswurdige Tat des Menschenist, ist die schon eo ipso, notwendigerweise von einer Gna-de getragen, so dass uberall dort, wo keine neue personaleSunde begangen wird, schon notwendigerweise von unge-schuldeter Gnade Gottes gesprochen werden musse?

2. Und dann ein zweiter: Diese Frage interessiert zweifellos denreligiosen Menschen. Wie die Geschichte des Christentumszeigt, war der Christ geneigt, immer gleichsam zu sagen:Wo etwas - sagen wir es ganz vage - echtes Gutes, GottWohlgefalliges in der Welt passiert, da ist es der Erfolg derGnade Gottes, einer ungeschuldeten Hilfe Gottes.

Zweifellos ist ein religioser Mensch geneigt, zu dieser Behaup-tung

”Ja“ zu sagen. Der demutige Mensch, der sich als das Gefaß

des gottlichen Erbarmens, als der auf die unerzwingbare HuldAngewiesene vorkommt, der wird zweifellos sagen: Das Gute inder Welt, im Menschen, kommt von der freien, ungeschuldetenHilfe Gottes.

Aber jetzt hat man dann eine Distinktion gefunden; aber das istJahrhunderte in der Christenheit gegangen. Hintendrein sehensolche Distinktionen leicht aus. Wir hatten sie alle nicht gefun-den, sondern monoton so einen Satz wiederholt und gemeint, ersei klar.

• Das ist ja auch heute noch so bei vielen, sogar so, dass einTheologe bose wird, wenn man sagt, es sei etwas unklar.

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

• Mit der Zeit hat man bei solchem Satz das und das zu un-terscheiden angefangen: Was heißt es, der ist gut und Gottwohlgefallig?– Dass man nicht dafur in die Holle kommt. Nein, sagt

der anderen, das ist immer noch nicht klar.– Wenn man die Distinktion sagt, merkt jeder, dass es

nicht klar war. Vorher ist nur das Gefuhl da, da ist etwasobskur. Wenn man das Licht nicht hat, meint man, esmusste so sein und merkt nicht, dass es dunkel ist.∗ Das Gegenteilige von dem Verdammungswurdigen:

Ist es verdammungswurdig dadurch, dass es vom Erb-sundigen getan ist? Kann es insofern gut sein, alses nicht bose ist, nicht neue Sundenstrafen fordernd?Gibt es actus indifferentes, die weder verdammungs-wurdig noch gut sind?

∗ Gibt es bei den Guten (jetzt kommt die beruhm-te, aber sehr schwierig herausgearbeitete Distinktionzwischen actus honestus und salutaris): Gibt es etwasGutes insofern es konform dem Naturgesetz ist, undGutes insofern es auch etwas positiv zur Erreichungdes ubernaturlichen Zieles beitragt?

∗ Diese Frage kommt erst, wenn man findet, dass da-zwischen ein Unterschied ist. Wir werden spater dar-aus das zu beweisen versuchen.

Das steht in der Schrift, aber”Ubernaturliches“ gibt es dort

nicht. Dort ist immer nur vom konkreten Menschen die Rede,und in diesem ist nicht explizit zwischen Natur und etwasanderem unterschieden. Wenn es dort heißt: er ist ein filius Deinatura, dann ist das hier auch anders gemeint, als wir das heutemeinen, wenn wir sagen

”von Natur her“.

• So langsam hat man gemerkt:”alles vor Gott Gute braucht

eine Hilfe, eine Gnade“ dieser Satz muss unterschieden wer-den. Man braucht eine fur das und fur das und insofernund insofern. Und jetzt merkt man: Vielleicht muss manauch da noch mal zwischen verschiedenen gottlichen Hilfenunterscheiden.

• Er kann mir helfen, indem P. Prafekt ein wachsames Augehat, oder indem er eine Dummheit mir gar nicht in denKopf kommen lasst, oder durch einen Bohnenkaffee, dermich munter macht, oder durch den Schutzengel, oder durchdas, was wir innere ubernaturliche Gnade nennen, durch

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Predigt, durch Betrachtungspunkte.• Diese verschiedensten Dinge haben verschiedene Qualitaten

des Ungeschuldeten. Mein Chromosomensatz ist mir unge-schuldet, obwohl nicht mehr leicht unterscheidbar ist zwi-schen mir und dem. Bin ich mir selbst ungeschuldet? Wennmir Gott 1000 DM in den Geldbeutel zaubern wurde, waredas anders nicht geschuldet, als ich mir selbst nicht geschul-det bin.

• Da haben wir sehr verschiedenen Charakter von Ungeschul-detheit. Diese Dinge sind bis heute noch nicht sehr klar.Zum Beispiel Vasquez hat gesagt, und zwar garnicht dumm:zu jeder wirklich guten Tat brauche ich cogitatio congrua,gedankliche Konstellation, die bewirkt, dass ich auf dieseEinstellung eingehe. Wenn mir durch Wetter usw. ein Ge-danke so kommt, dass ich darauf eingehe, ist das cogitatiocongrua. Wenn mir einer barsch an den Karren fahrt, werdeich es garnicht tun, was er will. Wenn er freundlich und hof-lich bittet und selbst Autoritat hat, ist man leichter geneigt,darauf einzugehen. Erstes ware incongrua, zweites congrua.Jede cogitatio congrua ist eine ungeschuldete Gnade Gottes,sagt Vasquez. Also ist jede Tat entspringend aus ungeschul-deter Hilfe Gottes.

• Aber ist es wahr, dass jede cogitatio congrua, die manbraucht, wirklich im eigentlichen Sinne den Charakter derUngeschuldetheit hat oder kann man das nicht mehr sagen?Muss ich das in individuo sagen oder in genere? Indebitumnatura individualis concreta oder natura in genere? Dasses cogitatio congrua gibt, die indebita ist, leugnet niemand(z.B. Kartauser zu werden).

• Dazu kommt, dass die Ungeschuldetheit auch unterschiedenwerden muss, was bis heute nicht durchgefuhrt ist: zwischenUngeschuldetem einer solchen Hilfe praecisive sufficiens undinsofern sie de facto efficax ist. Cogitatio congrua, insofernsie gebraucht wird, um gut handeln zu konnen, hat eineandere Art von Ungeschuldetheit als eine solche, mit der erde facto mitwirkt.

• Aus verschiedenen Grunden wird diese Frage gestellt: vonGrunddaseinsgefuhl ausgegangen, war die Christenheit ge-neigt, und es drangt sich immer wieder vor, ob Augustinusoder die Augustinienser des 17.-18. Jahrhunderts und bisheute: moglichst diese Frage positiv zu bejahen, selbst wosie in eine ganze Menge von Einzelfragen zerlegt wird.

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

• Man sieht aber, dass wenn man einfach nude crude mit jaantworten wurde und auf jede Teilfrage auch mit ja antwor-ten wurde, dann wurde, so hat das Glaubensbewusstseinimmer deutlicher gesehen und im Kampf gegen die Refor-mation und Bajus und Jansenius immer deutlicher gemerkt,wenn mit ja schlechthin, dann wurde gar kein inhaltlichesSubjekt, Mensch genannt, ubrigbleiben, das eine echte, nochbestehende, auch durch die Sunde nicht aufgehobene Naturhat.

Weil man sah, dass man zwischen Natur und ubernaturlicherBestimmung unterscheiden muss, und sah, dass diese Natureine noch existierende bleiben muss, und sah, dass man diesenzweiten Satz drittens aufrechterhalten muss, nicht nur um demMenschen moglichst noch ein Gut anzuerkennen, sondern dass,wenn man diese irgendwo noch bleibende, Gott geschaffeneNatur nicht mehr anerkennt, man den Ast absagt, auf dem derSunder als solcher noch sitzt, dass dann der Schuss hintenrausgeht und Sunde nicht mehr gefahrlich ist, desto mehr sah man,dass man diese Frage nicht gleichmaßig mit ja beantwortenkann.

Diese Frage hat praktische Bedeutung insofern als sie existen-tiell doch darum den Menschen interessiert, weil er ja notwen-dig fragt und fragen muss: Was ist das eigentlich, was außer-halb glaubigen, konfessionellen Christentums als Sittlichkeit vor-kommt, wie muss er das als Christ sehen? Ist das was Gutes?Hat das Bedeutung fur die Ewigkeit? Ist das anonymes Chris-tentum? Sind das Heilsakte oder was?

Diese Stellungnahme zur außerchristlichen, sittlich-moralischenAnstrengung der Heiden, diese Stellungnahme, von der er nichtdispensiert werden kann, hangt davon ab, wie er das interpre-tiert, zu dem der Stellung nimmt.

Das hat missionarische Bedeutung: Was denke ich mir vom Hei-den? Davon hangt ab, wie ich ihn zum Christen mache unddavon hangt ab, wie dieser Versuch gelingt und gelingen kann.

18.12.1956 Vorlesung 26

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Quid natura sine auxilio etgratia entitative superna-turali facere possit.

Responsum: Nihil quidemprorsus posse facere sineentitative supernaturaligratia ad hoc, quod confe-rat ad finem assequendumsed non sequitur omnia aliaiam esse peccatum formale.

Res est satis difficilis et obscu-ra: Multae quaestiones in-ter se ita mixtae sunt, utusque ad hodierna temporanulla claritas perspectibilisattincta est

Procedimus per partes: Hicquaerimus, quid homofaciat et facere possit sinegratia entitative super-naturali. Dicimus: Actushumanos non adaequatedistingui inter peccataformalia et actus salutares.Homo non semper in dis-crimine est actus ponere adsalutem aut peccata.

Frage: Was die Natur ohne Hilfeund ohne seinsmaßig ubernatur-liche Gnade fertig bringt.

Antwort: Sie kann uberhaupt nichtsmachen ohne seinsmaßig uber-naturlixhe Gnade zu dem. wasbeitragt, um das Ziel zu errei-chen. Aber daraus folgt nicht,dass alles andere schon formaleSunde sei.

Die Sache ist sehr schwierig unddunkel. Es sind so viele Fra-gen unter sich vermischt, dassheute noch keine durchsichtigeKlarheit erreicht ist.

Wir gehen in Schritten voran:Hier fragen wir, was derMensch tut und tun kannohne ubernaturlich seinshafterhobene Gnade. Wir sagen:Die menschlichen Akte werdennicht adaquat unterschieden informale Sunden und Heilsakte.Der Mensch steht nicht immervor der Wahl, Heilsakte oderSunden zu tun.

5.3.1.2 Exkurs: Gibt es actus mere honestos

Die Taten des Menschen zerfallen nicht einfach zwischen Heils-werken, den positiven Schritten und Teilwirkungen des uber-naturlichen Heils und eigentlichen, personalen, verdammungs-wurdigen Sunden. Es gibt etwas dazwischen. Wenn man von

”dazwischen“ redet, entsteht die Frage: wo wird der Strich ge-

zogen? In gewissem Sinne ist nichts dazwischen. Wenn ich sage,der Mensch sei verpflichtet, nach ubernaturlichem Heil zu stre-ben, alle Akte, wo er das tut einerseits, und wo er das nicht tutauf der anderen Seite, dazwischen gibt es nichts.

Bedeutet das Nicht-Setzen des Heilsaktes schon eine Sunde?Nein, zwischen diesen beiden kann es de iure etwas geben. Obde facto siehe nachste These.

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

Die spekulative Grundthese, die wir hier behaupten:

Non adaequate distinguitur inpeccatum personale formale etactum salutarem. Haec thesisnon directe probatur, quia ta-lis probatio ex fontibus positi-vis non facile haberi potest, sedprocedimus a magis notis suc-cessivis gressibus ad minus no-ta.

Es wird nicht adaquat unterschie-den zwischen personlicher persona-ler Sunde und Heilsakt. Diese Thesewird nicht direkt bewiesen, weil die-se aus positiven Quellen nicht leichtzu haben ist, sondern wir gehen vomBekannteren aus und mit sukzessi-ven Schritten zum weniger Bekanntenweiter.

Das was der Sunder tut, ist nicht notwendig Sunde. Das istschon immerhin einiges, wenn und insofern man erkennen kann:Der und der Mensch ist ein Sunder, lebt nicht in der eigent-lichen, rechtfertigenden Gnade Gottes, kann man nicht sagen:Alles, was der tut, ist eo ipso neue Sunde.

Das ist eine Selbstverstandlichkeit fur uns heute, die wir denUnglaubigen und Sundern gegenuber tolerant sind.

• Aber so absolut selbstverstandlich ist das nicht. Nicht alleAkte der Sunder, die keine gratia sanctificans haben, dassdiese nicht Sunde sind, ist de fide definita ex Tridentino.

• Aber im Gegensatz zu den Protestanten. Bei den Protes-tanten gibt es geschichtliches Hintereinander des Werdenseiner Kindschaft nicht. Aus doppeltem Grund:1. 1. Weil fides fiducialis in indivisibili ist. Sie kennen einen

rechtfertigenden Akt, den Fiducialglauben: Paradox er-griffene Zuversicht des Sunders, dass er trotz Sundig-keit im Blick auf das Kreuz Christi sich kuhn vor Gotthinstellen kann und sagen kann: Ich habe Dich durch-schaut. Du bist nicht der Deus eines verborgenen Ge-richtes sondern der Gott der Gnade, der die Sunder an-nimmt. Damit bin ich gerechtfertigt.

2. 2. Vorher ist man nichts und nachher kann man nichtsanderes mehr werden. Rechtfertigung und Sunder ist indialektischem Miteinander, also auch daher kein Wer-den, keine in Schritten sich entfaltende Rechtfertigungmoglich.

• Dagegen sagt das Tridentinum: Es gibt Akte eines Sun-ders, der noch nicht gerechtfertigt ist, und trotzdem wirk-liche Schritte auf die Rechtfertigung hin macht, wenn auchaus Gnade Gottes. Es gibt Werde-Geschichte der Rechtfer-tigung.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

– Diese Akte, die im Zustand der Nicht-Gerechtfertigtheitals nicht-sundige sondern heilskraftige Akte getan wer-den, die nicht mere honesti sondern aus der Gnade geta-ne sind, aus ubernaturlichen Heilskraften, aus Glaube,Hoffnung, die erst Liebe werden.

– Es gibt Akte eines Nichtgerechtfertigten, die selbstver-standlich keine Sunden sind, das muss das Trienter Kon-zil eigens betonen, weil die Lutheraner der Uberzeugungsind, alle Akte, die der Nichtgerechtfertigte setzt, wa-ren Akte einer autonomen, vom Menschen ausgehen-den Heilsbemuhung, Hybris eines Heilserwerbs, die derMensch aus eigener Kraft vorzunehmen sucht, und dasssolche Akte innerhalb der Theorie Luthers Sunden sind,war klar.

– Dagegen sagt das Tridentinum: nicht alles, was derMensch vor dem Zustand der Rechtfertigung tut, sindSunden. Aber wenn das Tridentinum daran denkt, dannsind solche heilsanbahnende, schon von der Gnade Got-tes getragene Akte gemeint. Es ist also nicht viel darauszu entnehmen.1. 1. Aus dieser Verlautbarung des Tridentinums kann

man wenigstens entnehmen: Nicht alle Akte vor derRechtfertigung sind Sunden. Es kann Glaube, Hoff-nung geben, wenn auch aus zuvorkommender Gna-de. Wenigstens das! Dass diese Akte, die wenigstenshonesti sind, noch nicht bedeutsame Akte im Schrittauf die Rechtfertigung sein konnen, davon sagt Trientnichts, leugnet es auch nicht.

2. 2. Ex damnationibus Baji: Nicht alle Akte der Un-glaubigen sind Sunden. Et ii possunt ponere tales ac-tus, qui non obstante eorum infidelitate peccata novaformalia non sunt. Also nicht jede Tat im Unglaubenist sundige Tat des Unglaubens. Auch da konnte mannoch sagen, es ware abstrakt denkbar, dass solche Ta-ten, die im Unglauben gesetzt sind, doch keine Sun-den des Unglaubens sein sollen, geschehen konnen ausungeschuldeter Gnade Gottes, wenn auch noch nichtder Gnade des Glaubens.

3. 3.Schritt: auch ohne ungeschuldete ubernaturlicheGnade gibt es Akte beim Unglaubigen, die keine Sun-den sind, kann es solche de iure geben. Wir konnenund mussen so unterscheiden, weil nach der Lehre

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

des Arausicanums gegen die Semipelagianer, auch ausder Lehre des Trienter Konzils und der Lehre derTheologen sich Folgendes ergibt: Es gibt Akte, dieals nachste Vorbereitung zur Glaubensannahme ge-schehen und noch kein eigentlicher formeller Glaubesind.

– Nach allgemeiner Auffassung kann man das Hinterein-ander, das geschichtliche Werden des Menschen betrach-ten. Dabei ergibt sich: Auch vor dem Glauben gibt es ge-wisse Akte, die auf den Glauben zusteuern (pios creduli-tatis affectus, ernsthaftes Uberlegen und Studieren, Ein-gehen auf Glaubensmotive, Horen einer Predigt, manglaubst zwar noch nichts, weil man Heide war). SolcheAkte gibt es also nach diesen Konzilien und Theologen,die trotzdem schon Heilsakte sind, positive Akte auf dieRechtfertigung hin. Solche konnen aber nach der Lehredieser nicht geschehen außer durch ubernaturliche Gna-de Gottes. Also gibt es solche, die noch nicht einfach dieGlaubens-Gnade selber sind.

Deshalb kann ich fragen: Kann der Mensch auch ohne diese Artubernaturliche Gnade, wenn auch keine positiven Heilsakte, sodoch Akte setzen, die keine eigentlichen Sunden sind?

Suenden actus mere honesti Glaube Hoffnung LiebeRechtfertgng.habitusgratia

actualisactualis

habitualisauxiliumspeciale

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqq qq qqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Hier waren die Sunden Akte, hier gewisser neutraler Bereich von ac-tus mere honesti und da diese schon positiv auf den Glauben hinzie-lende Akte, hier die Akte des nichtgerechtfertigten Sunders, die aufdie Rechtfertigung hinzielen und hier die actus meritorii, die aus derRechtfertigung herausfließen.

Zunachst ist zu sagen: kann der nichtgerechtfertigte Sunder Aktesetzen, die keine Sunden sind? Ja, es gibt Akte, die aus uber-naturlicher Gnade Gottes den glaubigen Sunder auf die Recht-fertigung vorbereiten, und die sind keine Sunde. Diese positiveVorbereitung auf die Rechtfertigung sind keine Sunden, sondernsogar vom Menschen von Gott geforderte ubernaturliche Heils-akte. Also gibt es Akte des Nichtgerechtfertigten, die keine Sun-den sind.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Dann gibt es Akte, die der Unglaubigen tut, ohne dass sie des-halb schon Sunden sind, Akte, die vor dem Glauben liegen,und doch keine Sunden sind - siehe Pius V. und die Verwer-fung des Jansenius. Quesnel: non omnia opera infidelium suntpeccata. Die positiv auf den Glauben vorbereitenden, mit zuvor-kommenden, wenn auch noch nicht Glaubens-Habitus seiendenubernaturlichen Gnaden gesetzten Akte. Solche gibt es, die dar-aus entspringen und die keine Sunden sind.

Kann es auch ohne diese fur den Glauben disponierende Gnadedennoch Akte des infidelis peccator geben, die keine Sundensind, die aber auch keine meritorischen Akte sind?

Affirmative; saltem de iurepossunt esse. Non necessariosemper requiritur gratia eumordinans ad finem supernatu-ralem.

Ja, wenigstens von rechts wegen kannes sie geben. Es ist nicht notwendiger-weise immer eine Gnade erfordert, dieden Menschen auf das ubernaturlicheZiel hinordnet [um nicht zu sundigen]

1. Also: Es kann geben: Rechtfertigungsgnade2. oder Glaubensgnade3. oder eine ubernaturliche Gnade, die dieser Glaubensgnade

vorausgeht,

und wir sagen: Auch ohne diese hinordnende Gnade auf denubernaturlichen Glauben gibt es Akte, die keine Sunden sind,oder mit anderen Worten, actus humanus moralis non adae-quate distinguitur in peccatum personale formale et actumsalutarem. Daraus folgt: nicht alle Werke der peccatores undinfideles sind Sunden. Was diese sind: Ist leicht im Kodex zusehen.

Es hilft vielleicht schon zu sagen, die Sache ist nicht so kompli-ziert, wie es aussieht, wenn wir zwischen Rechtfertigungsgnadeund anderer, die noch vorhergehend ist, unterscheiden, wenn wirzwischen habitueller Rechtfertigung- und Glaubens-Gnade un-terscheiden und davon wieder die aktuelle als eine solche, dieauch da noch vorausgeht, wo die habitus noch nicht da sind,dann ist das eine notwendige, sachlich selbstverstandliche Un-terscheidung.

Aber in der Sache ist mit dieser Distinktion auch manches mit-gedacht, was gar nicht mitgedacht werden muss.

1. Man kann sich fragen, ob der Unterschied zwischen aktuellerund habitueller Gnade so fundamental ist, wie die Theolo-gen meinen.

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

• Bei Thomas hat es das explizit noch nicht gegeben; Tho-mas kennt nur habituelle Gnade und ein auxilium inde-bitum, irgendwie eine Hilfe.

• Seit dem Ende des Mittelalters und nachtridentinisch,wo man erkannt hat im Zusammenhang mit dem Tri-dentinum, dass auch die actus positive disponentes einerubernaturlichen, uberhebenden Gnade bedurfen, hatman gemeint, die fundamentalste Unterscheidung seihabitualis und actualis, und hat diese zur Einteilungdes Gnadentraktates gemacht.

• Hier nur zur Andeutung, dass es nicht so kompliziert ist:Man kann vielleicht fragen, ob sich diese beiden Gnadennur dadurch unterscheiden, dass die eine frei existenti-ell angenommen ist und die andere noch nicht, und da-durch, dass diese Annahme selbst wieder in verschiede-ner existentieller Tiefe und Radikalitat geschehen kann.– Eine Metaphysik der Freiheit und des Verhaltnis-

ses von vorgegebener Natur zu der in Freiheit an-genommenen, verstandenen, ratifizierten Natur wur-de zeigen, dass etwas als Bedingung der Moglichkeitvon freier Entscheidung existieren kann und dassel-be im Modus der Annahme. Z. B. Jeder Mensch hatmenschliche Natur. Diese kann er haben als die, mitder er in Freiheit einverstanden ist und als die, die erim Grunde hasst und ablehnt (Todsunder). Der Ver-dammte, der in Ewigkeit in Freiheit der ist, der ervon Natur nicht ist und der mit dem, was er ist, nichteinverstanden ist.

– Diesen formalen Begriff der vorgegebenen und einerangenommenen Bestimmung unseres konkreten We-sens - ob naturlich oder ubernaturlich ist Wurst -konnte man hier anwenden und sagen: immer sindwir die, denen Gott die Moglichkeit ubernaturlichenHandelns dauernd anbietet, und das nennt man Gna-de. Diese nun betrachtet insofern sie diesem (demubernaturlichen Handeln) als bloßes Angebot mei-nem Ja oder Nein ihr gegenuber vorgegeben ist, nenntman aktuelle, und eben dieselbe nennt man, wenn sie,wenn auch nicht total, so doch in inchoativer Wei-se angenommen ist: permanens habitus spei, fidei.Und wenn diese vorgegebene Moglichkeit ubernaturli-chen Handelns, der Vertrautheit mit Gott total ange-

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

nommen und ratifiziert ist, dann nennt man dieselbe

”rechtfertigende Gnade““.

– Das ist eine unmaßgebliche Meinung von mir, damitman sieht: diese Formeln kann man aufrechterhalten,ohne dass sie den Eindruck machen einer apotheker-haften Geschichte, so man nicht recht weiß, was dasGanze sachlich bedeuten soll.

Von da aus stellt sich die Frage - unser Problem - :

• Gibt es personale Entscheidungen des Menschen, die zurGnadenmoglichkeit oder zur von Gott vorgegebenen Mog-lichkeit ubernaturlichen Heilshandelns weder positiv Stel-lung nehmen, noch so negativ Stellung nehmen, dass dieseStellungnahme eine neue Sunde ware?

• Dass es naturlich Falle gibt, in denen eine Nicht-Positive-Stellungnahme eine Sunde bedeutet, ist klar. Wer bisher alsUnglaubiger das Wort Gottes so hort, dass er sich in dieserSituation nur unter Schuld diesem gehorten Wort Gottesverschließen kann, begeht die Sunde des Unglaubens undwenn er ja sagt, eine ubernaturliche Tat des Glaubens. Inseiner Situation braucht er keine Zwischenmoglichkeit zuhaben.

• Wir sagen nicht: Er muss immer die Moglichkeit haben furdiese drei. Diese Mittlere braucht es nicht immer geben,sondern wenigstens interdum gibt es sie.

Adversarii: Gegner der These

Reformatores: hominem esse necessario peccatorem et semper etubique peccare in actibus suis; hominem iustificari per non im-putationem peccatorum et per imputationem iustitiae Christi,quam sibi attrahit per fidem fiducialem. Wenn er das nicht hat,ist er Sunder.

Baius: ahnliches. Ubernaturlichkeit des konkreten Menschen leug-net er. In ihm herrscht die Cupiditas und deshalb, auch wenndas nicht vermieden werden kann, sundigt er in jedem Akt, derohne Gnade ist.

Jansenius: dasselbe. Das Ubrige im KodexAugustinienses: Die Augustiner Noria +1704, Bellelli +1742, Berti

+1766

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

Schola theologorum intermediainter ordinaria theoria Scho-lae et theoria Jansenistarum,voluerunt presse sequi Augus-tinum et retinere perspecti-vas Augustini solius: Delecta-tio victrix datur, aut a cupi-ditate aut a coelesti. Homi-nes libere sequuntur talem im-pulsionem ita ut actus sem-per ordinat ad finem, in visio-nem beatificam. Practice pu-taverunt: Peccator et infidelisinfallibiliter et libere maioremdelectationem sequuntur. Hincopera infidelium, qui victricemdelectationem caritatis non ac-cipiunt, semper sunt peccami-nosa.Haec theoria hodie est ob-soleta, etsi Lubac (Surnatu-rel 1946) et alii putaveruntse iterum provocare posse adistam doctrinam, quia Bene-dictus XIV. decrevit, Augusti-nienses censura theologica no-tare quidam theologo non licet.

eine Schule der Theologen, die zwi-schen der gewohnlichen Theorie derSchultheologie und der JansenistenAugustinus im engeren Sinn folgenwollten und die Perspecktiven desAugustinus allein beibehalten woll-ten: Es gibt siegreiche Befriedigung,entweder aus der Konkupiszenz oderdie himmlische. Die Menschen fol-gen frei diesem Anstoß, so dass derAkt immer auf das Ziel hingerich-tet ist, auf die beseligende Gottes-schau. Praktisch haben sie geglaubt:Der Sunder und der Unglaubige kon-nen nicht nicht-sundigen.Diese Theorie ist heute obsolet, auchwenn Lubac und andere geglaubt ha-ben, sich wieder berufen zu konnenauf jene Lehre, weil Benedikt XIV.dekretiert hat, dass man Augustinernicht mit negativer Qualifikation be-legen darf.

Das machen wir nicht, obwohl das sicher obsolet ist. Wenn heuteeiner sagen wurde: Nach heutigem Stand der Theologie ist dieseLehre nicht mehr zu halten und gegen eine Lehre verstoßend, dietheologice certa ist, so kann man das machen. Naturlich auch an-ders moglich: Respektvoll lassen wir sie unzensuriert. Wir sagennur, das ist theologice certa zu halten und die Augustiniensessollen selber sehen, wie sie damit auskommen. Die gibt es janicht.Wir mussen festhalten, dass wir mit Satzen etwas halten, wasdie Kirche durchaus nicht halt. Darauf kann uns eine solcheSpekulation, wie die der Augustiner, aufmerksam machen. Aberwir haben dafur keine Zeit, das auseinander zu klauben.

Qualifikatio: wie im Kodex.

Zu c.) der Unterschied zwischen ubernaturlicher Ordnung und eineran sich moglichen Ordnung reiner Natur ist durch weitere Lehrent-wicklung, also durch Vatikanum, Humani generis, durch allgemeineTheologie so unbezweifelbar geworden, und aus dieser Unterschei-dung folgt im Grunde quoad quaestionem iuris: diese Unterscheidungzwischen actus salutaris und mere honestus, so dass man diese dritte

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Modifikation unserer These nicht mehr halten konnte, dass diese alsogegen theologisch sichere Satze verstoßen wurde, sich also den Vor-wurf der Temeritat zuziehen wurde, wichtige Glaubens-Wahrheitenin Gefahr bringen wurde.

5.3.2 Probatio: klassische Beweisstruktur

Ecclesia: Beweis aus dem Lehramt der Kirche alles im Kodex, das Ein-zelne konnen sie selbst nachlesen.

Opera peccatorum:Tridentinum, sess 6.cn.5 und 6 auch sessio 14Tridentinum: loquitur deoperibus bonis peccatorum,quae non sunt peccata.

19.12.1956 Vorlesung 27

Coepimus aliqua ad probatio-nem dicere. Peccatores: SicTridentinum: Quoad pec-catores constat, anteceden-ter ad iustificationem poss-unt aliqua, quae non suntpeccata. Gegen Reforma-toren: Menschen machensich nicht mehr zu Sunderndurch solche Akte. Ahnli-ches sessio 14: dasselbe zuriustificatio respectu sacra-menti poenitentiae.

Alexander VIII: explicite sen-tentiam Jansenistarumreicit, quod omne, quodnon est ex fide caritateformata, peccatum esse.

Taten der Sunder: Tridentinum,sess.6 cn.5 und 6. auch sess.14sprich von guten Taten derSunder, die nicht Sunden sind

Wir haben angefangen, einiges zumBeweis zu sagen.

Sunder: Das Tridentinum stellt festbezuglich der Sunder, schon vorder Rechtfertigung konnen sieeiniges tun, was nicht Sunde ist.Gegen die Reformatoren ist ge-sagt: Menschen werden durchsolche Akte nicht mehr zu Sun-dern. Ahnlich sess.14, dasselbenur bezuglich des Sakramentsder Buße.

Alexander VIII. verwirft ausdruck-lich den Satz der Jansenisten,dass alles, was nicht aus demGlauben durch die Liebe erhohtkommt, Sunde sei.

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

Simile quid damnatio synodiPistoriensis per Pium VI.

Infideles: Pius V gegen Baiusprop.25. Propositio contra-dictoria vera esse debet.Non omnia opera infideliumsunt peccata nec philoso-phorum virtutes sunt vitia.Negativa universalis, cui-us contradictorium est: Ali-qua opera infidelium poss-unt esse non peccata.

Alexander VIII gegen Jansenis-ten: prop.8. Non necesseest infidelem in omni ope-re peccare. Tale assertumobiective nec cum doctri-na Augustiniensium conci-liari potest, quia in eo nul-la distinctio est inter vari-as classes infidelium. Auchwenn sie lehren: saltem ve-nialiter peccare, kann ernst-lich nicht gehalten werden.

Ahnliches sagt die Verurteilung derSynode von Pistoja durch PiusVI.

Bezuglich der Unglaubigen, hat Pi-us V. gegen Bajus Satz 25. Dannmuss der kontradiktorische Satzwahr sein: Nicht alle Werke derUnglaubigen sind Sunden nochsind die Tugenden der Philoso-phen Laster. Ist ein negativerallgemeiner Satz, dessen Kon-tradiktorium ist: einige Werkeder Unglaubigen konnen nichtSunden sein.

Alexander VIII. gegen die Jansenis-ten, prop.8. Es ist nicht notwen-dig, dass ein Unglaubiger in je-dem Werk sundigt. Eine solcheBehauptung kann objektiv we-der mit der Lehre der Augus-tinenser versohnt werden, weildarin keine Unterscheidung ge-macht wird zwischen verschiede-nen Klassen von Unglaubigen.Auch wenn sie lehren, wenigs-tens lasslich wurden sie sundi-gen, so kann das nicht ernstlichgehalten werden

Die Augustinienser mogen selbst sehen, wie sie sich componunt mitdieser propositio. Wir brauchen fur unsere Sentenz nicht die der Au-gustinienser damit ubereinstimmend machen.

Sine omni gratia: Sequitur:

De iure esse posse actus, qui non sunt peccata et qui tamen ex alteraparte ex nulla gratia supernaturali procedunt (aus keiner der dreiArten): vor allem aus der damantio Baji:

prop.38: omnis amor creaturae rationalis aut vitiosa est cupiditas- aut laudabilis illa caritas, qua per Spiritum Sanctum in cordediffusa Deus ametur. Also, da das haretisch ist, kann eine eineamor sein, die nicht vitiosa cupiditas terrena ist und doch nichtvom Hl.Geist sondern dazwischen.

prop.34: Videtur hic exclusa esse omnis gratia. So kann es nach

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

der damnatio des Bajus durch Pius V eine Liebe geben auch zuGott, die nicht hervorgeht aus gratia entitative supernaturali.

Saepius reicitur doctrina, sine gratia in homine non esse nisi pec-cata. Hier wird nicht zwischen altueller und habitueller gratiaentitative supernaturalis unterschieden. Etiam sine ulla gratiaentitative supernaturali ist also nicht jedes Werk Sunde.

Scriptura: Aus der Hl.Schrift

Ein festes Argument ist nicht zu machen.Oft hat man eine approbatio hominis etiam impii in Sacra Scrip-tura. Sicher ist, dass die Heilige Schrift ohne Zogern zugibt, dasseinige opera auch in Sundern und Unglaubigen laudabilia sind.Pudor non habetur in S.Scriptura.

Auch heute in der Predigt gibt es so etwas wie eine falsche Ortho-doxie, die immer meint, wenn sie bei einem, der nicht christlichoder nicht katholisch ist, etwas Ordentliches anerkennt, wurdesie gegen allein wahres Christentum sundigen.Das tun wir heute gegen einzelnen Menschen nicht mehr so sehr,aber denken sie an die Beurteilung großer, weltpolitischer, alsganzes falscher Systeme. Da haben die Kirchenblatter und ge-treue Christen alles und jedes auf der anderen Seite als hun-dertprozentige Ausgeburt der Holle gesehen. Das ist theologischfalsch. Wenn das so ware, mussten wir alle Manichaer sein.Wenn es wahr ist, dass das Bose im Grunde nur die Negationdes Guten sein kann und wenn es wahr ist, dass Gott auch denBosen seine Gnade gibt, dann folgt aus beidem (metaphysischemund theologischem Grund) nicht, dass bei den Bolschewiken allesbloße Bosheit und Gemeinheit sein musse. - das vorausgesetzt,begeht man in praktischer Taktik seine Fehler: Man vermutet,dass Dummheiten Heimtucken seien. Man fallt dann erst rechtrein vor lauter Misstrauen.Diese Thesen haben also auch praktische Bedeutung fur denAlltag und die Theologie der Kirchen-Blatter.

Bei Paulus Romerbrief Kapitel 2 ist gesagt, dass auch die HeidenfÔsei faciunt quae legis sunt (von Natur aus tun, was das Gesetzverlangt).• Wie sehr man das Misstrauen, anders als die Schrift, uber-

treiben kann, sehen sie an dieser Stelle im Romerbrief 2,14-16, wo Augustinus, bloß um den Heiden nicht zu viel Zu-gestandnisse zu machen, behauptete, Paulus rede hier vonden Heidenchristen und wurde von diesen sagen, sie wur-den Gutes tun. Das wird noch heute von den Reformatoren

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

behauptet.• Die katholische und der sachlich denkende Teil der evange-

lischen Exegese gibt zu: Paulus spricht von wirklichen Hei-den, wenn er 2,14-16 sagt, dass jene so handeln, wie ihnenihr eigenes Gewissen bezeugt (illos agere testimonium red-dente illis conscientia ipsorum).

Wenn Paulus sagt fÔsei, so heißt das nicht im heutigen Sinn: mitbloßer Natur im Gegensatz zu Ubernatur. Es ist der Gegensatzzu nìmoc, geschriebenes Offenbarungsgesetz Gottes in der Thora.• Ohne diese ausdrucklich sie durch heilsgeschichtlich ver-

pflichtende Thora, tun die Heiden oft etwas Richtiges, be-weisen, dass das Gesetz Gottes ihnen ins Herz geschriebenist, und wenn sie im Ganzen doch Sunder sind, zeigt sichhier doch, dass sie sich nicht darauf hinausreden konnen,dass sie gegen es nicht verstoßen konnen, weil sie es nichtwissen.

• Ob sie solche Werke, die material der Thora der Juden ent-sprechen, wo das Sinai-Gesetz praktisch identisch ist mitdem Natur-Gesetz, ob die Heiden das ohne Gnade tun, da-von sagt Paulus nichts.– Dass Paulus so etwas schlechterdings ohne Gnade zuge-

ben wurde, kann man aus Paulus nicht beweisen.– Wir mussen vorsichtig sein bei solchem Beweis, um das

wieder dort einzutragen bei R2,14-16, weil Paulus davoraussetzt,∗ dass diese Werke dort tatsachlich mindestens dann,

wenn sie das Gesamtleben des Menschen bestimmenwurden,

∗ von Gott die konkrete eine Seligkeit und das Heilverdienen wurden, von denen Paulus spricht.

∗ Er denkt hier an opera meritoria vitae aeternae.Dass aber Paulus der Meinung sein konnte, dass solche opera

meritoria ohne vergottlichende Kraft des Pneuma geschehenkonnten, davon kann aus dem Gesamtduktus bei Paulus nichtdie Rede sein.• Denn dass das, was zum Besitz Gottes positiv beitragt,

– anders geschehen konnte als durch das gottliche Pneu-ma, das dem Menschen diese Kraft verleiht

– und anders als aus dem Glauben, ohne den der Menschnicht gerechtfertigt wird,

• das scheint fur den Paulus selbstverstandlich unmoglich zusein.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

• Also, so musste man wohl sagen, handelt es sich bei Paulusum Werke, die, auch wenn nicht reflex,

• im Ganzen als ubernaturliche aus der Gnade getane Werkegetan werden, wenn sie auch ohne Hilfe der alttestamentli-chen Thora geschehen sind.

Hier ist die Gefahr, im anderen Straßengraben zu landen. Wiekann man sich nach der Theologie des Paulus solche Werke den-ken ohne Glaube? Wie kann man sich diesen Glauben denkenohne Offenbarung?• Wenn wir uns aber eine Offenbarung dazu denken als Vor-

aussetzung dieser, wenn auch ohne judische Thora gesche-henden Werke, wieso dann noch Unterschied zwischen Ju-den und Heiden?

• In konkreter Weise ist zwar zwischen diesem und geoffen-barten Gesetzen noch ein Unterschied: Heiden mit Uroffen-barung - Heiden mehr mit Offenbarung?

Wenn wir so in theologischen Engpass bei Paulus hineinkom-men, ist es vielleicht nicht besser, zu sagen: Es handelt sich umWerke, die nicht aus Gnade und nicht aus Thora stammen.• Dann aber wieder: dann konnen diese Werke, die zweifellos

Approbation von Gott finden, doch nicht als Opera me-ritoria vitae aeternae, als solche die im Gericht Gottes,wo es sich um Verlust des Heils handelt, kann es sich nichtum solche handeln.

• Also muss die Approbation Gottes auf das hinaus kommen,was wir als eine gewisse Approbation der actus merehonesti von Seiten Gottes annehmen.

Sie sehen, wie schwierig ein solcher Text bei Paulus ist,• wie vieles theologisch bei Paulus auch noch nicht bis in letz-

te Konsequenzen durchgedacht ist, so dass Paulus seine Be-grifflichkeit und Theologie nuanciert und uns aller dieserFragen als offener entheben wurde.

• Erst wenn man das sieht und die Theologie des Paulus fragt,kommt man in diese Problematik hinein, die uns heute auf-gegeben ist: Paulus ist Antwort und aufgegebene Frage zu-gleich.

• Diese Frage fuhrt in Problematik, die heute noch nicht ad-aquat gelost ist in der Theologie: Wie weit ubernaturlicheHeilsakte aus dem geschichtlich greifbaren Raum der Offen-barung im AT und NT hinaus sich auf die Heiden ausdeh-nen,

• auf die, die also dem Anschein nach mit Offenbarung Gottes

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

geschichtlicher Art, mit nìmoc im paulinischen Sinn, nichtin der Beruhrung gekommen sind.

• Diese Frage ist außer in Ansatzen bis heute nicht gelost undzu allgemein angenommener, handlicher, und nicht mit 1000Ausreden arbeitender Lehre gekommen,

• und doch ware solche heute sehr wichtig.Weil wir uns heute missionarisch und apologetisch schwerer tun

wie fruhere Zeiten: wichtig, weil wir vor einer nichtchristlichenWelt stehen, die nach 2000 Jahren immer noch nicht christlichist, die praktisch sich nicht retten kann, sondern massa damna-ta ist. Interessant, weil wir heute immer noch vor dem Problemunserer wieder heidnisch gewordenen und noch heidnischen undfur Christentum vollig atrophischen Umwelt stehen. Was ist mitder?

Man konnte vielleicht sagen, (massive und unnuancierte Theorie:Die alte Kirche, bei Augustinus besonders, nicht in der Schrift,bis in 16. 17. Jahrhundert,• hat gleichsam von dem Grundansatz ausgedacht: das Chris-

tentum ist fur alle wichtig, weil sie sonst nicht haben, wassie haben mussen.

• Vielleicht konnte man (vielleicht missverstandlich und nochgenauer zu erklaren) heute sagen: Wir durfen sagen, dasChristentum ist fur alle wichtig dadurch, dass ihnen gesagtwird, was sie haben, ohne es zu wissen.– Wenn de Lubac einmal oder so einer ein Buch gewidmet

hat jenen, die meinen, nicht an Gott zu glauben,– dann steckt da etwas Tiefsinniges drin und etwas Rich-

tiges, was, wenn man es auch nicht ubertreiben darf undnicht zu viel Kapital daraus schlagen darf,

– vielleicht bei Paulus schon angedeutet ist, wenn er sagt,er verkunde das, was sie verehren, ohne es zu kennen.

– Was er damit genau meint und wieweit diese großzugigeGeste theologisch tragt, konnen wir hier nicht untersu-chen.

Solche Fragen sind sehr schwierig, weil Umstellung einer Per-spektive, die keine Leugnung einer anderen Perspektive ist, sehrschwierig ist und im allgemeinen Glaubensbewusstsein der Kir-che große geschichtliche Wandlungen voraussetzt, die nur sehrlangsam vor sich gehen.• Es ist nicht zu erwarten, dass das schnell geht. Die Kir-

che ist sehr zuruckhaltend und zugeknopft gewesen, trotzgewisser Ansatze Pius IX hinsichtlich der Heilsmoglichkeit

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

der Nichtchristen und Nicht-Katholiken (bis”Mystici Cor-

poris“)• Aber schließlich muss man ja sagen, ist die Ture absolut

nicht zugeschlagen und die Grund-Ansatze fur optimistischeAuffassung ist durchaus da und fur eine neuere Erklarungnach Amerika, wo jemand ganz reaktionar gegen diese Heils-moglichkeit war, wurde sogar in kirchenamtlichen Erlassen

• zum ersten Male von implizitem Willen zur Kirche gespro-chen (nicht in AAS) oder besser zugegeben, dass das votumecclesiae auch implicitum sein konne.

• Das war in der Theologie immer schon gesagt worden, aberdas war in den amtlichen Erlassen des Kirchenamtes nichtso ausdrucklich gesagt worden.

Da steht, dass man mit votum implicitum rechnen konne. Mitvotum explicitum, wusste schon Ambrosius. Augustinus hat da-gegen gekampft. Der Schacher ist durch das Blut Christi, das aufihn ubersprang, gerettet worden. Anderes hatte nicht gereicht.Daruber ist die Kirche hinaus seit dem fruhen Mittelalter.• Aber die Frage ist: Wo, wie, wann kann jene fides vorhanden

sein, die mit der Liebe, die leichter ist, zur Rechtfertigungreicht?

• Das sind noch sehr große Schwierigkeiten. Dass fides latedicta nicht reicht, ist ausdrucklich festgenagelt worden: Rei-ne Philosophie reicht zum Heil nicht (D1173) (nicht defi-niert) ein Uberzeugtsein von Gott aufgrund philosophischerErwagungen.– Diese Frage hangt unmittelbar auch mit unserer These

zusammen. Denn je nach dem man hier die eine oder an-dere Meinung hat, wird man sich entscheiden, ob nichtnur de iure, sondern auch de facto bei Unglaubigen ac-tus mere honesti vorkommen,

– oder ob diese de facto mehr als bloß-de-facto- mere-honesti sind oder auch salutares. Das hangt also auchmit der Frage zusammen, wie weit man bei Menschen,die sich außerhalb des Bereiches des normalen Chris-tentums befinden, bei den Heiden, damit rechnen kann,dass sie gerechtfertigt worden sein konnen,

– wo man bei diesen den notwendigen Glauben herbe-zieht.∗ Oder haben wir das Recht, bei ihnen mit einer Art

fides virtualis zufrieden sein zu konnen, die wir beiihnen immer gegeben voraussetzen konnen, wenn sie

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

sich nicht in schwer sundhafter Weise gegen das Na-turgesetz vergehen.

∗ Wenn man das annehmen wurde, musste man vonunserer These sagen: Ja de iure und in Randpha-nomenen gibt es actus mere honesti und fur sie alsEinzelne braucht es keine Hilfe, aber de facto gibtes beim Menschen, der zum Gebrauch der Vernunftgekommen ist, doch nur Sunden und actus salutares.

∗ Welcher Ansicht wir huldigen, davon wird in dernachsten These noch mehr die Rede sein.

Sie sehen, wie solche Dinge mit Satzen zusammenhangen, diePaulus unbeschwert macht.In der Theologie des NT haben wir, obwohl es Offenbarung

Gottes ist, doch Theologie des Paulus!• Paulus schaut in die eine und andere Richtung, sieht

etwas, sagt es aus.• Z. B. ohne Pneuma Gottes ist der Sunder tot. -• Dann wieder: Die Heiden, schaut sie an, machen ganz

anstandige Dinge; wenn sie mit dem vor Gott kamen,dann wurden sie bei Gott sehr freundlich aufgenommenwerden.

Wie diese Dinge genau miteinander zusammenhangen, dar-uber hat sich Paulus den Kopf nicht zerbrochen.• Es ist nicht so, dass, weil das inspiriert ist, der Paulus

explizit uber alle diese Sachen sich klar sein musste.• Der Beistand des Heiligen Geistes bewirkt, dass der

Paulus, aber nicht wir in unserer Theologie, beinahenaiv irgendwohin laufen kann, ohne dass er in den Stra-ßengraben fallt.

• Wir machen Formulierungen, die mit einer anderennicht mehr vereinbar sind. Die Kirche sagt dann: Ana-thema sit.

Paulus macht Formulierungen, die heute auch nicht mehr ge-wunscht wurden. Z. B. uber Freiheit, Abgeschafftheit desGesetzes. Wenn wir zuschauen in der Praxis der Kirche, obdas erwunscht ware, dann bekamen wir merkwurdige Dingezu horen. Aber die des Paulus sind konziliierbar. Wie, dar-uber hat sich Paulus keine Gedanken gemacht sondern dasder spateren Theologie uberlassen.

Es ist vereinbar, das ist klar. Aber wie? Soll man bei demSatz distinguieren oder beim anderen oder bei beiden? Inverschiedener Richtung ist solche Prazision innerhalb des

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Paulus vornehmbar. Voriges Beispiel zeigt das Wie.Ex conceptione totali NT nostram thesim deducere possumus:

(Aus der Gesamtkonzeption des neuen Testaments konnen wirunsere These ableiten:)Es ist eine methodologisch verkehrte Angelegenheit, die

heute in der Schulpraxis des Schriftarguments angewendetwird, zu meinen, man musse immer explizites einzelnesWort der Schrift haben, auf das dann darauf geknetet wird,was unsere These beweist.• Zum Beispiel, wenn man die Tatsache, dass man die

Eucharistie legitim, fruchtbar empfangt, - obwohl dasTridentinum sich hutete, etwas zu sagen, ob es unterzwei Gestalten nicht fruchtbarer ware - darauf stutzt,

• dass Christus sagt, wer mein Fleisch ist oder mein Bluttrinkt. Die Germaniker sind damals auch noch daraufherumgeritten.

• Historisch ist dazu zu sagen: Paulus hat daran nicht imGeringsten gedacht. Dass er ¢ statt kaÐ sagt, ist Zufal-ligkeit.

• In solchem Falle ist aus der Gesamtkonzeption derSchrift heraus zu beweisen, soweit man das kann, unddas gilt auch fur diese These.

19.12.1956 Vorl.28 (2.Stunde)

Unmittelbare Daten aus der Schrift fuhren nicht weit.Weil bei den von der Schrift gelobten Werken der Unglaubi-gen nicht klar ist, ob es bloß actus honesti sind oder Heils-werke aus Gnade Christi und Gottes heraus.

Indirekt kann man doch daraus entnehmen, was unsere Thesebehauptet:Spater und in anderem Zusammenhang werden wir horen,

dass die Erbsunde im Fehlen der Rechtfertigungsgnadebesteht. Damit ist gesagt, dass es sich bei dieser erbsundi-gen Situation des Menschen, die sich naturlich auch nachder Schrift in seinem Handeln außert, nicht darum handelt,dass die Natur innerlich zerstort ware, sondern dass essich um das Fehlen ubernaturlicher Hinordnung aufdas ubernaturliche Ziel handelt.

Die Ubernaturlichkeit des Zieles des Menschen usw. lasstsich genugend aus der Schrift nachweisen, wenn auch die-se Begriffe nicht vorkommen. Daraus ergibt sich, dass das

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

Handeln des Menschen aus der Natur heraus zwar keineHinordnung auf das ubernaturliche Ziel hat, aber doch ent-spricht und entsprechen kann dem Naturgesetz, das heißtder Ordnung, die sich aus der rationalen Natur des Men-schen als geforderte ergibt, und das so realisiert, was wirhonestas nennen.Denn man kann nicht nachweisen, dass der Mensch in jedemAugenblick verpflichtet sei, einen Akt zu setzen, der positivauf ubernaturliches Ziel hingeordnet ist.Ein solches Postulat wurde der Schrift insofern widerspre-chen, als die Schrift den Menschen durchaus als Seiendeserkennt, das im Werden ist, welches also nicht alles, was fures verpflichtend ist, in jedem Augenblick als hier und jetztzu tun verpflichtet ist.

Der Mensch konnte gar nicht werdendes Wesen sein, - waser auch nach der Schrift ist: Soll wachsen, zunehmen, die ei-genen Phasen seines Lebens nach ihren Eigenarten bestehen- das konnte er nicht im Bereich des Sittlichen sein, wennjede immer geltende Verpflichtung fur immer geltend ware.Habemus legem destinantem ad finem supernaturalem, sednon pro semper urgere potest.Das ware falsche Voraussetzung dafur, wenn man sagenwollte, der Mensch sei nach der Schrift verpflichtet, in je-dem Augenblick positive Hinordnung auf sein Ziel zu haben.Hat er das, kann er das haben, ohne dass die Natur innerlichzerstort ware?

Ware sie das, hatte Gott keinen Anknupfungspunkt mehran die Natur. So sehr die Rechtfertigung als Neuschopfungin der Schrift betrachtet wird: Er braucht das.

Dann 2.: wenn man die Schrift betrachtet (aus den Uberle-gungen der letzten Stunde nicht klar!) gibt es selbstver-standlich keine Heilsakte ohne einen Glauben: aus Paulusin R und Gal und Hb (obwohl der Glaube dort anders ge-nommen wird als in den eigentlichen Paulinen).

Nun wird man annehmen konnen, dass der Glaube nichteinfach am Anfang jeder sittlichen Entscheidung des Men-schen steht. Es gibt also Akte die, weil sie vor dem Glaubensind oder zu sein scheinen, nicht als Heilsakte positiv gewer-tet werden konnen, nach der Lehre der Schrift, die aber aufder anderen Seite, wie Paulus R2 voraussetzt, dem Gewis-sen positiv entsprechend sind als Einzelne und nach dieserAnsicht bei Paulus nicht als Sunde (genommen) qualifiziert

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

werden konnen.Wenn man also diese zwei Dinge kombiniert, dann kann

man sagen, dass Paulus explizit und implizit voraussetzt,dass es positiv zu qualifizierende, wenn auch nicht positivheilsbedeutende, Akte dem Gewissen nach gibt, die alsodas Naturgesetz erfullen, aber weil nicht aus dem Glauben,keine Heilsbedeutung haben.

Insofern schwierig und problematisch, weil nicht leicht fest-zustellen, wann in theologisch metaphysischer Sicht Glau-be beginnt und beginnen kann und ob man dazu bloß diealltagliche Erfahrung unserer Distinktion von Heiden undGlaubigen anwenden und damit identifizieren kann.Vielleicht gibt es doch Glaubende, die nach rein empiri-schem Befund Unglaubige waren. Dann konnte man fra-gen, ob es nicht denkbar ist, dass diese Glaubigen (indiesem metaphysisch-tiefenpsychologischen Sinn) identischsind mit denen, die dem Gewissen nach glauben.Kodex S.46 unter b ist also nicht so einfache und 100 pro-zentig durchschlagende Uberlegung.

Schwierigkeiten aus der Schrift: Wenn nun in R14 erklart wird,dass, wo keine pÐstic ist, Sunde sei, dann handelt es sich umden Gehorsam gegenuber dem Gewissen und nicht um die theo-logische Tugend des Glaubens einer Wort-Offenbarung heilsge-schichtlicher Art gegenuber (aus dem Zusammenhang! Kein ver-nunftiger Exeget wird das bestreiten!)Wenn im Hb steht, dass wir Gott ohne Glauben nicht gefallenkonnen: Dort ist aus dem Zusammenhang vom rechtfertigendenGlauben die Rede. Aber dieses placere, das ohne diesen nichtmoglich ist, ist das Gottwohlgefalligsein im Sinne der Recht-fertigung, im Sinne des ubernaturlichen Heiles. Inwiefern darindoch wieder Klassen zu unterscheiden sind: infideles negativi,die, die keine Todsunder sind und die, die Todsunder sind undinfideles positivi, davon redet dieser Text nicht.

Patres: aus den Kirchenvatern

Was die Vater sagen, ist kurz abzumachen. Vor Ausgustinus: Warendie Vater durchaus bereit, auch bei den Heiden Tugenden anzuerken-nen. Sie konnen den Eindruck von leichtem Semipelagianismus ma-chen. Gegen unsere These sind sie nicht, obwohl sie den Unterschiedzwischen Natur und Ubernaturlichem nicht so deutlich machen.

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

5.3.2.1 Exkurs: Augustinus’ Auffassng

Bei Augustinus: schwieriger.

Dort wo Augustinus aus der Praxis, aus der konkreten Er-fahrung des Lebens und in sie hinein spricht, gibt er zu, dassauch die Heiden, die Nichtglaubenden und die in der mas-sa damnata sind, nicht in jedem Augenblick sundigen undpositiv neues Boses tun, das verdammungwert ist, sonderner gibt zu, dass sie Taten setzen, die minder bestrafenswertsind, durch die sie verdienen, milder bestraft zu werden, gibtzu, dass auch gewisse Ahnlichkeit mit Gott ubriggebliebenist.

Da er nicht zwischen Natur und ubernaturlicher Erhohungunterscheiden kann, kann er auch nicht so deutlich aus-drucken, was ubriggeblieben ist. Wir wurden sagen: dasNaturliche und nicht das Ubernaturliche.Der ist immerhin in dieser praktischen aestimatio nicht derMeinung, dass der gefallene Mensch bloß reine Korruptionund reines Verderben sei.Das ist die eine Seite seiner Position, aber nur die eine.Aber diese hat er aufrechterhalten, auch spater, hat er nichtwiderrufen in den Retractationes.

Auf der anderen Seite erklart er ausdrucklich als Dogma derkatholischen Kirche, dass der Erbsunder, der Mensch derunglaubig ist, nur Sunden tun kann. Er scheint also ganzgegen unsere These zu sein.Dass das bis zu gewissem Grade nur Schein ist, geht daraushervor, dass er die andere Seite auch sagt. Frage: Was meinter damit?

Wir konnen das uns nicht billig machen dadurch, dass wirsagen, der irre eben in diesem Punkt. So konnen wir dasnicht sagen, weil Augustinus, ohne in seiner Zeit Wider-spruch von Seiten der Kirche zu finden, nicht nur sagt: mei-ne Meinung, sondern Dogma. Und dann auch ahnliche Aus-sagen in kirchenamtlichen Verlautbarungen dieser Zeit. - wirkommen spater noch darauf zuruck, so wenn z. B. im Arau-sicanum cn 22 steht: de his, quae hominum propria sunt ...peccatum ... ergo non deficiamus in vita. Also es erklart: ImMenschen ist von ihm aus schlechterdings nichts als Sundeund Luge. Mendacium, Anspielung an Paulus, der selberwieder Anspielung an AT ist.

Daraus ergibt sich, dass das, was bei Augustinus gemeint

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

ist, beim Arausicanum gemeint ist, und das hier so gesagtist, dass die damalige Kirche diese Lehren des Augustinusals allgemeine Lehre aufgefasst hat. Wir konnen also Au-gustinus nicht preisgeben.

Augustinus will Folgendes sagen:

Alles was der Mensch aus sich tut ohne Gnade Gottes, ist furubernaturliches Heil bedeutungslos, ist kein Schritt auf uber-naturliches Ziel hin, gilt vor Gott als Richter und eigentlicheskonkretes Ziel des Menschen gilt das nichts in dieser Ordnung.Innerhalb der Frage des Heilserwerbs sind alle Dinge, die nichtals Gnade geschehen, null und nichtig, gehoren nicht in dieseDimension hinein.

Darin hat er recht, weil das nicht nur im Arausicanum, sondernauch im Tridentinum die Lehre ist, in welcher Lehre die Kirchesich nicht von den Reformatoren unterscheidet. Alle Christenmussen darin ubereinkommen, dass der Mensch schlechterdingskein heilswirksames Werk tun kann außer aus der Gnade.

Wenn man Grundgrenzlinie dort hinlegt, wo die Frage ist: istdas etwas, was vor Gott, dem ewigen Ziel des Menschen wirk-lich von Bedeutung ist, so dass, wenn das da ist, man diesesZiel findet und wenn nicht nicht, dann sind alle Taten der Hei-den, die nicht aus Gnade Gottes hervorgehen, null und nichtig,das heißt sie liegen auf der negativen Seite dieser fundamenta-len Grenzziehung. Das inkulkiert er gegenuber Pelagianern undgegen Julianus von Ekklanum.

Nun konnte man sagen: Das kann Augustinus ja sagen, dagegenhaben wir nichts: alles was Heiden als Gnadenlose tun, ist furdas Heil nichts.

Warum sagt er, das sei Sunde? Das ist doch mehr.

Nein, fur Augustinus ist das nicht mehr. Warum? Augustinusweiß, dass der Mensch, der eben nicht in Beruhrung gekommenist mit der Rechtfertigungsgnade, ein Sunder ist. Wir konnen janach katholischer Wahrheit und mussen dazu sagen (wie merk-wurdig die Terminologie auch ist), wir konnen nicht sagen, derMensch, der die heiligmachende Gnade nicht hat, hat zwar nichtalles, was er haben muss, dass er sein ubernaturliches Heil fin-det, sondern wir mussen sagen, er ist ein Sunder, denn er hatdie Erbsunde.

Ganz klar, auch dort, wo er nicht durch personliche Schuld die-sen Mangel der Hinordnung auf ubernaturliches Ziel verscherzt

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

hat, auch abgesehen davon, mussen wir ihn nach katholischerTerminologie als Sunder bezeichnen. Daher sind alle diese Tatendes Erbsunders, die an demselben Mangel an heiligmachenderGnade wegen dieses sundig zu qualifizierenden Taters teilneh-men, auch als sundig zu qualifizieren. (Beste Arbeit daruber:Ernst ...)

Ausgustinus nennt diese Akte des Sunders selber Sunde, weilund insofern sie an der Gnadenlosigkeit des erbsundigenGrundzustandes partizipieren und weil fur Augustinus mitterminologischer Selbstverstandlichkeit sie an dieser Sundigkeitpartizipieren.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Gnadenlosigkeit Suende

Wir haben Zustand der Gnadenlosigkeit. Dieser wird als Sundequalifiziert heute und zu Augustinus Zeiten: wir sagen, das istein Erbsunder. Man kann nicht leugnen, der Akt partizipiertan dieser Gnadenlosigkeit. Diese Gnadenlosigkeit habe ich aberSunde genannt und auch heute noch muss ich das tun. Also,wurde der Ausgustinus auf den Tisch hauen, also muss ich dochdiese Gnadenlosigkeit im Akt auch Sunde nennen.

Dann kannst du ja nicht bestreiten, dass dieser Akt auch der Hi-nordnung entbehrt, dass auch dieser Akt Gnadenlosigkeit ist.Wenn das Partizipatio an dieser ist, dann musst du diesen Aktauch Sunde nennen, alles andere ist nur Verschleierung diesesZustandes. Deshalb sagt er: Das ist katholische Lehre, dass je-der Akt des Nichtgerechtfertigten eine Sunde ist.

Wenn man fragen wurde: Ist das neue Sunde? so dass er jetztnoch mal durch seine eigene schlecht betatigte Freiheit sich jetztauf eigene Rechnung eine Verdammnis zuzieht, dann hatte er ge-stutzt und gesagt: Das brauche ich nicht sagen.

Darauf hat er nicht reflektiert. Irgendwo hat er das gewusst in an-derer Schublade; er sagt ja, er wird irgendwie weniger bestraftfur andere Taten. Er wird bestraft. Wenn er in diesem Zusam-menhang, wo er die Sundigkeit jedes Aktes lehrt, wenn er dareflektiert hatte auf dieses, dann hatte er zugegeben: dieser istimmer Sunde, aber nur Ausdehnung der Erbsunde, musste Sun-de genannt werden, ware aber genauer gefragt, auch fur ihnkeine neue Sunde.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Insofern ist Augustinus durchaus vertretbar und erklarbar undverstandlich machbar, warum er so sagt, nicht obskur und dummsondern er sagt etwas Wesentliches auch heute noch von Bedeu-tung. Uberall wo in der Welt das Anstandigste ist, wo und inso-fern es nicht aus Gnade Christi kommt, ist es im Grunde nichtnur nicht so viel, sondern durch absoluten Graben getrennt vonjedem Heilsakt, so dass man es rechtfertigen kann, dass mandas, um dieses klar zu machen, Sunde nennt, und wenn ihr dasnicht zugebt, konnt ihr auch erbsundigen Zustand nicht Sundenennen.

Wieweit gibt es solche Menschen, die bloß Erbsunder sind undnicht zu personlichen Sundern geworden sind oder tatsachlichGerechtfertigte sind, obwohl sie außerlich, konfessionskundlichwie Heiden aussehen, ist andere Frage. Gehort hier nicht herein.

Wo wir uns unterscheiden: Ist eine andere Mentalitat.

Das Seltsamste, finde ich, woruber man sich wundern musste,wo man die Terminologie nicht versteht, wo man sie einfach zurKenntnis nehmen muss, ist das:

Wenn sie heute sagen, so wie Bajus und die Jansenisten getanhaben: jeder Akt eines Heiden und Unglaubigen ist eine Sunde,dann wurden sie, wenn sie denken, was Augustinus gemeint hat,nicht nur was Richtiges sondern ein Grunddogma des Glaubenssagen und trotzdem durften sie es nicht mehr sagen. Es ist einevon der Kirche als jansenistisch zensurierte Sentenz.

Sie konnten fett-gedruckt dazu sagen: nicht jansenistisch ge-meint. Das geht nicht. Sie mussen heute die moderne Termino-logie zur Kenntnis nehmen: dass nicht jeder Akt eines Heiden,der ohne Gnade geschieht, als Sunde bezeichnet werden darf.Weil heute nach moderner Terminologie unter Sunde nur nochein Akt, der neu gemachten, existentiell selbst gemachten Ver-stoß gegen das Gesetz Gottes verstanden wird und nicht nurErbsundliche, die dem Akt zukommt, weil sie dem Menschen alsGanzem zukommt.

Welche Terminologie ist konsequenter? Man muss also zunachstsagen: Da handelt es sich nicht um wahr oder falsch sondern umeine Festsetzung. Augustinus hat etwas Wahres gesagt und mussetwas Wahres gesagt haben. Darauf konnen wir nicht verzich-ten wegen des Arausicanums. Die heutige Kirche sagt auch wasRichtiges, obwohl es dem Wortlaut nach das Gegenteil zu seinscheint von dem, was Augustinus gesagt hat. Sie unterscheidensich in der Terminologie - sonst wurden sie sich in der Sache

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5.3 These 6. Es gibt rein naturlich gute Akte

unterscheiden. Wenn sie sich nicht in der Sache widersprechen,mussen sie sich in der Terminologie unterscheiden.

Wenn sie fragen: welche Terminologie ist die Konsequentere,dann sage ich: die von Augustinus. Denn ich sehe nicht ein,warum Erbsunde Sunde genannt wird, wenn man den erbsundi-gen Akt nicht mehr sundigen Akt nennt. Wie sie sehen, ist danndie Konsequenz nicht mehr einzusehen, warum bis heute jederAkt eines Heiden, der nicht aus der Gnade geschieht, erbsundigist und warum da nicht auch erb- weglassbar ist.

Erbsunde ist nach ublichster Lehre der Theologen, wenn auchnoch nicht kirchenamtlich, bloß analog zur personlichen SundeSunde. Man sieht so, dass Analoges in dem, worin es uberein-kommt, auch sich vom anderen unterscheidet. Daraus folgt, dassman terminologisch festlegen konnte, um nicht zu meinen, sie seiim selben Sinne Sunde wie die personliche Sunde, nenne ich dasnicht Sunde. Die Kirche hat sich auf andere Redeweise festge-legt, weil diese zwei Dinge trotzdem auch Analogie haben, nenneich beide Sunde.

Anderer Fall: weil bloß analog, nenne ich das nicht Sunde. WeilErbakt (erbsundiger Akt) nur analog ubereinkommt, hat dieKirche es inzwischen verboten, beides Sunde zu nennen, obwohlsie es beibehalt hinsichtlich des Zustandes.

Man konnte sich auch noch terminologischeWeiterentwicklungen vorstellen, die auch noch padagogischeWeiterentwicklungen haben, wenn auch die Wahrheit selbst diegleiche bliebe und so nur neue Aspekte auch gesehen werden,und zwar nicht mehr klein gedruckt sondern explizit.

Man sieht: In der Geschichte gibt es oft merkwurdige Dinge.Das ermahnt uns, bei allem Mut, was falsch ist falsch zunennen, einem anderen nicht ins Gesicht zu springen mit demVorwurf, er sei Haretiker. Manchmal sagt er in sich Richtigesmit anderer Terminologie, was eine Seite an dieser Sache her-ausarbeitet, die ich nicht sehe oder nur randbewusst, wenn auchnicht geleugnet.

20.12.1956 Vorlesung 29

Was zu den Vatern zu sagen ist, ist schon gesagt. Augustinus un-terscheidet sich in der Terminologie, nicht in der Sache von derheutigen Lehre: dass nicht alle Taten der Unglaubigen eo ipso,

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

weil in Erbsunde und nicht im Stande der Gnade getan, schonSunden sind.

Ratio theologica: theologischer Vernunftbeweis

Was das Argument aus der Ratio Theologica angeht, ist zu sa-gen: es ist zunachst zu unterscheiden zwischen finis operis undoperantis, proximus und ultimus, zwischen Vollzug in sich be-trachtet und der Absicht, die der Mensch dabei hat, innerwelt-lich ausdrucklich intendierte Hinordnung und Hinordnung aufden Gesamtsinn seines Lebens.

Man wird sagen konnen: dadurch, dass er den christlichen Glau-ben nicht hat, dadurch entbehrt jede Handlung der Hinordnungauf das letzte Ziel des Menschen, auf Gott als den sich selbst inseinem Dasein mitteilen Wollenden.

Aber das konnte nur neue Schuld uber die fruhere hinaus unduber die Erbsunde hinaus sein, wenn man voraussetzt, dass derMensch in jedem seiner Akte eine solche positive Hinordnungauf das eigentliche faktische Ziel seines Lebens haben muss under dieser seiner Verpflichtung in eigener Schuld sich nachkommt.

Aber weder erstes noch zweites lasst sich beweisen, sondern dasGegenteil lasst sich dartun:Weil er ein im Werden befindliches Wesen auch im Geistigenist, gibt es Werte, die in objektiver Struktur in einer Weise,weil sie in der Gesamt-Welt stehen, eine letzte Hinordnung aufubernaturliches Ziel haben, aber eine ausdruckliche und gewoll-te Hinordnung nicht haben. Braucht aber objektiv nicht Verstoßgegen positives Gebot sein, weil solches zwar immer den Men-schen anfordert, aber noch keine Forderung fur jeden Akt alssolchen fordert.Eine solche These, dass in jedem Akt der Mensch so positiv aus-gerichtet sein muss, wurde auch implizieren, dass der Menschin jedem Akt die absolute Totalitat seiner Selbstverfugung aus-schopfen musse. Das wurde bedeuten, er muss von Anfang an derFertige sein. Als geschichtliches Wesen kann er das nicht. Des-halb ist auch kein solches sittliches Gesetz moglich, das sprichtsonst gegen den Werde-Charakter.Daraus folgt also: Es lasst sich die erster Voraussetzung nichtnachweisen.

Auch die zweite nicht: dass der Mensch nur mit neuer Schuld soeinem Gesetz, wenn es bestande, sich versagen konnte. Selbstwenn es bestande, ware nicht klar, dass der Mensch in jedemeinzelnen Fall subjektiv und formal gegen dieses Gesetz ver-

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

stoßen wurde. Es gibt Gesetze, die pro semper gelten und denMenschen anfordern. Aber es ist noch nicht gesagt, dass jedesNicht-Beachten schon subjektiv schwere Schuld ist.

Naturlich musste man, mehr als die scholastische Theologie undder Kodex es getan hat, immer bedenken, dass das Tun immereingebettet ist in das Gesamte des Lebens, so dass auch dereinzelne Akt so ist, wie er ist, weil und insofern er im Ganzendes Lebens drinsteht.

Richtig ist, wenn wir das Gesamte des Lebens, wo es zum Geis-tigen aufwacht, voraussetzen mussen, dass es in diesem Sinnkeinen Menschen gibt, der nicht von der Offenbarung Gottesangesprochen wird, sondern dass jedes Leben so ist, dass dar-in der Mensch zu einer Entscheidung gegenuber dem Gott derOffenbarung kommt und kommen muss, vor diese Entscheidunggestellt wird.

Wo sie fallt, ist andere Frage. Ob sie in bestimmtem Zeitpunktfallt, so dass sie vorher gar nicht irgendwie gegeben war, obman sich das so denken muss, dass er bisher chemisch ganz reinwar, und sie zu spaterem Zeitpunkt ganz rein auftritt? Vielleichtist es doch anders. Jedenfalls hangt das Gesamtleben zusammenund alles, jedes Moment in diesem ist bei geistigem Leben immervon allen Momenten des Einen und Ganzen zusammengehangt.

Man musste fragen, ob diese isolierte Betrachtung eines Aktesder Sache ganz adaquat ist. Falsch ist sie nicht, aber eine ab-strakte Betrachtungsweise, wo man diese Konkretio nicht ver-nachlassigen darf.

5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

These 7. Homo lapsus sine omni auxilio indebito potest facere etquandoque facit aliquos actus naturaliter honestos.

Ohne jegliche ungeschuldete Hilfe kann der Mensch auch nachdem Sundenfall Adams einige naturlich gute Werke (honestos)tun und hin und wieder tut er sie auch wirklich

5.4.1 Thesenstruktur

Zusammenhang mit 6.These: Ist klar. Dort wurde gesagt: Um nichtzu sundigen, braucht es nicht in jedem Fall ubernaturlich erhe-bende, positiv auf letztes Ziel hinordnende, ubernaturliche Gna-de, sondern auch ohne sie ist nicht alles, was der Mensch tut,

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

notwendig Sunde.Hier gehen wir noch einen Schritt weiter: Der Mensch kann

auch ohne ubernaturliche Hilfe, ohne ungeschuldete HilfeGottes einige honeste Akte setzen und tut das.

Unterschied: Dort wird ubernaturlich vergottlichende Gnade aus-geschlossen, hier wird eine Welt-immanente Hilfe Gottes ausge-schlossen insoweit sie dem Menschen ungeschuldet ist.

Wir stellen nicht die Frage, ob auch ohne geschuldete Hilfe Gottesder Mensch einige naturlich sittlich gute Akte fertig bringt oderdas auch unmoglich ist.• De facto hat der Mensch naturlich zu jedem Akt, auch dem

leichtesten, eine geschuldete Hilfe notig.• Aus historischen Grunden stellt man nur die Frage nach

ungeschuldeter naturlicher Hilfe.– Grund: weil ungeschuldete naturliche Hilfe immer noch

als Gnade Christi gewertet werden kann und– die Grundfrage dieser These dahin geht: Braucht es zu

jedem naturlich sittlichen Akt Gnade Christi?∗ Die Frage ist: Braucht es entitativ ubernaturliche

Gnade Christi∗ oder eine an sich weltimmanente, naturliche, dem

Weltzusammenhang sich einfugende besondere HilfeGottes,· die, weil und insofern ungeschuldet, trotzdem als

Gnade Christi qualifiziert werden kann.· Denn wenn sie sich auf naturlich sittlich guten Akt

bezieht, welcher doch eben als negative Dispositi-on fur die Erlangung des Heils von Bedeutung seinkann

· und wenn sich das gesamte sittliche Leben in dasGanze des ubernaturlich finalisierten Lebens ein-fugt,

· dann ist faktisch ungeschuldete Hilfe fur die Er-fullung des Naturgesetzes etwas, was Gott gibtpropter merita Christi (wegen der VerdiensteChrist).

· Entitativ naturliche aber ungeschuldete Hilfe istpraktisch in unserer Ordnung eine Gnade Christi.

∗ Rein begrifflich ist auch denkbar, dass Gott demMenschen etwas gib, was auch fur das Heil bedeut-sam ist, ohne dass er es deswegen gibt, weil intuituChristi usw.

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

∗ Wenn man bedenkt und voraussetzt, dass die gan-ze Welt einheitlicher Sinngebung entspringt, alles Zu-sammenhang hat,

∗ und darin Christus die Uridee Gottes fur die Weltist und die Geschopfwerdung des Verbum incarna-tum das Erstgewollte und nach der richtigen scholas-tischen Idee die Welt um Christi willen geschaffen ist(3. These),

∗ dann ist es begrifflich nicht mehr moglich, ein au-xilium speciale sehr erheblich anders aufzufassen alsetwas, was in der Welt ist anders als so, weil Christusgewollt ist.

• Da wir praktisch schon gezeigt haben, dass ohne Gnade ac-tus honesti moglich sind,

• konzentriert sich diese These (ihr”de iure“) darauf, ob es

solche rein naturlichen sittlichen Akte de facto gibt. Dassder Mensch dazu an sich die Kraft hat, ist in der Thesevorher schon bewiesen.

• Die Frage ist also hier nicht ganz ubersichtlich klar gestelltin doppelter Hinsicht1. 1. Kann ich auxilium naturale indebitum (ungeschulde-

te naturliche Hilfe) ausschließen? Und2. 2. Gibt es, weil es diese Akte geben kann, sie auch de

facto?Diejenigen Theologen, die uns die 6. These zugeben (alle außer

Augustinienses, die es nicht mehr gibt), geben die quaestio iurisauch in dieser These zu. Wer zugibt, dass man die moralischeFahigkeit hat, ohne ubernaturliche Gnade nicht zu sundigen,der gibt es auch hinsichtlich dieses auxilium naturale indebitumzu.

Die Frage ist bloß, ob es sie auch de facto gibt. In dieser Thesehaben wir nur noch zwei gescheite Leute als Adversarii. So ganzgeheuer in ihrer Ablehnung ist uns nicht: Vasquez und Ripalda.

Vasquez: 1.Adversarius Leugnet potentia physica und moralis des Men-schen, auch wenn er seiner Natur uberlassen ist, zu rein naturlichensittlichen Akten nicht, aber - es ist nicht leicht, etwas dagegen zu sa-gen - aber damit der Mensch das tatsachlich tut, braucht er cogitatiocongrua.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Ergo debet sollicitari ad actumne tantum in actu primo proxi-mo sit, quod esset tantum gra-tia sufficiens, sed ita debet eipersuaderi ut re vera assensumdet. Haec sollicitatio entitativenaturalis, quae congrua est,

Er muss also bewegt werden zum Akt,dass er nicht nur im aktus primo proximusbleibt, was nur hinreichende Gnade wa-re, sondern er muss so uberredet werden,dass er wirklich die Zustimmung gibt. Die-sen seinsmaßig naturlichen Anstoß (Anre-gung), die ubereinstimmend (passend) ist,

die so ist, dass der Mensch darauf einschnappt, obwohl er nicht muss-te, das nennt er cogitatio congrua .

Dieser Ausdruck kommt von Augustinus her schon. Das Systemdes Suarez wird Kongruismus genannt. Diese Ausdrucksweiseder cogitatio congrua, der passenden Anregung (Ubersetzungdavon), im Gegensatz zu der, die eine Anregung ist, auf die ereingehen konnte, aber de facto nicht eingeht.• Es gibt Leute, die muss man anbrullen und andere, die muss

man freundlich anreden.• Je nachdem Gott den einen anbrullt und dem anderen in

seiner Providenz freundliche Anrede zuschanzt, kommt et-was Vernunftiges raus oder nicht.

Von dieser cogitatio congrua sagt er nun: diese cogitatio congruaist immer als congrua, insofern sie sich von der incongrua, vonder gratia sufficiens im Gegensatz zur efficax ad actum hone-stum unterscheidet, immer etwas, was Gott dem Menschen nichtschuldet.• Er konnte uns Obere geben, die nicht gut sind, und wir

konnten uns nicht beklagen. Dominus est, sit nomen dominibenedictum.

• Er konnte uns Professoren geben, die noch langweiliger sind,und wir konnten uns nicht beklagen.– Man wird nicht leugnen konnen, dass es existentiell

schwer zu bestreiten ist, dass jeder cogitatio congruairgendwie ein Element von Ungeschuldetheit anhangt.

– Was dazu genauer zu sagen ist, selbst wenn wir Vasquezpflichtschuldigst kritisieren - aber vorher noch -

Er sagt außerdem: eine solche ungeschuldete cogitatio congrua,wenn sie auch nur fur actus honesti gegeben wird, wird auchals gratia Christi gegeben intuitu redemptionis Christi. Dashat auch etwas fur sich.

Letzter Schritt bei Vasquez: kuhn aber auch etwas, was wenn wires mitmachen konnten, im Grunde sehr viele Probleme von heu-te losen wurde, mit denen die anderen im Grunde nicht gut fertig

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

werden:• Weil dieser Akt aus ungeschuldeter Gnade Christi kommt,

ist er zwar unter Umstanden entitativ immer noch naturlich,• aber er ist, weil als gratia Christi kommend, dennoch schon

eigentlicher Heilsakt.• Ob man das sagen kann oder nicht, ist nochmal ein Problem,

das spater zu losen ist.Auf diese Weise bekommt naturlich der Vasquez - wenn man das

Bedeutsame an dieser Sache hervorhebt - auf seine Weise eineHomogenisierung der konkreten Ordnung zustande:• Wo sittlich Gutes in der Welt geleistet wird, ist es zwar

auch noch sehr verschieden, aber doch durchgehend aucheigentliches Heilsgeschehen.

• Es gibt fur ihn de iure aber nicht de facto bloß naturlichsittliche Akte.

• Die de facto gesetzten an sich naturlichen Akte, die es ihrerEntitat nach auch sind,– sind modal deswegen ubernaturlich, weil und inso-

fern sie aus einer durch die Gnade Christi kommendencogitatio congrua entspringen,

– also, wenn auch von außen, so doch wirklich ubernatur-lich finalisiert,∗ sind gleichsam beherrscht von der entelechialen

Steuerung Gottes, die diese Einzelnen positiv auf dasubernaturliche Heil hinordnet,

∗ wenn auch nicht durch gratia entitative supernatu-ralis also durch innerlich seinsmaßige Erhohung undVergottlichung dieser Akte.

– Dadurch wird das Ganze einheitlicher und ubersichtli-cher strukturiert.∗ Die Geschichte des Menschen hat eine Struktur, die

sich in jedem Akt sichtbar macht.∗ Seine Geschichte hat von dieser Auffassung aus eine

einheitliche und ubernaturliche Struktur.

Ripalda: 2. Adversarius [De ente supernaturali]

Ripalda leugnet unsere quaestio iuris auch nicht. Selbstverstand-lich ist die menschliche Natur durch Erb- und und personlicheSunde nicht so korrumpiert, dass sie in jedem Akt, der nichtubernaturlich erhoben ist, notwendig sundigen musste. Er kannalso rein naturliche Akte setzen, die Potenz zu solchen Aktenist nicht aufgehoben.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Aber Ripalda sagt nun, in einfacherer Weise und noch mutigerals Vasquez, es gibt ein ubernaturliches Gesetz der ProvidenzGottes derart, dass, wo ein solcher Akt des Menschen auf Grunddieser Krafte gesetzt wird, dieser tatsachlich durch ubernatur-lich entitative Gnade Gottes erhoht wird und so zu einem Heils-akt wird. Gott will, das ist seine ubernaturliche Heilsprovidenz,dass, wo ein solcher Art gesetzt wird, er dann nicht de iure aberde facto ein ubernaturlicher Heilsakt ist.

Wahrend Vasquez eine cogitatio congrua modaliter supernatura-lis angenommen hatte und von daher bei ihm alle naturlichsittlich guten Akte zu Heilsakten werden, sagt Ripalda, Gotterhoht durch gratia entitative supernaturalis alle sittlichen Ak-te des Menschen. Also die Akte sind bei ihm immer ex gratiaentitative supernaturali salutares.Wo der Mensch als naturlich sittliche Person handelt, ergreiftGott in seiner inneren Tat diesen Akt des Menschen und gibtihm uber seine naturliche Finalitat hinaus durch positive uber-naturliche Erhohung innere Dynamik auf das ubernaturliche Zielhin, so wie es bei unseren Akten, die wir als Glaubige gesetzthaben, auch ist.

Quid circa istas quaestionesdici debeat:

Quaestio iuris: Practice et defacto iam soluta est in thesiantecedenti. Ibi iam ex fon-tibus positivis constat diffe-rentia inter amorem natu-ralem Dei et supernatura-lem caritatem divinam. Ibiiam probata est doctrinamecclesiae ad hoc, ut actusnon sit peccatum, non re-quiri gratiam. Saltem deiure videtur ergo omne do-num indebitum non requiri.

Sed quaestio facti: difficiliorissolutionis est. Quid ibi revera dicere debemus

Was muss bezuglich dieser Fragengesagt werden?

Quaestio iuris: ist praktisch undde facto schon in der voraus-gehenden These gelost. Dortsteht nach den positiven Quel-len schon der Unterschied zwi-schen naturlicher Liebe zu Gottund der ubernaturlichen gottli-chen Liebe fest. Dort ist schonbewiesen dass die Kirchenlehredazu, dass etwas keine Sunde ist,keine Gnade verlangt. Wenigs-tens von Rechts wegen scheintalso keine ungeschuldete Gnadenotig, dass etwas keine Sunde ist

Aber die Tatsachenfrage: istschwieriger zu losen. Was mus-sen wir dazu wirklich sagen?

Wie in der letzten Stunde schon gesagt, dass ich den Kern gleich be-ruhre, muss ich sicher sagen: Nach der Betrachtung der Quellen schei-

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

nen die actus supernaturales anzufangen mit dem initium fidei - nichtmit dem richtigen Glauben, sondern in Verbindung mit diesem Akt- nach den Tridentinum ist der Glaube Wurzel der Rechtfertigung,also wenigstens manchmal der Anfang der Rechtfertigung (tandemaliquando initium iustificationis). Hb 11: Ohne Glaube konnen wirGott nicht gefallen.

Si et inquantum supponimuset supponere debemusquod sit saltem in aliquibushominibus vita spiritualismoralis, quae nondum dicipotest coniuncta cum fide,cum immediata indagatio-ne fidei et cum praeambulisfidei, tunc isti actus se-cundum fontes videnturnondum dici posse actussalutares.

Iamvero Vasquez et Ripaldaiam eos vocant salutares.Sie scheinen also actus sa-lutares zu haben, die nochnicht verbunden sind mitder Frage des Glaubens.

Secundum sententiamnostram et communem,homo talis videtur debe-re elicere posse amoremnaturalem super omnia inDeum. Deinde talis actusdeberet esse modaliter velentitative intrinsecus actussalutaris. Iamvero talis ac-tus videtur non dici possenon caritas iustificans.

Wenn und insofern wir vorausset-zen und voraussetzen mussen,dass wenigstens in einigen Men-schen geistlich moralisches Le-ben da ist, das noch nichtmit Glauben verbunden genanntwerden kann, mit unmittelba-rer Erforschung des Glaubensund mit Praambula des Glau-bens, dann konnen diese Aktenach den Quellen dem Anscheinnach noch nicht Heilsakte ge-nannt werden.

Aber schon Vasquez und Ripaldanennen sie Heilsakte. Sie schei-nen also Heilsakte zu haben, dienoch nicht verbunden sind mitder Frage des Glaubens.

Nach unserer und der gangigenMeinung, muss ein solcherMensch anscheinend erweckenkonnen naturliche Liebe zu Gottuber alles. Dann aber mussteein solcher Akt modal oder enti-tativ innerlich ein Heilsakt sein.Aber trotz dem ein solcher Aktnicht genannt werden konntenicht rechtfertigende Liebe

Das besagt aber: der Mensch kann gerechtfertigt sein und dochohne Glaube. Wir setzen voraus: ein Mensch kann ohne Glau-be sein, der noch nicht vor die Frage des Glaubens gestellt ist,ut aut Deo denegat aut praebet fidem.• Wenn wir das voraussetzen mussen, dass ein Mensch noch

nichts mit Glauben zu tun hatte, esse plus minusve possibi-

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

le, von solchen Menschen, wenn es sie gibt, kann die Sentenzvon Ripalda und Vasquez nicht angenommen werden, denndas ware ein Heilsakt, der rechtfertigen wurde ohne Glaube.Besonders die des Ripalda hatte da einen Haken.

• Aber wann fangt der Glaube an, moglich zu sein?• Wenn sie der Meinung waren, es gibt gar kein geistiges Le-

ben des Menschen in personaler Entscheidung, wo Glaubenicht moglich ware, sei es von der Uroffenbarung, sei es,dass es die fides virtualis von Pater Straub gibt, dann wirddie Sentenz von Ripalda sehr schwierig.

• Wenn man annimmt, wo sittliches Leben ist, ist die Mog-lichkeit eines theologischen Glaubens, ob virtualis oder an-ders ist gleich, dann ist das Hauptargument gegen Ripaldanicht mehr gegeben. Ihn positiv refutieren konnte man nurschwer.

• Wenn und insofern es ein Leben des Menschen gibt, daszwar sittlich noch bedeutsam ist, aber noch nicht in den Be-reich der Glaubensentscheidung eingetreten ist, dort kannes nicht nur, sondern gibt es auch actus mere honesti.

• Was gegen Vasquez noch eigens zu sagen ist: nachstes Mal.Nach Weihnachten treten wir dann ein in den eigentlichenTraktat

”De gratia Christi entitative supernaturali“.

16.1.1957 Vorlesung 30

Wiederholung und Vertiefung Wir haben vor Weihnachten die 7. Theseangefangen.

• Wir haben in der 6. These gesagt, dass es keine adaquate Di-stinktion zwischen Sunde einerseits und heilskraftigen Akten an-derseits gibt, sondern dass es eine Irrlehre des Bajus und Jan-senius ist, dass der Mensch in jedem Werk, das nicht Heilswerkist, sundige.

• Die Hauptbeweisgrunde waren die Verurteilung dieser beidenund auch etwas aus dem Tridentinum: Dass es Akte gibt, dieden Heilsakten vorausgehen, und dass der Sunder nicht in jedemAk sundigt.

• Aber wir sind auch weitergegangen: Dass nicht jene Akte Sundesind, die der Nichtgerechtfertigte setzt, auch dann nicht, wenner sich nicht mit der Gnade auf die Rechtfertigung vorbereite.

• Dass es legitimen amor naturalis auf Gott hin geben konne, auchwenn er nicht rechtfertigt.

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

• Insofern haben wir schon dort sehr wesentlich der 7. These vor-ausgearbeitet, die eine Erganzung der grundlegenden 6. Theseist.

– In der 6. These haben wir die grundsatzliche Moglichkeitbehauptet.

– Hier sagen wir nicht nur potest (kann) sondern quandoquefacit actus naturaliter honestos (hin und wieder tut er na-turlich gute Taten).

– Die reine Moglichkeit haben wir in der 6. These schon be-wiesen.

– Wir haben schon die entscheidenden Dinge der 7. Theseganz kurz herausgehoben.

Die zwei Adversarii hier sind keine Haretiker sondern Ansichten katho-lischer Theologen, die, wenn sie auch selten vertreten wurden, viel-leicht spater eine glucklichere Zukunft haben werden: Vasquez undRipalda.

Vasquez: bezeichnet jeden actus naturaliter honestus, der faktischdem naturlichen Sittengesetz und Wesen des Menschen ent-spricht,• darum schon als Heilsakt, weil er, wenn er faktisch gesetzt

wird, aus einer cogitatio congrua stammt,• die nach Vasquez eine wegen Christus gegebene Gabe ist

und den er damit als modal ubernaturlich betrachtet, weiler aus dieser Gnade hervorgeht.

• Dementsprechend ist jeder solche Akt ein faktischer Heils-akt.

Ripalda: sagt, dass de facto Gott jeden Akt in der konkreten Ord-nung tatsachlich ubernaturlich erhohe und zu einem Heilsaktmache.

Weder der eine noch der andere bestreitet, dass der Mensch ein-zelne Akte setzen konne. Die Fahigkeit dazu wird von ihnennicht bestritten. Und

Nur Vasquez: wenn er aus dieser Moglichkeit heraus faktisch sol-chen setzt, braucht er wirksame Gnade dazu, die ungeschuldetist und Christi wegen gegeben. Insofern ist nicht der Mogliche,aber der faktisch gesetzte Akt ein Heilsakt, weil er in der Weise,wie er faktisch gesetzt ist, ein ubernaturliches Geprage hat.

Ripalda: Er kann honeste Akte setzen und auch das agere ist inseiner Macht. Nur wird dieser Akt de facto von Gott erhohtund so ein Heilsakt.

Gegen diese beiden sagen wir unsere These. Ohne eine theologi-

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

sche Qualifikation außer der, dass wir sagen, unsere These istmoralisch sicher, so dass der, der mit den Schwierigkeiten fertigzu werden glaubt, diese doch halten kann.• Warum diese Frage existentielle Bedeutung hat, haben wir

schon gesagt. Es ist die Frage, was ist eigentlich mit demsittlichen Leben jener Menschen, die auf den ersten Blicknoch außerhalb der Wortoffenbarung Christi und damitnoch außerhalb des Glaubens, der ein Glaube an die Wor-toffenbarung Christi ist, stehen und trotzdem ein sittlichesLeben fuhren so gut sie konnen. Mit anderen Worten: Wieweit reicht eigentlich das Christentum und seine Gnade.

• Durch die Verdammung der Jansenisten ist klar,– dass es auch bei außerhalb der katholischen konkreten

Kirche Seienden Gnade Christi gibt– und es ist klar, dass es auch vor dem Glauben Gnade

Christi gibt.∗ Aber damit ist noch nicht viel gesagt. Dieser Leh-

re wird man auch gerecht, wenn man sagt, das sindaußere Gnaden, an sich naturliche Hilfen Gottes, dienaturlich eine gewisse Heilsbedeutung haben.

∗ Aber damit ist nicht gesagt, dass es sich hier undubernaturlich erhohte Akte eines Menschen handelt,die es ermoglichen, dass er ubernaturlich gerechtfer-tigt wird.1. Das wird man nur, wo man ubernaturlichen Glau-

ben ex auditu hat,2. Heilsbotschaft des geschichtlich redenden Gottes

hort, annimmt, glaubt3. und dann die weiteren ubernaturlichen sittlichen

Akte bis zur Liebe Gottes tut4. und so gerechtfertigt wird.

• So ist ein Kreis, der sicher weiter ist als die Kirche, abernicht mit der faktisch existierenden Menschheit zusammen-fallt, da, und wo dieser Kreis der geschichtlichen Wortoffen-barung nicht uberschritten ist, kann es keine ubernaturlicheHeilsgnade und damit keine Rechtfertigung geben.

• Wenn also gefragt wird: Gibt es naturlich sittliche actus ho-nestos de facto, dann ist dabei nicht bloß die positive Notezu beantworten, namlich, doch nicht alles, was in der Weltpassiert, ist Sunde. Sondern diese Frage hat auch negativeSeite, das heißt, es gibt Menschen, die trotz naturlich sitt-licher Einstellung und Haltung, trotzdem sie keine Todsun-

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

der sind, doch nicht im Bereich des ubernaturlichen Lebensstehen und damit vom ubernaturlichen Ziel unendlich weitentfernt sind.

In unserer These sagen wir

Ripalda und Vasquez haben grundsatzlich nicht recht. Die Mog-lichkeit der bloß naturlichen sittlichen Akte realisiert sich auchauf dieser Welt. Es gibt solche Akte und sie sind auch nichtmehr als solche. Im Grunde also, Augustinisch gesehen, im Be-reich der erbsundigen Menschheit und haben keine Bedeutungfur ewiges Heil.So hundertprozentig glauben wir das doch nicht (in der Praxis).Wir werden gleich sehen warum.

Ripalda hat nicht recht: Durch den positiven Willen Gottes istnach ihm jeder naturlich sittliche Akt de facto erhoht, Heils-akt. Wir sagen: Wenn das wahr ware, dann musste Folgendesmoglich sein: ein Mensch setzt actus amoris benevolentiae Dei,er liebt Gott aus ganzem Herzen. Denn weil das zu den Wesens-vollzugen des Menschen gehort, muss er dazu fahig sein nachder These vorher.Der Mensch ist nicht der, der entweder in selbstvergotzenderWeise sich liebt und Gott hasst oder der durch die ubernaturli-che Gnade der Rechtfertigung erhoben ist zu caritas Dei superomnia. Insofern steht Ripalda auf unserer Seite gegen Bajus.Dagegen: Wenn aber dieser ubernaturlich erhoht und Heilsaktist, ist er actus caritatis. Aber wenn diese pneumatische Erho-hung dieses naturlichen Aktes, wenn diese die bewusste Modifi-kation mit umgestaltet - konsequent mussen wir das schließen -dann ist das actus caritatis, denn wie wurde das sich vom actuscaritatis des Gerechtfertigten unterscheiden?Ein solcher Akt aber ist rechtfertigend. Nach Ripalda gibt in eineRechtfertigung, welche geschieht, ohne dass der Mensch schonglaubt, und das scheint uns gegen die Lehre des Tridentinum undArausicanum, nach welchen der fides est initium et radix jederRechtfertigung, ohne den es unmoglich ist, Gott zu gefallen, dernach der Lehre der Kirche nicht late sondern stricte dicta seinmuss, niti non in testimonio de Deo ex solis creaturis. Bei Ripal-da ware das aber gegeben ohne fides durch die caritas. Und dasscheint nicht moglich zu sein, zumal rein philosophischer Glaubeals solcher nicht genugt.

Nun eine Anfrage: Ist damit die Sache klar, was wir gegen Ri-palda gesagt haben?

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

Antwort: distinguo:Wenn und insofern der Ripalda ein Heilsgeschehen ubernaturli-cher Art zulasst, welches mit dem Glauben nichts zu tun hat,weder direkt noch aus seinem Leben heraus, noch aus der Glau-bensgrundlage erwachst, insofern haben wir gegen Ripalda tat-sachlich recht.Der Lehre der Schrift und der Auffassung der Kirche ist es fremd,dass es Heilsgeschehen ohne Glaube gibt, welches mit Horchenauf einen offenbarenden Gott nichts zu tun hat, sondern reinaufgrund der Natur als bloßer Natur aus ubernaturlicher Erho-hung ware. Insofern haben wir sicher recht.Aber, und das gibt ihm vielleicht doch noch recht: Es zeigt,dass es denkbar ist, dass der letzte Kern doch rettbar ist, undes zeigt, dass es eine naturale Zone nicht gibt, dass es die Dis-krepanz zwischen personalem und erbsundigem Nein einerseitsund dem Ja zu dem Dreifaltigen anderseits, dass es s�rx undpneuma vielleicht doch nur gibt:

Gerade in Innsbruck mussen wir mit einer seit 50 Jahren unbehel-ligten Theorie rechnen (Straub) - wie weit diese verbreitet ist,weiß ich nicht, jedenfalls ist sie nicht zensuriert - Er sagt zwar(entsprechend der Lehre der Kirche im 19.Jahrhundert) dass derfides mere late dicta zur Rechtfertigung nicht ausreicht. Dort,wo der Mensch als Metaphysiker Gott erkennt und ihm so seinenGehorsam erweist, dort ware eine fides late dicta, die kein eigent-licher Glaube ist. (Das konnte man immer noch Glaube nennen,denn wenn wir sagen, der glaubt nicht an Gott, so heißt das, erist von der naturlichen Beweisbarkeit Gottes nicht uberzeugt.Umgekehrt: Glaube an Gott bedeutet

”Uberzeugtsein und Sich-

Einstellen auf Gott auf Grund der naturlichen Erkenntnis vonGott“)Aber im Falle der Notwendigkeit kann ein Glaube, den er nichtlate dicta sondern virtualis nennt, zur Rechtfertigung genugen,auch dort, wo ihn die faktische Wortoffenbarung noch nichtgetroffen hat, wenn die sittliche Haltung, die realisiert wird,ethisch usw. ihrer inneren Struktur nach als sittlicher Akt ei-nem strengen Glauben aquivalent ist, und das ist der Fall, wennder Mensch glaubensbereit ist, wenn er auf die moglicherweiseergehende Offenbarung explizit oder implizit, mehr oder wenigerhorcht.Naturlich ist fides virtualis und late dicta in der Praxis nichtsehr verschieden. Er wurde zugeben, dass der Mensch, der denersteren hat, den zweiten mehr oder weniger automatisch auch

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

hat, aber das eine ist refutiert, das andere nicht, und es muss dieMoglichkeit der Rechtfertigung geben, wenn de facto aus histori-schen Grunden der Mensch von der faktischen Wortoffenbarungnicht erreicht wird.1

Und noch einen Schritt weiter konnen wir gehen: Straub ist zwarnicht zensuriert, vielleicht weil die Sentenz nicht zensurierbe-durftig ist, und wir haben so das Recht, sie anzunehmen, aberselbst wenn wir strenger waren, bliebe noch die Frage offen,wann und unter welchen Voraussetzungen eine fides stricte dictaet formalis moglich ist, und ware die Frage, ob man nicht sagenkann, immer und uberall dort, wo der Mensch nicht personalsundigt, ist er - auf das Ganze seines sittlichen Lebens geblickt- in der Notwendigkeit, sich fur oder gegen den ubernaturlichenfides stricte dicta et formalis zu entscheiden.Anders: Es ist gar nicht so klar, dass es faktisch auf der WeltMenschen gibt, die von Offenbarung Gottes in keiner Weise bis-her erreicht sind und deswegen, selbst wenn sie guten Willenswaren, nicht glauben konnten im eigentlichen Sinn. Dieses Pro-blem schlagt hinuber in die Frage, wie ein Großteil der Menschensich ewig retten kann, wenn doch, wie es zu sein scheint, relativsehr viele Menschen weder von judischer noch von christlicherOffenbarung erreicht wurden weder ante noch post Christumnatum.Man kann sich helfena) mit Uroffenbarungb) mit Thomas - wenn er guten Willens ist, kommt ein Engel

vom Himmel zu ihm -c) ich glaube, dass sinnvolle Moglichkeiten bestehen, sei es mit

der Theorie Straubs oder ohne sie, sich einer Vorstellung zumachen, dass die fides in Deum revelantem uberall fur denMenschena) moglich istb) eine fur den Menschen unausweichlich von Gott her ge-

stellte Frage ist, so dass man sich denken kann:• der Mensch sundigt (personal, Todsunder)• oder er ist de facto uberall ein Glaubender.

Ich sage nicht: Das ist klar, aber von Straub her lasst sich dieFrage stellen, ob nicht die Welt de facto so eingerichtet ist, dassman entweder ein ubernaturlich Glaubender ist oder personal

1uber diese Probleme hat Rahner 2 Jahre spater ein Seminar gehalten, dessen Mitschrift sie unterhttp://82.135.31.182/Unglaube.pdf finden

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

ein Todsunder ist.Wenn man diese Moglichkeit offen lassen muss, dann ware es

so: Immer und uberall, wo es Menschen gibt, die zum Gebrauchder sittlichen Vernunft gekommen sind, sind sie entwederTodsunder, oder sie setzen Akte des Glaubens oder mit demGlauben, und diese Akte konnten dann nicht nur mit Ripaldasondern mussten ubernaturlich salutare Akte sein.Das gehort aber in den Traktat de fide hinein. Unsere Fragemussen wir offen lassen.1. 1. Wir konnen immer noch sagen: Ja, jene Menschen, die,

insofern sie sich der ihnen offenstehenden Moglichkeit desGlaubens offnen, die konnten immer noch in personalerTodsundigkeit actus mere honesti setzen. (Ist der Akt nichtdann wieder so honest, dass er eben die Todsundigkeit wie-der aufhebt? Nein!)

2. 2. Gegen Ripalda immer noch: Weil und insofern Ripal-da Heilsakte als faktisch Gesetzte behauptet, die mit demGlaube schlechterdings nichts zu tun haben, bestreiten wirseine Ansicht. Das ist etwas, was sich nicht einfugt in Schriftund Traditionslehre.

Ob man diese so großzugig auffassen kann, dass man sagenkann und muss: Es gibt keine Menschen, soweit sie vom Zen-trum der Wortoffenbarung auch entfernt zu leben scheinen,die nicht faktisch in der existentiellen Situation des entwederGlaubens oder Sunderseins sind, bleibt eine Frage (so dass ne-gative infidelis vielleicht nur eine abstrakte aber keine wirklicheMoglichkeit ist!)

Um dieses letzte Problem zu klaren, musste man ausholen da-hin: Wie vollzieht sich das geistige Leben des Menschen? Istdas zusammengesetzt aus Brocken, so dass dieses Stuck wirklichchemisch rein die sittliche Forderung erfullt und, rein additiv,spater was anderes kommt, oder ist es so, dass schon der ersteAkt ein totaler Akt auf Gott hin ist, so dass Thomas glaubt: Imersten Akt haben wir Gott geliebt oder Todsunde begangen?• Der Mensch setzt nicht geistige Akte wie ein Wechsler Geld-

stucke, sondern er setzt sich als Ganzer selber, so dass dieseimmer (das Ganze dieser Selbstverfugung) durch die Zeithindurchlauft, und damit ist es denkbar, dass im Grundeunseres Daseins, der erste Akt dieses geistig freien Daseinsdie Entscheidung fur oder gegen Gott ist. Vielleicht setztihn einer, der burgerlich schon eingesperrt werden kann. Obihn ein außerlich zum Christentum gehorender schon gesetzt

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

hat oder noch gar nicht gesetzt hat, ist andere Frage.• Wenn der Mensch nie so aus der Situation des sich offen-

barenden Gottes heraustreten kann, dass fur ihn die Fragedes Glaubens noch gar nicht akut geworden ist, wenn derMensch immer und uberall vor der Glaubens- Frage steht,ganz gleich, wie man das erklart, warum das so sei (ob mitStraub oder anders), dann ware unsere These gegen Ripaldanoch immer richtig: Es gibt keinen Heilsakt ohne Glaube.

• Aber sachlich hatte Ripalda doch recht: Wo Heilsakt ist,ware er ubernaturlicher Akt. Ohne dass die grundsatzlichemetaphysische Distinktion von Natur und ubernaturlicherOrdnung angetastet wurde, ohne dass etwas gegen die Ten-denz von

”Humani generis“ gesagt wurde, ware es doch so,

dass es in der Welt zwei Positionen gibt, wenn auch un-trennbar vermischt fur uns:

Die Position des Neins oder die Position des Jas zu Gott,Und dass es naturliche, honeste Akte gibt, nicht als Zwischen-

zone, so dass es die actus honesti gibt und Sunden und dazwi-schen actus mere honesti, sondern sie schieben sich zusammen,so dass es mere honesti nur innerhalb der honesti geben kann,wenn der Gerechtfertigte aus dem Glauben im Zustand der Sun-de ist.Diese Spekulationen haben ihre Bedeutung. Wenn sie ins Je-suitenkolleg hineingehen, so finden sie am schwarzen Brett beider Pforte so ein Plakat mit dem Inhalt - dem Sinn nach - dieChinesen sind gute Menschen, nur haben sie es nicht zu uber-naturlichem Leben gebracht. Das mussen wir ihnen jetzt primavice bringen.Ist das so einfach oder mussen wir sagen: der Missionar bringtden Todsunder zur Liebe Gottes, und den, der keiner ist, zudem, was er schon ist, Gerechtfertigter? Er sagt ihm, was erschon ist, namlich durch die Gnade Gottes dadurch, dass er imGrunde schon Glaubender ist und nur meint, nicht zu glauben.

16.1.1957 Vorlesung 31 (2.Stunde)

Das Grundsatzliche hinsichtlich der These von Ripalda habenwir schon gesagt.

Zweifellos richtig, nur anderes Wort zum Unterschied von gratia suf-ficiens und efficax, dass der faktische auch naturliche Akt einer cogi-tatio congrua bedarf. Am Namen darf man sich nicht stoßen.

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Zur These von Vasquez Dieser Unterschied einer Situation, in derich mich gut entscheiden konnte, es aber nicht tue und in derich mich schlecht entscheide, obwohl ich gut konnte, hangt vonGott ab.

Diese cogitatio congrua ist etwas, was von Gott abhangt und waszweifellos in weitem Umfang hinsichtlich des Einzelnen etwas ist,worauf der Mensch kein Recht hat.• Aber deshalb ist solche cogitatio congrua noch nicht etwas,

was streng immer und uberall Gnade Christi ware.– Denn so sehr etwas, was zur Natur gehort, dem Einzel-

menschen noch ungeschuldet sein kann - Augen-Haben,Sehen-Konnen, Laufen-Konnen usw. sind Dinge, die zurNatur des Menschen gehoren. Zum Wesen des Menschengehort Entfaltung. Trotzdem kann Gott sie verweigern.

– Und insofern ist so etwas der Natur als Ganzes ge-schuldet, insofern Gott als weiser Schopfer nicht eineNatur wollen kann, der immer und uberall alle dieseDinge fehlen, die im Einzelnen fehlen konnen, abernicht allen.

– Gott hatte nicht lauter Blinde, Lahme, Taube schaffenkonnen, weil solche Ordnung sinnlos ware. -

• Es kann etwas dem Einzelnen ungeschuldet sein und imGanzen der Natur geschuldet sein und deshalb nicht imstrengen Sinne geschuldet.

• Jedes Sehenkonnen, wo es nur in Wirklichkeit vorkommt,ist im strengen Sinne etwas Ungeschuldetes.

• Dasselbe gilt hinsichtlich der Moglichkeit einer sittlichenWesensentfaltung:– Jede einzelne Moglichkeit eines Einzelnen als Einzelnen

kann gegenuber dem Einzelnen ungeschuldet sein.– Aber solche Moglichkeiten des faktischen Vollzugs sind

nicht der ganzen Natur in anderem Grade ungeschuldetwie die anderen Guter der menschlichen Natur.

• Deshalb kann man solche cogitatio congrua nicht im eigent-lichen Sinn in allen Fallen Gnade Christi und im strengenSinn ungeschuldet nennen,– so sehr der einzelne Mensch als einzelner durchaus alle

Hilfen auch zur Erfullung der naturlichen Ordnung,– insofern ihm, dem Einzelnen, gerade in dieser Weise ge-

geben, als Gnade ungeschuldet in ubernaturlicher Ord-nung zum Zwecke des ubernaturlichen Heiles, auffassenkann und darf.

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

Aber wie gesagt: Vasquez ubertreibt den Charakter der Unge-schuldetheit der cogitatio congrua und deshalb kann man nichtjede cogitatio congrua und den daraus fließenden Akt einen,wenn auch modalen, Heilsakt nennen, der von Christus gegebenware.

Wie weit die Natur als Ganze irgendwie wieder propter Chris-tum gegeben wird, ist andere Frage. Wenn man zwischen Na-tur einerseits unterscheiden muss und der ubernaturlichen Er-hebung dieser Natur anderseits, kann ich nicht sagen, dass dieseHilfe auch zum tatsachlichen Setzen eines actus honestus immerund uberall jenen Grad von Ungeschuldetheit erreicht, wie esihn, insofern diese Ordnung Christi von der Natur unterschiedenist, machen wurde, womit nicht bestritten ist, dass diese ganzeOrdnung auch als Ordnung Christi betrachtet werden kann.

Aber innerhalb dieser Ordnung Christi, wenn Inkarnation dasErst-Gewollte ist, gibt ist ein Gefalle, wie die ubernaturlicheHeilsgnade, die man im strengeren Sinne als zur OrdnungChristi des Gekreuzigten gehorig nennen muss. Sachliche An-gelegenheit. Wenn wir in diesem Sinne sprechen, konnen wirnicht die cogitatio congrua ein Gnade Christi nennen.

Das ist zu Vasquez zu sagen.

5.4.1.1 Exkurs: Geschuldetheit und Ungeschuldetheit dieserHilfe

Ratio debiti et indebiti in hocauxilioA. Necessitas vera talis auxi-

lii, datur ad substantiamlegis servandam (Th.4) nondatur ad vitanda venialia(Th.5)

B. Necessitas relativa talis au-xilii, quod non est ne-cessario gratia supernatu-ralis (Th.6) quod non adomnem actum requiritur(Th.7)

C. Ratio debiti et indebit inhoc auxilio

Die Eigenschaft des Geschuldetenund Ungeschuldeten in dieser HilfeA. Die wirkliche Notwendigkeit einer

solchen Hilfe. Sie wird gegebenum das Wesentliche des Gesetzeszu beobachten (Th.4), wird nichtgegeben die lasslichen Sunden zumeiden (Th.5).

B. Die relative Notwendigkeit sol-cher Hilfe, die nichtnotwendigubernaturliche Gnade ist (These6), sie ist nicht fur jeden Akt er-forder.

C. Die Eigenschaft des Geschuldetenund Ungeschuldeten in dieser Hil-fe

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Wir haben bisher in dieser 1. Sectio uber die Notwendigkeit einer be-sonderen Hilfe Gottes zur Erfullung des naturlichen Sittengesetzesgesprochen.

• Die Frage ist noch zu beantworten, ob diese besondere Hilfe alsungeschuldete Gnade anzusprechen ist, ob dieses auxilium einegratia und dann gratia Christi ist oder nicht.

– Die Frage kann gestellt werden hinsichtlich des Menschen,insofern er Erbsunder ist,

– und hinsichtlich des Menschen insofern er personlicher Sun-der ist und dadurch dieser Hilfe unwurdig geworden ist,∗ wenn auch diesem immer noch (aus der 1. These) diese

Hilfe gegeben wird, obwohl er sich durch seine person-liche Todsunde unwurdig gemacht hat.

∗ Wir fragen, ob diese besondere Hilfe immer und uberallauch in geringster Dosis auch als Hilfe zu dem Posse-honeste-agere immer ungeschuldet ist oder ob Gott siedem Erbsunder schuldet.

– Daruber sind sich die Theologen bis heute nicht einig.∗ Wir sagen aber, an und fur sich sind sie dem Menschen

als bloßem Erbsunder noch geschuldet.∗ Hier hat die Theologie eine Entwicklung:

· im Streit um den Pelagianismus hat man nicht deut-lich unterschieden zwischen Hilfe Gottes zur sittlichenHandlung insofern sie honeste

· und insofern sie Heilsakt ist.∗ Weil diese Distinktion nicht so deutlich da war, hat Au-

gustinus diese Hilfe Gottes als Gnade erklart∗ und auf das Ganze gesehen, hat er recht, denn die

ubernaturliche Hilfe, das eigentlich Pneumatische ist alsUbernaturliches schon der Natur ungeschuldet und demMenschen als Erbsunder erst recht nicht geschuldet.

∗ Aber wenn wir unterscheidend fragen: Ist diese Hil-fe auch dem Erbsunder als solchem ungeschuldet odernicht, dann werden wir gegen die Tendenzen bei Augus-tinus sagen: Nein, sie ist ihm geschuldet.· Grund: Weil man diese Hilfe einerseits notwendiger-

weise braucht, und es jetzt allmahlich ein selbstver-standliches Axiom geworden ist, schon seit dem Mit-telalter (Thomas) durch die Unterscheidung zwischenNatur und Ubernaturlichem,

· dass Gott uns nur jene Guter verweigern und versa-

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5.4 These 7 Gutsein ohne ungeschuldete Hilfe

gen kann als uns ungeschuldet, die dem Adam schonungeschuldet waren. Deus iustus in poenam pecca-ti originalis nec denegat nec denegare posse videtur,quae naturae ut tali conveniunt vel ab ea exigi iurepossunt.

Also heiligmachende Gnade, Unsterblichkeit kann er uns nehmen,weil er sie dem Adam nicht schuldete. Ihr Geben und Verleihenkann er von jeder Bedingung abhangig machen.

Dagegen ist die Theologie heute uberzeugt: Gott kann das, waser der Natur an sich schuldet war, einem Menschen dann ver-weigern, wenn er personlich gesundigt hat, nicht aber wegen derErbsunde. Daruber mehr im Traktat uber die Erbsunde unduber die Folgen der Erbsunde.

Der Erbsunder und der Mensch der reinen Natur unterscheidensich im inneren Gefuge der Natur nicht, sondern Gott hat demErbsunder nur die dem Adam ungeschuldeten Guter genommenals Folge und Manifestation der Erbsunde. Die Moglichkeitdas sittliche naturale Wesen des Menschen zu vollziehen istetwas, was Gott dem Menschen schuldet, sogar mehr schuldetals rein physische Guter. Gott kann der physischen Persondes Menschen zwar das Augenlicht verweigern, aber nichtdie Moglichkeit verweigern, die Todsunde zu meiden, weilsonst die Todsunde keine Todsunde mehr ware, das heißt einVerantwortbares von diesem Menschen.

In einem status naturae purae ware dieses auxilium speciale su-peraddendum aber etwas dem Menschen Geschuldetes, wenigs-tens im großen Ganzen. Welche Momente von Ungeschuldetheitda noch sein konnten, wollen wir hier nicht untersuchen.

Dieses Prinzip brauchen wir nicht naher prazisieren, weil keinerdas leugnet. Es gilt dieses Prinzip: dieses auxilium speciale wargeschuldet vor der Erbsunde und ist deshalb im selben Gradund mit denselben Einschrankungen auch dem Erbsundigen ge-schuldet.

Das ist eine theoretische Frage, von der nicht viel abhangt.• Denn es ist klar, dass der konkrete Mensch, um das Heil

faktisch zu wirken, immer mehr Hilfe braucht, als Gott ihmschuldet.

• Denn Gott kann es immer so machen, dass der Menschschuld ist und trotzdem diese Sunde infallibiliter begeht,

• denn er kann immer hinreichende Gnade geben, mit der manschuldhaft aber de facto nicht mitwirkt.

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5 Gnade als Mittel zum Heil, Kap.II, sect 1 des lat. Kodex

– Das Vollziehen des Heiles in dem konkreten Einzelnenals solchem, ist doch irgendwo etwas Ungeschuldetes,Gnadenhaftes.

– Erst recht, wenn der Mensch auch de facto personlichSunder war und ist, und damit das Recht auf die gratiasanans, das er vielleicht hatte und das ihm geschuldetware, erst recht personlich verwirkt hat.

• Das genuge uber diese Sache.

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6 Existenz der ubernaturlicherhebenden Gnade (II,sect.2des Kodex)

Sect. 2Regionem vere et presse theo-logicam in tractatu ingredi-mur: Existentia gratiae super-naturalis elevantis.

1. Existentiam voluntatisDei vocantis nos ad fi-nem supernaturalem,

2. Dieses kann der Menschnicht erreichen, außermit einer Gnade, diefur jeden Akt notwen-dig ist, die einen posi-tiven Schritt darstellt,um dieses ubernaturli-che Ziel zu erreichen.

Wir treten nun bei unserem Traktatein in einen Bereich, der im engerenSinn theologisch ist: Die Existenz derubernaturlichen erhebenden Gnade.

1. Die Existenz des Willens Got-tes, der uns beruft zum uberna-turlichen Ziel.

2. Dieses kann der Mensch nichterreichen, außer mit einer Gna-de, die fur jeden Akt notwendigist, die einen positiven Schrittdarstellt, um dieses ubernatur-liche Ziel zu erreichen.

Dadurch dass wir scholastische Begrifflichkeit voraussetzen, wenn wirvon der Notwendigkeit der heilenden Gnade gesprochen haben, habenwir schon einen Blickpunkt eingenommen, der nicht der ist, der sichvon vorneherein als erster anbietet.

Im Gegenteil: Wenn wir unbefangen und nicht von vorneherein scho-lastische Begriffe voraussetzend, sondern den Blickpunkt der Schriftund unserer Heilssorge einnehmen wurden, mussten wir in anderemMarsch vorgehen:

Gott hat den Menschen angerufen zu absoluter Nahe, von Ange-sicht zu Angesicht, zu Teilnahme, zu Leben in dem Gott in sei-ner Doxa, der Kreatur wird, zu einem Leben, in dem das Zielgutnicht etwas Geschaffenes sondern Gott selbst ist.

Zu diesem Ziel und Ende muss der Mensch durch sein freies,personales Tun kommen und deshalb muss dieses freie perso-nale Tun des Menschen so sein, dass es diesem so angerufenen

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Menschen entspricht und diese Akte, die so sind, nennen wirdann Heilsakte, Akte, in denen der Mensch sein Heil wirkt.

Und nun hatten wir von diesen Akten gleich sagen konnen: dieseAkte konnen, und zwar jeder einzelne, in der Dimension diesesGottes einer absoluten Selbstmitteilung im heiligen Pneuma ge-tan werden, sind schon Anfangsvollzug jenes ewigen Lebens, vondem wir angesprochen sind. Scholastisch heißt das:Ad omnem actum salutareminterna gratia supernaturalisabsolute et physice necesariaest.

Zu jedem Heilsakt ist eine innereubernaturliche Gnade absolut undphysisch notwendig.

Wir hatten dann erst, wenn wir diesen Heilsakt betrachtet haben,hatten wir sagen konnen: Er hat innerlich noch mal eineStruktur.• Der ist dem bleibenden Wesen des Menschen konform und• er ist dem gottlichen Leben, das uns sich mitteilt, konform.

– Und in diesem mussen wir unterscheiden: actus hones-tus und

– Erhohung dieser naturalen Struktur, die wir ubernatur-liche Erhohung nennen,

– so dass wir den ganzen Akt salutaris nennen.∗ Dann: Kommt so ein actus honestus auch außerhalb

seiner Funktion, inneres konstitutiv des Heilsakts zusein, vor?

∗ Und wenn man dazu”ja“ sagen muss:

· Gibt es auch dafur die Notwendigkeit einer HilfeGottes.

· So kame das, was vorne gesagt wurde, erst hinter-drein.

Das ware christlicherer Aufbau. Innerhalb des Heilsaktes wareder actus mere honestus vorgekommen.• Wir treffen die Natur an als Element unseres konkreten,

ubernaturlich erhohten Wesens.• Unser Aufbau zeigt eine falsche Perspektive, auf die wir aus

historischen Grunden eindresssiert sind, eine falsche, eigent-lich nicht primare Perspektive:– Die erst von der Natur ausgeht und– nachtraglich feststellt, dass sie auch ubernaturlich er-

hoht ist.Wenn das, was wir bei Ripalda sagten, richtig ist, dann ist das

Erste und Letzte immer:• der von dem Gott der Gnade angerufene Mensch, der

Mensch der erhohten Natur.

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

• Erhohung und Natur in der erhohten Natur sind nachtrag-liche Ausgliederungen.– Dasselbe gilt hinsichtlich des Aktes der erhohten Natur.– Da konnen wir nachtraglich ausgliedern:∗ honestus und∗ elevatus∗ (salutaris beides zusammen)

Das war zur Kritik an unserem Vorgehen und warum wir jetzt erst indie Theologie der Gnade und in die theologische Anthropologie richtighineinkommen.1

6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeterGnade

These 8. Ad omnem actum salutarem interna gratia supernaturalisabsolute et physice necessaria est.

Zu jedem Heilsakt ist absolut und physisch innere, ubernaturlicheGnade notwendig.

siehe auch These 8 im lateinischen Kodex

6.1.1 Klassische Thesenstruktur

Nexus Zusammenhang

Und da es einen Willen Gottes zu solchen Heilsakten gibt, d. h. Gottwill efficaciter (wirksam), dass solche sind. Wenn Gnade dazu absolutnotwendig ist, folgt auch, dass solche Gnade existiert.

Das wissen wir auch von den Offenbarungsquellen her selbst, wo Gottsagt: Ich bin der, der sein Pneuma ausgießt, der die Menschen zuKindern der Rechtfertigung macht und den Geist des Lebens usw.ausgießt, den Geist der Teilnahme an der fÔsic jeÐa usw., was wirjetzt genauer durchnehmen werden.

Dass es feststeht, dass wir berufen sind zu diesem Ziel, dass wir nichtnur ad eum recipiendum sed ad appetendum et adipiscendum obliga-mur, (verpflichtet sind, es anzunehmen sondern auch es anzustreben)

1diesen hier angedeuteten Aufbau des Gnadentraktats hat Rahner im parallel zu dieser Vorlesung statt-findenden Seminar uber ”Natur und Gnade“ entwickelt und dann zwei Jahre spater in der Sondervor-lesung uber ”dogmatische Anthropologie“ im zweiten Teil der Vorlesung auszufuhren begonnen. DieseVorlesung uber dogmatische Anthropologie musste also noch erganzt werden durch die Probleme, dieam Anfang der Vorlesung uber die Gnadenlehre behandelt wurden, wie es in diesem Abschnitt hierangedeutet wird. Der lateinische Kodex hat diese Sicht noch nicht

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

das ist, was unser Heil ist, in dem pragnantesten, gefulltesten Sinn,der sich enthullt hat in der Heilsgeschichte.

Conceptus Begriffe

Heil ist etwas sehr Vages: gesund sein, nicht krank sein, es ist einBegriff, der sich aufgeladen hat in der Geschichte der Heilser-kenntnis. Das ewige Heil in der unmittelbaren Gemeinschaft desHeiligen, vom Tode Unbedrohten, das Leben und jedes denkbareHeilsgut in absoluter Fulle notwendig Besitzenden. Dieser Be-griff hat sich dabei aufgeladen.

Actus salutaris: (Heilsakt,) Akt der auf dieses Heil hin positiv geht.Positiv: heißt, wie wir aus dieser und den folgenden Thesen se-

hen werden, bedeutet gerade: von innerer Homogenitat mit demHeilsbesitz dem Heilsvollzug, der Teilnahme, die jetzt schon an-hebt. Wir sind Kinder Gottes und es muss nur offenbar werden,was wir schon sind. Wir haben den Geist Christi, der das Heils-gut ist. Insofern ist jener Akt salutaris, der in diesem positivenSinne auf das ubernaturliche Heil hinstrebt.• Von diesem Akt sagen wir nun, er musse, weil und insofern

er• eine solche inchoatio salutis aeternae (Anfang des ewigen

Heils) ist,– ein positiver Schritt darauf hin,– im Gerechtfertigten ein Akt des Verdienstes ist, den

Gott beantworten muss,∗ von diesem sagen wir, dass er immer und in jedem

Fall∗ nur aus einer inneren ubernaturlichen Gnade Gottes

gesetzt werden kann.• Wie sich spater noch deutlicher zeigen wird, bedeutet diese

Notwendigkeit– eine essentielle,– nicht existentielle Notwendigkeit,∗ sie betrifft die innere Qualitat,∗ nicht das faktische Gesetztwerden des Aktes.

· Von dieser inneren Qualitat sagen wir,· dass sie ohne diese innere, ubernaturliche Gnade

nicht moglich ist.Die Frage nach der Gnadenhaftigkeit des faktischen Tuns

solcher Akte, also die Gnadenhaftigkeit des Faktums gegenuberder als positiv zur essentiellen Moglichkeit und essentiellenStruktur der Aktes, davon reden wir spater.

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

• Naturlich hat die Tradition auch bei Augustinus so deutlichdas nicht unterschieden. Er hat einfach gesagt: Alles wasder Mensch zu seinem Heil tatsachlich tut, kann er nur tun,mit der Gnade Gottes.

• Dass darin noch viele Satze ununterschieden drin ruhen,das hat die fruhere Tradition nicht so deutlich gesehen, daswurde erst mit der Zeit reflex herausgearbeitet.– In mancher Beziehung ist es auch heute nicht so deutlich

klar.– Hinsichtlich der Gnadenhaftigkeit oder des Grundes,

warum das so ist, was die These sagt.∗ Der Grund dafur, die Unterscheidung der Gnaden-

haftigkeit der wirksamen Gnade∗ von der Gnadenhaftigkeit der bloß zureichenden

Gnade, insofern sie auch in bloß naturlicher Ordnunggegeben sein konnte und musste,· da ist man sich nicht klar, dass diese unterschieden

werden konnen.· Das mussen wir spater sehen.

18.1.1957 Vorlesung 32

Nexus Zusammenhang

Wir kommen zur christlichen Lehre von der Gnade.

Im ersten Kapitel: Der Mensch ist zur visio beatifica berufen, zueinem ubernaturlichen Ziel. Wir wissen, dass der Mensch derist, der sein Heil wirken muss durch freie Entscheidungen, per-sonales Tun, das in seinem ganzen Leben in seiner ganzen Breitevollzogen wird.

Dadurch entsteht die Frage: Wie verhalten sich diese Akte zu die-sem ubernaturlichen Ziel, dessen Ubernaturlichkeit wir schonvoraussetzen konnen und die spater noch deutlicher wird durchdie Ubernaturlichkeit der Gnade. Es muss dieses ubernaturlicherreicht, verdient werden.

Auf der anderen Seite: Ubernaturliches geht uber das naturlicheWesen des Menschen hinaus.• Etwas, was Gott diesem Menschen auch als dem schon Vor-

handenen mit menschlich geistigem Sosein auch verweigernkonnte,

• ohne dass Gott gegen seine Sinnhaftigkeit verstoßen und

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Unrecht gegen den Menschen begehen wurde.– Wenn dieses sinnhaft ist, dann ist klar, dass die Akte

eine innere Proportion in diesem Fall nicht haben.– Frage: Begnugt Gott sich mit diesem? Rechnet er diese

Akte eben so an, dass dann, wenn sie so und so vollzogensind, dafur das ubernaturliche Ziel gegeben wird?

– Oder verlangt er Proportion, und dann muss er eben dieMoglichkeit geben fur diesem Ziel homogene Akte.

Ob es eine echte, wirklich innere Moglichkeit gibt fur die ersteMoglichkeit, oder ob diese nur eine rational begriffliche Sacheist, daruber brauchen wir uns hier nicht den Kopf zerbrechen,• weil wir aus der Schrift und der Lehre der Kirche und Tra-

dition wissen,• dass Gott innerlich zum ewigen Leben proportionale Akte

gewollt hat• und dazu die Moglichkeit gegeben hat.

Heilsakte sind solche, die dem ubernaturlichen Ziel proportio-niert sind. Das beweisen wir in dieser und den nachsten Thesen.

Hier sagen wir: Nach der Lehre der Offenbarung bedarf es zu je-dem Heilsakt der inneren ubernaturlichen Gnade.Dann ist die Frage: warum braucht es zu jedem Akt solche

ubernaturliche Gnade?Spater, wenn wir die Ubernaturlichkeit der Gnade gesehen

haben, ist klar, diese Heilsakte bedurfen der ubernaturli-chen Gnade,

weil sie dem ubernaturlichen Ziel homogen sein sollen.• Das ist aus der Natur der Sache verstandlich,• und wird, wenn auch nicht in solchen abstrakten For-

mulierungen, von der Schrift ausdrucklich gesagt.

Begrifflichkeit: Conceptus

Heilsakt: Akt der frei vom Menschen gesetzt wird, ubernaturlichwirklich positiv zum ubernaturlichen Ziel hintragt,• sei es, dass er eine eigentliche Rechtfertigung des Menschen,

also die Zustandlichkeit des Menschen bewirkt, durch die erunmittelbaren Anspruch auf den Zielbesitz hat,

• sei es, dass dieser Akt positiv zu dieser Rechtfertigung vor-bereitet und Schritt auf das Ziel hin ist.

Positiv: ist gemeint im Gegensatz zu etwas,• was als Sunde Aufhebung dieser Zielerreichung ist• oder kein wirklich forderndes Verhaltnis zu solcher Zieler-

reichung hat.

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

Innerlich: wir sagen, diese Gnade muss innerlich sein, insofern nam-lich,• als es sich nicht bloß um die außere Mahnung Gottes, um

Wortoffenbarung handelt,• nicht nur um ein Beispiel (Vorbild)• sondern um eine innere, den hoheren Fahigkeiten des Men-

schen von Gott verliehene Befahigung.– Dass es das gibt, wissen wir aus der Offenbarung. Sie

spricht deutlich davon,∗ dass Gott dem Menschen solche Heilsakte nicht bloß

durch Belehrung, Aufforderungen ermoglicht,∗ sondern dass er die Verweigerung bedroht mit Strafe,

· nicht nur dadurch, dass er ihn ermuntert, padagogi-sche Hilfen der Leitung, Fuhrung angedeihen lasst.

· Sondern wie wir aus der Schrift wissen, gibt esHl.Geist, der ausgegossen ist in unsere Herzen,

∗ Wirken Christi in uns, das abgehoben ist von derPredigt,

∗ gibt es innere Erleuchtung, Inspiration usw.– Dadurch wissen wir: Innere Gnade muss es geben. Von

dieser reden wir.∗ Dass Offenbarung, außere Providenz, Lehramt usw.

auch zur ubernaturlichen Ordnung gehoren, demMenschen heilsam und doch ungeschuldet,

∗ das ist mit der Forderung der inneren Gnade, dieubernaturlich ist, nicht geleugnet.

ubernaturlich: Spater werden wir in eigentlichem Kapitel uberUbernaturlichkeit, vom Sinn und der Tatsachlichkeit dieserUbernaturlichkeit sprechen. Hier: in vagem Sinne gemeint: et-was Ubernaturliches = etwas was mit dem Ziel zu tun hat, aufdas der Mensch hingerichtet ist. Genauer brauchen wird dasnicht definieren. Wir sagen von dieser so vage beschriebenen in-

neren und ubernaturlichen Gnade als einer objektiv von Gottverliehenen Moglichkeit des Heilshandelns des Menschen, dieseGnade sei absolut und physisch notwendig.

Notwendig: Zunachst einmal heißt notwendig: Ohne diese Gnadegeschehen solche Akte nicht.

Absolut: sie geschehen in keinem Falle, nicht nur schwer, muhsam,selten vorkommend. Sondern ohne diese Gnade in keinem Fallegeschehend.• Naturlich ist diese Absolute in anderem Sinne hypothetisch:

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

die Ordnung, in der es keine gabe, ist eine frei von Gott ge-setzte Ordnung, die auch nicht gesetzt hatte werden konnen.

• Fur andere Ordnung ist solche Forderung nicht wahr. Abereinmal diese Ordnung als Verpflichtende fur den Menschenvorausgesetzt in ihrer Struktur, die von Gott gesetzt ist,

• in dieser gibt es keine Moglichkeit eines Heilsaktes ohneubernaturliche Gnade.– Z. B. in dieser Heilsordnung ist denkbar, dass der

Mensch von dieser Ordnung nichts weiß. Auch solcheHypothesen gesetzt.: Dass der Mensch dumm ist, nichtsweiß von der Offenbarung usw., dass die da bleiben,

– bleibt es doch wahr: Ohne Gnade gibt es auch unterdiesen Umstanden (Voraussetzungen) keinen Heilsakt.

physisch: nicht in dem Sinne von etwas Physikalischem. Inwieweites auch ontische Realitat hat daruber sprechen wir spater.• Physisch: Ohne diese Gnade ist es nicht nur schwer sondern

ist die reale Fahigkeit, mittels derer solcher Heilsakt gesetztwerden kann, nicht vorhanden.

• Necessitas physica grenzt diese gegen nur moralische Not-wendigkeit ab.– Wenn die Fahigkeit da ist, dann kann solcher Akt aus

außeren Grunden immer noch schwierig sein, geschadigtsein.

– Das ware moralische Schwierigkeit.• Aber weil und insofern wir wissen, dass

– kein einziger solche Akt ohne solche Gnade aus demWesen des Menschen erfließen kann,

– daraus erkennen wir auch, dass diese Unmoglichkeit desMenschen, einen Heilsakt fur sich allein zu setzen, dar-aus sehen wir,∗ dass diese Fahigkeit physisch nicht da ist,∗ denn sonst musste sie ihn auch setzen konnen,∗ denn anderer Grund ist nicht denkbar fur die allge-

meine Unmoglichkeit. (siehe Thesen 4, dort ist ande-rer)

Da die Kirchenlehre eindeutig lehrt, dass kein Heilsakt ohneGnade moglich ist, darum ist diese Aussage nur die genauereExplikation dieser Kirchenlehre, wo diese Absolutheit undphysische Notwendigkeit nicht explizit definiert ist, aber drin-steckt in der Unmoglichkeit fur alle.

Adversarii: Gegner der These

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

Pelagiani: Die klassischen Gegner sind die Pelagianer.• Sie leugneten die Erbsunde und glaubten, dass jeder

Mensch, der ins Leben tritt, als der Gottgemaße auch vonseinem adamitischen Ursprung her auftritt, dadurch, dasser der ist, der er als Kind Adams ist, auch der ist, der dieinneren Fahigkeiten des Heilswirkens hat.

• Wenn er gesundigt hat, dass er der Vergebung bedurfe ineinem begnadigenden Akt, leugneten sie nicht. Auch, dassdurch innere Erleuchtung der Weg gezeigt werden kann.

• Aber die eigentliche Notwendigkeit einer inneren, der geis-tigen Entscheidungsfreiheit des Menschen zu verleihendenGnade, gegen die wehrten sie sich, die schlossen sie aus.– Man muss zugeben, dass die Pelagianer, die Rationa-

listen, die tugend-stolzen, monchischen, in der Tugendverharteten Theologen waren.

– Sie brachten von sich aus etwas mit, was dem Verstand-nis des Gnaden Charakters nicht entsprach.

– Man muss zugeben, dass sie Haretiker waren, die vonHaus aus unterbelichtet waren, um diese Glaubenswahr-heit zu begreifen.∗ Aber ihr ausdrucklicher Widerspruch hat sich an der

Lehre Augustins entzundet, welche dem Kampf zwi-schen Augustinus und Pelagianismus vorausging.

∗ Das ist das Tragische: Die wahre Lehre der Kircheund des Christentums wird von den faktischen Ver-tretern immer so ausgerichtet,· dass es irgendwo wieder, wenn auch nicht objektiv

berechtigt,· so etwas, wie ein Argernis, Skandal, ein Anlass zu

diesem, ein Funken fur die nichtkongeniale Menta-litat der Haretiker hineingeworfen gibt.

• So Luther gegenuber und historisch darf man vielleicht nichtleugnen, dass da Augustinus, wenn auch nicht schuldig– (wenn man von bei-anderen-entschuldigender Schuld re-

den kann und dabei unterscheidet– zwischen den-anderen-entlastender Schuld– und personlicher Schuld)

• hat er historische Schuld dadurch, dass er es den Pelagia-nern nicht leicht gemacht hat, die christliche Lehre zu sehen.Warum - spater.

Pelagius: Schuler Caelestins - spater von 420 ab besonders Julia-nus von Ekklanum, italienischer Bischof, Vorkampfer des Pela-

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

gianismus wahrend Pelagius langst verschwunden war. Die ei-gentlichen Schriften Augustins gegen den Pelagianismus richtensich gegen ihn.• Naturlich auf beiden Seiten Verschiedenes nicht durchein-

ander aber unartikuliert und ungeschieden beieinander.• Die Frage, wieweit der Mensch Gnade braucht gegen die

Begierlichkeit, Welt, Sunde, Anreiz von außen, das Natur-gesetz nicht zu beobachten,

• wieweit um das ubernaturliche Ziel zu wirken, vita aeternazu erreichen,– wie weit diese Gnade Gnade ist, weil sie das Wesen die-

ses Heilswirkens erhoht, anders macht, als wenn vomMenschen gewirkt,

– und weil Gott macht, dass er die Akte setzt und nichtnur macht, dass er sie setzen kann,

• all das war noch ungeschieden beieinander, und hat es bei-den Seiten schwer gemacht, sich zu verstehen.

• Wie weit diese Gnade die Freiheit befreit und sie nicht, weilGnade, aufhebt,

• wie weit, ob mit oder ohne Gnade, Freiheit da ist, war nichtso deutlich geschieden voneinander.

1. Und es ist einmal in der Geschichte so: Alle diese Dinge, diehinterher sehr einfach auszusehen scheinen, dauern Jahr-hunderte.

2. Einer bietet eine Distinktion an, und die Leute, die sie brau-chen, nehmen sie nicht an,a) weil sie noch nicht so weit sind, dass sie die Unklarheit

ihrer Position haben.b) Antwort nimmt nur einer an, der die Frage sieht.

i. Es gibt Fragen, die einer langen Einubung bedurfen,bis die Frage gesehen wird.

ii. Vorher meint man, die Sache sei klar.c) Die schlimmsten Krankheiten sind die, die man nicht

merkt.d) Sie merken ist Anfang von Gesundung.

• Wirkliche Dummheit tut nicht weh.• Das gibt es auch in der Kirchengeschichte,• im Fortschritt ihrer Dogmenentwicklung.

e) Es ist gut, dass es so ist, sonst ware im ersten Augen-blick des Paradieses die ganze Weltgeschichte gesche-hen, sie ware so rasch abgeschnurrt, dass alles schonvorbei ware.

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

Qualifikatio: Theologische Qualifikation

De fide definita, eine der Grundwahrheiten des Christentums.Dass der Mensch nur und ganz sein Heil Gott verdankt, in die-

sem Sinne gibt es ein katholisches Prinzip der sola gratia. Nurmit Gnade gibt es Heil. Gnade ist also von vorneherein nichtnur etwas, was man manchmal braucht, ein Schmiermittel furdie Maschine, die sonst auch, wenn auch mit mehr Reibung nochlaufen wurde, sondern das, wodurch der Mensch uberhaupt erstin der Dimension ist, in der er dann naturlich als freie, verant-wortliche Person sein Heil wirken kann.

Man kann gewissermaßen sagen, Gnade hilft dem Menschen zumHeilshandeln. Vielleicht deutlicher, die Gnade macht uberhaupterst, dass der Mensch in der Dimension des Heilshandeln-Konnens ist.Dass sie auch bewirkt, dass er darin auch handelt, gehort inanderes Kapitel, wo der Unterschied zwischen gratia efficax undsufficiens behandelt wird. Hier kommt es auf den anderen Aspektan.

Man kann naturlich reden vom Zusammenwirken von Menschund Gott. Das tut auch die Kirche, es ist also legitim, aber auchnicht ganz ungefahrlich. Denn sobald man von Zusammenwir-ken redet, tut der eine das, der andere das, und aus beidenzusammen gibt es ein paar Stiefel; - oder beide ziehen amselben Wagen. Solchen Synergismus gibt es in der katholischenGnadenlehre nicht. Denn dass jeder Akt nur mit und durchdie Gnade geschieht, zeigt, dass ich ohne sie schlechterdingsnichts kann. Wenn man von Zusammenwirken redet, hat manden Eindruck, jeder fur sich kann etwas, und der Beitrag, dervom einen und vom anderen je fur sich geleistet wird, wirdgewissermaßen zusammengesteuert.

Dann musste man sagen, etwas kann der Mensch auch fur sichallein, vielleicht nicht viel, und dann muss ihm von der Gnadeweiter auf die Strumpfe geholfen werden. Das ware Semipela-gianismus.Diese Auffassung ist eine in der Kanzelberedsamkeit Weiterwir-kende: Du musst dich einmal anstrengen, dann wird Gott schonweiter helfen. Das ist Semipelagianismus oder ganz pelagianisch.Es supponiert: Du musst einiges doch selber fur dich allein tun.Dann muss Gott weiterhelfen.

Ich habe da einen Artikel fur das Lexikon fur Theologie und Kir-che von einem Dominikaner bekommen, von einem der mehr auf

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Banezianischem Standpunkt steht. Er sagt mit Recht an und fursich: Die Gnade der Beharrlichkeit kann man nicht verdienen, sieist ungeschuldete Gnade Gottes. Aber, sagt er, die kann man sicherbeten, unfehlbar. Das ist naturlich richtig. Aber jeder Theo-loge, der ein scholastisches Lehrbuch uber Gnade studiert hat,weiß naturlich, dass ich eben nur beharrlich bete, wenn Gott mirdazu seine Gnade gibt. Er gibt sie mir, er gibt mir hinreichen-de Gnade dafur. Gibt er nicht auch Wirksame dafur, bete ichnicht. Wenn ich nicht beharrlich bete, gibt er auch die Gnadeder Beharrlichkeit nicht.

Irgendwo ist der Mensch Gott restlos ausgeliefert. Ich weiß,dass er der Gott eines ehrlichen Heilswillens ist, eines echtenHeilswillens. Aber es ist nicht so, dass meine Freiheit ihn erst zueinem Ernsthaften macht, auch nicht so, dass der, der sich aufWirksamen bezieht, starker gemacht ware durch mich, sonderner ist starker ebenfalls durch ihn.

Das alles steckt drin in”omnis actus“. Auch das schuchternste

Gebet, die bloße Sehnsucht, Gott moge mir gnadig sein, all dasist seine gnadenhafte Gabe, die in ihrem Wesen und Vorhan-densein immer schon Gnade ist. Gott und der Mensch kommensich nicht so entgegen, dass jeder ein Stuck lauft. Ich muss auchlaufen, aber in meinem Gott-Entgegengehen kommt mir Gottentgegen.

Dann sind wir ja ganz Gott ausgeliefert? Augustinus sagt dar-auf: Wurdest du denn lieber dir selbst ausgeliefert sein als Gott?Wir sind in Gottes Hand sicherer als in unserer Eigenen.

Naturlich sehen sie, welche innere Struktur das letzte Daseins-bewusstsein des Menschen hat, wenn ihm in solchem Spruchzugemutet wird, dass er sich als solcher unsicher, bedroht fuh-len muss, wenn und insofern er sich allein uberlassen ist.

Untersuchung des heutigen Daseinsverstandnisses unter dieser Ruck-sicht.

• Man konnte sich ja eben denken, dass es das falsche, pelagia-nische, wurzelhaft sundige, atheistische Daseinsverstandnis wa-re, das anonym herumgeistert bei unserem Daseinsverstandnis:Alles ist bedroht in uns, von den Bazillen angefangen, außer mirselbst. Irgendwo habe ich ein Zone, wo ich fur mich bin, wo ichin Identitat mit mir das Besorgte und der Besorgende bin, wonichts mehr passieren kann, sondern nur von außen.

• Zugegeben, dass das moderne existentialistische Daseinsgefuhldiese Daseinssicherheit nicht hat und nicht behauptet zu ha-

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

ben. Denn dass die Freiheit das Schlimmste ist, zu dem manverdammt ist, so dass die Unsicherheit nicht von außen kommt,sondern im tiefsten Wesen sitzt, ist moderne Daseins Erfahrung.Sie ist besser in diesem Sinne als die Pelagianische.

• Der Pelagianer hat gemeint: Dahinein in dieses letzte mit sichselbst identisch, ontisch und existentiell mit sich identisch Seinder Person, dahinein kann Gott nicht reden, sonst ist es nichtFreiheit, und es muss Freiheit sein. Und da sagt Augustinus:Nein, gerade das ist in Gottes Hand und in dem Maße ist es erstfrei.

• Hier ist die Thematik der Kreaturlichkeit begriffen und durchge-fuhrt: Namlich, dass der Mensch nicht durch Abstand von Gotter selber wird, sondern durch die großere Nahe. Dass, je mehrGott uns naheruckt, desto mehr werden wir wir selber.

(Siehe These 2 und These 17)

23.1.1957 Vorlesung 33

Status quaestionis iam explicatus est, etiam quid sit actus salutaris,gratia interna, supernaturalis, physica et absoluta necessitas. Tenorthesis tunc per se patet. Qualificatio: de fide definita. physice et ab-solute: explicationes.

Probatio: Beweis

Nunc debemus thesim probare. (Jetzt mussen wir die These beweisen

Magisterium: Lehramt der Kirche

Indiculus, Arausicanum (”sicut oportet“ ist Fachausdruck fur ele-

vatio!)Tridentinum sess.6 cn.1-3 Explicite: nullum actum salutarem fie-

ri posse sine gratia interna.Oportet scire: non primo emanasse in Tridentino, sed tempore

Auugustini in aperta professione ecclesiae iam erat; invenituriam tunc.

Scriptura: Schriftbeweis

Codex noster habet conspec-tum de doctrina Paulina et Jo-annea de gratia. Multa punctacontinet, quae non immediatehanc thesim tangunt.

Unser Kodex enthalt einen Uberblickuber die Gnadenlehre des Paulus unddes Johannes. Er enthalt viele Punk-te, die diese These nicht unmittelbarberuhren.

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Auf der anderen Seite bietet er doch nicht alles, was fur die Lehre derGnade erforderlich ist. Gewisse Punkte des scholastischen Traktatessind schon hier gesammelt, damit wir einen Uberblick (conspectus)uber die Sache haben.

Synoptiker: Es ist nicht so, dass nichts in den Synoptikern gefundenwird uber die Gnade. Umwandlung in gerechtfertigten Menschen(Transformatio in hominem iustum) ist nicht explicite vorhan-den, aber die Sache selbst ist genugend (sufficienter) da.

Ad mentem synopticorum: reg-num Dei in corde. Transfor-matio fit per operationem di-vinam, in qua Deus hominemaccipit tamquam filium, qui re-dimitur a peccato, transferturin regnum, in quo hereditas inintimo consortio cum Deo ha-betur ubi cor sincerum videtDeum.

Nach dem Sinn der Synoptiker: DasReich Gottes ist im Herzen. Die Um-wandlung geschieht durch gottlichesWirken, wo Gott den Menschen an-nimmt als Sohn, der von der Sun-de erlost wird, in das Reich versetztwird, in welchem man die Erbschaftin der innersten Gemeinschaft mitGott hat, wo das ernste Herz Gottanschaut

Wenn das betrachtet und erwogen wird und daraus die Konse-quenzen gezogen werden, kommt man zur selben Lehre implizite,die in der theologia Paulina und Joannea da ist. Es ist so, dassPaulus fur unseren Kaptus die Gnadenlehre leichter bietet. AberChristus in synopticis auch. Er ist ja die gratia incarnata. Dasbedeutet dasselbe, was Paulus und Johannes in anderen Terminihaben.

Doctrina Paulina: Lehre des PaulusSelbst schauen, was im Codex steht.Aus theologischen Grunden gegen die Reformatoren: biblischeBegrundung des Konzils von Trient. Es ist zu zeigen: Gnadeist im NT nicht bloß Heilsdimension des Erbarmens und derAnnahme von Seiten Gottes, sondern den Menschen innerlichumgestaltende Gabe, wenn auch q�ric bei Paulus nicht etwasbedeutet, [was den Menschen innerlich umgestaltende Gabe ist]1. Gnade ist etwas internum et permanens

A. Aliquid internum: wenn der Heilige Geist in unseren Her-zen ausgegossen ist, wir dadurch innerlich gesalbt und ge-siegelt sind, Gott in uns wohnt, wir getrankt sind mit derGnade: solche Bilder zeigen, dass die Rechtfertigungsgna-de, jener ubernaturliche Zustand, den wir als Getaufte,Glaubende haben, etwas ist, was dem Menschen innerlichist, nicht nur in einer Heilsdimension, sondern er ist der,der im Geiste lebt, so dass er ihn erneut, umgestaltet. Da

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

ist die Gnade deutlich als etwas Innerliches beschrieben.Kein Zweifel!

B. Aliquid permanens. Dieser innerlich den Menschen durch-waltende Zustand ist ein Zustand, eine dauernde Eigen-tumlichkeit. Er kann naturlich verloren gehen, so wie erauch hineingetreten ist. Aber es handelt sich nicht im ac-tualistischen Sinne um ab und zu erfolgende Antriebe,sondern um ein Dauerndes.Wiedergeburt, Getrankt-Sein, Einwohnung: Drucken dasdeutlich aus. Das Pneuma wird als etwas aufgefasst, wasuns gegeben ist, so dass die einzelnen pneumatischen Ta-ten, das Im-Geist-Wandeln, Im-Geist-Frucht-Bringen alsFruchte des Geistes aufgefasst werden. Der Einwohnendeund die Gaben als Fruchte mussen auseinandergehaltenwerden. Diese Dinge sind an sich klar.

2. Gnade ist aliquid supernaturale.Nun mussen wir weiter sagen: dieser dauernde, den Men-schen innerlich umwandelnde Zustand des Kindes Gottes,der Anteilnahme an der gottlichen Natur (petrinisch), desIn-Christus-Seins, des Mit-Ihm-Verwachsen-Seins (Ro6) istetwas, was als ubernaturlich konzipiert wird.A. Aliquid indebitum: Dass diese Rechtfertigung etwas ist,

was Gnade ist, freies Geschenk, das ist klar, wird vonniemand bestritten. Dass wir das nicht durch Gesetz undVermogen und Witz uns erwerben konnen, sondern dasses eine Gabe ist, die wir unverdient erhalten, das ist derspringende Punkt bei Paulus. Dass wir nicht unsere Ge-rechtigkeit haben, durch unsere Selbstentscheidung eineGott etwas anbietende Gerechtigkeit, auf Grund derener uns das ewige Leben geben musste als Lohn, den wirdurch eigene Kraft erworben haben, ist das, was Paulus1000 Mal sagt. Aber der Begriff der Gnade ist damit nochnicht erreicht.Der Paulus kennt Gnadenhaftigkeit dieser Rechtfertigungdes Menschen in Christus durch den Heiligen Geist ausdem Glauben, eine Rechtfertigung und Gnadenhaftigkeitdieses Zustandes, der insofern gnadenhaft ist, als er demSunder gegeben ist, die Erlosung des gefangenen Skla-ven ist, der Loskauf der Menschheit, die sich in Adamfrei durch den Fall dieses Menschen in die Schuldknecht-schaft des Todes, der widerweltlichen Machte gegebenhat. Es gibt Gnade, insofern sie den Menschen dem To-

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

deszustand der Sunde entreißt, der gottfeindlich ist, undweil der Mensch das nicht kann - nicht sich lebendig ma-chen kann, sondern von oben her durch Gnade ohne unserVerdienst neu geschaffen, belebt werden muss, darum istdiese Gnade selbstverstandlich zunachst einmal Gnade.Aber nach Paulus’s Theologie ist dieses Heilsgeschenk desLebens aus dem Pneuma nicht bloß Begnadigung des Sun-ders, sondern ubernaturliches Geschenk, das dem Men-schen schon vor der Sundhaftigkeit - freies Geschenk derHuld Gottes, das auch dem Menschen als geistiger Naturin sich nicht geschuldet ist.Das sagt Paulus nicht ausdrucklich. Von Íperfus c, su-pernaturale, spricht er nicht.

B. Aliquid ordinis essentialiter divini. Aber er weiß, dass die-se Gnade ein Eintreten in den gottlichen Bereich ist, dercharakteristisch ist fur Gott insofern Gott gerade das Ge-genteil, das Andere ist.Wenn gesagt wird, dass wir die klhronomÐa haben (Ro8)mit Gottes Sohn und wenn unser jetziger Rechtfertigungs-zustand ein formeller Anfang dieses Lebens ist, der alsin der Gemeinschaft mit Gott betrachtet wird, dannwird damit gesagt: Die Kreatur wird mit etwas bedacht,was eigentlich nur Gott als Gott zukommen kann.Im AT: dass Gott der ist, den niemand sehen kann, derin unzuganglichem Lichte wohnt, radikal von uns ver-schieden ist, so sehr, dass fur die Vermittlung des Geset-zes eine kreaturliche Mittlerinstanz konzipiert wird, dasist fur Paulus klar, wenn er sagt, dass wir Anteil habenan den Gutern, die uns zukommen, insofern wir mit Gott(mit Christus) verbunden sind, in ihm existieren.Die

”In-Christie“ ist Grundlage der paulinischen Recht-

fertigung, weil und insofern wir in ihm sind, sind wir ge-rechtfertigt. Wir sind gerechtfertigt, insofern wir in Chris-tus sind, innere Dynamik und Teleologie auf das ewigeLeben haben.Aber alle die so konzipierten Guter sind Guter, die demSohn als Sohn zukommen, insofern er nicht Knecht ist,sondern Sohn, die mit dem Vater (Mt 12) ein einmaliges,unvertauschbares Verhaltnis hat. Niemand kennt denVater als der Sohn, und nur die, denen er es mitteilt,konnen zu so etwas kommen. Das steht auch im Hinter-grund der Theologie des Paulus.

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

Dazu kommt noch, dass Paulus die Erlosung und Recht-fertigung als Adoption auffasst, als Annahme an Kin-desstatt. Er ist nicht mit einem burgerlichen Sinn lie-ber Gott als unser lieber Papa sondern im gottlichenZugesellt-Werden dem Sohn Gottes, einem Sohn, der De-us benedictus in saecula ist. In der Adoption haben wirAngenommenwerden in Huld und Gnade im Begriff selbstdrin. Adoption ist nicht Vergebung der Schuld ei-nes verlorenen Sohnes, der von Haus aus Sohn des Vatersware, sondern eines Fremden, außerhalb des Hauses Ste-henden. Es ist eine gnadenhafte ungeschuldete Sohn-Annahme und etwas anderes als Vergebung einer Schuldeinem Subjekt gegenuber, das an und fur sich diese Sohn-schaft hatte. Ich kann die Vergebung - wenn der Vatereinem Sohn vergibt, der sich gegen den Vater vergangenhat - kann man das nicht Adoption nennen, sondern Wie-derherstellung eines naturalen Verhaltnisses.

3. Gratia est aliquid onologicum creatum Diese innerliche uber-naturliche gnadenhafte Zustandlichkeit impliziert eine seins-hafte Veranderung.

Auseinandersetzung mit den Protestanten: An sich wurdedas ein großer Teil der modernen protestantischen Theologiezugeben, wenn sie auch, wenn sie es zugibt, dann beginnenwurde, Paulus am Zeug zu flicken: Eine Art magische, gnos-tische Spekulationen und Betrachtungsweisen, die wir heutenicht mehr vollziehen konnten.

Aber an sich wurde ein guter Teil der modernenprotestantischen Exegese, im Gegensatz zur alt-reformatorischen Auffassung zugeben, dass Paulus dassich als etwas vorstellt, was dem Glauben als Bedingungder Moglichkeit dieses pneumatischen Handelns vorausgeht.Damit ist gesagt: Wir mussen irgendwo und irgendwie dieseZustandlichkeit als seinshafte und ontologische Zustandlich-keit auffassen.

Da entsteht der entrustete Protest der protestantischenTheologie, im Pathos, das sie von der Reformation geerbthaben dennoch: Das geht nicht. Dort, wo ich Gnade alsSeinshaftes nehme, mache ich die Gnade dem Menschenuntertan, da ist sie etwas, was inhaeret. Wenn Trient sagt

”infunditur“,

”inhaeret“, so ist das wie ein Greuel fur die

Reformatoren.• Man wird sagen mussen: Selbstverstandlich nicht etwas

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Physikalisches, was außerlich angeklebt wird;• selbstverstandlich nicht etwas, was dem Menschen so

untertan wird, wie seine rein naturlichen Fahigkeitenihm untertan sind;

• selbstverstandlich etwas, was immer und dauernd hangtan der von Gott unveraußerlichen Huld Gottes.

• Und weiter selbstverstandlich ist dieses seinshaft Ge-schaffene, als Qualitat dem Menschen Anhaftende, ihmGegebene, Eingegossene (es ist kein Trichter da, undGnade ist nicht wie Benzin, das in den Kanister ein-gegossen wird und vorher schon da ist) sehr analog zusonstigen solchen Dingen zu verstehen.

• Und selbstverstandlich ist das Eigentliche, der Wesens-kern dessen, was wir Begnadigung des Menschen nen-nen, sachlich von der Schrift her, spekulativ und imGrunde von der scholastischen Theologie her, wenn siees auch nicht sieht,

• gottliche Herrlichkeit als ihrer selbst an den Menschen• und nicht etwas von Gott physica realitate effectum,

nicht etwas creatum.Aber nach der Schrift kommen wir nicht darum herum

zwischen der Selbstmitteilung des Geistes und dieser in-neren Begnadigung qualitativer Art zu unterscheiden, zubegreifen, dass es sich hier um ein accidens physicum, reale,creatum, effectum a Deo handeln musse.• Warum? Wir mussen begreifen, dass die scholastische

Theologie eine metaphysische Ontologie voraussetztund sich dessen nicht schamt.

• Das bedeutet hier, dass es metaphysische Seinsbegrif-fe gibt, die bei aller Analogheit, Formalisiertheit undAbstraktheit anwendbar sind auf jede Wirklichkeit.– Wer naturlich metaphysisch so unterbelichtet ist,

dass er keine metaphysischen Begriffe bilden kann,– und sich unter Akzidens nur Dinge vorstellen kann

wie die Farbe an einem Stuhl, Tunche an der Wandoder Fahigkeiten, die der Seele anhaften,

– der sagt von diesen seinen (nicht transzendentalen)Begriffen mit Recht: Die kann man von diesen Dingennicht aussagen.

• Das zeigt aber, dass er diese Begriffe nicht richtig gebil-det hat.

• Aber ein Theologe muss das konnen. Auch die Theologie

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

weiß,– wo sie von qualitas entitativa (usw.) redet,– dass das analog zu benutzende Begriffe sind,– dass man bei solchen auch von der Gnade sagen

kann, was das 4. Laterankonzil sagt: Man kann keinesimilitudo anwenden, dass nicht maior dissimilitudo -eine die großer ist - dazwischenfahrt.

– Es ist richtig, dass die scholastische Theologie das inder Verkundigung und Katechese meist vergisst,∗ indem sie die heiligmachende Gnade sich vor-

stellt die Leucht-Farben-Anstrich, der in der Nachtstrahlt,

∗ und wenn man bei dieser Betonung einer entitascreata vergisst, dass diese nur dispositio, causa ma-terialis und Konsequenz des Entscheidenden, nam-lich der Mitteilung des gottlichen Wesens ist,

∗ dann ruft man mit Recht den Protest der Protes-tanten hervor.

Aber den Protestanten kann man auch sagen: Wenn duein rechter Bibeltheologe bist, kannst du nicht leugnen:1. . Wenn Gott rechtfertigt, dann passiert etwas in diesem

Menschen, er ist in neuen Zustand eingetreten - Neu-schopfung.

2. Dieser dauernde Zustand des Menschen, der ein andererist als vorher, ist zweifellos in der Konzeption des Paulusund Johannes etwas,• was den Einzelvollzugen des jetzt gerade geschehen-

den Glaubens (Umkehr) als Wurzelgrund, Ermogli-chung vorausliegt,

• wie der Baum der Frucht, wie die Rede und der Reb-zweig der Traube,

• wie das Lebendigsein den Verhaltensweisen des Le-bens,

• wie das Trachten des Geistes dem Seufzen des Geis-tes vorausgeht.

Wenn wir aber dauernde Vergottlichung des Menschen ha-ben, die dem Verhalten, dem Tun des Menschen, dem imGeiste Wandeln als ein im Geiste Leben vorausgeht, dannkann man das nicht mehr anders beschreiben sondern mutigmit diesen abstrakten, formalisierten Begriffen beschreiben,wenn man nicht vergisst, dass sie selbstverstandlich analogangewendet werden mussen.

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Man kann das nicht nur, man muss das auch. Man kanndem Protestanten sagen: Deshalb weil Luther in einerPhobie vor solcher Begrifflichkeit die Philosophie (als Hure)aus dem Tempel hinausgetrieben habe, dass deshalb dieseSchwierigkeit gekommen ist mit der bloß forensischen Auf-fassung, die ein Bild ist, das nicht passt, das im Grund vonLuther geduldet ist, von bloßer imputativer forensischerGerechtigkeit.

Sagt der Protestant: Naturlich, du musst solche Bilder an-nehmen als Bilder, die eine gewisse Seite der Rechtfertigungandeuten wollen. Damit soll nicht geleugnet werden, dass... wenigstens gewisse, wie Asmussen usw. werden zugeben:Wenn Gott sagt, du bist gerecht, dann wird das auch wasbedeuten und nicht hangen bleiben in leerer Zone zwischenGott und dem Menschen.Deshalb musst du solche Begriffe wie forensische Gerech-tigkeit - Freispruch der am Worte hangt - das musst duzugeben, dass man das sagen kann.

Schon, dann musst du aber auch auf die kirchlicheTerminologie eingehen und zugeben, dass es von derBibeltheologie her keinen Grund gibt zu sagen: Ich kannnicht katholisch sein wegen der Rechtfertigungslehre desTrienter Konzils.• Es gibt Protestanten, die sagen: An sich konnte man,

wenn man von Vulgarkatholizismus absieht, katholischwerden auch mit der Trienter Rechtfertigungslehre. Esgibt auch andere - Klinger von Heidelberg - die sagen:Nein, wir mussen neue Rechtfertigungslehre schaffen.Ob da nicht Missverstandnis ausgeraumt werden muss-te, ist andere Frage. Kann man nicht wissen.– Das Gesprach endet immer, wo es nicht zu Einigung

fuhrt, wenn es sich um ernsthafte Dinge handelt, woman dem anderen nicht Bosheit zuschreiben darf, en-det jedes Gesprach, das nicht in Einigung mundet,notwendig in einer Frage: Hat der andere das, waser als meine Lehre richtig verstanden hat, dennochgeleugnet oder hat er, obwohl ich mir Muhe gegebenhabe, das deutlich zu machen, nicht verstanden, leug-net er nur, was ich gar nicht gesagt habe?

– Je schwerer die Theologie wird dieser raffiniertenAussagen, um so schwerer wird diese Frage, die ichda genannt habe, zu beantworten sein.

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

– Zur Reformationszeit hat man gemeint, man wisseganz genau, was der andere meint und man ware sichin dem von beiden Verstandenen uneins. Aber vonda aus bekommt die Frage der Haresie, die getrennteChristen sich gegenseitig vorwerfen: - ich kann nichtkatholisch sein, weil die Katholiken Wahrheiten desEvangeliums leugnen, die ich nicht aufgeben kann -und der Katholik sagt: Der Protestant leugnet, wasdie amtliche Kirche im Papst und in den Konzilienlehrt.

– Frage: Ob nicht solche Haresie tatsachlich nur einematerielle Haresie ist oder besser gesagt, eigentlichnur vermeintliche Haresie mit Schisma?

– Dass so was moglich ist, sehen sie auch aus man-chen Sorten von Monophysiten, die keine waren, son-dern sich nur hartnackig auf ihren altmodischen cyril-lischen Formulierungen versteiften und die sachlicheEinheit in der Glaubenseinheit nicht zugeben wollten(”Sempiternus rex“).

– Damit wandelt sich ein solcher Streit in die Frage:wo ist an und fur sich die außerlich in der Sukzessi-on wahre und altere Kirche Christi? Und 2. die Fragean die Protestanten: warum verharrt ihr im Schisma,obwohl ihr es nicht fertig bringt, eindeutig nachzu-weisen, dass wir wirklich in sachlichem Widerspruchsind und sein mussen, wo es euch nicht gelingt, nach-zuweisen, dass das Trienter Konzil etwas lehrt, was ihrnicht annehmen konntet betreffs der Rechtfertigung?

23.1.1957 Vorlesung 34 (2.Stunde)

Wiederholung Wir haben gesagt:

• diese Gnade ist nach Paulus etwas Innerliches,• Habituelles,• Ubernaturliches und wir sagen:

– sie impliziert geschaffene ontologische Zustandlichkeit– und besteht nicht bloß im Heiligen Geist und ist deshalb– nicht bloß rein ethische Zustandlichkeit.

∗ Beweis fur letztere Hinsicht: Man muss bedenken, dassnach vernunftiger Philosophie ethischer Werte diesenotwendig auf dem Sein beruhen

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

∗ und nichts anderes als Werthaftigkeit eines Seiendensind. Omne ens bonum und omne bonum est onticum.· Wenn das vorausgesetzt werden kann, dann ist zu sa-

gen, dass ein ethisches Verhalten, das rein auf derNatur des Menschen beruhen wurde

· und nicht seinshaft Neues ware, nur sittlichen ethi-schen Wert darstellen wurde, der gar nicht jenes uber-naturliche Gnadengeschenk ware, in dem der Menschin spezifisch gottliche Ordnung tritt.

· Ist das der Fall, dann ist es nur dadurch begrundet,dass diese Wirklichkeit nicht rein ethischer Begrun-dung ist.

· Diese musste Fundament haben, und dieses ware so,dass es ein moralisches Verhaltnis grundlegend neuerArt zu Gott nicht begrunden konnte.

Wenn die Gnade nicht auch geschaffene Veranderung des Men-schen an sich selbst mitbringen wurde, dann ware im Grundemehr oder weniger diese Prasenz des Pneumas eine rein lokalePrasenz, reines in uns Sein, das fur uns keine Wirkung hatte.

Das stimmt aber nicht, nach dem Zeugnis der Schrift: Dort wirdpneumatische Zustandlichkeit von der Einwohnung selbst un-terschieden. Wenn wir vom Geist getrieben sind, Geist atmen,durch ihn geheiligt und selber pneumatikoi sind, gerechtfertigtsind durch den Geist, mit ihm gesiegelt, erneut, gestarkt, er-leuchtet sind vom Geist, himmlische Gaben nach Hb genossenund verkostet haben, dann ist immer Geist Urheber und Ziel.Vielleicht causa formalis und von nur effiziens und den formalenwirkursachlichen Wirkungen unterschieden.

Wenn wir auch im Geiste wachsen, zunehmen, erstarken, dasAngeld haben, wenn innerhalb dieser pneumatischen Effekteein Mehr oder Weniger moglich ist, dann bedeutet das, dasswir selber eine pneumatische, wenn auch gewirkte Zustand-lichkeit haben, die wir von der Ursache dieser Zustandlichkeitunterscheiden mussen: Geschaffene ubernaturliche Zustandlich-keit gibt es.

Paulus kennt ferner verschiedene Geistesgaben, die er als Wir-kungen des Geistes bezeichnet, teilweise gratiae gratis datae,die nicht innere Rechtfertigung und Heiligung bedeuten, son-dern sozial wirksam werdend, zum Heil anderer sind. Aber wennwir sie betrachten, sehen wir, dass sie auch etwas zu tun ha-ben mit der inneren personlichen Heiligung, dass Verschieden-

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

heit der Charismen auch graduelle Andersheit im Menschen be-deuten. Das kann mit rein formaler Wirkursachlichkeit Gottesallein und durch reines Einwohnen (bloße ungeschaffene Gnade)allein nicht erklart werden.

Paulus unterscheidet auch Pneuma vom gottlichen Geist: sowenn gottliches Pneuma unserem Pneuma, bezeugt, dass wirKinder Gottes sind. Philologisch ist denkbar: Er meint mit un-serem Pneuma nur unsere naturliche Geistigkeit. Da ware aberzu erwarten, dass er das nouc, yuq  nennt. Wenn Pneuma, dannmeint er pneumatische Zustandlichkeit in uns, oder unsere inpneumatische Zustandlichkeit versetzte Geistigkeit, die er vomPneuma selbst, das gottlich ist, unterscheidet. Wenn er den no ucvor meinen pne uma, in dem er auch betet und nicht nur im no uc,unterscheidet (1Co 14,14 ff), dann ist der gottliche Geist nichtgemeint als gottliche Person und auch nicht unsere Geistigkeit,sondern etwas dazwischen: pneumatische, von Gott gewirkte,nicht mit ihm identisch, ontologische Wirklichkeit. Ebenso, wennwir die dun�meic haben, die er vom pne uma �gion selbst unter-scheidet.

Da dieser gottliche Geist als unserer geistigen Verhandlung, Tunund lassen vorausliegend nach Paulus ist, kann auch diese on-tologische Zustandlichkeit nicht in rein in ethischem Verhaltnisbestehen: Kindschaftsgefuhl, wie Harnack in seiner Abhandlunguber Gnade bei Paulus gemeint hat.

Denn dann ware das Pneumatisch-Sein eine Folge unserer Akte,unseres Vertrauens auf Gott, auf die Nachlassung der Sun-den, des Sich-Fuhlens-In-Der-Liebe-Gottes und Sich-Geborgen-Wissens.

In Wirklichkeit betrachtet Paulus das Pneumatisch-Sein alsGrund unseres Verhaltens Gott gegenuber. Weil wir Pneumahaben, konnen wir Vater sagen, nicht dadurch, dass wir dassagen, sind wir im Pneuma.

Also, Pneuma ist eine ontologische Wirklichkeit, die tota quantaauf das religios-ethische Verhalten ausgerichtet ist.• Wir durfen, wenn wir richtige Theologen und Metaphysiker

sind, nicht glauben:• der Mensch ist ein Seiendes und das hatte nebenbei Epi-

Phanomene von Geist.• Nein! Geist ist Erkennen und Lieben und das ist seinshafte

Wirklichkeit.– Die Physik des Geiste ist die Logik.– Logik ist die Struktur einer Wirklichkeit,

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

– nicht nur Verhaltens-Vorschrift, wie man, wenn man lo-gisch denken musse, faktisch denken musse.

• Weil der Mensch endliches Wesen ist, ist in seinem Vollzugein realer Unterschied zwischen Moglichkeit und Akt

• und deshalb zwischen pneumatischer Vorgegebenheit einerpneumatischen Moglichkeit in einem solche - Glauben, Lie-ben - zu treten und in diese selbst.

• Das bezeugt die Schrift, insofern sie das Pneuma in unsals vorgegebene Ermoglichung dieses Glaubens und Liebensund auch was es bei Paulus an Vollzugsweisen gibt, be-schreibt.– Diese Dinge sind also voneinander verschieden, aber so

wie Akt und Potenz.– Glauben und Lieben ist nicht etwas, was auch passiert

und passieren kann,– sondern ist das ganze Ziel dieser Gnade.

• Heiligen Geist zu besitzen wie ein Wickelkind ist nicht sinn-voll, wenn dieses nicht auch ihn besaße, die Gnade, umsie zu vollziehen in der visio beatifica. Bloß ontologischesZustandlich-Haben hat keinen Sinn.

• Daraus folgt nicht, dass es das nicht gibt;• weil es visio gibt, muss ist diese seinshafte Zustandlichkeit

geben, die erst in der visio beatifica so in Akt sich umsetzt,dass dort dann nur noch jene (– materielle –) Differenz zwi-schen Akt und Potenz ubrig bleibt, die in der Kreatur un-aufhebbar ist und mehr nicht.

Das mag genugen. Jetzt gehen wir einen grundsatzlichen Schrittweiter. (zu II Seite 67 im lat.Kodex)Grundsatzlicher Schritt weiter:

bei Paulus klar: es gibt Akte, die dieser Neuschopfung desMenschen im Heiligen Geist entsprechen. Wir werden vomHeiligen Geist getrieben, mussen in ihm die Taten des Fleischestoten, wir haben in Ihm die Hoffnung, eine pÐstic, die durchdie �g�ph energetisch wird (operativ), wir mussen leben undwandeln im Geist, Fruchte des Geistes bringen, diese Werkesind das, worauf wir in dieser Neuschopfung geschaffen sind.• Wenn wir das vorhin Gesagte und diese schlichte Tatsache,

dass es Akte eines Sanctificaten gibt, dann ist klar,• dass solche Akte, die basieren auf der neuen, neuschopfen-

den, umgestalteten aus Gnade als ubernaturlicher Wirk-lichkeit gegebenen pneumatischen Zustandlichkeit des Men-schen gegebene,

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

• dass solche Akte ohne diese Voraussetzung schlechterdingsnicht getan werden konnen.– Aus der Lehre des Paulus: du Mensch kannst das, was

du tun musst, namlich heilsmaßig tun, nicht durch deineeigenen Krafte

– sondern nur im Wirken Gottes im Gegensatz zu denêrga, die der Paulus als eigenes Tun bezeichnet.

• Also selbst wenn wir nicht einzelnes betrachten: aus derLehre des Paulus folgt, dass absolut unmoglich ist, solcheAkte zu setzen,

• wie einer der tot ist keine Akte des Lebens setzen kann, sodass einer, wenn er s�rx ist durch und durch, so dass auchGeistiges s�rx ist und sarkisch ist.

• Aus der gesamten Theologie des Paulus geht eindeutig her-vor, was unsere These sagt: ohne diese ubernaturlich freigeschenkte Pneumatisierung des Geistes ist ihm schlechter-dings ein Akt, der Heilsakt ist, nicht moglich. Einzelne Textespater noch.

In der Tradition Phil. 2,12; 2 C 3,5 Aber man muss diese Texteim Gesamtrahmen der Paulus Theologie sehen, sonst sieht esso aus als ob Konsequenzmacherei getrieben wird: Text wirdausgepresst auf scholastische Konzepte hin:• fur Paulus - fur das mit Gott in Frieden sein - ist es notig,

dass er Glaube und Liebe hat. Dieses sind Dinge, die basie-ren auf einer Mitteilung des Pneuma Gottes, in dem so wasallein moglich ist, denn von sich aus ist der Mensch s�rxund sogar Sunder im engeren Sinn.

• Deshalb kann er mit seiner Gerechtigkeit niemals bei Gottankommen und deswegen hat er seine Gerechtigkeit nicht.Grund Motiv: dass wir nicht unsere sondern Gottes Ge-rechtigkeit haben in Neu- und Wiedergeburt, anders gehtes nicht.

• Das ist es, was wir in dieser These meinen, wenn wir sagen:omnis .. Und ohne diese habetur absoluta et physica impot.pro tali actu salutari.– Hinzu zu bemerken dass der Paulus (wichtig fur Dispo-

sition der These) zweifellos eine pÐstic kennt, die Heilswirksame ist und der Rechtfertigung vorausgeht.

– Im Romer Brief Vorstellung dass Rechtfertigung durchdie Taufe gegeben wird.

– Es gibt Glaube, der der Taufe vorausgeht,– Rechtfertigung als Folge dieser pÐstic kennt er auch:

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Abraham glaubte und wurde daraufhin aus Sunder einGerechtfertigter. Also geht Glaube als Disposition derRechtfertigung voraus.∗ Trotzdem konnen wir auch unsere These von solchem

Vorbereitenden sagen,∗ weil auch das durch den Heiligen Geist gewirkt wird.

• Paulus zerbricht sich nicht den Kopf, wie Glaube aus demPneuma heraus und Gerechtfertigtsein im Glauben zu ver-einigen sind.

• Da mussen wir gratia actualis und habitualis unterscheiden:– Zustand der dem Getauften verliehen ist einerseits,– und jene Hilfe, die man braucht, um die Akte der Vor-

bereitung auf diese Rechtfertigung zu setzen.• Aber spater: dass wir aktuelle Gnade um actus dispositivi

setzen zu konnen und habituelle auch wieder nicht zu sehrvon einander trennen durfen, wie nachtridentinische Theo-logie zu tun pflegt im Gegensatz zu Thomas. Darauf gibtPaulus keine Antwort.

• Insofern er vorbereitende Akte kennt und anderseits diesedurchaus aus dem Pneuma und nicht aus eigenen Kraftenkommt ist klar, dass jeder positive Heilsakt, auch der vor-bereitende, schon aus zuvorkommender Gnade Gottes gege-ben wird. Denn sonst ist diese pÐstic im Grunde nur wiedereigenes Werk, nur unter anderem Etikett,

• Wurde pÐstic eigenes Werk und Gott daraufhin Gnade ge-ben mussen, dann ware im Grunde, weil der Glaubensgehor-sam das ist, was von Gott belohnt wird mit der Rechtferti-gung: dann ware dieser Glaube das Verdienst des Menschenund das konnte nicht sein, denn dann ware Rechtfertigungaus dem Glauben entspringend und ware doch aus eigenerKraft Erreichtes, was mit Paulus nicht vereinbar ist.

• Phil 2,12 f: mit Furcht und Zittern wirkt euer Heil, dennGott ist es, der in euch das Wollen und Vollbringen nachseinem Wohlgefallen bewirkt. >EudokÐa: in der Weihnachts-verkundigung der Engel eine Rolle spielend: Guten willensoder gottlichen Wohlgefallens (letzteres ist richtiger) nichtals ob er keine Guten willens brauchte, aber das ist eine Wir-kung des gottlichen Wohlgefallens. Gott wirkt in uns dasWollen und Vollbringen nach seinem gnadigen Ratschluss.– Das entbindet den Menschen nicht, etwas zu tun: das ist

fur den Paulus ein Grund uns aufzufordern mit fìbocund tìmoc unser Heil zu wirken, realisiert sich in unserer

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

freien Entscheidung, weil unsere freie Tat die Realisie-rung der Gnade ist.

– Dass das hier nicht Konkurs ist, ist klar. Absurd undeinfaltig so was zu sagen. Heilswirken ist nicht etwas,was, wie beim Konkurs, immer und uberall bei gutenund bosen Werken da ist.

– Anderer Text in Zusammenhang mit Apostolat: nichtals ob wir fahig waren, aus uns etwas zu denken, alsob es von uns kame, sondern unsere Fahigkeit, so waszu tun, stammt aus Gott, der uns auch zu Dienern desNeuen Bundes gemacht hat.

– Hier in diesem Text erblickt die Tradition, vielleichtnicht mit Sicherheit aber doch sinnvoll, einen Text derexplizit (ob wirklich beweisend ist fraglich, aber im Zu-sammenhang richtiger Gedanke) dass ein Heils Gedan-ke, der Uranfang eines Heilswirkens auch schon aus Gottund nicht aus eigener Fahigkeit (=Ékanothc) stammt.Naheres im Codex.

Johanneische Theologie:• Hier haben wir (nicht so genau philologisch) dieselbe Lehre

unter anderer Terminologie. Vielleicht eine noch metaphysi-schere Konzeption. Bei Paulus sehr stark im Geschichtlichenund unter Bildern des forensischen Lebens. Vielleicht auchexistentieller gesehen, geschichtlicher im Modus des Han-delns im Licht dessen, was sich ereignet.

• Bei Johannes: abgeklart im ruhigen Dasein dieses Logos,der Fleisch geworden ist. Wir sind in Gott, im Licht, in derWahrheit, in der Liebe. Eine abstrakte Theologie.

• Wir haben das Leben von Christus, der das Leben selbstist durch den Glauben in uns. Dieses kommt in uns, quiex deo nati sunt durch eine Zeugung aus Gott. Im 1 Jhkommt dieses Aus-Gott-sein als gezeugte, nicht nur im Lichtusw. sein sehr oft vor. Aus Gott sein, geboren werden usw.wechselt bei Johannes ab, ohne dass etwas Verschiedenesgemeint wird. Wir haben Geist ihn uns, wir werden in ihmwiedergeboren, er ist in uns als Quelle, die fortsprudelt insewige Leben, er kommt mit dem Vater und dem Sohn, umbei uns Wohnung zu nehmen.

• Dass es innere Gnade der Rechtfertigung gibt bei Jo-hannes ist keine Zweifel.Von dieser inneren Gnade: wir sind hinuber geschritten, ha-ben das Gericht schon hinter uns, hat mit Entmythologisie-

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

rung, Entgeschichtlichung nichts zu tun. Beschreibt wahreWirklichkeit nicht bloß verheißene dieser Zustandlichkeit.Im Gegensatz zu noch nicht daseiend: Beschreibung derHeils Guter.

• Das ist in der katholischen tridentinischen Beschreibung desnicht bloß schwebenden Gegensatzes des Gerechtfer-tigtseins - wir sind es jetzt schon so, dass das grundlegendeeschatologische Ereignis schon passiert ist und alles was spa-ter noch kommt ist Auswirkung dessen, was schon gesche-hen ist, so dass wir schon verklart sind und nicht mehr ster-ben: Wer glaubt und Brot des Lebens empfangt, stirbt nicht:- nicht: er stirbt zwar schon, aber doch nicht so arg.- son-dern: dass unser Tod, den wir empirisch sterben, im Grundeschon in etwas anderes verwandelt ist.

• Dass das als Charis gegeben ist, wenn wir Gnade um Gna-de von diesem Logos empfangen, sagt er schon ausdrucklich.Dieses neue Leben wird als unausdenkbare Tat der vaterli-chen Liebe geschildert.Agapa ist etwas Personales, Unberechenbares, Nicht-Erzwingbares so dass dieser ontologische Prozeß nicht phy-sikalischer ist, sondern die Qualitat des Spontanen an sichtragen muss, und wenn man das ubersieht, schlittert manim gnostische Auffassung der Gnade.Die Gnostiker haben sie als Physikalisches aufgefasst, wasEthik- und Person-frei ist, so dass sie in einem ist, in demdieses Funkchen ist. Er bleibt Materialist oder geistlicherMensch und kann nicht in Kommunikation mit Gott kom-men: das ist gnostisch.

• Dort wo der Mensch eines ubernaturlichen, geistigen Aktesfahig ist, vollzieht sich das immer nur innerhalb des Frei-en und Personalen, nicht nur, sondern immer auch. Dasist nicht immer hundertprozentig realisiert in der Scholas-tik. Im Zusammenhang mit der Sakramenten Theologie, z.B. das Verhaltnis der Disposition und dem Empfangen derGnade wird in Wald und Wiesen Theologie sehr außerlichgesehen, was Folgerungen haben kann und hat. So was hatmit der Bibel nichts zu tun. Die Bibel ist gegen solchen,wenn auch nicht zerrissenen, so doch gelockerten Zusam-menhang zwischen Glaube und Liebe einerseits und gna-denhafter Zustandlichkeit anderseits.

• Aufgabe der Theologie ist, diesen Zusammenhang moglichsteng und unloslich zu denken. Im großen und ganzen ist es ja

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

auch getan: Trient protestiert dagegen, dass Sakramente alsein mechanisches Eintreufeln der Gnade aufgefasst werdenohne bonus motus. Aber man kann diesen Zusammenhangdeutlicher sehen als da und dort in der Schultheologie. Aberman muss wie bei Johannes und Paulus darauf achten, wieeng diese Dinge verbunden sind.

25.1.1957 Vorlesung 35

Wir haben schon gesagt: innerliches und dauerndes undubernaturliches insofern es die Hineinnahme des Menschenin die Zone des Eingeborenen Sohnes Gottes ist, der alleinals Logos des Vaters jene von sich aus und eigenen Rechtsvom Ursprung her innerhalb jenes Kreises steht, der derVater ist, den niemand gesehen hat. Wir haben an diesemSohn Teil, so dass wir nicht Knechte sind sondern Kinder.In allem koinonia mit dem Sohn Gottes. Wir sind seine Bru-der, erhalten Doxa, die er hat vom Vater von Ewigkeit her,und die uns mitgeteilt ist. Wir treten in Bereich, der der desEingeborenen ist, in dem dieser ist, nicht weil er Kreatur ist,sondern eins mit dem Vater. Kreatur nimmt an etwas teil,was dem Logos Gottes insofern er nicht Kreatur ist, eigen-tumlich ist.Wenn man sagen wurde: Geist Kreatur ist so, dass sie andiesem gottlichen Leben Gottes teilnehmen muss und dasihre naturale Bestimmung ist, dann nicht klar, warum dasdurch den Sohn geschieht, dass wir Gnade um Gnade durchden Sohn empfangen: wird im Prolog nicht gesagt, insofernwir Sunder sind, sondern das Haus sind, in das der Logoskommt, so dass wir ihn aufnehmen mussten, trotzdem er-halten die, die ihn aufnehmen, Gnade. Es handelt sich nichtum naturalen Prozeß, so dass die, die ihn empfangen, weilsie naturlich ein Recht darauf haben, die, die ihn aufnah-men.

• Gnade ist auch bei ihm Geschaffenes, Ontologisches, so dassdas mit gesagt wird: wir haben Leben in uns, werden selbstlebendig. Bei Johannes bedeutet Pneuma nicht notwendigdie gottliche Person, sondern eher etwas Pneumatisches inuns gewirkt durch das Pneuma Gottes, so dass Johannesauch von Pneumata reden kann: Gott gibt uns von seinemGeist. Diese Partizipatio muss notwendigerweise geschaffeneEffekte haben; Bilder wie Same, Salbung usw. supponieren

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Wirksamkeit auf unserer Seite, die irgendwie, wenn auchabhangig von Gott, doch in uns etwas ist, was von Gottverschieden ist.

• Andere Bilder: Rebzweig am Weinstock (Leben) supponie-ren auch von Gott zu unterscheidende, wenn auch nicht dieder Schopfung sondern eigene Weise, doch gewirkt sind.Dann auch bei Johannes um etwas was ontologisch realeZustandlichkeit und nicht ethische Haltung. Diese erfließtaus der Salbung und dem Samen, aus dem In-Christus-Sein, aber ist mit ihm nicht einfach identisch. Sonst Pneumanicht Ursache sondern Folge unserer ethischen Einstellungauf Gott. Das nahere im Kodex selbst.

• Wenn wir diese allgemeine Lehre von der Gnade bei Jo-hannes betrachten, dann schon vom allgemeinen GedankenGang her verstandlich, dass das was wir Heilsakte nennennur durch die Mitteilung des gottlichen Lebens, Wiederge-burt von oben moglich ist. Wenn wir das von uns aus auchkonnten dann diese Mitteilung Gottes, Mitteilung der gott-lichen zoae, fos usw. ganz uberflussig. Wir hatten, was Gottuns geben wurde, schon. Unterschied zwischen Gott unduns: Gott hat niemand gesehen so radikal, dass das kom-men in das Fleisch von Gott ausgehen muss. Der Vater liebtdie Welt, auf das die Welt kein Recht hat, und schickt denSohn: von da aus kann nur all das gottliche Leben kommen.

• Dementsprechend gewisse Texte wie Phil. 2 bei Paulus, diewir besonders hervorheben konnen: klassisch bei Jh.15 Pa-rabel vom Rebzweig und Weinstock, klassisch bei Augusti-nus und Johannes selbst: noch mehr betont, dass Heilsini-tiative durch inneres Gezogenwerden von Seiten des Vaterskommt. Beide erganzen sich bis zu gewissem Grad, weil inRebzweig Parabel deutlicher die Essenz des neuen Lebensund in Johannes selbst mehr betont ist die initiative, dassSowas geschieht wie gottliches Leben, vom Vater ausgeht,so dass niemand zum Sohn geht, außer vom Vater gezogen.Also im einen Fall Essenzielle, das was da ist, verglichen wer-den muss, wie dem vitalen Zusammenhalten zwischen Reb-zweig und Weinstock. Und existentielle: wenn es geschiehtdurch den Vater von oben, von dem des Sohnes, PredigtChristi, zu unterscheiden.Denn dieser richtete sich an alle in gleicher Weise, an die, dienicht glauben und an die anderen, die glaubten und sagten:du hast Worte des ewigen Lebens: die Christus durch den

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

Glauben und spater durch sein Fleisch und Blut essen.• Aber Jesus erklart: der Unterschied der Wirkung dieser sei-

ner an alle gerichteten Predigt ist der, dass manche vom Va-ter gezogen werden und manche nicht. Dieses Gezogenwer-den muss was anderes sein als seine Predigt. Dieses Kom-men zu Christus und mit ihm verbunden Sein, ist naturlicherst das vollendete Heil. Deutlich ausgesprochen: das ers-te hingezogen werden, zu ihm Kommen, erste Initiative desMenschen, entspricht schon einer ersten Initiative von Sei-ten des Vaters.Warum hier bei Johannes deshalb keine solche Gnadenwahlgesagt ist, die die hinreichende fur alle ausschließen wurde,daruber brauchen wir uns nicht unterhalten (Frei, Biblikain den dreißiger Jahren)(nicht in den Zusammenhang) Auchursprunglicher Heilsakt von Seiten des Menschen entspringteiner Tat Gottes: seinen Ziehen.

• Bei der Parabel vom Rebstock und Rebzweig bei Johannes15 ist darauf zu achten, dass in da die Bilder und das

”ohne

mich konnt ihr nichts tun“, dass hier Parabel und Abstrak-tes sich gegenseitig erganzen. Nichts - was schon Augustinussagte - heißt nicht nur wenig. Dieses

”nichts“ bezieht sich

auf das heilsmaßige Verbunden-Sein mit Christus, so dassFrucht gebracht wird, und wenn diese nicht da ist, die ewigeVerwerfung droht. Bezieht sich nicht bloß auf apostolischeTatigkeit der Apostel. Sicher nicht ausschließlich sondernauf den ganzen Bezug des Menschen auf Christus.

• Das konnte man noch deutlicher machen vielleicht, wennund insofern man vielleicht (nicht in Kodex) die Abschieds-reden Jesu auf einen liturgischen Gebrauch in der Urgemein-de bei Johannes hin interpretieren darf.Man darf nicht annehmen dass diese ein stenographischerBericht sind. Sie sind komponiert, so sehr anzunehmen ist,dass davon im Abendmahl die Rede war, aber bestatigt dassdiese gelesen werden mussen im Blick auf das Abendmahlals seine theologische Interpretation, wenn auch von der kul-tischen Feier des Abendmahls nichts gesagt wird.Dass Johannes das Abendmahl in der Gemeinde kennt undnicht bloß bei Paulus und Synoptikern eine Rolle, sieht manja aus der Rede bei Johannes 6. Wenn wir die eucharistischeRede auf das Abendmahl hin gesprochen sehen, dann klar,dass es nicht eine Exhorte fur die Apostel im Hinblick aufapostolische Tatigkeit ist, sondern dass das Rebzweig Sein,

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

in ihm Bleiben und Ohne-ihn-nichts-tun-Konnen auf daschristliche Daseins bezieht.

• In diesem Zusammenhang: die außere Tatigkeit, Bereitungdes Menschen fur dieses Menschsein auf den Vater zuruck-gefuhrt wird, umgekehrt wie bei Johannes 6 und das Innereauf den Sohn: das macht nichts, weil beides auf den Vaterund den Sohn zuruckgefuhrt wird: und jedes das eine Maldem Vater und dem Sohn appropriiert wird. Aus beidenBildern ergibt sich dass der vitale Einfluss des Rebstocksals innerem Einfluss von den außeren HeilsveranstaltungenGottes unterschieden werden mussen (ziehen von Seiten desVaters usw.). Das soll zunachst genugen.

Die Kirchenvater kurz

Die Lehre, die wir hier aufstellen: in radikaler Scharfe, wenn auchmit Unterlassung von Distinktionen wurde vorgetragene als Leh-re der Kirche gegen die Pelagianer von Augustinus. Dabei vonden einzelnen Heilsakten als einzelnen ausgesagt.

Die Griechen betrachten die Sache nicht so sehr vom einzelnenHeilsakt aus, nicht so sehr von existentiellem Gesichtspunkt voneiner einmalig fixierten her, sondern von ontologischen, essentiel-len Betrachtung des Christen besonders entscheidend durch dieTaufe. Bei den griechischen Kirchenvatern ist hier die Grund-lage fur diese These ebenso die neue Schopfung, Verleihen desheiligen Geistes, Umgestaltetwerden nach den Bilde Gottes, Ge-borenwerden aus Gott oder Geborenwerden des Logos aus derSeele des Getauften und ahnlichen Bildern und Vorstellungen.

Im funften Jahrhundert bei Irenaeus: Anakephaleiasis, endgulti-ge Einfuhrung des Pneumas durch Christus in die Welt. So sehrer gegen die Gnostiker betonen muss, dass es sich um Vorganghandelt, der mit Glaube, sittlicher Entscheidung, Erfullung desGesetzes Gottes verbunden ist, so sehr er betont, dass jederMensch nicht nur der physikalisch Berufene Psychiker ist, sowenig reduziert er das Christentum auf rein ethisches Verhalt-nis zu Gott, das der Mensch aus eigenen Kraften tun konnte,so dass das Christentum bloß eine Lehre, ein Anreiz dazu seinkonnte. Davon ist Irenaeus weit entfernt trotz seiner Betonungdieser Dinge.Lehre von der Vergottlichung des Menschen: zeigt dass es sichum seinshafte, durch gottliches Pneuma bewirkte Zustandlich-keit handelt, die er uns schenkt.

Protestanten: zwischen zwei Straßengraben schwankend:

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

entweder griechische Einengung der Bergpredigt auf ma-gisch ontologische Vergottlichungs Lehre verworfen, oder manbemuht sich, die griechische Ontologie rauszupauken, und zuzeigen, dass sie im Grunde trotz merkwurdiger Folgerungen einethisches Verhaltnis zu Gott, das Vertrauen auf den Vater, dassunsere Sunden vergeben werden, meinen.

Gerade diese gegensatzliche Beurteilung der Protestanten zeigt,dass die Wahrheit in der Mitte liegt, dass sie das Evangeliumals ganzes richtig verstehen, dass sie eine Gnade haben, die we-sentlich auf bewusstes Verhaltnis zu Gott in Glaube und Vi-sio angelegt ist, und doch als Ermoglichung von so etwas, dasdie naturalen Moglichkeiten des Menschen ubersteigt, notwendigseinshafte Umwandlung des Menschen voraussetzt, wenn auchdieses Seinshafte kein Physikalisches ist, sondern wenn Geist,Bewusstsein das Wesen, der Sinn des Geistigen ist, dann isteben eine personale Beziehung zu Gott, als dem der sich in eige-ner Herrlichkeit und Gnade erschließt, der sich im trinitarischenGeheimnis erschließt, etwas was nur geschehen kann auf neuerBasis, die seinshaft ist, so sehr Gott zum selbstverstandlichenDasein des Menschen gehort.

Also von da aus keine Schwierigkeit, an und fur sich zu sagen, diegriechischen Vater mussen, wenn und insofern sie sich unserProblem ausdrucklich stellen - gibt es Heilsakt ohne Pneuma- selbstverstandlich genau so radikal verneinen wie Augustinus.

Dass sie trotzdem nicht gegen Pelagianismus, Stoische Autono-mie Vorstellung gerichtet war, sondern immer die Freiheit beto-nen mussten, seine Verantwortlichkeit betonten gegen die gno-stische Auffassung und als Griechen uberhaupt optimistischergesinnt waren: im großen ganzen geht die Welt doch als Schop-fung eines guten, weisen Gottes gut aus, und sie so die Gnadeals selbstverstandlich uberall wirksam sein lassen.

Dass sie unbefangen sagen konnten, der Mensch muss was tunund in diesem Sinn hier und dort Außerungen haben, dieman pelagianisch und semipelagianisch interpretieren konnte,ist aber nicht aufregend. Wenn wir heute sagen: hilf dir selbst,dann hilft dir Gott: ist das auch nicht pelagianisch, sondern sagtnur das, dass er seine Initiative, die er hat, erfullen soll. Dass da-hinter doch wieder Gott steht, braucht nicht notwendiger Weiseimmer dabei stehen. Christliche Predigt braucht nicht immer zujener Hohe sich erheben wie Phil.2, wo der Imperativ begrundetwird mit der dahinter stehenden Initiative Gottes. Das ist eineHohe, zu der man nicht jeden Kirchenvater verpflichten kann.

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

Wenn Gott das jèlein und êrgein wirkt, dann soll er es tun undich brauche nichts tun. Die Dummkopfe, die das meinen, mussman anbrullen, sie sollen selbst was tun und man kann dannin anderem Winkel wissen, dass man die Gnade Gottes preisenkann: denn der, an den so appelliert wird, dem hat das Chris-tentum nicht die Erlaubnis gegeben, vor Gott hin zu treten undzu sagen, das was ich getan habe, war nicht deine Gnade. DerChrist hat dabei immer gewusst, dass das, was man vor Gott inFreiheit tut, noch mal in Dankbarkeit Gott zuruckzugeben istals sein Geschenk, das er uns gegeben hat.

Augustinus formuliert das: dass Gott uns gibt, dass wir Verdienstehaben konnen und er seine Gnade als unser Verdienst kront(Augustinus im Kampf gegen Julianus von Eklanum, letztererwar von Chrysostomus berufen), Satze, die pelagianischen Klanghaben, gewisses Verstandnis gefunden haben in antiochenischerTheologie.

Aber auch im Osten hat es keinen eigentlichen Pelagianismusgegeben. Wenn der Osten Augustinus befremdend findet: sagtnoch nicht dass sie Pelagianer, sondern nur, dass sie etwasoptimistischer waren: Man empfand, dass die Welt gut ausgeht, und nicht so wie Augustinus, dass aus dieser entsetz-lichen Masse der Verdammten gerade noch so einige herausgefischt wurden, die Gerechtigkeit Gottes preisen konnen unddie ubrigen darin belassen werden. So haben die Griechen nichtgedacht, das hat aber auch mit unserer eigentlichen These hiernichts zu tun.

Das Nahere: Schriften bei Augustinus, wie er selbst Entwicklungdurchgemacht hat, dass er vor dem Kampf gegen Pelagianer sei-ne semipelagianischen Ansichten, die unbewusst waren, schonvorher uberwunden hatte, die er in den Retractationes sorgfal-tiger verbessert: im Kodex selbst.

Theologen: wollen wir kurz abmachen.

Die mittelalterliche Theologie hat an und fur sich den Augusti-nus gekannt und gelesen. Er war im Grunde die theologische Au-toritat im Mittelalter, wo man die griechische Theologie nicht sozur Verfugung hatte wie den Augustinus. Der war wirklich greif-bar. Viel auch schon schulmaßig verartztet und Kleinholz darausgemacht. Ihren Augustinus haben sie gekannt, und dass deshalbselbstverstandlich Pelagianismus Haresie war und indiskutabelverworfen war und blieb, ist klar. Pelagianer wie die Novatianerusw. gehorten zu den klassischen Haresien, die keine Aussicht

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6.1 These 8 Heilsakt nur mit ungeschuldeter Gnade

hatten rehabilitiert zu werden durch einen Revisionsprozess.Insofern ist vom bloß theologischen geschichtlichen

Standpunkt aus gar nicht so wichtig, was sie fur diesen Fallgesagt haben. Wir wissen: sie konnen gar nichts anderes gesagthaben. Feststellen dass da und dort, in der und jener Formu-lierung eine Schwierigkeit bei den mittelalterliche Theologenentstanden ist: Grund ist einfach:

Aus Grunden, auf die wir nicht eingehen wollen, wird zu Beginnder Hochscholastik die eigentliche ubernaturliche Heilsgnade ei-ne habituelle Gnade. Das ist fur den Thomas im Grunde soselbstverstandlich, dass er eigentlich den Eindruck hat, das mussso sein, weil bloß Akt der aus innerem habitus hervorgeht, wirk-lich ein Akt sein konnte, der uns gehort: bei Thomas (wieweitdas bei anderen genau so, terminologische Festgefahrenheitenusw. hier nicht) war es so, dass eine Heilsakt, so sehr er GottesGnade ist, mein sein muss, den ich tue, der als dieser Heilsaktaus dem Kern meiner Person entspringt, der deshalb auch freisei kann.

So konnte nun fur Thomas die Gnade, von der er wusste, dassman sie zum Heilsakt braucht, im Grunde nur habituelle sein.Dort wo es sich um Rechtfertigungsakte handelt, gehen sie selbstschon aus rechtfertigender Gnade hervor.• Er muss im Grunde das sehr tiefsinnige und heute noch sinn-

volle Verhaltnis einer mutua causalitas zwischen heiligenderGnade und freiem Akt des Menschen andererseits machen.Rechtfertigende Gnade ist Bedingung des rechtfertigendenAktes und gleichzeitig ihr Ergebnis. Glaubens und Liebestatdes Menschen geht aus der rechtfertigenden Gnade hervorund macht, dass diese Rechtfertigungsgnade besessen, alswirklich eigene angenommen ist.

• Von da aus ist klar, dass wenn und insofern (betont) Tho-mas und diese hochmittelalterliche Theologie sieht, dass esAkte des Menschen gibt, die auf die Rechtfertigung hinsteu-ern, die aus der Rechtfertigung heraus und in sie hineinsteu-ern, schwer, dass man dazu auch Gnade braucht.

• Heute leicht: das ist die aktuelle Gnade und das die habi-tuelle Gnade. Was ist leichter als das. Wenn das Wort sicheingestellt hat, meint man, die Sache sei klar. Deshalb ver-steht der heutige Theologe diese Schwierigkeit nicht mehr.Und weil sie diese Schwierigkeit nicht sehen, distinguierensie Thomas zurecht, bis er sagt, dass jeder Rechtfertigungs-akt entweder durch habituelle oder aktuelle Gnade zustan-

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

dekommt. So einfach macht er es uns nicht.• Das

”auxilium gratuitum dei interius animam moventem si-

ve inspirantis bonum propositum“ hat er betont, tat sichaber schwer, das Gnade zu nennen: meist auxilium, unddas entitativ Ubernaturliche dieser Hilfe war nicht so re-flex herausgearbeitet, wie das heute der Fall ist. So gibt esin der mittelalterlichen Theologie gewisse Ausdrucksweisenund Vorstellungsweisen, die so aussehen als ob sie Semipe-lagianismus waren: Akte die der Mensch von sich allein tue.

Dass es Formulierungen gibt, die man heute nicht mehr sagenkann, weil sie Trient widersprechen - dass jeder ubernaturlicheHeilsakt von Gnade getragen ist - ist zuzugeben, aber daraus,was wir gesagt haben, ergibt sich, dass diese Schwierigkeiten ausden Schwierigkeiten der Terminologie entspringen.

30.1.1957 Vorlesung 36

Weil der Begriff der Gnade zu sehr verkoppelt war mit habituel-ler Gnade: ist sie im zwolften Jahrhundert dasselbe geworden:ungeschuldete Gnade ist ungeschuldete habituelle Gnade gewor-den. Man fragte sich: braucht es auch eine Hilfe Gottes fur dieAkte, die der Rechtfertigung vorausgingen. Es gab leicht semipe-lagianische Vorstellungen. Allmahlich wird das dann wieder klar:Thomas verlangt besondere Hilfe Gottes dafur. Ob schon im ei-gentlichen Sinn ubernaturlich erhebend ist andere Frage. An-derer Grund: Semipelagianismus und Arausicanum waren nichtdeutlich bekannt und sind erst allmahlich wieder bekanntgewor-den.

Nach dem Tridentinum wurde das klarer gestellt, warum wir sol-che Hilfe brauchen: eigentlicher positiver Heilsakt, auch als vor-bereitender, kann nur mit innerer ubernaturlicher Gnade gesche-hen, und ist keine Schwierigkeit weil aktuelle Gnade dieser Artauch moglich ist.

Das genugt. Ratio theologica haben wir auch gesagt.

6.2 These 9 Initium Fidei und Gnade

These 9. Etiam ad initium fidei eadem gratia necessaria est.Auch fur der Rechtfertigung vorausgehende Akte (initium fidei)

braucht es notwendig diese Gnade

Nur aus historischen Grunden angefugtes Corrolarium. Wir applizie-

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6.2 These 9 Initium Fidei und Gnade

ren die allgemeine These: jeder Heilsakt bedarf absolut und physischnotwendig innerer ubernaturlicher Gnade, auch auf jene Heilsakte,die der Rechtfertigung vorausgehen, und sagen damit implizit, auchsolche Akte gibt es.

In zwei Hinsichten wird aber auch diese These nicht sehr prazise seinund sein konnen.

1. Bezieht sie sich auf alle positiven Heilsakte, die ein positiverSchritt zur Rechtfertigung sind und dieser vorausgehen. Dieseganzen Akte wurden bei Augustinus im Kampf gegen Pelagia-nismus und im 5. 6. Jahrhundert gegen Semipelagianismus in-itium fidei genannt.

2. Fides nicht in Gegensatz zu Rechtfertigung sondern im Gegen-satz zum rechtfertigenden Glauben: die dieser Rechtfertigungvorausgehen. Nicht bloß Vorbereitung auf den Glauben in un-serem modernen Sinn, namlich insofern unterschieden von derrechtfertigenden Liebe: wir wurden sagen: vorbereitende Akteauf den Glaubensassens: praeambula fidei, pius credulitatis af-fectus, das sich richtig in die innere Disposition zu versetzen, Er-kenntnis der credenditas und credibilitas der Offenbarung usw.

Das ist zum Teil auch gemeint (Arausicanum), ist aber alles was derRechtfertigung vorausgeht: auch Reue, Umkehr, Glauben selber soweit er der Rechtfertigung vorausgeht, gehort in diesem Sinn zuminitium fidei.

Wann das initium fidei aufhort: mit Rechtfertigung, wann es anfangt,kann man adaquat von anderen Akten nicht abgrenzen. Wir habenuns bei Ripalda den Kopf zerbrochen: welche Akte Chronistisch dannsicher nicht Heilsakte sind, vielleicht praktisch ungefahr keine solche:weil wenn es fides virtualis gibt, schon mehr oder weniger gegebenist, dann ist es denkbar, dass es Unterschied zwischen honestus undsalutaris gibt, aber praktisch diese beiden Dinge mehr oder wenigerzusammenfallen.

Braucht positiv nicht behauptet werden, aber wahrend durch positiveQuellen nicht sagbar, welche sicher nicht zum initium fidei gehoren,waren Akte, auch wenn sittlich, die schlechterdings nichts mit derAnerkennung des sich offenbarenden Gottes, Hinwendung zu dem fi-des zu tun haben, sondern nur Orientierung auf den Offenbarungs-Glauben sind, waren keine actus salutares, und fur die gilt diese Thesenicht. Frage aber: wo und wann es solche Akte gibt, die keine Hin-ordnung auf Glaubensvollzug haben, ob es die gibt oder nicht, ist

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

praktisch religios nicht auszumachen: auch schon der rein naturlichsittliche Akt hangt im konkreten Einzelmenschen in sehr vieler Weisefur einzelnen als einzelnen von ungeschuldeter Hilfe Gottes ab, undweiter muss und kann der religiose Mensch immer sagen: wann ichpositiven Schritt getan habe auf den Glauben hin, zur Reue, Umkehr,zu Bereitschaft die verzeihende Rechtfertigungs-Gnade Gottes aufzu-nehmen, war es Heilsakt und der geschieht nur aus dieser innerenHeilsgnade.

In dieser Hinsicht gehort auch initium fidei zu diesen Akten, die der in-neren Heilsgnade notwendig bedurfen.

Gegner dieser These: Semipelagianer:

• Meinten Gottes Gnade konnte den Menschen nur gerecht gege-ben werden, ohne willkurliche Bevorzugung einzelner, wenn derMensch Heils Anfang aus eigener Kraft macht,

• mindestens dadurch dass er Heil ersehnt, um Gnade bittet, sichvon den Sundern, denen die Gnade verweigert wird, absetzt undunterscheidet und

• Gott entgegenkommt, einen Schritt ohne Gottes Hilfe.– Wenn sie auch zugeben, dass die Heilsakte der vollen Gnade

Gottes bedurfen.– Das Wunschen der Rechtfertigung, das konne der Mensch

von sich machen.• Volle Rechtfertigung konne nur mit der Gnade Gottes gesche-

hen.• Demgegenuber hat Augustinus betont: jeder Heilsakt ist von

Gott.– In der Aussage des Arausicanums wird nicht unterschieden,

nicht reflex wenigsten,– wie weit diese Anfange des Heils dieser Hilfe Gottes bedur-

fen,∗ insofern sie Heilsakte oder∗ Akte der Konkupiszenz entgegengesetzt: geschah nicht

im Arausicanum:∗ besser ratsamer: auch auf die canones 1 - 3 des Triden-

tinums Session 6. Dort auch gelehrt dass der Akt ....procedit necessario ex gratia dei.

Qualificatio de fide definita.

Ecclesia Lehre der Kirche Weil Tridentinum unsere These lehrt und derSache nach definiert (docet et definit etiam quoad rem,) sind die

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6.2 These 9 Initium Fidei und Gnade

Semipelagianer als haretisch erklart.

SScr.:Jh. C. Ph. Gott gibt Wollen und vollbringen. Die Lehre der Schriftvon den Heilsakten auch bezuglich des Anfangs.

PP: nichts zu sagen: schon in der These vorher.

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6 Existenz der ubernaturlich erhebenden Gnade (II,sect.2 des Kodex)

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7 Gnade ist ungeschuldet

7.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet

These 10. Gratia necessario ad actus salutares requisita homini estindebita.

Diese Gnade, die fur die Heilsakte notwendig ist, ist dem Menschenungeschuldet

Nexus Zusammenhang

• Wir sahen schon, dass die Menschen ubernaturliches Ziel erstre-ben konnen.

• In den vorherigen Thesen sahen wir, dass sie das mussen durchAkte, die dem Ziele entsprechen.

• Aus der Ubernaturlichkeit des Zieles konnen wir Ungeschuldet-heit (gratuitas) des Zieles erschließen

• und daraus die Ungeschuldetheit (gratuitas) des Mittels.– Die Ungeschuldetheit der Gnade werden wir aus den Quel-

len beweisen (Gratuitatem gratiae: probabimus ex fonti-bus),

– namlich dass diese Gnade, die als fur das Ziel absolut not-wendig schon bewiesen ist, absolut ungeschuldet ist (abso-lute gratuita est)

Homo prouti in Adamo estpeccator et ab hoc abstrahen-do. Gratia est homini indebitanon solum ut peccator sed eti-am independenter ab hoc.

Der Mensch, insofern er in Adam ge-sundigt hat und abstrahierend davon,fur den ist die Gnade ungeschuldet,nicht bloß weil er Sunder ist, sondernauch unabhangig davon.

• Naturlich konnten wir einfach schon das nachste Kapitel neh-men,

– die Ubernaturlichkeit beweisen (rein spekulativ),∗ denn ungeschuldet (gratuitum) ist nicht schon uberna-

turlich (supernaturale),∗ aber ubernaturlich ist schon ungeschuldet (gratuitum).

· Eine Million braucht mir Gott nicht geben: ungeschul-det aber nicht ubernaturlich.

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7 Gnade ist ungeschuldet

· Aber nicht umgekehrt: was ungeschuldet ist nichtauch ubernaturlich.

• Weil die Quellen mehr und ausdrucklicher Ungeschuldetheit leh-ren und nicht von Ubernaturlichkeit sprechen, weil die Erkennt-nis aus der Ungeschuldetheit die Ubernaturlichkeit gewonnenhat.

• Wenn wir uns der Sachlage der Quellen und dem Fortschrittder Dogmenentwicklung anpassen und die Thesen hintereinan-der ordnen, auch entsprechend dieser Entwicklung der großerentheologischen Sicherheit,

• darum haben wir in diesem Abschnitt zunachst einen Abschnittuber die Ungeschuldetheit der Heilsgnade und

• danach erst eine Lehre uber die Ubernaturlichkeit dieser Gnade.– Insofern wir freilich schon von Ungeschuldetheit der Na-

tur gegenuber und nicht bloß dem sundigen Menschen alssundigem gegenuber sprechen, bereiten wir Lehre von derUbernaturlichkeit vor.

– Letztlich beruht die Ungeschuldetheit der Gnade auch demNichtsundigen gegenuber auf ihrer Ubernaturlichkeit.

– Weil Gnade ubernaturlich ist, die Dimension des menschli-chen Daseins an sich uberschreitet (als Geistperson), darumschuldet sie ihm Gott nicht.

Conceptus Begriffe

Diese Ungeschuldetheit hat verschiedene Hinsichten:1. Dem Sunder gegenuber2. Der Natur des Menschen gegenuber: dem Menschen insofern

er nicht notwendigerweise als Sunder betrachtet wird.Zweifellos kann und muss man so unterscheiden. An menschliche

Verhaltnisse gedacht: Ein Vater ist seinem Sohn, wenn er sichordentlich aufgefuhrt hat, eine Erbschaft schuldig, die er nichtmehr schuldig ist, wenn der Sohn sich straflich vergangen hatgegen seine Eltern: dann kann er ihn mit Recht enterben.Ungeschuldetheit gegen Schuldigen bedeutet weniger als unab-hangig davon. Wenn er nicht uberhaupt schuldet, schuldet ersie auch als Sunder nicht. Aber der andere Schluss geht nicht:Wenn er nicht als Sunder dann auch uberhaupt nicht. Eigentlichzu beweisen also das erste.

Weiter: auch unterscheiden insofern ein gewisser Anspruchvorhanden ist, der mehr moralischer, wirkursachlicher Art istund eine gewisse Proportion, die mehr in die Kategorie derinneren Ursachen, causa materialis, dispositiva (in unserem

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7.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet

Falle).Von diesem zweiten: ob der Mensch sich aus eigenen Kraften auf

die Gnade vorbereiten konne und ob das eigene Disposition ist,die zum Begriff der causa materialis gehort (reductive), dieseFrage behandeln wir in der nachsten These.

Hier nur: hat der Mensch Anspruch auf die Gnade? Dieser Be-griff eines Anspruchs kann wiederum in zweifacher Hinsicht ge-sehen werden:• Hat er Anspruch durch sein menschlich geistig persona-

les Wesen, durch seine Natur,• oder kann er sich Anspruch erwerben aufgrund seiner Ta-

ten insofern er sich durch naturliche Handlungen sittlichguter Art ein Verdienst erwirbt.– Zwei verschiedene Dinge, die in dieser These zusammen

behandelt werden.Man konnte sich denken, es denke sich jemand: was ist das fur

ein Quatsch, ist von vorneherein klar: der Mensch hat Gott ge-genuber keinen Anspruch. Wenn man begreift was Gott ist undwas Kreatur, hat doch das ganze Gerede des Abweisens einesAnspruchs vom Menschen her keinen Sinn.• Doch: hat einen Sinn. Meritum, Anspruch, debitum, wenn

auf Verhaltnis der Kreatur auf Gott angewendet, wird esanalog angewendet.

• Selbstverstandlich kann auch im besten Falle die Kreaturnicht solchen Anspruch haben, wie der Schneider fur gelie-ferten Anzug Anspruch auf Bezahlung der Rechnung hat.– Die absolute Analogie des Verhaltnisses zwischen Gott

und Kreatur affiziert diese Begriffe, ob sie abgelehntoder angenommen werden.

– Wer meint: also kann man in diesem Topf jedes Problemverschwinden lassen.∗ Das Geschopf ist das, das vor Gott verstummen muss

und vor ihm niederfallen muss und sagen muss: wirsind Gefaße, die er macht nach seinem Wohlgefallen.

∗ diese Haltung ist berechtigt, lost aber nicht die Fra-ge, um die es hier geht.

Wir Wissen aus dem Glauben der Kirche und aus der Termino-logie der Heiligen Schrift, dass es gewisse Akte gibt, die von derTradition als Verdienst des Menschen Gott gegenuber betrach-tet werden konnen und mussen.• Dass dadurch Gott nicht kleiner wird und wir nicht die

anspruchsvollen werden konnen, die vor Gott auftrumpfen

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7 Gnade ist ungeschuldet

konnen, das ist doch klar.• Spater haben wir eine These: dass der Mensch, der gerecht-

fertigt ist, tatsachlich durch sein Tun ubernaturliche Ver-dienste hinsichtlich seines Heils erwerben kann.– Warum das so ist,– was das bedeutet und– warum das die existentielle Haltung des Geschopfs Gott

gegenuber nicht beeinflusst als todliche Verwundung desgenuinen religiosen Verhaltnisses des Menschen zu Gott,

– werden wir uns spater in anderem Zusammenhang fra-gen.

• So was kann es geben, das ist festzuhalten trotz der Analogieeines solchen Begriffes Gott gegenuber, trotz des einmaligenVerhaltnisses der Kreatur zu Gott das unubertragbar ist.

Aber wenn wir fragen: kann der Mensch von sich aus Gott ge-genuber Verdienst erwerben oder nicht? Das ist nicht damit be-antwortet, dass ich sagen kann, dass es nicht in Frage kommenkann. Das ist nicht wahr, denn Gott hat uns gegeben, dass wirsolche Verdienste tatsachlich erwerben konnen.

Weiterhin ist, insofern wir die Frage erheben, ob die menschli-che Natur ein debitum in Bezug auf die Gnade habe, zu sagen,dass wir da auch auf die Ehre Gottes zu achten haben.• Es gibt nicht bloß sittliche Verdienste des Menschen Gott

gegenuber, sondern gerade wenn wir sinnvolle Schopfungs-macht Gottes richtig konzipieren, mussen wir sagen:

• Gott als der Weise, als der gleichsam in sich Koharente, derein wahrhaftes Wesen habende, kann eine Welt schaffen, inder es Zusammenhange gibt, so dass es auch Dinge gibt, woGott B sagen muss, wenn er A gesagt hat,

• nicht als ob er sich in Zwangslage begibt und gegen seinenWillen nicht mehr anders kann,

• sondern weil er sinnvoll und weise handelt, und handelnmuss.– Infolgedessen gibt es objektive Zusammenhange zwi-

schen einer und der anderen Tatsache in der Welt. Dasbeobachten wir.

– Unsere Erkenntnis geht nicht auf atomisierende Sand-haufen, sondern es gibt Zusammenhange: Luft und Lun-ge sind aufeinander hingeordnet. Wir erkennen weil Aist, ist B und muss B sein. Und weil wir aus dieser Ko-harenz einer pluralen Welt die Weisheit des Schopferserkennen, darum haben wir alles Recht in vielen Fal-

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7.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet

len anzunehmen, zu sagen: wenn Gott A schafft musser auch B schaffen.

– Gott hat dieses Sachgefuge gewollt, so dass er wegen BA und wegen A B will. Solche Zusammenhange gibt es.Kann man sagen: wenn Gott A schafft muss er auch Bschaffen: wenn Hasen geschaffen werden, die ohne Grasnicht leben konnen, muss er auch Gras schaffen. Vonvorneherein hat er eine Welt gewollt, wo es Gras undHasen gibt.

• Dieser Zusammenhang erhebt sich auf eine neue intensivereStufe, dort wo es sich um geistige Personen handelt. Schonuntergeistig gibt es solchen sinnhaften Sachzusammenhang.Der bekommt neue, wesentlich erhohte Dringlichkeit undGeschuldetheit dieses Sachzusammenhangs, wo es sich umgeistige Kreaturen handelt.

• Gott kann nicht geistige Kreatur, die auf sittlich Gutes aus-gerichtet ist, so schaffen dass er sie von vorneherein unver-meidlich dem Teufel und dem Bosen ausliefert.

• Er kann nicht geistige Kreatur schaffen und gleichzeitig alsabsolut verdammte in jedem Falle schaffen.

• Der Begriff eines debitum naturae ist durchaus sinnvoll, not-wendig. Fließt aus dem Begriff eines weisen Gottes mit Not-wendigkeit hervor.

• Auch den Begriff eines debitum naturae kann er genau so-wenig ablehnen wie Verdienst (meritum).– Ich kann nur fragen, wo kommen diese beiden Begriffe

richtig vor und wo nicht.– Den Begriff des Verdienstes (meritum) gibt es. Aber

nicht den eines meritum fur unio hypostatica.– Sie konnen also nichts tun, damit sie Rechtsanspruch

bekommen fur unio hypostatica mit dem Heiligen Geist.Kann also darauf nicht angewendet werden.∗ Sie haben ein debitum gegen Gott, dass er sie nicht

von vorneherein in absolute Zwangslage eines ihremWesen als geistiger Person unmogliche Situation ver-setzt, in der ein Vollzug dieser Person nicht moglichware. Also ein debitum gibt es.

∗ Aber nicht hinsichtlich der Gnade. Dafur haben sieeines, dass sie nicht verdammt werden, ohne dafuretwas personlich zu konnen.· Aber nicht dafur dass sie in Saus und Braus leben

konnen, keine Schwindsucht bekommen, nicht ster-

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7 Gnade ist ungeschuldet

ben mussen.· Darauf besteht kein Recht. Das schuldet der weise

Schopfer auch dann nicht, wenn er geistige Kreaturschafft.

Der Begriff Geschuldetheit ist also legitim. Und man muss se-hen, ob er auf einen Fall positiv oder negativ anzuwenden ist.Die Frage kann nicht von vorneherein abgelehnt werden.

Dieses meritum kann nun unterschieden werden in de condigno,de congruo und impetratio.(Rechtsanspruch, Billigkeitsanspruchoder Bitte). Jedes kann wieder in actu primo oder aptitudinaleund in actu secundo oder actuale sein.

meritum

de condigno

de congruo

impetratio

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

i(Drehorgel)

(arithmetic)

in actu primo (aptitudinale)

in actu primo (aptitudinale)

in actu primo (aptitudinale)

in actu secundo (actuale)

in actu secundo (actuale)

in actu secundo (actuale)

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqEs handelt sich um moralischen Anspruch: wenn ich jemand 10m

Stoff liefere, dann bewegt sich die Tat der Lieferung und dasRecht auf Bezahlung rein in materieller Sphare und nicht insittlicher.

Wenn ich an Gott glaube: dann ist der Akt den ich setze, selbersittlicher Akt mindestens honestus. Ein solcher hat anderen An-spruch auf Rekompensation als eine rein materielle Lieferung.

Wenn einer mit eigener Lebensgefahr einen anderen rettet,dann wird dadurch zwischen diesen beiden eine Verpflichtunggestiftet, die nicht dieselbe ist, wie Schneider Rechnung zubezahlen oder Schuhe kaufen.

30.1.1957 Vorlesung 37 (2.Stunde)

Wir stehen bei der Erklarung der Begriffe, die fur die zehnteThese notig sind fur Ungeschuldetheit der Gnade. Wir sprechenvon der Gnade von der in den zwei vorhergehenden Thesen dieRede ist, der notwendigen Gnade fur die Heilsakte.

Wir schließen ein debitum physicum aus: was das ist, ist schonerklart.

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7.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet

debitum morale: die gehabt wird durch actus hominis mere honesti.Wir sagen nicht: durch Heilsakte (actus salutares), da sagenwir spater das Gegenteil. Sondern hier: Durch Akte die demNaturgesetz konform sind (per actus legi naturali conformes.)

Dieses debitum morale ware das was meritum genannt wurde:opus moraliter bonum praesti-tutum in obsequium dei et di-gnus est praemio,

moralisch gutes Werk im GehorsamGott gegenuber vollbracht und wur-dig einer Belohnung,

dass man auf einen Titel der Gerechtigkeit oder der Billigkeithin die Gnade verlangen konnte. Solches meritum de condigno(Gerechtigkeit) oder de congruo (Billigkeit), soches Verdienstschließen wir aus insofern es durch naturliche sittliche Akte er-worben wurde.

Unterscheide: meritum de condigno: Verdienst auf einen titel derGerechtigkeitreponitur in titulo iustitiae,conceptus iustitiae in sensu ri-gori et in sensu latiori potestintelligi, ut aequalitas secund-um rigorem iustitiae vel arith-metica aequalitas ut prorsus ei-usdem quantitatis sint.

Stutzt sich auf Titel der Gerechtig-keit, Gerechtigkeit im engeren undweiteren Sinn verstanden, je nachdemsie sich auf arithmetische Gleichheitstutzt, d.h. dass es um vollig gleicheQuantitat geht oder nicht.

• Wenn einer einen vom Ertrinken rettet und am anderenTage der Gerettete den Retter: entspricht sich ganz genaugegenseitig.

• Wenn wir sagen: wir konnen uns Steigerung der ewigen Se-ligkeit verdienen, dann ist klar, dass visio beatifica und me-ritum sich nicht entsprechen secundum aequalitatem arith-meticam.

• Wo eine proportio geometrica da ist, genugt das auch furdas meritum de condigno.– Wenn ein Konig was macht, beziehungsweise umge-

kehrt: ein Soldat sich tapfer benimmt und gewaltig be-lohnt wird.

– Verdienst und Lohn: entsprechen sich nicht in arithmeti-scher Proportion, aber entsprechend den Moglichkeitendes einen und des anderen.∗ In sich betrachtet ist doch Lohn und Verdienst gleich

einigermaßen:∗ in principio iustitiae commutativae in denen praemi-

um und meritum aliquatenus correspondent: de con-digno.

∗ nach dem Prinzip der kommutativen Gerechtigkeit,

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7 Gnade ist ungeschuldet

wo Belohnung unf Verdienst sich irgendwie entspre-chen, hat man ein Verdienst auf den Titel der Gerech-tigkeit.

Kann aptitudinale und actuale sein. Sie konnen mir vor meinenZimmer eine Beethoven Symphonie vorspielen, und wenn ichschlafe: danke sehr, nehme ich nicht ab, habe ich nicht bestellt.Bezahle nicht dafur, was ich musste, wenn ich es bestellt habe(aptitudinale und nicht actuale).

Es hangt davon ab, ob der, dem das obsequium geleistet wird,auch davon ob der andere verpflichtet ist es anzunehmen odersich verpflichtet hat. Wenn sie sich ein Weiler Bild bestellthaben, mussen sie es bezahlen, konnen sie nicht sagen, das istnicht schon. Auch großartigstes brauchen sie nicht kaufen, wennsie es nicht bestellt haben.

In unserer konkreten Frage ist diese Unterscheidung, die man ma-chen muss, nicht sehr von Bedeutung. Auch spater bei der Impe-tratio spekulative Bedeutung. Zunachst hier nicht sehr wichtig.Zwar gibt es Falle, wo das Aptitudinale in actu primo non tran-sit in alium. Hier: wenn das eine bewiesen geht es uber in dasandere. Weil Gott als Schopfer fordert dass der Mensch dieseAkte leistet. Gott kann nicht diese Akte nicht fordern, admit-tit istos actus. Wenn sie merita aptitudinalia waren, wurden sieauch actualia werden.

Gott hat sich die Symphonie seiner Kreatur de facto bestellt.Ware das so viel wert, dass er dafur ubernaturliche Gnadengeben konnte, dann musste er es auch geben.

Anders: wenn wir horen: ista merita saltem non sunt actualia,Gott gibt nichts als Lohn, dann ist klar: non meritum ap-titudinale. Wir konnen schließen aus der nicht Existenz desmeritum aptitudinale auf die nicht Existenz des meritum actua-le. Und umgekehrt: wenn nicht actualis dann auch nicht aptitu-dinalis.

Meritum de congruo: quod si-ve propter absentem aequali-tatem sive propter non iuridi-cam acceptationem deficit si-ve utrumque nihilominus exaequitate vel decentia aliquidpostulare potest.

Ein Billigkeits-Anspruch (Meritumde congruo) ist ein Verdienst das ent-weder aus Mangel an Gleichheit oderweil es rechtlich nicht angenommenwird oder wegen beidem kann trotz-dem aus Billigkeit und Geziemtheitetwas fordern

Wenn einer Drehorgel auf der Straße dreht und angenommen ei-nigermaßen schon, und einer bleibt langere Zeit stehen und hortmit Wohlgefallen das Konzert des armen Mannes an, dann er-

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7.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet

wirbt sich der einen Billigkeitsanspruch, dass er ein paar Gro-schen hineinwirft. Haben keinen Vertrag gemacht. Vielleichtwirft er auch mehr hinein, als diese Muhe wert war, oder manhatte weitergehen konnen und brauchte nichts bezahlen. Aberwenn er zuhort und es ist nett, dann gehort sich auch, dass eretwas gibt dem armen Kerl. Das ist meritum de congruo!

Wenn sie Gott lieben ubernaturlich in der Kraft des HeiligenGeistes: hochst beachtliches Geschehen von unausmessbarer Be-deutung. Aber hinsichtlich der Moglichkeit der unio hypostaticagibt es doch nicht eine Proportion: d.h. es ist dadurch kein me-ritum auf diese unio erwerbbar.

Deficiunt in stricta iustitia ettamen aliqua proportio habe-tur: meritum de congruo

Eine strenge Gerechtigkeit ist nichtda, aber es existiert ein Verhalt-nismaßigkeit: Billigkeits-Verdienst,Billigkeits-Anspruch.

Spater benutzen wir das: die Akte, die nur Disposition sind, aberdoch aus Gnade hervor gehen, konnen nicht Gerechtigkeits-Anspruch erheben auf Rechtfertigung,• aber es geht dabei doch um ubernaturliche Akt und um

Rechtfertigung,• die doch in gleicher Dimension sind,• und deshalb sagen die Theologen mit Recht: Billigkeitsan-

spruch ist gegeben.– Diese juristischen Termini haben ihren Mangel,– aber um klarzumachen, dass sie als naturlich honeste

Akte im Unterschied zur solchen mit Gnade zu unter-scheiden sind

– und man kann damit ausdrucken, dass einige gar keinenAnspruch und andere doch gewissen Anspruch begrun-den konnen.

Impetratio: Gebet man muss doppelten Aspekt unterscheiden (du-plicem respectum distinquere)1. 1. im allgemeinen Gebet als seinsmaßig erhobener Akt hat

sein Verdienst und zwar auf Titel der Gerechtigkeit (actusentitative elevatus habet suum meritum et quidem meritumde condigno,) das was gewissen Anspruch begrundet.• Wenn sie im Gebet sagen: lieber Gott, vermehre meine

heiligmachende Gnade, dann geschieht das auch unfehl-bar.

• Warum: weil der Akt des Gebets, wie jeder andere uber-naturlich erhobene Akt, eben diese innere Proportionzur Vermehrung der Gnade hat,

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7 Gnade ist ungeschuldet

• also geschieht durch das Gebet insofern es ein meritumde condigno ist, das worum gebeten ist.

2. Aber es kann auch Bitte gedacht werden, die zwar nichtratione obsequii praestito alteri Wirkursachlichkeit entfaltetsondern rein insofern es eine Bitte ist:• wenn ich einen Freund schon hundertmal mit Geld aus-

geholfen habe und ich komme jetzt zu ihm: leih mir dochmal zehn Mark, dann hat er moralische Verpflichtung,die uber die Bitte rein als solcher hinausgeht.

• Wenn ich zu anderem gehe, der nicht von Recht undBilligkeit und von anstandiger Moral heraus verpflichtetist, kann er mir sie geben: ut mera impetratio influxumin alium habet: et alium movet ad hoc.

• Es gibt Bitten, die man machen kann, die de facto kei-nen Einfluss haben und keinen haben konnen.– Wenn ich zum Papst gehe und bitte: ich habe kein

Recht, aber ich bitte: mach mich zum Kardinal, dannwurde ich in hohem Bogen heraus fliegen. Diese Bittehatte keinen Nutzen. Das gewahrte konnte in diesemFalle sinnvoll nicht gewahrt werden, weil ich darumgebeten hatte.

– Wenn ein Kardinal im Koklave die anderen anflehenwurde: wahlt mich zum Papst: wenn er auch fahigsterware, dann mussen die Kardinale erklaren: wir wahlendich, obwohl du das gebeten hast, nicht weil du dasgebeten hast.

Deus potest huic homini grati-am dare: potestne facere solumpropter impetrationem? Nonut de congruo vel de condigno.Non sit censendus hoc darepropter impetrationem fontesdicunt.

Gott kann die Gnade diesem Men-schen geben: kann er es nur wegen derBitte tun, nicht als Billigkeit oder alsRecht. Die Quellen sagen, dass mannicht annehmen kann, dass er es we-gen der Bitte gibt

Eine solche Bitte kame immer schon zu spat. Ubernaturliche Ordnungwar schon vorher da. Schon ubernaturlicher Akt, kann also nicht ver-wirklichen, was hier vorausgesetzt ist.

Auch die Impetratio rein als solche schließen wir aus als Mittel zurErlangung der Rechtfertigung insofern sie ein Mittel ware rein ausder Kraft des Menschen.

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7.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet

Sensus thesis:Neque debitum physicum

neque debitum moralesive de condigno sive decongruo neque impetrariposse gratia salutaris.

Tantum quaerimus de possi-bilitate et impossibilita-te merendi gratiam sinegratia: non merendi gra-tiam cum gratia: de hocpostea .

Sinn der TheseWeder physischer Anspruch noch

moralischer Anspruch seies Rechts- oder Billigkeits-Anspruch, noch durch Betenkann man die Heilsgnadeerreichen.

Frage ist nur uber die Moglichkeitoder Unmoglichkeit Gnade oh-ne Gnade zu verdienen, nicht siemit Gnade zu verdienen. Dar-uber spater.

Weil und insofern wir beweisen, dass es ein meritum saltem actualenicht gibt, ist auch das meritum (de facto actuale) aptitudinale aus-geschlossen: denn Gott nimmt unsere naturlich sittlichen Akte an.Wenn er sie de facto nicht als Verdienst fur die Gnade annimmt,dann nur daher dass sie die Proportion nicht hat.

Adversarii: Gegner der These

infralapsarii: Pelagianer und Semipelagianer Semipelagianer: wennauch nicht juridische Akte, wie wir... lehrten sie meritum decongruo wenigstens circa gratiam.

Supralapsarisch: andere: Bajus: supralapsarium negant esse super-naturale: mussen unsere These negieren.Fur Bajus Jansenius und die Reformatoren war die ursprung-liche Verfassung Adams das naturale Wesen Adams und nichtschon dort ubernaturlich erhoht. Infolgedessen mussen sie sagen:Akte des sittlichen Lebens, die Adam im Paradies gesetzt hat,waren so, dass sie ein meritum ex sola natura Adams waren. FurBajus und Jansenius ist Gnade nur Gnade weil und insofern derMensch ein Sunder ist. Fur Adam im Paradies ware das ewigeLeben reiner Lohn gewesen, nicht Gnadenlohn.Bei und in doppeltem Sinn Gnadenlohn: ewiges Leben: Lohnder Verdienste aber weil wir Sunder sind und weil diese Gnadeschon der unschuldigen Natur des Menschen nicht geschuldetist. Von den Reformatoren vernachlassigt geleugnet und Bajusund Jansenius geleugnet und bestritten.

Qualifikatio: theologische Qualifikation

quoad hominem lapsum: diese unsere These de fide definita. Kon-nen wir sicher sagen. Keinen Sinn noch vorsichtiger zu unter-scheiden.

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7 Gnade ist ungeschuldet

Si gratia in ordine infralapsario pro nobis gratia illa requisita adactus salutares non esset homini indebita, dann vita aeterna undunser ganzes geistliches Leben nicht gratia. Paulus esset totaliterdestructus. Ganze Frage mit den Pelagianern hatte keinen Sinn:evanesceret si gratia homini debita esset.Der Pelagianer hat im Grunde nicht bestritten, dass Gott denMenschen zu Heilsakten helfen muss. Aber: er gibt es durchseine Natur. Wenn sie schlechterdings geschuldet ware, ware daswahr. Die ungeschuldete Gnade als trotzdem notwendige wardas, wogegen Augustinus kampfte.

Wenn Pelagianismus eine glatte Haresie sein soll, dann muss die-se These quoad infralapsarii eine Glaubens-Wahrheit sein, ergode fide definita sein.

Quoad hominem simpliciter talem: nicht sagbar dfd, quia nonadeo clara ut definitio. Die Pelagianer beachten das nicht. Spa-tere sehr: Arausicanum: supernaturalis wegen der gratuitas, nonpotest deduci ex peccaminositate, deshalb: aliqua gratuitas un-abhangig von der Sunde: fidei proxima und proxime definibilis:konnte in Konzil gelehrt werden ohne sich nochmal Kopf zu zer-brechen.

Weil, besonders auch im Vaticanum und humani generis, derBegriff der Ubernaturlichkeit der Gnade so deutlich und explizitgelehrt dass man sicher sein kann, dass dieser Begriff nicht mehraus der Lehre der Kirche verschwinden kann. Allmahlich 700Jahre, dass er explizit gelehrt wird, mit Zuruckweisung derAnfeindungen dieser Lehre, mit dem Bewusstsein dass dasgelehrt werden muss bis in die Lehre, die nicht verstandlich ist,außer man setzt diesen Begriff als gultig und verwirklicht inunserer Ordnung voraus.

Wenn die Gnade nicht im Voraus ungeschuldet ware, dannkonnte auch nicht im dunnsten Sinn mehr die Rede von Uber-naturlichkeit sein. Weil die Rede von der sublapsarischen Unge-schuldetheit der Gnade der handlicher einzusehende Begriff ist,kann der noch weniger unbekannt sein als Ubernaturlichkeit. IstUbernaturlichkeit aber schon definibilis, wenigstens eine wahreUbernaturlichkeit saltem theologice certum. Dann auch fur dieUngeschuldetheit betr. des Nichtgesundigthabenden so.

Beweis: Magisterium ecclesiae:

Homo lapsus: Indiculus, Arausicanum, Tridentinum.Si Indiculus dicit: nemo potest deo aliunde placere nisi eo quod do-

navit: auch Natur hat er geschenkt. Id quod deus donat: gnaden-

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7.1 These 10 Heilsgnade ist ungeschuldet

haft geschenkte. Was Gnade ist fur den tatsachlich existierendenMenschen: es sollen die Pelagianer getroffen werden. Illa gratiafacit ut homo pulset usw. (Arausicanum usw.)

Tridentinum declarat: sola gratia catholicum. Nullis meritis grati-am praevenire nobis dari pro actibus ad iustificationem dispo-nentibus.Ista merita utique quia Tridentinum non explicite curat concep-tum meriti de congruo, cogitat solum de de condigno. Deficitprobatio. Sed ex Arausicano clarum est.Talem gratiam etiam innocenti: das gilt auch fur peccator erstrecht.

Multa effata Baji a Pio V distinctionem status supernaturalis sup-ponit, etiam Adamo innocenti indebita. Es wird Bajus verworfenda sie bei ihm mera merita und nicht gratia waren.

Vaticanum: revelationem esse supernaturalem. Fides esse subjec-tive non tantum objective supernaturalem. Supponitur: talemgratiam esse gratuitam. Conceptus supernaturalis supponit vitermini gratuitatem. Si objective sumitur et solum in conten-tu materiali fortasse non includeret gratuitatem. Paulus charis:gratuitatem includit. Gratia non necessario gratuitatem, aberSupernaturalitas schließt gratuitas ein.Wenn es nicht ungeschuldet ist, kann es nicht ubernaturlich sein.Wenn es ubernaturlich ist, kann es ungeschuldet sein. Wenn auchdie Kirche die Gnade ubernaturlich nennt, die Gnade die Adambraucht zu Werken im Paradies, dann ist klar, dass sie unge-schuldet sein muss dem Menschen. Sonst auch nicht ubernatur-lich.

1.2.1957 Vorlesung 38

Iam vidimus doctrinam ecclesiae: quoad hominem lapsum do-cet: non meritis pressus deus ...explicite in indiculo, Arausicano,Tridentino docta etiam antecedenter ad lapsum: Pius V gegenBajus docuit: merita quae Adam acquirere potuit: konnten nichtgratia proprie dicte genannt werden. Istas sententias damnavitPius V. Etiam supernaturalis ante statum peccati lapsi. Similequid in Vaticano: unser gnadenhater Stand subjectivus und ob-jektivus dicitur supernaturalsi. Wenn die Kirche das sagt, folgtauch dass homini innocenti esse indebita.

SScr: Kurz, keine Schwierigkeiten.

Paulus hat explizit gelehrt, dass es Gnade gibt. Etwas was wir

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7 Gnade ist ungeschuldet

nicht verdienen konnen, gratuitu datur. Nicht verdienbar durchunsere Werke. De conceptu gratiae alicuius tamquam donumnullis donis debitum Paulus expresse docet. Dann auch: nostramiustificationem esse talem gratiam. Ut gratia sit opus salutaregratuitum procedit, homo sibi merere non potest. Gal. Ro. undcontextus Paulinus: kein Zweifel: filius irae, einer der von neu-em geboren werden muss, neugeboren werden muss. Tale quidnon posse inchoari von seiten des Menschen ex natura concepti.Mortuus non potest seipsum revitare, non est sub hoc respectu.

Etiam ex natura iustificationis elucet ex Paulo: non qualiscumqueiustitia sed una quae fundatur in communicatione spiritus divini.Ad sphaeram divinam exclusive pertinet ex conceptu filiationisadoptivae apparet. Extraneus mereri non potest. Hochstens decongruo in natura.De hac re nullum dubium potest esse.

Etwas schwieriger: debiti moralis naturalis. Quoad hominem in-nocentem. Nach der ersten These: finis est supernaturalis. Inthesi 8. idem dicendum est de gratia iustificationis. Non opusest ut repetamus. Sufficit et finis et status iustificationis est su-pernaturalis. Eatenus docet etiam indebitum homini innocenti.Christus est filius, alii sunt servi, wenn wir nun das in Christobekommen, ist das indebitum. nicht weil wir lapsi sind, sondernweil wir servi sind.

Dubium non est ergo. Propterea sequitur, gratia etiam innocen-ti est indebita. Wenn debita dann nicht mehr de supernaturalisermo esse potest. Supernaturale essentialiter transcendit. Wenndas von der Gnade gesagt: ist sie indebita weil der Mensch Krea-tur ist, nicht nur weil er Sunder ist.

PP.: Lehre der Kirchenvater

Idem dicere possumus ut in thesi 8. et thesis 9. De gratuitate ac-tum est. Necessitas gratiae (inquantum est indebita). Gratia sicdicta homini debita Pelagiani non negaverunt. Acriter pugna-bant contra Augustinum, dass Gott uns etwas gibt, was zumHeile notig ist.

Wenn das Ziel uns notwendig ist, ist auch notig, dass wir vonGott jedes Hilfsmittel fordern konnen dazu. Non voluerunt di-cere gratiam. Gratuitas gratiae von Augustinus verteidigt wor-den: Cardo dispositionis. Sed non clare distinquit: 1. gratuitatemgratiae salutaris prouti elevans dat novam naturam actibus etprouti est existentialis prouti dat novum esse.

Wir konnen nicht gerettet werden wenn wir nicht diese Gnade

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7.2 These 11 Unmoglichkeit irgendeiner positiven Disposition

haben und die kann Gott uns verneinen. Aber nicht gesagt curest indebitum sondern nur: est indebitum. Necessario duplexresponsum distinguendum requiritur: dat nobis efficacem: eineAntwort aber nicht adaquat. Quia datur profundius declaratio:fur diese These: gratuita quia id quod est non tantum quiadatur, sed in eo quod est, nobis est indebita. Fini supernatu-rali hominis debet esse proportionata, das hat er nicht beachtetaber vorausgeleuchtet schon: Auf zwei Weisen 1. Adam 2.Heili-ger Geist

Nicht klar unterschieden und potius insistit in gratuitate gratiaeprouti est efficax. Mehr als in der anderen, die wichtiger ist.

Andere Vater: Griechen:Supernaturalis lehrten sie als Divinisationem hominis. So auchexclusio alles debiti physici et moralis. Haben das nicht genugbetrachtet.

Theologi: Was sagen die Theologen

Per se klar. Wegen der Schwierigkeit der Ubertragung der Begriffe ha-bitus und so weiter ist da und dort einige Dunkelheit entstanden, sodass wir nicht simpliciter negieren konnen, dass etwas als BilligkeitsAnspruch insinuiert wird auch bei großen Theologen, selbst bei Tho-mas. Aber im allgemeinen ist die Sache klar und Nachtridentinischkeine Schwierigkeit mehr in dieser Frage.

Ratio theologica: theologischer Vernunftbeweis.

Per se omnia patent: finis estindebitus, tunc etiam mediaproportionata indebita esse de-bent. Debet ut medium huicfini proportionatum indebitumesse et quidem homini ut natu-rae.

An sich ist alles klar: Das Ziel istungeschuldet, dann mussen auch dieverhaltnismaßigen Mittel ungeschul-det sein. Das muss als diesem Ziel an-gemessenes Mittel ungeschuldet seinund zwar dem Menschen als naturli-ches Wesen

7.2 These 11 Unmoglichkeit irgendeinerpositiven Disposition

noch 1.2.1957 11.These

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7 Gnade ist ungeschuldet

These 11. Per vires naturae homo lapsus nullo modo potest se po-sitive disponere ad gratiam salutarem. Asserenda tamen est dis-positio mere negativa secundum principium:

”Facienti quod est

in se, Deus non denegat gratiam“.Positive Disposition fur die Heilsgnade ist dem Menschen nach dem

Sundenfall durch die Krafte seiner Natur auf keine Weise mog-lich. Man muss jedoch sagen (asserere) dass es eine negativeDisposition (Vorbereitung) gibt nach dem Prinzip:

”Wenn der

Mensch tut was er kann, dann verweigert ihm Gott die Gnadenicht.“

Nexus Zusammenhang

Fere repetitio thesis an-tecedentis sub aliisconceptibus. Thesesdifferunt re vera, solum inprobatione est repetitio.

Exclusio dispositionis et non-dum in thesibus antecen-tibus exclusis, sed fontessunt eaedem.

Thesis: Per vires naturae ho-mo lapsus nullo modo po-test se positive disponeread gratiam salutarem. As-serenda tamen est disposi-tio mere negativa secund-um principium:

”Facienti

quod est in se, Deus nondenegat gratiam“.

Excludimus dispositionem po-sitivam ad gratiam per so-los vires naturae. Admitti-mus: dispositionem nega-tivam et eatenus admit-timus sensum certum ad-missibilem axiomatis:

”Fa-

cienti quod est in se, Deusnon denegat gratiam“.

Ist beinahe nur Wiederholung dervorausgehenden These mitanderen Begriffen. In Wahrheitunterscheiden sich die Thesen,nur im Beweis haben wir eineWiederholung

Ausschluß einer Disposition, die invorhergehenden Thesen nochnicht ausgeschlossen ist. AberBeweis geschieht aus den glei-chen Quellen.

Die These lautet: Durch die Krafteseiner Natur kann der Menschnach dem Sundenfall sich in kei-ner Weise positiv fur die Heils-gnade disponieren. Eine reinnegative Disposition nach demPrinzip

”wenn er tut, was er

kann, verweigert ihm Gott dieGnade nicht“ ist nicht ausge-schlossen

Axiom kann richtig und falsch verstanden werden, nicht schlechthinohne Zweifel. Braucht cauta und sollicita Interpretatio restrictiva.

Conceptus: Dispositio: Begriffe: Disposition

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7.2 These 11 Unmoglichkeit irgendeiner positiven Disposition

Ex Aristotelica doctrina de ac-tu et potentia: res omnis crea-ta profundissime determinataest per dualismum inter po-tentiam et actum: Subjektumet determinatio (forma) huiussubiecti. Non est aptum om-nem formam recipiendised re-quiritur certa habitudo intercertum subjectum et qualita-tem etc.

Aus der Aristotelischen Lehre uberAkt und Potenz: Jedes geschaffeneDing ist innerlichst bestimmt durchden Dualismus zwischen Potenz undAkt - Subjekt und seine Bestimmung(Form dieses Subjekts). Dieses istnicht geeignet, jede Form anzuneh-men, sondern braucht ein gewissesVerhalten (habitudo) zwischen einembestimmten Subjekt und der Qualitatusw.

Id quo subiectum aptum estad formam suscipiendam vo-catur dispositio: illa qualitas,quo aliquod subjectum consti-tuitur causa materialis ad for-mam suscipiendam.

Das, wodurch ein Subjekt geeignetist, eine Form zu ubernehmen, nenntman Disposition: Es ist jene Quali-tat, durch die ein Subjekt zur Mate-rialursache zur Aufnahme einer Formkonstituiert wird

Wenn das eine objektive Rea-litat hat: wir sehen Dinge diesubsunt motui, historiae, fieri.Determinatur qualitatibus. Is-ta determinatio est id, quod ip-sum subjectum admitti debet.Et tamen non realiter identi-ca. Actus realiter distinctus asubjecto admitti debet. Est lexpraevie apriorica pro formassuscipiendas: non omne subiec-tum omnem formam acciperepotest: aus Holz kann man kei-ne goldenen Ohrringe machen.

Wenn das eine objektive Realitathat: Wir sehen Dinge, die der Bewe-gung zugrunde liegen, der Geschichte,dem Werden. Das wird durch Qua-litaten bestimmt. Diese Bestimmungist es, was das Subjekt selbst er-moglichen muss. Sie sind aber dochnicht real identisch. Das Subjektmuss einen realdistinkten Akt zulas-sen. Das ist ein apriorisches, vor-ausliegendes Gesetz zur Aufnah-me einer Form. Nicht jedes Objektkann jede Form annehmen. Aus Holzkann man keine gol´denen Ohrringemachen

Talis dispositio potest esse inordine physico et in ordine mo-rali. Cohaerent quoddammodointer se haec duo, tamen dis-tinguere possumus

Eine solche Disposition kann in derphysischen Ordnung sein und in dermoralischen Ordnung

physische Voraussetzungen: ob und wieweit die Eigenschaft Bi-schof zu sein physische Voraussetzungen hat: physischen Cha-rakter, der durch Weihe-Sakrament verliehen wird, wie morali-sches und geistiges auf realontologischen dem Bewusstsein geisti-

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7 Gnade ist ungeschuldet

ger Einstellung vorausgehenden Einstellungen beruht: hier nichtden Kopfzerbrechen.

Moralische Zustandlichkeit gibt es: Sunder sein, Liebender sein,gerechtfertigt zu sein, Staatsburger zu sein.• Alles das auch auf realontologischen Voraussetzungen beru-

hend:• in sich etwas was der Bewusstseins Ordnung angehort nen-

nen wir moralisches.• Dafur gibt es auch moralische Voraussetzungen.

Nach Kirchen Recht muss ein Bischof 35 Jahre alt sein. FurPriester Weihe muss man mannlichem Geschlecht angehoren.Es gibt Dispositionen fur physische Zustandlichkeiten und furmoralische Zustandlichkeiten. Trockenheit beim Holz: Voraus-setzung dass es brennt, so lange anzunden bis es brennt, wennes nass ist. Trockenheit ist Dispositio proxima fur Brennen. Hen-kel ist Dispositio dass man Topf anfassen kann, wenn er heißtist.

Inter dispositiones morales verschiedene zu unterscheiden: beidewieder:• in fieri und• in facto esse:

– als vorhandene oder– als hervorzubringende.∗ Holz kann trocken sein oder∗ hervorgebracht werden: durch causa efficiens kann

ich dispositio hervorbringen.Dispositio moralis: der geistigen Bewusstseinssphare angehorend,

sittliche sind nur ein Sektor dieser. Kann wieder verschiedenerArt sein:

1. Dispositio condignitatis Beispiele: wenn einer zum Bischof er-nannt werden soll, musste er an und fur sich (ob tempore vor-ausgehend) Mann und zweitens Priesterweihe und drittens etwasvon Theologie verstehend, er muss vom Wesen der Sache aus,einigermaßen normalen christlichen Lebenswandel haben.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqDispositio Forma

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqrequiritur

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7.2 These 11 Unmoglichkeit irgendeiner positiven Disposition

Dispositiones die von der di-gnitas episkopalis requirunturin subjecto, quae a forma re-quiruntur in subjecto, quinistae dispositiones exigant for-mam

Dispositionen, die von der bischof-lichen Wurde im Subjekt erfordertwerden, die also von der Form imSubjekt verlangt werden, ohne dassdiese Dispositionen die Form erfor-dern

Wenn wir die eben genannten Dispositionen anschauen, sehenwir: einzufuhrende Form fordert in dem Subjekt diese Eigen-schaften, aber diese Eigenschaften fordern nicht den Episkopat.Es gibt auch Dispositionen die die Form fordern: wenn sie hei-ligmachende Gnade haben und gleichzeitig den Kopfsprung inchristlichen Tod hinein gemacht, - gerechtfertigter und gestor-bener - dann fordert diese Dispositio die ewige Seligkeit.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqDispositio Forma

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq....................................................................................

..............................

requiritur

Hier haben wir etwas was den Tod angeht, was von der Formnicht gefordert wird, was die visio beatifica fordert.

Habetur ergo dispositio quinforma exigatur a dispositioneet dispositiones quae formamexigant quin dispositio exiga-tur a forma.

Es gibt also Disposition, ohne dassdie Form von der Disposition erfor-dert wird und Dispositionen die dieForm verlangen ohne dass die Dispo-sition von der Form erfordert wird

Wenn sie vom Papst zum Bischof ernannt sind, konnen sie Bi-schofs Weihe fordern und umgekehrt: Bischofs Weihe erfordert,dass sie legitimiert sind, durch Approbation des Heiligen Stuhls.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqDispositio Forma

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqrequiritur

3. dispositio legalis. Nun auch noch so dass weder Disposition desSubjekts aus seiner Natur noch die zu induzierende Form dieDisposition fordert, sondern die Disposition gleichsam legal will-kurlich gesetzt erfordert wird.Einer der 34 Jahre alt ist, kann nicht sagen, an und fur sich kanner Bischof werden, Bischofs Amt verlangt nicht aus dem Wesen,dass ausgerechnet Bischof werden muss, die 35 Jahre fordern denEpiskopat nicht und Episkopat fordert an sich keine 35 Jahre,sondern diese Bestimmung ist vom Gesetz gemacht. Nicht ausder Natur der Sache des Subjekts und nicht aus Natur der Form

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7 Gnade ist ungeschuldet

kommende Sache, sondern durch positives Gesetz etwas was eineDisposition ist dazu gemacht.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqDispositio Forma

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

legalis

......................................................................................

requiritur

Sed quae a forma exigitur etdispositio quae exigitur a le-ge formae et dispositioni exter-nae. (condignitatis, Beraza hatden Begriff)

Aber die von der Form vorausgetztwird und Disposition die vom Gesetzvorausgesetzt wird, das der Form undder Disposition außerlich ist (auf Ti-tel der Gerechtigkeit, Beraza hat die-sen Begriff gebildet)

Sensus thesis: Wenn das klar ist, sagen wir: der Mensch kann durchnaturlich sittliche Akte, durch seine Natur keine positive Dispo-sition, und er kann solche weder in der 1.Art (exigentiae) nochder 2. Art (condignitatis) noch der 3. Art (legalis) bei sich pro-duzieren:

1. Der Mensch auch mit naturlichen sittlichen Akten, ist in kei-ner Verfassung, die die Gnade fordern wurde wie causa materia-lis.

2. Die Gnade fordert auch nicht aus ihrem Wesen heraus, dassder Mensch im voraus dazu, dass der sie bekommt, in gewissernaturlich sittlicher Disposition ist.• Gnade ist so, dass sie unter Umstanden auch dem großten

Lumpen gegeben werden kann.• Das heißt nicht, dass er dann auch einer bleiben kann. Das

nicht mehr Lump sein ist nicht etwas was der Mensch in sichdurch seine Krafte produzieren musste, damit die Gnadekomme.

• Die Gnade sagt also nicht: ich komme nur und werde nur beidir anklopfen, wenn und insofern du die von mir geforder-te Voraussetzung: einen schon naturlich sittlichen Zustandhast.

3. Auch kein Gesetz von Gott das bestimmt: obwohl keine sitt-liche Disposition fordern konnend, und obwohl die Heilsgnadedas auch nicht fordert, so bestimme ich es doch: durch Gesetz:ich gebe die Gnade nur einem, der seinen naturlichen Haushaltin Ordnung gegeben hat. Solches Dispositionsgesetz gibt es auchnicht.

Mit anderen Worten: wir sagen den simplen Satz: der Mensch

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7.2 These 11 Unmoglichkeit irgendeiner positiven Disposition

kann auch mit seiner ganz naturlichen Sittlichkeit nicht bewir-ken, dass die Gnade zu ihm kommen muss, und er kann mitaller moralischen Lumperei nicht fertig bringen, dass die Gnadevon vorneherein und im allgemeinen verzichten muss, zu ihm zukommen.

Damit ist nicht ausgeschlossen, dass sie unter Umstanden daraufverzichtet, weil der Mensch ein naturlicher Lump ist, aber dieGnade lasst sich auch mit 1 Korinther weder durch naturlicheGutheit des Menschen, noch durch naturliche Schlechtigkeit inihre souverane Initiative etwas reinreden.

6.2.1957 Vorlesung 39

Wir wollen die These uber das nicht Vorhandensein einer Dis-position fur die Heilsgnade zu Ende fuhren. Wir haben gesagt:

wir mussen bei solcher Disposition drei verschiedene Artenunterscheiden: exigentiae, condignitatis, legalis.• Eine Disposition die die Gnade als ihr Form fordert,• eine die von der Gnade als ihre Disposition gefordert wurde• und eine, bei der aus der Natur der Sache weder das ei-

ne noch das andere, aber etwas was als eine Art Dispositi-on durch gesetzgeberischen Akt gefordert wurde oder durchAkt der Providenz Gottes, in der Gott festgelegt hatte, erwerde die ubernaturliche Heilsgnade nur unter diesen unddiesen Bedingungen geben, so dass zwar diese Bedingungnicht sie fordert und nicht umgekehrt, aber Gott de factofordert.

Alle diese drei schließen wir aus: sagen dass wir aber das zugebenkonnen nach dem Prinzip:

”facienti quod est in se, deus non

denegat gratiam“ zugeben konnen, dass es so was wie Dispositionegativa geben konne.• Einfach darin bestehend, dass der Mensch kein Hindernis

neu schafft durch sein unsittliches Verhalten,• so dass dadurch die Gnade, die wegen allgemeinem Heils-

willen Gottes gegeben wird und nicht wegen der Disposition• tatsachlich zu ihrem Ziel kommen muss auf die Dauer, wenn

der Mensch de facto dann mitwirkt.Das bedeutet nicht, dass Gott nur denen, die sich so

disponieren, seine Heilsgnade gibt. Wir haben in der ers-ten These gesehen, dass Gott auch Heilswillen gegenuberVerstockten und Unglaubigen hat. De facto gibt er jedem ge-

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7 Gnade ist ungeschuldet

nugend Gnade, um das ubernaturliche Heil wirken zu konnen,wenigstens bei den Erwachsenen. Die Frage nach den Kindernhaben wir damals ausgeklammert.

Hoc est sensus alicuius dispo-sitionis negativae: non positioobstaculi. Deus non debet daresed potest tale quid facere.

Das ist der Sinn einer negativen Dis-position: Das Nichtsetzen eines Hin-dernisses. Gott muss nicht aber erkann so was tun.

Tridentinum dicit: (Tridentinum sagt)

Deum interdum deserere homi-nem si iste deus deseratur. Eti-am valet de non-iustificato, siiam valet de iustificato.

Gott verlasst manchmal den Men-schen, wenn dieser Gott verlasst. Dasgilt auch beim Nichtgerechtfertigtenwenn es schon beim Gerechtfertigtengilt

Gott kann wenn er will keine oder weniger geben oder nur suf-ficiens vor efficax geben. Gott kann die Nicht Collatio abhangigmachen von einer Sunde eines Menschen.Non positio peccati est non po-sitio obstaculi.

Nicht Sundigen ist das Nicht-Setzeneines Hindernisses.

Wenn auch dieses obstaculum nicht non-superabilis ware: keinMensch nicht einmal durch die schlimmsten Sunden, kann ma-chen, dass Gott ganz seine Gnade zuruckhalt bei diesem Men-schen fur das ganze Leben. Aber man muss nicht sagen, dass dieGnade keine Rucksicht habe auf die Sunde und deshalb gibt es:Dispositio negativa.

Kann auch anderen Sinn bekommen, der unseren nicht aus-schließt sondern Erganzung ist:• wenn der Mensch tut was er tun kann, gibt Gott weitere

Gnade.• Wenn einer anfangt zu beten sicherlich: solchem Menschen,

der jetzt tut was er kann gibt Gott, dass er nachher mehrtun kann.

• Dass er nun mit der Gnade getan hat, was er jetzt kann.– Diesen Sinn schließen wir nicht aus,– sondern dieses Axiom in der Theologie und im prakti-

schen Leben, sagen wir,– kann auch Sinn annehmen, den wir ihm so geben quoad

dispositionem.

Adversarii: Pelagiani et Semipelagiani: dieselben wie fruher. Es gibteinige Theologen, die auch die dispositio negativa verwerfen. Quoad

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7.2 These 11 Unmoglichkeit irgendeiner positiven Disposition

rem sagen sie nichts gegen unsere These. Wer gleichzeitig annimmt,wie erste These, quoad rem nostram thesim admittit. Nur verbaliterverwerfen sie unsere These.

Im Mittelalter: Gegner die aus schon erklarten Grunden Disposi-tion zulassen aus nur Kraften des Menschen (auch Thomas Junior) :schon obsoleta.

Qualifikation: de fide definita. Exigentia proprie dicta ist dasselbe wiezu sagen: er kann es aus eigenen Kraften. Das ist gegen Indiculus,Arausicanum, Tridentinum sess.6.

Exclusio condignitatis legalis: respecta supernaturalitate: theo-logice certum.

Dispositio negativa: gute Erklarung: probabilis.

Magisterium: Etsi forte non de condigno saltem de congruo: aliquamexigentiam wenigstens nach der aequalitas da. Talis dispositioexigentiae exclusa est.

exigitiva: quad rem esset actus salutaris. Das ist schon etwas posi-tive quoad salutem conferre. Talis dispositio exigitiva ware ge-gen die These 8. Arausicanum und Indiculus:simpliciter omnemdispositionem quoad rem excludit. Jede Initiative kommt nichtvom Menschen sondern ex sola gratia. Der Mensch kann nurantworten auf Gott, der durch die Gnade ruft.

Tale quid adeo profunda persuasio Arausicani: im Menschen exse solo nihil esse nisi mendacium et peccatum. Das brauchtnicht neue Sunde sein (vorherige These) aber schließt aus al-les Positive, was der Mensch aus sich tun kann in opere salu-tis. Denn etwas Positives konnte nicht mendacium et peccatumgenannt werden. Also jede Dispositio exigentiae, condignitatis,legalis ausgeschlossen.

Dispositio negativa: peccata influxum negativum in donationemgratiae habere posse: Gott kann auch aus Saulus Paulus ma-chen. De possibili influxu peccati dubium esse non potest.

Auch nicht auf die erste These: daraus folgt: si non omittit diu,tum etiam ex voluntate salvifica Dei debet accipere gratiam sal-vificam.

SScr.: Debemus trahi a Deo. Sonst konnen wir nicht zu ihm gelangen. Ergibt nicht nur facere sondern auch velle. Also keine eigene dispositiopositiva.

Negativa: Prophetis ex toto modo procedendi Christi in sacra scriptu-ra: ex minis. propter ....re vera peccata posse resistere deo: non quia

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7 Gnade ist ungeschuldet

Deus vincitur sed vinci vult. Homo potest reniti contra vocantemDeum.

Auf der anderen Seite: Gott hat voluntas salvifica: quoad rem dedispositione negativa kein Zweifel moglich.

PP.: Augustinus nach 397 (senior) nullam dispositionem positivam ad-mittit, die der jungere angenommen hatte. Dann strenue defendebatreluctationem Pelagianorum excitavit.

Andere: quoad rem dispositio negativa zugelassen. Wir wollen nichtsagen, dass Augustinus das gelehrt hat. Der Grund ist nicht, dasser voluntas salvifica eingeschrankt hat, wenn Gott nicht circa omneshomines habet voluntatem salvificam. Diese konnen auch alle Sun-den meiden und doch keine Gnade bekommen: in dieser Sentenz desAugustinus gibt es auch keine dispositio negativa.

Aber wir mussen voluntas sincera salvifica annehmen und alles an-dere ist Jansenismus und haretisch. Da konnen wir Augustinus nichtfolgen.

Theologi: Dispositio negativa: wir haben langsame Entwicklung dessenwas schon im sechsten Jahrhundert gelehrt wurde. Mehr und mehrvon dieser Sentenz der Theologen zuruck gewichen. Auch Thomas:Dispositionem positivam indigere auxilium Dei.

Nach dem Tridentinum kein Zweifel mehr, wenn auch die Terminolo-gie nicht so leicht ist. Auch nachher noch einige remotissimam posi-tivam admiserunt. Dispositionem positivam eruere videntur.

Quo magis magisque supernaturalitas cognoscitur, um so mehr auchverschwindet die Moglichkeit der dispositio positiva.

Quoad negativam: das notige auch schon gesagt. Wir wollen nichtlanger dabei verweilen.

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8 Ubernaturlichkeit derHeilsgnade

8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit derHeilsgnade

These 12. Haec gratia absolute gratuita, quae et in quantum estabsolute et physice necessaria ad actus salutares, est secund-um substantiam supernaturalis seu transcendit naturam, vires etexigentias omnium creaturarum et intrinsecus pertinet ad eumordinem divinum, cuius est visio Dei intuitiva.

Ubernaturlichkeit: Diese absolut geschenkte (gratuita) Gnade, dieund insofern sie absolut und physisch fur die Heilsakte notwen-dig ist, ist in ihrem Wesen ubernaturlich d..h. ubersteigt Natur,Krafte und Bedurfnisse aller Geschopfe und gehort innerlich zuderjenigen gottlichen Ordnung, zu der die intuitive Gottesschaugehort.

Wir kommen zu dem Kapitel der Gnadenlehre, in dem einerseits nochvon Heilsgnade im allgemeinen die Rede ist, ohne dass unterschieden wer-den muss zwischen aktueller und habitueller Gnade. Diese Distinktion istnicht nur theologiegeschichtlich sondern auch sachlich nicht so fundamen-tal, dass man nicht von beiden gemeinsam etwas sagen kann.

Naturlich ist die Lehre der Ubernaturlichkeit der Heilsgnade und ihrerExistenz etwas, was rein logisch gesehen Notwendigkeit und Ungeschuldet-heit der Gnade schon einschließt. Letztlich ist die Gnade zu jedem Heilsaktnotwendig und absolut ungeschuldet, weil jeder Heilsakt ein ubernaturli-ches Ziel anstrebt und deshalb ubernaturliche Hilfe absolut notwendig undungeschuldet ist.

Wir hatten von Anfang an sagen konnen: der Mensch bewegt sich alsPartner Gottes, der von Gott in personaler Selbsterschließung angerufenist, auf eine Teilnahme an dem Leben Gottes in einer Dimension, die jedemungeschuldet ist.

Denn Ungeschuldetheit, die sich nicht auf Sunder, sondern auf die Krea-tur selber schlechthin bezieht, ist eben das, was wir Ubernaturlichkeit des

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Ziels und des Mittels, der Gnade, nennen.Fur die Theologie nach dem Tridentinum und noch fur

”humani generis“

ist der Begriff des Ubernaturlichen ein Schlussel-Begriff fur die Theologieuberhaupt. Man soll den Begriff Ubernatur, der von Scheeben inauguriertwurde, meiden. Er ist schlecht und missverstandlich. Er ist auch religi-onspadagogisch nicht empfehlenswert: es gibt nicht Natur und Ubernatursondern eine ubernaturlich erhohte finalisierte Natur. Es gibt ubernaturli-che Gnade, ubernaturliches Ziel aber keine Ubernatur.

Denn ein solcher Begriff (im Deutschen mehr verbreitet, auch Franzosenfangen das schon an) das hat Scheeben gut gemeint, aber nicht gut ge-troffen. Wenn man von Ubernatur redet ist die Vorstellung des Stockwerk-Denkens nicht mehr recht vermeidbar. Die katholische Glaubenslehre, ke-rygmatisch gesehen, schwankt praktisch immer zwischen zwei verschiede-nen Straßengraben in der Auffassung der Gnade. Entweder ist sie in Ge-fahr, und in der Praxis auch realisiert: die Gnade aufzufassen als bloße HilfeGottes, notwendig dazu dass der Mensch ein anstandiger Kerl ist, eine sau-bere Weste hat und in gutem Verhaltnis zu der obersten Weltinstanz, Gottgenannt, lebt. Das ist der eine Straßengraben. Wir sind als Menschen an-standige Kerle und nehmen von der Katechese zur Kenntnis: wir brauchenvon Gott eine moralische Injektion, und das nennt man Gnade.

8.1.1 Vorblick auf Gesamtschau Ubernaturlichkeit mitBewusstheit der Gnade

Der andere ist der durch die Entwicklung der Theologie nach der Ver-urteilung Bajus und gefordert durch gewisse Tendenzen, wie sie loblicherWeise bei Scheeben und nachher gegeben sind, kommt in Gefahr in anderenStraßengraben zu fallen. Hier wird betont (Scheeben hat das Buch Naturund Gnade geschrieben gegen die Aufklarungs-Theologie und Theologie derersten Halfte des neunzehnten Jahrhunderts und das Buch von den Herr-lichkeiten der gottlichen Gnade deshalb) und will uns beibringen: Gnade istgottliches Leben, dass sie einer Dimension angehort, in der Gott Gott istund sich vom Geschopf unterscheidet. Gnade gehort in das Leben des drei-faltigen Gottes, ist wahre Sohnschaft, gibt es nur, wenn Gott sich mitteilt.Darum hat er gegen Granderath und andere Interpreten des Tridentinumssehr loblich die ungeschaffene Gnade, Mitteilung Gottes an den Menschenin seinem eigenen Leben betont, und gezeigt, dass die Einwohnung Gottesein reines Konsequenz der geschaffenen Gnade ist (spater).

Insofern ist die Reaktion gegen eine moralistische, verdunnende Auffas-sung der Gnade am Platz. Kann dadurch zusammengefasst werden, dassman sagt: Gnade ist ubernaturlich.

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Wenn man aber eine Gnade konzipiert, die zu Ubenatur wird, zu einemzweiten Stockwerk, wo also der Mensch so uberbaut wird, dass man davonnichts merkt, im Grunde nur durch den Glauben weiß, dass diese Gnadeals Ubernatur nicht zur Veranderung und Vergottlichung unserer geistigpersonalen Natur fuhrt, sondern etwas ist, was in gewissem Sinne gar nichtuns affiziert, sondern gleichsam als etwas fur sich Seiendes druber gelagertwird, dann wird die Sache falsch, dann sind wir im anderen Straßengrabengelandet.

Das wird so von niemand gesagt, aber stillschweigend unausgesprochen,mehr oder minder so konzipiert. Der Mensch lebt in geistiger Existenzein naturliches Leben. Es wird ihm freilich gesagt: durch Offenbarung vonaußen: du hast noch anderes ubernaturliches Leben: du hast daruber nocheine Ubernatur. Und fur die musst du sorgen. Sonst geht es dir endgultigschief. Dafur sorgst du: durch gewisse Akte im Bewusstsein, indem du dichtaufen lasst, die Eucharistie empfangst.

Um im Bild zu bleiben: nachtridentinisch und Jesuiten haben sich betei-ligt: fur die gibt es Wissen um Ubernaturlichkeit nur durch fides ex auditu.

In dem zwei Stockwerke Haus gibt es nur Treppe1 in den hoheren Stocknur von außen. Eine innere wirkliche nicht nur dem Sein sondern geistigpersonalem Leben angehorendes Ineinander von Natur und Ubernaturli-chem, gibt es in dieser Richtung und Tendenz eigentlich nicht (Osmose,passt nicht zum Haus). Das ist nicht die katholische Theologie und auchnicht Jesuiten Theologie, aber breite, besonders in der Praxis sich geltendmachende Tendenz.

Wenn man diesen Theologen fragt: hast du Gnade: ja. Wenn ich frage:was ist Gnade, dann sagt er entitative Vergottlichung des Menschen, dieGott nun einmal angeordnet hat, naturlich aus innerem Grund, weil AkteProportion haben sollen.

Aber sagte er: von dieser Tatsache weiß ich bloß durch die fides ex au-ditu. Das ist absolut Bewusstseinsjenseitiges. Hat mit personalem Lebennur insofern etwas zu tun, weil ich dadurch und insofern ich etwas davonweiß durch Offenbarung, naturlich auch in naturlichem Bewusstsein michentsprechend aufzufuhren habe: mich taufen lassen und Bestimmtes tunmuss, um diese Gnade zu haben und sie nicht zu verlieren.

Aber innerhalb des personalen Bereichs liegt in dieser Auffassung docheine absolute Betondecke zwischen ubernaturlicher Erhohung und subjek-tiv personalem Leben des Menschen.

Sie konnen, um im Beispiel sich die Sache klar zu machen: Parallele sichvorstellen. Wenn jemand ein so gesundes Herz hat, dass er schlechterdingsgar nichts davon spurt: im einhundert Meter Lauf auf die Serles geht und

1siehe Tafelskizze bei 13.5.1 und weiterer Text dort

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

nichts spurt: wenn ihm einer sagt: du hast Herz. Aha! Und Spezialist sagt:du darfst nicht so viel Schnaps trinken, - sagt sich so: ich darf das nicht,aber ich wurde auch nichts spuren.

Es ist da, wir mussen Konsequenzen ziehen aus diesem Wissen fur unserVerhalten, aber wir merken von dieser Gnade nichts, so wie der Mann vomHerz nichts merkt.

Wenn nun dieser Mann bei Freud und Leid es doch spuren wurde voninnen gleichsam, Erfahrung vom Herzen hatte, dann ein Vergleich dafurwas wir meinen, was bei der Ubernaturlichkeit der Gnade berucksichtigtwerden muss: ubernaturlich sein zulassen und doch nicht zu Uberbau zumachen, der sich doch nur uber unser normales menschlich geistiges Lebendruber legt, ohne es innerlich zu vergottlichen.

6.2.1957 Vorlesung 40 (2.Stunde)

Wir haben begonnen, einige einleitende Uberlegungen zu unserer zwolf-ten These anzustellen bzw.das vierte Kapitel im Kodex uber die Ubernatur-lichkeit der Gnade. Wir sagten, die ubernaturliche Gnade musse einerseitsso aufgefasst werden, dass sie wirklich ubernaturlich ist und bleibt, alsodie Natur des Menschen ubersteigt, anderseits durfe aus dieser ubernatur-lichen Gnade doch nicht Ubernatur, ein Stockwerk, das nur außerlich mitdem Leben und der Natur des Menschen verbunden ist, werden. Sonst wirduber kurz oder lang das, was wir das Ubernaturliche, die Ubernatur nen-nen, etwas, was jenseits liegt, was vielleicht geglaubt oder nicht geglaubtwird, jedenfalls fur das Leben, das der Mensch wirklich lebt, uninteressantist (haben wir auch schon erlebt).

Diese Auffassung, dass es keine greifbare, erfahrbare, sondern bloß imGlauben wissbare Existenz hat, die Gefahr solcher Gnadenauffassung istgroß.

Denn der Mensch lebt das Leben, das er hat, das erfullt ist mit einemgeistigen Bewusstsein seiner Freiheit. Wenn dort ubernaturliche Gnade garnichts zu tun hatte, dann ware sie auf die Dauer unexistenziell. Und was sogeworden ist, das hort praktisch bei vielen Leuten auf, und dann handeltder Mensch, als ob es so was uberhaupt nicht gabe.

8.1.1.1 wie sind die beiden Realitaten verbunden?

Wenn aber Natur und Gnade so gesehen werden mussen, dass sie einerseitsnicht dasselbe und anderseits doch echte Einheit des einen menschlichenDaseins bilden, eines Daseins das nicht nur durch Gott zusammengehaltenwird, sondern in sich ein Dasein geistig personaler Art bildet, dann ist zufragen, wie das sachlich und begrifflich vereint werden kann, so dass man sie

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

unterscheidet, und doch nicht zwei Wirklichkeiten macht, die unverbundenim Menschen vorhanden seien, aber nur nebeneinander liegen.

Dort wo der Mensch sich nur um das Fremde, Gnade genannt, kummernwurde, so wie fur Australien oder um die Zahl der Marsbewohner, wenner sich nur so kummert, wie um etwas, was zu ihm nicht gehort, personal,dann wird die Gnade etwas, was auf die Dauer nicht mehr ernstgenommenwird. Und so ist es im europaischen Geistes Leben geschehen.

Ich will nicht sagen, dass die ganze Entwicklung daherkommt, dass dieScholastik die Gnade in einen rein geglaubten Bereich abgedrangt hat. Aberdass das nicht auch etwas ausgemacht hat, wird man schwer beweisen oderwiderlegen konnen.

8.1.1.2 Ahnliches Problem in Christologie

Wir haben ja (nebenbei) ein ahnliches Problem in der Christologie: Ei-ne gemaßigte assumptushomo Theologie behauptet (Galtier, Lakner:Buchbesprechung von Parente) dass das menschliche Bewusstsein Christivon seiner hypostatischen Verbundenheit der menschlichen Natur mit demLogos nur etwas wisse und wissen konne durch gegenstandliche von au-ßen kommende Mitteilung davon: durch die visio beatifica: also dass dieontologische Verbindung eine ganz andere sei wie die gnoseologische:

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hypost. union

visio

Mensch Logos

Ich Ich

gnoseologische Klammer

ontische Klammer

substantielle Klammer

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

bei Galtiersubstantiell einesaber zwei Ich

M L

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gemaessigte assumptus homo Theorie

Christologie

Es gibt fur Galtier ein substanzielles Eines, aber zwei ich. Das was mitmenschlicher Natur gegeben ist, die gegenstandlich von außen mitgeteiltweiß, dass sie hypostatisch, ontisch uniert ist mit dem Logos, aber vonsich aus innen nichts merken kann. Parente, Schiberta, Diepen (belgischerBenediktiner) sind anderer Meinung. Galtier wurde sagen: wenn anders

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

aufgefasst im Grunde Monophysitismus. Diepen usw. wurde dagegen sagen,wenn man das ernst nimmt: besserer Nestorianismus.

So ahnlich: Natur und Gnade: das ist Natur, das Gnade. Die beiden sindsicher im begnadigten Menschen verbunden. Ontische Einheit. Naturlichnicht hypostatisch, sondern ein Akzidens, das ontisch mit der Natur ver-bunden ist (heiligmachende oder habituelle). Die ontische, die subjektiveVerbindung ist nicht schon darin gegeben, sondern nur durch die vorlaufigeMitteilung:

Es ware moglich, dass eine Natur mit der unio da ware, von der die natu-ra humana nichts weiß. Ware fur Galtier und Tifanes theologisch moglich.Dieses Wissen konnte wegfallen uber die Einheit. Dann ware es denkbar:Diesem wird durch Propheten versichert: du bist ja gar keine Person son-dern hypostatice mit dem Sohn Gottes vereint. Der Prophet sagt: Daskannst du nicht merken, weil sonst Bewusstsein nicht verschieden ist vonVater und vom Heiligen Geist usw. aus verschiedenen Grunden ist das janicht moglich.

So ahnliches Problem, im Grunde noch umstritten, gibt es in der Gnaden-lehre. Dass naturlich dort, wo das ontische und das gnoseologische (objekt-und subjekt-hafte) in innerer (notwendiger) Konvenienz stehen (nicht on-tischer) und man sagt: Es geziemt sich, dass die menschliche Seele etwasmitgeteilt bekomme. Oder es geziemt sich, dass, wenn unsere Akte uber-naturlich erhoht werden, dass wir auch eine Mitteilung bekommen.

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ex auditu

ontische Einheit

Natur Gnade

AkzidensVerbindung istnicht schon darinnur durch vorlufigeMitteilung (fides exauditu)

subjektive

ontischeVerbindung

Natur und Gnadeontisch und gnoseologisch

Wenn anders2 aufgefasst: dann ist die Perichorese der Natur und Gnadezweifellos enger. Es entsteht eine Einheit, unter der man sich was vorstellenkann. Die Gnade ist in unserem Falle eine Gnade des Geistes als Geistes.Keine Theologie gibt es, die das leugnet. Keine Theologie kann es leugnen,dass die Gnade gegeben ist, damit wir die visio beatifica einmal haben.Und dass diese Erkennen und Lieben ist und die Gnade als Ermoglichung

2siehe kapitel 13.4

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

fur visio beatifica eine letzte wirkliche Hinordnung auf das Geist personaleLeben der visio beatifica hat, hat noch niemand bestritten (ernsthaft).

8.1.1.3 Anderer Vergleich: mit Horen

Aber die Frage wie diese Beziehung, die in der eschatologischen Endpotenzgegeben ist, wie die jetzt ist: Ist die Gnade gleichsam etwas absolut Unter-bewusstes, dass sie nur da ist, um nach dem Tod in das personale Leben,Bewusstsein des Menschen einzudringen, so dass wir vorlaufig nur davonwissen:

”Ich habe das“.

Nehmen wir einen, der noch nie einen Ton gehort hatte? Man teilt ihmmit, dass er Ohren habe, und dass diese spater mit Vollendung des ein-undzwanzigsten Lebensjahres geoffnet werden, und dann wirst du horen.Wie soll man ihm das klar machen? Es gibt noch etwas außer Augen usw.,das auch sinnliche Apperzeption ist. Nimmt er an, glaubt er: Ich habe Fa-higkeit Tone zu horen. Sie ist schon da. Vorlaufig weiß ich nur davon. Soist das Verhaltnis von Ubernaturlichem und Natur. Ubernaturliche Gnade:Vermogen das insofern es geistig personales Leben betrifft, noch nicht ak-tuiert werden kann. Naturlich entitativ aktuiert: Grund Potenz setzt sichfort in Akte, wenn er glaubt, hofft, liebt. Aber in der Wirkung hier spieltdas keine Rolle.

Wenn sie sich zuruck besinnen, welche Auffassung sie in der Fundamen-taltheologie hinsichtlich der Moglichkeit des Erfassens der Glaubwurdig-keitsgrunde gemacht haben, dann haben sie vielleicht auch gedacht: manbraucht Gnade, aber vielleicht nur, dass der Akt geschieht, vielleicht dass erheilskraftig ist, aber der Akt der Erfassung der Motive, der Akt des Glau-bens in wieweit er ins Bewusstsein ragt, ist derselbe, wie er ware, wenn esdiese Gnade nicht gabe.

Wenn sie in der Analysis fidei oder Aufzeunung der Fundamentaltheolo-gie das gehort haben, dann haben sie eine theologische Meinung vollzogen,ob sie richtig ist, ob sie sinnvoll ist, ist andere Frage. Gibt es lumen fidei,inspiratio, so was wie nicht nur ein Wissen von der Gnade sondern aucheine Art Erfahrung von der Gnade, daruber mussen wir noch lange reden- spater - trotzdem ist das wichtig, um die eigentliche Problematik vonNatur und ubernaturlicher Gnade zu sehen.

8.1.1.4 Entwicklung seit Augustinus

Anders: Augustinus hat unbefangen von Gnade, gottlicher Einfloßung derLiebe gesprochen und geredet. Er hat konkretes christliches Leben gefuhrtindem er glaubte, liebte, sich nach Gott sehnte trotz aller Erfahrung derVerlassenheit des menschlichen Lebens auf Gott vertraute, zu Gott rief,

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

ihm vertraute, sich als sein Kind erlebte und sich sagte: dieses macht Gottin mir und ohne ihn konnte ich das nicht.

Und das, was Gott so in mir macht, dass das da ist, das ist Gnade, diemir ungeschuldet ist, so dass ich das ohne Gnade Gottes nicht konnte. Mankonnte sagen, fur Augustinus sind dieser Akte selber diese Gnade, insofernsie von Gott bewirkt werden.

Nun im Lauf des Mittelalters hat man nun mit Recht zum teil bei die-ser naiven Identifikation des konkreten christlichen Lebensvollzugs mit derGnade eine Schwierigkeit empfunden.

Zunachst: dass kleine Kinder Gnade bekommen: bekommen die auchGnade? Heute ist uns das selbstverstandlich. So einfach war das fur Au-gustinus nicht: Unsinn, denen wird die Erbsunde nachgelassen. Sie bekom-men das Recht, einmal erleuchtet zu werden. Aber vorlaufig: Heiliger Geistwohnt jetzt schon in diesem Herzen drin. Augustinus hat nicht so sehrdarauf reflektiert.

Im Mittelalter: Kinder haben auch Gnade obwohl bis 14. Jahrhundertoffene Frage. Aber dann: also muss diese Gnade etwas sein, was inneremVollzug der Gnade voraus liegt. Aber unbefangen als ein voraus liegendes,da sobald es in Vollzug kommt, eben diesen konkreten christlichen Vollzugbewirkt.

Aber wenn diese Gnade ubernaturlich ist und der Mensch sein konnteohne sie und Aristoteles vieles erzahlt, wo es nicht Gnade ist: muss derMensch Gott lieben und nach ihm verlangen konnen ohne diese Gnade?

Zunachst straubte man sich dagegen. Aber allmahlich: warum nicht. Viel-leicht nicht so kraftig usw. schließlich: doch das kann er. Aber man willNotwendigkeit der Gnade retten. Kommt auf die geniale und gefahrlicheLosung:

Ja diese Gnade ja bei den Kindern, hat mit dem Bewusstsein nichts zutun. bewusstseinsmaßig unterscheidet sich die naturliche von der uberna-turlichen Liebe nicht.

Ja: durch die Motive. Das eine aus der naturlichen Metaphysik genom-men: dass er ein bonum super omnia diligendum ist: einmal aus der Naturund einmal aus der Offenbarung. Lost nicht Problem.

Dann aber diese ex fide gehorten Komplexe: kann ich mit bloßem Lichteder Vernunft erkennen und brauche doch keine Gnade. Und ich kann danndiese Motive doch als rein naturlicher Mensch haben.

Durch Propheten: Gott ist dreifaltig. Habe ich nach Humani Generissolo lumine rationis. Und dann habe ich dieselben Motive wie du, aber alsnaturlicher Mensch.

Dann sagt diese Theologie: vorlaufig unterscheiden wir uns nicht sondernnur entitativ, erst in der visio beatifica.

Frage: was hat diese Geschichte denn fur einen Witz? Unendliche Bedeu-

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

tung kann man sagen: das ist das Angeld, ontische Voraussetzung dafurdass du spater die visio beatifica erhalst. Personal wird diese Moglichkeiterst im Jenseits aktuiert. Vorlaufig bloß entitativ da. Insofern er operativist, ist er nur bewusstseinsmaßig jenseitige Realitat unserer Akte, die reineGegebenheiten unserer Glaubens Wirklichkeiten sind.

Der Akt der Erfassung der ubernaturlich geoffenbarten Wahrheiten ge-schieht durch entitativ ubernaturlichen Akt, aber nicht gnoseologisch uber-naturlichen Akt, nach dieser Auffassung.

Die beiden Probleme sind sich parallel: die Frage ist, wann sie richtiggelost sind.

Jetzt erst konnen wir die Einleitung in die Frage, die hinter dieser Thesesteht, ausdrucken: wenn wir die Gnade nicht dadurch in ihrer Ubernatur-lichkeit retten wollen, dass wir sagen: sie sei eine seinshafte Zustandlichkeit,die absolut jenseits unseres Bewusstseins ist, so dass sie leicht ubernaturlichsein kann. Dann folgt: unserer Natur sind von sich aus diese Akte absoluttranszendent, unbewusst. Dann ist es selbstverstandlich, dass diese Entitatubernaturlich sein kann. Bietet kein besonderes Problem.

8.1.1.5 Existenz der Ubernaturlichkeit muss so gefasst werden, dasssie offen bleibt fur Antwort

Begeben wir uns darauf nicht sondern sagen: etwas das den Geist nichtals Entitat sondern als Geist vergottlicht und nicht erst im Jenseits son-dern schon jetzt: dann brauchen wir einen Begriff von Natur, der auf einerSeite Gnade ubernaturlich sein lasst und doch so, dass man versteht, dassder Geist als Geist dieses personale zu- sich-selber-Kommen und uber-sich-selbst-Verfugen, Lieben, eine innere Offenheit fur das, was wir Gnadenennen, hat, nicht bloß insofern es sich um reine Entitaten handelt son-dern um Sehnsucht, Freude, Angst usw. handelt. Diese als solche mussenubernaturlich werden konnen.

Klar, alle diese Dinge Freude, Liebe, Angst usw.: fur das alles andereentitativ nur die Voraussetzung ist, ist zunachst etwas, was zweifellos dasaktualisiert, was wir zunachst Natur nennen. Das ist Geist, Geist ist vonsich aus ein

”vor Gott kommen“.

Da entsteht die Frage: was kann dann Gnade in diesem Sinn noch hin-zufugen? Bzw. umgekehrt: zu was braucht man das?

Ist nicht das, was wir Gnade nennen, das, was der Geist von sich ausfordert, um sein eigenes Leben, auf das hin er von innen her von Natur ausangelegt ist, zu verfugen.

(Entweder scheint) Gnade die notwendige Weise der Durchfuhrung desgeistigen Lebens zu sein oder etwas, was keinen Platz mehr hat, wenn eseinen Platz in seinem geistigen Sein haben soll als solchem.

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Das konnen wir hier noch nicht genau uberlegen, weil erst spater Be-wusstsein oder nicht Bewusstheit behandelt wird. Wir mussen zuruckgrei-fen auf Daten, Lehren der Kirche usw., die von theologischen Meinungenunabhangig sind: wir mussen zunachst die Lehre von der Ubernaturlich-keit entwickeln, die sich noch nicht diesen Fragen stellt: wir haben das hierangedeutet, damit man nicht meint, das sei alles so selbstverstandlich.

8.1.1.6 Zusammenhang mit”Sein ist Bei-sich-Sein“

Kurz zusammengefasst: ubernaturliche Gnade muss, wenn sie uber die Na-tur des Geistes hinaus liegt, a fortiori dem Axiom des geistigen Seins nachThomas gerecht werden: dass namlich geistiges Sein geistiges Sein ist: oder,aliquid inquantum ens actu in tantum intelligens intellectu.

Dieses Grund Axiom muss hier auch gelten: wenn es gelten soll, dann darfes fur die Gnade, die ubernaturlich sein soll, eine hohere Seinswirklichkeithaben soll, nicht weniger gelten als vom Geist als naturlichem.

Ich kann bei der Gnade das Entitative und das Gnoseologische noch weni-ger trennen als beim Geist. Ich kann ja Geist nicht Seinsmaßig konzipierenim Sinn eines Stuhls, der noch nebenbei das Geschaft des Bewusstseinsbetreibt.

Das gilt weil eine Ontologie betrieben werden muss beim Menschen undnicht eine Ontik. Darum gilt das im Grunde a fortiori von der Gnade. Auchbei ihr durfte keine Ontik sondern musste Ontologie betrieben werden.

Das konnen wir jetzt in diesem Stadium noch nicht ausdrucken, aberwenn wir das Konzept des Ubernaturlichen rein ontisch zunachst betrei-ben, rein von formaler Ontik her erreichen und festlegen (sie werden dasgleich sehen), dann mussen wir uns dessen bewusst sein, dass wir hier ineiner gefahrlichen Weise methodisch abstrahieren (wenn auch nicht auf un-mogliche Weise).

8.1.2 Exkurs: Begriff von Natur und des enssupernaturale

Vorgegriffen was ubernaturlich ist: supernaturale est id quod neque consti-tutive neque consecutive neque exigitive ad aliquam (secundum quid) velad ullam naturam pertinet eique ut ulterior perfectio superadditur.

Bei dieser Definition ist hier ein Begriff von Natur vorausgesetzt, in for-malistischer Abstraktheit, der so dem ens entspricht: Blindschleiche, Engel,Mensch hat Natur, Elektron hat eine Natur. Uberall wo ens mit quidditasda ist, wenn diese begrenzt ist, haben wir Natur.

Wir haben hier formal ontisch einen Begriff von Ubernaturlichkeit fest-gestellt, der rein an dem allgemeinsten Begriff der Natur als Gegensatz

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

dazu entwickelt ist. Das ist nicht falsch, denn es gibt Lehre von der Natur,aber gefahrlich.

8.1.2.1 Problematik eines Naturbegriffs aus untermenschlicherWirklichkeit

Wenn ich Begriff der Substanz, Causa, Dispositio, habitus, qualitas reingewinne, wenn auch noch so formalisierend an untermenschlichen Wirk-lichkeiten (physikalischen), der als analoger durchaus moglich ist, bekom-me ich - das zu leugnen ware unkatholisch - und metaphysisch falsch - abereinen Begriff, der entweder in außerster abstrakter Analogheit beharrt, wasnaturlich fur Aussage einer konkreten Wirklichkeit, wie die Gnade ist, dochauch, natura rei, nur sehr von fern angepasst ist, oder gefahrlicher:

Wir schmuggeln aus dieser untergeistigen Welt alle moglichen Merkmalemit, die wir aus diesem Begriff rausbugsieren mussten, und uns klar seinmussten, dass wenn wir diesen Begriff auf diese Wirklichkeit anwenden, wirvieles weglassen mussten, was sehr schwierig ist.

8.2.1957 Vorlesung 41

1. 12.These, ein zentraler Punkt der katholischen Theologie uberhaupt,2. weil auf diese Weise deutlich wird, dass der wesenhafte Unterschied

zwischen Christlichem und Nicht-Christlichema) nicht in der Schatzung des Geistes gegenuber Materie,b) nicht in Bewusstsein des Menschen als Sunders, der des Erbar-

mens Gottes bedarf, oder ahnlicher Kategorie, wie es im Laufder Kirchen Geschichte immer wieder den Anschein hatte,

i. in der Patristik des Ostens Geist und Materie zum Mittel-punkt mehr oder weniger

ii. und der Augustinus: Gott und der Sunder als Gegensatz,c) sondern dass Gegensatz und Verbindung zu Gott tiefer greift:

i. dass der Mensch Natur ist, von sich aus, die außerhalb desgottlichen Bereichs

ii. und dennoch als diese in den Lebens Bereich Gottes hinein-genommen ist aus ungeschuldeter ubernaturlicher Gnade:darauf kommt es wesentlich an.

8.1.2.2 Natur im Allgemeinen

Eine Natur im allgemeinen ist uns grundsatzlich bekannt. Wir erfahren unsund andere Wirklichkeiten als solche mit bestimmter Qualitat, Washeit, So-sein eben Natur: Wirklichkeit ist abgesetzt, abgegrenzt voneinander. Die

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Dinge verschwimmen nicht einfach. Man kann nicht aus allem alles ma-chen. Wenn wir uns fragen: woher wissen wir das? Ja mache es mal! Javielleicht hat die Natur das vielleicht gemacht? Der Mensch merkt, dassman viel mehr ineinander verwandeln kann, als man gemeint hatte. Diemoderne Naturwissenschaft, die ganz moderne: dass man Elemente inein-ander verwandeln kann ist fur das Altertum Ungeheuerliches: Dinge, dieabsolut voneinander abgesetzt zu sein scheinen, dass das im Grunde das-selbe in anderer Modifikation ist, ist etwas, gegen das sich die scholastischePhilosophie heftig gewehrt hat bis ins achtzehnte Jahrhundert. Kampf ge-gen die Atomisten: dieser Kampf wurde phanomenal im unterlebendigenBereich sehr massiv verloren. Wenn sie Thomas gefragt hatten: was ist mitWasser und Luft? Das ist nur durch metaphysische Veranderung: das ha-ben sie zugegeben: eductio novae formae ex materia haben sie zugegeben.Da haben sie fur die Empirie ein Loch gelassen.

Aber doch ganz anders wie wir uns das heute ganz selbstverstandlich vor-stellen und gar nicht ahnen, wie ungeheure Umbruche des Denkens damitgegeben waren, dass man aus allem alles machen kann, welche Umbruchedes Denkens das erforderte.

8.1.2.3 Ist nicht alles allgemeiner Brei? Wieviele Naturen gibt es?

Dass darauf die Menschen nun meinen, alles ist allgemeiner Brei, der zuallem die Moglichkeit hat, und aus dem alles werden kann. Woher derkommt, ist nicht gefragt. Der Begriff einer metaphysischen Natur ist ihmnicht so selbstverstandlich.

Wir konnen und mussen Vitalismus aufrechterhalten. Konnte man sa-gen, dass vom Grund auf ein Lebendes von der toten Materie verschiedensei: richtig, aber nicht so leicht beweisbar. Und dazu noch, dass wir schonnicht mehr genau wissen, abgesehen vom Menschen, wie viele solche Natu-ren innerhalb des Lebendigen es gibt. Haben sich alle Lebewesen aus sichentwickelt, oder alle Pflanzen und Tiere?

Dann hatten wir metaphysisch drei Naturen.Materie: wir fragen: tun sich Protonen usw. voneinander unterscheiden?

Man konnte sich noch sagen: trotzdem ein atomarer Komplex ist im Grun-de noch ein Seiendes hoherer Stufe, aber etwas was als ganzes substanti-elle Form hat? Aber wer glaubt das heute noch außer Verfechtern altererPositionen. Wenn man das nicht tut: kann man dann sagen, es gibt viel-leicht wenige elementare Partikel im Untermateriellen, bei denen man sagenmusste - allerdings da wieder - sie haben bestimmtes Sosein und dieses So-sein ist ein letztes Datum, das nicht in anderes umgeknetet werden kann,was einfach da ist: das konnte man Natur nennen, Wesen.3

3Heute ist man da viel weiter gekommen als vor 50 Jahren, wo diese Vorlesung gehalten wurde. Es

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Aber die moderne Physik hat methodologisch den Nisus, diese verschie-denen noch mal in noch mal verschiedene aufzulosen, so dass sich dieWasheit erklart als Konstellation eines letzten einzigen allerallerletzten Be-standteils. Ob das grundsatzlich nicht geht oder wahr ist: Naturphilosophenkonnen das vielleicht sagen.

Vielleicht gibt es unterweltlich (unterlebendig?) nur eine Natur, vielleichtbei Pflanzen und Tieren auch nur eine.

Vielleicht bei Pflanzen und Tieren auch nur so: die Deszendenz-Theoretiker: bei der Anderung handelt es sich nicht um essentielle Ver-anderung. Regenwurm vom Elefanten grundsatzlich nicht mehr sich unter-scheidend wie Schmetterling von Puppe, wenn es solche Deszendenztheoriemonophysitischer Art gibt. Dann gibt es vielleicht auch im Pflanzen undTierreich nur diese zwei metaphysische Naturen und davon kann man denMenschen noch mal als Natur abgrenzen.

8.1.2.4 Begriff der Natur ist nicht so einfach

Also der Begriff der Natur ist nicht so einfach, trotzdem.

Wo weiß ich, so was muss es geben, wo treffe ich das einfach an? Sehrrasch muss man wahrscheinlich da auf den Menschen rekurrieren, weil ichdie Natur dort vom Ursprung und nicht bloß phanomenal kenne. Wo ichsie nur phanomenal kenne, scheinen mir die Unterschiede nur so groß zusein zwischen Gold und Blei und Sauerstoff, phanomenal nicht geringererUnterschied wie zwischen Regenwurm und Kanguru. Jeder weiß: kannstdu quantitativ nur ein Elektron hinzufugen und schon anderes Element4.Vorlaufig nicht bewiesen dass es nicht stimmt. Ob es stimmt ist andereFrage.

Ich kann sagen: letztlich muss es so was geben, ganz egal ob ich letztesElement habe und antreffe: es muss dieses Ding bestimmte Eigenschaftenhaben. Denn hatte es die nicht, ware es gar nicht etwas, und dann konntees nicht die große Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit erklaren.

Es ist klar fur Metaphysiker, dass er sich klar sein muss, dass dasElementar-Bestandteil, das nur elementarer Bestandteil aus dessen quan-titativer Modifikation usw. ist, durch die die Mannigfaltigkeit der Welt er-klart werden soll, das zwar in sich einfach sein muss, aber als Moglichkeitenviele haben muss.

Alte Atomisten haben sich diese als geometrische Korper gedacht. Die-se bringen nicht Tisch und nicht Nachtigall zusammen. Die Unterschiede

gibt als unterste Schicht des Materiellen die Quarks und Leptonen, und die sind unter bestimmtenVoraussetzungen alle ineinander umwandelbar. Vielleicht sind das nur Denkmodelle?

4Wenn man es vom genetischen Code, der DNA, her betrachtet, liegt es heute noch naher, so zu denken

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

sind doch auch qualitativ, nicht rein mathematisch. Urbestandteil ist einWashaftes, ein Quidditatives.

Aber das ist noch nicht Natur. So viele Washeiten ich auch aussagenkann, Natur Begriff ist der, in dem es mehrere verschiedene Naturen ne-beneinander geben konnte.

8.1.2.5 Voraussetzung: es gibt verschiedene Naturen

Wenn ich mir vorstellen konnte: nur ich als Mensch und materielle Wirk-lichkeit sind da, und dass ich adaquat alle materiellen Unterschiede auf nuraccidentelle Modifikation eines Grund Bestandteils zuruckfuhren konnte,der eine Kombination von Eigenschaften hatte, die nicht quantitativ auf-losbar ware, und es gabe nur eine Sorte solcher, dann kame man auf denGedanken: wenn es Materielles gibt, ist es notwendig so und kann nichtanders sein: das materielle ware von einer Natur: dann brauchte ich nichtvon Natur reden.

Scholastischer Begriff von Natur setzt voraus: es gibt verschiedene Na-turen nebeneinander. Gut: mit diesem urelementaren Bestandteil mag essein, wie es will. Jedenfalls erlebe ich mich als eine Natur. Der Mensch istetwas radikal vom Anderen Verschiedenes. Schon, das ist er.

8.1.2.6 Natur: Versuch durch Eigenschaften zu beschreiben

Die Frage: warum und wie man beweist, dass man den Menschen in diesemursprunglichen Sinn als eine Natur auffassen muss, als eine physisch nichtmehr auflosbare, ursprungliche, eine Wirklichkeit, die dennoch eine echtePluralitat ist.

Dieses elementare Urbestandteil hatte naturlich auch mehrere Eigen-schaften und von Natur zu reden hat einen Sinn dort,

1. wo man eine physisch nicht mehr auflosbare Pluralitat von Wirklich-keiten hat, von der ich sagen muss, die hat

a) 1. eine einheitliche Wurzel, so dass diese verschiedenen Eigen-schaften nur dadurch gegeben werden konnen, dass dieses Ur-sprungliche, wurzelhaft Eine gesetzt wird so, dass

b) 2. die Sache nicht zusammengesetzt werden kann.2. Dann hat man Natur:

a) Wenn ursprungliche Einheit von pluralen Bestimmungen da ist,b) derart dass das Ganze in seiner Eigenart nicht durch Zusam-

mensetzung erzielt werden kannc) sondern nur durch ursprungliche Setzung,

i. so dass dieses entweder auf einmal da istii. oder als ganzes verschwindet.

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

iii. Das muss ursprunglich da sein,• denn ich kann nicht ins unendliche bei Auflosung fort-

schreiten.iv. Es muss eine Autonomie haben, das ist in seiner konkreten

Washeit noch gar nicht greifbar.3. Das kann nur philosophisch gefordert werden. Z.B. wenn man Kern

noch mal zerteilt.a) Ob das nur noch Vorstellungsmodell ist, um es praktisch zu

handhaben oder sachliche Verschiedenheit (dazu weiß ich nichtsGescheites).

b) Jedenfalls konnen wir diese• nur metaphysisch, postulatorisch eine, ursprungliche eine,• mit vielen Eigenschaften ausgestattete Natur fordern.

c) Antreffen kann oder braucht man sie nicht.Thomas hat sich das so vorgestellt: Wasser, Milbe usw.: das ist eine Na-

tur. Tisch war auch noch eine. Gut: Tiere usw. lassen wir. Man weiß nicht,wo diese Natur gegeben ist, weil nicht klar ob nur accidentelle Modifikation.

8.1.2.7 Beim Menschen, was ist da Natur?

Wir gehen zum Menschen: was gehort zu dieser Natur?Bisher wissen wir: Es muss in der Wirklichkeit letzte, elementare,

nicht mehr auflosbare Einheitswirklichkeiten geben von Vielfalt vonEigenschaften: es muss Naturen geben:• fur unsere Zwecke in der Theologie ist damit noch nicht viel

geholfen.• Ich muss konkrete Wirklichkeit vorfuhren konnen: dieses und

dieses ist eine Natur. Ich muss eine beschreibbare Natur angebenkonnen.

Wenn ich sagen konnte: der Spatz auf der Straße: das ist eine ur-sprungliche Idee, die kann nicht verwandelt werden: großer oder klei-ner, hungrig oder frech - es ist Spatz oder Nicht-Spatz, tertium nondatur. Aber das weiß man nicht ex supposito.

Gut: aber beim Menschen ist die Sache klar. Der Mensch ist eineroder er ist es nicht.• Man kann diesen Menschen nur setzen in ursprunglicher Setzung

dieses Wesens.• Zusammensetzen kann man es nicht. Durch Kneten von was

anderem kann ich keinen Menschen zusammenbringen.• Der Mensch ist als solcher ein letztlich Unableitbares, von dem

wir metaphysisch und theologisch sagen: ursprungliches Datumder Schopfung, das nur durch Ursprungliches Gesetzt-Werden

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

dasein kann aber nicht durch Modifikation von was Anderem.Der Mensch ist das Unableitbare und nicht Ableitbares.

Woher weiß ich das? Er ist doch Geist. Warum ist Geist unableitbar?Weil Geist physisch einfache Substanz ist,• kann nicht durch Abspaltung von anderer entstehen,• sie kann nicht durch Traductionalismus erklart werden. Es gibt

sie oder nicht.• Gemacht aus anderem kann sie nicht werden.

Das kann man sagen, ist richtig aber padagogisch (Weltanschauungs-maßig) nicht sehr eindrucksvoll und uberzeugend.

8.1.2.8 Mensch ursprungliche Natur, wie zu zeigen?

Wie kann man das anders machen? Kann man - beim Geist als solchenselbst bleibend - zeigen, dass er ursprungliche Natur hat und ist?

Da muss man fragen: was ist Geist?• Das was macht, dass man erkennen kann.• Wodurch unterscheidet sich dieses von dem eines Tieres?

– Denn wenn sich das nicht so unterscheiden wurde, konnteman durch Hoherzuchtung und Anhaufung solcher Moglich-keiten aus Affen Menschen machen.

– Warum ist das nicht moglich insofern er Geist ist?Weil Geist und andere Erkennungs-Moglichkeiten radikal verschieden

sind. Warum? Noch mal• auf ontische Einfachheit rekurrierend, wo man sich im Grunde

schwertut: Frage,• ob sie beim tierischen Bewusstsein, auch schon beim rein vi-

talen Prinzip ohne uberraumliche Große auskommen, ist sehrschwierig. Macht nichts.

• Jedenfalls muss dann, wenn das Lebensprinzip ein einfaches sub-stanzielles Prinzip ist, dann muss es auch von Gott geschaffenwerden.

– Aber damit ware die radikale Verschiedenheit des Menschenin der Washeit noch nicht bewiesen.

– Wenn Tier-Enthelechie und Mensch, beide nur durch Schop-fungsakt Gottes entstehend gedacht werden konnte.

• Also auf bloß auf quantitative Simplizitat dieses Prinzips rekur-rierend, um Wesensunterschied zu zeigen, ist nicht einfach.

– Naturlich ist es selbstverstandlich.– Aber doch langweilig wie die alte Scholastik.

Mensch ist das Wesen, was absolute transzendente Transzendenzhat. Das hat Untermenschliches nicht, weder in Erkenntnis noch in

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Freiheit.• Reditio in se ipsum in completum: hat das Tiere nicht.

– Es ist nicht bei sich selber,– sondern an das Andere restlos abgegeben bei seinem tieri-

schen Bewusstheit.• Und so was ist ex conceptu in indivisibili:

– das kann man nicht mehr oder weniger haben,– nur haben oder nicht haben.

8.1.2.9 Mensch, einzige angebbare Natur, ist es durchUndefinierbarkeit

Von da aus gesehen wird naturlich aber das Problem der Natur nochmehr schwierig,• denn wenn sie im Grunde die Eigenart des Menschen ohne seine

Intentionalitat, ohne absolute, transzendente Intentionalitat garnicht beschreiben konnen,

• dann ergibt sich daraus: dass der Mensch gar nicht so und soseiend in reinem Vorhandensein existiert,

• sondern als das Wesen, das unendliche Transzendenz auf dasSeiende hat, und das ist seine Natur.

Damit bekommt naturlich der Begriff der Natur (nicht dort wo wirihn in seiner abstrakten, sondern dort wo wir ihn konkret antreffenund abgrenzen konnen) bekommt der Natur-Begriff eine merkwurdi-ge Inhaltlichkeit - Definition dieser Natur - paradox ausgedruckt:• die einzige von uns angebbare Natur besteht in seiner Undefi-

nierbarkeit, intentionalen Transzendentalitat unbegrenzter Art• und das macht den eigentlichen Unterschied zu anderen Naturen

aus,– die es geben muss,– wenn wir sie auch in ihrer inneren Washeit nicht beschreiben

konnen,– weil wir nicht wissen, wo konkret diese Natur gegeben ist.

∗ Wir sahen nur Mannigfaltigkeit von Naturen und sagen:∗ diese ist nur erklarbar durch eine Natur des Materiellen,

Pflanzlichen und Tierischen.∗ Es kann sein dass innerhalb dieser viele Naturen sind,

aber nicht sicher.Davon setzt sich der Menschen ab, dadurch dass dazu ihr Nicht-offen-

Sein gehort.• Tiere haben schon gewisse Offenheit auf das andere,• aber bloß sinnliche, auf bestimmte Erfahrungs-Bereiche einge-

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

engte.– Diese Naturen konnen wir unter diesem Gesichtspunkt in

einen Topf werfen.– Das sind Naturen, die in diesem Sinn schlechterdings endlich

sind.– Davon ist der Mensch nur abgrenzbar dadurch, dass man

sagt:∗ Er ist der andere, gehort zur Welt Schopfung,∗ aber er unterscheidet sich vom anderen radikal dadurch,

dass er capax infiniti5 ist.Von da aus sehen sie (sehr zentral fur unser Problem): solche Natur

(untermenschliche) die sich im Grunde auszeichnet dadurch, dass sieverschlossene, vernagelte ist:• bei ihr ist der Begriff eines Ubernaturlichen von vorneherein

unmoglich,• denn das radikal, im ursprunglichsten Wesens-Ansatz Begrenzte

derart dass diese Begrenzung zur ursprunglichen Wirklichkeitgehort,

• dass das Ursprungliche die Begrenzung selber ist,– kann nur uberboten werden, indem das aufgehoben wird,– indem es also aufhort zu sein, was es war.

Umgekehrt: wenn der Begriff eines Ubernaturlichen im eigentlichenSinn sinnvoll sein soll gerade in Scholastik. ergibt sich: Ubernaturli-ches hat nur Sinn gegenuber geistig Transzendentalem• Ein Element 97 kann sich heutiger Physiker schon vorstellen.

Und das ware, wenn sie wollen, ubernaturlich gegenuber bishervorhandenen Elementen.

• Aber das ware nur denkbar und moglich weil diese 92 in demSinn keine Natur sind.

8.1.2.10 Ubernaturliches hat nur Sinn gegenuber geistigTranszendentalem

Aber dort, wo wirklich eine Natur, ein ursprunglich Eines da ist, kann es,ohne aufgehoben zu werden, ubernaturlich nur erhoht werden, wenn es vonsich aus im Grunde schon unendlich, fur mehr offen ist.

Der Begriff des Ubernaturlichen hat von vorneherein nur Sinn gegenubergeistig Transzendentalem, denn Gott, die absolute Fulle der Wirklichkeitkann nicht durch Ubernaturliches uberboten werden. Ein Endliches, zudem diese Endlichkeit hinsichtlich seiner Aktuation gehort, kann auch nicht

5des Unendlichen fahig

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

uberboten werden. Uberhoht werden kann etwas, das endlich ist in seinemWesen, zu dessen Wesen aber eine unendliche Offenheit auf mehr gehort.

Frage: ist dann bei solchem Wesen samtliche Erfullung nicht schon et-was, was von dieser Natur gefordert wird? Sie sehen davon, dass der Be-griff des debitums und indebitums wahrscheinlich sinnvoller gar nicht beiuntermenschlichen Wirklichkeiten anheben konnte, musste, sollte sonderndurchaus gleich beim Menschen ansetzen wurde.

Der Mensch muss, um sich als Natur von anderem zu unterscheiden,notwendigerweise eine unendliche Transzendenz haben. Dann und nur dannist auch der Begriff eines Ubernaturlichen und trotzdem des Schenkbaren,uberhaupt erst denkbar.

8.1.2.11 Warum ist es dann nicht geschuldet?

Die Frage ist also nur: warum ist diese wegen der absoluten Offenheit undTranszendenz mogliche Erfullung diesem Wesen nicht schon geschuldet?

Hier kann man vielleicht sehr einfach formal ontologisch sagen: einemsolchen Wesen ist offenbar nur geschuldet, was dieses transzendentale We-sen - das geschuldet, was, wenn es ihm versagt wurde, diese Transzendenzsinnlos machen wurde, ihm die Daseinsberechtigung entziehen wurde.

Ist visio beatifica und die sie ermoglichende Gnade einer Transzendenznotwendig geschuldet? Antwort: ist die Transzendenz sinnvoll, wenn er dasnicht gegeben wird? Peto probationem. Man konnte auch sagen: nego.

42.Vorlesung 13.2.1957

1. Noch im voraus zur Unterscheidung von habitueller und aktuellerGnade, Gnade im allgemeinen,

2. wir stehen bei den Begriffen.3. Wir haben festgestellt: Natur.

a) Das in Transzendenz zu Uberlegendeb) notwendig das Wirkliche in seiner Verschiedenheit Eine,c) qualitative ursprungliche Einheit in Sein Seienden haben muss,d) die eine Pluralitat von Eigenschaften in einer ursprunglichen,

gesetzten nicht komponierten, quantitativ zusammensetzbarenEinheit ist,

e) sonst konnte es einzelnes Bestimmtes und so seiendes undWeiter-nicht-Teilbares nicht geben.

1. Dann: dass es sehr schwer ist, wo eine solche Natur in konkreto ge-geben ist,

2. weil die unmittelbar erscheinende Erfahrungswelt in verschiedensterWeise in Kombination diese Naturen uns erscheinen

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

3. und nicht gesagt werden kann,4. da ist eine: Frage der Atomphysik,5. des Lebendigen,6. von bloß materiellen wo eine metaphysische eine7. oder nur durch Variation gegebene ursprungliche Natur gegeben ist8. und wie viele es gibt.1. In wiefern ist der Mensch eine Natur und warum ist er eine?2. Das menschliche Wesen, das wir in diesem Falle zum ersten Mal von

innen, vom Ursprung her erleben,3. nicht bloß als Summe von disparaten, uns pluralistisch entgegen tre-

tenden Eigenschaften,4. dieses Wesen zeichnet sich dadurch aus dass es Subjekt ist,5. dass es ich sagen kann in einer transzendentalen Offenheit auf das

Sein uberhaupt.6. So ist dort das Sein dieses Wesens das Transzendent-Sein auf der Sein

uberhaupt.Die Natur besteht in dieser absoluten Offenheit auf das Erkennen und

Wollen von allem und jedem, ohne dass der Umkreis eingeengt ist aufetwas Einzelnes, Bestimmtes,

was ja gerade die Eigentumlichkeit des Untermenschlichen Nicht-Personalen Nicht-Geistigen ist: ob Physik oder Biologie ist gleich.

Eine solche Natur notwendigerweise in indivisibili: entweder da oderschlechterdings nicht da, nicht kombinierbar aus anderen.

Dann diese Transzendenz, Offenheit auf alles und jedes kann nicht zu-sammengesetzt werden, nicht als Kombination von weniger als sieaufgefasst werden.

Entweder ist man auf bestimmten Umkreis versperrt: umschrankteNatur, oder nicht. Solche Qualitat kann nicht auf Quantitat auchnicht im Phanomenalen, zuruckgefuhrt werden. Sie ist deshalbwirklich im metaphysischen Sinn eine Natur.

Sie ist deshalb eine, die gar nicht durch angebbare Wirklichkeit endli-cher Art definiert werden kann:

ihr Wesen ist ihre Transzendenz, und diese kann hinsichtlich ihres ter-minus ad quem gar nicht anders beschrieben werden• als durch die Gegenstandlichkeit, das Woraufhin dieser• und das ist das Unendliche, dass Unsagbaren, das Geheimnis

Gottes– ganz gleich ob er dieses erreicht– oder ob es im Wissen um dieses Sich-Verschweigende be-

steht.– Immer das Wesen, das auf Gott aus ist.

Animal rationale: richtig, aber was heißt rationale? Wenn man sagt das

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

ist die Eigentumlichkeit sich pfiffig auf dieser Welt herum zu schla-gen, Maschinen zu machen, Staaten zu grunden, sich komplizierterumzubringen wie die Tiere: mit Instrumenten, dann ist das Wesender Rationalitat nicht ausgesprochen, ware nicht bei sich, in Gegen-satz zu allem anderen, was nur moglich ist im Vorgriff auf das Seinuberhaupt, dann aber ist der Mensch das Begrenzte und auf das Un-endliche Offene.

8.1.2.12 Mensch: gegebene Natur, aber Schwierigkeit sie zudefinieren

Dann: eine Natur gegeben, aber doch die Schwierigkeit, die Tragweite dieserNatur zu definieren. Uberall dort, wo wir in diesem untermenschlichen Sinndefinierte, in das Endliche fix hineingebannte, verkapselte Natur haben,konnen wir leicht angeben wozu die hin ist. Dort wo eine innere Krummungin die Endlichkeit selbst zu seiner Natur gehort, kann ich das Woraufhines aus ist, leicht angeben: das ist das Endliche. Der Hase ist dafur da,Gras zu fressen ist und Junge zu kriegen und in unseren Topf zu wandern.Damit beschrieben und umschrieben. Das tiefsinniger auszudrucken, andertnichts.

Wenn aber absolute Offenheit zum Wesen gehort, dann ist die Angabe,woraufhin dieses ist, nicht mehr so leicht zu sagen. Man muss zugeben:ubliche scholastische Vorstellung von debitum naturale usw. sind im Grun-de genommen, wenn man es nicht weiß, um so gefahrlicher, orientiertam Vorstellungschema einer unter-menschlichen Finalitat: Deckelist dazu da auf den Topf zukommen, Messer ist dazu da zu schneiden, Hasedazu da, zu fressen und sich fortzupflanzen.

Dort: unmittelbar angebbar finiter und definierbarer finis. In dem Au-genblick wo das nicht mehr so ist, ist der Begriff dessen, woraufhin manist, schon viel schwieriger.

Von dem Ansatz aus, von dem wir uberhaupt zum Begriff der menschli-chen Natur als geistiger, unendlicher, transzendenter gekommen sind, konn-te man ganz formal sagen: diese Transzendenz besitzende Natur des Men-schen hat in dem Vollzug dieser Transzendenz ihren Sinn, ihr Ziel, dortalso, wo diese Transzendenz als solche rein in Erscheinung tritt, wo sieselbst angetroffen und in Besitz genommen wird, dort hat sie ihren Sinnund ihren finis.

8.1.2.13 Ziel dieser Natur?

Dieser Zweck kann, weil der Mensch bei sich selbst ist, gar nicht in die-ser reinen Entfremdetheit, wie beim Untergeistigen, bestehen. Dort wo der

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Mensch das Hochste und Eigentumlichste an ihm in Besitz nimmt, ist erdort, wo er hin kommen will: da ist er in einem bei sich und beim Unend-lichen, und das ist sein Ziel.

Aber wie das nun genauer realisiert wird, da und demgegenuber kannman nun nicht ohne weiteres sagen, dass dieser Selbstvollzug eines Wesens,dessen Natur die Transzendenz auf das Absolute ist - dass dieser Selbst-vollzug nur in einer ganz bestimmten Weise gedacht werden konnte. Dasvon apriori zu behaupten, ist reine Willkur.

Dazu kommt dass diese Transzendenz letztlich eine Transzendenz auf denAbsoluten ist: denn das Absolute ist keine sachliche Gegebenheit, sondernselbst hochste Subjektivitat. Denn dem Subjekt kann kein Sein gegenuber-stehen, das weniger Subjektivitat ware.

Infolgedessen steht solcher Transzendenz das Absolute in der Konkret-heit eines gottlichen Subjekts gegenuber, und zwar, weil das Transzendenzder Freiheit und Liebe ist, notwendig Transzendenz von freier Selbstmach-tigkeit, von Liebe gegenuber, und damit ist notwendig gegeben dass dieseOffenheit der Transzendenz auf den freien Absoluten, der Vollzug dieserOffenheit, nicht von vorneherein, nicht univok, modal behauptet werdenkann, dieser Selbstvollzug konne sich nur in einer Weise vollziehen. Wo dasnicht der Fall ist, ist mindestens einmal die Frage offen, ob nicht dieserSelbstvollzug, der von vorneherein intentional ist, auch von der Wirklich-keit abhangig, die ihm entgegenkommt hinsichtlich Erkenntnis und Liebe:die Frage offen, wie die menschliche Freiheit, wie der konkrete Selbstvoll-zug, der der Sinn dieser ist, sich gestalten wird.

Wir brauchen zunachst nicht wissen: es gibt die diesen und diesen kon-kreten angebbaren Modus des vollendeten Selbstvollzugs der Transzendenz,der von anderem denkbaren auch abgrenzbar, sondern wir brauchen nursagen: sie geht wenigstens auf Selbstvollzug vollendeter Art, der ihr ver-schuttbaren Transzendenz im Vor-sich- haben-Gottes entgegen. Wie dasgenauer geschieht, brauchen wir apriori nicht zu wissen, und nicht durchSelbstreflexion: dazu reichts bestimmt angebbar von uns aus nicht.

Wir stehen vor freier Subjektivitat des lebendigen Gottes. Dass Gottuber die Weise unserer Vollendung frei muss verfugen konnen: dass er unsdie konkrete Weise, in der er uns die konkrete Vollendung selber bestimmt:darin gibt es mindestens bestimmte Weisen, die freie sein mussen. Abstractkonnen wir sagen: er muss uns als Transzendenz notwendigerweise die Er-fullung dieser Transzendenz geben. Wie sie erfullt wird in dem konkretenAusmaß kann frei sein.

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

8.1.2.14 Natur des Menschen hat Gott als konkretes Ziel

Der Mensch ist jene Natur, die Kraft ihrer Transzendenz auf die freie ab-solute Subjektivitat Gottes von Natur aus eine durch die Freiheit Gotteszu erfullende also in ihrem konkreten, wenn auch noch nicht genauer an-gebbaren Wie ungeschuldete Erfullung ausgerichtet ist.

Der Mensch ist jene Natur, deren konkretes Ziel wesentlich ungeschuldetist, weil in der unendlichen Transzendenz die Offenheit, weil unendlich, furdie Freiheit Gottes auch nach Setzung der Transzendenz, noch da ist.

Wenn Gott einen Hasen geschaffen hat, kann er ihn als einzelnen nochverhungern lassen, aber nicht den Hasen insgesamt. Dem hatte er dannuberhaupt nichts gegeben.

Wo unendliche Transzendenz ist, dort kann ich, mindestens nicht vonvorneherein, apriori behaupten, diese ware nur so oder gar nicht erfullbar.Dass das nicht so ist, erfahre ich schon in der Erfahrung meiner Subjekti-vitat im Alltag. Der Mensch ist auf die Liebe aus, auf personale, die ihmvon anderer Seite entgebengebracht werden muss. Und doch kann ich nichtsagen, diese Liebe, die entgegengebracht wird, sei mein Recht.

8.1.2.15 Natur des Menschen ist auf etwas aus, auf das sie keinRecht hat

Meine Natur ist auf etwas aus, auf das ich kein Recht habe. Ich sage nicht- wie das bei de Lubac auszusehen schien: man konne uberhaupt nicht vonnaturaler, dem Menschen geschuldeter Erfullung sprechen.

Die tranzendentale Natur ist doch eine Natur, und ein vollendeter Aktdieser Natur ist ihr geschuldet. Aber wie das konkret aussehen muss, kannman nicht apriori deduzieren und es lasst sich nicht, negativ ausgedruckt,jedenfalls nicht sagen, dass solche Erfullung nur in einer Weise geschehenkonnte.

Berufung einzulegen auf den Hasen, Tisch, Topf Deckel hat hier nichtSinn: denn diese Natur ist mindestens nicht nur endlich insofern diese Tran-szendenz als noch zu erfullende offen ist, sondern sie sind in dem Woraufhingekrummt, nicht nur im Ansatz, sondern im Ziel endlich.

Dass solche Finalitat eindeutig sein muss, beweist nicht, dass das dassel-be sein muss fur den Menschen als geistiger Natur.

Wir konnen abbrechen und sagen: ich weiß, dass Gott dem Men-schen tatsachlich eine Erfullung der Transzendenz zugesagt hat in seinemOffenbarungs- Wort, dass das positive, facie ad faciem, Erlangen Gottesselbst ist: visio beatifica. Wo mir Gott bei der selben Offenbarung auchmitteilt, dass das die ungeschuldete Gabe seiner freien uneinklagbaren Lie-be ist.

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Das ist ja weiter auch nicht verwunderlich, denn wenn die gottliche Per-son auch meiner schon vorhandenen Transzendenz gegenuber noch die freieSubjektivitat ist, dann ist mindestens klar, dass der Akt einer nicht mehruberbietbaren, personalen Mitteilung dieser freien Subjektivitat Gottes ge-genuber, wenn uberhaupt noch etwas, frei, nicht einklagbar sein muss.

Wenn eigentlich die visio beatifica nicht ungeschuldete freie Gabe Gottesware, nicht etwas was der Mensch trotz Transzendenz nicht fordern konnte,dann gabe es keine Freiheit des gottlichen Subjekts dieser Transzendenzgegenuber.

Dass es die geben muss, auch noch gesetzt, auch unter der Voraussetzungdieser von Gott geschaffenen Transzendenz, brauche ich gar nicht metaphy-sisch apriori zu beweisen. Ich brauche nur naher darauf eingehen und sagen:beweisen mir, dass die visio beatifica Gott nicht mehr freisteht, wenn erschon diese menschliche Transzendenz gesetzt hat. Und dieser Beweis istnicht zu erbringen:

8.1.2.16 Transzendenz hat auch Sinn ohne die Erfullung durch visiobeatifica

Beweis dass dieser Beweis nicht erbringbar ist, ist einfach: ich brauche nurfragen: kann ich beweisen, dass diese unendliche Transzendenz keinen Sinnhatte, wenn Gott nicht in seinem selbst in der visio beatifica sich erschließenwurde: nein, kann man nicht beweisen.

Diese Transzendenz hat einen Sinn: (sogar positiv dazu sagbar) wenndiese Transzendenz nicht unmittelbar durch das Sein Gottes in sich in visiobeatifica realisiert wird:

1. Das geistige Subjekt, das bei sich selbst ist, frei handelt, frei liebt,sich ausrichten kann auf den absoluten Gott, hat immer schon eineSinnhaftigkeit: das zu leugnen wurde heißen, dass es vor der visio bea-tifica keine Personalitat gibt. Denn diese ist nicht nur Mittel sondernSinn.

2. Dazu 2. kann man mindestens nicht beweisen, dass es keine Vollen-dung ware, wenn man vor Gott ware als demjenigen, dessen unend-liche Große, Unbegreiflichkeit und Heiligkeit, als dem Wesen das imunzuganglichen Licht wohnt, wenn man davor ware, vor Gott insoferner der sich Verschweigende, der sich in seinem eigenen Licht gleichsamVerbergende ware. Vor diesen Gott zukommen ist schon unsagbareHerrlichkeit und Begnadigung.

Denn sie mussen nur einmal darauf reflektieren, wie es in der visiobeatifica ist.• Welchen Gott sehen wir da? Den unbegreiflichen Gott.

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

• Die Unbegreiflichkeit Gottes ist nicht etwas was leider noch daist,

– nicht wie ein Kind, das Kuchen isst, 5 Stucke schon vertilgthat, und nun, das 6. usw. leider nicht mehr vertilgen kann:

– so ist die Incomprehensibilitat nicht.– diese Incomprehensibilitat selbst wird geschaut.

Wenn man das bedenkt, kann einem ja das radikale Kommen-vor-den-sich-in-seinem-personalen-Selbst- verschließenden-Gott alsMangel erscheinen.

– Nein, sondern das ist etwas, in dem sich der Mensch vollen-den kann,

– wenn er begreift, dass er uber sich hinaus auf den nichtbegreifbaren Gott hin ist,∗ vor dem schweigenden Gott Stehen ware auch eine

Vollendung.∗ Unsere Unvollendetheit besteht in unserer Gott-

Vergessenheit, radikalen Desillusionierung,∗ in der Herabziehung Gottes auf einen Gott neben Welt:

– wenn das aufgehoben wurde, waren wir auch die Vollende-ten.∗ Warum nicht eine Vollendung: die kÐnesic �kÐnetwc zu

sein: die unaufhebbare Bewegung zu sein,∗ ohne meinen zu konnen, sie konnte an angebbares Ende

kommen:∗ wenn das einem nicht einleuchtet, kann er nicht sagen:

ist falsch.Wenn ich, der auf die Unendlichkeit Gottes Offene, von Gott hore,

er gibt mir eine Vollendung die in der visio beatifica per modumcausae formalis besteht und mir gleichzeitig dadurch sagt, dasist aber das freie Geschenk meiner Liebe,

– dann ist nichts einfacher, als das zur Kenntnis zu nehmen,– denn der Mensch ist notwendig der, der auf die Freiheit des

anderen offen ist,∗ weil er das geschichtliche Wesen ist,∗ weil er die Offenheit auf eine Freiheit des anderen hat,

· wo meine Transzendenz noch nicht bestimmt,· wie der andere darauf zu reagieren hat.

Weil also Natur auf jeden Fall die Natur dessen ist, der seine Erfullungin wesentlichen Punkten als freie ungeschuldete Gabe empfangenmuss,• darum ist das nicht verwunderlich• und im Wesen des Menschen schon vorgebaut,

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

– wenn Gott die Erfullung, die er uns de facto zugedacht hat,– als Gabe seiner Freiheit erklart.

Ich brauche mir den konkreten Modus anderer, mir geschuldeterErfullung gar nicht vorstellen.• Dort wo transzendentes Wesen gegeben ist,• sind notwendig verschiedene Modi der Erfullung,• die untereinander von verschiedenem Rang sein konnen, von vor-

neherein denkbar.Mein konkretes Wesen ist abhangig von dem, was meine Mutter mir

gegeben hat. Nicht das, auf was ich ein Recht habe.• Die Vorstellung dass alles worauf ich Recht habe, wesenhafte

Erfullung des Lebens ist,• und was nicht mit Recht, ist nicht wesenhafte Erfullung: ist No-

nesense.– Dass ich, wenn ich das nicht bekommen hatte, aufgrund

meine Wesens zu etwas anderem eine Recht gehabt hatte,– das braucht dadurch nicht geleugnet sein.

∗ Es kann sein, dass bei Transzendenz, Offenheit, ein We-sen erfullt sein kann durch a, b, c.

∗ Dass insofern a ungeschuldet und b auch und c nicht,obwohl a & b ungeschuldet ist,

∗ dann kann doch noch eines daruber hinaus liegen.∗ Musste man noch genauer nachdenken: siehe Rondet,

Dolla, Lubac: trotz dieser ware noch vieles zu sagen.Von solchem Ansatz aus ist auch folgendes zu sagen: wir brauchen

das naturliche Ziel des Menschen angesichts seiner transzendentalenNatur nicht so vorstellen:• an sich hatten wir darauf, auf dieses Bestimmte, ein Anrecht,

das von diesem bestimmten ausgeht: so wie beim Topf (Deckel)• und jetzt horen wir uberrascht: nein wir kriegen etwas viel Gro-

ßeres.– Beamten Seele wird geboren. Ware glucklich wenn sie

Schreiber werden konnte, Frau und Kinder und Pantoffel,das ware es, wozu er pradestiniert ware.

– Nun kommt Gott und macht daraus Staatsmann mit unge-heuerlicher Befahigung.

– Und er muss diesen armen Kerl ausweiten und ins Unendli-che dehnen: so durfen wir uns visio beatifica nicht vorstellen.

Wenn wir begriffen haben, was Geist ist, dann ist das eine unendlicheMoglichkeit, die zur Natur des Menschen gehort, und doch konntediese auf verschiedene Weise erfullt werden.• Wenn aber die visio beatifica kommt,

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

• dann ist sie die Erfullung dieses.– Der Mensch hat von Natur aus eine potentia oboedientialis,– und da diese seine Natur ist, nicht etwas Dazukommendes– und doch solche potentia oboedientialis, die das Tier und

andere untermenschliche Natur nicht hat.Es ist notwendig, die Natur des Menschen so zu entwerfen, dass da

hinein die visio beatifica hineinpasst.• Der Mensch kann nicht unendlicher offener werden als er schon

von Natur aus ist.• Einem nicht von Natur offenen Wesen kann keine visio beatifica

gegeben werden, sonst hort es auf, dieser Natur zu haben, diesie hat.

13.2.1957 Vorlesung 43 (2.Stunde)

Was dem was wir gesagt haben in letzter Stunde: Begriff der Natur istgeklart, um von ubernaturlicher Gnade sinnvoll sprechen zu konnen.

8.1.3 Es ergibt sich auch was potentia oboedientialis ist:

Rein formal: jene Moglichkeit einer ubernaturlichen Erhohung, die diesedem Menschen ungeschuldet sein lasst, woraufhin die menschliche Naturnicht so positiv hingeordnet ist, dass sie ihr geschuldet ist oder aus ihrresultiert: also id quod neque constitutive, neque consecutive neque exigi-tive... und doch eine Moglichkeit ist fur diese Natur ohne dass sie dadurchin ihrem Wesen selber aufgehoben werden musste.

Dieser formelle Begriff der potentia oboedientialis ist schon inhaltlichgefullt. Wir sehen, dass sie nicht bloß aus ihrem Begriff heraus mit derNatur identisch ist. Denn ware sie eine potentia, die von der Natur alsganzer distinguiert werden konnte, ware sie was fur sich und wurde ihreneigenen Akt fordern konnen, und dann ware Ubernaturlichkeit nicht mehrungeschuldet.

Sie muss nicht nur identisch sein mit der Natur sondern man sieht auchdass eine bloß geistige Natur des Menschen eine potentia oboedientialis furUbernaturlichkeit sein kann. Denn eine in sich begrenzte Natur ware, wennsie nicht uber ihre eigenen Wesens Anlagen heraus gehoben wurde nichtmehr Natur, eine Natur die von Ubernaturlichkeit erfullt werden kann unddoch nicht heraus gehoben werden muss daruber, kann nur eine solche sein,die Transzendenz hat. Potentia fur Ubernaturliches muss in Transzenden-talitat bestehen und umgekehrt: potentia oboedientialis.

Daraus ergibt sich dass die Natur als sie selber durch die UbernaturlicheOrdnung erfullt wird, aktuiert wird: es wird nicht etwas hinzugefugt, was

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

die Erfullung ware sondern das Ubernaturliche ist die Erfullung der Naturselber.

Daraus ergibt sich, dass das Ubernaturliche nicht das Naturfremde seinkann. Entweder ist das Ubernaturliche etwas, was nicht auftreten kannals Aktuierung einer Natur und damit nicht ubernaturlich ware sondernNatur fremd oder es ist Erfullung der Natur. Dann muss gezeigt werden,was nicht Wesenskonstitutiv oder Forderung dieser Natur ware, dass es sichum Natur handelt, die doch als freie Gnade ungeschuldetes Geschenk seinkann.

Das alles ergibt sich nur, wenn wir hier die geistige Natur des Menschenso ansetzen, wie wir es getan haben.

8.1.4 ubernaturlich

Ubernaturlich formal angesetzt: id quod neque constitutive, neque consecu-tive neque executive ex aliqua natura resultat. Was also weder Wesenkon-stitutiv noch Folge noch etwas, was diese als ihre Wesens Erfullung fordernkonnte. Abstrakter, formaler Begriff des ubernaturlichen.

Weiter unterteilt: hinsichtlich einer bestimmte Natur oder hinsichtlichjeder von Gott geschaffenen: Secundum quid und simpliziter.

Beides hinsichtlich der Weise ubernaturlich oder hinsichtlich dessen wasselbst gegeben wird: modal oder entitativ (innerer Sachlichkeit des Gegebe-nen nach) supernaturalis modaliter und entitative und das wieder secund-um quid und simpliciter. Wenn ubernaturliche Heilsgnade dann: schlecht-hin und ihrem inneren Wesen nach: entitative und simpliciter. Nicht nurdas Wesen der Menschen Natur sondern jedweder Natur, die Gott schaffenkann: weil es zur Ordnung Gottes als Gottes selber gehort.

Wenn sie das vorher gesagte richtig begriffen haben, sehen sie, dass uber-naturliche Gnade, die den Menschen vergottlicht, und ubernaturlich uber-haupt sachlich identische Begriffe sind.

Es gibt keine ubernaturliche entitative und simpliciter, die nicht vondieser Gnade, von der wir sprechen, bestunde. Daneben kann man sich keinanderes Ubernaturliches denken, das diesen auch erfullen wurde. DieserBegriff des entitativ und simpliziter ist kein Begriff, der mehrere subspeciesunter sich hatte, unter denen auch die ubernaturliche Heilsgnade.

Ubernaturlich kann etwas nur sein, wenn es uberhaupt sein kann. Wennes ubernaturlich fur eine Natur mit Transzendenz ist. Wenn es das ist, kannfur solche Natur mit dieser unbegrenzten Reichweite, nur das ubernaturlichsein, was der Ordnung Gottes selber angehort.

Ich sage nicht, dass alles andere dieser transzendentalen Natur des Men-schen geschuldet sein musse. Vieles was der Engel hat, ist uns ungeschuldet.Aber im strengen Sinne ubernaturlich kann es nicht sein. Es gibt naturlich

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

hoheres was der Mensch selbst hat nur im Bereich der Liebe und Erkenntnisund der Voraussetzung dazu.

So etwas was in diesen Bereich gehort, kann nur dem Menschen dadurchubernaturlich sein, wenn es in den Bereich Gottes als Gottes gehort. Dennalles andere kann vielleicht dem Menschen selbst noch ungeschuldet sein,kann aber nicht als das absolut ubersteigende, maßlose außerhalb der Tran-szendenz des Menschen fallen.

Nur Gott in der unmittelbaren Mitteilung des gottlichen Wesens selbstund der diese ermoglichenden Seins Bestimmungen des Menschen konnenschlechterdings ubernaturlich sein.

Alles Kreaturliche kann als Gegenstand der Erkenntnis, des Wollens undder Liebe zwar seiner physischen Zuganglichkeit entzogen sein, aber nichtals Artfremdes, denn als anderes kann es noch innerhalb der Transzendenzkommen, und nicht im eigentlichen Sinn ubernaturlich sein.

Genau so wie potentia oboedientialis und Transzendenz, geistige Naturdes Menschen dasselbe sind und nicht ein spezies eines genus daruber.So sind auch Selbstmitteilung Gottes in freier ungeschuldeter Gnade undUbernaturlichkeit dasselbe.

Damit haben wir genug gesagt: Begriff der Natur und des Ubernaturli-chen, Einteilung in secundum quid und simpliciter, entitativ und modaliter,und Begriff der potentia oboedientialis sind genug besprochen.

8.1.5 Klassische Thesenstruktur

8.1.5.1 Sensus thesis

Die These sagt nun: dass die Gnade deshalb ubernaturlich ist, weil sie inden ordo der visio beatifica hinein gehort. Das durfen wir sagen, weil wir inder ersten These die schlechthinnige Ubernaturlichkeit der visio beatificagesehen haben. Dort wo Gott nicht bloß etwas creat, schafft und dem Men-schen verleiht, sondern als er selber das Bestimmende der Kreatur wirdin der visio beatifica, ist das schon aus dem Begriff einer causalitas quasiformalis ungeschuldet und die freie Tat Gottes, weil es die Verfugung einerPerson uber sich selbst ist.

Visio beatifica ist als Teilnahme am innergottlichen Leben in der Tateiner ungeschuldeten Liebe und als Tat einer Person, die frei ist und alsformale im Gegensatz zu effizienter außergottlicher Kausalitat, notwendigungeschuldet fur jede denkbare Kreatur.

Denn Kreatur, die mehr ware als offene Transzendenz auf alles und jedeskann es gar nicht geben. Vorstellung als ob Engel so eine hohere Naturhatten wie Mensch im Vergleich zum Tier ist absurd. Der Engel hat einehohere Natur, aber dieses Hoher-Sein der englischen Natur ist nicht so

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Hoher-Sein, im selben Sinn wie der Mensch ein hoheres Sein gegenuberallem Untermenschlichen.

Denn menschliche Natur hat Transzendenz auf das Sein uberhaupt, wah-rend alles untermenschliche verschlossen ist in diesem Sinn. So wie sichendliche Verschlossenheit und unendliche Offenheit (nicht so wie Gott un-endlich, aber doch mehr als ein anderes Geschopf) der eigentlich entschei-dende Graben einer Natur Verschiedenheit liegt zwischen Mensch und Un-termenschlichem und nicht zwischen Mensch und Engel.

Der Mensch kann nicht wesentlich andere Natur haben: musste Gott sel-ber sein, denn Transzendenz kann nur uberboten werden durch denjenigen,der dieser unendlichen Offenheit nicht bedarf, weil er die unendliche Fulleselbst ist schlechthin durch sich selbst.

Wahrend der Mensch die unendliche Potenz ist und es daruber nichtetwas eigentlich radikales Neues geben kann. Daraus folgt, dass wenn furden Menschen die Aktuation durch die visio beatifica absolut ungeschuldetist, sie fur jede Kreatur ungeschuldet ist und sein muss im radikal selbenSinn wie fur den Menschen.

Fur eine transzendentale unendliche Offenheit ist die visio beatifica ent-weder immer ungeschuldet oder nie, und da sie ungeschuldet ist und Gottauch kein unendlicheres Wesen als den Menschen schaffen kann, das sichvon solcher Unendlichkeit noch mal radikal unterscheidet, ist im Grundeselbstverstandlich, dass wenn das Ubernaturliche der ordo der visio bea-tifica uberhaupt ungeschuldet ist, diese Gnade fur jede geschaffene undschaffbare Kreatur ungeschuldet ist, da Gott nicht Gott schaffen kann,und er etwas wesentlich Hoheres nur schaffen konnte, wenn er sich selbstnoch mal schaffen wurde, was ein Unsinn ist.

Damit ist auch dieser Punkt erklart.

8.1.5.2 Adversarii:

Alle die die schon simpliziter die ganze Gnadenordnung leugnen. Aber ip-sissimam supernaturalitatem leugnen.

Dazu gehoren die, die ganze Entwicklung des Menschen als kosmischennaturalen physischen Prozess betrachten: Pantheistae, Gnostici, Manichai:processum entis mundani etc. per modum physicum considerant.

Christen: alle, die zur Zeit der Reformation zugeben: in statu lapsi. Abersupralapsarisch und dem unschuldigen Menschen consortium cum deo filia-tionem cum deo sei ihm debita und erst spatere Reformatores, Bajus, Jan-senius, Aufklarungstheologie, semirationalistica (Gunther, Hermes): Dassder Mensch in seiner Moralitat confirmiert wird.

Aufklarungstheologie am Anfang des 19. Jahrhunderts konnte sich nichtsanderes als Gnade vorstellen als Hilfe Gottes zu geistig, moralischem, sittli-

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

chem Leben und hat die Ubernaturlichkeit der Gnade nicht geleugnet abervernachlassigt. Erst wieder durch Kleutgen, Scheeben, Restauration derscholastischen Theologie und durch Mohler und Kuhn deutlich gewordenist (Tubinger Schule)

8.1.5.3 Qualifikation:

Nicht Spekulation unserer These sondern das was aus positiven Quel-len stammt

Aliqua veri nominis supernatu-ralitas proprie dicta: Post Ba-jum adeo in doctrina ecclesiae,ut res sit proxime definibilis,ad minimum aliqua supernatu-ralitas.

Irgendeine wahre Ubernaturlichkeitim eigentlichen Sinne: Das ist nachBajus so sehr in der Lehre der Kirche,dass die Sache sehr nahe an der Defi-nierbarkeit ist, wenigstens eine Uber-naturlichkeit.

Adeo insistit in supernaturali-tatem gratiae, quem communi-camur cum angelis, ut dici po-test: theologice certum. Etiamnaturam angelorum et omniumcreaturarum transcendit.

Insistiert so sehr auf der Ubernatur-lichkeit der Gnade, die wir mit denEngeln gemeinsam haben, dass mansagen kann: theologisch sicher ist, sieubersteigt auch die Natur der Engelund aller Kreatur.

Warum solcher Lehre theologische Qualification zu geben? Im Namender Reinheit des Glaubens?

Was gehen uns die Engel an? Wenn das fur uns ungeschuldet ist, istfur uns wichtig. Ob das auch fur die Engel ist und fur jede schaffbareKreatur eine Uberbietung ist, kann uns doch wurst sein, interessiertdas eigentliche religiose Leben des Menschen nicht? Doch!

Ich kann, wenn ich den Menschen richtig ansetze, so wie er sich not-wendig vorkommen muss, nicht anders begreifen als die unendlicheOffenheit auf jede Moglichkeit. Wenn aber angesichts dieser Tatsa-che dennoch die Gnade gewissen geschaffenen Naturen geschuldetware, dann auf die Dauer angesichts dieser unendlichen Reichweiteder menschlichen Natur nicht mehr realisierbar, dass die Gnade unsungeschuldet ware. Dann muss der Mensch sagen ich bin im Grundemeines geistigen Wesens auch nicht weniger als diese.

Mochten sie lieber ein Engel sein als ein Mensch? Ein Stein kannsich die Frage nicht stellen ob er lieber ein Frosch ware. Da hat esnicht Sinn diese Frage zu stellen. Aber der Mensch braucht nichtaufzuhoren er zu sein, um mehr zu sein als er ist. Das ist der Witzdieser Natur, dass der mehr werden kann, als er von Natur aus ist,

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

ohne aufzuhoren, er zu sein, weil es zu ihrem Wesen gehort, alles zuwerden.

Von da aus ist zu sagen, dass ich als der Mensch der ich bin die Mog-lichkeiten des Engels schon ubersprungen habe. Wir sind defacto als die erschaffen, die mehr als Engel sind und sind so viel wiedie Engel. Denn ihre ubernaturliche Erfullung ist die visio beatificaDei, und damit hat es Sinn und ist nicht bloß Mythologie, wenn derchristliche Glaube daran fest halt, dass wir einmal mit diesen dieselbeWirklichkeit teilen werden.

Nur von da aus kann man sagen, wenn man nicht in theologischenPositivismus fluchten will und nicht deswegen die ganze Wahrheit desChristentums unglaubwurdig machen will, kann man sich nur von daaus fragen,

warum Gott Mensch geworden ist und nicht Engel.

Fur Origenes war es selbstverstandlich, dass er auch Engel wurde, weiler platonisch den Menschen so fasste, dass er stockwerkartig hohereNatur hat, weil er andere Vorstellung von Transzendenz hat. Dannist aber nicht mehr zu sehen, wenn Gott sich aus seiner Natur hinausbegibt, warum er dann die hohere Wirklichkeitsschicht auslasst. Diehat er ja gar nicht ausgelassen.

Die geistige Kreatur Engel und Mensch, beide sind durch die Logos-werdung begnadet. Damit ist der Logos nicht durch seine Wurde dasHaupt der Engel sondern in ontologisch realem Sinn: es ist dem Men-schen moglich, hoheren Platz einzunehmen im Himmel. Es kommtnicht an von welchem Punkt aus ich starte, sondern wo ich ankom-me, weil der Mensch auf unendlicher Bahn lauft und der Engel garnicht auf langerer laufen kann. Deshalb kann Maria, die menschlicheSeele Jesu eine radikalere unendlich erfulltere Unmittelbarkeit, visiobeatifica genannt, zu Gott haben als Gabriel oder so jemand.

Es hat gar keinen Sinn von der Sache her zu unterscheiden zwischensecundum quid und simpliciter.

Aber sie sehen: dass es eine existentielle religiose Bedeutung hat zusagen: Gnade als auch dem Engel ungeschuldete hat auch den Men-schen gegenuber eine Bedeutung, die Gnade ubersteigt jede geschaf-fene und schaffbare Natur.

Von der Qualifikatio her mussen wir sagen: unanimiter docta. So dassman sie theologice certa nennen kann.

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Dass sie simpliciter talis ist: practice certa, contra quam sententia op-posita nullam solidam rationem habet. Nur aus formalistischer Di-stinktion, Untersuchung andere.

8.1.5.4 Beweis: Magisterium:

Fur unserer These hat man keine Definition.Nach Viennense: Nach dem Konzil von Viennes

visio beatifica postulat lumengloriae.

beseligende Gottesschau fordert lu-men gloriae

Dieser Begriff muss verstanden werden wie er damals von der Ter-minologie der Kirche verstanden wurde. Etwas Ubernaturliches undGeschenktes, Ungeschuldetes (gratiosum, indebitum). Das aus demBegriff wie es damals war. Nicht zu sagen, dass das Viennense dasdefiniert hat, dass das ubernaturlich ist.

Gegen Beguarden: Semipenatenstreit der damaligen Zeit: sagte iungi.Dagegen sagte dieses: nein, es ist notig lumen gloriae.

Gegen Bajus: Pius V. Das setzt Anteilnahme voraus (supponat consorti-um) was dem homo innocens ungeschuldet ist. Mehr ist nicht gesagtin dieser Definition. Supernaturalitat secundum quid wenigstens istklar gelehrt.

Dasselbe gegen die Jansenisten: Quesnel, synodus Pistoia.

Status primitivus Adae: nonfuisse debitum naturale sed su-pernaturale.

Der Urzustand Adams war nicht na-turlich geschuldet sondern ubernatur-lich

Dann doctrina Vaticani magni momenti: nicht unsere These beruhrtaber setzt in einer Lehre vom Glauben unsere These voraus.

Doctrina Vaticana habet finemsupernaturalem: fides diciturvirtus supernaturalis, non so-lum quia revelatio est indebi-ta sed propter wegen... Suppo-nit nostram thesim: ordo, finissupernaturalis sensum non ha-bet nisi sensus theologiae cumhoc coniungitur. Ergo Vatika-num supponit, quod hic doce-tur.

Sie kennt ubernaturliches Ziel, Glau-be wird ubernaturliche Tugend ge-nannt, nicht nur weil Offenbarungungeschuldet sondern ... Setzt unse-re These voraus: Ubernaturliche Or-nung und Ziel haben nicht Sinn, wennman nicht damit den Sinn der Theo-logie verbindet. Also das Vatikanumsetzt voraus, was wir hier lehren

8.1.5.5 Argument aus der Schrift

Naturlich ist die Ubersetzung dessen was die Schrift sagt einerseits ziemlichselbstverstandlich, auf der anderen Seite etwas, was absolute Stringenz nur

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

hat, wenn wir diesen Gedanken mit Tradition und Lehre der Kirche voll-ziehen. Aber wir sehen deutlich, wo die Quellen der Kirche in der Schriftliegen. Wir haben gesehen dass die visio beatifica in der Schrift als etwasbetrachtet wird, was dem gottlichen Bereich als solchem angehort, insofernGott sich von der Kreatur unterscheidet:

Erbe des Sohnes, der sich unterscheidet vom Knecht.

Wenn es uns zustunde, konnten wir nicht sagen: Wir partizipierenam Erbe des Sohnes. Weil wir Wesen sind die draußen stehen, wah-rend der Sohn von oben ist. Denn dann hatten wir das von uns her:Gegenteil von ubernaturlich. Wenn es anders ist, ist das dasselbe, wiedas, was wir Ubernaturliches nennen.

Dasselbe aus dem was von unserem jetzigen Gnadenstand ausgesagtwird: Begriff der Adoptiv- Sohnschaft. Doppeltes

1. Annahme eines solchen, der nicht vom Wesen her Sohn ist2. Etwas was nicht Wiederversohnung eines Sohnes ist, der an sich

Recht auf vaterliche Liebe hatte. Sondern Annahme eines Au-ßenstehenden, der angenommen werden muss, weil er der Au-ßenstehende, nicht zur Familie des Vaters Gehorende ist.

Adoptiv-: Ungeschuldetheit dieser Kindschaft und gleichzeitig: nichtGabe, die bloß deshalb ungeschuldet ist weil der betreffende sichdurch personliche Schuld mit Gott verfeindet hatte.

Nicht nur visio beatifica sondern jetzige Heilsgnade: immer das, dasbezeichnet was wir haben insofern wir an den Gutern des Sohnesteilnehmen: wir sind Erben mit Christus, erben sein Reich, cohaeredesusw.: was immer wieder bedeutet, dass wir mit ihm auf seinem Thronsitzen, mit ihm in den Himmel versetzt sind, seinen Geist haben, usw.

Immer wieder: Teilnahme an verklarender, vergottlichender Wirklich-keit, die dem Sohn als Sohn zukommt insofern er nicht Kreatur ist,auf der Seite Gottes steht. Solche Ungeschuldetheit rein zu reduzierenauf die Ungeschuldetheit des Sunders ware Verkurzung. Es gibt eine,die nicht bloß die Ungeschuldetheit des Sunders ist sondern eine derTeilname am Sohn, der sich als Sohn abhebt von uns und unseremGott und unserem Vater: nie unser Vater fur sich selbst und uns aufeinmal benutzt.

2Petr.1.4 der gottlichen Natur teilhaftig: was in diesem Zusammen-hang genauer gemeint ist, wieweit eschatologische oder jetzt schonbesessene Annahme: im Grunde genommen ist schon, sei es fur jetztoder eschatologisch ein Besitz, Teilnahme ausgesagt, die nicht in ei-ner geschopflichen Wirklichkeit besteht sondern in der Mitteilung des

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Pneumas selbst im Kommen des Sohnes und des Vaters zu uns in et-was, was nicht die allgemeine metaphysische Partizipation besagt,weil das nicht etwas ist, was die Gnadenordnung betrifft: es besagteine spezifische, eigentumliche, nicht reduzierbare auf Geschopf GottVerhaltnis, die sich davon also unterscheidet: nur denkbar wenn Gottuns in der Ungeschaffenheit dieses Leben mitteilt. Absolute Vergot-tung Pantheismus: nicht aufheben. Wenn das der Fall ist, solche Par-tizipation, dann im Grunde klar, dass so was einer Kreatur nicht vonrechts wegen zukommen kann, weil dann eben Gott als Gott uber-haupt keinen ihm als solchen allein zustehenden Bereich mehr hatte.Das aber ist absolut gegen die Grundkonzeption der Heiligen Schrift.

Sie mussen bedenken wenn die hochste unuberbietbare Mitteilung desgottlichen Lebens eine einer freien Kreatur geschuldete ware, dannkonnte es so was uberhaupt nicht geben: sonst ware alles geringeredieser Kreatur auch geschuldet. Dann kein Bereich in dem sich Gottals Gott von der Kreatur absetzen konnte. Das gibt es aber: schondas Kommen in das Fleisch des Sohnes, Mitteilung seines Erkennensund Wissens vom Vater Johanneische Stelle bei Matthaus: als freiesGeschenk des Sohnes aufgefasst, der es dem gibt, dem er es gebenwill, so dass sonst keiner den Vater erkennen kann: eindeutig BereichGottes, den niemand gesehen hat, sehen kann, der nur durch freienEntschluss des Sohnes gegeben werden kann. Dort wo er personalerWeise seinen Geist gibt, wenn es uberhaupt so was gibt, dann erstrecht da wo die koinonia Gottes handelt: diese muss als absolut gna-denhafte Mitteilung aufgefasst werden, wo, dass der Mensch Sunderist, hier einzutragen sinnlos ist.

Gott wohnt in unzuganglichem Licht, nicht weil der Mensch Sunderist, sondern weil er Kreatur ist, weil er nicht Sohn ist. Deshalb musses der Sohn mitteilen. Naturlich auch immer den Aspekt der Rettungdes Sunders: verscharfender aber nicht erstbegrundender Aspekt die-ser Tat der Liebe Gottes, die herunter steigt wie personale Liebe dasUneinklagbare ist.

Mit anderen Worten: die Schrift kennt das was wir formal abstractals Ubernaturlichkeit aussagen.

Es wird dann auch (wichtig fur die Gleichgultigkeit der genaueren In-terpretation 2P1) Gnade jetzt und ewige Seligkeit dort und dannals innerlich homogene Phasen ein und derselben Gnadenwirklich-keit aufgefasst: wir sind Kinder Gottes, das muss nur noch offenbarwerden. Wir haben das Recht: das besteht in dem wirklich mitge-teilten Geist, der jetzt schon gegeben ist: Unterpfand dieses ewigen

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

Lebens: in einer Anzahlung der Erstlinge dessen, was wir in Vollen-dung bekommen werden. Wenn der Geist als lebendige Dynamik unsjetzt schon gegeben ist, aufgefasst wird: auch in Ph als Verklarungdes Leibes, die auch als Verklarung der Welt gesehen wird. Hier istklar Gnade und Glorie in derselben Dimension wie Dynamik auf eineVollendung hin und sie selber Glorie, vollendeter Vollzug dessen, waswir jetzt schon haben: beides gehort in die ubernaturliche Ordnunghinein: Beweis fur die Ubernaturlichkeit des einen und des anderenbekraftigen sich gegenseitig.

8.1.5.6 PP

Sehr kurz abmachbar: wir konnen und mussen zugeben, dass in der griechi-schen und lateinischen Vaterzeit je in eigener Zeit eine Gefahr da war, dieUbernaturlichkeit der Gnade zu verkurzen: weil in dem spekulativ syste-matischen Versuch die Daten der Heiligen Schrift auf einen philosophischenmetaphysischen Nenner zu bringen, die Griechen immer in Gefahr waren,statt ubernaturlicher Gnade Geist zu sehen aber nicht mehr im Sinn vonPneuma, das vom nous des Menschen, von geistiger logischer Struktur ver-schieden gedacht wurde, sondern das biblische Pneuma auf philosophischenGeist Begriff zu bringen und dann den Unterschied zwischen Pneuma undGeist des Menschen zu reduzieren auf materielle sinnenhafte Welt und Geistdes Menschen.

Bei Augustinus ist ein Differenz Gefalle zwischen Ubernaturlichem unddem Menschen zu reduzieren auf Gegensatz zwischen Sunde und von Sun-de befreitem Menschen. Diese Dinge durchdringen sich: aber identisch sinddiese Dinge nicht. Bei Augustinus ist das Gegensatzpaar gerechter, Sundevergebender Gott und sundiger Mensch der von seinem Reat erlost wird imVordergrund, so dass bei Augustinus, dort wo er schriftgemaß redet, daswas wir haben, auch da ist, aber wo er systematisch redet, die Ubernatur-lichkeit der Gnade stark in den Hintergrund tritt.

Naturlich weiß auch Augustinus irgendwo, dass der Zustand des Adamsim Paradies ubernaturlich war, er Hilfe hatte, die auch ungeschuldet war.Aber ob das ungeschuldet war, das war dort vielleicht doch mehr als diemoralische Hilfe, die auch dort notwendig war und die fur Augustinus auchdort ungeschuldet ist als die Ungeschuldetheit einer Partizipation am inner-gottlichen Leben selbst.

Insofern Hinweis des Augustinus, dass er etwas weiß von der Gnaden-haftigkeit des Paradiesischen, kein Beweis dass er sich reflex klar war, dassdie Gnade der Kreatur gegenuber ungeschuldet ist als Teilnahme am gott-lichen Leben, was der Kreatur grundsatzlich nicht geschuldet ist: Wesens-Ungeschuldetheit im Gegensatz zur existentiellen Ubernaturlichkeit einer

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8.1 These 12 Absolute Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

helfenden Gnade, ist bei Augustinus nicht sehr deutlich.

Wo er aus der Bibel predigt und denkt, ist auch so was da. Dazu kommt,dass Augustinus in der Theologie einer radikalen Sundigkeit des Geschopfskeine Anspruche machen kann gegenuber Gott, der den Menschen, ohneungerecht zu sein, in der Massa damnata belassen kann. Darin offenbartsich das Kreatur-Bewusstsein als der, der als Knecht Gott gegenuberstehtund einen Anspruch auf Gottes Leben selbst zu machen, nicht hat.

Immerhin bei griechischen Kirchenvatern (Kappadozier und auch schonfruher, Irenaeus, Cyrill von Alexandria und den Lehrern der gnadenhaftenVergottlichung des Menschen, der Verleihung des Bildes und Gleichnissesan den Menschen durch den gottlichen Geist): ist das vorhanden, was wirUbernaturlichkeit der Gnade nennen mussen.

Dafur in der großen griechischen Patristik im Kampf gegen Arianer cha-rakteristisch und bedeutsam, dass sie Unbegreiflichkeit Gottes sehr betontwahrend der Arianismus, obwohl er der Kreatur eine Komprehension desVaters zuschreibt, weil er das muss nach der Schrift, die griechischen Va-ter radikal Gott immer als unbegreiflichen lehren, gleichsam als Gott derradikalen Finsternis, ihn nur erkennen kann, wenn man in die Wolke vomSinai eintritt. Von da aus kann man nicht sagen, dass die griechischen Va-ter kein Verstandnis haben, dass das sich Gott Nahen etwas der KreaturUngeschuldetes, Gnadenhaftes sei.

Dazu kommt dass es schon beinahe bis in die Terminologie hinein gehen-de Gedanken gibt: bei Clemens Alexandrinus: dass der Mensch das Kosmi-sche und Hyperkosmische empfangen habe von Gott. Hyperphysis kommtauch schon vor. Aber es ist zu schauen, wie viel damit gesagt werden soll,wenn selbst Thomas im Mittelalter noch da und dort terminologisch et-was fur ubernaturlich erklart, wo nicht deutlich ist, ist es von der Kreaturvollziehbar oder ist es ungeschuldet, dann darf man von den griechischenVatern nicht zu viel verlangen. Die Richtung ich deutlich: was in der Schriftschon deutlich ist, wird naturlich auch nicht vergessen.

Dort wo von Vergottlichung des Menschen geredet wird, ist der Begriffder Ubernaturlichkeit gar nicht mehr zu vermeiden. Daher kommt auch,dass die Protestanten den Griechen vorwerfen, sie habe pantheistische Ide-en, vermetaphysiziere die Erkenntnis Gottes usw. .

Bei Harnack und seiner Schule besonders ist das so. Das zeigt, wo manubernaturliche Gnade vermeiden will und doch, die Gnade des Christen-tums auf den Nenner des von Gott begnadeten Sunders bringen will, mankein Verstandnis hat fur Vergottlichungslehre. Das zeigt aber, dass dieseeine Ungeschuldetheit meint fur den Menschen: mit anderen Worten etwasUbernaturliches.

Das weitere selber nachlesen im Kodex.

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

8.1.5.7 Theologen:

Sie wissen, dass hinsichtlich der Interpretation des Ubernaturlichen in derScholastik, besonders bei Thomas in den letzten Dezennien einige Schwie-rigkeiten auftraten:

Thomas spricht von desiderium naturale nach visio beatifica. Problem:wie Gnade ubernaturlich ist. Frage: wie Ubernaturlichkeit der Gnade, dieThomas auch lehrt, was die sage, ob sie den Begriff der natura pura alsmoglichen Terminus einer Schopfertatigkeit Gottes fordert: wurde in denletzten Jahren ausfuhrlich besprochen. Wir gehen darauf nicht ein.

Es genugt: im Mittelalter ist mindestens hinsichtlich der habituellen Gna-de, der Heilsgnade, die Ubernaturlichkeit der Gnade hinsichtlich einer ari-stotelisch abgegrenzten Menschennatur doch schon deutlich.

Damit ist nicht gesagt, dass die Theologie heute nicht uber Thomashinausgekommen ware.

Die Erkenntnis, dass auch die helfende Gnade innerlich von der selbenubernaturlichen Qualitat sein musse wie die zustandliche Gnade, die Er-kenntnis dass man auch in wahrem Sinne, wenn man schon von ungeschul-deter Gnade, die man nicht mit Ungeschuldetheit unserer Existenz ver-wechseln darf, den Begriff einer reinen Natur auf die Dauer gar nicht ver-meiden kann (wie ihn Humani Generis auch hat) dass man

”Fullung“ dieser

am besten vermeidet (aus Grunden die wir bei Besprechung der Transzen-denz genannt haben) zeigt, dass heutige Theologie weitergekommen ist.Wir konnen nicht bei Thomas alles finden, was heute da ist. Thomas willauch andere zu Wort kommen lassen. In vieler Beziehung: historische Be-dingtheit seiner historischen Situation.

Auch in der visio beatifica wird Unterschied zwischen einzelnen Men-schen sein. Perspektivitat wird auch im Himmel sein. Kann sich freuen dereinzelne, so dass so, wie er sie ansieht kein anderer sie ansieht. So partizi-piert er auch an der Erkenntnis aller anderen, dort wo man sich freut, dassnicht alle dieselben sind, will manchen Verteidigern von allgemein gultigenSatzen und Prinzipien immer noch nicht einleuchten.

Wenn jeder was anderes sei, ware das Gott in Schopfertatigkeit zu vielzugetraut. Oder man rutscht in bosartigen Existentialismus hinein. Wirbleiben jeder was anderes, so erst interessant. Toleranz ist Anfang jenerLiebe, die wir uns im Himmel gewahren mussen, um an der unvertausch-baren Eigenart der anderen Teil zu nehmen.

Grundansatz des Ubernaturlichen streng als solchem ist bei ihm gegeben,und wenn daraus die spatere Theologie Folgen zieht, die Thomas nichtzieht - finis naturalis kennt Thomas nicht, davon redet er nicht (insofern esjenseitiges ist). Dass er es hatte tun konnen, beweist nicht, dass er es getanhat. Dass wir es tun ist eben Fortschritt. Die Bedeutsamkeit von solcher

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8.2 Betrachtung der Ubernaturlichkeit der Gnade von Gottes Seite her

hypothetischer Konstruktion ist nicht zu uberschatzen. Nicht so als ob wirMenschen waren, die sich in eigener Natur aufhalten und damit zufriedenwaren und jetzt zu unserer Uberraschung und Verlegenheit noch horen,dass wir von Gott zu noch hoherem Ziel bestimmt sind, fur das wir keingenuines Interesse haben konnen, sondern sagen: wir mussen Gott parieren,und da mussen wir auf seine Wunsche und Befehle eingehen, im ubrigenwurden wir schon darauf verzichten konnen.

So sieht es in der nachtridentinischen Theologie aus. Wenn uns da derThomas sagt: ich bin der heilige Thomas und habe uber solche Dinge auchnicht nachgedacht und habe Ubernaturliches fur mich als dasselbe geltenlassen, dann braucht ihr jetzt nicht andere Perspektiven herbei ziehen. Sindnicht so wesentlich. Wesentlich ist, dass der Mensch ein konkretes Ziel hatund das ist ubernaturlich und das ist die Erfullung seiner Natur.

Nicht so als ob es ihm geschuldet ware. Sondern eben dieses Ungeschul-dete ist dasjenige worauf der Mensch in der konkreten Ordnung auf jedenFall aus ist und was fur seine Natur als Natur die Konkretheit des Zielesselbst dieser Natur ist und nicht etwas dem Ziel dieser Natur hinzugefugtes,so wie wenn einer eine Rente beziehen konnte und jetzt noch dazu einenEhrensold vom Land Tirol bekommt. Eins kommt zum anderen hinzu.

So ist es nicht. Offenheit und Weite dieses Ziels einer transzendental geis-tigen und unendlich offenen Natur ist keine fixe Große und ungeschuldeteuberwaltigende Erfullung dieser Ziel-Offenheit ist die visio beatifica eben.

Das soll genugen fur diese These.

27.2.1957 Vorlesung 44 These 13

8.2 Betrachtung der Ubernaturlichkeit derGnade von Gottes Seite her

Wir wollen das ganze noch von anderer Seite her betrachten: von GottesSeite her:

Aus der Tatsache selbst wissen wir, dass Gott selbst Kreatur werdenkann, dass fur ihn selbst etwas passiert: er wird Mensch. Das ist dochzweifellos die hochste Moglichkeit, die Gott hat im Wirken nach außen, wodieses Außen kein außen mehr ist, denn er geht selbst nach außen und dieseswird so zum Innen. Wenn diese verschiedenen Moglichkeiten Gottes nichteinfach nebeneinander liegen, dann muss man sagen, die hohere Moglichkeitschließt die des Hohen ein, und die des niederen ist die defiziente Weise amHohen.

Die Moglichkeit der Schopfung basiert auf der Moglichkeit der Mensch-

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

werdung. Weil Gott aus sich heraustreten kann und darin, dass er sichselbst entaußernd schaffen konnen muss, darum gibt es die Moglichkeit derWeltschopfung. Von da aus ist die Moglichkeit des Ubernaturlichen undder Natur zu sehen.

8.2.1 Eine Disputationsubung dazu (also nicht einmalquaestio disputata)

8.2.1.1 Aufstiegsschema:Problem der Evolution: Wesensschrittefassen wir vielleicht zu primitiv auf: als schlechterdings einNovum

Wir supponieren zu primitiv, dass es abgegrenzte Natur gibt. Dass dasetwas sei, was schlechterdings ein Novum ist. Nun ist es aber vielleichtgerade so, daß das Folgende eigentlich formal ein durchgangiges Prinzipist: Evolution geht nach oben und doch so, dass es das Normale ist, dassdiese nur durch schopferischen Impuls Gottes moglich ist, der nicht zudieser Natur gehort.

Das Materielle in seinen hochsten Modalitats-Moglichkeiten grenzt andas Lebendige, erreicht es. Aber nicht durch sich allein, nur durch die

”Gnade“ Gottes. Es ist aber dazu offen. Materielles kann inneres Prinzip

des Lebendigen werden.Das Tier, das Lebendige ist das Praludium fur den Menschen und Mensch

ist Praludium fur das Kind Gottes, der teilnimmt am inneren Leben Gottesselbst, was einer selbstverstandlich gar nicht mehr naturlich in dem Sinnsein kann.

8.2.1.2 Abstiegsschema: zeigt vielleicht deutlicher, was wir meinen

Umgekehrt: Wenn und insofern uberhaupt die Grund-Moglichkeit Gottesdarin besteht, dass er sich selbst mitteilt, dann ist in diesem Sinn das Uber-naturliche das erst Gegebene und die Natur in jedem dieser Stockwerke diedazu geschaffene Voraussetzung, so dass im Grunde Gott sich selber mit-teilt und das kann = Inkarnation, und es deshalb Schopfung gibt und gebenkann, und weil es das geben kann, ergeben sich daraus alle diese Stufen alsVoraussetzungen dieser ubernaturlichen Mitteilung.

Von Gott aus gesehen ist das Naturlichste seine Selbstmitteilung undalles andere ist das Unternaturliche. Alles Untermenschliche ist nur fur denMenschen da. Gott konnte eine Welt schaffen, in der es keine Ubernaturgibt, aber keine, in der es keine Unterwelt gibt. Affen, Kaninchen sind insich sinnlos, werden nur sinnhaft als Moglichkeit von Geist.

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8.2 Betrachtung der Ubernaturlichkeit der Gnade von Gottes Seite her

In Gott kann man nicht zwischen potentia absoluta und ordinata unter-scheiden. Vernunftigkeit Gottes ist ebenso wesentliche Eigenschaft, es istnur in unserer Dummheit begrundet, einen solchen Unterschied zwischenpotentia absoluta und ordinata zu machen.

8.2.1.3 Wesensstufen im Abstiegschema: Jede hohere Stufe ist imGrunde die tiefere auch

Bei den untermenschlichen Dingen gehort die Negativitat zu ihrem Wesenund deshalb konnen sie, sie selber bleibend, nicht die hohere Stufe erreichen.Frage: ob etwas physikalisch chemisch dasselbe (es selbst) bleibt, wenn esaufgenommen wird in das Lebendige? Das ist eine andere Frage und dochin diesem selben Sinn, weil der Mensch nicht einfach die hohere Stufe ist,sondern die hohere Stufe ist im Grunde genommen immer das Tiefere auch.Die hohere Stufe ist das Hohere ganz, nicht nur etwas, was einfach drubergelagert ist. Bei richtiger Theologie vom Sein als dem Akt der Wirklich-keit, muss man sagen: alles was es gibt, sind nur Limitationes von Sein.Nicht so wie Birnen und Apfel verschiedene Dinge nebeneinander, sonderndas Hohere ist die Totalitat nach unten. Engel mussen Mensch Sein undmehr als das sein und nicht bloß schlechthin was anderes. Sie haben einenwesentlichen Bezug auf das Materielle selber, der nur anders ist als unserer.

Sonst ware die Metaphysik absolut unterminiert. Thomas hat danebengehauen, wenn fur ihn Engel reine Geister sind - spiritualitas pura wareLeibnizsche Monade. Und in der Transzendenz haben gewisse (die gefalle-nen) Engel Interesse daran, dass auch die Menschen fallen. Wieso konnteich ein Interesse daran haben, dass, wenn ich Gott hasse, im Ameisenstaatauch Revolution entsteht? Ich habe mehr Beziehung zu diesem Ameisen-staat als die Engel zu uns.

8.2.1.4 Seinsstufen von oben nach unten

Alles ist der Raum auf Gott hin, der nur durch Gott allein (seine Gnade)durch das, was man selber ist, ersprungen werden kann. Man konnte auchsagen, das, was wir als Natur betrachten, ist immer nur dasjenige, was wirsind, was nicht Gott selber fur uns sein muss, eben was wir selber sind.

Sie sind das, was sie sind und sein sollen, nur als Kind Gottes, Erbe desHimmels, Mensch der visio beatifica. Das konnen wir aber eigentlich nursein formalissime durch Gott.

Sie sind nur das, was sie sind und sein sollen durch etwas, was sie nichtsind: Gott. So auch das Materielle: Es ist im Grunde das tote Leben-dige, das nur durch das, was es nicht ist, vitale Entelechie, zu dem kommt,was es sein will, wozu es im Rahmen seiner Krafte hintendiert. Das Tier

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8 Ubernaturlichkeit der Heilsgnade

ist so Praludium fur den Menschen, das von sich aus diesen nicht erreichenkann.

Der Mensch ist derjenige, der sein eigenstes exzentrisches ubernatur-liches Wesen erreicht durch etwas, was er nicht selber ist: gratia Deiund wir betrachten so etwas als eine Art Spritze, influxus Dei immissus infacultates superiores (Einfluss Gottes eingestiftet in hohere Fahigkeiten).

Was tut Gott dazu? Wir sind auf der hochsten Stufe der Wirklich-keit: das was dazu kommt, ist nicht mehr Geschaffenes sondernGott selbst. In diesem ist die Welt das Geschopf, das nicht Gott Seiende.Dort wo es sein soll, das ist das von Gott Gewollte.

8.2.1.5 Untere Stufe praeludiert in merkwurdiger Weise immerhohere Stufe

Alles was wir von unten her naturlich nennen, ist das Unterna-turliche. Bei Teilhard de Chardin: wird vielleicht nur falsch: weil er nichtdeutlich genug sieht: der Sprung gelingt immer nur von der unteren Schichtzur hoheren durch etwas, was nicht zur Unteren selber als naturaler gehort,aber so, dass die untere Stufe immer in merkwurdiger Weise diehohere praludiert und so tut, als ob sie die hohere ware.

Affe macht so, als ob er Mensch ware, und der naturliche Mensch machtso, als ob er Kind Gottes ware. Die hochsten moglichen chemischen Verbin-dungen: vielleicht auch gewisse nicht belebte Viren, sehen verflixt so aus,als ob sie schon lebendig waren.

Wir sollten uns daran gewohnen, solche Dinge zu erwarten. Wenn dieWelt die von einem Gott geschaffene ist, dann ist sie nicht ein disparatesNebeneinander. Fur scholastische Metaphysik gilt: alle Wirklichkeiten sindnur abgeschattete Modalitaten der einen und selben Urwirklichkeit, dieeine absolute Fulle ist. Dann sind solche Dinge von vorneherein zu erwarten.Selbstverstandlich sagen wir dann: ich muss methodologisch danach suchen.

8.2.1.6 Wo ist Platz der Engel?

Es ist methodologisch richtig, den Menschen moglichst animalisch zu er-klaren: Mutterliebe ist verdammt ahnlich der Brutpflege einer Affin. Icherblicke im Niedrigen den defizienten Modus des Hoheren, aber Affe istnoch nicht Mensch. Ist Mensch Unternatur der Engel? Engel kann eigent-lich nicht mehr die hohere Natur sein, wenn der Mensch zum Kind Gottesbestimmt ist, wenn Gott Mensch wurde und nicht Engel.

Mir betrachten das Kapitel uber die Ubernaturlichkeit der Gnade alsabgeschlossen. Was fehlt, ist im Kodex nachzulesen.

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9 Freiheit, Mitwirkung desMenschen mit derRechtfertigungsgnade

Funftes Kapitel: de cooperatione hominis cum gratia ad iustificationemprimam

9.1 Struktur des gesamten Traktats:Entwicklung des ubernaturlichen Lebensdes Menschen

Wenn wir im Ganzen die Entwicklung des ubernaturlichen Lebens des Men-schen betrachten: den allgemeinen Heilswillen, die Notwendigkeit, Unge-schuldetheit, Ubernaturlichkeit der Heilsgnade haben sich einige wesentli-che Eigentumlichkeiten der Gnade ergeben. Wir fragen nun, was geschiehtwenn die Gnade, die Objektivation des Heilswillens, auf den Menschen auf-trifft: Er wird gerechtfertigt, wenn sie auftrifft.

9.1.1 Wie geschieht diese Rechtfertigung?

Die Frage: wie geschieht diese Rechtfertigung.Diese Rechtfertigung des Menschen, der im Besitz der Freiheit ist, ge-

schieht in einer Tat des Menschen, in der er sich Gott und seiner Gnadeoffnet. Der Mensch muss sich auf diese Rechtfertigung als Zustand vorberei-ten. Hinsichtlich dieser Vorbereitung dieses Ereignisses der Rechtfertigungkonnen wir zwei Grundfragen stellen:1 Erstens: die Frage nach allgemeiner, formal abstrakter Eigentumlichkeit

dieses Rechtfertigungs- Ereignisses, insofern es nicht die Tat Gottessondern des Menschen ist: nach der Freiheit dieses Rechtferti-gung Ereignisses.

2 Zweitens: Material inhaltlich: wie sehen diese Akte aus, in denen derMensch frei sich dieser Rechtfertigungs-Gnade offnet: so dass er der Ge-

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

rechtfertigte, Geheiligte, Begnadigte, zustandlich zu solchem Leben Be-fahigte wird. Das werden wir hier uberspringenZu erstens: die erste Frage wird in diesem Kapitel behandelt: Uber die

freie Mitwirkung mit der Gnade.Die grundsatzliche Seite: es gibt unter der Heilsgnade notwendig eine

solche Freiheit. Daraus folgt: dass es hinreichende und eine davon ver-schiedene Gnade gibt: die vier Thesen dieses Kapitels sagen das verbind-lich.

Die Fragen nach dem Wie des Ineinanders von Gnade und Freiheit warendanach noch zu klaren soweit das moglich ist. Das haben wir zum Teilbereits in der Geschichte der Gnadenlehre ausfuhrlich behanndelt (zumBanezianismus, Molinismus und synkretistische Systeme).

Es ware dann noch die genauere Inhaltlichkeit dieser Vorbereitung aufdie Rechtfertigung betrachten, insofern wir in der traditionellen Weise uberdieses Genaueres sagen: gegen Reformatoren betonen, dass die Inhaltlich-keit nicht bloß Fiduzialglaube, sondern Akte des Glaubens, der Hoffnung,der Reue dazu gehoren.

9.2 These 13: Frage nach der Freiheit desRechtfertigungsereignisses

Eine erste These sagt:

These 13 Voluntas humana etiam in statu naturae lapsae sub mo-tione gratiae praevenientis libertatem indifferentiae obtinet adconsentiendum vel dissentiendum.

Der Wille des Menschen im Zustand der gefallenen Natur behaltauch unter dem Anruf der zuvorkommenden Gnade die Wahl-freiheit zur Zustimmung oder Ablehnung

Das heißt: der Mensch ist nicht bloß irgendwie frei. Solche These vongrundsatzlich dem Menschen zukommender Wahlfreiheit: das ware auchschon theologische These, die wir hier mitbehandeln, ein Datum einer me-taphysischen Anthropologie.

Hier sagt die These mehr: der Mensch ist vor Gott frei. Noch mehr:der Mensch ist unter dem Anruf Gottes frei. Der Mensch ich unter dem denMenschen retten wollenen Willen Gottes frei, ist wo Gott das durchfuhrtfrei. Gott ist nicht bloß der Schiedsrichter, der dem Menschen Wahlfreiheitgegeben hat, ein Gesetz gegeben hat, Gebrauchs- Anweisung fur den Men-schen, beobachtet nicht bloß als Schiedsrichter, Zensuren verteilend, wie erauskommt mit der Freiheit. Solche deistische Vorstellung wurde dem Wis-sen des Christen von dem begnadigenden Gott nicht entsprechen. Fur den

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9.2 These 13: Frage nach der Freiheit des Rechtfertigungsereignisses

Christen ist Gott der Handelnde innerhalb der Welt, nicht bloß die FreiheitGebende, sondern diese Begnadende. Er hat sich fur den Menschen absolutentschieden: ist im Logos Mensch geworden.

Das hat nur Sinn in definitivem Bejahen der Menschheit uber-haupt. Logos ist sinnvoll in einer Menschen-Welt. Er ist nicht Menschgeworden als Leibniz’sche Monade, sondern er wird das andere insofern erin eine Menschheit eintritt. Wenn Gott Mensch wird, ohne den Menschenzu fragen, trotz des Neins des Menschen zu Gott in seiner Geschichte vonder Erbsunde angefangen, dann lasst Gott diesen Menschen nichteinfach entlaufen. Er hat einen Willen, der diesen Menschen umfasst.Innerhalb dieses Heilswillens allein kann sich der Mensch eigentlich ent-scheiden.

Insofern gibt es so was, wie eine Gnade, siegreiche Gnade, in der Gottim voraus zur aktualisierten Freiheit des Menschen schon in wahrer Weisevon sich aus entscheidet. Das muss noch genauer besprochen werden.

9.2.1 Erstaunlichkeit der Tatsache: Der Mensch ist Gottgegenuber auch der Gnade gegenuber frei

Trotzdem hinsichtlich dieser Gnade, Vorentscheidung Gottes fur den Men-schen, dieser Souveranitat des Willens Gottes gegenuber dem Menschen, sokonnen wir anfangen: immerhin muss man sagen diesem lebendigen Gotteiner aktiven Tat dem Menschen gegenuber ist der Mensch frei.

Das ist erstaunlich und viel mehr als Wahlfreiheit. Das kann (sich auf)burgerlichen Bereich betreffen. Wenn wir das sagen: wie kann das Ge-schopf vor Gott und ihm gegenuber frei sein? Wenn in einer ein-lienigen Weise gesagt ist es philosophisch falsch. Das Verhaltnis zu Gottist so: allem gegenuber kann der Mensch frei sein nur nicht Gottgegenuber, weil er ganzlich von Gott her geschaffen ist aber Gott gegen-uber kann er eigentlich nur das Werkzeug, Puppe Gottes sein. Er hat jakeinen Stand Gott gegenuber, den er unabhangig von ihm hatte. Mitallem was er kann ist er radikal von Gott.

Von da aus denkbar: vor Gott ware der Mensch nicht frei. Es gehorezum Verhaltnis von ihm, dass er sich als der von Gott Getriebene fuhle.Dass er alles, was er tut und ist, in dem Sinn auf Gott zuruckfuhre, dasser selber Gott gegenuber keine Verantwortung habe.

Der Satz: er ist der vor Gott Freie, ist Partner Gottes, unser ur-sprunglicher Ausgangspunkt, der Bundesfahige, der in einer dialogischenGeschichte sein Geschick selber in der Hand hat: ist ungeheuerliche Aus-sage theologischer Art, die nur dem selbstverstandlich vorkommen kann,der nicht begreift, wer Gott ist, der Gott eine einzelne Teilursache in der

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Welt sein lasst, der die Welt geschaffen hat, aber eine Welt hat, die ihmauf eigenen Beinen gegenubersteht, so dass er der Verwunderte sein konnte,der nichts mehr machen kann. Wie der Zauber-Lehrling.

Wenn das nicht wahr ist, wenn er der Souverane ist, alles ihm gegenuberaus der gottlichen Freiheit heraus steigt und nur so weit ist, als es ausdieser heraus kommt, dass einem solchen Gott gegenuber der Mensch ihmWiderstand leisten kann, seine Verantwortung abwalzen kann, dass Gottals Richter auftreten kann und nicht verantwortlich ist, dass diese Welt sofinster ist, sondern der Mensch sich verantworten muss, und diese Verant-wortung nicht auf Gott abwalzen kann: das ist erstaunlich, ein Mysterium,wenn auch im anderen Sinn wie die ubernaturlichen.

9.2.2 Freiheit bleibt bestehen auch gegenuber GottesSelbsterschließung an den Menschen

Dass diese Freiheit auch dann noch besteht, wo Gott sein eigenes Leben andie Kreatur verschenken will, wo Gott sich selbst mit seiner intimsten Lie-be, Selbsterschließung dem Menschen sich weggibt, dass er dort wo er sichin der personlichsten Weise engagiert und nicht als der Schopfer, der etwasanderes als sich macht, sondern dort wo Gott selber sich kompromittiert,dass er dort ein solches Wagnis einer Selbstweggabe Gottes an das von ihmFremde nicht dadurch sichert, dass dieser Kreatur, die diese Selbstmittei-lung Gottes empfangt, nichts mehr anderes ubrigbleibt: Erstaunlichstes wasman vom Menschen aussagen kann: er kann die personalste Liebe Gottesnoch mal verschmahen.

9.2.3 Machtigkeit Gottes kommt dadurch zum Zuge,dass er Kreatur mit echter Selbstmacht schafft

Naturlich auch von umgekehrtem Standpunkt aus: je mehr der MenschGott begreift, dass er nicht dadurch zum Zuge kommt, dass die Kreaturabnimmt, sondern die Gottlichkeit Gottes gerade sich dadurch manifestiert,dass er eine gottliche Kreaturlichkeit, Freiheit schaffen kann, die Gott ge-genuber treten kann, dass Gott so Schopfer ist, dass er der ist, der etwasschaffen kann, was wirkliche eigene, wenn auch von Gott abhangig blei-bende echte Selbstmacht bekommt, die man nicht verrechnen kann mit derMacht Gottes, so dass die Macht Gottes in der Machtigkeit des Menschensich zeigt. Wenn man bedenkt: je personaler ein Akt einer Person wird, um-so mehr dieser wirklich gewurdigt werden kann, wenn ihm mit eben dieserpersonalen Freiheit begegnet wird, dass Liebe nur an personal freie Liebeverschenkt werden kann, dass der intimste Akt Gottes auch die intimste

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9.3 Grundlegendes zur Freiheit des Menschen

Reaktion erfordert: die Freiheit von Seiten der Kreatur - dieses ungeheuer-liche Paradoxe: ist auch wieder das Selbstverstandlichste, aber solches dasder Mensch immer abzuschwachen in Versuchung ist.

9.2.3.1 Unbefangenheit der Lehre der Kirche: lasst verschiedensteWahrheiten nebeneinander stehen

Wir werden sehen, dass die katholische Lehre in dieser Hinsicht unbefangenund mit metaphysischem Mut die verschiedensten Wahrheiten nebenein-ander stehen lasst, die das naturliche Empfinden immer auf einen Nennerbringen will. Hier sehen wir kreaturlichen Pluralismus der Kirche: Satzenebeneinander stehen zu lassen, deren Vereinbarkeit man nicht sieht. Die-ses Stehen-Lassen der Wahrheiten, dieses sich Nicht-Anmaßen, ein Systemdaraus zu machen, wo aus hochstem Satze, der noch immer durchschaubarware, alles folgt, diesen Mut des Pluralismus sehen sie in dieser These :Der Mensch ist frei Gott gegenuber, seiner Gnade gegenuber, dort wo er inseiner Geschichte in seinem Stammvater die begnadete Freiheit schon ver-scherzt hatte, der in diesem Sinne unter den Einfluss des Teufels geratenist, selbst da ist er frei, ist er Gott gegenuber und seiner Gnade gegenuberfrei.

9.2.3.2 Gott ist aber doch nicht der bloß Zuschauende

Aber (spater) dennoch bleibt es wahr, dass Gott deswegen dieser Freiheitdoch nicht als der Zuschauende, als der Machtlose gegenubersteht, sonderndass gerade die hochste Wirklichkeit der Kreatur, das dialogische, partne-rische Gott-gegenuber-entscheiden-Konnen noch mal umfangen bleibt vonder Souveranitat der Freiheit Gottes und seiner Gnade.

Wie innerhalb des Raumes Gottes es solche echte Freiheit geben konne,wie und warum diese Freiheit nicht aus diesem Raum ausbrechen muss,um wirkliche Freiheit zu sein, ist etwas was sich trotz aller Theorien derKreatur entzieht und sich entziehen muss (spater noch mal!)

9.3 Grundlegendes zur Freiheit des Menschen

9.3.1 Bewegung durch die Gnade: Noch nichtunterschieden welche

Wir sprechen hier von der Freiheit des Menschen unter der Bewe-gung durch die Gnade. Wir sprechen von der Heilsgnade, von jenerdie dem Menschen zu ubernaturlichen Heilsakten gegeben wird: in diesem

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Sinn von aktueller Gnade. Aber nur in diesem Sinn. Wir haben sie ja nochnicht in aktuelle und habituelle unterschieden, weil zustandliche Rechtferti-gung usw. durchaus als habitus operativus aufgefasst werden kann, weil esZustandlichkeiten gibt, die wesenhaft Moglichkeit zu handeln bedeuten, se-hen sie, dass wir uns nicht fragen mussen: wie verhalt sich diese Heilsgnadehinsichtlich der Begriffe von aktueller und habitueller Gnade.

Alle die fur Heilshandeln gegeben sind, konnen hier in dieser These nochin Frage kommen, ob das eine Handlung oder ein habitus: fur alle und indiesem Sinne von Heilsgnade: absoluter, ubernaturlicher, entitativer Art.

9.3.2 Notwendigkeit von Antrieben

Dieser Satz: es handelt sich um Antriebe von Seiten der Gnade: das istnotwendig bei geistig personalem Geschehen wie die Rechtfertigung, dassdiese als actus indeliberati konkret im Menschen auftreten.

9.3.2.1 Geistfeindliche Bewusstseinspsychologie kann geistig freieAkte nicht erfassen

Wenn man sich unterschwellig eine geistfeindliche Bewusstseins Psy-chologie vorstellt: der Mensch sei unter Antrieben hinsichtlich der geisti-gen Entscheidung, die ihm nicht bewusst sind: das mag es auch geben: dortwo es sich um Entscheidung zum Glauben, Liebe, Reue handelt, handelt essich um geistige freie Akte. Diese konnen aber als geistig bewusste und freienur solche sein, wenn sie unter geistig bewusst ergriffenen Motiven und An-trieben stehen, diesen so bewussten - actus indeliberati genannten - InitialZundungen, die dem Menschen vorgegeben sind, damit er sich entscheidenkann.

9.3.2.2 Geben der Motive geht Freiheit des Menschen voraus

Das Geben der Motive liegt der Freiheit des Menschen voraus. Nachherkann ich mir in Freiheit selbst wieder Motive geben, wenn ich frei eine Be-trachtung mache. Ursprunglich von rechts und links, durch viele Kanale:Fohn usw. kommt am Anfang und von allen Seiten dazu immer wieder be-wusste Motivationen die der Freiheit vorausliegen und denen gegenuber ichmich frei entscheiden kann und soll: conscii et indeliberati sind notwendigdamit ich mich frei entscheiden kann

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9.3 Grundlegendes zur Freiheit des Menschen

9.3.2.3 Gnade kann nur in solchen unwillkurlichen, spontanenAkten(actus indeliberati) handeln: mussen geistig erfasstwerden

Wenn die Gnade handeln soll, dann nur in solchen actus indeliberati.Denn andere kann man sich nicht denken. Ich kann angetrieben werden,

wenn ich es nicht weiß, durch etwas was nicht geistiger Art ist. Geistignur, wenn ich in - wenn auch spontanen - Akten diese Motive erfasse.Das kann wieder unbewusste Voraussetzungen haben. Aber diese musseneinmal in einem spontanen Akt bewusst werden. Sonst haben wir nur Trieb-Konstellation. Aber solche konnen als entscheidende Motivation fur geistigfreie Akte nicht genugen.

Wenn Konstellationen in meinem Hirn da sind, die machen, dass mir Aeinfallt und B nicht, dann hatte diese Konstellation auf meine Motivationauch eingewirkt. Wenn aber A da ist: wenn ich mich frage: soll ich Completbeten oder nicht: wenn mir das nicht einfallt, dann kann ich mich nichtentscheiden, wenn diese Konstellation in meinen armen Kopf geschehenist: diese Assoziationen konnen bewirken, dass mir einfallt: du hast Breviernicht fertig gebetet. Dann kann ich sagen: jetzt muss ich noch Brevier betenoder ich lege mich doch hin.

9.3.2.4 Erst wo Motivation ins Bewusstsein tritt, kann von Freiheitdie Rede sein

Erst da, wo diese Motivation ins Bewusstsein tritt: kann von Freiheit dieRede sein: gratia praeveniens, importat saltem tales actus indeliberatos.Wie Gott, seine Gnade, macht, dass diese Motivation da ist, ist wieder an-dere Frage. Ob er das so schaukelt, dass er den Fohn und Kaffee so gemachthat, dass diese in meinem Kopf auftauchen, oder so dass er die assoziativenZustande in meinem Kopf von einem Engel schaukeln lasst oder ob er dasselber macht. Das spielt fur die Frage der Gnade als Assoziation per actusexcitatos in homine indeliberatos keine Rolle.

9.3.3 Motivationskraft der Gnade braucht nicht vonubernaturlicher Erhohung kommen

Noch etwas sehr Wichtiges ist zu kapieren, was auch in Schulbuchern nichtdeutlich ist:

Wir sprechen hier von der entitativ ubernaturlichen Heilsgnade, fassendiese auf als sollicitatio, vorgegebenen Antrieb, der von der Freiheit desMenschen aufgegriffen wurde, abgelehnt werden soll und sich in spontanenAkten des Menschen kund tut und darin gegeben wird:

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Nun bedeutet das nicht (besser nicht notwendig) nicht nur dass die Gna-de insofern sie ubernaturliche Erhohung des Menschen bedeutet unter die-ser Rucksicht auch Motivationskraft habe oder bloß dadurch haben konne.

Analysieren wir einen simplen Fall: mir fallt heute Abend ein: du hastdie Complet noch nicht gebetet. Also muss sie noch gebetet werden: was ichzunachst habe ist dieser Akt, spontaner Akt, vorfreier Art: die Complet isteine zu betende Angelegenheit. Aufgrund dieser Akte entscheide ich michzu einer Sunde oder zu actus salutaris und ich bete.

9.3.3.1 Ein konkretes Beispiel

Nach dem was spater kommt, ist dieser actus indeliberatus: nicht gebe-tete zu betende Complet 1. Actus indeliberatus: klar. 2. Dieser Akt istein ubernaturlich erhohter Akt, auch der actus indeliberatus ist durch dieGnade entitativ erhoht. Es ist eine motio Spiritus Sancti, illuminatio Spi-ritus Sancti. Er partizipiert die ubernaturliche seinshafte Vergottlichung,die dem Menschen insofern er im Bereich des Heils steht, zukommt: est ac-tus indeliberatus sollitans, est actus entitative supernaturalis. Aber nichtnur das, sondern auch notwendigerweise actus spiritualis naturalis, geis-tiger Akt - hat naturliche Voraussetzungen: wenn es keinen Buchdruckergabe, der Bischof mich nicht geweiht hatte usw., dann konnte mir dieserAkt nicht einfallen. Umstande: Natur als Geist und Umstande des Wetters,dass mir das einfallt usw., dass ich nicht so mude bin: alles das wirkt mit,dass dieser Akt zustande kommt.

Gott wirkt - dass dieser Akt mir einfallt - nicht ein Wunder. Dadurchdass er ubernaturlich erhoht ist, wirkt Gott nicht Wunder, dass dieser alsnaturlicher da sei: gar nicht. Denn wenn ich Schlaftrunk hinein bekommenhabe in einen Trank, dann fallt mir nicht ein, dass ich Brevier beten muss.Dann wirkt Gott kein Wunder im vom Heiligen Geist (bewegten). Daswird halt sang- und klanglos vergessen, und dem lieben Gott ist das nichtso tragisch.

Constituit entitatem gratiae praeventionis: dieser Akt hatte viele Um-stande usw. die ihn verursachen, konstituieren usw.: Spannender Punkt: derGrund warum dieser Akt nun psychologisch motivierend ist, braucht nichtnotwendigerweise gerade in seiner ubernaturlichen Erhohtheit bestehen.

Es gibt viele Theologen die sagen: diese ubernaturliche elevatio istschlechthin Bewusstseins jenseitig. Wenn das richtig ware (bestreite ich)dann ware diese ubernaturliche Elevatio als solche schlechterdings jenseitsvon der Moglichkeit, Motivation zu bedeuten.

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9.3 Grundlegendes zur Freiheit des Menschen

9.3.3.2 Ein anderes Beispiel

Wenn ein Pfarrer bei der Predigt den Glaubigen sehr warm zuredet, siesollen heute viel in den Klingelbeutel werfen, und die Leute machen das,und hatten das nicht getan, wenn er schlecht gepredigt hatte, dann ist die-ser Akt der Leute ein Heilswerk (ubernaturliches Motiv), dieses Heilswerkist sollicitiert durch die Gnade, durch die Predigt und die frommen Gefuh-le, die dadurch entstanden sind: sicherlich ubernaturlich erhohte Gnade:dass sie Motivation Impuls wird, hangt dabei nicht bloß davon ab, dass sieubernaturlich erhoht wird: wenn er nur langweilig fad gepredigt hatte, odergar frech: dass die Leute sollicitiert gewesen waren erst recht nichts, son-dern Hosenknopf hinein zu werfen, dann waren die Impulse, doch was zugeben, die sie doch nicht haben, waren auch ubernaturlich erhoht gewesenund hatten doch keine Wirksamkeit ausgeubt, da wir von ubernaturlicherHeilsgnade reden, ubernaturlicher Erhohtheit reden, von actus praeveni-entes, aber dass deshalb der psychologische Grund, weshalb diese Gnadeubernaturlich wird, die den Akt anstoßt, nicht in der ubernaturlichen Er-hohung sein muss, sondern in anderen, die es auch gabe bei actus merehonestus, in reiner Natur Ordnung.

Wichtig: weil wir spater gewisse Thesen aus dem Molinismus nicht ver-stehen konnten.

27.2.1957 Vorlesung 45 (2.Stunde:)

A Wir haben zur Einleitung in unsere neue These den Begriff der uberna-turlichen Heilsgnade schon uberlegt um den es hier geht:

a) die einen freien Akt des Menschen anregen muss als solche Voraus-setzung,

i. bringt mit sich einen spontanen actus indeliberatus etwas, wasdie geistige religioseA. Motivation des Heilsaktes bringt,B. vorstellt undC. zur Entscheidung dafur anregt.

ii. Solche Gnade ist ubernaturlich indem dieser actus indelibera-tus entitativ erhoht ist.

iii. Bedeutet aber Heilsgnade zum Akt als Antrieb dazuA. nicht insofern dieser Akt ubernaturlich erhoht ist,B. sondern die Antriebskraft kann von anderen Dingen ab-

hangen.b) Das Ganze aber, was zu solchem anregt, das Ganze zusammen mit

allen Momenten zusammen nennen wir gratia praeveniens.B Wir sagen: der Mensch ist dieser Gnade gegenuber frei so dass er zu-

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

stimmen kann und, sie ablehnend, widersprechen kann. Das nennen wirWahlfreiheit. Es ist nicht moglich das ganze Problem der Wahlfreiheitdurchzugehen. Wir wollen das voraussetzen aus der Philosophie.

C Unterschieden von necessitas a coactione:a) Zwang: der

i. physisch durch Kausalitat erzwingt und unterschieden von in-nerer Notwendigkeit:

ii. psychologischer necessitas interna durch psychische Vorausset-zungen leib-seelischer Art.

b) Es gibt grundsatzlich und faktisch dagegen psychologische Wahl-freiheit,

i. so dass der Mensch unter Voraussetzung alles dessen, was not-wendig ist, immer noch den Akt setzen kann oder nicht,

ii. so oder anders handeln kann: libertas exercitationis oder spe-zificationis.

c) Unter Voraussetzung der Gegebenheit dieser Gnade hinrei-chend oder wirksam werdend: ist der Mensch frei: er konnte bloßhinreichende annehmen, wenn er wollte, er konnte wenn er wollteauch die wirksame ablehnen.

a) Ausgeschlossen ist die außere coactio, Zwang durch andere Ursa-chen

b) wie auch die Determiniertheit des Subjekts zu seinem Handelnselbst auch gegenuber der Gnade.

D Wir sprechen nicht vom paradiesischen Menschen. Nicht als obes dafur nicht galte, sondern weil hinsichtlich erbsundlichem die Sacheschwieriger ist (auch Haresien)

a) also vom gefallenen Menschen vor der erworbenen Recht-fertigung,

b) wie auch vom gerechtfertigten Menschen, der weitereRechtfertigungakte setzen soll. Auch der braucht psychologi-sche Anregung, die auch wieder ubernaturlich ist, und auch er istdieser Gnade gegenuber frei.

c) Loquimur de lapso homine, qui propriam (iam probatam apud gra-tiam sanantem) et vehementiorem gratiam sanantem habere debetut hanc concupiscentiam vinceat - et haec potest tamen, quomodoiam dicimus, potest esse elementum in gratia salutari.

• Beispiel– Wenn jemand ziemlich mude ist und dadurch noch nicht dis-

pensiert ist vom Brevier Gebet:– bedeutet Impuls der Konkupiszenz schlafen zu gehen. Dagegen

braucht man gratia sanans.– Wenn diese verkoppelt ist mit gratia elevans, oder wenn diese

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9.3 Grundlegendes zur Freiheit des Menschen

gratia sanans als psychologischer Antrieb wirksamer Art furBrevier beten trotz Mudigkeit ubernaturlich erhobener Aktist,

– dann ist diese gratia sanans das, was wir hier als gratia super-naturalis elevans bezeichnen.

• De homine lapso sub impulsu concupiscentiae et sub impulsu gra-tiae elevantis, die im konkreten Begriff auch das Moment der gratiasanans einschließen kann:

– davon sagen wir: er ist frei nicht nur von dem Zwang,– sondern auch im Sinn von libertas exercitii und– in vielen Fallen auch specificationis tum quoad gratiam suffi-

cientem, tum quoad efficacem.∗ Wenn er ihn setzt, hatte er es auch nicht gekonnt.∗ Und wenn er es nicht tut, hatte er es auch tun konnen.

Interim: setzen wir diesen Unterschied voraus - irgendwie schon in der The-se uber allgemeinen Heilswillen1 bewiesen: operosa, hat er dann bewiesen:gratiam salutarem esse necessariam pro omni actu salutari. Dann auch:dass viele sundigen und solche nicht setzen. Dann folgt, dass er Gnadewirklich gegeben hat, und diese doch nicht angenommen wurde. Gott gabdiesen ein Mittel, dass sie wirklich in der Moglichkeit waren, Akte zu setze,die nicht gesetzt sind: das ware sufficiens, also konnen wir es mit Rechtvoraussetzen.

Auch liberum quoad gratiam efficacem.

9.3.4 Adversarii:

Tempore Reformationis: alle: Luther, Kalvin (Moderne denken anders) Ba-jus und Jansenius. Luther: und Reformatoren: potentiam, vim, momentumgratiae et ut unice liberantes hominem detrimentum pati, wenn der Menschfrei ist.

Naturlich hat der Mensch keine Freiheit, die die philosophische einesGleichgewichts ware. Er ist der von verschiedenen Machten Angerufene, erbraucht solchen Anruf auch von der Welt, nicht bloß von Gott.

Auch nicht so dass Gott (wie wir spater sehen werden) gleichsam diesensouveranen Spruch der Entscheidung der Freiheit abwartet. Er gibt uns,dass wir das Heilskraftige tun. Das ist wahr und das sind die wahren Mo-mente der lutherischen Theorie von der Knechtschaft des freien Willens,wenn er nicht durch Gnade erlost ist aber diese begnadigende SouveranitatGottes: darf nicht dazu fuhren, diese Freiheit zu leugnen und Gott und denMenschen wie das Lasttier zu betrachten, das dorthin geht, wo der, der

1Existit in Deo voluntas obligans et operosa quoad omnium hominum salutem supernaturalem

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

draufsitzt, hin will: Himmel oder Holle.Der Mensch ist nicht wie lapis oder truncus, als ob er das rein passiv

Getriebene von Gott und dem Teufel ist, der Gnadenverlassenheit ware.Souverane Aktivitat Gottes, Wahl Gottes, Auswahl Gottes, die nicht vomMenschen her bestimmt wird, und Passivitat des Menschen sind nicht kor-relative Begriffe.

Die gottliche Aktivitat realisiert sich in der von Gott gegebenen Akti-vitat: namlich der Freiheit des Menschen. Und weil Luther gemeint hat:wenn Gott Allwirksamer ist, musse er allein wirksamer sein, musste er aufseine haretische Sentenz von der Unfreiheit des Willens unter dem Einflussder Gnade kommen. Ahnlich bei Kalvin und Bajus und Jansenius.

Diese lehren: Nach der Erbsunde unter der Konkupiszenz: Folgt derMensch dem großeren Antrieb: wenn Antrieb von Gott, dann ist das Gnade.Wenn Antrieb von der Welt, dann steht er notwendig unter der Determina-tion seiner Begierlichkeit. Er sundigt voluntarie, weil er es gerne tut, wennauch nicht libere. Weil er also in diesem Sinne nicht von außen gezwungenist, ist es immer noch seine Schuld, und der Strafe wurdig.

Das ist immer nur erklarbar von ihrer Konzeption der Erbsundeher: massa damnata: die notwendig sundigt, aber das von der Erbsundeher tut, die damals freie Entscheidung war, und so sundig ist und neueSunde bedeutet.

9.3.5 Qualificatio

Qualifikation: de fide definita: Ex Tridentino. Ex damnatione Jansenii In-nozenz X.

9.3.6 Doctrina ecclesiae

Doctrina ecclesiae: contra pericula rigidi Augustinismi: Arausicanum. DerMensch wenn er fideliter laborare vult, kann er es und ist nicht zum Bo-sen bestimmt. Tridentinum Kapitel 5 und in can.: explizite Erklarung derDoktrina ecclesiae: er kann, liberum arbitrium ist nicht extinct.

Pius V.: gegen Bajus: voluntarium: wollte nicht direkt: negare doctrinamTridentinicam, er war guter Katholik. Er mußte Begriff konstruieren, derdivo Augustino praelucente, indem nichts Freies drin war. Wenn mir Wasserim Munde zusammen lauft bei der guten Speise: voluntarium: spontaneaber nicht frei, geht der Freiheitsentscheidung voraus. Fur ihn ist beidesdasselbe.

Innozenz X. 2-4 libertas a necessitate. Menschliche Freiheit kann derGnade widerstehen und gehorchen. Quesnel ahnliches von....

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9.3 Grundlegendes zur Freiheit des Menschen

Vatikanum: repetit. Doctrina de fide. Vom Glauben unter der Gnade,der der Mensch widerstehen kann. Aufpassen: Resistentia ist nicht nur dis-sensu. Im Trienter Konzil: dissentire cui potest. Das konnte man ja, wennman pragnant sein will, noch als mildere metaphysisch offene Formulierungauffassen. Vatikanum wahlt resistere: dass freier Akt im Menschen gegebensein kann, der sich gegen diese Gnade wendet, obwohl er die Gnade hat.

Uber die Lehre der Kirche kann hier kein Zweifel sein: definita.

9.3.7 Sacra Sciptura

S.Scr. Nicht viel verweilen in dieser Sache. Heilige Schrift ist praktisch undparenetisch, existentiell gesprochen und nichts theoretisch essentialiter.

Nicht ratiotiniert: Freiheit mehr vorausgesetzt als dass lange Erorterun-gen geschehen. Verantwortlich; kann wahlen zwischen Gut und Bose.

AT: Buch der Weisheit: dass Gott den Menschen in die Verfugung seineseigenen Willens gegeben hat. Dass Gott dem Menschen Heil und Unheilzur Wahl gestellt hat. Er muß wahlen, kann machen wie er will.

Begriff des Widerstandes im NT vorhanden: Verschließen des Herzensbei dem die Gnade brechen kann und wo es vom Menschen abhangt ob sieeingelassen wird.

Gott im AT und NT schildert sich als den, der den Menschen auffordert,ihm die Moglichkeit gibt, zuruckkommt, dass der alles getan hat was ertun muss um Fruchte zu bekommen, guten Samen gesat hat, Feigenbaumgepflegt hat und Zeit gelassen hat ihm Fruchte zu bringen: dass eben derMensch aus der Freiheit sich dieser Gnade versagt.

Wenn einer sagt: ja gut: Schrift sagt: ist verantwortlich, aber das hat mitFreiheit nichts zu tun. Doch: im Begriff der Strafe, Verantwortlichkeit, no-mos, Gerichts Strafe, Belobens, Verantwortlichkeit, Anklage steckt geradedas drin, was wir meinen, wenn wir von Freiheit reden. Diese Begriffe sindnicht voneinander trennbar, in Worten auseinander nehmbar. Es gibt de-terministische Theorien, die Strafe usw. aufrecht erhalten. Ist aber falsch.Mensch, der Verantwortlichkeit existentiell realisiert, weiß dass er nicht aufandere abwalzen kann, dass Gott gerechter Weise ihn bestrafen kann. Dasverliert Sinn, wenn deterministisch. Muss vorausgesetzt werden.

Aber die Explication des Impliziten ist in der Kirche gemacht worden:insofern durchaus ein Schriftbeweis. Naheres im Kodex selber.

9.3.8 Kirchenvater

Kirchenvater: sehr kurz:

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Griechen: Freiheit des Menschen von vorneherein gegenuber allem Gno-stizismus und Manichaismus und andere derartige Lehren: Selbstverstand-lichkeit die als zu Christentum gehorig verteidigt wird.

Bei Augustinus schwieriger: aber nur zwei Dinge: fur Augustinus istes selbstverstandlich dass der Mensch frei ist und frei sein muss. Erwehrte sich deshalb gegen Determinismus der Manichaer. Hat dieses niemehr zuruckgenommen. Eine Seite: er erkennt an, dass die Freiheit desMenschen unter der Gnade gewahrt werden musse.

Anderseits: zu zugeben dass in der Erklarung, was diese Freiheit bedeu-tet, und warum diese Gnade Gottes siegreich werde und dass nicht dieunbeachtet werden Lassung der hinreichenden Gnade Augustinus den Be-griff der wirklichen Wahlfreiheit in Gefahr bringt oder trubt.

Er spricht in seiner Polemik, als ob das Freie und das voluntarium, dasgern und spontan Getane schon mehr oder weniger dasselbe sei. Undweil er von zureichender Gnade nicht spricht, (in theoretischen Schriftennicht): und wo er von wirksamer Gnade des adiutorium quo spricht, sospricht, als ob man dem nicht widerstehen konne, wenn man es auch gernetut.

Er sagt nie: zwingt uns, so als ob wir gegen unseren Willen an denHaaren weggeschleift wurden: insofern von den Reformatoren das Beliebig-geritten-werden-Konne wie ein Maultier - davon ist er weit entfernt.

Aber Selige im Himmel sind auch frei: etwas richtiges erklart aberden Begriff der Wahlfreiheit hat er doch nicht getroffen. Andere Seite derFreiheit herausgearbeitet: dass die Gnade auch das Gern- Tun verleiht.Aber das Gern-Tun zu dem Tun-Konnen und das Gern-Tun des von Gottgeforderten, zu dem uns die Gnade befreit ist nicht identisch mit der psy-chologischen Wahlfreiheit.

So kann man sagen: Augustinus ist nicht der, der diese Seite herausarbei-tet. Das ist erst in der nachtridentinischen Theologie geschehen gegenuberden Reformatoren.

Sonst nichts mehr zu dieser These.

27.2 und 1.3.1957 These 14

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9.4 These 14: In der gegenwartigen Heilsordnung gibt es Gnade die nicht wirksam wird (hinreichende Gnade)

9.4 These 14: In der gegenwartigenHeilsordnung gibt es Gnade die nichtwirksam wird (hinreichende Gnade)

These 14. In praesenti statu naturae humanae lapsae et reparataedatur gratia vere et pure sufficiens.

Im gegenwartigen Zustand der gefallenen und erlosten menschli-chen Natur ist Gnade Gottes und wirksam werdende Gnade Got-tes nicht dasselbe: es gibt hinreichende Gnade, die nicht wirksamwird.

Status naturae lapsae et reparatae: klar:

9.4.1 Erstaunliches an dieser These: Gott tut etwas undder Mensch kann das vereiteln

In der konkreten Heils Ordnung, in der wir sind: die von Adam kommendeErbsunde unter Antrieb der Konkupiszenz und die wir unter dem Antriebdes Heilswillens Gottes stehen, gibt es in dieser Ordnung gratia vere puresufficiens. Gnade Gottes und wirksam werdende Gnade Gottes sind nichtdasselbe.

Hier das erstaunliche: Gott tut etwas, was in einem pragnanten Sinnsein Werk ist, mehr als sonst, etwas was den Zweck hat, freien Heilsakthervorzurufen, und diesen Zweck Gottes vereitelt der Mensch. Das ist nichtselbstverstandlich.

Fur Gott war es so: im Paradies das adiutorium sine quo non: eine Hilfemit der er doch frei fallen kann, aber mit der er, oder ohne die er nichtbestehen kann. Aber nachher nur noch eine solche Hilfe: wenn er sie hatgeschieht es auch. Gratiae internae widersteht man nie, sagt Jansenius. Daslehnt die Kirche ab. Sie sieht in der Welt dort wo Sunde ist immer auchden am Werk seienden Gott, der das Gegenteil von Sunde ist. Dadurchbekommt das sundhafte an der Welt verscharften Charakter als auch einehoffnungsvollere Seite.

Wenn wie bei den Jansenisten und zu gewissem Grad bei Augustinuses so ist dass die Sunde da ist, weil Gott dem Menschen die Gnade nichtgibt, kann man sagen: da wollte Gott gar nicht, dass die Sunde hier nichtsei. Er lasst sie zu als Strafe und Auswirkung der Erbsunde: Augustinusglaubt: insofern durchaus gerecht und dem heiligen Willen Gottes durchauszuschreibbar.

Aber wir wissen: aus positiven Glaubens Quellen: dass Gott das Heilaller will, auch nach der Erbsunde fur jeden, obwohl Erbsunder, wirkliche

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Heilsmoglichkeit schafft, die wir Gnade nennen, und insofern und dort woeine solche Gnadenmoglichkeit durch Sunde nicht ausgenutzt wird, habenwir den Begriff der gratia sufficiens, und zwar mere et vere sufficiens. Mere:weil Gott tatsachlich echt ausreichende Moglichkeit fur Heilsakt gegebenhat, vere: weil der Heilsakt tatsachlich nicht folgt.

9.4.1.1 Hinreichende Gnade ist Verscharfung und Erlosung derSunde

Insofern ist jede Sunde wirklich Widerstand gegen Gnade Gottes,nicht bloß Folge verweigerter Gnade, jede Sunde eine Sunde, hinter dererst recht noch mal, weil Gott gultig ist, noch mal das neue Angebot einersolchen Gnade ist und Heilsmoglichkeit aufmarschiert, so dass der Menschauf dieser Welt verpflichtet ist zu glauben dass Gott ihm eine Moglichkeittrotz Sunde nicht verweigert. Insofern ist der Begriff der hinreichendenGnade Verscharfung und auch Erlosung der Sunde.

Verscharfung: Affront, wirkliche Ablehnung einer gegebenen Gnade,eine erloste (nicht erlosbare) Sunde, weil Gott in seinem Gnade Angebotin dieser Zeit sich durch die Sunde der Menschen nicht abbringen lasst,sondern hinreichende Gnade moglichst immer aufrecht erhalt.

Vere sufficiens: immer: datum ad actum liberum ponendum: diese istphysice necessaria: von dieser Gnade gilt auch all das, was wir vorhin gesagthaben von der Gnade unter der wir frei sind: verschiedene Aspekte: reinernaturlicher Akt, ubernaturliche Erhohung, ganz bestimmt abgepasste psy-chologische Wirksamkeit - oder weniger große: damit der Begriff der hinrei-chenden Gnade gewahrt wird: nicht nur absolut sondern relativ zu diesemkonkreten Menschen hinreichend ist: muss naturlich die notigen psycho-logischen Moglichkeiten schaffen, dass der Mensch wirklich den Heilsaktsetzen konnte, wenn er wollte, so dass zum Tun nur noch die Zustimmungder Freiheit fehlt.

Nicht gesagt dass die psychologische Situation nicht großer d.h.motivierender sein konnte, aber doch nicht so, dass man mit ihr,wiesie gerade ist, den Akt nicht setzen konnte. Dann ware sie nicht mehr veresufficiens. Mere sufficiens: immer als vere sufficiens. Dass es proxime undremote sufficiens gibt: siehe bei erster These schon.

1.3.1957 Vorlesung 46

Wir haben die 14. These angefangen.Im gegenwartigen Zustand - naturae lapsae - gibt es gratia efficax und

sufficiens. Gott gibt auch Gnade die seinen finis ultimus nicht erreicht. Esfolgt also nicht, dass wenn Gott Gnade gibt, sie ihren Effekt erreicht immer

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9.4 These 14: In der gegenwartigen Heilsordnung gibt es Gnade die nicht wirksam wird (hinreichende Gnade)

und uberall, und wenn Effekt nicht da ist, keine Gnade gegeben ist. Nonobstante operatione dei resistitur per voluntatem liberam, ita ut gratia ste-rilis maneat. Deshalb sagen wir nicht gratia efficax (die de facto Effekt hat)unice et solum esse efficacem propter consensum a homine datum. Nach-her sehen wir: Gott gibt sie so. Molinistae non dicunt, gratiam efficacemet sufficientem unterscheide sich nicht sondern nur durch den Effekt, derfolgt vom Menschen aus.

In dieser These sagen wir: es gibt gratia vere sufficiens quae sterilismaneat per dissensum hominis. Nicht von der habituellen unterschie-den, sondern prouti sollicitat ad actum salutarem ponendum, egal ob dashervorgeht aus gratia habituali oder actuali. (habitualis als dynamischesPrinzip): daruber sagen wir hier noch nichts. Unter bestimmten Einschran-kungen haben wir von gratia actualis gesprochen. Die Sufficienz brauchtnicht hervorgehen aus der elevatio, sondern kann aus anderen Momentenhervorgehen, schon in der These vorher gesagt.

Sufficiens: dat potestatem expeditam agendi so dass sie ad ipsum ac-tum propositum ponendum nichts mehr von Seiten Gottes gefordert ist sedsolum consensus hominis. Dass dieser Akt de facto gesetzt wird: concur-sus simultaneus dei requiritur, qui huic actui correspondet. Ad perfectamfacultatem requiritur voluntas prona dei praestandi talem concursum.

9.4.2 Konkurs

Von anderer Seite ist aufzupassen: in recta intelligentia concursus: nonest re distinctus ad rem. Terminative concursus est nihil aliud quam actushominis inquantum dependeat de causalitate dei. Wenn Gott tun wollte wasvom Akt erfordert ist und doch unterschieden ist, konnte das nicht mehrKonkurs genannt werden, sondern gehort zu der gratia praevia sufficiens.

Fur metaphysisch vernunftige Aussage vom Konkurs: ist der Konkursnicht etwas was Gott macht und dem Menschen gibt, und jetzt kann derMensch ihn selbst setzen. Sondern das was der Mensch selber macht, aberinsofern es von der Kausalitat Gottes abhangt, wie alles Reale.

Insofern der Konkurs Gottes (nicht die Wirklichkeit Gottes sondern dasvon Gott Gewirkte) notwendig identisch ist mit der Tat des Menschenselbst (weil wenn es Verschiedenes ware, ware der Mensch damit zusammenimstand, seinen Akt zu setzen: kann er das allein? Nein! Dann wiederum:was braucht man dazu? Eben das wird Konkurs genannt.

Weil der Akt des Menschen mit Konkurs terminativ identisch ist, darumbei der Gnade, die das vollendete Konnen gibt, Bereitwilligkeit Gottes,Konkurs zugeben, eingerechnet und der Konkurs als solcher braucht nichtnoch mal eigens genannt zu werden.

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

9.4.2.1 Suffiziens: verschiedene Arten

Intelligitur gratia vere sufficiens omne id quod requiritur ut homo actumsalutarem ponere potest ita ut nihil ulterius a deo postulatur nisi ut homoipsum actum ponat.

Gratia vere sufficiens: perfectum et explicitum posse agere datur nihilominus iure merito potest dici, per gratiam sufficientem datur ipsum agere,quatenus nihil requiritur nisi quod de facto agat.

Die Banezianer sagen: Gott gibt jedem Menschen gratia sufficiens. Die-se gibt expeditum posse agere. Jetzt diese: damit der Mensch tatsachlichhandle, muss nicht nur die Handlung kommen als Tat der Freiheit, sondernaußer der gratia sufficiens muss Gott noch etwas geben was dem Akt alssolchem selber noch voraus geht, und von diesem verschieden ist, und diesepraemotio praevia distincta est ab ipso actu ex altera parte von dergratia mere sufficiens unterschieden: intermedium inter perfectam fa-cultatem et actus secundus.

Diese wird gratia efficax genannt: ist distinct von der mere sufficiens.Facultas expedita per novum.

Traductio in Bannezianismo classico: etwas Unterschiedenes von gratiasufficiens in acto secundo. Also nicht vermischen.

Wir sagen: illa gratia vere sufficiens expeditam facultatem dat, dassnichts mehr erfordert wird als dass der freie Akt folgt von Seiten des Men-schen.

Remote sufficiens: schon in erster These (13).

Vere sufficiens: eine Gnade die zu nichts unmittelbar dienlich ist, istkeine sufficiens. Eine Gnade kann zu bestimmtem Akt hinreichend sein,dass wenn er sie setzt, er weiter kommt, so dass sie remote sufficiens genanntwerden kann fur den zweiten, dritten Akt usw.

Mere sufficiens: vere sufficiens, die de facto consideratur prouti nonaccedit actus liber.

Negative sufficiens: quatenus consideratur ut vere sufficiens quam nonsequitur actus salutaris....ob er

positive sufficiens: efficax (aufgepasst dasselbe wie efficax).

Quae non vere sufficiens est: est non sufficiens. Dazu gefugt weildie Jansenisten glauben, dass zwar Gnade kommt, die absolute spectatahelfen konnte, aber relative non sufficiat. Sese posse illudere gratiam veresufficientem illudere. Genugt um der Lehre der Kirche zu genugen. ImBegriff widersprechend et falsa quoad doctrinam ecclesiae.

Sensus ist damit erklart: schon in letzter These.

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9.4 These 14: In der gegenwartigen Heilsordnung gibt es Gnade die nicht wirksam wird (hinreichende Gnade)

9.4.2.2 Beweis

1. 1. Vere et pure sufficiens: ex universali voluntate salvifica dei, quiomnibus hominibus expeditam possibilitatem explendi legem dei dat.

2. 2. Ex verbo dei,3. 3. Ex facto existentiae peccati. Wenn es wirkliche Sunden gibt, die

nicht nur objektiv solche sind, sondern auch subjektiv, wenn dieseSunden begangen werden, obwohl diese Menschen die Moglichkeithaben durch die Gnade Gottes die Sunde zu vermeiden, und wennman dazu Gnade Gottes braucht, dann folgt daraus, dass es solcheGnade gibt, die Gott tatsachlich gibt, und wegen des Neins tatsach-lich unwirksam bleibt. Daraus folgt: vere sufficiens gibt es.

9.4.3 Dass es auch wirliche schwere Sunden gibt, alsowirklich nur gratia sufficiens

3.Punkt: nicht so selbstverstandlich wie die Prediger tun: das Wort Gottesbezeugt nicht bloß, dass es in der Welt materiale schwere Sunden gibtsondern wirklich subjektiv schwere vorkommen.

In erster These: nur dass Gott insofern voluntas universalis salvifica ope-rosa habe als er dem Menschen hinreichende Gnade gebe, um subjektiveformale schwere Sunde zu vermeiden, naturlich in vielen Fallen auch dar-uber hinaus, weil er objektiv gute Welt will. Aber wir konnen nicht sagen,dann ist auch padagogisch und fur objektive Beurteilung der Welt richtig,dass Gott sich verpflichtet hat, jedem Menschen in jedem Falle die Gnadezugeben, dass er auch objektive Verstoße vermeiden kann. Das ist nichtnotwendig, weil das Heil durch bloß solche nicht unmittelbar gefahrdet ist.Wenn (Dass) auch objektiv schwere Sunden zu vermeiden sind, gegen diedie Mahnung des Beichtstuhls vorgehen muss und der Predigt, weil siegroßere Gefahrdung auch subjektiver Art mit sich bringt.

Insofern nicht so furchtbar selbstverstandlich, dass es auch sub-jektiv schwere Sunden in der Welt gibt. Aber so sehr wir viele Sundenin der Welt als bloß objektiv schwer betrachten konnen, und uns denkenkonnen, dass damit uber subjektiven Zustand nicht viel gesagt ist, so kon-nen wir doch nicht den Kampf Gottes gegen die Sunde so abschwachen,dass wir sagen: alles ist subjektiv immer gut gemeint, nur objektiv danebengehauen.

So wird man das existentiell absolute Pathos der heiligenSchrift, der Verkundigung Jesu, die alle gegen Sunde in der Welt auftreten,nicht aushohlen und uberflussig machen durfen. Sonst ware das alles pad-agogisches Theaterdonnern des lieben Gottes, der ab und zu in die Budedonnert, weil das dazugehort, aber der Meinung sein, im Grunde ginge alles

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

gut und erfreulich aus und es sei nichts Boses bei den Erziehungsobjektendes lieben Gottes zu furchten.

Wenn wir konkret (nie) sagen konnen: da ist sicher und ohne Zweifeleine Sunde passiert, dann gibt es eben das was wir hier gratia vere et puresufficiens nennen.

9.4.4 Qualificatio

Qualificatio: quoad rem: so betrachtet, dass wir sagen: aliquas gibt es: defide definita, certe. Weil de fide definita ist: dass gilt: gratiae internae resistipotest.

9.4.5 Probatio

9.4.5.1 Lehre der Kirche

Probatio: Kirche lehrt, dass es vere sufficiens gibt: aus der clausula finaliArausicani. Aus der Definition des Tridentinums: homini iustificato pos-sibilis est ... quia non conqueri potest legitime quod non habuit gratiam.Dann Innozenz X gegen Jansenius, etiam comparative ad vires quas homi-nes Adamitici habent.

Interdum mere sufficiens: explicitissime Tridentinum, Vatikanum und In-nozenz X gegen Jansenius.1. man kann der inneren Gnade widerstehen.2.supponit talem possibilitatem interdum etiam de facto verificare. Triden-tinum sess.6 cap.17

Dagegen konnte man sagen: es sei praescitus non destinatus: der hat na-turlich fur gewisse gute Akte eine Gnade bekommen, wird bei ihm wirksam.Dort wo er durch seine Sunde non praedestinatus wird, hat der sie nichtbekommen, und damit auch keinen Widerstand geleistet. So will es Triden-tinum nicht: er hat sie gehabt (will Gott entlasten), er hat sie gehabt, dieer de facto ablehnt.

Innozenz X: reiicitur sententiae nunquam resistitur... aliquoties de factoresistitur, also vere et mere sufficiens.

9.4.5.2 Sacra Scriptura et Patres Ecclesiae

SScr und PP: siehe vorhergehende These.Augustinus: pro supralapsario: auch sine quo non: mere et vere sufficiens,

hat er gekannt. Man kann nicht sagen: Augustinus hat solchen Begriff als in-neren Widerspruch abgelehnt. Bei den Jansenisten war die Tendenz das zusagen: Gnade und unwiderstehliche Allmacht Gottes sind dasselbe (Ques-nel). Widerspruch gegen Gottes Souveranitat und Allmacht, dass er etwas

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9.4 These 14: In der gegenwartigen Heilsordnung gibt es Gnade die nicht wirksam wird (hinreichende Gnade)

tut, was vom Menschen vereitelt wird. Dass Augustinus das gelehrt hat,kann man nicht sagen. Fur das Paradies hat er es gekannt, adiutorium sinequo non genannt, und von der er voraussetzt, dass Adam sie nicht benutzthat, ihr Widerstand geleistet hat.

Solche Moglichkeit auch in der fruheren Zeit fur infra lapsarische Ord-nung. Auch in seiner Predigt supponiert er das. In seinen spateren Schriftenkann man nicht sagen, dass er sehr reflex mit bloß hinreichender Gnade ge-rechnet hat. Immer so dass sie benutzt wird, naturlich und das ist diewirksame Gnade.

9.4.5.3 Theologi: pure sufficiens ist nicht wirkungslos

Bei keinem Theologen unterscheidet sie sich bloß durch aktuelle Zustim-mung von der sufficienten. Er kann die Wirksamkeit erklaren durch Wach-sen von Gott her, braucht sie nicht erklaren von der Zustimmung der Men-schen her. Aber wenn wir anti-semipelagianisch denken: er lasst zureichen-de Gnade aus, spricht von Heilswillen so partikular, dass diese Begriff klargegeben ist und fur durch Schuld des Menschen unwirksame Gnade keinPlatz ist.

Erganzung: wenn wir von der bloß zureichenden Gnade sagen, sie blei-be unfruchtbar, so ist jene Undfruchtbarkeit, Wirkungslosigkeit gemeint,die darin besteht dass der freie Heilsakt, zu dem diese anregt durchdie Schuld des Menschen nicht gesetzt wird: dadurch ist diese Gnadenicht schlechthin wirkungslos, denn sie bewirkt ja actus indelibe-ratos hominis. Sie ist eine Gnaden Anregung, eine Gnaden Anregung desMenschen, die sich auswirkt in dem Menschen.

Das zu betonen ist wichtig, weil von Jansenistischer Seite immer wiedergesagt wird: hat ja keinen Witz diese Gnade, die vollig unfruchtbarbleibt, was soll die? Sie bleibt es nicht. Dadurch dass Gott die Welt somacht, dass in ihr Dynamik, Antrieb zu ubernaturlichem Heil daist, ist die Welt schon, ob der Mensch zustimmt oder nicht, heller, sinn-voller, Gottes wurdiger als wenn diese Dynamik zu freiem Glauben inder Welt nicht da ware.

Von Gott aus hat diese Verleihung auch dann noch Sinn, auch wenn ervoraus weiß, dass sie unfruchtbar bleibt wegen der Schuld des Menschen.Man kann nicht sagen, es ist sinnlos, Gnade doch zugeben. Hat Sinn: Ob-jektivation der gnadigen Gute Gottes in der Welt. Dadurch dass das daist, hat er sich schon verherrlicht in der Welt als Gott des uber-naturlichen Heilswillens. Kann weiteren in ihrer Natur liegenden Sinnauch als vereitelt in Kauf nehmen.

Der Same zeugt auch dort noch von der Lebendigkeit der Natur wokein Baum daraus erwachst. Verschwendung des Lebens ist sinnvoll

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

und notwendig, damit Leben uberhaupt sei. Auch dort wo dieses Lebenssich konkret entfaltet, erwachst es aus dieser verschwenderischen Uberfulledes Lebens, das gar nicht in jedem einzelnen zum vollendeten, tragendenZiel kommen kann.

So auch bei der Gnade Gottes. Er muss in der Welt seine eigene Guteobjektivieren, vergegenstandlichen, in der Welt anwesendsein lassen, nichtso dass sie anwesend sein konnte, sondern so dass sie gegeben ist.

Darum hinreichend: ihre Wirkung und Sinn auch wenn letzte Intentionund Sinn nicht erreicht ist: freier Heilsakt des Menschen.

13.3.1957 Vorlesung 47 (These 15 Gnadenlehre)

9.5 These 15. Wirklich hinreichende Gnade,dienicht wirksam ist, ist Wohltat

These 15. Wirklich hinreichende Gnade, die nicht wirksam wird,ist trotzdem eine Wohltat Gottes, nicht nur materialiter sondernauch formal betrachtet, weil sie aus wohlwollender Absicht gege-ben ist

These 15. Gratia vere et pure sufficiens est verum Dei beneficiumnon solum materialiter sed etiam formaliter spectatum quatenussc. ex benevola intentione divina collatum est.

Hinreichende Gnade, die bloß hinreichend ist, ist ein wahre gottlicheWohltat, nicht nur materialiter sondern auch formal betrachtet,weil sie aus wohlwollender Absicht gegeben ist

Vor langer Zeit diese These angefangen: gratia vere et pure sufficiensest verum Dei beneficium, non solum materialiter, sed etiam formaliterspectatum, quatenus sc. ex benevola intentione divina collatum est.

Zunachst scheint diese These keine besondere Schwierigkeit zu machen.Wir haben bewiesen, dass es hinreichende Gnaden gibt, die zwar obwohlhinreichend, doch bloß hinreichend ist, dass was der Mensch durch dieseGnade wirklich tun konnte, nicht tut, obwohl er es konnte.

Ohne weiteres verstandlich dass diese Gnade Gottes, die wirkliches Ver-mogen eines Heilsaktes ist, ein Geschenk Gottes ist, eine Heilsgabe.

Wir haben auch bewiesen, Gott hat wirklichen Heilswillen. Dieser außertsich gerade darin, dass Gott den Menschen als der freien, handelnden undihr Schicksal selbst bestimmenden Person die Moglichkeit zur selbstandigenErlangung des Heils gibt, und das nennen wir Gnade. Hinreichende Gnade

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9.5 These 15. Wirklich hinreichende Gnade,die nicht wirksam ist, ist Wohltat

ist als Objektivation dieses wohlwollenden Heilswillens, als Willen zu einemHeil, zu einem Guten, eine gute Gabe, ein Beneficium eine Wohltat.

9.5.1 Grund fur die These: Wirksame Gnadeunterscheidet sich schon von Gott her vonhinreichender Gnade

Das Problem weshalb wir diese These doch stellen liegt darin, dass es au-ßer der zureichenden Gnade noch den Begriff der wirksamen Gnadegibt. In der ersten These schon und in der nachsten auch noch: tatsach-lich wirksame und die bloß hinreichende unterscheiden sich nicht bloßdurch die faktische Zustimmung bzw. Ablehnung des Menschen.Es ist also nicht so, als ob Gott das genau selbe Instrument des Heils-handeln-Konnens dem Menschen in die Hande gibt, und er auf Grund die-ses moglichen Heils-handeln-Konnens das eine oder andere tut, sondern dietatsachlich wirksame Gnade wird durch das freie Handeln des Menschenwirksam. Aber das bedeutet dennoch nicht dass die wirksame und die bloßzureichende Gnade, insofern sie von Gott ausgehen, schlechterdings undeinfach dasselbe waren, und nur durch den reinen freien Willen des Men-schen als eines solchen in die eine oder andere determiniert werden.

9.5.1.1 Beispiel: Ausleihen einer Flinte

Wir werden sehen: Gott gibt dem Menschen, wenn er ihm die wirksameGnade gibt, darin etwas, was er ihm von sich aus nicht gibt, wenn er ihm diebloß hinreichende Gnade gibt. Wenn ein Mensch einem anderen, der jagenwill, eine Flinte leiht, mit der man gut schießen kann, und er bringt was mitund anderer bringt nichts mit, weil er zu faul ist, dann kann man sagen:Der Gewehr Entleiher hat jedem von sich aus dieselbe Wohltat erwiesendurch das Leihen des Gewehres. Der eine hat damit was angefangen, derandere nicht.

Wenn man sich den Unterschied so vorstellen wurde, dass Gott jedemdie selbe Gnade gibt und wirksam durch die Freiheit und unwirksam durchdie Freiheit, ohne dass sie, insofern sie von Gott kommen verschieden sind,dann ist das was Falsches.

9.5.1.2 Problem dieser These: Gott weiß im logischen Moment desGebens der hinreichenden Gnade, dass sie nicht wirksam wird

Daraus das Problem dieser These: wenn Gott von sich aus (wenn er wirk-same Gnade gibt) eine großere Gabe, eine heilsbedeutsamere Gnade gibt,kann man dann noch sagen, dass die hinreichende eine wirkliche Gabe zum

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Heil sei, oder ist es das was Gott gibt, damit der Mensch das Heilnicht erreicht.

Denn wenn wir einen Augenblick absehen von der Verschiedenheit, muss-te man sagen: Gott weiß in diesem logische Moment, in dem er diese hinrei-chende Gnade gibt, voraus, dass sie unwirksam bleibt, und wir werden vor-aussetzen mussen: Gott konnte dem Menschen eine Gnade geben,von der er voraussehen wurde, dass der Mensch mit ihr mitwirkt.Also wenn er ihn unter der Voraussicht des Unwirksambleibens, wenn auchdurch die Schuld der Freiheit des Menschen, eine bloß zureichende Gnadegibt, obwohl er eine andere hatte geben konnen, von der er wusste, dasssie hinreichend ist: wieso dann noch sagbar, er gibt etwas was Wohltatist, und er gebe das auch aus wohltatiger Gesinnung?

9.5.1.3 Unterschied zwischen beneficium materiale et formale

Wir mussen begrifflich zwischen beneficium materiale und formale un-terscheiden. Wenn einer einem eine vergiftete Wurst gibt, um ihn umzu-bringen: der betreffenden benutzt sie, um eine Maus zu fangen, weil er sienicht gibt, dann hat der, der sie geschenkt hat, eine Wohltat erwiesen -Maus Vertilgungsmittel, aber nicht aus wohltatiger Gesinnung, sondern erhat anderes beabsichtigt. Gutes mit schlechter Gesinnung und Schlechtesmit guter Gesinnung: wenn man einem einen Strick gibt, zum Kofferpackenund der hangt sich damit auf: ist die Gesinnung wohlwollend, faktisch aberkein Beneficium sondern Maleficium.

Zwischen beneficium materiale und formale zu unterscheiden: Gabe dieihrer inneren Natur nach fur den betreffenden gut ist, ist beneficiummateriale. Beneficium formale wenn zu der materialen Gute des Dingsauch die Gesinnung des Gebers dazu kommt, so dass sie Ausdruckder inneren Gesinnung ist.

Hinreichende Gnade ist ein materielles und formelles Geschenk, Wohltatvon Seiten Gottes oder eine heimtuckische Weise, in der Gott den Menschenreinlegt, dass er sich in Schuld sturzt.

Was die positiven Quellen zur Beantwortung dieser Frage angeht: Alex-ander VIII D1296

9.5.1.4 Falsche Auffassung der Jansenisten

Jansenisten sagten: in der konkreten Ordnung infra lapsarischer Art, woder Mensch unter dem Einfluss der Konkupiszenz, des Teufels usw. ist:wenn da Gott hinreichende Gnade gibt (mit der der Mensch nicht mitwir-ken kann... ihre Auffassung von Sufficienz: der Mensch kann die Konkupis-zenz damit nicht uberwinden, weil der himmlische Impuls zu klein ist, weil

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9.5 These 15. Wirklich hinreichende Gnade,die nicht wirksam ist, ist Wohltat

er nicht ausreicht bei diesem Menschen) dann ist das fur den Menschennur noch viel schlimmer: Gott kann sagen: ich habe dir was gegeben unddu hast doch nicht mitgewirkt, weil zureichende Gnade im Jansenistischengar nicht hinreichend ist, wenigstens nicht relativ.

Klar: so verstanden hilft sie mehr zum Untergang und wir konnen sagen:befreie uns davon. Wenn das was Haretisches ist, dann bedeutet das nicht,dass der Mensch ihn nicht anrufen darf um wirksame Gnade: gib mir das,von dem du weißt, dass ich zustimme in meiner Freiheit. In einer secretbittet die Kirche so: compelle . . . Dass Gottes Gnade in uns siegreich seinwolle, dass Gott von sich aus sich entschließen wolle, in uns siegreich zusein, dass wir in diesem Sinne unseren Willen und seine Unergrundlichkeitin seine Hut nehme, in seine Barmherzigkeit einschließe. Darum darf manbitten.

Befreie mich, lass mich mit hinreichender Gnade in Ruhe, du bist der,der Gnade, die nur hinreichend ist, wenn du sie gibst, mir sie gibst ummich zu verderben: das ist blasphemisch.

Denn wo sie nicht fruchtbar wird, wird sie es nicht wegen der Schulddes Menschen, obwohl sie fruchtbar hatte werden konnen: eine Schuld,die Gott hatte verhuten konnen, die aber der Mensch nicht deshalb aufGott abwalzen kann.

9.5.1.5 Geheimnis der Koexistenz von kreaturlicher und gottlicherFreiheit

Das ist das Geheimnis der Koexistenz von kreaturlicher und gottlicher Frei-heit. Gott konnte bewirken, dass unsere Freiheit sich in Gottes Freiheitpositiv hinein schwingt, zu ihm und seinem Gesetzes Willen frei Ja sagt.Das ist wahr.

Insofern koexistiert die menschliche Freiheit nicht so, dass sie neben Gottsteht, nicht so wie adaquat radikal selbstandige Großen. Aber so wenig daswahr ist, so sehr die Freiheit Gottes in geheimnisvoller Weise Freiheit desMenschen einschließt und so der Herr der Freiheit des Menschen ist, sowenig kann man sagen, dass die kreaturliche Freiheit aufgehoben ware unddeshalb darf die Wahrheit der Umschlossenheit der menschlichen nicht dazubenutzt werden, zu sagen: ich bin dein Hampelmann, und wenn ich neinsage, sage ich es, weil du es gewollt hast.

So ist das nicht. Wir haben, so wenig das in ein System gebracht werdenkann, was unmoglich ist, so wenig wir das auflosen durfen, so wenig durfenwir sagen: es gibt Schuld des Menschen, die eintritt, wenn sufficiens bloßsolche ist, die, wollte er sie auf Gott abwalzen, selber sich vergroßern wurde,ungerecht gegen den Heilswillen Gottes ware, auch dort wo dieser eine imEffekt bloß endliche Große gewollt hat, obwohl er eine großere hatte wollen

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

konnen.Das ist festzuhalten D1296 gegen die Jansenistische Blasphemie gegen

unsere Auffassung.Naturlich ist die These auch im Trienter Konzil enthalten: in der vorhe-

rigen These, wo es um die Existenz der hinreichende Gnade, die bloß solcheist, zu beweisen.

Die Jansenisten, die konsequent waren: sagen es gibt keine hinreichendeGnade, dort wo es hinreichende Gnade gibt, ist sie wirksam. Wenn ernicht mitwirkt, hat der keine Gnade empfangen. Wirkliche und dochunwirksame Gnade haben die Jansenisten abgelehnt, weil es keine WohltatGottes ware.

Weil die Kirche die Existenz der bloß hinreichenden lehrt, ist darinder Sache nach gelehrt, dass sie ein beneficium materiale und formale ist.Sonst - sagt die Kirche: er will das Unheil des Menschen erreichen. Wennsie nicht materiale und formale beneficium ist, ware sie neutral, und dasist nichts: was zu nichts ist ist nichts. Wenn hinreichende existiert undes selbstverstandlich ist dass es nicht Maleficium weder materiale nochformale sein kann, dann ist damit gelehrt, dass sie ein materiale und formalebeneficium ist.

9.5.2 Sachlich nicht durchschaubar, aber genugendeinsichtig machbar

Sachlich lasst sich das nicht durchschauen aber genugend einsehen. Hin-reichend: ist Ermoglichung eines Heilsaktes, das Heil aber frei bewirkenkonnen, das ist etwas was dem Wesen, der Veranlagung des Menschennaturlich und ubernaturlich entspricht (positiv): hinreichende Gnade istobjektiv eine Wohltat dem sachlichen Inhalt nach.

9.5.2.1 Bei Gott kein Unterschied zwischen objektiver Realisierungund subjektiver Gesinnung

Subjektiv von Gott her: hinsichtlich der Gesinnung ein beneficium formale:Gott gibt es aus wohlwollender Gesinnung. Was Gott fur eine Gesinnunghat, das lasst sich bei Gott nur aus der Sache ablesen im Grunde. EineDiskrepanz zwischen objektiver Realisation und Gesinnung lasst sich beiGott gar nicht denken: er handelt so wie er gesinnt ist und ist so gesinntwie er handelt.

Der Mensch kann einem einen Revolver in die Hand drucken, dass er sichverteidigt oder sich umbringt, mit selber Objektivation kann er verschie-dene Gesinnungen objektivieren. Beim Menschen sind die Objektivationenimmer bis zu gewissem Grad zweideutig: Almosen aus Gleichgultigkeit,

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9.5 These 15. Wirklich hinreichende Gnade,die nicht wirksam ist, ist Wohltat

Hochmut usw. weil man das ihm nicht eindeutig ansieht, weiß der Menschselbst nicht mit letzter Sicherheit reflex aus welcher ursprunglichen Gesin-nung heraus er das tut.

Bei Gott ist solche Diskrepanz zwischen Haltung und Tat, Ge-sinnung und Objektivation gar nicht denkbar. Er weiß, was er tut. Waser tun will, das tut er auch.

Das Getane wird dann, weil nicht in vorgegebenes Material hinein getan,das seine Tat verandert, weiß er auch, dass die Wirkung seiner Gesinnungentspricht. Umgekehrt haben wir ein beneficium materiale, und das istnichts als dieses, weil das Heilwirkenkonnen in sich gar nichts als diesesan sich tragt: muss ich sagen Gott hat wohlwollende Gesinnung: also auchbeneficium formale.

9.5.2.2 Gott gibt die Gnade obwohl er weiß, dass sie unfruchtbarbleibt

Aber Gott weiß doch voraus: diese Gnade bleibt unfruchtbar. Gewiss, dasweiß er. Andert sich da seine Gesinnung: er gibt diese Gnade nicht weiler voraus weiß, sie bleibt unfruchtbar, sondern obwohl er weiß dass sieunfruchtbar bleibt.

Bei Gott gibt es das Obwohl: weil wir dabei bleiben mussen, dass esein Handeln gegen Gottes Willen gibt. Diese Tatsache ist zu akzeptieren.Dann ist auch klar: es gibt ein Handeln der Kreatur, obwohl Gott weiß,dass es wegen der Freiheit des Menschen, das eigentliche Ziel, das diese Tatvon Gott her hat, nicht erreicht.

9.5.2.3 Der Unterschied schon von Gott her berechtigt nicht, dieSchuld auf Gott zu schieben

Wegen Vorauswissen Gottes und durch das Handelnkonnen Gottes istselbstverstandlich der Wille zur Fruchtbarkeit dieser gratia sufficiens nichtderselbe wie bei der gratia efficax.

9.5.2.4 Negative ausgedruckt

Aber der objektive Unterschied in der Gnade und im Willen Gottes prin-zipiative und terminative erlaubt nicht zu sagen, Gott will die Heilshand-lung nicht ernsthaft, wenn er nur hinreichende Gnade gibt: dann mussteman auch sagen, wenn Gott ein Gesetz gibt, das er in der Befolgung nichtdurchdruckt, obwohl er es durchdrucken konnte und so dass er Freiheitnicht durchsetzt: dann wolle Gott die Durchfuhrung des Gesetzes nicht.

Das zu sagen ist Haresie und Gottlosigkeit der Kreatur, dienicht zugibt, dass Gott etwas schaffen kann, so dass auf dieser Kreatur

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

etwas sitzen bleibt, dass diese Kreatur etwas fur sich und ihre Rechnungubernehmen muss.

Kreatur kann nicht sagen: wenn ich deine Gesetze nicht erfulle, hast dues nicht gewollt, dass ich es erfulle, denn dann hast du es ja tun konnen,dass ich es erfulle.

Gott: wenn ich dich so schaffen kann, dass du so bist, dass du gegen dei-nen Willen willst, wie kannst du sagen, dass ich das nicht konne, weil meineAllmacht nicht die sein kann, die ein Geschopf schafft, das eine Machtigkeitgegen mich hat?

Die Allmacht Gottes hat im Gegensatz zu allem anderen die Mog-lichkeit, dass sie das Sie-selber- Begrenzende selber schaffen kann,das echt wahre Andere von Gott, welches andere im Grunde erst in derFreiheit zu seinem eigenen Wesen kommt: das Problem der Frei-heit der Kreatur vor Gott ist nur Radikalisierung einer Wirklichkeit,die ganz von Gott geschaffen ist, und doch Gott gegenuber eineWirklichkeit bedeutet.

Wenn: die Behauptung: Gott konne echten Willen zum Heilsakt haben,in dem er bloß hinreichende Gnade gibt, obwohl er weiß, dass dieser Heils-akt nicht geschieht durch die Schuld des Menschen, und obwohl er diesenWillen erreichen konnte, die Behauptung eines solchen Willens Gottes liegtzentralstens im katholischen Verstandnis von Kreatur und Gott be-grundet, und alles das ist nur selbstverstandliche Folgerung des katholi-schen Grund-Verstandnisses dieser Dinge:

9.5.2.5 Es gibt echtes Wirksamwerden der Kreatur, ohne dass daszur Leugnung der radikalen Abhangigkeit fuhrt.

In denen trotz des actus purus es ein Gott gegenuber reales Seiendesund echtes Wirksamwerden der Kreatur gibt, ohne dass ein solcherSatz zur Leugnung der radikalen Abhangigkeit der Kreatur im Seinund Wirken fuhren wurde.

Wie das vereint werden kann, braucht die Kreatur in diesem Le-ben nicht einsehen weil zur Kreaturlichkeit der Wahrheit des Geschopfsnotwendig die Pluralitat der Wahrheit gehort.

Nur Gott selbst der sich unmittelbar besitzen muss, hat Wahr-heit wo alles in einem klar ist. Kreatur hat notwendig mehrere Wahr-heiten. Wir konnen formal sagen: die sind gleichsam im obersten PrinzipGott vereint, gut aufgehoben, ergeben sich gleichermaßen in Verschieden-heit aus dieser Einheit, Sinnhaftigkeit des Seins.

Aber dieser Gott ist uns gleichsam nicht als Gegebenheit fur sich gege-ben, aus der wir diese anderen Satze als notwendige Folgerungen ableitenkonnen, sondern wir konnen immer nur bei der Pluralitat unserer

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9.5 These 15. Wirklich hinreichende Gnade,die nicht wirksam ist, ist Wohltat

Satze ansetzen und nicht in hohere Norm aufheben und sagen: sieist in einem von uns Unerreichbaren aufgehoben, das wir Gott nennen (henkai pan).

Jede Wissenschaft hat die Tendenz der Reduktion ihrer Satzein umfassendere, einheitlichere Prinzipien, aus denen alles ableitbar ist.Aber dort, wo Gott in menschlichen Satzen ins Spiel kommt, ist klar, dasser nicht so ins Spiel kommen kann, dass er aufhort der undurchschaubareGott des Geheimnisses zu sein. Wenn ich von diesem einen Satz einsehe,wo ich diese erobern konnte, ware ich nicht Kreatur. Ich stunde auf einemStandpunkt, wo Gott erreicht ist, erobert ist.

Ich bin schuld und Gott hatte diese Schuld nicht zulassen mussen: erhat mir gratia sufficiens gegeben. Hebt Schuld nicht auf. Er hatte mirgroßere geben konnen: hebt aber Wohltat nicht auf.

Gratia efficax in Unterschiedlichkeit von sufficiens (wie genauer zu kon-zipieren: spater) und Praevisio Gottes von dem Nicht-wirksam-Sein hebtdie sachliche Wohltatigkeit der hinreichenden Gnade und Heilswillige Ge-sinnung Gottes in der Gabe nicht auf.

Dass das nicht aufgehoben ist, ist gleichsam als korrigierender Satzgegenuber anderen Satzen hinzuzusetzen - braucht nicht positiv eingesehenwerden, sondern es genugt einzusehen, dass man so sprechen muss, vomWort Gottes her.

AT: ich habe Weinberg so gepflanzt, dass er Frucht bringen konnte. Danndarf die Kreatur nicht sagen: hattest du dich mir angestrengt, dann ware esanders. Du willst es nicht anders, ich bin nur Produkt deines Handelns. Dasist falsch: Haresie und Blasphemie, trotzdem Gott es hatte anders machenkonnen.

9.5.2.6 Wir wissen nicht, wie es vereinbar ist, nur die beiden Satzesagbar, die beide wahr sein mussen

Wir Wissen nicht wie vereinbar: wir sehen ein, dass wir nicht einsehenkonnen, dass ein Versuch einer Konzilianz positiver Art Aufhebung zweierSatze grundsatzlich falsch sein muss, nicht nur faktisch nicht erreichbar ist.

Metaphysik der Geheimnisvolligkeit Gottes musste zeigen, dass es einenwesentlichen Pluralismus in der Erkenntnis des Menschen gibt, und wo einsolcher zu postulieren ist, und wenn er da nicht vorkommt, das ein Zeichenist, dass wir falsches haben.

Wenn sie fruher nur gesagt hatten, Gott gab jedem hinreichende Gnadeund wenn der Mensch nicht mitwirkt, er selbst schuld ist: Richtiges gesagt.Wenn man noch dazu denkt: so einfach ist das nicht, hatte anders machenkonnen unbeschadet der Freiheit es doch anders deichseln konnen: jetzt ist

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

die Sache dunkler und dann: Gott sei dank.13.3.1957 Vorlesung 48 (2.Stunde)Wir konnen wohl gleich nach der These der letzten Stunde zur nachsten

These ubergehen weil die wesentlichen Punkte daruber schon in der These13 uber die gratia mere sufficiens herausgehoben worden sind. Einzelheitenfinden sie im Kodex selbst.

9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbarwirksame Gnade

These 16. Est gratia in actu primo infallibiliter efficaxEs gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

9.6.1 Es gibt wirksame Gnade

Der Ton dieser These liegt auf dem in actu primo infallibiliter efficax.Dass wir die Gnade insofern sie Anstoß zum Heilsakt ist, in wirksame undhinreichende unterscheiden kann, sagten wir schon, dass man prazisive,negative und positive talis unterscheiden kann: sufficiens positive talis =efficax ist selbstverstandlich.

Mit dieser These kommen wir zu der Frage, die uns die Problematikder vorher gehenden These stellte. Dort: wieso: kann mere sufficiens alswirkliche Wohltat objektiv und subjektiv von Gott her erkannt werden,wenn doch die beiden nicht bloß durch die tatsachliche Zustimmung undAblehnung von Seiten des Menschen allein unterscheiden, sondern sie schonvon Seiten Gottes, von woher sie gegeben werden sich unterscheiden, undzwar nicht bloß durch das Vorauswissen Gottes, dass es eine wirksamewird und die andere unwirksam bleibt, sondern dass sie sich wirklich vonihrer inneren Natur, wie spater gesehen, aber doch als Gnade von einanderunterscheiden.

Was wir in der letzten These vorausgesetzt haben und dort die Schwie-rigkeit war, muss hier bewiesen werden.

Zunachst Gnade, Freiheit unter der Gnade im allgemeinen, dann von derbloß hinreichenden und nachdem diese absolviert: jetzt von der wirksamenGnade:

Dass es wirksame Gnade gibt ist selbstverstandlich. Der Menschtut Heilsakte. Definierte Glaubens Wahrheit: dass gewisse Menschen, dieim Besitz der Freiheit waren, tatsachliche ihr Heil erreicht haben - MutterGottes, Bekenntnis des Petrus usw.: solche Heilsakte deren Existenz unsdurch das Wort Gottes bezeugt ist, - dass aber kein Heilsakt ohne Gnade

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

Gottes - also gibt es wirklich wirksame Gnade. Nicht alle Gnade bleibtunwirksam. Es gibt zureichende Gnade, die wirksam wird.

Man konnte sagen: das ist selbstverstandlich. Aus burgerlichem Optimis-mus: wenn es Leute gibt die in den Himmel kommen.

Tatsachlich ist es besser, sich dafur auf die Schrift zu berufen: WortGottes bezeugt uns, dass der Mensch nicht bloß Fassadenmensch ist son-dern tatsachlich objektiv, im innersten Kern sogar, vor dem allwissendenGott, der sich nichts vormachen lasst, noch tatsachliche Freiheitsentschei-dungen gibt, die wert sind vor ihm Ewigkeit zu werden.

Darum ist es klar, dass es wirksame Gnade gibt. Denn diesen Optimismusvom Menschen her kann man mit dem

”Gott allein die Ehre geben“ nur

vereinen, wenn man sagt: diese tatsachlichen Werke kommen aus einerGnade und damit aus einer wirksamen: sonst ware das nicht.

9.6.2 Diese wirksame Gnade ist in actu primo efficax:Was sagt das?

9.6.2.1 Auch das Tun selbst ist nochmal von Gott geschenkt

In dieser These: dieses Anerkennen des heiligen Menschen als Ruhmen derGnade Gottes ist nur dann richtig verstanden, wenn wir sagen: dieseGnade ist in actu primo efficax und als solche gegeben. Das heißt vonreligiosem, existentiellem Ansatzpunkt aus:

Wenn es wahr ist, dass der Mensch etwas Ewigkeitrachtiges tut, undwenn der Mensch das kann, von sich aus Kind des Zornes, nur kann wenner sagt: das kommt von der Gnade her. Denn wenn man, wenn das Ruhmendes Menschen zu Ruhmen Gottes machen soll, dann nur wenn man dieseGnade nicht so auffasst, dass Gnade dem Menschen Moglichkeit gab,Gutes zu tun, aber die Entscheidung, dass das Gute getan wird bloßvom Menschen komme, wo dann zwar der Ruhm des Menschen dochbei ihm gut ist: Gott hat mir die Moglichkeit gegeben, aber ich habe inletzter Autonomie eine Tatsache daraus gemacht.

Die Moglichkeit ware dann als Gottes Gnade zu ruhmen abernicht die Tatsache des Heils insofern sie ein Plus daruber hinaus sagt.Aber das ist nach dem Wort Gottes und echtem religiosem Empfinden desMenschen, der etwas von Gnade empfunden hat, nicht richtig.

Ich muss die Gnade, wenn sie mein Heil wirkt, selbst in ihrer Moglichkeitund in ihrer Tatsachlichkeit noch mal auf Gott zuruckfuhren, unddas geschieht in dieser These.

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

9.6.2.2 Nicht definiert, aber doch wichtig

So sehr das nicht definierte These ist, die nicht reflex in der Kirche: wieeminent substanziell diese These ist: nicht bloß Spekulation: sondern sagtdas aus, worauf es im religiosem Leben sehr wesentlich ankommt. Wenndie Gnade insofern sie von Gott her gegeben wird, dort wo sie wirksamwird, von Gott her anders gegeben ist, als dort wo er nur die Moglichkeit,also gratia mere sufficiens, gibt ist klar: mein Heilsakt ist mir nicht bloß inseiner Moglichkeit, sondern in seiner Tatsachlichkeit gegeben, nicht bloß dasKonnen sondern auch das Vollbringen, freilich als Tat meiner Freiheit -zwei Satzen bei denen wir die Unvereinbarkeit nicht einsehen, aberauch nicht die Vereinbarkeit, die wir stehen lassen mussen -

1. Die Tat des Menschen, in der er sein Heil wirkt: Tat in Verantwort-lichkeit

2. Dort wo er sein Heil wirkt, ist dieses Wirken noch mal GeschenkGottes in seiner Verwirklichung.

Das steht drin wenn wir sagen: wirksame ist in actu primo von Gott gege-ben. Nicht erst allein dadurch wirksam, von der mere sufficiens verschieden,in dem der Mensch seine Zustimmung in der realen Ordnung seines Han-delns gibt, sondern als wirksam schon gegebene. Gott gibt sie nicht bloßals Ermoglichung, sondern als Verwirklichung des Heilshandelns.

Das heißt in actu primo efficax.

9.6.3 Noch einige Subtilitaten, um zu verstehen wasBanez und Molina meinen

Spater mussen wir darauf zuruck kommen (Banez und Molinismus) deshalbnoch einige Subtilitaten, um das zu verstehen was sie meinen.

9.6.3.1 Akt des Menschen und Wissen Gottes von diesem Akt

Ich kann Akt des Menschen betrachten als moglichen (in verschiedene logi-sche Momente aufteilen, diesen einen Akt sehen in verschiedenen Phasen)und kann deshalb auch, weil dieser Art in verschiedenen Phasen von Gotterkannt werden kann entsprechend diesen verschiedenen Momenten, auchein Verschiedenes Wissen Gottes haben. Das soll menschlicher Akt seinund das das Wissen Gottes davon. (Skizze: zwei horizontale Linien uber-einander)

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

WissenGottes

menschlicherAkt

possibile

SSI

scientiasimplicis

intelligentiae

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqtatsachlichzukunftig

futurum

moglich

SV

Scientiavisionis

futuribile

bedingtzukunftig

cognitio futuribilium

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqScientia Media

MolinaBanez

SM

9.6.3.2 Als moglicher Akt, Gottes Wissen davon SSI

Dieser Akt kann betrachtet werden (1. Phase) als moglicher Akt (possibile):so was wie das Fiat Mariae. Es kann sein, repugniert nicht, kann wirklichwerden, ist Akt als moglicher.

Das Wissen Gottes vom menschlichen Akt als moglichem: Scientia Sim-plicis intelligentiae (SSI), einfaches Wissen um Washeit als moglicher: hierals possibile betrachtet. Naturlich auch eingerechnet das mogliche Subjekt.Und noch mehr: kann nicht Ohrfeige geben, wenn der betreffende nichtexistiert, keine Hand hat. In anderem logischen Moment: Akt eines mog-lichen Subjekts in bestimmten Umstanden, die auch moglich sein mussen:wenn es nicht moglich ware dass ein Mensch mit Hand existiert, ware auchOhrfeige als freier Akt des Menschen nicht moglich: moglicher Akt, mogli-ches Subjekt, unter moglichen Umstanden vorausgesetzt: das alles in SSIvon Gott erkannt.

9.6.3.3 Bedingt moglicher Akt, Gottes Wissen davon

Wenn Gott mich betrachtet als moglichen Menschen, der in den Umstan-den konkret in einem Raum mit Kreide und der Moglichkeit, Kreide inden Raum zu schleudern, dann ist klar, dass wenn diese Bedingungen vor-ausgesetzt werden, so oder so handeln kann oder auch nicht. In denselbenUmstanden sind mehrerer freie Akte moglich. Ich kann aber fragen: wenndieses Subjekt unter diesen Umstanden realisiert wurde, welchen von diesenihm moglichen Akten wurde er dann setzen?

Dann ist aus den moglichen Akten nur einer ein bedingt zukunftigerAkt, ein futuribile: jener freie Akt, den ein bestimmtes Subjekt moglicherArt in moglichen Umstanden aus der Menge seiner moglichen Handlun-gen tatsachlich setzen wurde, wenn dieses Subjekt in diesen Bedingungentatsachlich verwirklicht wird oder wurde.

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Die cognitio, die Gott hat nach allgemeiner theologischer Auffassungwenigstens heute ist eine cognitio futuribilium. Beachten sie jetzt schon:begrifflich ist diese mit der scientia media (SM) nicht identifizierbar:

Der Banezianische Thomist: scientia media ist Unsinn, dass esdas geben kann leugnet doch nicht, dass Gott weiß, was Petrus getan hatte,wenn ihn Christus nicht liebevoll und vergebend angeschaut hatte. In diesermoglichen Situation hatte er verschiedenes tun konnen: sich bekehren odernicht. Hatte hinausgehen konnen: kann mir niemand ubel nehmen - oderdoch bitter weinen konnen.

Was er getan hatte wissen wir nicht, aber alle Theologen sagen heu-te: ein Akt von diesen Zweien ware nur verwirklicht worden von Petrus,wenn er in dieser Situation gewesen ware. Alle sagen Gott weiß das, welchevorausgesehen ware. Alle also akzeptieren cognitio futuribilium.

Sc.M. scientia media ist bestimmte Erhellung der cognitio futuribilium.Molinistische oder Banezianistische.

9.6.3.4 Tatsachlich Zukunftiges, Gottes Wissen davon SV

Bedingt Zukunftiges kann ich in dritter logischer Phase als tatsachlich Zu-kunftiges betrachten. Wenn nun dieses mogliche Subjekt in diesen mog-lichen Bedingungen unter welchen es aus den moglichen Akten frei einewahlen wurde, tatsachlich verwirklicht wurde, passiert dieser Akt tatsach-lich: ist ein actus futurus.

Die Erkenntnis Gottes von diesem freien Zukunftigen ist Scientia Visionis(SV). Schauen namlich von dem, was wirklich ist, war oder sein wird.

9.6.3.5 Diese Phasen konnen durch die verschiednen Phasen derZeit durchgeschoben werden

Die Sache ist noch komplizierter: sie konnen dieses ganze Ding, des zu-kunftigen Wirklichen, durch die Phasen von Vergangenheit, Gegenwart undZukunft durchschieben.

Z. B.: auch der tatsachliche Reueakt des Petrus als freier kann betrachtetwerden als futuribile, d. h. insofern logisch davon abstrahiert wird, ob dieseUmstande, unter denen Petrus tatsachlich bereut hat, verwirklicht sindoder nicht. Davon logisch absehbar. Den actus futurus des Petrus, der jetztpraeteritus ist in dem logischen Moment betrachtbar, wo offen ist ob eseinen solchen gibt, der verleugnet und doch liebevoll angeschaut wird, undkann fragen: was wurde er machen, wenn das geschieht. Bleibt er dochverstockt oder bereut er.

1. Actus Petri als futuribile betrachtet: das futuribile kann betrachtetwerden:

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

a) prazisive: das heißt unter Absehen, ob diese Bedingungen, unterdenen dieser Akt geschieht, tatsachlich realisiert sind.

b) Ich kann so, dass sie nicht realisiert werden (negative)c) und positive: keine wirkliche realisiert wird (positivum)

2. Futurum: weil es als tatsachlich geschehendes betrachtet wird: FiatMariens ist Futurum: weil es nicht futuribile, und schon geschehenoder spater geschehen werdend.

9.6.4 In actu primo: im Voraus zu was ist sie wirksam?

Jetzt auf Thesen, die kommen werden: weil man besser verstehen soll quidsit gratia efficax, in actu primo efficax: im Voraus zu was Bestimmtemschon wirksam.

9.6.4.1 Unterscheide logisches und zeitliches Voraus

1. Wenn ich solches Wort schon verstehen will: im logischen Voraus zuwas ist es wirksam? Logisches und zeitliches voraus: dass ich diesenLappen hier hinlegen kann, das existiert schon bevor ich es getanhabe: zeitlich voraus und logisch voraus.

2. Nehmen wir an, das Schaffenkonnen Gottes als Akt Gottesselbst (nicht als Terminus) geht aus der Natur der Begriffe logischdem Schaffen Gottes voraus aber nicht zeitlich. In Gott gabes nie Zeit, in der er nicht aktiv Kreator war, aber nicht notwendig.Also kann ich logisch unterscheiden zwischen posse und de facto unddann geht posse dem de facto voraus.

3. Hier immer grundsatzlich nach logischem und Prius et Poste-rius. Gnade als wirksam gegebene schon im Voraus (in actu primo).Zu was im voraus? Antwort: im voraus zur futuritio actus libe-ri. De facto zukunftig sein: futuritio. Das wodurch futuribilis:futuribilitas.

4. Wenn wir als Molinisten sagen: wirksame Gnade ist schon in Vorausals wirksame von Gott gegeben: heißt nur logisches Prius zur Futu-ritio actus liberi. Das heißt: wir sagen: Gnade ist wirksame schonim voraus zur tatsachlichen Zustimmung des Menschen, dienaturlich als jetzt gerade gegebene spater tatsachlich sein werden-de sein kann. Kann in Gegenwart, Vergangenheit, und Zukunft sein(futuritio). Das andert nichts.

a) Voraus Sein bezieht sich bei uns Molinisten auf die futuritioactus,

b) nicht auf die futuribilitas actus (brauchts nicht zu sein). Wasdas heißt: spater.

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Wir sagen zunachst nur: es gibt eine Gnade Gottes, die wirwirksame nennen, die schon im voraus zur tatsachlichen Zu-stimmung des Menschen wirksam ist, und als solche von Gottgegeben wird und sich durch diesen Umstand von der bloß zu-reichenden Gnade unterscheidet .

9.6.4.2 Lateinische Wiederholung

Ob diese efficacitas gratiae antecedens consensum, antecedens ad futuri-tionem oder auch futuribilitas oder ex internis esset efficax, an gratia sitantecedenter ad futuritionem efficax sed consequenter ad praevisam futuri-bilitatem actus per deum: uber diese Frage unterscheiden wir uns in dieserThese nicht, denn sie sagt, was allen Gnaden Systemen im ganzengemeinsam ist.

9.6.5 Inhalt der These ist allen System gemeinsam

Alle Systeme der Gnade (mit gewissen Abweichungen) Banezianismus undMolinismus sind sich daruber einig, dass es sich in actu primo antecedentersaltem ad futuritionem actus wirksam ist und nicht bloß durch den tatsach-lichen (zukunftigen, vergangenen, oder gegenwartigen) Akt des Menschenwirksam wird.

Sie unterscheiden sich: ob sie antecedit futuritionem oder futuribili-tatem Dei, oder ob die gratia antecedenter ex interna natura oder tantumper praevisionem scientiae dei circa futuribilitatem actus wirksam wird.

9.6.6 Wiederholung des Ganzen als Antwort aufEinwande als Dialog

Simplizius: Lieber Herr: erklare das weniger abstract! Es istzu sagen: ein naiver Mensch, der schon was von der Gnadegehort hat, denkt sich so:

Gott gibt mir Chance. Nun weiß er von Ewigkeit her, obich diese Chance ausnutze oder nicht. Wenn ich den einfachenMann frage: woher weiß er das: er sieht von Ewigkeit, ob ichdiese Chance ausnutze. Mein Ausnutzen oder Nichtausnutzensieht er, weil er alles erkennt, was sein wird, war usw.

Theologe: Du meinst, er weiß dass seine Gnade wirksamwird, weil er das weiß, was ich mache.

Simplizius: Ja so.Theologe: Lieber: das ist keine Haresie aber richtig ist es

nicht.

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

Simplizius: Warum:

Theologe: ja siehste: dann wurde Gott seine Gnade auf gutGluck geben.

Simplizius: Ach: er weiß es ja immer schon, was rauskommt,er sieht was ich damit mache.

Theologe: Fur deinen Haus Gebrauch genugt es. Aber wenngenauer gedacht: musst du einsehen: dass Gott offenbar nichteinmal in einem so logischen Hinterdrein erst von mir her wissenkann, von meinen tatsachlichen Ja oder Nein wissen konnendarf, was an der Gnade herauskommt zu dessen tatsachlichemGeben er sich entschlossen hat.

Denn was ich de facto in Zukunft machen werde, kann er jalogisch gesehen erst wissen, wenn er sich zu bestimmter Gnadeentschlossen hat. In dem logischen Moment, wo er sich dazuentschließt, wusste er nicht, was daraus herauskommt. Und sie-he das geht nicht. Gott kann nicht einmal drauflos handeln, wieder Mensch und sehen was herauskommt.

9.6.6.1 Handeln Gottes und Handeln des Menschen: Gottes Wissenist nicht nachtraglich sondern ursprunggebend

Der Mensch kann ins Unbestimmte hinein handeln, muss und darf es. Eineganze Metaphysik folgt daraus fur den Menschen.

Aber Gott ist nicht so wie ein Mensch. Er muss in seinem ursprungli-chen Handeln der sein, weil er allwissend, souveran, der schon weiß washerauskommt nicht in der Erfahrung des Widerstandes seiner Handlungsondern im Ursprung. Gott kann nicht erst aus der Futuritio, ausdem tatsachlich geschehen werdenden Handeln des Menschen wissen, washerauskommt, sondern schon insofern er die Gnade gibt, oder insofern ersich zu bestimmter Gnade entschließt, und nicht erst aus tatsachlicher Re-aktion, was aus der Gnade durch die Freiheit des Menschen wird.

Der autonome, ursprunglich handelnde Gott muss schon wissen,was aus der Gnade wird, die er gibt, er muss sie als bloß sufficiens,als efficax geben. Die wirksame Gnade ist in actu primo efficax.

Auf deutsch: nichts anderes als das ursprungliche, in sich selber ruhendeWissen Gottes um das, was passiert, wenn er sich zu bestimmtem Handelnentschließt, ein in sich ruhendes Wissen, das seinen Grund nicht in derKreatur, sondern in sich selber haben muss, so dass er weiß, wasder Mensch tut, weil er weiß, dass seine Gnade wirksam ist, undnicht umgekehrt: dass sie wirksam ist, weil er weiß, was der Mensch tut.

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

9.6.6.2 Zusammenfasung

Er weiß den Menschen auch als freien weil er von sich weiß. Wennwir das so sagen, scheinen wir im Grunde dem Molinismus auch dasWasser abgegraben zu haben. Ob das und warum vielleicht nicht, wiesoeine Schwierigkeit gegen diesen darin: spater.

Es musste einigermaßen klar sein, was wir mit der These meinen:gratia in actu primo efficax:

Schon in logischem Voraus zur tatsachlichen Zustimmung desMenschen - ob auch zur bedingt moglichen ist andere Frage - weißGott, indem er seine Gnade gibt, von sich her, ob sie wirksam ist oder nichtund weiß darum, wie der Mensch auf diese Gnade reagieren wird.

Und darum hat er, die weil er seine Gnade so wissend um ihre Efficacitatgibt auch noch die Freiheit des Menschen, die nicht aufgehoben ist, und Ver-antwortung ihm lasst in der Souveranitat seiner eigenen Freiheit umschlos-

sen.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

WissenGottes

menschlicherAkt

possibile

SSI

scientiasimplicis

intelligentiae

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqtatsachlichzukunftig

futurum

moglich

SV

Scientiavisionis

futuribile

bedingtzukunftig

cognitio futuribilium

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqScientia Media

MolinaBanez

SM

15.3.1957 Vorlesung 49 (16.These Fortsetzung)

Wiederholung Wir haben These 16 angefangen und uberlegt, welche Be-griffe zum Verstandnis notwendig sind. Der eigentliche Akzent liegt aufdem in actu primo, dass es wirksame Gnade gibt ist klar. Dass wir zwi-schen einer efficacia virtutis (wirkkraftige Gnade, vere sufficiens praecisivesumpta) und efficacia connexionis (wirksame Gnade, de facto efficax) un-terscheiden mussen, ist nicht schwer. Jede, die wirkliches Konnen gibt, hatWirkkraft in sich. Gratia virtutis, die naturlich, wenn wir sagen sie ist wirk-lich zureichend, auch der hinreichenden zukommt. Wenn wir von wirksamersprechen: jene Gnade die tatsachlich verbunden ist mit Wirksamkeit, aufdie der Mensch in Freiheit eingeht (=efficacia connexionis).

Da wir in dieser These behaupten, die Wirksamkeit der Gnade sei nichtbloß dadurch gegeben, dass der Mensch in der Ordnung der tatsachlichenFreiheit und wirklichen konkreten Zustimmung zustimme und Gott dieses

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

naturlich vorauswisse, wenn es Wirklichkeit ist, und daher wisse, dass dieGnade selber wirksam ist, sondern dass die Gnade selber als wirksame undvon Gott gewusste als solche und, in richtig verstandenem Sinn, als solchegewollte gegeben werde, mindesten schon antecedenter ad futuritionem ac-tus.

Schon insofern sich Gott zur Gabe einer bestimmten Gnade entschließt,weiß er, ob diese Gnade wirksam ist, ist sie deshalb auch objektiv wirksam,und wird von Gott als eine solche gegeben. Wir haben gesagt man kannlogisch, wenn auch nicht zeitlich, hinsichtlich Verleihung einer Gnade dreiMomente und so auch drei Weisen des gottlichen Erkennens unterscheiden:Possibilia mit SSJ, futuribilia mit der Erkenntnis circa ea, 3. libera futuramit SV.

Wenn wir sagen gratia ist in actu primo efficax haec cognoscitive ac-cepta praecedit saltem futuritionem, das heißt auch cognitionem visionisdivini antecedenter ad factum collationis definitive volitae antecedenter adscientiam visionis deus sciet hanc gratiam esse efficacem und von Gott sogegeben.

Ob die gratia auch antecedenter ad futuribilitatem sit efficax und soschon unterschieden, darin wird hier nichts unterschieden: hier nur was inden Schulen gemeinsam ist.

9.6.7 Diese These wird auch von den Molinistengehalten, wenn auch oft falsch dargestellt

Diese These ist insofern auch wichtig, weil der Molinismus sehr oft so dar-gestellt wird, als ob Gott nur aus tatsachlicher freier Zustimmung des Men-schen wisse, ob seine Gnade wirksame ist oder nicht und als ob Gott imMolinismus blind seine Gnade zu geben sich entschließen und nur aus demfaktischen Resultat in der konkreten Ordnung durch SV wisse, was aus derGnade werde. Das ist falsch. Alle Schulen in der katholischen Theologie,auch der Molinismus, kennt eine Gnade, die, insofern sie von Gott gegebenwird, sich schon unterscheidet in der Gnade, ob sie eine bloß zu reichendeoder tatsachlich wirksame ist.

Insofern die Gnade von Gott gegeben wird, gibt er dem einen eine bloßzureichende und dem anderen tatsachlich wirksame, und weiß das vorausund kennt den Unterschied, und will ihn auch.

9.6.7.1 Der eine gerettet, der andere nicht: weil Gott die gratiaefficax nur dem einen gibt

Deshalb wenn einer fragt warum doch letztlich einer gerettet wird undder andere nicht: wenn es solche gibt: Antwort: weil Gott in einem gra-

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

tia efficax zu geben beschlossen hat und dem anderen vere aber meresufficientem. Es ist wahr: den einen rettet er, weil er frei aufnimmt, denanderen nicht: weil er nicht aufnimmt, was er aufgenommen hat und nichthatte zuruckweisen brauchen. Aber diese Unterscheidung von Seitendes Menschen ist wahr, aber nicht die letzte Antwort die wir gebenkonnen und mussen, sondern wir mussen diesen Unterschied, dass volun-tas humana infallibiliter facit das eine oder andere, dieses discrimen: indiscretione dei habetur.

9.6.7.2 Es muss aber doch Unterschied sein von Seiten Gottes: nichtin gleicher Weise, weil von Seiten des Menschen nicht gleich

Nolle non eodem modo a deo quam velle est a deo. Spater: klas-sischer Banez: fur unser Verstandnis zu einseitig: das Nein und das Jades Menschen in gleicher Weise auf Gott zuruckfuhrt, weil und insofernin beiden Fallen nach Banezianismus praemotio physica zu diesem oderanderem Akt Voraussetzung oder notwendige Bedingung ist.

Solche metaphysisch klare Konzeption ist doch letztlich hinsichtlich desreligiosen Menschen, des echten existentiellen Vollzugs Gott gegenuber,nicht richtig, weil man von dieser richtigen, geschopflichen Positionaus, einsieht, dass der Mensch in anderer Weise sagen muss: wenn ichmich zum Guten entscheide, ist das deine Gnade und Folge deinerErwahlung, als wenn er sich zum Bosen gegen Gott entscheidet, ersagen kann: das ist die Folge deiner Entscheidung.

Nicht nur insofern nicht richtig, was jeder zugibt, als der eine dem ge-setzgeberischen Willen Gottes entsprechend, und der andere nicht, sondernauch im Verhalten Gottes als desjenigen der die geschopfliche Tattragt, muss Unterschied sein.

9.6.7.3 Als Konkurs in derselben Ordnung, Als sollicitatio nicht inderselben Ordnung: Versuch einer Metaphysik dazu

Wir konnen nicht sagen: Nein und Ja zu Gott ist in der Ordnungder Wirksamkeit Gottes nicht in derselben Ordnung. Naturlich in derLinie der Kooperatio: Ist Kontkurs.

Aber die sollicitato zu diesem Akt ist zweifellos eine andere wiezum guten Akt. Vielleicht ist dazu die Metaphysik nicht so durch-sichtig, aber offenbar ist diese Betrachtung wahrer, weil dem wirklichenBegriff Gottes entsprechender.

Weil und insofern die Gnade Gottes, die wirksam ist, als eine wirksamevon Gott voraus gesehen und gegeben wird, ist der Akt des Heiles, den derMensch wirkt, als der nicht bloß mogliche, sondern getane, ein Geschenk

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

Gottes, das Gottes Kraft preist, so dass der Mensch noch mal das letzte vonsich, seine freie Entscheidung, aus mehreren Moglichkeiten: wenn siegut ist auf Gott so zuruckfuhren muss, wie er seine schlechte Ent-scheidung auf Gott nicht im selben Sinn und Maße zuruckfuhrenkann.

Warum da ein Unterschied besteht, ist vielleicht nicht so ganzdurchsichtig. Immerhin konnen wir sagen was auch Banez Thomisten sa-gen: der Unterschied ist darin begrundet, dass der gute und der schlech-te Akt nicht zwei spiegelgleiche Moglichkeiten des Handelns sind,die sich nur moralisch voneinander unterscheiden. Weil sie sich so unter-scheiden und alles Moralische ein Seiendes ist, unterscheiden sich diesebeiden auch ontisch, sie sind nicht einfach verschieden wie eine schwar-ze und eine weise Wand, nicht einfach gegensatzliche Qualitaten, aber sodass sie gleichwertig waren ontologisch, sondern der eine Akt ist derverkruppelte Negative gegenuber dem anderen Akt.

Wie genauer in einer Metaphysik der geistigen Transzendenz undder verweigerten Transzendenz, worin die Sunde besteht, brauchen wirnicht beachten. Hier reicht es insofern die beiden Akte, das Ja und das Nein,das diese geistliche Endlichkeit in sich selbst abschließt und ontologischnicht von selber Qualitat, und darin ist die Mitwirkung Gottes zusolchem Akt in beiden nicht dieselbe.

9.6.7.4 Von da aus: Losungsrichtung nennbar, aber beachteUnterschied Banez und Molina

Von da aus kann man - nicht durchschauen - aber eine Losungsrichtungnennen, dass namlich der Mensch seinen Akt des Nein zu Gott,nicht nur weil er Angst hat, nicht so auf Gott zuruckfuhren kann wie denGlaubensakt, sondern auch weil sie ontologisch von verschiedenerGestuftheit wesentlich verschiedener Art sind.

Dass wir bei der gratia efficax in actu primo ein cognoscitives, affektives,volitives unterscheiden mussen, ist klar. Soll sein, als solche erkannt, undals solche gewollt.

• 1. Wodurch sie iam actu primo efficax ist: Daruber hier nichts.• 2. Gratia in actu primo efficax und ex natura interna efficax

ist nicht dasselbe.Beim Banezianismus: weil sie in geschopflichem Sein anders ist als

die andere. Beim Molinismus: gratia in actu primo efficax, aber nicht ausinnerer Natur heraus, sondern darum: antecedenter ad futuritionem, weilsie durch die scientia media von Gott als efficax gewusst und gegeben wird.

Weil Gott die futuribilia vorausweiß, weiß er zu welchen Umstanden dieGnade gehort der ein bestimmtes freies Subjekt zustimmen wurde oder

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

nicht. Sie kann schon von Gott erkannt werden, nicht aus innerer Natur,aber antecedenter zur futuritio dieses Aktes. Aber das geht uns noch nichtsan.

9.6.8 Zur infallibilitas: Dreifacher Aspekt

Dreifacher Respekt der infallibilitas: objektiva, cognoscitiva, affectiva.

9.6.8.1 Zwingt nicht den Menschen, Freiheit bleibt erhalten

Sie mussen sich klarmachen, wenn wir von unfehlbar wirksamer Gnadesprechen, dass das nicht bedeutet: sie zwingt den Menschen. Zwingendphysikalisch wirksam und unfehlbar wirksam sind nicht dasselbe. Es gibtunfehlbar wirksame Gnade wegen und trotz und in der Gnade. Diese Un-fehlbarkeit wird in verschiedenen Schulen verschieden erklart. Aber alle:dass sie nicht deshalb unfehlbar ist weil sie den Menschen zwingt. Sondernobwohl der Mensch ihr gegenuber wirklich und wahrhaft frei ist.

Nicht wirksam indem sie den Willen des Menschen dazu zwingt, sondernweil der Mensch zustimmt, aber so dass diese Zustimmung schon antece-denter zum Zustimmen mitgegeben ist mit der Gnade.

Scheint ein Widerspruch, gehort aber zum Geheimnis des Zusam-menwirkens von Gnade und Freiheit.

Banezianismus: hat als praemotio physica infallibiliter den actus libermit sich und macht, dass er frei gesetzt wird.

Molinismus: weil und insofern Gott in scientia media weiß, welchervon der futuriblen Freiheit des Menschen vorausweiß, welcher Gnade derMensch zustimmen wurde wenn er sie bekame, weil Gott und insofern dasaus der Freiheit des Menschen weiß (wenn auch bedingt zukunftig) hat eres in der Hand, diese zu geben, ohne dass die Freiheit angetastet wird.

Naturlich ist hier die Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit leich-ter einzusehen, aber doch wieder andere Schwierigkeiten: nicht dasam leichtesten Einsehbare ist das beste.

Das zur Erklarung dieser These.

Efficacia connexionis ist zu betrachten: in actu secundo betrachtbar: con-sequenter ad actum salutarem realem hominis. In actu primo: das Moment,das consequenter ad actum salutarem und antecedenter scheidet. Das istbei uns die futuritio actus humani. Ob auch die futuribilitas zu den conse-quentia gehort oder nicht, befindet diese These nicht.

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

9.6.9 In welchem Sinn will Gott die Wirksamkeit derGnade im Voraus

Die dreifache Sicht haben wir auch gesehen (obiectiva, cognoscitiva, affec-tiva)

Nun ist noch genauer zu prazisieren, in welchem Sinn Gott die efficaciagratiae im Voraus will.

9.6.9.1 Nicht: weil sie nur hinreichend ist. Ware gegen Heilswillen

Dass es gratia efficax in actu primo gibt und geben muss, dafur habenwir in letzter Stunde die religios logischen Grunde schon genannt. Wirgreifen darauf zuruck. Wenn eine Gnade in actu primo efficax ist, Gott dasauch schon weiß antecedenter ad decretum suum conferendi hancplus quam aliam: ist klar. Hinsichtlich der beiden ersten Momente in derefficacitas ist nichts mehr zu sagen.

Schwierigkeit macht das dritte Moment (affectiva). Wir sagen auchnach Molina gibt Gott diese Gnade die er als wirksame in actu Primovoraus weiß, auch als solche. Genauer und praziser: es muss genauer gesehenwerden, was solcher Akt notwendigerweise sagt, und was er vielleicht auchnoch sagt, aber nicht notwendigerweise.

Wenn wir sagen Gott will die gratia efficax in actu primo praevisa uttalem, non necessario dicimus, gratiam a deo praecise praeeligi prae suffi-cientem. Und wir sagen das nicht deswegen ohne weiteres, sonst auch ohneweiteres mere sufficiens eligi a deo praecise quia est mere sufficiens.

Wenn wir sagen Gott will wirksame Gnade gerade weil sie und insofernsie nicht rein hinreichend ist, dann auch konsequenterweise: Gott will, wahltdie bloß hinreichende Gnade aus, weil sie nur hinreichend ist. Weil aber ausGrunden (allgemeiner Heilswille usw. genauer nicht) wir das nicht sagenkonnen, weil wir reprobatio antecedens etsi negativa fur unvereinbar mitHeilswillen Gottes ansehen, darum konnen wir hier in Schultheologienicht sagen: Gott gab einem bestimmten Menschen die bloß zureichendeGnade ausgerechnet aus dem Motiv, dass sie nur hinreichend ist.

Denn dann wurde er fur unser Verstandnis (positive oder negative re-probatio) ob reprobatio oder Auslassen in der Pradestination ad gloriamgenannt, sagen mussen: weil Gott das Heil dieses Menschen nicht will,sucht er aus diesem Motiv die hinreichende Gnade als bloß hinreichendeaus, und weil sie das bloß ist.

Damit aber Glaubens Wahrheit von echtem, ehrlichem und tatigemHeilswillen Gottes allen gegenuber nicht mehr aufrecht haltbar.

Weil wir nicht sagen konnen: Gott sucht bloß hinreichende Gnade ausdem Motiv aus, weil sie bloß hinreichend ist, konnen wir auch nicht sagen,

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Gott sucht Gnade, die wirksam ist, aus, weil sie wirksam ist.

9.6.9.2 Trotzdem: Wirksame Gnade ist beneficium maius

Dennoch, so meinen wir wenigstens (dunkel ist das) konnen wir, wenn wirdas nicht sagen gerade und ehrlich: wenn Gott wirksame Gnade als solchevoraus weiß, sie schon als wirksam im Akt des Gebens dieser Gnade erkennt,dann will er sie auch als solche. Daraus ergibt sich, dass auch wir sagenkonnen und mussen: wenn Gott einem eine wirksame Gnade gibt, gibt erihm auch ein beneficium maius, nicht nur objektive und materialitertale, sondern auch subiective, affective, formaliter tale.

Religios: wenn Gott mir die Gnade gibt, nicht bloß Priester werdenzu konnen, sondern die Gnade gibt, es tatsachlich zu werden - wir setzenvoraus, dass das eine Gnade ist fur den Menschen, was angenommen werdenkann fur die meisten, wenn er sich nicht solche Berufung zuschreibt, die ernicht hat, wenn Gott also das tatsachlich zu erreichen gibt - dann darfdieser Mensch nicht sagen: lieber Gott, du hast mir zwar eine solche dazuwirksame Gnade gegeben und du hast das naturlich vorausgewusst, aberdeshalb und insofern das Priestertum eine Gnade ist, hast du mir objektivgroßere Huld erwiesen als wenn du sie versagt hattest. - - er kann nichtfortfahren: aber dir war es gleichgultig, ob du diese oder jenegibst. Insofern objektiv eine großere gegeben, aber subjektiv kann ich nichtsagen: Gott hat mich mehr geliebt als wenn er sie nicht gegeben hatte.

So kann man nicht sprechen. Jeder vernunftige Christ empfindetselbstverstandlich diese objektiv großere Wohltat der gratia efficax als Ma-nifestation eines subjektiv radikaleren Heilswillens Gottes. Das be-deutet aber zweifellos dass wir sagen mussen Gott will die wirksame Gnadeauch als solche.

9.6.9.3 Bedeutet aber nicht: Gott will sie, weil sie wirksam ist: istnicht Motiv

Aber das bedeutet fur uns eben wieder nicht: Gott will die wirksameGnade gerade deshalb, weil sie wirksam ist. Das Moment der efficacia istein Gegenstand auch der gottlichen Liebe, des gottlichen Heilswillens undnicht bloß eine Moglichkeit an der Objektivitat dieser Gnade. Aber nochnicht zu sagen, das Moment der Wirksamkeit ist das Moment, dasdas Motiv abgibt fur Gott, eher diese Gnade als andere auszuwahlen.

Efficacia est volita sed non ratio propter quam deus eam vult.Man kann etwas wollen mit gutiger Gesinnung, ohne dass dieses das Ent-scheidende, Bewegende, eher diesen als anderen Akt zu wollen, sein muss.

Wir mussen in gewissem Sinn subtil, einen Mittelweg suchen. Nicht bloß

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

Spitzfindigkeit, sondern darin begrundet, dass man beides tun muss: Heil,wo es Wirklichkeit wird, als solches auf den Willen Gottes zuruckzufuh-ren, und Unheil, wo es wirklich wird, nicht auf diesen bestimmendenWillen Gottes zuruckzufuhren.

Beides scheint nur verwirklichbar, wenn wir es so formulie-ren, wie wir es hier gemacht haben.

9.6.10 Zusammenfassung

Momentum affectivum: macht diese Gnade großeres beneficiumnicht nur materiale sondern formale, aber dies ist nicht Motiv,dass Gott diese vor der anderen auswahlt. Denn dann: Gott an-tecedenter ad praevisa merita will schon das Nicht-Heil gewisser.Das widerspricht der Allgemeinheit des Heilswillens.

9.6.10.1 Adversarii:

erstens Semipelagiani: die glauben (das ist wichtig fur unseren Beweis),geben zu: Gott gibt Gnade dass der Mensch heilshandeln kann. Aber allerUnterschied zwischen Guten und Bosen kommt nur aus dem Willen desMenschen und nicht aus Gott.

Nach den Pelagianern schmeißt Gott unbesehen die Instrumente desHeils vom Himmel herunter: benutzt sie, rauft euch drum. Wer sie benutzt,kommt in den Himmel, wer nicht in die Holle. Ich werde schon sehen, wasaus zur Verfugung stellen des himmlischen Arsenals herauskommt.

Das ist im Grunde deistisch irgendwie. Wirkliche Welt der Freiheit istaußerhalb der Geplantheit von Seiten Gottes gestellt, die die Freiheit desMenschen nicht bloß aufrecht erhalt, sondern sie von Gott emanzipiert, sodass Gott nur der Abwartende, Registrierende ist, der die Konsequenzenmacht aus dieser nicht besorgten Welt.

Das war was den Augustinus auf die Palme brachte und als unmoglicheGnadenauffassung erscheinen ließ.

Dann ist naturlich eo ipso gegeben und bei den Semipelagianern ausge-sprochen und etwas woran sich der Protest des Augustinus entzundete: daware auch endliche faktische Beharrlichkeit im Guten ein Werk des Men-schen und konnte nicht mehr Gnade Gottes sein. Gott hat die Moglichkeitbereitgestellt. Ob ich sie benutze, ist Werk des Menschen.

20.3.1957 Vorlesung 50

Wir stehen noch bei der 16. These

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

Was das bedeutet musste klar geworden sein. Wir stehen bei der Vorfuh-rung der Gegner. Klassischer Gegner: Semipelagianer. Sie leugnen solcheMoglichkeit, dass sie behaupten, dass die Gnade von Seiten Gottes, weil erkeinen Unterschied zwischen den Menschen mache in ganz gleicher Weisegegeben wird, so dass der Unterschied bloß vom tatsachlichen Zustimmendes Menschen komme, so dass ein Unterschied im Heilswillen Gottes selbstnicht gegeben sei. Dagegen hat sich Augustinus immer gewehrt.

Einbiegungen und Verbiegungen der uberlieferten Lehre da und dortinsofern es auch unter den Katholiken immer wieder Leute gibt, die de factoso reden, als ob der Unterschied in der Heilswirkung der Gnade bloß vonder Zustimmung des Menschen abhange.

Wenn in der Verkundigung: kann es nicht tragisch genommen wer-den, weil es nicht notwendig ist, dass immer alles gesagt wird. Der parane-thische Zweck der Ermunterung berechtigt dazu, nicht immer ausdrucklichzu sagen, dass die Gnade nicht nur vom Menschen angenommen und abge-lehnt werden kann, braucht man nicht immer dazusagen, dass sie, insofernsie von Gott ausgeht, verschieden ist.

Solche Einbiegung auch theoretisch eingebaut in den synkretistischenGnadesystemen des 17. und 18. Jahrhunderts: Sorbonne, AlfonsLiguori zu vermitteln zwischen Banez und Molina: dass die Gnade, dieman zu gewissen leichten Heilswerken (z. B. Gebet) insofern sie von Gottausgeht, allen gleich angeboten werden. Spater sehen wir das genauer.

Synkretistisch: weil sie teils vom falsch verstandenen Molinismus undteils von Banez weitere Lehre synkretistisch zusammenbauen wollen. Dazugehoren merkwurdigerweise auch Augustinus und die Jansenisten.

Infralapsarisch fordern sie wirksame Gnade: aber Unterschied zwischenwirksamer und sufficienter fur die supralapsarische vernachlassigt. Augus-tinus redete so als ob ein adiutorium sine quo non gegeben wurde, welchesanzunehmen oder abzulehnen rein in der paradiesischen Integritats-Freiheitdes Adam gewesen ware, eine Gnade die bloß durch den Menschen abge-lehnt wird und die genau so gut hatte angenommen werden konnen, sodassvon Seiten Gottes kein Unterschied gewesen ware, wenn Gott ihm eine Gna-de verliehen hatte, standhaft zu bleiben gegen die Versuchung von Seitendes Teufels.

Fur die Paradiesische Ordnung also, wo er nicht unter Antrieb der Kon-kupiszenz steht, wird von diesen vernachlassigt oder ausdrucklich geleug-net. Das gilt auch fur die Augustiner Schule des 17. bis 18. Jahrhunderts.

9.6.10.2 Qualificatio

: wir mussen, weil wir den synkretistischen Gnadensystemen des heiligenAlfons von Liguori und der Sorbonne, die nicht von der Kirche verdammt

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

sind, weil wir denen nicht eine theologische Zensur erteilen durfen, nuan-cieren:

Hinsichtlich der nachparadiesischen Ordnung und aufs Ganze derGnade Hilfe gesehen und hinsichtlich der entscheidenden Heils Werke ist dieThese theologisch sicher, wegen consensus der Theologen, der auf wesent-lichen Argumenten auch aus der Schrift beruht. Hinsichtlich supralapsa-rischer und leichter Heils Werke: theologische Zensur nicht gebbar,rein spekulativ scheint uns diese These auch dafur gultig zu sein,weil spekulativ angesichts des Wissens Gottes Freiheit und Gnade nichtUnterschied machen kann: entweder ist Gott der Gott der die Freiheit desMenschen noch mal in seiner Macht hat, sie nicht durch die Gnade zerstortalso im Voraus schon seine Gnade gibt, dann in allen Fallen.

Unterschied zu machen ist von einer Theologie her unmoglich: entwederes gibt sie, dann gibt es sie immer, oder nicht, dann ist sie uberhauptunmoglich und es kann sie nicht geben.

Andere Frage: ob Gnadensystem des Alfons in einer existentiel-len Blickrichtung, kerygmatischer Sicht einen sinnvollen Gedanken sagtund aussprechen will, wenn er sagt: Gott gibt dir auf jedenfall die Gnadedes Gebets, benutze sie, dann kommst du weiter:

Fur den Menschen, der handeln muss, ist das richtig. Denn der Mensch istder, der die Gnade Gottes pflichtmaßig voraussetzen muss, und im vorausdazu, dass er feststellt - Aha, ich habe sie - handeln muss, laufen muss undgleichsam hinterher konstatieren muss: ich hatte das nicht gekonnt, wennnicht die Gnade eine hinreichende gewesen ware. Er kann nicht sagen: ichhabe vielleicht nur sufficiens und kann und werde nichts machen. Er istder in Ubergang von Konnen zu Tun stehende, er kann nicht die Maschineabstellen und reflektieren, weil solche Reflexion auf seine Moglichkeitenwesentlich der Kreatur als Endlicher versagt ist und bleiben muss. So kannder Alfons sagen: bete und dann wird die Geschichte weitergehen.

Spekulativ kann man das nicht sagen: die Gnade des faktischenGebets war eine von Gott her verschiedene Gnade, von der wenn er gewollthatte, aber es de facto nicht getan hat.

9.6.10.3 Beweis:

Lehre der Kirche: Eigentlich haben wir das Wichtigste schon in der zwei-ten These gesagt. Voluntas salvifica dei non est aequalis circa omnes. Dort:dass sie zunachst die Incomprehensibilitat der Liebe Gottes je fur das Indi-viduum ineffabile, das der einzelne ist, bedeutet, und das Gnadenmaß alsvergleichbare Große secundar ist.

Am Donnerstag schon, dass wir wissen dass einzelne sundigen, wo sienicht mussten: insofern ist klar dass Gott manchen die Gnade gegeben

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

hat, nicht zu sundigen und diese anderen nicht gegeben hat, obwohl sie dieGnade nicht sundigen zu brauchen haben.

Das implizierte diese These von der wir hier sprechen: Ungleich kannein Heilswille nur sein, wenn im Letzten die Wirkung dieses Willens vonGott her verschieden ist und nicht vom Menschen her. Wenn er gleichanbieten wurde und der Unterschied nur vom Menschen kame, konnte mannicht sagen, dass der Heilswille verschieden ware, nur die Wirkung waredann verschieden. Von der Schrift sind wir aber immer wieder aufmerksamgemacht auf diesen Unterschied. Der Mensch wird gedemutigt, indem inder Schrift gesagt wird, dass er nach seinem Wohlgefallen Gnade verteilt,dass Gott das macht, was er will, dass er inpallable Instanz ist.

Das ist nur sagbar, wenn und insofern diese These richtig ist. Ware dasnicht wurde die Ungleichheit Gottes selbst dahinfallen. Hinsichtlich Kir-chenlehre und Lehre der Schrift geltend.

Lehre der Kirche: Paul V., congregationes de auxiliis, Beratungen uberden Gnadenstreit abbrechen lassend festgestellt, dass eine Entscheidungim Augenblick nicht notwendig sei, weil alle Schulen einig sind, dass dieGnade in actu primo efficax sei, anders ausgedruckt aber derselbe Sinn.Dass Gott flectere voluntatem usw. vermag. Dass uber die Grundwahrheitdes Eingefangenbleibens der Freiheit des Menschen in den gottlichen Willendie katholischen Schulen einig seien und nur in der genaueren Erklarungsich unterscheiden.

Das ist auch wichtig fur die Theologen, die sich anschicken, den Molinis-mus zu erklaren. Dort wo von nichtmolinistischer Seite diese Tatsache nichtmehr deutlich bleibt, sieht man deutlich, dass der Molinismus nicht richtigerklart ist. Ein Molinismus, der diese These nicht aufrechthielte, ware keinMolinismus.

Diese Erklarung Pauls V. kann man nicht als lehramtliche Entscheidungbezeichnen: nur ein Indiz, dass in dieser Grundposition die katholischenSchulen einig sind. Das supponiert der Papst als Tatsache. Er sagt nicht,dass man das sein musse. Nur indirekt entnehmbar und nur mit gewissemGrad von Wahrscheinlichkeit. Er hatte Molinismus nicht freigegeben, wenndiese Tatsache dort nicht bestehen wurde. Das ist nur indirekte Sache, dietheologische Qualifikation fur sich nicht bedeutet. Aber wenn er fest stellt,dass diese Schulen in dieser Frage einig sind, bedeutet das einen Consensus,der fur theologische certitudo ausreicht.

Schrift: auf Romer 9, 6-24 schon hingewiesen, auch schon in zweiter The-se, ebenso auf Ezechiel. Gott gibt von sich aus das neue fleischliche, nichtversteinerte Herz. Er betrachtet das tatsachliche Heilswirken des Menschenals seine gottliche Tat. So ist es bei Paulus und schon im alten Bund. Man

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9.6 These 16. Es gibt in actu primo unfehlbar wirksame Gnade

kann sich Gott nicht anders denken, wenn die Kreatur bei all ihrer Verant-wortung, wenn die Kreatur nicht die autonome Gott gegenuber sein soll,wo sollte sie stehen als bedingte, um so Gott gegenuber stehen zu konnen.Da das nicht geht, ist es klar, dass es solche autonomen Freiheit Gott ge-genuber nicht geben kann. Das bedeutet was wir, in anderer Formulierung,hier aussagen.

Kirchenvater: Insofern der Christ immer schon gebetet hat: ut deus detcor novum, se ad nos trahet efficaciter, nicht nur das Wollen sondern dasVollbringen gibt. Insofern Patres, wenn auch nicht immer so reflex undbegrifflich in diese Sache intendeant, praktisch doch gelehrt. Augustinus:explizit erkannt und gelehrt gegen Pelagianer und Semipelagianer.

Das reicht uber diese Sache, weil das, was uber die ratio theologica undexistentielles Moment zu sagen ist, schon in der introductio in diese Thesegesagt wurde.

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9 Freiheit, Mitwirkung des Menschen mit der Rechtfertigungsgnade

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10 Freiheit, ScholastischeDisputation

10.1 These 17 Banez

noch 20.3.1957 These 17

These 17. Infallibilis connexio gratiae efficacis cum consensu volun-tatis explicari nequit per praedeterminationem physicam.

Praedeterminatio physica kann den unfehlbaren Zusammenhangzwischen wirksamer Gnade und Zustimmung (consensus) desWillens nicht erklaren

10.1.1 Allgemeine Problematik

Nun, damit kommen wir jetzt, nachdem wir das von der Kirche hin-sichtlich Zusammenwirken von Gnade und Freiheit Gelehrte, definitivGelehrte oder allgemein Gelehrte gelernt haben, dass es Freiheit auchunter der Gnade gibt, dass es wirkliche, wenn auch bloß hinreichendeGnade gibt, dass die noch wirkliches Geschenk eines wahren Heils-willens Gottes ist und dass doch die wirksame von Gott her schonwas anderes ist als die zureichende, kommen wir jetzt in die innerhalbder Kirche moglichen verschiedenen Erklarungen hinsichtlich dieserFrage: concordia inter liberum arbitrium et gratiam.

Man kann sich naturlich von vorneherein uber die Grenze der Moglich-keiten einer weiteren spekulativen Aufhellung dieser Fragen im klarensein. Es ist von vorneherein klar, dass hier Grenzen vorhanden sind.

Man darf sich die Sache nicht billig machen und sagen, das sindGeheimnisse. Es hat keinen Wert, sich den Kopf zu zerbrechen.So einfach ist es nicht. Wo man einen Punkt macht, dort wo esschwer ist, hat man es leicht, aber ob man das getan hat, wasGott will, ist eine andere Frage.

Aber wir konnen zweifellos sagen, hier in dieser Frage sind vonvorneherein sehr wesentliche Grenzen zu erwarten. Es ist einfacheinzusehen, wo eine Wirklichkeit A nur von der Wirklichkeit B

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

erkannt wird, und wo diese Wirklichkeit A aus ihrem Wesenheraus absolut inkommensurabel mit B ist, also gar nicht un-ter ein eigentliches univokes System auf dritten Nenner, der Aund B uberbietet, gebracht werden kann, da muss uberall dort,wo dieses Verhaltnis zwischen A und B in Frage kommt, dieseSchwierigkeit bestehen. Und so ist es gerade.

Ich weiß, dass Gott existiert. Habe einen Begriff von Gott, wuss-te es ja nicht, wenn ich mir von dem, den ich so denke, nichtwas vorstellen wurde und nicht so, dass ich ihn von anderen un-terscheiden kann, aber obwohl ich das habe, habe ich doch nuranalogen Begriff von Gott, und zwar aus der Welt. Damit istaber gegeben, dass ich nun nicht gleichsam von einer hoherenWarte aus, die auf Gott und auf die Welt von einer Position, dievon Gott und der Welt verschieden ware, her, auf das Verhalt-nis zwischen Gott und Welt reflektieren kann, und wenn ich dasnicht kann, ist ein eigentliches Durchschauen dieses Verhaltnis-ses zwischen Gott und Welt von vorneherein unmoglich.

Nur dort und dann, wenn Gott kein Geheimnis ware, konnte mirdas Verhaltnis kein Geheimnis sein.• Dazu kommt, dass es sich hier nicht um Welt in gewohn-

lichem Sinn handelt sondern um Welt, die Geist, Subjektund Freiheit ist, radikaleste Aufgipfelung des Wesens desGeschopfes, und

• dass dort die Undurchschaubarkeit des Verhaltnisses zwi-schen Gott und Welt ebenso ihren Gipfel erreichen mussund neue Schwierigkeit haben muss,– so wie das Verhaltnis von Geschopflichkeit hinsichtlich

bloß Vorhandenem– und hinsichtlich geistig Personalem zu durchschauen

selbst Schwierigkeit macht,• dann ist selber das Verhaltnis zwischen Gott und Geschopf

uber das Allgemeine von Endlichem und Unendlichem hin-aus, noch mal unauflosbares Problem,– weil der Mensch sich selber schon Geheimnis ist, min-

destens weil er die eigene ursprungliche Freiheit nichtzu absoluter Reflexion bringen kann, reflektiv nicht ein-holen kann und weil gerade er so im Verhaltnis zu Gottals Gott in Frage kommt.∗ Z. B. wollte ich dieses positiv erkennen, dann konnte

ich das nur daraus, dass ich sehe, wie etwas aus derUrsache notwendig folgt.

∗ Nun kann ich aber Gott nur aus den Geschopfen er-

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10.1 These 17 Banez

kennen.∗ Also kann ich auch dieses Verhaltnis nicht erkennen

in seinem Wie,· so wie es immer nur negativ von der Seite, dass es

so was gibt, eingrenzbar ist,· dass es neben dem Unendlichen ein Endliches geben

kann und dieses kein Neben ist,so wie es im Allgemeinen ist, dass das Geschopf im selben Maße

seiend und abhangig ist von Gott aus gesehen,• die Positivitat und Negativitat des Geschopfs im Verhaltnis

zu Gott im gleichen, nicht im umgekehrten Maße wachsen• (schon oft gesagt: ohne das kann man katholische analogia

entis nicht verstehen).– Allmahlich sollte man das kapiert haben,– wo schon Karl Barth das selber einsieht und selbst lehrt,

• dass das Geschopf im selben Maße wirklich ist und abhangigist,

• dass im Verhaltnis zu Gott mehr Sein, mehr Wirklichkeit,nicht weniger Verfugtheit und weniger Abhangigkeit, son-dern umgekehrt: mehr Abhangigkeit ein Plus an Selbstan-digkeit bedeutet.

Diese im Grunde selbstverstandliche Konsequenz aus dem, wasanalogia entis heißt, ist in der katholischen Theologie auchmanchmal nicht genugend eingesehen.In der Christologie: immer wieder sehbar, dass man meint:

Christus musse, um naher bei Gott zu sein, weniger sichselber gehoren.

Dann kommen diese komischen Probleme, die alle Schein-probleme sind, wie Christus menschliche Freiheit habenkonne, obwohl sie hypostatisch mit dem Logos verbundenist.

Nein! Gerade weil er mehr mit Gott verbunden ist, ist ermehr Mensch.

Er hat keine menschliche Personalitat ist im Grunde nurLeugnung einer Negation, nicht Negativitat.• Unsere Personalitat als unsere ist immer Positivitat und

Negativitat.• Insofern sie Christus nicht hat sondern in der Persona-

litat des Logos subsistiert, ist ihm nur die Negativitatgenommen.

Naturlich musste man unsere Personalitat nicht in der Ne-gativitat konzipieren (auch nicht so wie bei Tiphanus), dass

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

man das nicht einsieht,sondern sie musste so gefasst sein, dass wenn man unsere

ins Radikale gesteigert versteht, sie die Angenommenheitvon der Person des Logos bedeutet.

Hier haben wir es mit einem Prinzip zu tun, das durch die gan-ze Theologie hindurchgeht, das zum fundamentalsten Verstand-nis uberall, in der Christologie, in der Mariologie, derFreiheits-Lehre usw. gehort.Mariologie in der die Positivitat, die die Kirche Maria zu-

schreibt, nur eine innermenschliche Aufgipfelung eines posi-tiven Verstandnisses ist, das darin besteht, dass man Gottnicht die Ehre nimmt, wenn man das Geschopf ehrt, nichtGott dadurch ehrt, dass man ein Geschopf klein macht.Nicht dadurch, dass der Mensch behauptet, er habe nichts,ehrt er Gott, sondern dadurch, dass er alles Gott zuschreibt.

Weil wir nicht da etwas abziehen konnen, um da mehr zuhaben, darum ist das Verhaltnis souveranerer Freiheits-verfugung Gottes und echter Freiheit der Kreatureben nicht durch Ausgleich herbeizufuhren, durch gegen-seitiges Zu- und Abgeben und darum bleibt es eben einGeheimnis.

Ob von daher man vielleicht nachweisen konnte, dass im Grundegenommen beide Gnadensysteme schon mehr sagen, als mansagen kann, mag dahingestellt bleiben.• Man musste, wenn man das behauptet, es deutlich be-

weisen. Unwahrscheinlich scheint es mir nicht zu sein.• Da wir aber in der Schule nicht nur die Aufgabe haben,

die traditionelle Theologie vorzutragen, sondern auch zuverstehen, und bevor man das getan hat, ist von sinnvollerKritik daran keine Rede.

• Methodisch richtiger ist, wenn wir da nicht auf eigene Faustan diesem Punkt weiter bohren und sagen: also ist jederVersuch eines Gnadensystems von da aus schon hinfallig.

Man musste analysieren, was heißt Gnadensystem dort, wo ein solcheswirklich

• das Verhaltnis zwischen gottlicher Freiheitssouveranitat undmenschlicher Freiheit in eigentlichem Sinn noch mal in mehrereDaten glaubt auflosen zu konnen,

• in von dem zu Erklarenden verschiedene Daten aufzulosen ver-sucht, und dadurch eine wirkliche, einigermaßen großere Kla-rung zu suchen sucht,

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10.1 These 17 Banez

– dort fangt es schon an, falsch zu werden,– weil es solche Daten nicht gibt.

Spater werden wir sehen, ob man den Molinismus notwendig so auf-zufassen hat, oder im Grunde nicht muss, und auch dem klassischenMolinismus eine Interpretation geben kann, die das Problem da ste-hen lasst, wo es stehen bleiben muss. Jetzt muss man also zunachsteinmal das System selbst anschauen.

20.3. 1957 2.Stunde Vorlesung 51

Wir haben die Aufgabe, das Gnadensystem, das Ende des 16. Anfang17. Jahrhunderts in der thomistischen Schule ausgebildet wurde, undnach dem Hauptvertreter Banez genannt werden darf, darzustellen.Naturlich sind sie davon uberzeugt, dass sie die Lehre des heiligenThomas vertreten oder mindestens genuin fortgebildet haben. Dasist eine historische und nicht entscheidende Frage. Schließlich kannauch etwas, was bei Thomas steht, falsch sein, und braucht, weil esdort steht, noch nicht falsch sein. Die Behauptung, es sei von ihmoder nicht von ihm, ist nicht von Entscheidung.

In Schuldifferenzen gibt die Autoritat des heiligen Thomas nicht dieEntscheidung. Nach Pius XI und XII gehort Banezianismus nichtzu den maiora principia, denen man folgen musste. Deshalb ist auchdie historische Frage nach der Entwicklung dieses Systems sekundar.Es ist sicher sagbar, dass nicht einfach der Banezianismus, wie erim Gnadenstreit entwickelt wurde, dass er so bei Thomas dasteht.Es gibt Indizien, die klar sind, dass wenn der Thomas diese Lehreso gemeint und entwickelt hatte, er das und jenes nicht hatte sagenkonnen, nicht weil das in direktem Widerspruch dazu steht, sonderneinfach psychologisch. Wenn man diese Theorie reflex bewusst hat,kann man nicht so und so sprechen. Was damit gemeint ist, darubersprechen wir spater.

Zur historischen Frage: selbst fur die, die der Ansicht sind, dass dieseLehre Weiterentwicklung ist, ist immer noch die Frage welche Ein-flusse dabei sind.

• Schwamm aus Speyer glaubt historisch den Nachweis erbracht zuhaben, dass der Banezianismus mehr vom Skotismus her kommt,und man kann sagen, insofern er mehr mit Willen und Allmacht

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Gottes arbeitet, in der Gnade, im Gnadensystem als mit der Er-kenntnis Gottes, konnte man eigentlich sagen, ist er nicht etwas,was eine spezifisch intellektualistische thomistische Signatur ansich tragt.

• Molinismus ist thomistisch intellektualistischer und mehr aufThomas aufbauend. Seine Anhanger haben aber nicht behaup-tet, nur das gesagt zu haben, was Thomas schon gesagt hat.Molina war der Uberzeugung, dass man etwas gefunden habe,was vorher nicht da war. Er hatte das Gefuhl, originell zu sein.Also hat es fur ihn keinen Sinn sich auf Thomas zu berufen. Manmuss sagen, jedes Problem hat seine Zeit, und damit ist es so,dass man es als zu spat gestellt oder falsch gestellt erst spatererkennen kann. Auch solches Problem hat seine Zeit.

• Man kann nicht sagen, dass samtliche Dominikaner uberzeugtsind, dass sie Thomas wiedergeben, wenn sie Banez wiedergeben.Im großen ganzen sind sie Banezianisch mit einigen wenigenAusnahmen, Sola z. B.. Es sagte einer der Dominikaner, wennsie nicht auf der Kanzel wenigstens semimolinistisch predigen,dann haben sie es verkehrt gemacht. Man sieht daran, dass dieSache etwas dunkel ist von beiden Seiten.

• Man muss sich auch klar sein: es gibt neuere Ansatze - Sertil-lange - wo der klassische Banezianismus, ohne es zu merken,verlassen ist, und man sich auf eine Position begeben hat, diebewusstermaßen fruher mit Erklaren aufhort.

10.1.2 Klassischer Banezianismus

Klassischer Banezianismus

Zunachst ist der Grundansatz fur den Banez ein spekulativ metaphysi-scher. Ich will nicht sagen, dass es bloß ein Philosophoumenon ist,das die Theologie meistert. Wir haben schon gesagt, aus theologi-schen Grunden mussen wir zwei verschiedene Gnaden annehmen. Daliegt es nahe, diese so in actu primo wirksame Gnade von der Gnadeals solcher her so in actu primo wirken zu lassen. Dann waren wirschon bei der gratia ab intrinseco in actu primo efficax. Dann warenwir schon bei der Gnadenlehre von Banez.

Im großen Ganzen muss man aber sagen: im Großen und Ganzen han-delte es sich um metaphysische Konzeption.

• Schon daraus dass fur ihn der Unterschied fur die Konzeption, d.h. fur die praemotio physica der Unterschied zwischen positivem

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10.1 These 17 Banez

Heilsakt und Sunde fur das System als solchem unerheblich ist:fur beide braucht es praemotio physica.

• Ob gesagt in einem Falle bloß auf Materiales im anderen aufFormales, das ist nur nachtraglicher Unterschied, der das nichtmehr verbergen kann.

Wir haben das Recht und die Pflicht, um dieses darzustellen, von denmetaphysischen Grund- Konzeptionen auszugehen.

1. Er wird sagen, diese ist im Grunde auch eine eminent religi-ose ist,

2. weil sie die allumfassende Wirksamkeit des allmachtigen Gottes,ins Licht setzt, so dass die Kreatur alles von Gott bekommt.• Die Behauptung, eine metaphysische Grund Konzeption an-

zusetzen und nicht so von den Einzelfragen der Gnadenlehreher zu kommen,

• ist kein Vorwurf sondern die Feststellung einer Tatsache.

Sie geht davon aus, dass die Kreatur als endliches Wesen absolutin jedem Augenblick und in jeder Wirklichkeit, die ihr zukommt,von Gott abhangt.

a.) Besonders gilt das dort, wo die Kreatur von der Potenz zumAkt ubergeht. Nach Banez: dort, wo solcher Ubergang in derKreatur geschieht, bedarf er einer gottlichen Wirksamkeit,die der Kreatur ermoglicht, aus ihrer Potenz tatsachlich zumAkt uberzugehen.a) Denn sonst ware die ratio sufficiens dieses Aktes nicht

da,b) denn die Kreatur, die wesentlich Potenz ist, kann fur

sich keine ratio sufficiens fur den seinsmaßig hoheren Aktsein, den sie setzt.

b.) Wo Ubergang vom moglichen zum tatsachlichen Akt gege-ben ist, bedarf es einer gottlichen Kausalitat. Das wird auchvon Molinisten nicht bestritten.Entscheidender Schritt:

c.) Wir haben also Potenz die zum Akt ubergeht. Nun sagtBanez Thomist:damit die Potenz, nachdem sie in actu primo volle Potenz

fur den Akt ist,bedarf sie doch zum Ubergang von dieser plene consti-

tuierten Potenz zum tatsachlichen Akt nochmal einerWirksamkeit Gottes,

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

welche Wirksamkeit Gottes terminativ unterschieden istvon der potentia plena ut talis in actu primo constituta

und verschieden ist vom actus secundus creaturae. DerAnstoß von der Potenz zum Akt uberzugehen ist furihn verschieden von der vollig vorhandenen Potenz undverschieden vom actus secundus.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

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qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

Gott

Kreatur

concursus concursus

Potenz Akt

Ubergang

praemotio

physicaactus

secundus

in actuprimo

volle Potenz

Banez

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

nur von

Gott

braucht praem.phys

d.) Hic terminus causalitatis divinae, qua potentia plene et per-fecte ut potentia constituta, qua ista traducatur in actum,quique terminus causa dit, realiter distinguitur a deo et abactu secundo, vocatur praemotio physica divina. - prae -quia praecedit actum secundum creaturae.

e.) Man konnte massiv sagen,eine auch aktive Potenz, die als Potenz vollig perfecte

constituta ist, also in diesen Sinn den Akt setzen kann,braucht, damit sie ihn wirklich setze noch mal gottlicher

Dynamik.• Diese ist aber nicht einfach mit Gott identisch• sondern etwas, was er als etwas von diesem real Ver-

schiedenes produzieren muss.• praemotio physica est entitas aliqua a Deo in facul-

tate libera producta,i.) real verschieden vom actus secundus,ii.) von der Potenz undiii.) von Gott.iv.) Was metaphysica necessitate praecedit actum se-

cundum.f.) Sertillange sagt, von praemotio zu reden sei heresie verbal.

Er hat damit klassischen Banezianismus aufgegeben. Natur-lich macht der Banez großeren Graben zwischen Potenz und

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10.1 These 17 Banez

praemotio als zwischen praemotio und actus creaturae. Errechnet die praemotio zum Akt.

g.) Wenn man sagt, ohne praemotio kann ich den Akt nicht set-zen, also habe ich ohne sie keine plene Potenz ihn zu setzen.Dann sehen sie: er gehort zum actus secundus. Er beziehtsich nicht auf das Setzen-Konnen sondern auf das Setzen.Auch ohne praemotio physica kann man vollig im Standesein, den Akt zu setzen. Man hat die perfecta potentia ihnzu setzen.

h.) Wenn sie sagen: rechnen wir diese praemotio physica termi-nologisch zum actus secundus, dann ist die Frage: ist diesepraemotio physica mit ihm identisch oder nicht? KlassischerBanez: sie ist verschieden. Deshalb ist sie auch vom concur-sus simultaneus real verschieden. Ipsa causalitas terminansad actum secundum ist nicht mit actus secundus zu iden-tifizieren, denn fur klassischen Banez sind sie verschieden.Kein zeitliches prae, aber reales prae. Unice producitur asolo Deo.

i.) Nach unserer Auffassung gilt : concursus ut talis muss etcreatura et Deus producere. Wegen der causalitas Dei, daswas Kreatur und was Gott tut, sind simpliciter dasselbe.Ist concursus simultaneus. Wenn nicht simultaneus, ist erpraecursus (nicht concursus).

j.) Wenn er seinem System treu bleibt, muss er sagen: wo Gottmit seiner gottlichen Kausalitat meinen Akt tragt, brauchtes eine causalitas divina, die meiner Kausalitat vorausgeht,und die macht, dass ich ohne ihn nicht ubergehen kann, son-dern macht, dass ich von der Potenz zum Akt ubergehe, unddieser, den man nicht verwechseln darf mit concursus simul-taneus, das ist die praemotio physica.

Dieses Schema gilt naturlich fur den Banezianismus in jeder Ord-nung und bei jedem Akt, paradiesisch und infralapsarisch. Auchin rein naturlicher Ordnung fur guten und bosen Akt. Auch die-ser ist transitus a potentia in actum, und das kann nur geschehenmit praemotio physica.

Dann 2. nachdem dieses Schema so erklart, was praemotio phy-sica ist, aus der Natur der Sache gilt das fur jede Ordnung. Und2. (zweitens) gilt das auch, weil das fur den Banez das metaphy-sische notwendige Seinsbedurfnis der Kreatur ist, gilt es auchfur den notwendigen Akt und fur den freien Akt. Man brauchtfur den freien Akt, weil erst recht transitus selbstverstandlich

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

eine praemotio physica. Banez sagt: selbstverstandlich, da istgar nicht viel einzusehen. Diese praemotio physica darf nicht alsein indifferenter, jedem Seienden gleichmaßig verabreichter Trittdes lieben Gottes aufgefasst werden, sondern ist bestimmt vomAkt, zu dem sie praemotio ist. Talis ut praemoveat zu diesemAkt und es kann.

Si praemotio ad actum liberum, tunc ad hunc specialiter, nonsolum esse sed etiam taleitatem dat. Minime tollit libertatem, econtra facit ut ponatur ut liber.

3. muss noch gesagt werden: aus dem Wesen dieser fur Baneznotwendigen praemotio physica folgt, dass,

• wenn sie gegeben ist, dass der Akt infallibiliter folgt, wennsie gegeben ist. (qua posita repugnat metaphysice, ut actusnon sit). Est id quo traducitur a potentia in actum, non idquo potentia possit facere actum sed realiter facit. Infallibi-liter datus est cum ea actus secundus.

• Daraus folgt:wenn Gott libertate sua decernit dare hanc praemotio-

nem physicam et non aliam,infallibiliter scit qualis actus sequatur, wenn er sich zu

diesem freien Akt und ihm als solchem entscheidet, dannweiß er infallibiliter, dass das kommt. Bonum salutaresecum ducit.

Wenn Gott dieses decretum entscheidet, weiß er auch,was der Mensch tut,

eo ipso scit, ut homo hanc rem libere faceat, dass derMensch diese Sache frei macht, non qua actum ut ne-cessarium sed ut liberum dat.– Es gibt dieses decretum divinum, wodurch er ent-

scheidet, eher das zu geben als das andere– und die praedeterminatio physica.– Aber beide sind terminologisch unterschieden: pra-

edeterminatio und decretum.– Die praemotio: respicit terminum a Deo divinitus in

creatura affectum, wodurch er die Kreatur bewegt.

Dieses Schema gilt es in der Gnadenlehre anzuwenden.

Wenn wir das nun einfach anwenden auf die Gnadenlehre, dann folgtfur Banezianismus folgendes: die Konstitution ipsius potentiae ad hocut sit potentia plene constituta und nicht mehr als das, ad actum sa-lutarem, vocatur bei ihnen gratia sufficiens. Et quatenus ad hoc ut

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10.1 These 17 Banez

tali modo constitutus ad actum secundum requirit ulteriorem prae-motionem physicam: sufficiens ita intellecta nunquam secum actumsalutarem habet, non ex denegato consensu sed ex seipsa manet in-sufficiens.

Sie sehen, bei uns gibt es gratia sufficiens oder gratia efficax. Bei Banezgibt es immer gratia sufficiens und in manchen Fallen dazu gratiaefficax. Denn die praemotio physica ad actum salutarem ponendum,das ist die gratia efficax bzw. gratia efficax ist eine Unterspezies derpraemotio physica notwendig praerequisita.

Praemotio physica ist der Oberbegriff, kann spekulativ beim Banezangewandt werden auf die notwendigen Akte und auf die freien Ak-te. Bei den freien: auf rein naturlichen Akt, auf einen Heilsakt undauf einen sundigen Akt. Mit anderen Worten: sie sehen, gratia efficaxbanezianisch erklart ist nur illa praemotio physica per quam decreta,qua homo movetur ad actum salutarem positivum.

Dass solche gratia efficax ex se, aus innerer Natur efficax ist, ist klar.Denn die praemotio in der diese gratia efficax besteht, ist diese motio,die aus ihrer inneren Natur infallibiliter den actus secundus mit sichbringt. Wenn sie jetzt diese ganze Sache ins cognoscitive ubersetzen,dann konnen sie fragen: woher weiß Gott, dass seine Gnade diesebestimmte Wirkung hat?

Woher weiß Gott, dass diese bestimmte Gnade eine bloß hinreichendeist? Weil sie eben als bloß hinreichende nur die volle Potenz zumHandeln gibt, aber nicht das Handeln, und weil es, wenn zu dieserdie praemotio physica nicht hinzukommt, absolut metaphysisch un-moglich ist, dass der Akt folgt. Also weiß Gott, wenn er nur gratiasufficiens beschließt, aus seinem Entschluss, weiß er, dass der Akt defacto nicht folgen wird. Wenn Gott nicht beschließt durch praede-terminatio physica praemotio zu geben, weiß er automatisch, dassder Heilsakt nicht folgt. Er braucht das positiv nicht beschließen. Erbeschließt nur, den Beschluss zur gratia efficax nicht zu fassen. Erunterlasst diesen.

Warum und in wiefern weiß Gott, dass in bestimmten Fallen Heilsaktfolgt? Weil er von sich aus die bestimmte praemotio physica beschlos-sen hat, mit deren innerer Natur die Nichtsetzung dieses Aktes abso-lut unvereinbar ist, weil mit dieser von Gott bestimmten praemotiophysica die Setzung unfehlbar erfolgt. So weiß Gott durch den Be-schluss diese praemotio physica anstatt anderer zur Sunde zu geben

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

auch was der Mensch damit macht. Er kann nichts anderes machen.Nicht so als ob er ihn zwingen wurde. Er gibt ihm gerade den Akt alsfreien, aber diesen als freien unfehlbar. Und zwar so, dass die Folgedieses Aktes aus der praemotio physica und deren innerer Natur mitmetaphysischer Konsequenz notwendig erfolgt.

Damit ist klar dass wenn Gott solche praemotio physica beschließt,dass er den, fur den er das beschließt, mehr liebt als den, dem ernur das Heilshandeln-Konnen aber nicht dass Heilshandeln gibt.

Gratia sufficiens und efficax sind bei den Banezianern nicht zwei Gna-den, die bloß hinsichtlich faktischem Effekt und auch nicht bloß hin-sichtlich des Gottes, der sie gibt voneinander verschieden sind son-dern so in ihrer inneren Natur verschieden sind, dass der Mensch, dertatsachlich den Heilsakt setzt, beide Gnaden, die real voneinanderverschieden sind, braucht.

Fur den Banez gehort die gratia sufficiens zur Konstitution der Po-tenz als solcher. Ohne sie ist sie gar nicht perfecte constituta. Weil derBanez die Sache so formuliert, kann er sagen: uberzeugt, mit hinrei-chender Gnade kann ich den Heilsakt setzen. Was gehort dazu, dassman ihn setzen kann: alles das, was man braucht um das zu konnen.Das hat er ex definitione.

Ja, sagt der dumme Molinist: wenn er nicht die gratia efficax dazu be-kommt, dann setzt er doch den Akt tatsachlich nicht. Banez ant-wortet darauf: das tut er bei dir, wenn der liebe Gott deine gratiasufficiens gibt, ja auch nicht. Zur mere sufficiens gehort per definitio-nem, dass der actus secundus nicht gesetzt wird.

Nach meiner Theorie, sagt der Banez, gehort die praemotio zur tat-sachlichen Setzung, nicht mehr zu dem, dass der Akt gesetzt werdenkann, sondern zu dem, was notwendig ist, dass er gesetzt wird. Dakannst du nicht sagen, dass es notwendig ist, dass er gesetzt werdenkann.

Damit ist dieses System quoad gratiam in actu primo efficax erklart.Die Frage der weiteren Erklarung der praedeterminatio als solchervor dem praevisa merita ad gloriam gehort nicht unmittelbar dazu.Wer das verstanden hat, hat auch das verstanden.

22.3.1957 Vorlesung 52

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10.1 These 17 Banez

Wir haben letztesmal das Banez-Thomistische Gnadensystem darzu-legen gesucht.

1. Wir haben gesehen: zentraler Begriff ist die praemotio physica.2. Basiert darauf, dass jede geschopfliche Potenz, wenn sie in Akt

ubergeht, außer dem Vermogen noch besondere Motio braucht.3. Diese wird als praemotio aufgefasst, unterschieden nicht nur vom

actus primo proximus sondern auch vom actus secundus undwird allein von Gott hervorgebracht.

4. Und wenn sie da ist: ist infallibilis connexio mit actus gegeben,so dass wenn Gott sie beschließt, er es auch weiß und damitentscheidet uber den Akt.

Solche praemotio physica zu einem Akt des Heiles, actus entitative su-pernaturalis, heißt gratia efficax. Alles andere ergibt sich daraus.

• Gratia efficax und sufficiens sind real verschieden und• zu jedem Heilsakt beide notig, sufficiens um volles Vermogen zu

geben, efficax um das volle Vermogen in den tatsachlichen Aktuberzufuhren.

• Gott gibt nicht sufficiens oder efficax, sondern er gibt dort, woHeilsakt gesetzt wird, gratia sufficiens und efficax, Verweigertwo der Heilsakt nicht stattfindet die praemotio physica, gratiaefficax und gibt nur sufficiens.

Da jede praemotio physica praemotio zu bestimmtem Akt und damitzur Modalitat eines Aktes ist,

• ist sie Konstitution eines freien Aktes als freien und nicht Auf-hebung der Freiheit.

• Dort wo sie gegeben ist, ist er auch frei, weil es eine praemotiophysica zu freiem Akt ist.

10.1.3 Einwande dagegen

Was haben wir zu sagen (das Folgende steht nicht im Kodex).

Man musste grundsatzlich sich klar machen, dass man Banezianismusunter zwei verschiedenen Aspekten betrachten kann.

Erstens: insofern seine Thesen im Grunde nur sagen wollen, dassgottliche Kausalitat die Geschopfliche in allen Rucksichten um-fangt, tragt, und nicht nur nicht hindert sondern ermoglicht.Und dass deswegen selbstverstandlich die gottliche Kausalitat

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

im abstrakten Sinn des Beginnens des Geschopflichen, dass die-se gottliche Kausalitat naturlich eine logische Vorordnung zurkreaturlichen Wirklichkeit und Wirksamkeit hat. Dass und in-sofern nichts im Grunde gesagt wird als dass Gott die causaprima ist und deshalb die Kreatur als kontingente Wirklichkeitin Sein und Wirken abhangig ist von Gott, und dieses Tragendieser geschopfliche Wirksamkeit tragt sie in der konkreten gott-lichen Wirksamkeit als freie, als notwendige, dann kann man imGrunde gegen Banezianismus nichts sagen.

Das ist im Grunde selbstverstandliche Voraussetzung oder In-halt jedes christlichen Denkens: einerseits antipantheistisch Gottund Welt unterscheidend und anderseits nicht-deistisch das Ge-schopfliche in Sein und Wirken in jeder Hinsicht von Gott alsGrund getragen sein lasst und getragen sein lassen muss.

Also wenn praemotio physica und praedeterminatio nichts heißtals diese geschopfliche freie Wirksamkeit existiert, weil und in-sofern ein Gott da ist, der naturlich jetzt durch sein Sein undErkennen und durch sein Wirken selbstverstandlich diese ge-schopfliche Wirksamkeit tragt, ermoglicht, auch in ihrem Posi-tiven uberhaupt erst konstituiert, (auch im freien), dann gibtes praemotio und praedeterminatio physica. Dann ist das, wasgeheimnisvoll daran ist, von vorneherein zu erwarten.

Es ist selbstverstandlich, dass die echte Wirksamkeit des Ge-schopfes als freiem gegeben ist, und dass sie auch als freie vomalles wirkenden Gott getragen sein muss, weil er sonst nichtcausa prima ware, und in irgend einem Punkt nicht von Gottgetragen ware, was unmoglich ist. Sagt sie nichts anderes alsdas: halten wir auch praemotio physica und praedeterminatiophysica, wie jeder Christ.

Tatsachlich lebt der Banezianismus einerseits von gar nicht dum-mer Kritik des Molinismus. (Wo die schwachen Seiten diesessind, werden wir noch sehen.) und andererseits von dieser letz-ten Grund-Konzeption, die zweifellos richtig ist.

Wenn in diesem Sinn der Banezianismus den Eindruck hat, er istnur ein unerschrockener, klarer, das Geheimnis nicht scheuenderTheologe, der nicht ausweicht beim Anwenden auf das Verhalt-nis der freien Wirklichkeit zur freien Wirklichkeit Gottes, denndie Kreatur als reale kann nur abhangen von Gott, der in Frei-heit will, sonst ware sie als reale gar nichts, - konnte als gedachteetwas sein unabhangig von der Erkenntnis Gottes, - aber allesund jedes hinsichtlich der Freiheit, ist getragen von Gott, seinem

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10.1 These 17 Banez

Sein, Erkennen, Wollen, Freiheit, und das ist: diese WirklichkeitGottes geht dieser Wirklichkeit der Kreatur voraus.

Wenn wir die willentliche Wirksamkeit Gottes, die die freieKreaturlichkeit tragt, motio Dei nennen wollen im aristoteli-schen Sinn, dass hochstes Seiendes das ist, was alles andere tragt,dann konnen wir dieses Tragen der freien Kreaturlichkeit durchden freien Gott motio und praemotio nennen.

Aber, und damit zur anderen Seite des Problems, uns, soweit wirMolinisten sind, weil und insofern in dieses eigentliche sich be-scheidende metaphysische Grundschema der Banezianer entwe-der zur Verdeutlichung nach unserer Meinung unberechtigterWeise Dinge eintragt, die mit dieser Grundkonzeption, mit die-ser metaphysischen praemotio nichts mehr zu tun haben. Darumkonnen wir die historische Form des Banezianismus, die eigent-lich erst so genannt werden kann, nicht akzeptieren.

Was tragt in dieses Grundschema der Banezianismus ein, oh-ne dass man sagen kann ohne weiteres, dass das sich eindeutigaus der Grundkonzeption metaphysischer Art ergibt: zunachstdie praemotio physica, so wie sie im klassischen Banezianismusverstanden wird.

Klassische praemotio physica: in welchen Punkten geht sie, ohnedass wirklicher Beweis erbracht ist, dass man so weiter denkenkann, was behauptet sie uber dieses Grundschema hinaus vondieser praemotio?

Zweierlei:

1. Dass diese praemotio vom actus secundus terminative realverschieden ist. Das ist ja aus diesem Grundschema nicht ein-leuchtend. Wenn ich sage: da habe ich actus primus, Kreaturals potentia prima. Und da ist der actus secundus. Dazwischenschiebt der Banez die praemotio physica. Warum? Weil sonstdie Potenz nicht in den Akt ubergehen kann. Zugegeben: Po-tenz kann nicht in Akt ubergehen, so dass sie sich selbst ausihrem eigenen kreaturlichen Grund den Akt allein gibt. Da wur-de aus weniger mehr. Folgt daraus, dass zwischen Potenz undAkt etwas geschoben wird? Das sehe ich nicht ein. Nur: dassdieser aus sich herauskommen kann, bedarf es eines Plus vonGott her, eines richtig verstandenen concursus divinus, der vonder Potenz als Kreaturlicher verschieden ist.

Sie konnen diesen Konkurs auch so malen: die lebendige aktivePotenz ist als Potenz gar nicht notwendig abstrakt und statischzu konzipieren, sondern ist als aktive Potenz, die dauernd unter

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

dem gottlichen Druck steht, zu konzipieren, so dass sie in ihrenAkt ubergeht, und dieser Akt getragen ist von einer AktivitatGottes, Konkurs genannt, und wo diese immer dabei ist, ob zumactus secundus oder primus gerechnet. Erklart jedenfalls, dassaus endlicher Potenz ein neuer Akt entsteht, was mehr an Seinbedeuten kann.

Wir brauchen gottliche Kausalitat zum Ubergang. Wir habenaber nicht bewiesen, - eine grobe materielle Vorstellung scheintmir das zu sein, - dass ich dazwischen ein Ding schiebe, das vonGott allein gesetzt wird. Man kommt in das Dilemma: auf einerSeite zum actus primo proximus, denn es ist von der Kreatur.Alles was nicht actus secundus ist, ist Ermoglichung des Aktes,gehort zur Potenz. Auf der anderen Seite: um nicht in Schwie-rigkeiten zu kommen, muss er sagen: gehort doch zum actussecundus, soll ja nicht ihn ermoglichen, sondern muss Tatsach-lichkeit des Aktes geben.

Wenn aber praemotio physica nicht mit dem Akt identisch ist,muss ich sagen: nachdem sie logisch verschieden ist, kommt derAkt erst. Diesen Ausgang musste man sich doch denken alsUbergang von der Potenz zum Akt und dann braucht man nochmal Ubergang und hat so processus in infinitum. Das uber dasmetaphysische Grundschema des von uns bestrittenen Plus desklassischen Banezianismus.

das war

1. Was von der Allursachlichkeit Gottes nicht folgt.

2. Dass sie von Gott terminativ verschieden und doch nichtAkt der Kreatur selbst ist.Warum das von großer Wichtigkeit ist, werden wir se-

hen.Und warum das dem Banezianismus-System Schwierigkeiten

macht, die wir fur unuberwindlich halten, werden wirgleich sehen.

Hier auch insofern die praemotio physica nicht mit Gottidentisch ist, ist sie nicht bewiesen.

Warum soll die Kausalitat Gottes nicht so sich auswirken, dassdieser, der Terminus dieser ist der actus secundus der Kreatur,und insofern das etwas ist, was von ihm verschieden ist, die gott-liche Kausalitat als solche und nicht Akt, der von ihr verschiedenist.

Es ist nicht einzusehen, dass aus diesem metaphysischen Grund-

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10.1 These 17 Banez

schema, das zu loben ist, die praemotio physica folgt, die inso-fern sie vom actus secundus und von der Potenz real verschiedensein soll und insofern sie vom gottlichen Wirken als solchem ver-schieden sein soll.

Grundsatzlich ist zu sagen, das mussen sie sich einmal uberle-gen, ich glaube nicht dass es in der ublichen Kontroverse gesagtwird. Man musste uberlegen dass man ja das Geheimnis derKoexistenz zwischen Absolutem und Kreaturlichem grundsatz-lich nicht ubertragen darf auf ein anderes Kreaturliches, ist eineSelbstverstandlichkeit. Aber gegen diese sundigt der Banezianis-mus.

Weil er ja nicht sagt: Kreaturliche Freiheit und Gott konnen ko-existent sein. Das ist metaphysische Aussage, von der ich ausletztem Wissen um Gott weiß, dass es richtig ist: es gibt Krea-turlichkeit, Freiheit und Gott. Dieses gibt es. Dieses Geheimniskann aber das Geheimnisvolle Gottes als des kreaturliche Frei-heit Bewirkenden kann ich nicht sinnvoller Weise ubertragen aufpraemotio physica, die von Gott verschieden ist. Das ist etwasKreaturliches.

Jetzt muss gepruft werden, ob solche kreaturliche Wirklichkeitmit kreaturlicher Freiheit vereinbar ist.

• Dies ist vielleicht moglich, aber die Frage ob, was von prae-motio ausgesagt wird, mit kreaturlicher Freiheit vereinbarist.– Jedenfalls konnen wir vorher sagen: es muss einen Ge-

heimnischarakter des Verhaltnisses Gottes als Gotteszur freien Kreatur geben,

– welcher nicht vikariierend von etwas Anderem getragenwerden kann.

• Hier ist auch ein Grund, wo der Thomismus irgend wo ausder Grundkonzeption, weil er mehr erklaren will, als er kann,ausbricht,– weil er daraus ein Geheimnis des Verhaltnisses von zwei

Kreaturen macht.– Es gibt aber eine unveraußerliche Geheimnishaftigkeit

Gottes: gottliche Kausalitat kann nur von Gott als Gottausgeubt werden, so dass der Terminus kreaturlicheWirklichkeit ist,

– aber nicht etwas, was fur Gott schopferisch eintritt underst kreaturliche Wirklichkeit produziert.

– Bei der praemotio physica verknupft Gott durch krea-

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turliche Wirklichkeit zwei kreaturliche Wirklichkeiten.• Die gibt es: ich, handeln Konnender und meine Handlung.

– Dass diese nur verbunden sein konnen, wenn es Gottgibt als Tragendes dieser Verbindung, ist klar.

– Dass darin ein Geheimnis ist, ist klar. Ist zu erwarten.Wenn das nicht ware, ware die Sache positiv verfehlt.

– Aber dass nun in diese herzustellende Einheit als bloßesPrinzip dieser Einheit eine bloße kreaturliche Wirklich-keit kommen soll, und diese doch das Geheimnis dar-stellen soll, das ist falsch.

Methodisch anders: wenn der Banez sagt, dort wo ich in meinemSystem in große Schwierigkeiten komme, - wenn er das nichtmerkt, hatte er von seinem System nichts kapiert - es ist kei-ne Schande dass ein metaphysisches System in Schwierigkeitenkommt. Wenn ich in Schwierigkeiten komme, darf ich da hineinnur kommen, wo es um Gott geht, nicht bei der Kreatur.

Aber unsere Schwierigkeit ist gegen eine entitas realis, von Gottverschieden, creata, physica, transiens. Nun sehen wir dieseSchwierigkeiten gegen den Banezianismus - zusammengefasst -folgendermaßen:

• Das Grundschema als abstraktes formales konnte man be-jahen.

• Dieses wird aber nicht in metaphysischer Formalitat im Ba-nezianismus belassen,

• sondern ausgedeutet durch die praemotio physica.

Diese hat zwei Punkte, in denen das Grundschema ausgefullt wirdin einer Weise, die nicht zwingend ist.

1. In dem die gottliche praemotio, die man ruhig abstraktzugeben konnte, ersetzt wird durch

etwas, was von Gott und dem actus secundus creaturaeverschieden ist.• Dadurch wird das Geheimnis methodisch irgendwo hin-

geschoben, wo es nicht sein kann,• denn es muss das unvertretbare Geheimnis Gottes als

es selber sein.

Die Schwierigkeiten bestehen darin:

Schwierigkeiten fur die hinreichende Gnade: fur ihn kann dieKreatur mit bloß hinreichender Gnade den actus secundus salu-taris nicht setzen. Banezianismus springt mir ins Gesicht: selbst-

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10.1 These 17 Banez

verstandlich kann er das. Er hat per se gratia sufficiens expedit-am potentiam agendi.

Das sagt der dumme Molinist: das verstehe ich nicht. Ich hore dieWorte, kann sie nicht realisieren. Fur mich dummen gehort alles,was dem actus secundus als von ihm real verschieden vorausgehtund ohne das der actus secundus nicht sein kann, zur Ermogli-chung des actus secundus.

Was heißt fur uns”etwas konnen“ perfekte konnen? Ich begreife

selbstverstandlich, dass das etwas Konnen und das etwas Tunzwei verschiedene Paar Stiefel sind. Es kann zum Tun gehoren,was nicht zum Konnen gehort. Aber ich begreife nicht, wie manetwas, was vom Tun verschieden ist, und doch damit dieses seinkann, nicht zu Tun-Konnen rechnet.

Denn: was heißt ich kann etwas tun? Ich sage: das heißt, dassalles, was dazu notig ist, da ist außer dem Tun selber.

Nun, wenn der Thomist aber nicht im letzten Augenblick seinGnadensystem, um sich zu retten, am Ende doch in die Luftsprengt, muss er zugeben: praemotio physica ist real vom actussecundus verschieden, und ohne diese praemotio physica kann essie nicht geben. Also fur mich gehort die praemotio physica zudem, was notwendige ist, dass man actus secundus setzen kann.

Nun aber hat der, der die gratia efficax nicht hat, hat etwasnicht, ohne das man den actus secundus nicht setzen kann undwas vom actus secundus verschieden ist. Also nach unserer Er-klarung ist er nicht im Besitz alles dessen, was notwendig ist,dass er Heilsakt setzen kann. Also ist mere sufficiens nicht veresufficiens. Denn die Definition der gratia vere sufficiens ist dochdarin, dass durch diese gratia sufficiens all das gegeben ist, waszur Setzung des Heilsaktes notig ist, dass nichts mehr fehlt, alsder Akt selber.

Banezianer: Alles missverstandlich, was du sagst. Gratia efficax ge-hort zum actus secundus. Wenn du zugibst, man kann volle Po-tenz ohne actus secundus haben, dann gibst du zu, dass du ohnegratia efficax potentia expedita hast. Denn die musst du zum ac-tus secundus machen.

Molinist: Das kann ich nicht, weil du in deinem System die gratiaefficax vom actus secundus unterscheidest. Und ohne ihn dieseractus secundus repugniert. Wenn etwas vom anderen verschie-den ist, und doch fur seine Existenz notig ist, dann gehort eszur Voraussetzung und nicht zu ihm selbst.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Um actus salutaris setzen zu konnen, braucht es nach deinemSystem gratia efficax. Hat man sie nicht, dann hat man nichtpotentia plene expedita, und damit nicht die gratia vere suffi-ciens. Weil etwas fehlt, was vom actus secundus verschieden istund doch fur ihn absolut notwendig ist.

Sie sehen, dass Sertillange eine wunde Stelle merkt, wenn er sagt:das

”prae“ ist eine Haresie. Alles

”prae“ ist nicht der Akt selbst,

also nicht zur Konstitution des Aktes selber gehorend. Aberdann fangt die Schwierigkeit an.

Weitere Schwierigkeiten: Diese praemotio physica ist auch gegendie Freiheit des Menschen. Beachten sie: das ist auch eine Modi-fikation die ich anbringe gegenuber den ublichen molinistischenEinwanden gegen Banezianismus. Ich wage nicht zu sagen, derkreaturlichen Freiheitsentscheidung vorausgehender Wille Got-tes hebt die Freiheit auf. Da sage ich: Woher weiß ich das? Ichkann Allwirksamkeit Gottes und spontane Freiheit Gottes mit-einander verrechnen. Der Mensch ist frei und Gott ist causaprima fur alles. Aber darum handelt es sich beim Banez garnicht. Der sagt: es gibt eine entitas creata distincta a Deo odera actu meo secundo libero in welchem schon praedeterminiertist, was ich frei tun werde.

Ich erklare aber: Freiheit bedeutet fur mich das: ich kenne mei-nen Akt, den ich frei setze.

Freiheit bedeutet fur mich, dass alles A,B,C, alles was diesemAkt in der Ebene des Kreaturlichen vorausgeht, den Akt nichtpraedeterminieren darf. Omnibus ad agendum requisitis, positis,muss noch einer oder der andere Akt folgen konnen.

Es sagt nicht: Gott als unergrundliche, geheimnisvolle, mit demMenschen nicht verrechenbare Wirklichkeit konne nicht pra-edeterminieren, sondern eine geschopfliche Wirklichkeit hebt sieauf.

Weil man nicht sagen kann, dass einer plotzlich das Privileg ha-ben konne gegenuber anderen Dingen. Bei allen anderen: wennmit der Setzung dieser dieser und dieser Akt gegeben ist, ist derAkt nicht mehr frei.

Banezianismi actus secundus distinctus a praemotione physica,quae pertinet ad actum secundum tamen supponit talem reali-tatem creatam (setzt eine solche Wirklichkeit im Geschopflichenvoraus) und verstoßt sowohl gegen den katholischen Begriff der

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10.2 These 18 Andere

gratia sufficiens und der definierten Wahrheit von der Freiheitdes Menschen.

Naturlich ist das unsere Meinung, sonst nichts.

26.3.1957 Vorlesung 53

Wir haben Banez genugend behandelt. Jetzt zur folgenden These. Mehrzur instantia und wie sie Schwierigkeiten vermeiden wollen: im Kodex.

10.2 These 18 Andere

These 18. Efficientia gratiae non recte explicatur per praedetermina-tionem moralem vel delectationem victricem neque per decretumDei condeterminans, neque per systemata syncretistica.

Die Wirsamkeit der Gnade wird nicht richtig erklart durch morali-sche Vorherbestimmung oder psychologische Wirksamkeit (de-lectatio victrix), noch durch ein mitbestimmendes gottliches De-kret noch durch Kompromisstheorien zwischen den Klassikern.

In der jetzt folgenden These behandeln wir andere Systeme, die vor-gelegt werden. Sie sind entweder kaum verstanden, wie die Systeme desDekretes Gottes, durch das er mitbestimmt (Dei condeterminantis), oderKompromisstheorien zwischen den Klassikern.

Einzelnes: 1. System: praedeterminatio moralis, 2. delectationis victri-cis.

Dieses Betrachtet die Sache nicht unter metaphysischen sondern

unter psychologischen Rucksichten. Motio Dei, die da ist als in-fluxus psychologicus, wie andere Einflusse im Menschen da sind.

Libertas hmana non est auto-noma, solum aprioristica auto-motio sui ipsius prorumpens incertum actum sine alia ratio-ne quam sola autodetermina-tione. Sed libertas est mota,sollicita, per motiva, instinctaalias rationes moventes homi-nem, non ita ut nondum sitlieber, sed ut habet id de quodiscernat et cur

Die Freiheit des Menschen ist nicht ei-ne autonome, rein apriorische Selbst-bewegung, die zu gewissen Akt vor-prescht, die keinen Grund hat alsnur die Autodetermination. Sonderndie Freiheit ist eine bewegte, besorg-te, durch Motive, Instinkte, andereGrunde, die den Menschen bewegen,nicht so, dass er nicht mehr frei ist,sondern dass er hat, warum er sichentscheidet, wozu er sich entscheidet.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Davon sind moralische Anregungen (motiones morales) also einTeil. Das System dieser praedeterminatio moralis, erklart dieseAnregungen (sollicitationes) als die Gnade Gottes und seinenEinfluss (gratiam Dei et influxum eius) und den Unterschiedzwischen den beiden Gnaden (efficax und sufficiens) legt diesesSystem in diese psychologischen Unterschiede.

Evidens est: non per incons-ciam movet libertatem, sed permotiva etc. per eius guberna-tionem et hoc habet suum ef-fectum psychologicum: consen-sum humanum.

Evident ist, dass er sie nicht im Un-terbewussten lenkt, sondern durchMotive usw. durch seine Leitung unddas erhalt auch seinen psychologi-schen Effekt, namlich die Zustim-mung des Menschen.

Aber unsere Frage ist, ob das fur die Unterscheidung(discrimen) zwischen den beiden Gnaden genugt. Das ver-neinen wir. Infallibilitas und infallibile discrimen zwischen denbeiden Gnaden, wie sie ausgehen von Gott, kann nicht in diesemUnterschied liegen.• Der unbefangene christliche Mensch wird selbstverstandlich

die Gnade, insofern sie eine Heilsgnade zu bestimmtem Aktist, mit Recht darin sehen,– dass Gott durch Predigt,– Lesung der Schrift,– Lebensumstande,– psychologische Verfassung des Menschen,– Anlagen, Erziehungseinflusse

• den Menschen so in die konkrete Entscheidung stellt,– dass er eben darin entweder ja sagt– oder sich auf diese Weise dem geschopflichen Anruf Got-

tes sich versagt.• Und zweifellos ist je nach dem diese vom Menschen psy-

chologisch apperzipierten Impulse so oder so sind, auch dasResultat im Menschen verschieden.– Insofern hat der heilige Augustinus, der letzte Veranlas-

ser dieser Systeme, Recht:– Gott macht, dass diese congrue sind, congrue zu diesem

Menschen, dass er das macht oder nicht.Dieser Eigentumlichkeit gibt es also. Fruher sagten wir schon,

dass wir die wirksame Gnade• zwar als ubernaturlich erhebende Gnade,

– die diesen unfreiwilligen spontanen– und freien Heilsakt des Menschen

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10.2 These 18 Andere

– in ubernaturlichen erhebt,∗ also notwendig verbunden ist mit erhebender Gnade.∗ Aber nicht den Unterschied zwischen beiden aus-

macht,∗ der Unterschied also nicht in der ubernaturlichen Er-

hohung als solcher gelegen ist.· Bei spontanem Akt im Menschen, der die Moglich-

keit zu freiem Ja und Nein des Menschen gibt,· gibt die ubernaturliche Erhohung dieses Aktes nur

dasselbe.· Sie kann nicht Unterschied zwischen gratia suffi-

ciens und efficax ausmachen.Insofern ist es richtig, diesen Unterschied zunachst in psycholo-

gischen Eigenschaften eines solchen Aktes zu suchen.• Wenn ein Oberer das vernunftig sagt, dann tut man es gern.• Wenn der unpsychologisch einem an den Wagen fahrt,

– kann man zwar darauf eingehen, aber doch kann es sein,– dass obwohl man es konnte, es doch nicht tut und– man es anders getan hatte, wenn es anders gesagt wor-

den ware.• So auch psychologischer Unterschied zwischen hinreichen-

der und wirksamer Gnade.Von dieser gehen die Systeme psychologischen Einflusses fur

den Unterschied aus und sagen:• Gott kann gewissermaßen die psychologische Adaptiertheit

seiner Gnade, das Anziehende seiner Gnade so steigern, dassder Mensch tatsachlich unfehlbar darauf eingeht.– Wenn also Gott eine bestimmte so psychologisch in-

tensive Gnade beschließt, dann weiß er auch, dass derMensch darauf eingehen wird,

– und wenn andere Gnade, die zwar auch einen Impulsgibt, wo aber dieser psychologische Impuls nicht so in-tensiv ist, dann weiß er, dass er zwar konnte, aber defacto nicht tut.

• So bleibt diese hinreichende Gnade bloß hinreichend.Das klingt vernunftig, erklart aber nicht den springenden

Punkt. Mit anderen Worten, diese Theorien dieser delectatiovictrix der Augustiner (auch Anhaltspunkte bei Augus-tinus), diese praedeterminatio moralis, VorausbeschlussGottes zu einer psychologischen Wirksamkeit der Gnade,• meint also, Gott konne aus dieser Gnade unfehlbar erken-

nen, und zwar eben nicht weil sie praemotio physica ist,

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

sondern weil sie psychologische Eigenschaften hat, was fureinen Akt der Mensch daraufhin setzen wird, ob er sie be-nutzt oder nicht.

• Wahrend der Banezianismus sagt, aus der inneren Na-tur erkennt Gott, was fur ein Akt folgt, sagt das morali-sche System Gott erkennt aus der psychologischen Ei-genart dieser Gnade, und zwar unfehlbar daraus, welcherAkt hier folgt. Das ist der ganze Kern dieser Systeme.– Ob mehr so ausgedruckt, dass die congrua (psychologi-

sche Eigenart des Aktes ist gemeint)– oder es handelt sich um die Einflossung einer himmli-

schen Lust (Augustinus, Bajus und andere): diese ist sointensiv, dass sie irdische Begierlichkeit uberwindet und

– weil Gott diese Quantitat der Lust beschließt, weiß er,darauf spricht die Freiheit des Menschen unfehlbar an.∗ Wenn er diese will, weiß er, der Mensch geht darauf

ein und weiß infallibiliter, was fur ein Akt folgt.∗ Gott weiß objektiv: diese Major, vere congrua, ist

cognoscitiv und affectiv bei Gott eine gratia efficaxund von der mere sufficiens unterschieden.

Warum: so viel Richtiges daran ist, der eigentliche springendePunkt wird durch diese Theorie nicht erklart. Es ist einfachzu sagen:• jedwede Freiheitshandlung ist per definitionem in der vor-

ausgehenden sollicitatio, im vorausgehenden Impuls, Moti-vation, nicht eindeutig festgelegt.

• Infolgedessen kann man nicht aus diesem Impuls als solchemnicht mit unfehlbarer Eindeutigkeit wissen, ob der Akt folgtoder nicht.– Selbstverstandlich sind die Chancen, die eine sollicita-

tio hat, die Wahrscheinlichkeit mit der auf bestimmtenpsychologischen Impuls die Freiheit des Menschen mitja oder nein antwortet, nicht in jedem Fall gleich groß.∗ Wenn sie heute Mittag sagen: wollen sie nicht heute

Mittag im Europastubchen ein Mittagessen einneh-men. Naturlich hat ein

”ja“ großere Wahrscheinlich-

keit,∗ als wenn einer sagt, wollen sie das nicht uberhaupt

bleiben lassen. Und doch konnte ich im einen Fallnein, und im anderen Fall ja sagen.

Aber dort, wo ich aus psychologischem Impuls absolut sicherware, dass nur der Akt folgt, konnte man nach dem einfachen,

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10.2 These 18 Andere

schlichten, alltaglichen Begriff der Freiheit nicht mehr vonFreiheit reden (auch metaphysisch richtig nicht).• Wenn etwas, was dem freien Akt B als A vorausgeht und

dafur Grund ist und endliche Große ist (nicht Gott selbst.Diese ist ja geschaffene, von Menschen erzielbare Wirklich-keit, mehr noch als Banezianismus).

• Dass in A schon eindeutig ausgemacht ist, was als B folgt,dann ist B ex definitione nicht frei, sondern notwendigerAkt.– Denn nach der Definition der Freiheit muss der Akt

noch frei sein,– nachdem und unter Einrechnung alles dessen, was als

Bedingung des Aktes Voraussetzung ist.∗ Diese sollicitatio aber ist entweder mit großer Wahr-

scheinlichkeit B gegeben mit A. dann ist B noch frei.∗ Oder mit A ist B eindeutig gegeben, dann ist B nicht

frei.– Aus Eindeutigkeit von A kann man nicht wissen, was

daraus folgt.∗ Entweder so groß dass man auch nein sagen kann,

dann weiß ich nicht, ob es kommt.∗ Oder so groß, dass nur noch ja folgen kann, dann ist

es nicht mehr frei, nicht mehr sollicitatio zu freiemHeilsakt.

– Das gibt es also, aber nicht mit absoluter Sicherheitheraus wissen konnend, was aus dieser sollicitatio folgt.Und das kann auch Gott nicht wissen, weil dann dieserAkt nicht mehr frei ware.

Weil diese sollicitatio gar keine eindeutige Bestimmung des frei-en Aktes ist und sein kann. Gott muss wissen, was daraus folgt,• weil wir schon bewiesen haben, dass Gott in der Gebung

der gratia efficax weiß, dass diese es ist,• aber nicht aus der psychologischen Eigenart der sollicita-

tio heraus, weil sonst Freiheit nicht mehr da ware. Es folgtnicht die wirkliche Zureichendheit der Gnade.– Ware es nicht so, dass der Akt folgen kann, dann ware

in dieser inneren Eigenart des psychologischen Impulsesgegeben, dass er nicht Ja sagt.

– Dann ist das nicht sufficiens. Wenn Gott nur gratia effi-cax minor geben wurde, damit man Schwierigkeit uber-winden kann, dann nicht mehr vere sufficiens.Nach dem Jansenismus: in spaterer Form wird in die-

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

sem haretischen System gesagt: schon etwas wie gra-tia sufficiens aber das ist delectatio coelestis, und dieist eben zu wenig, um cupiditas zu uberwinden, undmit ihr kann man Egoismus nicht uberwinden.

Wirklicher freier Heilsakt der großeren Liebe kann sonicht erfolgen. Im System der praemotio moralis, wieauch genauer, ist das im Grunde die notwendige Kon-sequenz, wenn es auch nicht gesagt ist.

Insofern mussen wir sagen: dieses System konnen wir nicht an-nehmen. Außerdem leugnet es die zureichende Gnade: es sagt,der Mensch erhalt Impuls, der von diesem aus es schon sichermacht, dass der Heilsakt nicht folgt, und das ist nicht mehr zu-reichende Gnade.

Das ist praemotio moralis in genere und auch das was zu der de-lectatio victrix coelestis der Augustiner zu sagen ist, Inhalt undKritik.

Wir kommen noch zu dem System des decretum Dei condeterminansdes nachtridentinischen Skotismus des Mastrius und einiger Anhan-ger.

Hier ist zu sagen, dass trotz neueren Arbeiten, die es von Fran-ziskanern gibt, ich nicht begriffen habe, was das ist. Das istvielleicht meine Dummheit, vielleicht auch dass dieses Systemdie wahre Mitte zwischen Banez und Molinismus ist.

Wenn ich dieses System doch erklaren soll, kann ich es vielleichtam einfachsten dadurch dass ich auf Grenzen dieses Systemsvom Molinismus und Banezianismus her hinweisend.

Sie soll keine praemotio, praedeterminatio physica sein, weil dieSchwierigkeiten des Banez vermieden werden sollen. Und dochsoll Gott eben doch nicht auf den futuriblen Akt des Menschenals eines Menschen zuruckgreifen mussen, um die Wirksamkeitin actu primo wissen zu konnen. Er soll von seiner Willentlich-keit aus wissen, was geschieht beim Menschen und doch solldiese Willentlichkeit nicht voraus entscheiden.Also erkennt es Gott in einem decretum condeterminans. Damitdas Positive des Banezianismus: decretum und Gott, damit dieSchwierigkeiten behoben werden sollen.

Man konnte sagen: eine Willentlichkeit Gottes, die in irgendei-ner merkwurdigen Weise mit einer praestabilisierten Harmoniesich sachlich deckt ohne ihr zuvorzukommen:• Problem ist hier: warum decken sich die beiden Dinge?

Wenn ich im Grunde das gar nicht erklaren will, nichts sagen

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10.2 These 18 Andere

will als: es gibt Gott, der der fruhere ist und den Menschen,der trotz dieser Fruherheit Gottes der autarke, sich selbstEntscheidende ist, ohne dass das schon so vorentschiedenist, dass er nicht selbst entscheiden kann,

• wenn man mit decretum condeterminans gar nicht mehrsagen will, sondern ein Verzicht auf eine Banezianische undMolinistische Losung ware und sonst nichts,

• dann konnte man durchaus dieser System unter Umstandengelten lassen. Mehr wissen wir ja nicht.– Wir werden nachher sehen, dass auch der Molinismus

seine Schwierigkeiten hat. Und nicht nur das, sondernauch etwas sagt, wenigstens in seiner klassischen Form,von dem man erkennen kann, dass da zu viel gewusstwird, mehr als man erkennen kann.

– Da kann man dann sagen: dieses System des skotisti-schen Mastrius ware die begrundete, in Beschrankungnachgewiesene Form des Systems des Stehenlassens desProblems, weil es als stehenzulassendes Problem begrif-fen wird.∗ Aber auch die klassische Form dieses Systems gibt

sich den Anschein, etwas zu wissen,∗ wo man weder im Einen noch im Anderen was wissen

kann und scheint verbal ein System zu machen, dasnicht stimmt.· Wenn Gott ein Dekret macht, dann scheint dieses

nur etwas Gott vermitteln zu konnen, wenn es Ein-fluss darauf hat (auf den actus creaturae).

· Wenn es diesen Einfluss mich ausubt, wie kanndann Gott daraus erkennen, was der Menschmacht?

· Dieses Dekret scheint eine holzernes Eisen zu sein,was die Schwierigkeiten beider Systeme in sich ver-einigt und nicht sie lost.

· Wenn es ein Dekret ist, kann es nicht condetermi-nans sein.

· Und wenn es nur condeterminans ist, sieht mannicht, wie Gott daraus was erkennen konnte. Viel-leicht ist auch beim vorhin genannten Buch diesesSache geschichtlich noch nicht genau untersucht.Das musste man tun mit lebendigem Mitphiloso-phieren an dieser Sache (in ZkTh besprochen).

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Viertes System: systema synkretisticum Das war das dritte System:praedeterminatio moralis, victrix, decreti condeterminantis. Jetzt ge-hen wir zum vierten System: systema synkretisticum, das auch inverschiedenster Weise vorgetragen wird.

Alle Systeme kommen darauf hinaus, fur die schwereren Heilta-ten des Menschen eine motio physica oder moralis zu fordernund fur leichtere Heilswerke diese praedeterminatio physica odermoralis nicht zu fordern.

Entweder diese so nicht fordern, dass sie da scientia media for-dern, oder so dass sie zu diesen leichteren Heilsakten leugnen,dass fur sie schon in actu primo ein Unterschied zwischen wirk-samer und hinreichender Gnade sei. Davon haben wir schon an-deutungsweise in der These gesprochen dass es eine gratia inactu primo efficax gebe.

Dort, besonders in den congregationes de auxiliis: wenn man al-le Schulen betrachtet ubereinstimmend: dort kleinere Ausbuch-tungen gibt es, die das nicht einhalten. Damals war man desendlosen Streits zwischen Molinisten und Banezianisten uber-drussig. Das Problem ist als festgefahren erschienen und mansuchte einen Mittelweg zu gehen.

Zu diesen gehort der heilige Alfons, doctor theologiae moralis.

Wenn es sich hier nur um Deskriptio handelt, wie der Menschvorangehen soll, ist dagegen nichts zu sagen. Wenn man denMenschen sagt: wenn du auf Gott ausschaust, dann tun und allesWeitere. Das ist sinnvoll. Klar, dass der Mensch nicht alle Gna-den in jedem Augenblick haben muss. Da gibt es Etappen. Dasletzte kann er nicht zuerst machen. Richtig ist, dass der Menschmit im Augenblick moglichen Heilsakten beginnen muss.

Klar ist, dass, wenn er auch in Schwierigkeiten drin steckt, so-lange er lebt, doch irgendwo eine Tur haben muss in seinemmoralischen Kerker, wo er raus kommt. Gott bietet ihm die im-mer an. Er kann nicht sagen, das muss sie sein. Aber eine Gnade,mit der er mitwirken kann, und die Gnade, mit der er nicht mit-wirkt noch ganz dieselben seien bei diesen Akten, dass da dieGnade nicht in actu primo efficax sei, das ist falsch.

Letztlich hangt es gerade von diesem ersten Akt ab, wie sichdie Sache weiter vollzieht. Gerade bei der mindesten Entschei-dung des Antriebs zu Gott hin kann sich alles entscheiden. Wennda nicht die Gnade Gottes wirksam ware, dann waren wir infromm gemeintem, aber massivem Semipelagianismus drin.

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10.3 These 19 Molina

Wenn bei jeder Gnade, die de facto wirksam wird in actu pri-mo efficax sein muss, darum sind diese synkretistischen Systemenicht akzeptabel. Sie sind, obwohl sie es nicht wollen,

Semipelagianismus und vereinen damit noch alle Schwierigkeitendes Banezianismus oder Molinismus: denn wenn die anderendoch so sind, dann durfte die Gnade dort keine praemotio phy-sica oder moralis sein, sonst ist dort die Schwierigkeit dieserSysteme.Morgen fangen wir den Molinismus an. Wir wollen in dieserWoche diese Frage noch fertig machen. Dann kommen wir zuneuen Fragen, die wir nach den Ferien anfangen werden.

27.3.1957 Vorl.54 (an diesem Tag Besuch des Rektors von Wurzburg)

Iam recensuimus Banezianis-mum. Iam transivimus ad sys-tema hic definitum: Molinis-mum

Wir haben schon den Banezianismusbeschrieben und sind schon uberge-gangen auf das System, das hier defi-niert wird - den Molinismus -.

10.3 These 19 Molina

These 19. Efficaciam gratiae Molinismus ope scientiae mediae recteexplicat.

Molinismus erklart die Wirksamkeit der Gnade richtig mit Hilfe derScientia Media

Quodcumque valet de valore in-terno de his systematibus, theolo-gus debet scire, quid doceant, De-bet declarare posse, quid docent.Debet scire punctum salientem.Alias solum vago modo profer-tur, quod communiter profertur.Et hoc est vagum et non correc-tum. Habemus munus, hoc sys-tema declarandi, ut sciamus, dequid agatur

Was auch immer vom inneren Wert dieserSysteme gilt, ein Theologe muss wissen,was diese lehren. Er muss erklaren konnen,was diese lehren. Den springenden Punktmuss er kennen. Sonst wird nur Vages vor-gebracht. Was gewohnlich vorgebracht ist,ist vage und stimmt nicht. Wir haben diePflicht dieses System zur erklaren, damitwir wissen, wovon die Rede ist.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Iam diximus in aliis systematibus,fortasse omnes conantur plus di-cere, quam quod hominibus pos-sibilis est. Nam omnibus scho-lis catholicis constat Deum cogni-tionem habere, eum causam esseomnium rerum, etiam actionis li-berae. Vero sensu in omni syste-mate omnia reduci posse ad De-um, etiam intellectum et volunta-tem

Wir sagten schon bei den anderen Syste-men: vielleicht versuchen sie alle, mehrzu sagen, als was den Menschen mog-lich ist. Denn fur alle katholischen Schu-len steht fest, dass Gott eine Erkenntnishat, dass er Ursache ist aller Dinge, auchder freien Handlungen. In einem wahrenSinn ist in jedem System alles auf Gottzuruckzufuhren. Auch den Verstand undden Willen.

Etiam constat hominem vera li-bertate gaudere, vera autonomiarelativa instructum esse, ut sic ip-se sit causa, si peccat, ut non pos-sit reponere decisionem suam inalium sed vere ipse est responsa-biis.

Außerdem steht fest, dass der Mensch sicheiner wahren Freiheit erfreut, dass er ei-ne wahre relative Autonomie hat, so dasser selbst die Ursache ist, wenn er sun-digt. So dass er seine Entscheidung nichtwegschieben kan sondern wirklich selbstverantwortlich ist.

Si salutare quid facit, debet gra-tias agere Deo. Ex altera parte,si se opponit voluntati legislativoDei, non potest dicere, Deum essecausam huius rei etiam, ut homorelevaretur de responsabilitate ei-us, ita ut Deus eodem modo re-spondere debeat pro utramque.

Wenn er etwas Heilsmaßiges tut, muss erGott danken. Auf der anderen Seite: wenner sich dem gesetzgeberischen Willen Got-tes entgegenstellt, kann er nicht sagen,dass Gott auch davon die Ursache ist, sodass der Mensch entlastet wird von seinerVerantwortlichkeit, so dass Gott in glei-cher Weise fur beides verantwortlich ware.

Hoc constat pro utraque schola.Quaestio est num plus de compre-hensibilitate dici possit quam id,quod omnibus commune est. Numplus dici potest quam ea, quaeomnibus scholis communia sunt,et num omnia alia sunt solum ten-tamina, quae non solum incassa etvana sunt, sed ex principio trans-grediuntur limites, quae sunt pos-tulanda de ea, quae homo dicerepotest de relationen inter creatio-nem et creatorem.

Das steht fur beide Schulen fest. Die Frageist, ob mehr gesagt werden kann, alswas allen gemeinsam ist uber die Be-greiflichkeit. Ob mehr gesagt werden kannals was allen Schulen gemeinsam ist undob es nur Versuche sind, die nicht nurvergeblich (incassa et vana) sind, sondernprinzipiell einzuhaltende Grenzen uber-schreiten, uber das was der Mensch aus-sagen kann uber das Verhaltnis zwischenSchopfung und Schopfer.

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10.3 These 19 Molina

De his duobus additionem face-re non est possibile. Inter am-bo incomparabilitas existit. Cons-tat causalitatem Dei non auferrecausalitatem creaturae et tamencausalitatem Dei non esse distinc-tam et superadditam causalita-ti creaturae. Causalitas creaturaeest praecise id, quo Deus agit.Non habet terminum distinctumde causalitate creaturae. Hoc estcrimen Banezii.

Diese beiden konnen nicht zusammenge-zahlt werden. Es gibt eine Unvergleich-lichkeit zwischen beiden. Es steht fest, dieKausalitat Gottes nimmt nicht dieKausalitat der Kreatur weg, und dochist die Kausalitat Gottes nicht etwas Ver-schiedenes und Hinzugefugtes zu der derKreatur. Die Kausalitat der Kreatur istgerade das, wodurch Gott handelt. Sie hatnicht einen Terminus distinctus (unter-schiedenes Woraufhin) von dem der Krea-tur. Das ist der Fehler des Banez.

Dicimus: nos nihil contra hoc obi-icere posse inquantum docet cau-salitatem Dei, sed solum inquan-tum id concreticat in terminocreato. Nos quodammodo praede-terminari a Deo per rem creatam.Id re vera videtur contra verum li-bertatis conceptum et contra con-ceptum gratiae vere sufficientis.

Wir sagen: wir haben dagegen nichts ein-zuwenden, insofern das System eine Ur-sachlichkeit Gottes lehrt, sondern nur das,dass es diese konretisiert in einen Ter-minus, der geschaffen ist. Wir wer-den gewissermaßen von Gott praedeter-miniert durch etwas Geschaffenes. Dasscheint wirklich gegen den wahren Begriffder Freiheit und der hinreichenden Gnadezu sein.

Molinisticum systema: cum talequid crimini vertendum sit sys-temati molinistico. Aliquo mo-do, si seriosi sumus, dicere debe-mus, hoc systema etiam vitupe-rium habere: distinguit aliquid inet a Deo positum, quod ratio estcur libertas humana cum univer-sali causalitate divina uniri pos-sit, quod in signum rationis po-nendum est.

Das Molinistische System, damit ein sol-cher Fehler vom molinistischen Systemferngehalten wird, mussen wir in irgend-einer Weise zugeben, wenn wir ernst sind,dass dieses auch seinen Mangel hat. Esunterscheidet etwas in und von Gott alsGrund, warum die menschliche Freiheitmit der universellen Ursachlichkeit Gotteszu vereinigen ist, was in signum rationiszu verschieben ist.

Reduci a Deo non potest talisres profertur als ratio, warum li-berum arbitrium componi potestcum causalitate divina.

Auf Gott kann diese Sache nicht reduziertwerden als Grund, warum der freie Wilemit der gottlichen Kausalitat vereinbar ist

Etiam ibi videtur adesse proble-ma

Auch da scheint ein Problem da zu sein.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Dici potest: id quod systema po-test declarari, quod apriori de-clarari non potest, tamen repo-nit hoc in ipsum Deum, Deo eius-que causalitati intrinsecum. Sedintantum non habet difficultatemBanezianismi

Da kann man sagen: das was das Systemerklaren kann, was zwar Apriori nicht er-klarbar ist, verschiebt es aber in Gottselbst hinein, als Gott und seiner Kausali-tat innerlich. Und insofern hat es nicht dieSchwierigkeiten wie der Banezianismus.

Ibi praemotio physica est creatumquid et interpositum in process-um creatum. Ibi mmysterium co-existentiae harum duarum causa-litatum in ordine creaturae poni-tur. Hoc mihi videtur falsum. Itaquoque Sertillange OP.

Dort ist die praemotio physica et-was Geschaffenes und eingebettet inden Prozess der Geschaffenen. Dort liegtdas Mysterium der Koexistenz der bei-den Kausalitaten im geschaffenem Be-reich. Das scheint mir mus zuruckgewiesenwerden. So auch Sertillange (der Domini-kaner).

Cardo solutionis habetur in SMut tali in proprietate Dei prou-ti est Deus. Non transponitur inordinem creatum. Deshalb nichtdiese Schwierigkeit wie Banez.Aber auch diese SM, die scientiaipsius Dei est, Deo intrinsecum,hat doch terminus creatus: futu-ribile. Und die Banezianer werfenuns das vor: Deus mendicare vide-tur. Prouti est futuribile Molinis-ti genuini die non dant ad ipsumDeum. Dass der Molinismus auchin klassischer Form Schwierigkei-ten hat, kann man nicht leugnen.. Was lehrt er: das ist zuerst dieFrage, auf die wir antworten mus-sen. Sub ipsa gratia sufficiente etefficaci hominem vera differentiapsychologica gaudere. Talem essequi huic impulsui resistere potest(docet ecclesia).

Der Kern der Losung liegt in der Scien-tia Media (SM) als solcher in einer Eigen-schaft Gottes insofern er Gott ist und wirdnicht in die geschaffene Ordnung ver-schoben. Deshalb hat man hier nicht dieSchwierigkeit wie bei Banez. Aber auchdiese SM, die ein Wissen Gottes selbstist und in Gott ist, hat doch einen ge-schaffenen Terminus, das Futuribile. Undie Banezianer werfn uns das vor und sagen,Gott scheint da zu lugen, Insofern es Futu-ribile ist, verlegen die genuinen Molinistendieses nicht in Gott hinein. Dass der Mo-linismus in klassischer Form Schwie-rigkeiten hat, kann man nicht leugnen.Was lehrt er? das ist zunachst die Fra-ge, auf die wir antworten mussen. Unterder hinreichenden Gnade und der wirksa-men Gnade erfahhrt der Mensch wirklicheinen psychologischen Unterschied, sie istso, dass er diesem Impuls Widerstand leis-ten kann (nach der Lehre der Kirche).

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10.3 These 19 Molina

Ex altera parte docuimus grati-am in actu primo esse efficacem etgratiam sufficientem in actu pri-mo iam esse, d.h. sie unterschei-den sich schon, wie sie von Gottgegeben sind. Deshalb res, cogni-tio und effectus voluntatis bene-volentiae ist anders in gratia ef-ficax und mere sufficiens wie sievon Gott gegeben sind und sindverschieden antecedenter ad ha-bitam ipsam hominis.

Andererseits ist die Lehre, dass die Gnadein actu primo wirksam ist und in actu pri-mo schon hinreichend ist, d.h. sie unter-scheiden sich schon, wie sie von Gottgegeben sind, Deshalb ist die Sache, dieErkenntnis und der Effekt des Willensak-tes anders bei wirksamer Gnade und nurhinreichender Gnade, wie sie von Gott ge-geben wird, und sind verschieden im Vor-aus sie der Mensch selbst hat,

Wie sie componenda sunt ist dieFrage. Banez und pradestinatiomoralis putaverunt internam na-turam prouti distinguitur a Deoet a actu secundo posse adscribiinfallibile efficacitatem. Das kamealso aus der Natur dieser Gnade.Praemotio physica oder psycholo-gica, das sind weitere Erklarun-gen, die diesen Schulen gemein-sam sind.

Wie sie zu vereinigen sind ist die Frage.Banez und die Pradestinatio moralishaben geglaubt, dass die interne Natur in-sofern sie von Gott unterschieden sind undvom actus secundus, so ist, dass ihr eineunfehlbare Wirkung zugeschrieben werdenkann. Das kame also aus der Natur dieserGnade. Praemotio physica oder psycholo-gica geben weitere Erklarungen fur das,was diesen Schulen gemeinsam ist.

Aber doch in ipsissima naturahuius gratiae reponitur, so dassGott aus dieser weiß, welcher Aktfolgt. In decreto circa talem grati-am weiß Gott infallibiliter, ob sieeffect hat oder nicht.

Aber diese liegt doch in der Natur die-ser Gnade selbst, so dass Gott aus die-ser Gnade selbst weiß, welcher Akt folgt,In seinem Dekret bezuglich einer solchenGnade weiß Gott unfehlbar, ob sie Wir-kung hat oder nicht.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Cardo essentialis Banezianismiliegt darin, dass sie reponenda estin ipsam gratiam. Aber die Fra-ge ist, worin fundari possit dieseinfallibilitas gratiae cognoscit undefficax. Sie kann nicht gesetzt wer-den in actum secundum huma-num (in consensum futurum hu-manum) noch (gegen die Augus-tiner) in natura gratiae a Deo da-tae. Also worin? Wenn in actussecundus, ist es geschehen um .....wenn in natura gratiae ist es nachden Molinisten geschehen um dielibertas indifferentiae und um diesufficientia.

Der wesentliche Kern des Banezianis-mus liegt darin, dass der Unterschiedder Gnaden in der Gnade selbst liegt.Aber die Frage ist, worin diese Unfehl-barkeit der Wirkung der Gnade begrun-det und erkannt werden kann. Sie kannnicht in den actus secundus des Menschengesetzt werden (in die zukunftige Zustim-mung des Menschen) und nicht (gegen dieAgustiner) in die Natur der von Gott gege-benen Gnade. Also worin? Wenn im actussecundus, ist es geschehen um die Bestim-mung Gottes, wenn in der Natur der Gna-de, ist es nach den Molinisten geschehenum die Freiheit der Indifferenz und um dieHinreichendheit.

So glaubt der Molina, dass erein 3.es gefunden hat, was dieseWirksamkeit der Gnade fundare,sustinere possit, ohne dass das ac-tus secundus humanus aut gratiaenatura interna sein muss. Diesestertium ist das futuribile.

So glaubt der Molina, dass er ein drittesgefunden habe, was diese Wirksamkeitder Gnade fundiert, unterstutzen kann,ohne dass das der actus secundus oder derNatur der Gnade innerlich sein muss. Die-ses Dritte ist das Futuribile.

Scimus quod tres actur logici dis-tingui possunt: possibile, futuribi-le (condicionate futurum) et futu-rum (de facto futurum). Hoc as-sumitur de omnibus. SecundumMolina actus cognoscitur in futu-ro. Etiam Banex concedit cogni-tionem circa Futurum. Secundumtheoriam Banez-thomisticam De-us scit id, quod aliquis libere fac-turus esset, si Deus ei hanc ethanc gratiam daret, Et hoc scitantecedenter ad decretum Dei ab-solutum et efficax, diese Gnade zugeben. Talimodo Banez cognoscitfuturibilia. Sed dicit Deum hoccognoscere ex ipsa natura gra-tiae. Molina hoc negat ex rationi-bus supradictis, sed concedit De-um fuuturibilia tamen cognosce-re, quia veritatem obiectivam ha-bent.

Man weiß, dass man drei logische Ak-te unterscheiden kann: possibile, futuribile(condicionate futurum), futurum (de fac-to futurum). Das wird von allen angenom-men. Nach Molina: Akt wird von Gott er-kannt im Futurum. Auch der Banez gibtzu Erkenntnis circa Futurum. Nach derTheoria Banez-Thomistica: Gott weiß waseiner libere facturus esset, wenn ihm Gottdiese und diese Gnade geben wurde. Unddas weiß er antecedenter ad decretum Deiabsolutum et efficax conferendi hanc gra-tiam. Soweit erkennt der Banez die futuri-bilien. Aber er sagt, ex ipsa interna naturagratiae erkennt er das. Das negiert Molinaaus den Grunden, die wir gesehen haben,aber er sagt, dass Gott es doch erkennt,weil es objektive Wahrheit hat.

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10.3 These 19 Molina

Verum est, si Christus dixisset: SiChristus Petrum non regardatumesset, Petrum fecisset aliquid exduobus possibilibus. Hoc consti-tuit veritatem obiectivam.

Es ist wahr: wenn Christus gesagt hat-te: wenn Christus Petrus nicht angeschauthatte, hatte Petrus irgend etwas getan auszwei posibilien. Das constituit eine objek-tive Wahrheit

Propterea Molina declarat et pos-tulat hoc futuribile cognoscere inseipso, sine medio obiective an-tecedente, et ita Deum ex mediodistincto hoc cognoscere, quodactionem praecedit. Non potestidentificari cum acto secundo sedest certa declaratio istorum futu-ribilium, SM (scientia media).

Darum declarat et postulat Molina hoc fu-turibile erkenne in se ipso, ohne dass einobjektives Medium vorher geht, so dassGott aus einem Medium distrinctum daserkennt, das der actio vorausgeht. Es kannnicht identifiziert werden mit mit actus se-cundus sondern ist eine sichere Erklarungdieser futuribilien SM (scientia media).

Banez: aus der praemotio physi-ca oder moralis. Molinisten: nichtaus der praemotio physica, son-dern ex ipsa futuribilitate liberavoluntate.

Banez: aus der praemotio physica odermoralis, Molinisten: nicht aus der praemo-tio physica sondern aus der Futuribilitatdes freien Willensaktes.

Wie ist das konstituiert, dass erist seine freie objektive Wahrheithat (ideale nicht reale). Antwort:daruber konnen wir keine Ant-wort geben. Sie haben eine objek-tive Wahrheit und Gott ist om-nisciens. Auf der anderen Seite:also ex seipso debet cognoscere.Andere: exhiberi ex ipsa essentiadivina. Andere verwerfen das undbleiben dabei: ex ipsa sola objek-tiva veritate cognoscitur. Nequealiquid aliud.

Wie ist das konstituiert, dass er eine freieobjektive Wahrheit hat (ideale nicht rea-le). Antwort: daruber konnen wir keineAntwort geben. Sie haben eine objek-tive Wahrheit und Gott ist omnisciens(Allwissend). Auf der anderen Seite: al-so aus sich selbst mussen sie erkannt wer-den. Andere: herausgeholt aus der gottli-chen Wesenheit selbst. Andere verwerfendas und bleiben dabei: nur aus der ob-jektiven Wahrheit selbst wiird sie erkannt,nichts anderes.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Reiiciendum est, dass alle dersel-ben Sentenz sein mussen, wennsie ihre Sentenz halten wollen.Wirklich leicht procedit ihre Er-klarung. Gott weiß antecedenterad decretum, diese Gnade zu ge-ben, was der Mensch tut, wennihm diese eher als die andere ge-geben wird. Das weiß er aus derSM. Insofern er das erkennt, kannGott unter dem Licht dieser Er-kenntnis entscheiden, diese Gna-de zu geben oder die andere unddann im Akt selbst dieses De-krets weiß er, dass er das tut. Sobleibt sie in actu primo efficax.Non praecedit cognitio de possi-bilibus sondern cognitio de actufuturo. Deshalb auch super emi-nens libertas divina effectiva circasalutem singulorum variorum ho-minum.

Man muss zuruckweisen, dass alle dersel-ben Sentenz sein mussen, wenn sie ihreSentenz halten wollen. Wirklich leicht gehtihre Erklarung voran. Gott weiß im Vor-aus zu seinem Dekret, diese Gnade zu ge-ben, was der Mensch tut, wenn ihm dieseGnade eher als die andere gegeben wird.Das weiß er aus der SM. Insofern er daserkennt, kann Gott unter dem Licht die-ser Erkenntnis entscheiden, diese Gnadezu geben oder die andere und dann im Aktselbst dieses Dekrets weiß er, dass er dastut. So bleibt sie in actu primo effi-cax. Es geht nicht voraus eine Erkenntnisder Possibilien sondern die Erkenntnis deszukunftigen Aktes. Deshalb auch ubere-minente gottliche Freiheit wirksam bezug-lich des Heils der verschiedenen einzelnenMenschen.

10.3.1 Exkurs uber den”Epochalen Molinismus“

Nochmal deutsch:

Das sogenannte mittlere Wissen Gottes, (Scientia media) ist nicht nureines uber das bedingt zukunftige Freie der Natur, sondern eine um-strittene Erklarung dieser Erkenntnis.

1. Dass Gott weiß, was ich tun wurde, wenn es heute kein scho-nes Wetter ware. Dass er mir sagen konnte, wenn heute mehrFon ware als de facto ist, dann warest du noch grantiger undbrummiger, obwohl du das frei tust.

2. Das ist bedingt zukunftige Handlung.a) Etwas was betrachtet wird, insofern von der tatsachlichen

Existenz der Umstande, aus denen heraus die freie Entschei-dung geschieht,

b) insofern abgesehen wird, ob sie existieren oder existierenwerden oder ob sie existieren konnte aber nie waren.i. An solchen mit âpoq  hinsichtlich der Faktizitat verse-

henen Umstandenii. kann man fragen: was konnte darin der Mensch tatsach-

lich tun.

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10.3 These 19 Molina

Das erklart jede Schule als etwas, was Gott weiß, mit Beispielen ausder Schrift.

1. Wenn Christus sagt: wenn diese Wunder in Tyrus und Sidongeschehen waren, hatten sich diese Leute bekehrt.

2. Wieso? Sie hatten sich ja auch nicht bekehren konnen.3. Und wenn sie es getan hatten, hatten sie es frei getan.

a) Auch wenn dort stunde: hatten sie sich bekehren konnenoder es bleiben lassen konnen, ist es doch so,

b) dass in Tyrus und Sidon diese Wunder de facto nie gesche-hen sind.

Doch sagt die katholische Theologie: Gott weiß, was da gesche-hen ware, wenn diese Umstande eingetreten waren.• Mit anderen Worten: bevor Gott beschließt, diese Wunder

dort zu wirken, weiß er schon, was dort geschahe, wenn erdiese Umstande tatsachlich realisieren wurde.

• Das ist die Erkenntnis der Futuribilien, der bedingt frei-en Handlungen.– Hinsichtlich der Existenz solcher sind sich die katho-

lischen Schulen noch einig.– Aber Woher Gott das weiß:

der Banez sagt: in diesen Umstanden sagt Gott: ichdekretiere, wenn ich diese dort wirken wurde, gabe ichdiese wirksame praemotio physica mit, nicht insofernsie unfrei sind, sondern insofern dieser Konnex da ist.∗ Wenn Gott bedingt beschließen wurde, dann wur-

de er diese praemotio physica mitsetzen.∗ Dann weiß er auch: dann wurden sich diese Leute

unfehlbar bekehren und zwar frei.Molinisten sagen: das hebt die Freiheit auf. Gott weiß

aber das Zukunftige aus dessen idealer Gegen-standlichkeit heraus. Wenn er aber weiß, dass siesich de facto bekehren wurden, und wenn er das ausdem Futuribile heraus weiß,∗ dann hat Gott, ohne die Freiheit anzutasten und

ohne ihn mit praemotio physica in Schuss bringenzu mussen, in der Hand, das zu tun.

∗ So weiß er: wenn ich die Wunder wirke, werden siesich bekehren, und wenn nicht, nicht.

Das ist relativ einfach, aber es entsteht die Frage, woher weißGott das, wie kann Gott dieses Futuribile erkennen?1. Der Molinist sagt: es ist objektive Wahrheit, es ist von Ewig-

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

keit zu Ewigkeit wahr.• Wenn diese Wunder da gewirkt worden waren, hatten

sich diese Leute bekehrt.• Nicht weil das Wunder sie gezwungen hatte, weil objek-

tiver nexus da ware,• sondern weil das wahr ist.

– Fur Leute die sich fur Logistik interessieren: von derLogistik her beschaftigt man sich auch damit, ob einsolches Futuribile, bedingt freie zukunftige Handlung,

– wirklich objektiven Sinngehalt hat, von dem man sa-gen kann, weil es ihn geht, weil es diese Wahrheit gibt,muss ihn Gott erkennen.

Zweifellos ist richtig: was objektiven Sinngehalt hat, muss von demAllwissenden gewusst werden.

• Und wenn man diesen nicht aus etwas von ihm verschiedenenheraus erkennen kann,

• muss er aus sich selbst heraus sich dem Wissen Gottes prasen-tieren.

– Dann ware die SM richtig, dann musste es sie geben,– obwohl man nicht sieht, wie das geht.

∗ Auch wenn man voraussetzt, dass es objektiven Sinnge-halt hat,

∗ ist immer noch die Frage, woher Gott das weiß.• Die Frage ist auch: er weiß es nicht aus etwas, was als geschaffene

(creata) Bedingung vorausgeht, denn dann ist diese Handlungnicht mehr frei. Selbst wenn man das sagen konnte: immer nochkann oder muß das Gott nicht aus sich selber wissen, diesesfuturibile.

27.3.1957 Vorlesung 55 (2.Stunde)

Tractamus adhuc systema Mo-linisticum, historica declaratioConcordiae inter liberum arbi-trium et gratia.Systema illud totaliter funda-tur in SM (scientia media).Haec est illa cognitio Dei circafuturibilia cognita ex se et nonex eorum causa hypothetica.

Wir stehen beim Molinistischen Sys-tem, der historischen Erklarung derConcordia zwischen Freiheit undGnade.

Das ganze System fußt auf dem mitt-leren Wissen Gottes (SM). Das istdiejenige Erkenntnis Gottes uber dasbedingt Zukunftige, insofern dieses insich und nicht aus seiner hypotheti-schen Ursache erkannt wird.

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10.3 These 19 Molina

Wer sagt, es gibt keine geschopfliche Ursachlichkeit fur die freieHandlung des Menschen, aus der man diese freie Handlung ad-aquat erkennen konnte,

und der doch behauptet, Gott erkennt die futuribilia im vorauszu seinem Dekret, bestimmte geschopfliche Umstande zu ver-wirklichen,

der ist in einem wahren Sinn Molinist. Vielleicht noch nicht imklassischen Sinn Molinist, weil dieser ja zu dieser negativen Aus-sage noch Erklarungen hinzufugt, die problematisch sind.

Aber wenn wir Folgendes sagen: es gibt Gott und geschopfliche Frei-heit.

1. 1. Gott ist notwendig absolute in allem jedem, also auch furgeschopfliche Freiheit, fur so und so (taleitas) dieser Freiheitvorauszusetzende transzendentale umfassende Ursache.

2. 2. Wenn wir sagen, Gott erkennt im Voraus zur Faktizitat derWelt die Welt, das heißt,• Gottes Erkennen ist (Heideggerisch: urstandlich und nicht

gegenstandlich,• ursprunglich, nicht vom Gegenstand her genommen),• die Welt denkend setzend,• nicht schon gesetzte Welt entgegennehmend.

– Wenn man das als zweites sagt und daraus folgt:– Gott kann die Faktizitat der Freiheit nicht aus ihrem

tatsachlichen Vorhandensein wissen, sondern von sichher.

Wenn3. 3. Eine geschopfliche Freiheit ist aus ihrem Begriff so, dass in

der Dimension des Geschopflichen,• der alle moglichen Bedingungen vorausgehen mussen• aber unter Todesstrafe fur sie ihr nichts vorausgehen darf,

– worin das Unableitbare schon unableitbar enthalten ist,-

– was also sagt, dass Gott∗ in seiner Erkenntnis des Freien, de facto Zukunftigen,∗ nicht aus anderem Geschopflichen diese freie Fakti-

zitat erkennen kann.

Frage: ist man dann schon Molinist oder ist man das noch nicht?

Ich sage: das, so formuliert, ist die negative, die epochale (nicht Epo-che machende, sondern) mit >Epoq  versehene Molinismus, insofernals das Problem eingegrenzt wird, negativ, aber eigentlich keine po-

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

sitive Aussage gemacht wird uber das Wie.

Wo ich uber diese Satze hinausgehe

1. Gott ist absolut transzendentale Ursache fur alles, auch die Frei-heit des Menschen.

2. Es gibt doch echte Freiheit des Menschen. Diese echte Freiheitkann• von anderem Geschopflichen nicht determiniert sein• und deshalb in ihrem konkreten faktisch Sein

– von anderem nicht erkannt werden,– auch nicht von Gott,∗ weil in dieser geschopflichen Voraussetzung der Frei-

heit∗ sein So-und-nicht-anders-Sein nicht eindeutig enthal-

ten ist.3. Weiter: insofern kann diese urstandliche Erkenntnis Gottes nicht

mit Hilfe eines anderen Kreaturlichen geschehen.

Dann haben wir im Grunde genommen die klassische Form des Ba-nez schon negiert und sind insofern aber vielleicht auch nurinsofern Molinisten.

Wenn der Molinismus weiter geht und sagt: dieses futuribile hat ob-jektive Wahrheit und dieses ist Gegenstandlichkeit fur Gott, weil erder Allwissende ist. Hier wird der Molinismus auch mehr wie proble-matisch.

• Wenn gesagt wird, diese objektive Wahrheit des futuribilenimmt Gott gleichsam gegenstandlich entgegen,

• dann muss man fragen, ist ein solcher Satz mit der absolu-ten Selbstgenugsamkeit, Souveranitat, Unbedingtheit, Unverur-sachtheit Gottes und seiner Erkenntnis noch vereinbar?

– Daran kann man dann zweifeln und so von dieser Negativi-tat eines epochalen Molinismus

– zu in einen positiv noch erklaren wollenden Molinismus:– da fangt das Problem an, wie bei den anderen Systemen.

∗ Ob es auch futuribile necessarium gibt,∗ ob die Verleugnung des Petrus auch eines ist, nachdem

es geschehen ist.∗ Worin besteht die Schwierigkeit: in positiver Erklarung

der scientia media (SM).

Sicher glaube ich, muss man, wenn man methodisch denkt sagen:

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10.3 These 19 Molina

• etwas was dem freien Akt des Menschen vorausgeht als geschaf-fene Große,

• kann nicht infallibiliter eine Aussage aus seiner Inhaltlichkeitheraus machen,

– welcher freie Akt des Menschen damit futuribel ist.– Aus leerem Topf kann auch Gott nichts schopfen, er muss

es reintun, also vorher gehabt haben.∗ Aus praemotio physica notwendiger Akt∗ oder nicht infallibler Akt des freien Aktes.

Insofern wir bestreiten, dass etwas, was der Freiheit des Men-schen vorausgeht in der geschopflichen Ordnung1. der adaquat tragende Grund der objektiven Wahrheit des

futuribile sein und2. damit Quelle der Erkenntnis fur jemand sein kann und3. in dem Sinne sagen: cognoscitur in se ipso.

In diesem epochalen Sinn ist es ganz vernunftig Molinist zu sein.Wenn aber weitergegangen wird: in diesem Sinn hat das objekti-

ve Wahrheit: ist nicht so einfach, wie wir gesagt haben. Dennalteste Banezianer haben das tatsachlich bestritten und Moli-nismus bekampft. Spater haben sie es aufgegeben.

Dieses futuribile mag objektive Wahrheit haben.• Aber die Frage: worin ist diese begrundet?• Sonst und uberall sagen wir: sowohl existentiale wie essen-

tiale Gebilde,• Wesenheiten als Moglichkeiten objektiv wie auch Wirklich-

keiten basieren in Gott.– Molinist: das tut das futuribile auch.– Aber: basiert es in Gott, insofern es Possibile ist,– oder auch die futuribilitas als solche, nicht als possibile.∗ (Denn auch das ist nochmal moglich als possibile.∗ Wenn es futuribile gibt, ist dessen formale Ratio auch

moglich)– Wenn Nein:

1. basiert die futuribilitas auch auf Gott als futuribile2. oder nur auf sich selbst3. oder in der zukunftigen Entscheidung des Men-

schen?∗ Auf der kann es nicht basieren, ist ja prius.∗ Sie muss letzten ontologischen Grund haben.Den kann es auch haben, wenn es nicht existie-

rend ist, eine Washeit, ein Satz, ein Wert:

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

auch da muss es fur theistische Metaphysik aufGott basieren.

Aber wie?Es braucht nicht auf Gott basieren, indem Gott es schafft. Das

nicht. Denn die nicht wirklichen Dinge brauchen von Gott nichtproduziert werden. Aber doch auf ihm basieren, so wie die Pos-sibilien als mogliche Dinge auf Gott basieren.

Da ich existiere, war ich moglich. Ob ich auch zu anderer Zeit, sowie ich bin, moglich gewesen ware, ist andere Frage.• Diese objektive Moglichkeit, die immer gegeben war fur

jetzt,• basierte selber auf dem Wesen Gottes.

– Viereckiger Kreis in euklidischer Geometrie ist nichtdenkbar, nur scheinbar denkbar,

– hat diese objektive Moglichkeit nicht.• Insofern die Futuribilien von Vorkommnissen unterschieden

werden mussen als sonder Klasse von Dingen• und insofern beide nicht existieren,• gehoren sie beide in die Klasse der idealen Gegenstandlich-

keiten.– Wir konnen aber und mussen als Theisten sagen:– auch die idealen Gegenstandlichkeiten basieren in Gott,– auch in dem, in dem es sich von reinem Possibile unter-

scheidet.Da geht dem Molinisten die Puste aus. Wo basiert das in dieser

Hinsicht auf Gott? Wenn es darauf basiert, dann kann Gott esin seiner futuriblen Funktion erkennen.• Dann entsteht die Frage: wie ist denn dieser Begrundungs-

zusammenhang,• der auch so sein musste, dass er einen Erkenntniszusam-

menhang zwischen Gott und dem Futuribile als Futuribileherstellt.– Man kann nicht sagen:. In der Wesenheit Gottes als er

selbst ist es begrundet,∗ dass das ein Futuribile∗ und das ein bloß Mogliches ist.

– Das heißt, mit dem Wesen Gottes ist es gegeben, dassich so handeln muss.

– Macht man das nicht so,∗ dann ist auf die Frage der objektiven Wahrheit des

Wie eines Begrundungszusammenhangs· zwischen dem Akt und Gott als Wesenheit und

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10.3 These 19 Molina

Existenz· nicht eine positive Antwort zu geben.

∗ Nur: Gott erkennt alles in sich, also auch das Futu-ribile.· Er erkennt das in sich nur insofern er es nicht in

anderem Geschopflichen erkennt.· Wie er es in sich erkennt, das weiß ich nicht.

∗ Aber, konnte man sagen, gut, das sagt ein normalerMolinist auch.· Es muss SM geben, wie die ist weiß ich nicht.· Ob das nur Gott als Gott zukommt so dass ich es

nicht objektivieren kann in reiner Geschopflichkeitwie mit Praterminatio physica,

· sondern in Gott bleibt,· dann bleibt das Geheimnis dort, wo es bleiben

muss: in Gott.Insofern ist es etwas Sinnvolles. Nur ist naturlich der klassische

Molinismus nicht nur deshalb mehr als dieser epochale Mo-linismus weil er das• cognoscere futuribilia meistens im positiven Sinn meint,• nicht nur als Abzuwehrenden, sondern auch deshalb,• weil er es macht fur einen Heilsakt als futuriblen• und das Futuribile noch mal distinguiert

– und da logische Distinktion macht,– die nicht mehr recht durchdenkbar sind– und die bei der negativen Form gar nicht notwendig

waren.Das soll als Kritik, Fragezeichen zum Molinismus genugen.

Wie geht es beim Molinismus eigentlich weiter? Wenn wir SM vor-aussetzen,

1. das heißt, wenn wir voraussetzen: Gott weiß aus dem futuribilenAkt des Menschen und nicht aus was anderem,

2. mit absoluter Sicherheit, weil er alles erkennt,3. dass ein bestimmter Mensch, wenn er in diesen Zusammenhang

kommt,4. in reiner Faktizitat so und nicht anders handeln wurde.

Dann hat Gott alles in der Hand. Man kann ihm alles zuschrei-ben, was man ihm zuschreiben muss.• Er weiß, indem er diese Gnade dekretiert in dem logischen

Moment: ich will dieses verwirklichen:

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

• weiß er auch, welches Futurum eintreten wird und• muss es nicht von seiner eigenen Gegenstandlichkeit entge-

gennehmen.– Hier: Molinismus sagt, Gott durfe keine gegenstandliche

Erkenntnis aus dem anderen haben,– nicht aus dem Gegenstand die Eigentumlichkeit seiner

Handlung, sondern umgekehrt.– Also das ist auch bewahrt und gerettet.∗ Da macht er gegen sich selbst eine Instanz.∗ Warum soll das nicht auch fur das Futuribile gelten:

das ist ideale Gegenstandlichkeit.· Es braucht nicht auf die Momente in Gott zu-

ruckgefuhrt werden,· die nicht das reale Vorhandensein haben,· mussen aber auf die Dinge zuruckgefuhrt werden,

die die objektive Wesenheit tragt.· Die muss es geben. Warum gilt es da nicht mehr?

Klassischer Molinismus hat die Reduktion der objektiven Wesenheitder Futuribilien auf Gott bestritten.

• Frage: soll man diese Haltung, die das bestreitet, noch Molinis-mus nennen oder nicht?

• Jedenfalls muss man sagen, es muss in Gott begrundet sein,– nicht nur insofern es ein Mogliches (Possibile)– sondern auch als Futuribile, insofern das mehr sagt als bloß

Mogliches.∗ Es gab auch Leute, die sich darin retten wollten, da-

durch dass sie sagten, das Futuribile ist gegenuber demPossiblen im Grunde etwas Negatives.

∗ Die vollzogene Freiheit ist in gewissem Sinn die Ent-scheidung zu weniger als man vorher als Moglichkeithatte.Das ist in gewissem Sinn richtig. Inwiefern kann

formale Realitat erkannt werden: in sich (aber nichtskann nur im Kontrast zum wirklichen erkannt haben,wir operieren nur mit solchen Begriffen, weil endlich.

Dieses eine Negativitat Fundierende ist wiedereine Positivitat, denn das Nichts ist nichts. Dafurbrauchen ich keine Erklarung.1. Aber das so und nicht anders sein eines Positiven2. ist nicht bloß als Negativitat erklarbar.3. Das verschlagt also auch nicht.

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10.3 These 19 Molina

Welches ist der Begrundungszusammenhang zwischen Futuribile undGott? Wenn man da nichts weiß: Frage ob man klassisch, traditionellnoch Molinist ist?

1. Es gab immer solche, die sagten: die Wesenheit Gottes ist dasdarstellende Mittel fur die Erkenntnis Gottes. Die zeigt das Fu-turibile, sie begrundet es nicht.

• Das ist letztlich auch nur Ausrede bis zu gewissem Grad:– denn etwas in A kann B nur zeigen, wenn es entweder

B begrundet– oder wenn B sich in einem realen Prozess bei A meldet,

wenn B A determiniert, beeinflusst, und sich so meldet.

2. Molinismus sagt: das ist nur idealer Zusammenhang, objektive,nicht existierende Abhangigkeit Gottes vom Futuribile.

Darauf ist zu sagen:

a) 1. Auch ideale Abhangigkeit Gottes vom Futuribile ist beiGott unmoglich.

b) 2. Auch hartgesottener Molinist wird zugeben: der Erkennt-nisprozess Gottes ist ein reales Vorkommnis,• und ich kann Ursache fur Realitat des Aktes (actus sub-

jectivus)• und terminus dieses Aktes nicht voneinander trennen.

3. Ich brauche fur actus realis et physicus terminans ad futuribi-le eine ratio ontologica realis physica dafur dass dieser actuscognoscitivus terminatur ad hoc reale.

• Ich brauche terminatio• nicht bloß terminus obiectivus idealis.

– Ich weiß nichts daruber:– ich brauche nichts daruber wissen, weil ich∗ nicht ein etwas in Gott angeben kann,∗ was ich von ihm distinguieren kann,∗ was der Grund fur etwas Geschaffenes ist,∗ sondern Gott ist der, der der Unanalysierbare, der

Grund der Welt ist.

4. Konnte man im eigentlichen Sinne etwas analysieren, verschie-dene Momente unterscheiden, ware diese Ursache eo ipso eineinnerweltliche Ursache.

• Es ist nicht aufregend fur den epochalen Molinismus,wenn ich nicht weiß, wie Gott das fertig bringt, ohne pra-edeterminatio auszuuben und ohne Determinatio zu emp-fangen, das Futuribile erkennen zu konnen.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

• Nur kann man gegen den klassischen Molinismus sagen:– Wenn du zugibst, dass du das nicht weißt, und auch

sagen musst, dass ein Versuch das zu erklaren, als falschzu erkennen sein muss,

– dann ist auch der ubrige Mechanismus wahrscheinlichauch uberflussig und bloß verbale Angelegenheit,

– die sachlich uber den epochalen Molinismus hinausnichts Neues sagt.∗ Denn sobald ich anfange, Gott selbst der radikal ganz

und in jedem Moment das Prae und nicht das Postfur Kreaturliches ist,

∗ im Grunde etwas Post, nach dem Futuribile werdenzulassen, da fangt der Molinismus an, den Ast selbstabzusagen, auf dem er sitzt.

∗ Insofern er Nein zu Banez ist, lebt er davon wesent-lich: es kann nichts Kreaturliches geben, was ein Praezur Freiheit des Menschen ist.

∗ Wenn das wahr ist, muss ich erst recht sagen: es gibtuberhaupt kein Prae fur die Freiheit Gottes.

Der klassische, nicht bloß epochale, sondern positiv aussa-gende Molinist sagt: Freiheit Gottes kann erst einsetzennach der cognitio eines von Gott Verschiedenen, eines Fu-turibile.

Wie das mit dem Grund-Pathos des Molinismus auf Gottangewandt, vereinbar ist, ist im Grunde nicht einzusehen.• Gerade dort, wenn wir der kreaturlichen Freiheit mit

Recht vindizieren, dass sie bei allen Voraussetzungen,die sie hat, doch keine sie bindende hat,

• dann muss ich das erst recht der Freiheit Gottes vindi-zieren.

5. Das Futuribile kann auch nicht etwas sein, was man in echter,nicht bloß verbaler Weise in Gott zwischen zwei Momente schie-ben kann.

• Das macht der klassische Molinismus: zuerst muss Gott aufdas futuribile schauen, und dann kann er aus seinen Gnadenverschiedenes auswahlen, wenn er aus der SM weiß, waskommt.

• Da kommt ein Post in Gott hinein, das mit seiner Freiheitnicht richtig vereinbar zu sein scheint.

• Man weiß nicht, wie so eine positiv gesagte scientia media(SM) genauer gedacht werden muss.

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10.3 These 19 Molina

• Nun, wir mussten, wir tun in der nachsten Stunde unter der Vor-aussetzung der SM uns noch uberlegen, was eigentlich gemeintist mit dem Molinismus,

• wie unter dieser Voraussetzung die ganze Konstruktion aufge-baut wird.

• Auch ein paar Worte zum reinen Lessianischen Molinismus undCongruismus und dem reinen Molinismus.

• Wenn wir noch Zeit haben, werden wir uns noch einige Gedan-ken zu machen haben - um nicht vorzugreifen auf die gratiahabitualis - uber das Verhaltnis der Gnadenlehre und der Chris-tologie.

29.3.1957 Vorlesung 56

Die eigentliche Explication des Molinismus ist schon geschehen.

• Wer begreift, was ein Futuribile ist,• in welchem Sinn der Molinismus die Erkenntnis dieses Futuribile

aus ihm durch die scientia media erklart,– wer diese nicht annimmt, hat keine Schwierigkeit mehr– zu begreifen was er sagt,– noch warum das eine Losung der Concordanz zwischen Frei-

heit des Menschen und in von vorneherein wirksamer GnadeGottes ist.

Denn wenn Gott unter dem Licht der SM aus den Futuribilienwissend, was der Mensch tun wird, oder wurde, wenn er Gnadenicht empfinge,

dann braucht er nur beschließen, diese und diese gebe ich,• um zu wissen, dass er im ordo futurum diesen und diesen

Akt setzen wird.• Indem er diese tatsachlich beschließt, weiß er im Voraus zum

Futurum, was der Mensch tun wird,und das ist die gratia efficax in actu primo.

• Im logischen Akt, der der Futuritio vorausgeht, wenn auchnicht der Futuribilitat,also simpliciter et sub omni respectu in actu primo effi-

cax (bei Banez).Bei Molina nur antecedenter ad Futurum und nicht ad

Futuribile.• Weil er aber nur dort, wo er wirklich handelt,• nicht wo er handeln konnte, der sein muss,

– der von sich aus und seiner Initiative aus wissen muss,

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

was aus seiner Initiative entspringt,– darum genugt Recessus antecedenter ad Futuritionem,

auch wenn es keinen Vorrang gegenuber der Futuribili-tas, also der reinen idealen Gegenstandlichkeit bedeutet.

• Im Ordo abstrakter idealer Gegenstandlichkeiten ist die Fu-turibilitas etwas, was der Futuritio vorausgeht.

• Da sagt der Molinist: nicht Vorausgang gegenuber Gott• sondern logisches Prius zu objektiver, sachlicher Qualitat

eines geschopflichen Dinges, namlich der gratia efficax.– Wenn diese infallibiliter efficax erst consequenter zum

Futuribile ist,– dann schadet das der souveraanen Prarogative Gottes

nichts.∗ So wenig wie es ihm schadet, dass er nicht viereckigen

Kreis machen kann.∗ So wenig das(s) die Gnade eine gegenstandliche

Wirksamkeit erst konsequenter zu futuribilem Akteiner Kreatur als infallibiliter efficax gesagt werdenkann.

Das lasst sich sagen, und solche Antwort muss man wissen.Man soll ihn auch im Examen verteidigen konnen. Auch wennman nicht glaubt, dass er das letzte Wort gesprochen hat.• Auch wenn man sagen kann, dieses logische prius, das sich

nur auf Futuritio und nicht auf Futuribilitas bezieht, ist,weil es nur Prae zwischen zwei geschopflichen ist,

• ist nichts gegen die divina causalitas als solcher gesagt. Weilauch eine bestimmte von Gott nicht abanderbare Ordnunginnerhalb der geschopflichen Wirklichkeiten kein Affront ge-gen Gott ist.

• So bleibt doch auch im Molinismus die Frage, wie die SMzu erklaren ist.– Denn hinsichtlich der Frage der Endstandlichkeit fur die

scientia divina– steht Gegenstandlichkeit eines Endlichen Objekts und– das bleibt die unauflosliche Schwierigkeit des Molinis-

mus.∗ Wieso Gott dieses Futuribile als solches erkennen

konne,∗ wenn er hinsichtlich seiner Erkenntnis kein prius ha-

ben kann, das nicht in ihm, sondern in etwas Anderembegrundet ist,

∗ wenn er nicht entgegennehmende sondern setzende

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10.3 These 19 Molina

Erkenntnis haben kann.· Wenn man da sagt: ideale Gegenstandlichkeit des

Futuribile ist nur Gegenstand fur die ErkenntnisGottes terminans,

· aber nicht determinatio cognitionis divinae, sie ter-miniert, aber bestimmt Gottes Erkenntnis nicht.

• Aber worin besteht das, worum (worin?) Gott dieses Futu-ribile denkt?– Sagen wir: das wissen wir nicht,∗ dann kann man vielleicht noch sagen, das ist zu er-

warten.∗ Oder: der klassische Molinismus hat hier, um bei sei-

nen Grundansatz zu bleiben eigentlich seine Positionverlassen.

• Wie und wo die Sache nicht stimmt: er muss postulieren,– dass es nicht als Possibile sondern als Futuribile als sol-

ches– ein geschopfliches Prius Gott und seiner Erkenntnis vor-

ordnet,– und das geht nicht, weil auch im ordo der idealen Ge-

genstandlichkeiten als solcher fur Gott kein prius habenkann.

Wir wollen die Kritik und die Problematik des Molinismus verlassen,und noch kurz uberlegen, was sich unter Voraussetzung solcher SMergibt.

Grundsatzliches gesagt:

Gnade kann in actu primo wirksam sein, ohne dass sie als Ge-schopfliche Realitat infallibel sein muss.

Dies wird nicht aus ihrer eigenen inneren Natur als solcher er-kannt.

So kann die Freiheit als gewahrt erklart werdenund doch kann die Gnade in actu primo efficax sein.Diese kann von Gott in der SM erkannt werden, undGott kann diese gratia in actu primo efficax beschließen, beschlie-

ßen als eine solche. Damit ist diese triplex proprietas (Eigentum-lichkeit) der Gnade und Gnadenverleihung und Wirksamkeit ge-wahrt.

Freiheit ist gewahrt: in der Ordnung der Wirklichkeit des real Ge-gebenen ist

die Souveranitat des gottlichen Handelns gewahrt, und Freiheit

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

ist gewahrt, dort wo die Wirksamkeit eines Impulses auf sie bloßaus der Freiheit, wenn auch aus ihr im logischen Moment der fu-turibilitas erkannt wird, ist sie gewahrt.• Wenn einer sagt: in dieser Frage muss absolutes Geheimnis

sein und der Molinismus das zu klar mache,• dann wird der Molinist sagen: nein, die Sache bleibt ge-

heimnisvoll genug. SM angeschaut ist wirklich ein Geheim-nis. Also auch Mysterium selbst hier vorauszusetzen und zuerwarten, und wo sie Gegenargument zu sein scheint, auchgewahrt zu sein.

• Und insofern dieses Geheimnis in Gott liegt und das dercognitio futuribilium in Gott bleibt, hat in dieser Hinsichtfur unsere Schul-Uberlegung der Molinismus ein Prae gegenBanez, wo das Geheimnis in Geschopfliches verlegt wird.– Denn wie eine geschopfliche entitas vom actus secundus

real verschieden ist und ihn doch infallibiliter praede-terminiere

– und die Freiheit doch bleibe,– das ware das Geheimnis.– Hier bleibt das Geheimnis im Verhaltnis von Wirklich-

keiten, die geschaffen sind.

Hier musste man sagen, - eine Objektion gegen klassische Form, diedurchschlagt - hier ist Geheimnis, wo es nicht sein kann.

Spater werden wir ontologische Uberlegungen machen, dass Ge-schopfliches gar kein Geheimnis sein kann,• weil jedem Endlichen ein ihm entsprechender, kongenialer,

geschopflicher Intellekt zugeordnet werden kann: ens et ver-um convertuntur.

• Es gibt einen Intellect, der ihm zuordenbar ist.• Da kann also das Geheimnis nicht sein.

Allerdings: der Molina verkorkst dieses Geheimnis auch irgend-wie.• Denn es spielt sich ja nicht ab in Gott und in seiner Initiative

auf das Geschopf.• Die Kausalitas in der Gott selbst ins Spiel kommt und hinein

kommt, kann auch ein Geheimnis sein.– Es kann in Gott sein und in seinem ihm formal zukom-

menden Verhaltnis zu der Kreatur.– Diese halt auch der klassische Molinismus nicht rein auf-

recht,∗ denn er hat das Geheimnis in der Erkenntnis in Be-

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10.3 These 19 Molina

zug auf geschopflichen endlichen Gegenstand,∗ wenn auch idealer Art,

· welches nicht eigentlich begrundet wird durch dieWirklichkeit Gottes selbst

· sondern irgendwie von Gott hingenommen wird,7−→so dass das Geheimnis dieser Erkenntnis das

Geheimnis des Erkannten ware,7−→so dass auch unser Grundprinzip bedroht oder

hinfallig gemacht ware.

10.3.2 Unterschied zwischen Molinismus undKongruismus des Suarez

Damit sind die verschiedenen Dinge, die der Molina erklaren kann vonder SM gesagt. Nur noch zur Abrundung: den Unterschied zwischenreinem (Lessianischem) Molinismus des Molina und Lessius einerseitsund dem Kongruismus des Suarez anderseits.

Nicht nur, um die Untertypen des Molinismus zu kennzeichnen,ganz unwichtig sondern auch dass auf dem Boden des Molinis-mus ein Gnadensystem, eine Auffassung des Verhaltnisses vonGott und Mensch, Gnade und Freiheit moglich ist, die im Grun-de der Wirklichkeit durchaus vom Pathos des Banez und wennsie wollen vom Pathos des Kalvinismus erfullt ist.

Insofern hat diese Distinktion eine religiose und existentielle Be-deutung und auch eine geistesgeschichtliche. Was gewohnlichin geistesgeschichtlichen Erorterungen uber das Verhaltnis vonJesuitismus usw. neuzeitlicher Jesuitentheologie bei Eschweileroder sonst wo gesagt wird, sind meist billige, oberflachliche Spru-che, mit denen man verrat, dass man im Grunde davon nurfalschen Begriff hat.

Warum? Setzen wir voraus, Gott hat SM. Setzen wir voraus,diese ist vom Futuribile abhangig. In einer Weise, zu der wir sehrdickes Fragezeichen gemacht haben, denn die Zeichnungen ei-ner neuzeitlichen Apozentrik, das große urchristliche Pathos desAugustinus, Kalvinismus, Jansenismus, die Kreatur autark ge-gen Gott stellende Vorstellung wirklich gegeben oder ist das nureinfaltiger Spruch, die beweisen dass der von der Sache nichtsversteht.

Warum? Gerade wenn es SM gibt, wenn Gott absolut weiß,wenn ich dem x die Gnade α gebe, wird er so und so handeln.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

Wenn aber die Gnade β, so und so. Und in der Ordnung derWirklichkeit ist absolut klar: unsere Freiheit ist, unbeschadetihrer Wirklichkeit, die Souveranitat Gottes in der konkretenOrdnung Gottes in radikalem, unheimlichem Sinn da.

Congruismus: Gott braucht nur sagen: da ist Subjekt, es kanndiesen und diesen Akt setzen.

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqSubj

α

β

ppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp pppppppppppppppppppppppppppppppppp

ppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp pppppppppppppppppppppppppppppppppp

• Wenn nur, wenn Gott ihm die Gnade α oder β gibt, was zuerklaren die SM erfunden worden ist.

• Jetzt braucht Gott nur sagen, ich will, dass dieser Akt seiund nicht dass dieser sei, dann braucht er nur sagen, ichgebe α dann resultiert dieser Akt.– Der Mensch macht ihn als freier,– also Pradestinatio formalis actus salutaris ipsius et con-

sequentis gloriae antecedenter ad decretum conferendihanc potius quam alium.

– Ist unter der Voraussetzung der SM absolut moglich.Wer solche praedeterminatio ad gloriam ut talem annimmt und

sagt: Gott gibt deshalb entsprechend diesem zu diesem Endef-fekt der Freiheit im einzelnen oder totalen die Gnade, der kanndas Molinistisch sagen• und hat keine Schwierigkeiten, das zu sagen und dann ist er

im Grunde nicht in der Lehre (Lage?)(Annahme) als solcher,• weil er Freiheit nicht leugnen muss, sondern im Grundpa-

thos seines Verhaltnisses Gottes zum Menschen so Banezia-ner und Kalvinist, wie diese Leute auch.

• Das Geheimnis der Gnade ist in der Hand Gottes. Und dar-auf kommt es an, mindestens in der Ordnung der konkretenWirklichkeit.– Wenn der Molinist sagt, das Futuribile muss ich als noli

me tangere der Freiheit Gottes irgendwo sich gegenuberstellen wie das,

– dem gegenuber man Objektionen machen kann gegenden Molinismus,

– aber nicht solcher, der das konkrete Lebensgefuhl desMenschen irgendwo alterieren muss.

Denn selbst, nehmen wir an, morgen wurde der Papst den Moli-nismus definieren.

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10.3 These 19 Molina

• Musste dann eigentlich der katholisch werdende Kalvinermehr aufgeben, als die Leugnung der Freiheit?

• Mehr annehmen als den Satz: auch unter der Gnade ist derMensch frei?

• Musste er seine innere Konfiguration umkrempeln,– das Lebensgefuhl der Kapitulation vor der Souveranitat

Gottes,– wo der Mensch weiß, was hast du, das du nicht empfan-

gen hattest,– wie kann das Gefaß, das von Gott gemacht wurde, rech-

ten und Gott vor sein Forum rufen.• Auch unter dieser definierten These, auch wenn das Glau-

bens Wahrheit ware,– auch wenn dieser Mensch dann Molinist sein musste,– konnte er uberzeugt sein, ich bin als der Konkrete,

Wirkliche, restlos eingefangen und bleibe es von Gott.Denn er kann von sich aus unbeschadet seiner Freiheit, die der

Suarezianer (Congruist), kann er sagen, aber dennoch, obwohlich Freiheit habe, handle ich so, wie vorher zu der HandlungGott beschlossen hat, dass ich handeln soll, freilich im Blick aufSM, diese und diese Gnade zu geben beschlossen hat und des-halb geschieht das. Ich bin es also, aber ich hatte das nicht getan,wenn nicht Gott andere Gnade gegeben hatte und beschlossenhatte, und wenn er nicht gerade diese gewahlt hatte, damit dasrauskommt.

Jener Molinist, der, weil er gerade diesen Heilsakt, das Geret-tetwerden dieses Menschen will, das ist der• Congruismus, wo Gott die Gnade deshalb auswahlt, weil

sie zu dem von ihm praedefinierten Heilsakt bez. Gesamt-heilsakt (glorie), congrua ist.

• Das weiß Gott nur aus dem Blick der SM auf die Futuribi-lien.

• Aber das andert nichts daran, das nur deshalb zu wollen,weil sie diesen Heilsakt mit sich bringt oder nicht.– Sagt man: Gott wahlt bestimmte Gnadenordnung unter

dem Licht der SM, aber nicht deshalb weil dieser ordoherauskommen soll,

– dann haben wir den nicht congruistischen, reinen Moli-nismus des Molina und Lesssius und

– der trotz Dekrets des Aquaviva, das den Congruismusals Schultheologie vorschrieb, haben sich die Jesuitendoch, in gewissem Heilsoptimismus und Reaktion gegen

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

die dustere Pradestination des Kalvinismus dem reinenMolinismus zugewandt unter der Duldung der Leitung.

– Gott entschließt sich nicht, weil er den im Himmel habenwill, und den auslassen will, zu bestimmter Gnadenord-nung,

– sondern weil eine bestimmte Gnade Ausdruck seinerSouveranitat ist, mit der er seine Gnade verteilt, under weiß, dass dieses herauskommt durch die SM.

Und konsequenter zu dieser Gnadenordnung entschließt sichGott zu dieser geschopflichen Wirklichkeit der Verdienste undMissverdienste, der Glorie und Verdammnis.

Der letzte spekulative sachliche Grund fur den reinen:• dass Gott eine bestimmte Gnade auswahlt, weil er ihn im

Himmel haben will und nicht deshalb, wo er sieht, dass dasso ist, und deshalb auch weil es ist.

• Sondern reiner: dann wahlt er eben auch die auf das End-resultat hin gesehene Gnade mere sufficiens, weil er nicht inden Himmel kommen soll.Und wenn man sagt:– nicht weil er nicht in den Himmel kommen soll, sondern

er lasst ihn nur aus bei der Erwahlung,– dann sagt der Molinist: das ist eine faule Ausrede. Denn

es gabe praedeterminatio ad gloriam praecisive sump-ta. (Nicht in den Himmel kommen also, dass er nichtGnade bekomme, dass er in den Himmel kommt, alsomuss nachtraglich fordern, auswahlen, weil sie mere suf-ficiens ist. ) Freiheit wurde nicht aufgehoben, aber vonuniversalem Heilswillen Gottes konne man nichtmehr reden, sagt der Molinist.∗ Dagegen kann man nichts sagen. Vorausgesetzt dass

alle logischen Voraussetzungen uberhaupt sachlicheinsehbaren Sinn haben.

∗ Das ist naturlich hochst prekar und nicht sicher. Des-halb sind vielleicht die Voraussetzungen gar nicht da.

∗ Aber wenn man sie macht, dann ist schwer einzuse-hen, wieso noch im Ernst sagbar ist, Gott habe uni-versalen Heilswillen, wenn er in formaler praedefini-tion der Glorie oder nicht Glorie als ersten logischenMoment diese Gnadenordnung ausgewahlt hat.

Da sehen sie auch, dass der Banez sagt: voluntas universalissalvifica hat er nur antecedenter zu seinem Willen, seineGerechtigkeit zu offenbaren. Gott sagt: ich will schaffen.

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10.3 These 19 Molina

• Insofern habe ich gegenuber diesen Geschopfen ein auf allesich beziehendes Wohlwollen.

• Aber ich mochte da auch meine Strafgerechtigkeit offen-baren.– Damit diese geoffenbart wird - so geht der nexus wei-

ter - deshalb sagt Gott, muss es Menschen geben, diedefinitiv straffallig sind.

– Ich praemoviere, pradestiniere sie nicht unmittelbar zurSunde - sagt er Banezianer und der Congruist - ich willnicht direkt ihre Sunde,

– aber ich will nicht ihr gutes Werk. Nicht als ob er dasNichtexistieren des guten Werks wollte, aber er willnicht das Existieren des guten Werks.∗ Weil dem entsprechend den negativen guten Willen,

die gratia efficax nicht beschließt, kommt das guteWerk nicht,

∗ und dann auch der andere Akt: ein Missverdienst,und das vom Menschen.

∗ Und so kann Gott die damnatio wollen konsequenterzu diesem voraus gesehenen hominem damnatum.· Aber in ordine executionis ist bei Congruismus und

Banezianismus keine volitio gloriae ut manifestaripotest iustitia Dei das logische Prius, und alles an-dere konsequenter dazu.

· Banez sagt: das muss so sein, denn fur Menschenund erst recht fur Gott, ist finis immer gewollt vordem Mittel und nicht Mittel vor dem Zweck.

· Dieses Argument, das klassisch ist gegenuberreinem Molinismus, schlagt wahrscheinlich nichtdurch, denn der finis Dei ist eben die Gesamtwirk-lichkeit (besser: der Terminus), nicht ein bestimm-tes Moment an ihr, so dass von da aus die anderenDinge gewollt wurden, insofern sie von Gott gewolltwerden. Sie haben naturlich objektiven Sachzusam-menhang, Sinnstruktur in sich, aber diese bedeu-tet nicht eine in Gottes Intention unterscheidbareAbfolge von von Gott gewollten Momenten. Infol-gedessen wahrscheinlich ein Blech wenn man sagt,im reinen klassischen Molinismus wurde Gott uber-zwerch handeln, weil er das Mittel vor dem Zweckwill.

Nein auch die Existenz der Ordnung einer Gnade ist ein Zweck

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

nicht nur ein Ziel. Fur uns ist es das Mittel unserer Persona-litat. Das aber ist nicht auf Gott ubertragbar.

Hiermit ist diese ganze Geschichte bis Seite 168 im Kodex erledigt.

10.4 Ubungs Disputatio

Disputatio

Dass man das aus dem Zusammenhang feststellt, ob das Christus alsGott mit Ruckgriff auf SM sagt: man musste das genauer machen,das Ganze der Heiligen Schrift betrachten. Auf innere Motivationschauen.

• R9,11 ist semitische Ausdrucksweise: alles was Wirklichkeit hat,da ist Gott daran schuld, das macht Gott, bums, fertig. Nichtunterschieden zwischen Zulassen und Nichtzulassen. Aber: hieraußert sich in der undifferenzierten Primitivitat einw echte not-wendige Grundkonzeption zwischen Gott und Kreatur, die rich-tig ist. Nicht gelost damit dass ich sage: Gott lasst das zu. Dasist nur ein Anthropomorphismus. Das lasst Gott zu ist ein Be-griff, der beim Menschen Sinn hat und bei Gott nicht. Ich konntemich wehren und tue es nicht: lasse es zu. Aber bei Gott ist esanders. Ich bin nicht der, der die zugelassene Wirksamkeit selbertragt mit seinem Konkurs, die die Dynamik davon abgibt.

• Wenn ich einem ein Auto gebe, ihm das beigebracht habe, dasBenzin gebe: kann ich dann auch noch sagen: ich lasse das zu?

• Dann: auch bei Paulus nicht so dumm, dass er im kuhnem Bogensagt: das kommt alles von Gott, der das Laufen und Nichtlaufen,verheiratet Sein und nicht so sein gibt.

• Trotzdem ist innerhalb dieses Rahmens es doch wahr, wie ande-re Stellen der Schrift zeigen, dass innerhalb dieses Rahmens eineobjektive Differenz zwischen den Dingen selbst ist, und ich nichtsagen kann, Gott macht das Gute so wie das weniger Gute. So inder Dialektik, wo ich die Dinge stehen lassen muss und nur nochsagen kann: man kann mir nicht Widerspruch nachweisen, aberdas ist nur eine negative Angelegenheit. Es ware interessant zuzeigen in logischer Deduktion, das es solche negative Angelegen-heit geben kann.

In gewissem Sinn scheinen wir immer wieder Synthese herzustellen.

• Was ist denn bei Christus Schwieriges: eine Person und zweiNaturen? Was ist da schwierig? Dass sie einsehen, dass diese

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10.4 Ubungs Disputatio

Distinktion die Sache nicht erklart.• Bei den Objektionen musste man darauf kommen. Aber meist

haben wir uns daran gewohnt, die Objektion weniger weit vor-zutreiben wie die Antwort, und dann meinen wir, die Sache seiklar.

SM (scientia media): das Futuribile bestimmt Gott nicht und ist sonur Terminus. Das kann es sein. Gibt man sich damit zufrieden, istder Eindruck: die Sache ist klar.

• Ist aber nicht klar: geben sie zu, dass man sagen kann: das Ver-haltnis Gottes zu seinen Objekten, die von ihm verschieden sind,das Verhaltnis Gottes zu objektiver Gegenstandlichkeit muss imletzten uberall das Gottliche, dasselbe also sein. Das VerhaltnisGottes zu endlicher idealer Gegenstandlichkeit muss ein gottli-ches Verhaltnis sein. Mit anderen Worten, immer ein gottlichessein, also insofern immer ein gottliches, in allen Fallen der glei-che sein.

• Bei allen Ideellen Gegenstandlichkeiten außer der Futuribilitassagt jeder - Banez und Molina - die objektive Gegenstandlichkeitist, weil sie Gott denkt, und nicht er denkt sie, weil sie so ist.Und er sagt immer, alle Gegenstandlichkeit die Gott denkt, weilsie so ist, ist die Gottliche und nicht Endliche.

• Alle objektive Gegenstandlichkeit, die von Gott verschieden ist,ist weil sie Gott denkt. Kann das der klassische Molinismus hin-sichtlich der Futuribilien auch sagen und doch seinem Systemtreu bleiben? Wenn Nein: wieso ist der Molinismus hinsichtlichder SM aufrecht zu erhalten?

• Nicht: also ist das Unsinn. Vorsichtig: hier ist etwas, was nichtklar ist und was mit dem Wort

”terminatur ab et non determi-

natur a futuribili“ nicht gelost ist. Denn die Weise der determi-natio ist plotzlich beim Futuribile eine andere wie bei andererGegenstandlichkeit. Das ist merkwurdig.

Wenn da der Banez sagt, das stimmt nicht, dann kann man nicht sa-gen: ihr habt das nicht kapiert. Was haben wir fur eine Sentenz? Ichkann auch keine andere erfinden.

• Methodologisch geht es so: man objiziert hin und her. Das gehteinige Zeit weiter und ist durchaus berechtigt fur den Menschen,der ein Wesen ist, das eben endlich ist, einmal einen Punkt zumachen, der nicht von der Sache her gegeben ist sondern vomSubjekt.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

• Es ist nicht so, dass sie die Sache erschopft haben, sondern siestellen den Becher ab, bevor er aus getrunken ist. Daraus ent-steht das Problem: wieso kann ich wissen, dass ich die Wahrheithabe? Denn es scheint so zu sein, dass man die Wahrheit nurhaben kann, wenn man durchgestoßen ist auf der anderen Seite,hinter alle Tische geguckt hat.

• Barth formuliert das so (auch fur die Praxis wichtig). Ist derBarth dummer wie sie? Nein. Boswilliger wie sie, weniger gu-ten Willens wie sie? Sie haben kein Recht das zu sagen. Warumerkennt er doch nicht die katholische Wahrheit? Es gibt Wahr-heiten, die ich erkennen kann, der andere nicht. Aber weil Gottmich an einen Punkt gesetzt hat, wo mein Anmarsch wenigerschwierig ist. Ist das Problem damit nicht gelost. Barth beschaf-tigt sich damit. Gott braucht den Anmarsch nicht fur alle gleichmachen, aber doch so kurz, dass jeder diesen Weg durchmessenkann.

Vorher so angegangen: das Futuribile ist naturlich so eine Sache. DieBeweise aus der Schrift sind ja keine Beweise.

• Das mit Tyrus und Sidon: Christus ist ja Mensch geworden.Er musste auch menschlich sprechen. Wenn ich sage: dergroßte Schurke wurde da anders handeln, dann bedeutet dasnicht, dass ich eine scientia media habe, sondern ich spreche inmenschlicher Weise mit einem Topos. So ist es auch bei Christusmoglich.

• Und bei David und der Stadt. Dort noch viel weniger, es istja uberhaupt die Frage, ob da bei solcher Kollektivhandlungeine Freiheit da ist. Es konnte sein, dass sie uberhaupt nicht freisind, und dann konnte man es anders auch voraussehen.

• Borras fragt: wie kann man dann bei Christus wissen, was eineechte Aussage ist und was nicht? Z. B. bei der unio hypo-statica? Ist das ja vielleicht auch nur eine menschliche Sprech-weise? Da ginge es dann weiter (siehe Anfang der Disputatio:man musste ..)

• Schon zur Zeit des Augustinus war die Schwierigkeit, dass mandoch nicht verdammt werden kann fur etwas, was man nichtgetan hatte, wenn man die Gnade gehabt hatte. Denn dannkonnte man ja genau so gut in den Himmel kommen, weil mansicher unter den Gnaden etwas finden kann, was einem geholfenhatte, das Rechte zu tun, so dass man also auch, wenn man dieseGnade bekommen hatte, dass Gute getan hatte. Gott kann einenalso nicht in der Massa damnata lassen, weil man nicht mit der

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10.4 Ubungs Disputatio

Gnade mitgewirkt hatte, die er uns sonst gegeben hatte.• Das Ganze kann also nicht ein Weil sein, sondern ein nur tat-

sachliches so gegeben Sein.

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10 Freiheit, Scholastische Disputation

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11 Christologie und Gnadenlehre

30.3.1957 Vorlesung 57 Christologie

11.1 Christologie und Gnadenlehre

Zum Beschluss dieses Wintersemesters, weil wir nicht den neuen Trak-tat beginnen wollen, wollen wir uns Gedanken machen uber den Zu-sammenhang zwischen Christologie und Gnadenlehre. Vieles istschon gesagt in der dritten These, wo wir sagten Haec Dei voluntassalvifica nos attingit in Christo Jesu in Ecclesia. In diesem Zusam-menhang haben wir schon einiges gesagt. Auch bei anderen Gelegen-heiten. So manches sich wiederholend. Es schadet nichts.

Gewohnlich betrachtet man in der normalen Schuldogmatikden Zusammenhang nicht genau. Traktat de Christo homine, deincarnatione, de soteriologia und dann wird gesagt, dass er unsdie Vergebung der Sunden verdient hat durch eine satisfactiound uns die Gnade verdient hat. So ist der Zusammenhangzwischen Christologie und Gnadenlehre

allein uber den Begriff einer moralischen Ursachlichkeit, einesVerdienstes, hergestellt.In der ublichen Theologie wird

die Gnadenlehre auch zum Teil in der Christologie”de Verbo

incarnato“ behandelt. Dort ist gesagt, dass die MenschheitChristi die visio beatifica hatte, dass sie eine ubernaturlicheVergottlichung hatte, wie wir.• Dann ist es selbstverstandlich, dass die Menschheit, die dem

Logos selbst gehort,• von rechts wegen solche Begnadigung hat.• Das ist schon ein weiterer Ansatz einer Verbindung unserer

Gnadenlehre, der Lehre uber die Begnadigung und Pneu-mabesitz im Allgemeinen, mit der Christologie.– Denn es liegt nahe zu verstehen, dass wir die Gnade

Christi in dem Sinn haben,

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11 Christologie und Gnadenlehre

– dass seine Begnadigung innerhalb seiner Menschheitdaher kommt, dass das die Menschheit des Logos selbstist,

– und so in connaturaler Folge Gnade in Christus ebendie notwendige, der hypostatisch unierten Menschheitzukommende Zustandlichkeit ist

– und unsere Gnade daher ihren Sinn, Wesen und Exis-tenz bezieht.

Das wird in genauerer, mittelalterlicher Theologie insoferndeutlicher, dass dort (ich weiß nicht wie jetzt noch) vonder gratia capitis die Rede ist,• also von der Gnade Christi insofern er das Haupt der

Menschheit ist und dadurch von da aus gesehen wird,• wie Christus nicht einfach bloß durch seine verdienstliche

moralische Ursachlichkeit Quelle der Gnade ist.

Wir konnen aber diese Zusammenhange zwischen Christologie undGnadenlehre noch ein wenig von anderer Seite betrachten.

Wenn wir das tun wollen, mussen wir genauer noch mal uns an dieChristologie, die Lehre von der Menschwerdung, zuruck erinnern.

Gewohnlich baut man den Traktat der Christologie auf derart,dass das Menschsein schon als eine gegebene Großevorausgesetzt wird. So was wie menschliche Natur gibt es.

Das ist eine stillschweigende naturlich mogliche, machbare Vor-aussetzung. Dann ist klar, dass die ganze Inkarnation nur gese-hen werden kann, als die Annahme einer solchen in ihrem Be-stand, Gegebenheit, Sinn schon vorausgesetzten Menschheit.

Auf diese Grundkonzeption, die der normalen Grundkonzeptionzugrunde liegt, kommt man unbewusst und selbstverstandlichohne Probleme zu sehen, weil man weiß, dass es Menschengegeben hat vor Christus und dass er geboren wurde ausmenschlicher Mutter, von ihr sein menschliches Dasein empfan-gend eben etwas ubernimmt, was es schon gibt.

Dieses Einsteigen in eine Ordnung, die es schon gibt, gehortauch zu den Eigentumlichkeiten dieses Lebens, dieses zentralenChristusereignisses. Er ist der, der in seiner eigenen Menschheitder ist, der den Raum seines Daseins vorfindet, ihn un-gefragt ubernimmt, und ubernehmen will. Er wollte in diesemSinne nicht als der erste Mensch erscheinen, sondern SohnAdams sein.

Von da aus hat diese stillschweigend angenommene

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11.1 Christologie und Gnadenlehre

Voraussetzung der Theologie einer gegebenen Menschheitihre große theologische Tiefe und Bedeutung.

Aber man kann sich doch fragen, ob man da den letzten undentscheidenden Ansatzpunkt fur eine Christologie hat.

Wie wenig selbstverstandlich das ist, konnen sie bei der normalendurchschnittlichen Theologie an folgender Beobachtung sehen: zuersthat man eine humanitas. Die begreift man als naturliche Menschheit.Die wird angenommen mit diesem gleichsam schon vorausgesetztenBestand.

Dass sie als individuelle erst entsteht, indem sie angenommenwird und nicht schon existiert außerhalb der unio hypostati-ca, wird ausdrucklich gesagt. Das andert nichts daran. Was daangenommen, geschaffen wird, wird als selbstverstandlich vor-ausgesetzt. Und nachdem diese humanitas als vom Logos ange-nommene gedacht wird,

wird sie zusatzlich ausgestattet mit verschiedenen Gaben,deren Existenz man auch aliunde als moglich voraussetzt unddieser Menschheit zuspricht, wenn man sagt: diese Menschheithat die heiligmachende Gnade, dona infusa usw., lauter Daten,die man aliunde weiß, ihm zugesprochen sehr aposteriorisch.

In einer nachtraglichen Konstruktion wird das Verbum incarna-tum aufgebaut aus Steinen, die man wo anders her hat. Nichtfalsch, denn er hat visio, sanctitas substanziell. Immunitas aconcupiscentia usw.

Aber sie werden selbst schon wissen, wie schwierig es ist, allediese Dinge als tatsachlich gegeben nachzuweisen. Rein his-torisch sieht es so aus, als ob das spat auftritt: scientia infusausw.. Das deutet darauf hin, dass man eigenen Grundansatz, ausdem das folgen wurde, nicht reflex in den Begriff bekommen hat.Dem liegt zugrunde die an sich selbstverstandliche Menschheit,die angenommen wird.

Nun, wie kann man da anders weiterkommen? Zunachst einmal konnteman ja fragen oder daran denken: wie ist es denn,

• wenn man die skotistische Theorie, dass das Verbum Incar-natum das erste Ad-Extra-Zu-Schaffende ware?

• Dann ware Christus der erste Entwurf, die Grundidee Got-tes nach außen. Und alles andere musste in Abhangigkeit davonkonzipiert werden.

– Naturlich kann man dann, wenn nur so aufgefasst, wiegewohnlich, wenn diese Idee einer nachtraglichen Kompo-

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11 Christologie und Gnadenlehre

sition das erste ist,– dann andert sich durch diese Behauptung, dass Christus die

erste, die praedeterminatio Christi ante praevisum lapsumgeschehen sei,

– andert dann nicht sehr viel.Wir mussen, um weiter zu kommen, die Sache noch ge-

nauer betrachten.

Sicher wird Gott etwas, was von ihm verschieden ist. Insofern ist das�sunqÔtwc,

dass die Menschheit und der Logos zwei verschiedene Realitatensind, die nicht identisch sind,

ein selbstverstandliches Grunddogma der Christologie. Auch vonda aus meint man dann,• man konne die Inkarnation nur als die Annahme des Ver-

schiedenen sehen.• Aber das wird wohl nicht ganz stimmen.

Nicht als ob nicht etwas angenommen ware. Aber angenom-men heißt dann eben,1. das ist von dem verschieden und2. die Wirklichkeit dessen.

Insofern ist die assumptio humanitatis per verbum nicht nurselbstverstandlich sondern ein Dogma.

Aber das ist schwierig zu formulieren und zu sehen, dass manda noch was sagen und merken kann:• ist durch den Begriff der assumptio eigentlich begrifflich

(nicht klargemacht), unuberbietbar erfasst,• um was es sich da handelt? Das glaube ich, kann man be-

zweifeln. Warum?

Der Logos, so sagt Johannes, wird Mensch. Ich muss doch dann(schwieriges Problem) sagen: Gott kann etwas werden. (Wenn ich)und zwar muss geschaut werden (nicht darauf eingehend)

wie dieser Satz mit der immutabilitas Dei vereinbar ist, die de-finiert ist.

Aber das Dogma der immutabilitas darf nicht das ebenso selbst-verstandliche, viel primarere Dogma verdunkeln, dass derLogos Gottes selbst etwas geworden ist.• Man kann sagen, er wird nicht, indem er seine Gottheit in

etwas Anderes verwandelt,• sondern indem er dieses Andere als sein Eigenes annimmt.

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11.1 Christologie und Gnadenlehre

Aber wodurch ist es dann angenommen? Sie konnen sagen: das kannman nicht mehr sagen. Er hat es und besitzt es so, dass es das Seinigeist.

• Wenn ich aber sage: er hat das, ohne selbst in sich etwas zuwerden (nicht

”ohne sich zu verandern“, das ist vielleicht schon

zu haretisch)• wenn sie gleichsam neben den Logos die Humanitas dazu denken• und sich das nur verdeutlichen in einer communicatio idio-

matum,– indem sie Pradikate als aussagbare vom Logos hinzudenken,– dann haben sie die Tatsache, dass der Logos Mensch

wird,– irgendwo doch ubersehen, nicht in den Blick bekommen.

• Sie sagen, der Logos wird Mensch. Das ist eine Menschheit, dieihm gehort. Er hat sie.

• Wodurch hat er sie?– Ist das Haben von etwas oder– das Annehmen von etwas die primarere Aussage,

∗ die die Aussage”er wird etwas“ erklart

∗ oder ist”er wird wirklich etwas“ die ursprunglichere

Aussage,· die man sich zur Abwehrung der Vorstellung

”er wird

es durch Verwandlung seiner selbst“· nur verdeutlichen kann und nicht abwehren kann

durch das Wort”er nimmt an“?

Richtig ist: Gott kann wirklich etwas werden, was er als Gott in derAbsolutheit seines Gott-Seins nicht ist und nicht notwendig werdenmuss. Er kann naturlich, wenn er absoluter Gott ist, nicht in sichetwas werden, aber er kann im Anderen-von-sich etwas werden.

Sie durfen das gerade jetzt nicht sich verdeutlichen, indem siedazu denken: er wird es im Anderen, was in seiner Moglichkeitvorausgesetzt wird, indem er annimmt.

Sondern dass Gott selbst unveranderlich an und fur sich andem in das andere hinein wirklich etwas werden kann,

das ist eben die christliche Mitte zwischen starrem jenseits Mo-notheismus und Pantheismus. Darauf kommt es nicht an.Das gibt es, weil es das Dogma von der Menschwerdung Gottesgibt.

Nun muss man sich gerade nicht vorstellen, dass Gott allesmogliche werden konne. Wenn sie das voraussetzen,

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11 Christologie und Gnadenlehre

• dann setzen sie alles, was er werden kann, schon als in sichgegeben selbstverstandlich als Moglichkeit gegrundet schonwieder voraus.

• Es gibt kein Dogma der Kirche, dass Gott ein Engel werdenkonnte, ein Stein werden konnte. Warum nicht? Wenn erein Mensch werden kann, dann auch was anderes.

• Dann setzen sie voraus, was nicht so selbstverstandlich vor-aussetzbar ist.– Wenn sie das nicht voraussetzen, dann konnen sie (kei-

ne Glaubens Wahrheiten und nicht sententia communisund certa sondern nur ein Vorschlag) wenn sie dasnicht nach dem Annahme-Schema des Vorausgesetztendenken,

– sondern bloß vom Werden-Konnen Gottes her, undwenn sie nicht voraussetzen, dass er alles mogliche wer-den kann und

– wenn sie fragen, was geschieht, wenn Gott aus sich,sich entaußernd, werdend in das Nicht-Gottlichehineinwurfe?

– Dann entsteht genau der Gott-Mensch.

Das heißt: die Menschheit an ihm ist nicht etwas, was aliunde be-steht, was er annimmt, sondern genau das, was er wird, wenn eruberhaupt etwas werden will.

• Das bedeutet nicht, dass es nur den Gott-Menschen geben kon-ne.

• Aber das bedeutet, der Mensch ist, wenn Gott sich aussagt,der Inhalt der Selbstaussage Gottes.

• Wenn Gott sich gleichsam in die Grammatik des nicht gottlichenAussagens aussagt und man hort das, was dann gesagt wird, alsSelbstaussage Gottes,

• dann hort man den Menschen und nicht irgendetwas.– Man konnte nicht ebenso gut etwas anderes horen. Sie sa-

gen vielleicht, das sei scheinbar nur verbaler Trick, das soauszudrucken.

– Ich glaube aber nicht. Sie sehen da, wie die Logos Theologie(der Vater sagt sich selber und zwar im gottlichen Bereich,

– und wenn er sich selber, das heißt wenn er den Logos alsdie Selbstaussage des Vaters hinaussagt in das Nicht-gottliche, mochte ich sagen,

– dann passiert genau das, was man Mensch nennt– und als Selbstaussage des Logos, als gleichsam kenotische

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11.1 Christologie und Gnadenlehre

im Leeren der Kreatur wirklich gesagter Logos ist das ebenGott-Mensch.∗ Aber nicht in dem Sinn, dass Gott halt gerade das zufal-

lig annimmt, obwohl er etwas anderes hatte annehmenkonnen.

∗ Sondern in dem Sinn, dass das gerade das ist, was her-auskommt, wenn Gott sich, er selber, in das Nichtgott-liche hinein-begibt.

Sie sehen von solcher Konzeption ware radikal jene Vorstellung zuuberwinden, die bis zum Augustinus bei den Kirchenvatern nichtganz fehlt und in der durchschnittlichen Religiositat nicht fehlt:

• namlich die Menschheit ist das außere Signalement fur Gott, sichin dieser gefallenen Schopfung geltend zu machen. Er konntedas genauso anders. Er hatte einen Engel schicken konnen.

• Die Menschheit wird als Livree Gottes aufgefasst, in der ersich da fur uns in unserer Gegend bemerkbar macht. Aber erware es nicht selber. Ihm wurde nichts dabei passieren.

• Naturlich passiert Gott nur etwas in seiner Menschheit abernicht in seiner Gottlichkeit. Aber diese Menschheit ist die diesesLogos.

– Also passiert es ihm selber (wenn ich sage: aber innerhalbder Menschheit, dann habe ich das Grunddogma der Inkar-nation vergessen, dass das der Logos ist, nicht dass er siehat und sich dabei vorstellend : sie ist nicht er).

– Nicht so, indem ein Geschopf Gott affiziert. Aber dasbraucht sie nicht und ist doch die Wirklichkeit des Logos,weil er Mensch geworden ist. Er hat sich in diese wahreAffektionsmoglichkeit hineingegeben. Mit anderen Worten:∗ dazu kommt naturlich noch, dass so sehr es eine Schop-

fung geben konnte ohne Verbun Incarnatum - daran istfestzuhalten - so doch:

– die Moglichkeit einer Schopfung basiert, ist einge-schlossen, ist ein Moment an der Moglichkeit einesSelbstausgangs Gottes aus sich selbst heraus.

– Mit anderen Worten: Weil es die Moglichkeit einer Inkarna-tion gibt, gibt es die Moglichkeit einer Schopfung.

Anders: Weil es die Moglichkeit einer Aussage Gottes, seinerselbst als Mensch gibt, gibt es die Moglichkeit einer Schopfungund der Menschen.

Nun hatte zwar Gott die geringere Moglichkeit, die bloß ein

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11 Christologie und Gnadenlehre

Moment an der hoheren Moglichkeit ist fur sich alleinverwirklichen konnen• und er hat es de facto nicht getan• und es hat keinen großen Sinn, uber diese Moglichkeit nach-

zudenken und von dieser bloßen Moglichkeit her die Welt zukonstruieren,

• sondern primarer die Welt so zu konstruieren, wie sie ist.Mit anderen Worten: weil und insofern Gott selbst die Moglich-

keit hat, weniger zu werden als er bleibend ist, sich in seinerUnveranderlichkeit in sich in das Nichtgottliche als er selbst hin-einzubegeben:• darin ist das ursprunglichste Wesen des Menschen eo

ipso gegeben• und die Moglichkeit der Welt als Ganzer mit Natur, Geist

usw.,• und die einer Menschheit innerhalb dieser, und so sich selbst

von sich selbst wegsagender, antiwerdender Gott sich selberaussagt.

Mit anderen Worten: von da aus gesehen ist Schopfung nichtdas eigentlich fur die Inkarnation vorausgesetzte, sondern das,was sich die Inkarnation in der Possibilitat und in derfaktischen Ordnung, Wirklichkeit, sich selbst als ihre eigeneVoraussetzung und als innerer Teilmoglichkeit von sich selbstvorentwirft.

Von da aus konnte man sagen: das Menschsein ist die Gram-matik, mit der Gott sich selbst aussagt, und die dabei auchzu anderen Zwecken verwendet wird.

Aber ursprunglich ist der Mensch das verbum abbreviatum des ver-bum absolutum, des Logos.

Er ist das, als was der Logos sich vernehmlich macht, wenn ersich im Außergottlichen herausgesagt wissen will, und damitist die ubrige Welt selber gegeben.

Mensch ist also per Definitionem eben die Erscheinung Gottesund die gleichzeitig die Annahme Gottes ist.

Dann ist klar, dass diese Menschheit des Logos, die ihn aus-sagt, ihn selber vernimmt. Mit anderen Worten, wenn Gott sichaussagt, sagt er sich aus, indem er sich als seinen Herrn aussagt.• Denn die Menschheit Christi ist per Definitionem als Geist:

– Empfanger eben der Aussage Gottes,• und durch dieselbe Definition

– das ausgesagte Wort Gottes selbst.

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11.1 Christologie und Gnadenlehre

Mit anderen Worten: Gott sagt sich aus,• indem er sich als die sich selbst vernehmende Aussage

aussagt.Nun ist naturlich diese Sage Gottes wesentlich eine (naturlich

genauer zu betrachten, aus dem Wesen des Menschen muss sichdas ergeben)

eine die selbst in einer Menschheit sein muss, in einer Gemein-schaft von Ihresgleichen sein muss.Wenn nun Gott sich als die Gott selbst vernehmende

Selbstaussage sagt und dadurch primar und wirklichden Menschen konstituiert in seinem Wesen und seinerWirklichkeit,

dann nennen wir das eigentliche connaturale Horen die-ses Wortes durch die Aussage Gottes Gnade.

Mit anderen Worten: dass die Aussage Gottes selbst den Aus-gesagten empfangt und empfangen kann, das ist Gnade, waswir Gnade und Glorie nennen.

Und weil naturlich eine Aussage Gottes seiner selbst dort, woman an sich, weil es das Nichtgottliche ist,nicht ohne weiteres vernommenen wird, nur einen Sinn hat,

wenn es vernommen wird, so istin seiner personalen Selbstaussage, die frei ist, die Gnade

notwendig mitgegeben,und in diesem Sinne nur frei antecedenter ad decretum di-

vinum verbum Dei incarnandi.

In dieser Aussage Gottes selbst ist die Moglichkeit eines adaquatenHorens dieser Selbstaussage - der visio beatifica und der Gna-de - schon notwendigerweise mitgegeben. Mit anderen Worten: weilVerbum Incarnatum ist, ist Mensch als Geist und zwar als begnade-ter Geist. Die Gnade: ist der mit der Selbstmitteilung Gottesselbst begnadete Mensch.

Von da fangt die Gnadenlehre als inneres Moment jener Anthropolo-gie an, die selbst wieder ein Moment einer adaquaten Christologieware.

• Damit ist nicht gesagt, dass es so geht, wie bei Barth, dasser die ganze Theologie und Anthropologie von der Christologieher entwickelt. Das ist nicht damit gegeben. In se kann etwasprius sein, was quoad nos secundum bleibt.

• Wir erfahren als mit sich selbst handelnde Menschen von derMenschwerdung Gottes. Und die Breite dieser Erfahrung

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11 Christologie und Gnadenlehre

ist, obwohl alle Erfahrung in Geschichte eine Christologischeist, eine Breite als die uns unmittelbar zugangliche des VerbumIncarnatum.

• Insofern kann man nicht wie bei Barth die Anthropologie aufenger Christologie aufbauen. Grundsatzlich aber blieben dieseZusammenhange doch vorhanden.

So aber wird der Mensch von Anfang an ein unheimlich gottlichesWesen.

Ja und nein!

Ja: insofern der Mensch von Gott konzipiert ist darin und da-durch dass Gott sich selbst in der Andersheit von sichselbst konzipiert. Insofern ist die primitive Alltagserfahrung desMenschen von sich, dass er Kopf und Ohren hat, und im ubrigenleibliche Massivitat ist, sondern das eigentliche Wissen umsich selbst ist im Grunde was Anderes. Und wenn von daaus betrachtet: viel gottlicher. Das ist nicht verwunderlich.

Nein: Gott ist eben in seiner Kat�basic bis an den außersten Randder Moglichkeit gegangen, sich von sich selbst zu entfernen.Und dass deshalb Gott mit seiner ganzen gottlichen Moglichkeitdie Moglichkeit einer Selbstentaußerung erschopft, dass dannder Mensch, diese Randexistenz herauskommen muss, wie dienicht herauskame, wenn es nicht im ursprunglichsten Ansatzdas letzte Wagnis Gottes gewesen ware, wenn er nicht von sichheraus dabei das Außerste versucht hatte.

Die Niedrigkeit des Menschen zeigt gerade, was wird, wennGott aus sich herausgeht.

Von diesem Grundansatz ist es nicht so, dass nur die hochs-ten Spitzen der Menschen-Moglichkeiten das eigentlichGottliche am Menschen ist,• aber der ganze Mensch ist bis in sein armstes Elend hin-

ein, Tod usw. das was Gott selbst wird, wenn er aus sichheraus geht.

• Und weil gerade in diesem Abstieg Gott radikal wird, damerken wir das durch die Radikalitat unserer Endlichkeit,die wir erfahren.

3.5.1957 Vorlesung 58 (nach den Ferien)

nexus Wir haben noch ein sehr großes Stuck vor uns, und da die Sitteherrscht, mit den Traktaten fertig zu werden, und nicht nur ein Stuck

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11.1 Christologie und Gnadenlehre

daraus zu lesen, mussen wir uns anstrengen, weiter zu kommen. Daswird vielleicht auch dadurch mit etwas erleichtert, dass wir mehrDeutsch sprechen.

Wir stehen vor dem Traktat uber die heiligmachende Gnade. Bisherim Vorausgehenden (des gesamten Traktats) war davon die Rede,

1. dass Gott uns in seinem freien unergrundlichen Heilswillen zuubernaturlichem Ziel bestimmt hat,

2. dass er diese Bestimmung auch wegen der Sunde nicht aufge-hoben hat, sondern auch trotz Erbsunde Heilswillen allen Men-schen gegenuber hat,

3. wenn auch dieser von Gott aus gesehen individuell verschiedengestaltet ist.

4. Das wirkt sich darin aus, dass Gott jedem Menschen die Gnadegibt, die besondere Hilfe angedeihen lasst, die notig ist, um dasnaturliche Sittengesetz zu erfullen.

5. Daruber hinaus hat Gott dem Menschen die eigentliche Heils-gnade angeboten, damit er in seinem Sein und Handeln das geis-tige Geschopf sein kann, das seiner ubernaturlichen Bestimmunginnerlich in seiner Verfassung und seinem Handeln kongenial undkonnatural ist.

6. Es ist Heilsgnade notwendig und dem Menschen von Gott zurVerfugung gestellt, die die Moglichkeit gibt, seiner ubernatur-lichen Bestimmung in der Teilnahme am gottlichen Leben ent-sprechend zu sein.a) Diese Gnade, die allgemein in ihrer Existenz und ihrem for-

malen Wesen behandelt wurde:b) dass sie notwendig, ungeschuldet, im strengen Sinn uberna-

turlich ist,c) dieser Heilswille, der sich konkretisiert in dem was wir Gna-

de nennen,d) begegnet dem Menschen als Person in personal- dialogi-

schem Geschehen, so dass der Mensch dieser Gnade gegen-uber der Freie ist, von ihr als die freie, sich selbst entschei-dende Person angerufen wird, und diese Gnade frei aufneh-men muss (dort wo die Voraussetzungen sind).

• Diese freie Aufnahme gilt es kurz genauer zu charakterisieren,• bevor wir zu dem eigentlichen Traktat uber die heiligmachende

Gnade kommen,– bevor wir fragen, was geschieht in diesem Menschen dann:– dann wird er geheiligt und gerechtfertigt: Traktat uber die

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11 Christologie und Gnadenlehre

”heiligmachende Gnade“.

– Dann ist wieder fragbar: wie handelt der Mensch dann, wel-che Vermogen ubernaturlichen Handelns hat er dann

– und welche Heilstaten kann er dann vollbringen. Das sindweitere Abschnitte, die noch vor uns liegen.

• Zunachst haben wir den Traktat uber die freie Mitwirkung nochfertig zu machen, namlich die These 20.

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12 Glaube als Vorbereitung zurRechtfertigung

12.1 These 20 Glaube als Disposition furRechtfertigung

These 20 Ad iustificationem adultus debet se disponere per actussalutares, ad quos praeter alios pertinet fides dogmatica, nonvero fides fiducialis Protestantium.

Der Erwachsene muss sich fur die Rechtfertigung (vorbereiten) dis-ponieren durch Heilsakte, zu denen neben anderen der dogma-tische Glaube gehort, nicht aber der Fiduzialglaube der Protes-tanten.

Zusammenhang und Existentielle Bedeutung

Diese These ist so, wie sie formuliert ist, historisch bedingtdurch den Widerspruch gegen die reformatorische Lehre. Jeder-mann ist klar, es ist noch nicht im Ernst bestritten worden, dassder Mensch im wagsten, weitesten Sinn, wenn er gerechtfertigtwird, als Bruder Christi, als Tempel Gottes von Gott in Gnadenangenommen wird. Dass da im Menschen etwas Akthaftes, vonihm Getanenes geschieht. Das ist Lehre der Schrift: dass derMensch durch Glaube, Liebe, Reue, Umkehr gerechtfertigt wird- durch etwas, was der Mensch tut -. Dass der Mensch da freihandeln muss, sahen wir schon.

Aber die Frage, was tut er da? Dass diese freie Disposition imWesentlichen ein freies Ja zu dem, was Gott da tut, sein muss,ist selbstverstandlich und wird von niemand bestritten.Katholiken und Protestanten sind sich darin einig, dass derChrist nicht das Kind-Gottes-Werden aus seiner eigenen Krafttut, als ob er der entscheidende Erzeuger, Vollbringer dessen wa-re, was an ihm geschieht. Das ist ja durch die Thesen, die wirddurchgenommen haben, ausgeschlossen.

Bekehrung ist freier Heilswille Gottes, ist ungeschuldet, bedarfder ungeschuldeten Gnade Gottes, die dem Menschen ohne sein

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

Verdienst gegeben wird, fur die er sich nicht durch eigene Kraftevorbereiten kann. Denn es ist etwas, was in seiner Heilsgeschichtegeschieht: die Tat Gottes. Er handelt an uns. Wenn und inso-fern der Mensch in diesem Geschehen etwas tut, was er nachdem Zeugnis der Schrift tun muss, wenn er das tut, kann sei-ne Tat nur das freie An-sich-geschehen- Lassen dessen sein, wasGott an ihm tut.

Was muss der Mensch aber genauer tun? Worin, in welcherForm, Gestalt, konkreten Weise geschieht dieses An-sich-tun-Lassen der Tat Gottes am Menschen, die den Menschen heiligt,ihm gottliches Leben verleiht?Wenn wir bedenken, was der Mensch ist, wenn wir deutlich klarhatten, was auch in der scholastischen Philosophie nicht genu-gend herausgearbeitet ist, dass der

Mensch geistiges Subjekt ist, und nicht passives Objekt, dassdie Tat Gottes letztlich am Menschen nicht eine kategoriale Tatist, der auf Seiten des Menschen eine Passivitat entsprechenmusste, sondern dass die Tat Gottes, weil er Gott ist, und dortwo er den Menschen in sein Leben hineinberuft, erst recht Gottist, eine transzendentale Tat ist, eine die nicht in Konkurrenzmit dem Menschen kommt, sondern den Menschen gerade setzt,dann ware klar: die Antwort des Menschen auf das Gnaden-angebot Gottes kann nur das Vollziehen der Tat Gottes amMenschen sein - besser ausgedruckt: die Tat der Vorbereitungauf die Rechtfertigung ist im Grunde nichts Anderes als derfaktische Vollzug des Daseins des gerechtfertigten Menschen.Anders: in der Rechtfertigung als Vorgang geschieht die

Annahme der Rechtfertigung im Vollzug des Gerechtfertigt-Seins.So wird es naturlich gewohnlich nicht ausgedruckt, weil es mehrals zeitlich verlaufender Prozess aufgezogen wird. Aber wenndas bedacht wird, ist solche Formulierung unbedenklich.• Von da aus ist es auch leichter klarzumachen, was in der

Tat des Menschen geschehen muss. Er muss das tun, wasein Mensch vor Gott zu tun hat, und wofur ihm Gott ebendie Gnade gibt.

• Denn Heiligung, Rechtfertigung ist nicht eine Zustandlich-keit des Menschen, die er nur einfach hat,

• sondern eine Zustandlichkeit, um getan zu werden, die ingeistliches, personales Leben ubersetzt werden muss.

• Annahme ist sachlich der Vollzug des gerechtfertigten, ge-heiligten Daseins des Menschen. Worin besteht dieses?

• In jenen Akten personalen Auf-Gott-hin-Seins, Glaube,

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

Hoffnung, Vereinigung, Hingabe usw. Annahme (Anbe-tung).– Es ist im Grunde gar nicht verwunderlich, dass wir hier

in unserer These uns keine besondere Muhe geben, die-sen Vorgang der Rechtfertigung als freie Tat des Men-schen zu beschreiben.

– Wir mussten im Grunde das sagen, was wir in der gan-zen Gnadenlehre, Moral, in der ganzen theologischenAnthropologie von diesem Leben des Menschen sagenmussten:

– dass er der Glaubende, sein Kreuz Tragende, sein Da-sein Aushaltende, der Liebende, der angstlos sich GottAnheimgebende, der vor dem finsteren Geheimnis sei-nes Daseins Stehende, der mit Glaube, Hoffnung, Liebe,Uberzeugung davon, dass dieses Geheimnis, obwohl esdas Finstere ist, das Geheimnis ewiger Herrlichkeit ist.

– Das ist das, was der Mensch in seinem christlichen Da-sein als Gerechtfertigter tut und tun muss, indem er denZustand der Rechtfertigung annimmt,∗ in den actus dispositivi der Rechtfertigung nichts An-

deres als die actus ex gratia iustificante tut.∗ Naturlich, die einen gehen aus der aktuellen Gnade

hervor, die anderen aus der habituellen.∗ Das ist zum Teil richtig und doch auch problema-

tisch. Das werden wir spater sehen.Es kommt darauf an, dass die Tat des Gerechtfertigten und desZu-Rechtfertigenden

beide aus derselben Gnade hervorgeht und in der aktiven Annahmeder Gnade Gottes besteht, welche aktive Annahme nichts an-deres ist, als das aktive Leben und Vollziehen der Rechtferti-gungsgnade. Die Tat des sich Heiligenden und Geheiligten sindim Grunde dieselben.Diese Dinge, die sich aus den eben genannten Grunden herauseigentlich als Inhalt der Gnadenlehre und Anthropologie erge-ben, mussen wir hier

nur abwehrend gegen die reformatorische Ansicht verteidigenund nur hervorheben, was sich von da aus dagegen richtet. Weildiese vom Sein und Leben des Menschen, auch vom Gerechtfer-tigten behauptet, dass der gerechtfertigte Mensch im Grundeimmer nur der sei, der im Fiduzialglauben als der bleibendeSunder sich immer wieder mit absoluter Heilsgewissheit auf dierechtfertigende, ihm angerechnete Gerechtigkeit Christi stutzt

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

und beruft, darum kann sie auch vom Vorgang der Recht-fertigung nichts anderes sagen, als dass dieser Fiducialglaubesei.

Der Fiduzialglaube der klassischen Anthropologie der Protes-tanten ist naturlich, wie jede echte existentielle Anthropologienicht so leicht darzustellen, und nicht schlechthin als in jederHinsicht falsch zu bezeichnen.Bei Luther: Aus eigener personlicher Erfahrung - er findet sichals radikalen Sunder gegenuber dem unbegreiflichen Gott undseinem Gericht. Er empfindet das lebendig, dass der MenschGott gegenuber nicht auftreten kann, dass er keine Position hat,von der her er sich gegen Gott verteidigen konnte. Er hat vonsich aus (mit dem Arausicanum muss er so sagen) nichts alsSunde und Luge von sich aus. Es gibt keine Position, um vorGott gerecht zu sein, als die, die Gott dem sundigen Menschenselber gibt, damit er gerecht sei.Nun wird das alles, was im Grunde wahr ist, zu existenziell,existentialistisch, erfahrungsgemaß interpretiert, zu sehr von un-mittelbarer Erfahrung aus beschrieben bei Luther, und damitkommen Formulierungen haretischer Art heraus, die die Formu-lierungen in der Schrift verkurzen.Luther empfindet sich als Sunder. Er weiß, dass er von Gotther der Gerechtfertigte ist. Also kann fur ihn diese Rechtferti-gung nur in einem simul iustus et peccator bestehen. Dialekti-sches Nebeneinander von beidem, dialektische Koexistenz, diesich in der Lehre der forensisch imputierten Gerechtigkeit Luftund Raum und Verstandnis schafft und eigentlich der letztenIntention Luthers nicht gerecht wird, obwohl sie durch Jahrhun-derte als klassischer Ausdruck der lutherischen Theorie gegoltenhat: wir sind Sunder und Gott rechnet uns die von uns nicht ge-habte Gerechtigkeit Christi als die unsere an.Naturlich merkt der

moderne Protestantismus, dass diese Formulierung nominalistisch ist.Das, als was Gott uns betrachtet, das sind wir, das ist das Ei-gentliche an uns. Dann lasst sich solche Dialektik nicht mehrhalten. Dann muss ich sagen: weil Gott seine wirkliche Tatan mir tut, bin ich trotz meiner Erfahrung, die mir scheinbarwas Anderes sagt, doch der Geheiligte, und ich muss nichtgegen Gott meine Sundigkeit in dialektischem Schauprozess be-haupten, sondern von Gott mich uberzeugen lassen, dass trotzmeiner Erfahrung Gott mich zum Gerechtfertigten gemacht hatund dass meine Erbsunde und personliche Schuld aufgehoben

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

ist, ich also nicht einfach Sunder bin, so wie ich es war vor derRechtfertigung, die nicht etwas ist, was dauerndes Existentialdes Menschen ist, sondern ein Ereignis, was einmal eintritt undnicht vorher war.Ich kann nicht so der Sunder sein, wie ich es vor der Rechtferti-gung gewesen bin, ich hore auf, in dem Sinn ein Sunder zu sein,in dem ich es vorher war.In welchem Sinn ich immer noch ein Bedrohter bin, nicht sicherweiß, ob ich in der Gnade bin usw., das alles, was die lutheri-sche Erfahrung der Sundigkeit wieder rechtfertigt oder richtiginterpretiert, das sind Dinge, die nicht hierher gehoren.Weil dieses

”simul iustus et peccator“ in dieser rein dialektischen

Weise bei Luther nebeneinander standen, konnte der Akt desMenschen nicht in einem bloßes Ja seienden Vollzug dieses ge-heiligten Lebens bestehen, denn dann ist es nicht simul iustus etpeccator sondern es besteht nur noch darin, dass der Mensch alsder Sunder radikal vor Gott kapituliert und doch uberzeugt ist,dass Gott ihn rechtfertigt und diesen Akt der absoluten Kapitu-lation vor dem Gott des Gerichtes und doch absolut uberzeugtsein, dass es in Grunde ganz anders ist, das Zorn Gericht Gottes,das dem Menschen beibringt, dass er Sunder ist, dass das nurSchein ist, in dem sich die Liebe Gottes in Christus verbirgt, daskonnte nicht sein etwas in dem der Mensch ein Leben der Gnadevollzieht, sondern nur sein ein Akt, der keinen Wert hat, aberdoch vorhanden sein muss, wenn er nicht den Menschen recht-fertigen will, ohne dass im Menschen personal etwas passierenmuss, was er nicht konnte, weil das zu deutlich gegen die Schriftund die eigene Erfahrung war.

Also musste er einen Akt absoluter Resignation dem zornigen(gerechten) Gott gegenuber und des absoluten Vertrauens einesdennoch Gerechtfertigtseins kombinieren, und diesen als denMenschen in seiner Sundigkeit nicht verandernd betrachten, unddurfte ihm auch keine positive Wertigkeit vor Gott zuschreiben,auch nicht aus der Gnade. Und das ist der fides fiducialis.Er musste sich aus Missverstandnis und

haretischem Gegensatz wenden gegen die fides dogmatica derKatholiken. Das ist das, was wir in moderner Theologie Glaubenennen. (im Kodex finden sie die Definition: assensus intellec-tualis liber et supernaturalis, quo dogmata a Deo revelata veraesse firmiter tenemus propter auctoritatem Dei revelantis.)Wir konnen hier nicht einen Traktat de fide einschalten. Wasfides dogmatica ist, mit welchem Recht man diesen unterschei-

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

den muss und kann von Liebe, Reue usw.. Wir brauchen auchnicht deutlich machen, warum auch der Glaubensakt, insofern ervom Ganzen des Rechtfertigungsvorgangs als Tat des Menschenunterschieden wird, also auch insofern dieser Glaubensakt dieintellektuelle Zustimmung des Menschen zur Offenbarung Got-tes bedeutet, schon ein Heilsakt ist, wenn auch nicht einer, derdie Rechtfertigung selber adaquat verburgt und herbeiruft, dassind Dinge (Wesen und ubernaturliche Bedeutsamkeit) die imTraktat uber den Glauben behandelt werden mussen.Wir sagen: zur Annahme der rechtfertigenden, heiligenden Gna-de Gottes braucht es nach dem Zeugnis der Schrift und der Lehreder Kirche einerseits

den dogmatischen Glauben als intellektuelle, geistig personaleZustimmung des Menschen zu dem sich offenbarenden Gott inChristus, der sich in diesem offenbart. Braucht es aber darinnoch weitere Akte des Menschen, die nicht definiert sondernnach dem Tridentinum genannt werden: Reue, Hoffnung, Liebeusw. aber nicht was Luther fides fiducialis nennt.

Dass der Mensch in radikalem, uneingeschranktem Vertrauenauf Gottes Gnade hoffen muss, dass Gott seine Schuld vergibt,das ist selbstverstandlich. Wenn fides fiducialis nur bedeutet,dass der Mensch obwohl er seiner Schwache, Bodenlosigkeit,Undurchsichtigkeit sich bewusst seinetwegen und von sich her inechter und noch nicht uberwundener Heilssorge leben muss, unddarin gerade seine Kreaturlichkeit und seine Herkunft aus derSunde zugibt und ernst nimmt, wenn die fides fiducialis nichtsbedeuten wurde, als dass der Mensch trotz dieser Heilssorge ausdiesen Grunden mit festem, unbedingten Vertrauen auf Gottsich werfen muss, dann gibt es auch bei uns Katholiken fidesfiducialis, nur wird sie bei uns die zweite theologische Tugendder Hoffnung genannt.

Aber die fides fiducialis bei den Reformatoren ist als haretischaus mehreren Grunden abzulehnen:1. Sie verkennt die Bedeutsamkeit der fides dogmatica, das An-

nehmen der Wahrheit Gottes als solcher als Offenbarung vonobjektiven Tatsachen, durch die Gott in seiner personalenRede uber die Schopfung hinausgeht. Ist nicht das Heil, aberein Stuck des Ganzen und muss betrachtet werden mit demRespekt, der dem Heilsgeschehen im Ganzen und in seinenTeilen gebuhrt. Auch dieser, insofern es eine Inhaltlichkeitmir sagt, ist ein Stuck des Heilsgeschehens. Nicht das ganzenaturlich, auch schon im Voraus dazu, dass ich existenziell

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

hoffend und liebend handelnd diese Wirklichkeit als mein ei-genes Heil mir hoffend und liebend aneigne, also im Voraus,und insofern ist diese Abwertung der fides dogmatica das ers-te, was gegen fides fiducialis zu sagen ist.

2. Als bloßes Vertrauen ist sie nicht das Ganze der Rechtferti-gung, Liebe, Hoffnung, Reue usw. gehoren auch zum Vollzugder Rechtfertigung außer sakramental und im Sakrament. Dader Mensch das geheiligte Subjekt werden soll, ist er zu positi-vem Vollzug des ihm von Gott gegebenen Lebens fahig, nichtbloß zu dem absoluten, trotzdem das inhaltslos dasteht. Erliebt Gott, ist selig uber Gott, all das gehort zum Leben desgerechtfertigten Menschen, und gehort in einer Dosis, An-fanglichkeit auch zum Rechtfertigungs-Vorgang selbst.Naturlich hat das die lutherische Theologie auch immer gese-hen und deshalb zur Rechtfertigung noch die Heiligung hinzu-gefugt. Aber der Katholik wird sagen, ich kann bei der einenRechtfertigung Unterschied zwischen Vergebung der Sundenund positiver Heiligung nicht sehen. Aber das sind zwei Seiteneines und desselben, sachlich und zeitlich nicht trennbar. WoVergebung der Schuld ist, ist der Anfang der Heiligung mit-gegeben und wo Heiligung ist, ist Vergebung der Schuld. JeneAkte, die eine reformatorische Lehre in eine Lehre der Hei-ligung im Gegensatz von der Rechtfertigung verlegen wurde,gehoren bei der katholischen Lehre schon in die Rechtferti-gung hinein. Insofern ist auch die fides fiducialis zu kritisie-ren.

3. Die hochste Sicherheit betreffs der eigenen Rechtfertigung,die sie enthalt, ist nicht moglich. (siehe Folgendes nach derWiederholung, was dort uber die Hoffnung gesagt ist).

8.5.1957 Vorlesung 59

Wir fahren weiter in der zwanzigsten These.

Dass es sich um positive freie Mitwirkung mit der Rechtferti-gung handelt steht durch fruhere These fest.

Dass diese dieselbe Natur, dasselbe Wesen hat wie spatererVollzug des Lebens der Rechtfertigung, haben wir in letzterStunde gesagt.

Dass deshalb die Frage der Vorbereitung und des Behaltens ei-nerseits und das Leben in der Gnade anderseits, je nach demwie beides aufgefasst wird, auch die Vorbereitung anders aufge-

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

fasst wird, ist klar,• und da die reformatorische Lehre im Zustand des Gerecht-

fertigten von katholischer abweicht - forensisch nur gerecht-fertigt als Sunder bleibend aufgefasst - deshalb

• ist auch die Lehre von der Vorbereitung auf sie anders wiebei uns: sie ist die Lehre vom Fiduzialglauben. Was dasbedeutet, haben wir schon gesagt.

Wir sagen: der Mensch muss sich frei vorbereiten. Diese Vorbe-reitung schließt• Glaube als dogmatische freie intellektuelle Zustimmung zu

Offenbarung Gottes ein in dem Sinn, wie Glaube analysiertwird im Traktat de fide.

• Dazu gehort nicht Fiduzialglaube in Sinn der Protestanten,weil

• zwar Hoffnung auf die Vergebung der Sunden in der eigenenpersonlichen Sphare dazu kommt [der Fiduzialglaube] dieaber

• nicht eine innere Heiligung ausschließend ist und• keine absolute Sicherheit uber den Zustand der eigenen

Rechtfertigung einschließen muss,• sondern verbunden sein kann mit der heilsamen Furcht der

Kreatur, die nicht auf den Blick auf Gott sondern auf diegeschopfliche Unsicherheit des Sunders durchaus– auf Gottes Barmherzigkeit und Gnade vertraut,– ohne sich absolut das faktische Bestehen der Rechtferti-

gung in eigener Glaubensgewissheit, die keinen Zweifelmehr zulasst, zuzuschreiben.

– Insofern wird der Fiduzialglaube abgelehnt als einzigeVoraussetzung der Rechtfertigung,

– und insofern er absolute Gewissheit einschließt oder ein-schließen musste.

– Naturlich ist das historisch gesehen bei Luther auch un-klar und bis zu gewissem Grade auch schwankend.

Wir brauchen also nicht die lutherische Theologie mit allem,was sie einschließt und gegenseitig balanciert, untersuchen.

Es genugt den Fiduzialglauben, wie ihn Trient umschreibt, ab-zulehnen.

Qualificatio Qualifikation: die fide definita.

Das”sich disponere“, ist, insofern es als definiert betrachtet wird,

im vulgaren Sinn der Alltagssprache zu nehmen, nicht im Sinnder technischen Sprache der Scholastik.

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

Was Dispositio bedeutet und bedeuten kann, ist bekannt ausfruherer These.• Wir gehen hier nicht ein auf die Frage, ob physische oder

moralische Disposition,• ob diese moralische eine condignitatis, legalis oder meritum

ist.– Sicher ist das nicht dispositio, die ein meritum de con-

digno sein konnte. Davon kann nicht die Rede sein.– Aber durchaus annehmbar ist, schon, weil sie aus der

Gnade hervorgeht: dispositio als meritum de congruo.Ist mit der Lehre der Theologie anzunehmen und zu-lassig und widerspricht nicht den Entscheidungen dersechsten Sitzung des Konzils von Trient.

Magisterium Beweis aus derLehre der Kirche:

Alles was zur Lehre der Kirche zu sagen ist, ist aus dem TrienterKonzil zu entnehmen. sess.6 c.5 und 6 und entsprechende canones.

Deutlich ist: es gibt und muss beim Erwachsenen eine wirklicheDisposition geistig personaler Art auf die Rechtfertigung geben.Er ist nicht der rein passiv Gerechtfertigte, sondern der, derdurch die Gnade gerechtfertigt ist,

indem diese sein geistiges, personales Tun bewirkt, und zwarhinsichtlich der Tatsache dass es da ist und hinsichtlich derQualitat dieses Tuns.

Es sind Akte, die, wenn sie geschehen, aus wirksamer Gnadehervorgehen und ubernaturlich erhoben sind, weil sie ausubernaturlicher, innerlich streng ungeschuldeter und qualitativungeschuldeter Gnade hervorgehen.

Was entitativ supernaturalis ist, mussen wir voraussetzen. Esbraucht solche ubernaturlich erhobene Gnade. Das sind die Aus-drucke des 5.c., mit der die Vorbereitung beschrieben wird.

Diese Vorbereitung umfasst fides dogmatica. Diese fides aus demVatikanum ist ein wirkliches initium, radix, fundamentum omnis iu-stificationis.

Diese wird definiert als dogmatische auch als wirklicher Heilsakt.Das ergibt sich

aus dem Vatikanum. Dort ist definiert, dass dieser fides assensusliber in veritates a Deo revelatas propter auctoritatem Dei unddabei doch gesagt ist, dass das nur mit gottlicher Gnade moglichist.

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

Ahnlich wird diese fides dogmatica auch beschrieben im Triden-tinum: credere divinibus ...relata et promissa sunt.

Interessant ist dass Tridentinum promissa unbefangen dazu-nimmt. Fides dogmatica schließt nicht aus, dass schon dieserAkt dieses intellektuellen Assensus ein

personal-existentieller Akt ist. Denn in diesem Akt, der sich andie Intellektualitat des Menschen richtet, offenbart sich

Gott als das Heil des Menschen, als der sich selbst hergebende,verheißende, sich selbst dem Menschen mitteilende Gott desHeils.

Er offenbart nicht irgendwelche Wahrheiten, die zum Menschenkeine Beziehungen hatten, uber die Atomphysik, wo der Menschsagen kann, das interessiert mich nicht, betrifft mich in der in-kommunikablen Existenz nicht.

Sondern Gott offenbar seine Wahrheit, die das Heil des Men-schen ist. Aber deshalb sagt das Konzil von Trient: ea quaerevelata et promissa sunt.

Aber wir mussen auch in echtem katholischem Intellektualismussagen: das Heil des Menschen ist eben die absolute Wahr-heit, so dass von einer Existentialitat des Menschen her keineapriorische Limitation gezogen werden kann fur das, was eroffenbart. Man kann sagen: alles offenbart er zu unserem Heil.

Aber er, insofern er das Licht, die Wahrheit schlechthin ist, dieabsolute Fulle der Wirklichkeit, die bei sich selbst ist, geradeinsofern ist er unser Heil.

Man konnte auch sagen: insofern er die theoretische Wahrheitist, ist er das Heil. Denn dort, wo man den Menschen nichtgleichsam primitiv verkurzt, wo man ihn erkennt als auf ab-solute Wahrheit, auf die Wahrheit schlechthin bezogen, dersich

im Gegensatz zum Tier fur die Theorie, die Wahrheit schlecht-hin interessiert, in Transzendenz uber privaten Egoismus hinauskommt, das

”An sich“ fur das Wichtigste betrachtet und sich fur

die”An sich“ interessiert,

insofern ist der Streit zwischen dogmatica und fiducialis imGrunde schon ganz falsche Fragestellung.

Von der anderen Seite her (nicht von der katholischen): der Mensch,der sich fur theoretische Wahrheit offnet, offnet sich fur sein Heil.Und das kann er nur, indem er sich als der Mensch der Wahrheitser-kenntnis und des absoluten Wahrheitswillens Gott offnet. Und damitist die dogmatischste Wahrheit interessant und der existentielle Glau-

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

be hat sich nur selbst verstanden, wenn er absolut hort auf das, wasGott ihm sagt, und nicht sagt: du kannst mir nur das sagen, weil ichmich nur fur das und das interessiere.

Nun sagt Gott sich selber aus, indem er den Menschen uberbie-tet, die menschliche Enge uberspringt. Gott ist, insofern er mehrist, als die endliche Kreatur. Wenn und insofern er sich als sol-cher offenbart, offenbart er seine theoretischste Wahrheit: Trini-tat, und das ist das Heil der Menschen.

Naturlich muss diese theoretische Wahrheit mit der fides dog-matica so aufgenommen werden, dass sie angenommen wird alsje mein Heil und meine mich glucklich machende Wirklichkeitund insofern muss spes und caritas dazu kommen.

Denn dort wo der Mensch in kreaturlicher Heilssorge das eige-ne Heil vertrauensvoll annimmt, wo er das so tut, dass er aufGott und nicht auf sich vertraut, auch nicht auf die Absolut-heit seines Vertrauens vertraut, sondern nur auf Gott und sagt:Auf ihn vertraue ich absolut, und doch zittere ich um mich undmein Heil. Nur dort lasst er Gott Gott sein. Und deshalb gehortzu der fides fiducialis, weil sie Vertrauen auf Gott ist, gehortnicht dazu die Reflexio auf die absolute certitudo auf mein Heil,sondern das Von-sich-Loslassen.Gerade die echte fides fiducialis ist nicht das, wenigstens so, wiesie nach Trient bei den Protestanten vorhanden war. Da machtsich bei ihnen

ein moderner individualistischer Subjektivismus breit, wennauch theologischer. Der Mensch vergewissert sich an sich selberseiner Heilsgewissheit. Er hatte so Angst, dass er bei sich selbsteine Absolutheit feststellen wollte, wenn auch wegen Gott.Wahrend der eigentliche Christ, der kreaturliche Christ undder auf Gott als einziges Absolutum vertrauende Christ sichloslasst und nicht ereifert fur absolute Gewissheit, und in jenerschlichten unreflexen Kindlichkeit als einer Gnade Gottes, dieden Menschen aus seiner Angst befreit, der sich uberlasst, sodass man sagen konnte, die Wirkung der Gnade, welche dieeigentliche spes und caritas gibt, besteht darin, dass der Menschsich und seine Heilssorge in dem Sinn vergisst, dass er nichteine absolute, reflexe Gewissheit uber seine Rechtfertigunghaben will. Das macht er nicht, und von dieser Intro- undRetro-Version bei Luther befreit ihn gerade die Gnade.

Diese fides fiducialis gehort nicht dazu. Non sola, non requiritur.Und ohne specialis revelatio hat der normale Christ solche uber-

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

haupt nicht. Naturlich ware es sehr interessante Frage, ob esuberhaupt denkbar ist, dass ein Mensch solche absolute certitu-do uber sein Heil durch Privatoffenbarung Gottes erhalt. Trientschließt das nicht aus, behauptet es auch nicht. In der Theologieder Mystik ist solche Meinung verbreitet. Theresia, Eberschwei-ler, Pasianer Pros aus der Oberpfalz haben solche Sicherheitbekommen.Ob das moglich ist, denkbar ist, mit Pilgerstand vereinbar ist,oder ob solche mystische Erfahrungen theologisch einklammerndinterpretiert werden mussten: darauf wollen wir hier nicht nahereingehen. Solche Glaubenscertitudo gehort nicht zum Wesen derRechtfertigung eines Christenmenschen.Daruber hinaus lehrt Trient noch ausdrucklich, dass es

noch anderer Dispositions-Akte bedarf. Sie werden aufgezahltohne dass es systematisch oder erschopfend sein will: Reue, Vor-satz, Anfang von Liebe. Trient will hier weder systematisch nocherschopfend sein, sondern nur hinweisen, dass es außer der fi-des dogmatica existentiell noch anderer geistiger Akte bedarf,wenn der Mensch gerechtfertigt werden soll. In der Session 14ist noch mal definiert, dass die Reue (contritio oder attritio) furdie Rechtfertigung des Sunders absolute Notwendigkeit hat. DasNahere konnen sie im Kodex selbst nachlesen.

Schrift: Beweis aus der Schrift

Auch nur kurz: der Begriff pÐstic bei Paulus hat wahrscheinlichgroßeren Umfang als der moderne theologische Begriff der fidesdogmatica bei uns im Trienter und im vatikanischen Konzil. Daskann man unbefangen zugeben. Man kann in diesem globalerenBegriff bei Paulus in gewissem Sinn einen Vorteil erblicken.Dieser

bei Paulus ungetrennte Zusammenhang einer Fulle des totalen,vom Pneuma gewirkten Verhaltens zu Gott, das Horen des Men-schen, das Jasagen, das Vertrauen, dass Gott diesen Sunder inKraft seines Geistes zu neuer Kreatur gemacht hat, gerechtfer-tigt, geheiligt hat, das Festhalten, das Von-sich-weg-Kommen,die Erfahrung der Freiheit, des Uberwundenhabens des nìmoc,Todes, Sunde, Konkupiszenz, der >Ag�ph selbst: das alles stecktim Paulinischen Begriff der pÐstic drin.Schon, das ist zuzugeben: es bleibt eine Aufgabe der scholasti-schen katholischen Theologie

den Zusammenhang, das Ubergehen, sich in einander Aufhebender scholastisch distinguierten Akte des Menschen - contritio,

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

attritio usw. - deutlich zu machen, zu sagen, dass sie miteinanderzu tun haben, sich selbst vollenden konnen, indem sie sich inden hoheren Akt auch schon paulinisch in die �g�ph aufhebenals in dem einen totalen Akt, in dem der Mensch als geistlichePerson mit der Totalitat seines Wesens in der Kraft des sichmitteilenden Geistes auf die Selbstmitteilung Gottes antwortetund sich abgibt in der �g�ph an Gott.• Diese Aufgabe der Deutlichmachung des inneren Zusam-

menhangs dieser Akte ist eine• Aufgabe, die der Paulus uns mit seinem umfassenden pÐstic

Begriff stellt. Dadurch aber wird das andere nicht falsch.Es ist zu sagen, dass in der Schrift nicht nur ein RechtfertigungsAkt, sondern

eine reiche Fulle solche Akte gesehen werden. Die Begriffe wer-de nicht mit metaphysischer Sorgfalt distinguiert. Aber fur denPaulus ist in manchem Gebrauch pÐstic, âlpÐc, �g�ph nicht das-selbe. Zeigt sich in 1Cor12 deutlich, wo sie voneinander abge-hoben werden, wo es als denkbar vorausgesetzt wird, dass maneines haben kann ohne das andere.• An die Schul-Adresse gesagt: die Frage kann offen bleiben,

ob man auf die Dauer und auf das Ganze des menschlichenDaseinsvollzugs

• in einem menschlichen Leben fertig bringen kann, diese dreizu trennen oder aufs Ganze gesehen, auch pÐstic nicht mehrhat, wenn man die �g�ph aufgegeben hat.

• Umgekehrt ist es selbstverstandlich, wer �g�ph hat, hat auchâlpÐc und pÐstic.

Man kann solche verschiedenen Akte des Menschen als not-wendige Voraussetzung der einen Rechtfertigung unterscheiden,und es zeigt sich da, dass es eine fides dogmatica in der Schriftgibt.• Wie gesagt, wir brauchen uns nicht anstrengen zu beweisen,

dass es Wahrheiten gibt, die nach der Schrift geglaubt wer-den mussen, obwohl sie nicht existentiellen Bezug auf denMenschen haben.

• Aber auch sie kennt das glaubige Annehmen von objektivenWahrheiten.– Wieweit diese auch wieder ein subjektiver Vollzug ist,

der bestimmte Voraussetzungen im Geistsubjekt hat– und anders ist als die Annahme des Bohrschen Atom-

modells oder uber Fluss in Australien, ist eine andereSache.

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

∗ Und Glaubensanalyse braucht nicht behaupten, dassein solcher Assens die gleiche Struktur hatte, wie derzu einem Satz aus der Physik.

∗ Der Akt und sein Objekt sind Korrelate, spezifizierensich gegenseitig, und dass

∗ eine Wahrheit, die zum Heil ist, andere Qualitat hatwie die einer Physik: das Gegenteil ware Haresie.

Daraus folgt: dass der Akt der Annahme einer solchenWahrheit subjektiv anders sein muss.

Ein Akt ist nicht ein Rupfensack, Tute, die immergleich sind und in die was Beliebiges hinein gestecktwird, so dass der Inhalt und der Sack keine Modifikationaufeinander ausuben.

So ist es fur scholastische Auffassung und Anthropolo-gie nicht.

Aber die Schrift kennt fides dogmatica. Wenn der Abraham Va-ter vieler Volker ist, wenn wir an die Messianitat Christi glaubenmussen, und andere Dinge,• dann sind das, so sehr es Wahrheiten des Heils sind,• doch Wahrheiten, die als in sich bestehend behauptet und

geglaubt werden, weil sie nur so zum Heil sein konnen.– Man kann den Glauben nicht so falsch entobjektivieren,

dass er im Grunde inhaltslos in reiner Formalitat in sichselbst schwingt und sich selbst geniest.

– Dasjenige was fur mich Heil sein soll, besteht bei dergeistigen Struktur des Menschen darin, dass das, wasfur mich ist, an sich so ist.∗ Deshalb muss ich als mein Heil glauben, dass Chris-

tus das fleischgewordene Wort Gottes ist.∗ Aber gerade darum glaube ich das, dass er das an

sich ist fur jedermann.∗ Ich realisiere etwas, was unabhangig von meiner Rea-

lisation so ist, und nur so ist es fur mich von Bedeu-tung.

Es gibt genug bei den Protestanten, die die Tendenz haben, denGlauben in sich selbst zu verschließen und so zu tun, als ob derGlaubens-Gegenstand durch sein Geglaubt-Werden real wurde.• Dann wurde der Glaube sich sein Objekt selbst geben:

– im Existentialismus ist es notwendig so.– In Wirklichkeit nimmt er aber Gott, freilich durch sein

personales Wort, entgegen,• aber in dieser Dimension ist das am meisten An-Sich-

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

Seiende gegeben.– Er nimmt von Gott die Wahrheit entgegen,– die er im Akt der Annahme als die großte unabhangig

existierende– und darum fur ihn wichtige annimmt.

8.5.1957 Vorlesung 60 (2.Stunde)

Wir stehen beim Schriftargument der 20. These.

Einerseits kann es zugegeben werden dass an den meisten Pau-lusstellender Glaube weiter und umfassender ist, mehr existentielles

Moment des Vertrauens auf das Heil einschließt,weil Glaube das Ganze einschließt, wo auch Liebe einge-

schlossen ist.Die Frage ist, ob er den umfassenden Akt der Rechtfertigungs-

Annahme meintoder diesen ganzen Rechtfertigungs Akt wegen des grundle-

gendsten Teils des gesamten Akts und im Blick auf diesen pÐsticnennt, ist gleichgultig.• Frage uber die Paulus vielleicht selbst nicht genau nachge-

dacht hat.Er nennt diesen Akt der Rechtfertigungsannahme im Gegensatz

zu den autonomen Werken eines pharisaischen JudentumspÐstic.• Ob das das Ganze oder• in Gegensatz zu den êrga qualifizierender Teil des Ganzen

ist, ist gleich.Fides fiducialis ist, insofern sie als êlpic da ist, nicht absolute Glau-

bensbewusstheit.• Er ist sich keiner Sache bewusst, weiß aber doch,• dass die Enthullung des Heilszustandes am Tag des Herrn

geschieht• und er indessen mit Furcht und Zittern sein Heil wirken

muss.– Erst wenn er kommt wird es sicher sein, was sein Heils-

zustand ist.– Solange das nicht da ist, kann es nicht vorweggenommen

werden,∗ so wenig man einen anderen verurteilen darf,∗ kann man einen noch Lebendigen heilig sprechen.

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

Immer nur: wenn ich der bin, der ich sein soll durchdie Gnade Gottes,

dann bin ich der Geheiligte, Erloste, Befreite, Ge-rechtfertigte.

• Letztes Urteil daruber steht dem Menschen nicht zu.• Nur einer der richtet, Gott.• Hat er sich vorbehalten. Und das erscheint auch nicht in

absoluter Heilsgewissheit.

Jak.2: dass der reine Glaube an sich nicht ausreicht, um Men-schen zu rechtfertigen im Blick auf die Damonen, die auch glau-ben und doch verworfen sind.

Ob diese beruhmte Jakobusstelle, die gegen die Reformatorenvorgebracht wurde, und zweifellos auch sagt, was wir meinen,• ob die gegen das Missverstandnis von Paulus gesagt ist• oder nicht im Blick darauf und ganz andere Gegner im Auge

hat:• daruber konnen wir uns hier nicht unterhalten aber wissen:

eine genaue Erklarung ist nicht einfach.– Luther glaubt damit nicht fertig zu werden. Nennt sie

stroherne Epistel.– Moderner Protestantismus nimmt sie als kanonisch und

sucht, damit fertig zu werden.Dass Paulus die Liebe außer der pÐstic verlangt, ist aus 1Cor 13

selbstverstandlich. Auch sonst beschreibt er die Rechtfertigungso, dass sie und ihre Annahme nicht in reinem fides (Glauben)sondern in tatig und fruchtbar Werden des Pneumas geschieht(Fruchte des Pneumas). Und von daher auch Pneuma zunehmenkann und

Trennung zwischen Rechtfertigung und nachfolgender Heiligung,die mit Rechtfertigung nichts zu tun hat, kennt die Schrift nicht.• Unvollziehbar: Rechtfertigung die im Grunde der Heiligung

nicht bedurfte,• wurde die Heiligung uberflussig machen.

– Sagt man: die Rechtfertigung im tertius usus legis tat-sachlich erweisen, bedeutet: Leben im Pneuma, Erweisin der Heiligung, ist ein notwendiges Moment an derRechtfertigung.

– Wenn man sagt: Rechtfertigung ist da, aber Heiligungist aufgegeben, weil er immer noch gegen Fleisch, Welt,Teufel kampfen muss, weil er immer noch auch wahrhaftsundigt.

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

∗ Selbstverstandlich: eben das lehrt die katholischeRechtfertigungslehre.

∗ Aber sie kennt eben einen Punkt, der absolut diakri-tisch ist,1. so dass er nicht gerechtfertigt oder gerechtfertigt

und2. damit den Grund seiner Heiligung hat,3. obwohl er sich in diesem neuen Leben noch ent-

falten muss, wachsen und reifen muss.∗ Oder er hat eben auch die Rechtfertigung nicht.

– Und wie und in welchem Sinn der Mensch immer nochSunder sein kann, obwohl er der Gerechtfertigte ist,∗ daruber horen wir an verschiedenen Stellen des Gna-

dentraktats,· bei der Erbsunde, bei der Konkupiszenz und ihrem

Unterschied,· wenn von den lasslichen Sunden (den iustus quidem

sine speciali privilegio...).· Wenn wir in genauem Traktat uber die Sunde die

lassliche Sunde entwickeln konnten, wurden wir sa-gen: nicht weil er bloß lasslich sundigt, wurden wirin Grunde sein noch-Sunder-Sein nicht ernst neh-men mussen.

Aber all das zugegeben und eingerechnet, ist zu sagen: es gibtZustand der Sundigkeit, der mit der Rechtfertigung absolut in-kommensurabel ist, so dass es hier nicht et-et (nicht sowohl alsauch) gibt sondern nur aut-aut (entweder oder).• Da braucht man nicht sehr tiefsinnige Bibeltheologie trei-

ben, das ist auch die Meinung der Schrift.• Sie betrachtet den Menschen in Heilserwerb als Geschichte.

Es passiert etwas, was vorher nicht war. Er wird ge-rechtfertigt. Er wird von seinen Sunden befreit, von de-nen er vorher nicht befreit war.

Simul iustus et peccator in diesem Sinne kann es nichtgeben.– In welchem anderen sehr ernst zu nehmenden Sinn

das doch richtig bleibt und ist,– steht auf anderem Blatt und wird auf von Katholiken

nicht geleugnet.• Von der Schrift her ist klar, dass der Vorgang des aus Sun-

der ein Gerechtfertigter Werdens nicht allein in der Feststel-lung sein kann: man ist ein Sunder, bleibt es und ist doch

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

gerechtfertigt.Denn dann kann man nicht sagen, dass Rechtfertigung

dazukame. Wenn A da ware und GerechtfertigtseinB hinzu kame, dann muss der neue Zustand auf denanderen abandernd einwirken.

Additives peccator und iustus ist undenkbar oder esbesteht immer. Dann ware (Barth) die Rechtfertigungbloß die Mitteilung eines dauernden Gerechtfertigt-seins, bloß Abwischung eines Scheins, als ob Gott unsnicht als seine lieben Kinder betrachten wurde, aberwir waren es in Grunde immer.

Ein geschichtlicher Prozess einer Rechtfertigung, so wiebei Paulus: ich war Sunder und bin gerechtfertigt,

Bruder bereut eure Sunden, habt die met�noia, ein Be-griff, der auch bei den Synoptikern und in der Apostel-geschichte zentral ist.

Es geschieht, was geredet wird. Aus dem Sunder wirdGerechtfertigter. Objektiv andert sich der Zustand unddiese Anderung kann nicht bloß im Glauben, dass mangerechtfertigt ist, dass man wird, kann man nicht sagen.Darin kann es nicht allein bestehen.

Dass in der Vaterzeit von einem mehr existentialistischen und protes-tantischen Gesichtspunkt aus die Lehre vom Glauben intellektuali-siert wurde in gewissem Sinn, das braucht man nicht leugnen.

• Aber das Glaubensverstandnis der Kirche zeigt darin, dass manunterscheiden kann zwischen intellektuellem Element einer fidesdogmatica

• und einer Liebe und dass das• weder als gnostisch noch als intellektualistisch, noch als der Tiefe

Pauli nicht mehr gerecht werdend zu verdachtigen ist.– Es ist ein Auseinandertreten verschiedener Elemente, die im

biblischen Begriff des Glaubens enthalten sind.– Dass solche auch ihre Gefahren hat, dass einzelne Theologen

oder eine Zeit der Tiefe gewisser theologischer Begriffe nichtganz gerecht werden, die selbstverstandlich sind,

– dass deshalb die Theologen auch von reformatorischer Theo-logie kritisch betrachtet und angestachelt, die ganze Tiefeder paulinischen Glaubenstheologie immer wieder einholenmuss,∗ ist richtig, andert nichts daran dass∗ auch bei den Vatern der Begriff des dogmatischen Glau-

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12.1 These 20 Glaube als Disposition fur Rechtfertigung

bens da ist,∗ selbstverstandlich vorausgesetzt wird, und auf der an-

deren Seite∗ dass deshalb die Lehre von der Rechtfertigung sich nicht

auf die Lehre vom dogmatischen Glauben allein redu-ziert.· Im Gegenteil: bei Augustinus ist bei de fide et ope-

ribus, die deutlich darauf reflektiert, dass die fidesallein nicht rechtfertigt,

· sondern die in der Gnade Gottes getanen anderenWerke hinzukommen mussen, und dass diese, weil Ge-schenke Gottes, nicht in die Werkgerechtigkeit des Ju-daismus zuruckfallen.

– Augustinus sagt, dass der in der Liebe wirksame Glauberechtfertigt. Dass die in der Liebe getanen Werke im An-fangsstadium notwendig sind.∗ Wenn Harnack spater sagt, dass das eine formale Lo-

sung des Augustinus war, von der fides caritate formatazu sprechen, aber bloß außerlich harmonisierende Auf-fassung: das ist nicht richtig.

∗ Diese Formulierung gibt Gesamtbefund der Schrift, denman nicht monomanisch reduzieren darf, richtig wieder.

∗ Zeigt dass der Glaube Wurzel der gesamten Rechtferti-gung ist und zeigt wie der Glaube selbst sich erst in derUberbietung in die Liebe hinein wirklich das Rechtfer-tigen des Gesamtvollzugs des Menschen wird.

∗ Bei Augustinus ist absolute Heilsgewissheit verworfen.

Theologen: hier ist weiter nichts zu sagen.

Ratio theologica: durch das Gesagte vorweggenommen.

noch 8.5.1957 h2

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12 Glaube als Vorbereitung zur Rechtfertigung

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13 Gnade als Vergottlichung desMenschen

VI. Kapitel De deificatione hominis per gratiam.Das Kapitel uber die eigentliche Rechtfertigung des Menschen, die Teil-

nahme an der gottlichen Natur, Vergottlichung des Menschen, die den Men-schen insofern ihm Gott sein eigenes Leben in der Mitteilung des PneumaskoinonÐa jeÐac fÔsewc eine absolute Selbsterschließung tut, die das als sichin agapa Heraustreten in der Inkarnation zur Vollendung bringt und denMenschen in Gott hinein treten lasst, obwohl er Kreatur ist und bleibt.

Die erste These uber diesen Rechtfertigungszustand (warum man dasannehem kann und muss und warum Schwierigkeiten und Gefahren: innachster These, wo uber die heiligmachende Gnade als habituelle geredetwird) beinhaltet negativ zunachst die Vergebung der Sunden.

13.1 These 21 Verzeihung der Sunden

These 21. In iustificatione peccata vere delentur.Sunden werden bei der Rechtfertigung wirklich nachgelassen

Deshalb diese einundzwanzigste These: In iustificatione peccata vere de-lentur.

Nexus und Sinn der These, was ist Haresie • Diese Formulierungist auf einer Seite selbstverstandlich. Man konnte denken, dasseine moderne evangelische Theologie zugeben wurde, dass erdiese These richtig verstanden zugeben wurde.

• Was ware der Mensch, wenn ihm die Sunden nicht wahrhaftvergeben wurden?

• Wie konnte man davon sprechen, wenn er noch immer der Sun-der ware, der er vorher war.

• Wie von Rechtfertigung sprechen, wenn die Sunde nicht wirklichgetilgt ware.

Und doch ist

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

diese These bedingt durch die Theologie der Reformatoren.Sie haben in der bei ihnen amtlich gewordenen klassischen refor-matorischer Theologie der fruhen Zeiten Luthers, Melanchthons,Calvins gesagt: der Mensch bleibt auch als Gerechtfertigter einSunder und sei deshalb simul iustus et peccator.Frage: was damit eigentlich gesagt werden sollte. Aber von rich-tigem kirchlichem theologischen Standpunkt aus, von Theologieaus, die in der Kirche und im Angesicht der Kirche und ihresLehramtes getrieben wird und werden muss, ist immer zu sagen,

dass der Theologe sich der Kirche verstandlich machen mussmit seiner Theologie und die Akzeptabilitat, Orthodoxie dieserTheologie des Christen und Theologen davon abhangig ist,ob ihm das gelingt. Die Last der Erklarung obliegt (Das onusexplicandi incumbit) (von katholischem traditionellen KirchenBegriff aus) den Reformatoren. Wenn es ihnen nicht gelingt derKirche ein rechtes Verstandnis eines vielleicht an sich moglichenAxioms

”simul iustus et peccator“ klarzumachen, dann haben

sie nicht das Recht, unter solcher Formulierung das von ihnenrichtig Gemeinte auszusprechen.

Anders: die kirchliche Formulierung des kirchlichen Lehramts derGesamtkirche hat Recht, und eine neuere umfassendere annehm-barere Formel muss sich vor der Kirche rechtfertigen und nichtdie Kirche vor dieser Formel.Mit anderen Worten: es ist durchaus berechtigt zu sagen: esgibt

”simul iustus et peccator“, welches falsch ist und von der

Kirche verworfen ist. Wenn man sagt: naturlich, das haben jadie Reformatoren gar nie gemeint, so primitiv haben sie es janicht geweint. Das kann man nachweisen und deshalb ist Trientdoch sachlich verkehrt. Nein, die Kirche kann verlangen, dassman sich vor ihr erklart.Mit anderen Worten: es ist eben mindestens

in diesem Sinn eine historisch vorgekommene Haresie, dass dieReformatoren eine Formulierung vortrugen, welche von der Kir-che nicht verstanden wurde, aufgrund welcher aber die Refor-matoren dann aus der Kirche ausgezogen sind. Mindestens dieschismatische Absolutsetzung ihrer Formulierung, die sie bewogauszuziehen, ist haretisch.Selbst wenn man sagen wurde: das was eigentlich gemeint war,ist richtig und gut katholisch, ware das, was die Kirche verurteilthat,a) immer noch eine Haresie undb) immer noch eine existierthabende Haresie.

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13.1 These 21 Verzeihung der Sunden

Aber die Kirche hatte sich selbst mit ihrer Wahrheit besser unddeutlicher erklaren konnen und so diesen Leuten klarmachenkonnen, dass sie mit dem, was sie mit ihrer Formel meinten,durchaus Platz hatten in der katholischen Kirche.Dazu ist zu sagen:

a) das ist vielleicht in gewissem Sinn richtig, man wird vielleichtjetzt gar nicht unrichtig sagen konnen, es ware an und fursich moglich, die katholische Wahrheit, die fruher war, undin Trient auch da war und nicht geleugnet wurde, die hatteman noch deutlicher, entfalteter, verstandlicher sagen kon-nen. Solche Behauptung ist nicht unkatholisch. Solche Be-hauptung behauptet Geschichtlichkeit und Kreaturlichkeitdes kirchlichen Glaubensverstandnisses, was es gibt.Dem Pelagius hatte man die katholische Wahrheit in abstrac-to besser klarmachen konnen als Augustinus, der den Pfeildes Anathems auf Pelagius abschoss, aber bei diesem nichtdie katholische Wahrheit in unuberbietbarer Weise mitgelie-fert hat.Bei Thomas ist uber die Erbsunde und die Moglichkeit auchin der Konkupiszenz usw. vieles gesagt, was bei Augustinusnicht gesagt wurde, und wenn es gesagt worden ware, wa-re es den Haretikern leicht gewesen, die katholische Lehreanzunehmen.

b) ist zu sagen: solche Tatsache muss historisch gerecht gesehenwerden. Was heute geistig moglich ist, braucht nicht vor 200Jahren Moglichkeit gewesen sein. Wir sehen Nuancierungen,Moglichkeiten der katholischen Wahrheit, die man so fruhernicht so hatte und nicht haben konnte. Zu was ware die Ge-schichte des Geistes, der Dogmenentwicklung da, wenn dasfruher auch moglich gewesen ware. Jede Zeit muss ihre Theo-logie treiben und demutig in ihrer Zeit bleiben. Wenn einermeint, fur ihn dammere eine Zeit, die fur andere erst morgenanfangt, der muss sich in der Kirche so auffuhren, dass er mitdieser Kirche von heute nicht in Konflikt kommt.Er muss der Situationsfestgelegtheit der Offenbarung gerechtwerden. Wenn so aufgefasst, dann ist hinsichtlich des untera) zugegebenen, dass die Kirche diese Sache fruher deutli-cher, besser hatte sagen konnen, auch eine gewisse Reserveanzubringen, wobei nicht geleugnet wird, dass die Menscheneiner Zeit auch in geschichtlicher Bedingtheit besser hattemachen konnen, vieles was sie durch ihre Schuld nicht besser

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

machten.• Muss ein Eck und andere als die Leute kanonisiert wer-

den, die nicht nur die katholische Wahrheit gegen die Re-formatoren betonten, sondern auch kurzsichtig sich dieSache billig gemacht haben und rechthaberisch waren.Und die Theologen, die das Evangelium Gottes verteidi-gen, konnen, indem sie das tun, die sundigen Kurzsich-tigen sein, durch ihren Hochmut und ihre Einbildung,sie wussten alles und brauchten nur aus dem Denzingerdie Satze ausgraben, um alles zu losen. So ist es nicht. Sokann die Kirche und die Manner in ihr an den Haretikernschuldig werden.

• objektiv mindestens gibt a) und b) dem Haretiker, dem,der eine bestimmte Wahrheit auf seine Weise verteidi-gen will, nicht das Recht, aus der konkreten Kirche die-ser Zeit, dieses Lehramts der unvollkommen nicht ein-fach schismatisch auszuwandern und so aus der von ihmgemeinten Wahrheit Gottes eine widergottliche, wider-kirchliche Haresie zu machen.

So bedacht haben wir als Dogmatiker in solcher kurzer Thesedie Frage dahingestellt sein zu lassen, was Luther letztlichgemeint hat, der Mensch bleibe ein Sunder, auch wenn ergerechtfertigt wird. Wir haben das Recht mit der Kirche zusagen: wenn er gerechtfertigt wird, dann hort er in wahrem Sinnauf, Sunder zu sein. Der Sunder Zustand hort auf zu sein. Undso zu sagen: peccata vere delentur. Wie genauer im einzelnen,behandeln wir in spateren Thesen. Dass das dadurch geschieht,dass er innerlich geheiligt wird durch Verleihung einer zustand-lichen heiligenden Gnade, Mitteilung des gottlichen Lebensselbst einschließend: spatere These.Wir sagen: der Zustand der

Rechtfertigung erfullt sich nicht in der Tilgung der Sunden,aber schließt eine wirkliche Tilgung der Sunden ein.• Diese wahre Tilgung der Sunden ist gemeint gegen die vul-

gare, ubliche, von der Kirche verstandene Lehre, dass derMensch ein Sunder bleibt, so wie er vorher war, und das ihmnur in forensischem Anrechnen außerlich imputiert werde.

• Ob das melanchthonische Verkurzung des von LutherGemeinten ist, oder doch im Grunde von Luther gemeintwar, daruber streiten sich die Dogmenhistoriker bis heute.Je nachdem man das halt oder die reformatorische Theo-

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13.1 These 21 Verzeihung der Sunden

logie zu entlasten sucht, wird man das eine oder anderesagen. Auch vorurteilslose Theologen sagen (Blaser): auchwenn man alles zugibt dazu, muss man sagen: Luther hateine Rechtfertigungslehre vorgetragen, die im Grunde impu-tierte Rechtfertigung ist, und das ist falsch nach katholischeAuffassung.

• Man kann naturlich sagen: selbstverstandlich, dass wennGott den Menschen rechtspricht, das, was er vom Menschensagt, seine eigentliche Rechtfertigung ist. Aber– Luther hat gemeint, dass das doch erst im Blick auf

seine spatere Zukunft, auf die spater eintretende escha-tologische Rechtfertigung eintritt.

– Denn dass er dort keine Konkupiszenz mehr hat, das hatLuther nicht geleugnet. Dass er in der Ewigkeit nichtauch noch

”simul iustus et peccator“ ist, das ist klar.

• Aber wenn diese forensische doch nur Vorwegnahme einerspater eintretenden inneren Rechtfertigung ware, und dasjetzt nur im Wort forensisch antizipiert ware, ist es auchnicht recht, sondern haretisch, weil es falsches Verstandnisdes Eschatologischen im Christentum voraussetzen wurde.

• Wir haben es zwar nicht bloß, insofern wir es spater erhal-ten werden, sondern wir haben es, und darum erwarten wirseine Vollendung, seine Fulle, durch die Vergottlichung desgesamten Menschen.

10.5.1957 Vorlesung 61

Begriffe: Rechtfertigung, Sunde, Vergebung Wir stehen bei der Theseper iustificationem peccata vere delentur. Die Frage nach dem

Wesen der Rechtfertigung beinhaltet zunachst einmal einen nega-tiven Aspekt: der Mensch ist nach christlicher Lehre von sichaus nicht der, der von sich aus auf Grund seines faktischen We-sens im rechten Verhaltnis zu Gott ware. Er ist von Adam herein Sunder durch die Erbsunde, d. h. er hat, insofern er diesemmenschlichen Geschlecht als seinem Glied und Kind entspringt,nicht jene positive ubernaturliche Ausgerichtetheit auf seine ei-gentliche Bestimmung, die wir heiligmachende Gnade nennen,und da diese Ausrichtung durch die heiligmachende Gnade po-sitiver Art auf das ubernaturliche Ziel an sich durch adamitischeGeschlechtsgemeinschaft da sein sollte aber nicht da ist und die-se ubernaturliche Ausrichtung den Menschen an und fur sich po-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

sitiv heiligen wurde., ihn der gottlichen Natur teilhaft machenwurde, nicht nur versetzte in neutral Gutes und Schlechtes tunKonnen, sondern positiv heiligen wurde, darum ist das gegenden Willen Gottes seiende Fehlen dieser Ausrichtung ein sundi-ger Zustand, ist Erbsunde.

Uber das Wesen der Erbsunde, in ihrer Verschiedenheit von per-sonlichen Sunden, uber die Frage warum man diesen in Adamwider den Willen Gottes seiende und Beraubtheit von ihr, Sun-den nennen kann: siehe den Traktat uber die Erbsunde. Hierstellen wir nur fest: insofern er von Adam abstammt, ist er nichtin der eigentlichen ubernaturlichen, heiligenden Verfassung, dieGott gewollt hat: insofern ein Sunder. Man muss durch Recht-fertigung von Seiten Gottes gerechtfertigt werden. Und diesebesteht in wirklicher Vergebung dieser Erbsunde.Ebenso besteht diese Rechtfertigung in Vergebung der Sunden,wenn und insofern er

personliche Sunden hat und dadurch durch eigene Entscheidungvon Gott, dem ubernaturlichen Ziel, abgewendet war. Wir mei-nen damit Erbsunde und personliche Sunden. Beide Sunden sindgemeint, insofern sie habituellen Zustand bedeuten, die entwe-der durch den Stammvater oder durch personliche Entscheidungdes einzelnen herbeigefuhrt waren.

Vere delentur bezieht sich auf die habituelle Sunde (durch ak-tuelle Entscheidung herbeigefuhrt). Tatsunde als solche ist alszu vergebende Wirklichkeit eben, nachdem sie geschehen ist,vergangen, nur noch da in dem, was wir habituelle nennen. DieAktuelle wird vergeben, indem die Habituelle vergeben wird.Wir konnen auf existential-ontologischen Zusammenhang vonaktueller und habitueller Sunder nicht eingehen.

Habituelle Sunde bedeutet1. moralische Weiterdauer der Entscheidung des Menschen.

Daruber hinaus2. eigentlicher Verstoß gegen die Wurde, Heiligkeit, personale

Liebe Gottes, der gegenuber der Mensch Nein sagt.3. Ein Fehlen dieser positiven Ausrichtung des Menschen auf

das ubernaturliche Ziel, welche es ihm uberhaupt moglichmacht, Heilsakte zu setzen.

1. Die habituelle Weiterdauer des Neins des Menschen gegen-uber dem verpflichtenden Willen Gottes wird aufgehobendurch die freie Umentscheidung des Menschen durch sei-ne Reue. Damit ist die Sunden noch nicht vergeben. Sie hat

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13.1 These 21 Verzeihung der Sunden

die anderen Momente bei sich, und insofern Sunde immerin unmittelbarem Dialog zwischen Gott und geistig freierKreatur geschieht, kann die getane Sunde nur aufgehobenwerden, indem Gott vergibt.

2. Die Tat war immer eine auf Gott hin. Das was da geschieht,die Krankung, das Nein zu diesem selbst sich offenbaren-den Liebeswillen Gottes kann entsprechend dieser dialogi-schen Tat nicht einseitig von Seiten des Menschen aufgeho-ben werden. Jede Beleidigung einer Person ist ein Vorgang,der nur von Seiten des Beleidigten aufgehoben werdenkann. Jede andere Auffassung ist solipsistische Verkennungdes dialogischen Charakters einer Tat des Menschen. Liebe,Krankung einer Person ist immer auf eine andere, hangtebenso von dem ab, auf den hin diese Tat gesetzt ist. In-sofern erfordert die Schuld von daher eine Vergebung vonseiten Gottes.

3. Das konkretisiert sich dadurch, dass der dritte Aspekt in derSunde - die Aufhebung der positiven Ausrichtung auf Gott- auch nicht ohne weiteres, mindestens nicht in der konkreteOrdnung des ubernaturlichen Heiles vom Menschen selbstabgeschafft werden kann. Denn die faktische Ausrichtungdes Menschen als geistiger Kreatur in der Ordnung des uber-naturlichen Lebens ist nicht bloß in moralischer Einstellungdes Menschen habitueller Art begrundet, sondern bedarfeiner seinshaften Vergottlichung des Menschen. Gottgibt dem Menschen die Moglichkeit ein ubernaturliches Tunzu vollbringen, mit zu vollziehen.Auch die positive Wieder-Hin-Ordnung des Menschen aufGott als sein Ziel und die positive Ermoglichung eines demZiel entsprechenden Aktes des Menschen (Heilsaktes) be-darf einer Tat Gottes und kann nicht vom Menschen herge-stellt werden. Insofern kann die habituelle Sunde des Men-schen immer nur von Gott her und durch seine Tat getilgtwerden.

Diese Tilgung kann entweder dadurch geschehen (wahre Til-gung) in dem Gott von bleibender Forderung einer Aus-richtung auf Gott absteht und den Menschen in bloß reineNaturlichkeit zuruckversetzt,

oder sie kann (und darin besteht sie faktisch) dass Gottdem Menschen die ubernaturliche Befahigung wieder gibt,die er in Adam verloren hat, indem er ihm die heilig-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

machende Gnade wieder verleiht und darum die Tilgungder habituellen Schuld eine innere Neubelebung vollzieht.So ist es in der faktischen Gnadenordnung (siehe nachsteThese). Hier wird nur gesagt: es geschieht eine Vergebungder Schuld.

Gegner der These Adversarii Diese These ist gerichtet gegen die pro-testantische klassisch reformatorische Auffassung, gegen die sich dasTridentinum richtet, auch wenn sie von protestantischen Theologennicht mehr gehalten wird. Danach besteht

die Erbsunde in Haben der Konkupiszenz, jene im Menschendauernd vorhandene und sich immer regende Widerspenstigkeitgegen Gott, jene Undurchdringlichkeit der menschlichen Wirk-lichkeit fur das Wort Gottes, jenes nicht gern und aus ganzemHerzen Gott schon Lieben, was man Konkupiszenz schon nenntund was bei den Reformatoren primitiv beschrieben wird, abergesehen wird: darin besteht die Erbsunde, die Sundigkeit desMenschen.

Die Konkupiszenz ist fur sie nicht bloß Ausfluss, Folge derSunde, der Erbsunde sondern Wesen der Erbsunde selbst.• Wahrend die katholische Lehre in der 5. sess. mit Trient

deutlich gelehrt hat, schon von Anselm her, dass Erbsundenicht einfach in der Konkupiszenz besteht, sondern in derBeraubtheit von der heiligmachenden Gnade,

• so dass die Konkupiszenz nur eine Folge der Beraubtheit ist,• behauptet die lutherische und reformatorische Theologie,

dass die Sunde in der Konkupiszenz besteht, was auch Au-gustinus nicht gesagt hat.

Daraus ergibt sich nach der Erfahrung des Getauften, auch desChristen, der sich als Kind Gottes und Erben des Himmelglaubt,• dass die Konkupiszenz weiter wuchert und existiert und den

Menschen zur Sunden veranlasst,• dann hat er immer noch die Erbsunde. Wenn er dennoch

gerechtfertigt ist,• dann ist nichts anderes sagbar: sie ist noch da, aber wird

nicht mehr angerechnet. Sie ist von Gott zugedeckt, ihmwird die Gerechtigkeit Christi angerechnet. Gott betrachtetihn, als ob er doch kein Sunder sei.

• Mit anderen Worten: die Sunde (beide) wird nicht wahrhaftausgeloscht, getilgt, sondern nur zugedeckt, nicht mehr an-gerechnet durch die Imputatio der Gerechtigkeit Christi, so

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13.1 These 21 Verzeihung der Sunden

dass der Mensch so betrachtet wird als ob er in mystischerIdentitat mit Christus zu ihm gehore.– So ist der Mensch Simul iustus et peccator bleibend

Sunder. - wir untersuchen nicht naher,– ob und wie solche Theorie in der modernen protestan-

tischen Theologie uberwunden ist, bei welchen man dassagen kann und bei welchen nicht -

• Es genugt, darauf hinzuweisen, dass in der modernen Theo-logie diese Frage wieder offen geworden ist.

• Fur uns genugt es zu sagen: wir mussen nach dem Tridenti-num festhalten, dass im Gegensatz zu bloßer Imputatio eineTilgung der Sunden gegeben ist,

• so dass das eigentliche Wesen des Sunde nicht mehr da ist,wenn auch die Konkupiszenz bleibt,

• denn sie ist nicht das Wesen der Sunde. Und dass so eineinnere Umwandlung des Menschen eintritt.

Ecclesia Beweis aus kirchlichem Lehramt

• Diese Lehre der Kirche ist in Trient im eigentlichen Sinn defi-niert.

– Schon Leo X hat verworfen, dass das getaufte Kind die Erb-sunde noch habe.

– Ahnlich hat Pius V - von Augustinus her durch Bajus ge-lehrt, - diese Sentenz bei Bajus verworfen.

– Eigentliche definierte Lehre ist in sess.5 u. 6 und 14 desKonzils von Trient.∗ In 5.sess., wo die Erbsunde behandelt wird, wird in

can.5 ausdrucklich gesagt, dass die Erbsunde wirklichgetilgt und nicht bloß nicht mehr angerechnet werde.So dass nichts von dem was im gerechtfertigten Men-schen nach der Taufe, nach Glaube, Liebe von seinemsundigen Zustand bleibt, Sunde sei, sondern nur die Ei-gentumlichkeit Konkupiszenz die nicht Sunde ist, son-dern nur aus der Sunde stammt und Anreiz zur Sundebildet.

∗ In Kapitel 7 ist ausdrucklich geschrieben, dass dieRechtfertigung des Menschen geschieht durch inhaeren-te Gerechtigkeit,· die als gottliche Gnadenwirkung im Menschen zwar

ursachlich mit der Gerechtigkeit Christi zusammen-hange als Wirkursache,

· aber von ihr unterschieden werden muss, so dass der

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

Mensch seine eigene, wenn auch von ihm selbst nichtbewirkte Gerechtigkeit erhalt,

· causa formalis und efficiens iustificationis nicht gleichsind, so dass es sich um eine wirkliche Vergebung han-delt.

∗ In can.11 sess.6 Rechtfertigung besteht nicht bloß in derimputatio meritorum Christi sondern in der remissiopeccatorum durch und in der dem Menschen von Gottgegebenen Gnade, die ihm als seine eigentliche Wirklich-keit wirklich gegeben ist und so ihm innerlich inhaeriert.

∗ Ahnliches ist hinsichtlich der erneuten Rechtfertigungin der 14 Sitzung im Zusammenhang mit dem Bußsa-krament gelehrt.

Schriftlehre Beweis aus der Schrift

Es ist nicht viel zu sagen. Es gibt Texte, die in dem Bild des Bede-ckens, nicht mehr Anrechnens die Rechtfertigung ausdrucken.

• Aber mit solchem Bild forensischer Art, dass er sie vergisst,ist der Blickauf die Vergangenheit gerichtet, Gott deckt sie zu,denkt nicht mehr an sie, rechnet sie nicht an,

• ist die Frage nicht beantwortet sondern erst gestellt: wie machtes Gott, dass er sie vergisst?

• Und da mussen wir sagen: nach der Lehre des AT und NT ge-schieht das durch wahre Tilgung der Schuld.

Man kann im AT finden: die Grund-Vorstellung ist die, dass derMensch durch das Erbarmen Gottes• aus einem Sunder zu Gerechtem gemacht wird,• prophetische Aussage Gottes von seiner Barmherzigkeit

usw. besteht darin, dass der Mensch ein neues Herz be-kommt,

• dass er wirklich vergibt, nicht nachtragt,• wirklich den Menschen umschafft durch das Herz aus

Fleisch im Gegensatz zu dem aus Stein.Das verdeutlicht sich im NT dadurch, dass die Rechtfertigung

aufgefasst wird• durch Einwohnung des Heiligen Geistes,• durch Wiederbelebung eines, der bisher tot war zu

neuem Geschopf, so dass es Frucht bringen kann, so dass esder lebendige Tempel Gottes ist, so dass, wenn man diesesradikale Geschehen einer Neuschopfung und Wiedergeburtin juristischen Termini ausdrucken will (bei Paulus auch

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13.1 These 21 Verzeihung der Sunden

nicht) sagen muss: er wird zu Gerechtem gemacht.– Wenn Gott sagt, dass der adamitische Menschen zu Ge-

rechtem hingestellt wird: das ist zwar juristisches Bild,Aussage mit juristischen Kategorien,

– gemeint ist, dass er ihn zu Gerechtem macht undnicht bloß forensisch als Gerechten erklart, der keinerist.

– Selbstverstandlich kann auch juristisches Bild dieRealitat meinen.∗ Wenn ich sage, ich ernenne ihn zum Oberstleutnant,

dann ist er es wirklich.∗ In forensischem Bild braucht nicht die Vorstellung

des”als ob“ da sein, (wenn derjenige wirklich die

Macht hat).• Paulus kann sagen, die Gerechtigkeit Christi wird uns an-

gerechnet, wir werden als solche erklart.– Damit meint er aber von seinen ubrigen Aussagen

her ein wirkliches Werden des Menschen insofern er zu-nachst ein Sunder war und diese Sundigkeit eine wirkli-che ist, die man nicht anders ausdrucken kann als durchsittliche und juristische Begriffe.

– Es kann naturlich das Aufhorenmachen des sundigenZustandes vor dem Gericht Gottes, seines Verfallen-seins an ein Gericht, durchaus auch in forensischem Aus-drucken ausgedruckt werden.

– Aber wenn gefragt wird, wodurch geschieht diese Fei-sprechung, dieses Herauskommen aus diesem ein Kinddes Zornes zu sein, ist die Antwort: dadurch dass Gottdem Menschen das gottliche Pneuma verleiht.∗ Dass diese durchaus nicht, wie Harnack gemeint

hat, in bloßer Gesinnungsanderung des Menschen be-steht,

∗ sondern eine wirkliche Neuschopfung ist, die der in-neren Gesinnung, Wandlung dieser Gesinnung als on-tologische Grundlage dessen vorausgeht.

∗ Wenn wir sagen, die Feisprechung des Menschengeschieht durch Verleihung des Pneuma, sagen wir:geschieht durch Umwandlung des Menschen durchGott. Es handelt sich um Tilgung der Schulddurch innere Erneuerung, durch wirkliche Til-gung.

Im Grunde wird das ein moderner protestantischer Theologe

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

auch zugeben. Hat er da und dort doch etwas einzuwenden,dann ist es mehr die Verwendung einer ontologischen Begriff-lichkeit: Habitualitat usw. Es handelt sich um Missverstandniseiner Begrifflichkeit. Wir wissen, dass das analog verstandenwerden muss. Dass das nicht physikalisch genommen werdendarf: habitus ist nicht physische Vergottlichung.

Dass Gott den Menschen durch die Verleihung des Geistes zuGerechtem macht, der er bisher nicht war, so dass er der, der erwar nicht mehr im selben Sinn sein kann, so dass die AuffassungGottes vom Menschen das ist, was er wirklich ist, und die, dieder Mensch von sich her von sich hatte, dass er der verloreneSunder ist, dass das die von Gott real von Gott desavouierteWirklichkeit des Menschen ist, daran wird ein protestantischerTheologe heute nicht mehr zweifeln und zugeben, dass die reinedialektische Auffassung des simul iustus et peccator sich inder Schrift nicht findet. Er wird sagen: da ist ein Richtigesdran, und das vermissen wir bei euch. Schon und Recht, aberwir werden sagen, dass das auch nicht der Fall ist.

Was zu DikaiosÔnh zu sagen ist und der Rechtfertigungslehre desPaulus, finden sie im Kodex noch weiter einiges Grundlegendes.Man muss einfach sagen, dass diese juridischen Begriffe bei Pau-lus nicht gemeint sind in reiner Eschatologie, noch ausstandigeAussagen: du wirst einmal bei meinem Gericht als gerecht frei-gesprochen werden. Fur Paulus ist diese eschatologische Aus-wirkung schon da, jetzt. Wir sind jetzt schon Tempel desGeistes, die jetzt schon Frucht bringen mussen.

Zu sagen ist auch, dass die forensischen Begriffe sinnvoll sindaber nicht die einzigen sind. Und nicht im Sinn eines bloßen

”als

ob“ betrachtet werden durfen. Die imputatio hat eben nach derSchrift und Paulus die Wirkung, dass der Mensch wirklich ge-recht wird. Insofern es die freie, gnadige Tat Gottes ist, dieam Menschen geschieht, also freie Entscheidung, die in diesemSinn zwar etwas Aktuelles bleibt, nicht von der Huld Gottes,der gratia subiektiva Dei abgehalftert werden kann und getrenntwerden kann, Gott bei dieser Gnade, die er uns erweisen will, im-mer auf die Gerechtigkeit Christi, auf seine Tat blickt, insofernkonnte man in richtigem Sinn sagen: Gott rechnet uns die Ge-rechtigkeit Christi an, insofern kann naturlich, um zu betonen,wie sehr ich das, was ich bin, es bin, weil Gott mir gnadig ist. Umdas zu betonen kann man immer wieder, wie Theresia es getanhat, Gnade unbefangen, ohne Angst, protestantisch zu werden:er moge nicht auf meine Verdienste schauen, sondern mich mit

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13.1 These 21 Verzeihung der Sunden

dem Mantel der Gerechtigkeit umgeben, weil wir immer hinterder Forderung Gottes zuruckbleiben und immer Gnade Gottesim Blick auf Christus erleben. Aber dieses Wunder der GnadeGottes hat wirklich seine Wirkung.

Es bleibt nicht schweben zwischen uns, den Sundern und Gottdem Gerechten, sondern es wird an uns Ereignis und wir werdendie Gerechten. Die Tat Gottes kommt bei uns an. Sie wirdnicht erst ankommen sondern ist schon.. Sie wird nicht so un-ser Zustand wie Freiheit und Geistigkeit. Gerade deshalb unter-scheidet die katholische Theologie zwischen Natur und Gnade.Sie sagt unsere Gerechtigkeit als von Gott gewirkte, geht nichtso in unseren Besitz uber, dass sie nicht von uns unterschiedenware, die an der Huld Gottes aufgehangt bleibt, viel radikaler alsunsere Personalitat am freien Schopferwillen Gottes hangt. Alldas andert nichts daran, dass nach der Schrift in ihrer Vergottli-chungslehre vom Pneumatischwerden des Menschen selber, von

”Kinder Gottes nicht bloß genannt werden sondern schon sein“:

klar ist, es handelt sich um Vergebung der Schuld in Neu-schopfung.

Vater: Beweis aus der Lehre der Kirchenvater.

Auch das wird bei den Vatern gelehrt. Vernunftig wird kein pro-testantischer Dogmengeschichtler behaupten, dass es Vergottli-chungslehre bei den Vatern nicht gebe. Hochstens bei den al-ten Protestanten als Depravatio bei den Vatern gelehrt.Aufgefasst als Hellenisierung des Christentums, das in rein ethi-schem und existentiellem Bereich bleibe und da hinein interpre-tiert werden mussen, wenn auch bei Paulus Ansatze schon warendahinein.

Aber wir sagen nein, die Einhelligkeit in der besonders die Grie-chen von Umwandlung, Pneumatisierung,jeÐwsic, Wiederher-stellung des Bildes Gottes im Menschen reden, beweist, dasssolche Lehre von der Vergebung der Schuld den Kirchenvaternselbstverstandlich ist.

Man braucht nur die Tauftheologie lesen, die Geburt aus GottTheologie, den Wiedergeburtsnaturalismus. Je alter die Theo-logie ist, desto unbefangener nimmt sie Neuschopfung an.

Erst bei Origenes finden sich erste Reflexionen darauf, dassnoch gewisse Eindrucke,• Typo-Schemen aus dem alten Stand im Menschen auch nach

der Taufe bleiben und er das erst noch aufholen muss,• oder das was im Kern des Wesens durch Mitteilung des

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

Pneuma geworden ist, ausbreiten muss in die vielen Schich-ten seines Wesens.

• Hierin steht eine Theologie des Werdens nach der Taufe,aber doch so (eine),

• die das grundlegende Ereignis der Taufe - die Rechtfertigung- nicht abschafft und nicht abschaffen will sondern trotz demspater zu Tuenden kennt und aufrecht halt.

Das genugt uber die 21. These, wir fahren dann bei der nachstenThese weiter.

15.5.1957 Vorlesung 62

13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

Wir wollen die 21. These uber Vergebung, Tilgung und nicht bloß Nicht-Anrechnung der Sunde in der Rechtfertigung als erledigt ansehen, undgleich zur 22. These ubergehen. Sie lautet:

These 22 In iustificatione datur gratia sanctificans, quae importatdonum creatum et physice permanens.

Die heiligmachende Gnade, die eine geschaffene und physisch dau-ernde Gabe mit sich bringt, wird in der Rechtfertigung gegeben.

Zur Begrifflichkeit Wir kommen zum Traktat uber die heiligmachendeGnade, wie sie heute genannt wird.

Diesen Namen gab es in der alten Kirche noch nicht. Der Be-griff der Gnade war weiter, nicht so deutlich unterschieden vonder aktuellen Gnade.• Im Mittelalter hat man gratum faciens gesagt gegen gratis

data. Gratum faciens ist die, die wir hier meinen: die denBetreffenden Gott angenehm macht.

• In der Trienter Zeit sah man deutlich, dass es auch anderegratum facientes gibt: die aktuelle Gnade zu den Heilsakten,welche unter Umstanden von der habitualis verschieden ist,und doch nicht gratis data ist in spezifischem Sinn, sonderngratum faciens.

• Gratum faciens nannte man das, was wir meinen mit gra-tia sanctificans im Gegensatz zu anderen habituellen undaktuellen ubernaturlichen Gnaden.

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

Rein Begrifflich: gratia kann entitativ naturliches ungeschuldetGegebenes sein, modal Ubernaturliches,

oder entitativ und simpliziter Ubernaturliches sein. Solche kannactualis und habitualis sein. Diese habitualis kann entweder seinsanctificans oder habitus infusus oder ein donum Spiritus Sanktinach gewohnlichen Auffassungen. (siehe Skizze)

gratia

supernaturalis

supernaturalis

modaliter

entitativeet simpliciter

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqactualis

habitu−alis

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

sanctificans

habitusinfusi

dona Sprit.Sanct.

gr. increata

gr. creata

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq virtus moralis

virtus theologicainfusa

infusaqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

fidesspes

caritas

Habitualis virtus infusa kann sein der einer moralischen odertheologischen Tugend. Sanctificans und habitualis sind nichtdasselbe, verhalten sich zu einander wie Spezies und Genus. Jedesanctificans ist habitualis aber nicht jede habitualis ist sanctifi-cans. Zu der gehort die, insofern sie gratia creata ist oder mitsich bringt und die gratia increata, Mitteilung Gottes selbst anden Menschen. Wie sie sich zusammen verhalten, davon ist spa-ter die Rede. Sie gehoren zusammen, sind voneinander unloslich.Fides, spes und caritas: da entsteht die Frage, wie sich die theo-logische Tugend der Liebe zur heiligmachenden Gnade verhalt.

Was ist nun die heiligmachende Gnade? Halb scholastisch, me-taphysisch halb biblisch ist es ungefahr so:• jene Gabe Gottes,

– die als realer, ontologischer, physischer Zustand denMenschen aus Sunder zu Gerechtfertigtem, Geheiligtemmacht,

– zu einem Kind, Sohn Gottes in Adoption ihn der gott-lichen Natur teilhaftig, berechtigten Erben des ewigenLebens, der die Guter Christi von Natur aus partizi-piert,

– der als Tempel des heiligen Geistes die Fahigkeit hat,dauernde Fruchte des ewigen Lebens zu bringen, die einwirkliches Verdienst hinsichtlich des ewigen Lebens alsLohn der Gerechtigkeit haben.

– Das donum physicum permanens entitative et simplici-ter supernaturalis ist die gratia sanctificans.

• Wir sagten damals, als wir sagten, die Heilsgnade ist enti-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

tativ ubernaturlich, da ist gemeint: Heilsgnade fur die Aktedes Menschen,– aber dazu gehort auch die dauernd verliehene Befahi-

gung, Heilsakte zu setzen. Und das ist die heiligmachen-de Gnade.

– Wenn zuruckgedacht an den Beweis dass diese entitativesupernaturalis usw. ist, so sind das Beweise,∗ die die Ubernaturlichkeit der heiligmachenden Gna-

de beweisen, wenn wir sagen: wirklich in die RegionGottes als solche versetzt, die Kindschaftsgnade alsAdoption in iura filii usw.

∗ das sagt implizit unseren Begriff der ubernaturlichenGnade

∗ entitativ und simpliziter ubernaturlich: das ist ei-gentlich der Beweis fur den Zustand. Dann ist dieUbernaturlichkeit der heiligmachenden Gnade schongenugend bewiesen.

Was die Inhaltlichkeit dieser Rechtfertigungsgnade angeht, somussen wir (zur biblisch bezeugte Inhaltlichkeit)– noch einiges sagen in den nachsten Thesen.. Im ubri-

gen sei verwiesen auf These 8, uber Paulinische undJohanneische Gnadenlehre. Das dort stofflich inhaltlichBeigebrachte ist ja das, was fur die Verkundigung dasWichtigere ist.

– Hier geht es mehr um die kirchliche, sanktionierte, defi-nierbare kirchliche Lehre, die die von haretischem Miss-verstandnis der Reformatoren, Bajus und den Ratio-nalisten abzugrenzenden scholastischen Begriffe in denVordergrund ruckt.

Die Hauptsache: Rechtfertigungsgnade ist donum physicum etpermanens.– Dass diese Rechtfertigung eine innere Umwandlung des

Menschen mit sich bringt, haben wir der Sache nachin der vorausgehenden These gesehen. Dort ist schongesagt: es kann sich bei derVergebung der Schuld nicht handeln um Nichtan-

rechnung der bleibenden Sunde, sondern um wirklicheAusloschung, weil die Rechtfertigung, die sie bewirkt,

als Neuschopfung, Tempel Gottes Sein, Kind Got-tes Sein, beschrieben wird, also als innere Neuwer-dung und Umwandlung des ganzen Menschen vonseiner Wurzel her, wo er an Gott grenzt am ehesten

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

noch.– Wenn Gott ihm seinen Geist gibt, dann ist er nicht der

als gerechtfertigt Betrachtete, der Sunder bliebe.∗ Eine wirkliche Tilgung konnte auch dadurch gegeben

sein, dass Gott dem Menschen juristisch seine Schuldwirklich vergibt

∗ und ihn in seinem naturlichen Zustand belasst,∗ vorausgesetzt dass er seine eigene innere Haltung auf

Gott hin in Ordnung gebracht hat.Aber wir haben schon gesagt, der Mensch muss Heilsakte wir-

ken, die nur aus innerer Gnade Gottes getan werden konnen.– Nur so korrespondierend dem ubernaturlichen Ziel, zu

dem er berufen ist:Teilnahme am innergottlichen Leben selbst, das

dem Menschen wesentlich ungeschuldet ist.Denn die Selbstmitteilung Gottes wo er nicht ge-

schaffene Gabe sondern sich selbst gibt, kann derKreatur gegenuber nicht etwas Geschuldetes sein.∗ Denn sonst hatte sie genau den selben Charakter,

wie die Selbstmitteilung des Vaters an den Sohnund von ihnen an den Geist,

∗ welches ein notwendiger, innerer, gottlicher Pro-zess ist, der fur die Konstitution Gottes selbst not-wendig ist.

∗ Wenn er frei handelt, nach außen gibt, dann mussdiese Weggabe seines eigenen Wesens an das Ge-schopf wesenhaft ungeschuldet sein.

∗ Sonst ware dieser Prozess einer Mitteilung im pan-theistischen Sinn ein Ausfließen Gottes selbst, einAuswuchern Mussen, was undenkbar ist.

Ist aber diese Gnade, die Gott dem Menschen als dauerndeund ubernaturliche gibt, eine wirklich Ubernatur-liche, dann muss sie im Grunde notwendigerweisenicht bloß ein Dauerzustand sondern eine physischeMitteilung sein.

Adversarii protestantische Gegnerschaft.

• Warum? Hier kommen wir zu dem Punkt, in dem sich die ka-tholische Gnadentheologie von der alt lutherischen und auch vonder protestantischen Theologie (der modernen) wesentlich unter-scheidet. Dass eine solche Konzeption einer inneren, dauernden,realontologischen, dem geistig personalen Tun vorausliegenden,

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

fur die alt- protestantische Theologie unvollziehbar ist, ist klar.Dort ist nur Sunder, Heiligung ist sekundare, nachtragliche Sa-che, die die Rechtfertigung nicht konstituieren kann, weil dieseHeiligung eine so unvollkommene ist, dass dadurch der Menschnicht der vor Gott Gerechte sein kann.

• Aber auch in der modernen protestantischen Theologie wird dieVorstellung der heiligmachenden Gnade als donum physicum etpermanens perhoresciert aus philosophischen Voraussetzungen.Dort wo man in existentialistischer Auffassung [von personli-cher Beziehung, von Existential] metaphysische Begriffe formal-ontologischer Art fur solche religiosen Wirklichkeiten in kanti-schem Agnostizismus von vorneherein als indiskutabel perhores-ziert, hat es keinen Sinn davon zu sprechen. Aber die Gravaminader protestantischen Theologie gehen naturlich weiter.

• Man wird sagen: uberall dort, wo der Rechtfertigungszustand,so weit er uberhaupt Zustand nennbar ist, das Gerechtfertigtseindes Menschen als physische realontologische Zustandlichkeit be-trachtet, die dem Menschen inhaeriert, wie Trient sagt, wurdeman die Gnade verdinglichen und als verdinglichte in die Bot-maßigkeit und Verfugung des Menschen begeben.Gnade, Rechtfertigung, Heiligung - sagen sie - lebt absolut da-von, dass der Mensch das nicht als etwas betrachtet, das so ihmgehort, dass er daruber verfugen kann, sich aneigenen kann.

• Naturlich kommt die protestantische Theologie ins Gedrange.Denn gegen bloße Imputation ist die moderne protestantischeTheologie geneigt, die wirkliche Heiligung des Menschen dieWandlung des Sunders zu Gerechtfertigtem, die Uberwindungeines bloß dialektischen

”simul iustus et peccator“ zu uberwin-

den und zuzugeben, dass er wirklich ein anderer wird. Dass die-ses eschatologische Ereignis jetz schon irgendwie Gegenwart ist.Aber, so sagen sie, deshalb kann man nicht zu solchen scho-lastischen Begriffen des habitus, donum physicum permanensgreifen. Das verdinglicht die Gnade. Darin ist keine Ereignishaf-te Gnade der Huld Gottes, von der sich der Mensch umfangensehen muss, die dialektischen Charakter auf Gott hin hat.

• Wir sagen: was der Protestant Positives sagt, dass Gnade Gnadesein muss, nicht in der autonomen Verfugung des Menschen ist,immer nicht getrennt werden kann, weder von der Ereignishaftenimmer neues Wunder seienden Huld der freien BarmherzigkeitGottes, wo ich nicht vom Geber eine Gabe bekomme, die icheinstecken kann und mich davon schleichen kann, sondern immerin dem man auf den gnadigen Gott hinlauft.

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

• Das ist richtig, aber das andert nichts daran, dass Gottes Gna-dentat an mir wirklich geschehen ist und dass sie so sehr sieimmer da bleibt, an mir etwas gemacht hat, was dauernd ist.Der Mensch ist ein Heiliger nach der Schrift, und soll deshalb,weil er das ist, Fruchte bringen. Er ist im Geist und soll deshalbdarin wandeln. Paulus ist in jenem Dualismus zwischen impera-tivischen und indikativen Aussagen, sie fallen nicht zusammen:sei ein Heiliger - du bist ein Heiliger. Werde was du bist, gibt eshinsichtlich des Rechtfertigungszustandes. Wir konnen gar nichtanders sagen als

”Rechtfertigungszustand“. So fasst es auch Pau-

lus auf.• Wir konnen den Protestanten sagen: wir brauchen nicht dafur

sorgen, dass Gottes Gnade Gottes Gnade bleibt, in der Hut sei-ner Barmherzigkeit bleibt.

– Der Mensch preist nicht dadurch die Gnade Gottes als reineGnade, in dem er sie nicht an uns Ereignis werden lasst

– sondern gerade dadurch, dass Gott an uns etwas getan hattatsachlich,

– dass der etwas fertig gebracht hat trotz der Erfahrung einesWesens, dem man nicht trauen kann,∗ das biblisch und arausicanisch-katholisch nichts anderes

ist als Sunde und mendacium,∗ dass an dem Gott etwas fertig gebracht hat, und zwar

so, dass das nicht bloß lucide Intervalle eines Wesens,das Sunder bleibt, sind,

∗ sondern der Mensch ist Gerechter geworden, der als arg-loses Kind Gottes vor den Thron der Gnade treten kann,sein Haupt erheben kann, und wissen kann: Gott hat anuns sein Werk getan.

∗ Und deshalb tut er es jetzt und in Zukunft bis zum TageChristi.

Es handelt sich um Zustand Mit anderen Worten: man kann gar nichtanders sagen, als dass es sich um Zustand handelt.

• Dieser ist naturlich immer ihm anzuvertrauender Zustand,den der Mensch wesentlich immer nur dadurch bewahrt -

naturlich nicht im Schlaf - wo er existentiell handelt,dass er ihn immer wieder in Glaube, Hoffnung, Liebe, Reue

usw. von Gott nur entgegennimmt.• Nicht Zustandlichkeit einer Leibhaftigkeit, einer Qualitat eines

Hauses, der nicht verloren gehen konnte, sondern der immer inFurcht und Zittern zu besitzender Zustand ist.

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

• Aber doch so, wie wenn einer ein vom Tod zum Leben Erweckterwird, ein Heiligtum in dem das Numen dauernd einwohnt, so wieeiner dauernd den �rrbwn des ewigen Lebens empfangen hat,lebendig geworden ist, wieder geboren ist. Zustandlichkeit istim Grunde nicht zu bestreiten.

• Diese Zustandlichkeit ist dasjenige, was ein doppeltes aus-druckt:1. Dass der Mensch dauernd Kind Gottes geworden ist.2. Dass dieser Zustand als Bedingung der Moglichkeit des ein-

zelnen freien Heilsakts und der aktuellen Gesinnung des Men-schen diesen Heilsakten vorausgeht.

• In diesem Sinn ist Zustandlichkeit der Gnade Schriftgemaß wirk-lich nicht zu leugnen.Wir haben den Geist, und weil wir ihn haben, setzen wir

pneumatische Akte. Wir haben ihnnicht dadurch dass wir diese Akte setzen, sondern weil wir

die Gnade haben, setzen wir solche Akte. Dieontologische Differenz zwischen der Gnade und den gnaden-

haften Akten muss gemacht werden, ausgedruckt indemman sagt: die heiligmachende Gnade ist ein donum perma-nens.

Wenn aber ein donum permanens supernaturalis, dannmuss sie fur die scholastische Metaphysik auch ein donumphysicum genannt werden.

Physicum: klingt fur moderne Sprache skandalos, merkwurdig. Manhort heraus: physikalisch. Das heißt es aber nicht. Es heißt nur, onto-logisch real. Es grenzt die sogenannte Wirklichkeit von bloß juridischmoralischer Zustandlichkeit ab.

• Nun, wenn wir nicht nachtraglich, was vielleicht viele scholas-tische Philosophen und Theologen tatsachlich machen, nicht inNominalismus verfallen wollen, nicht absoluten Dualismus, ab-solute Disparitat zwischen moralischen Zustandlichkeiten, Wer-ten usw. einerseits und der Seinsordnung andererseits verfallenwollen,

• wenn wir”ens et bonum convertuntur“ als Grundthese, - das

Geistiggedankliche Moralischsittliche einerseits und die Seins-ordnung andererseits sind dasselbe, nur von verschiedener Seitebetrachtet, - wenn wir das Grundprinzip aufrechterhalten wol-len,

• mussen wir sagen: ubernaturlich moralische Zustandlichkeit desMenschen setzt mit metaphysischer begrifflicher Notwendigkeit

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

eine realontologische ubernaturlich Ordnung voraus, die nichtnur bonum permanens sondern physicum ist und

• umgekehrt, wenn wir die moralische Zustandlichkeit des Gerech-ten als bloß moralische auffassen wurden, dann wurden wir imGrunde mit metaphysischer Notwendigkeit die Ubernaturlich-keit dieser Zustandlichkeit leugnen.

– Denn dann ware diese eine gesinnungshafte Zustandlichkeit,die der Mensch in der Rechtfertigung hat, empfangt als Dau-erzustand,

– ware realontologisch durch seine bloßen Naturkrafte herge-stellt und getragen von ihnen allein.

– Dann ware diese Zustandlichkeit aus dem Begriff der Sacheheraus eine naturliche.

• Denn es ist unlogisch eine streng ubernaturliche Wirklichkeit alseine von bloß naturlichen, physischen Akten getragene voraus-zusetzen,

– denn Anderung des ens morale im scholastischen Sinn (Holznaturlich nicht, aber wo ein geistig personales Seiendes ist,vollzieht sich eo ipso Moralisches, Geistiges) setzt immer inirgendeinem Sinn direkt oder indirekt auch Anderung in derphysischen Ordnung voraus,

– vielleicht nur in physisch geistiger Ordnung. Gedanken undTreue, Tapferkeit ist realontologische Wirklichkeit und mo-ralische.

• Davon ausgehend ist evident: wenn Rechtfertigung Dauerzu-stand nur von naturlich physischer Wirklichkeit getragen ware,wenn auch von geistig personaler,

– dann ware diese Sphare selbst keine ubernaturliche– oder das Ubernaturliche wurde nur im Verhalten Gottes

bestehen und nicht in Verhalten des Menschen.– Mit anderen Worten: wir wurden auf die Imputationsge-

rechtigkeit zuruckfallen.• Ist aber die ubernaturliche Gnade etwas, was dem Menschen als

seine Wirklichkeit zuzusprechen ist als dauernde, und ist sie eineubernaturliche, dann ist sie, weil sie eine sittliche, moralische,iuridische Bedeutung hat, eine realontologische und in diesemSinne eine physische.

Nun bedeutet dieser realontologische physische Zustandlichkeit derheiligmachenden Gnade dazu auch

eine geschaffene: donum creatum et physice permanens. Spater wer-den wir sehen, dass die heiligmachende Gnade,

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

• so wie wir sie auffassen, auch donum increatum, SelbstmitteilungGottes, mit sich bringt, wo die gottliche Wirklichkeit nicht bloßhervorbringende Ursache der Gabe sondern die Gabe selbst ist,nicht bloß Geber sondern per identitatem die Gabe ist.

• Wenn wir Menschen sind, Freiheit haben, essen konnen, sinddas alles Gaben Gottes. Aber darin ist Gott nicht die Gabesondern der Geber. Alle Gaben Gottes sind das durch seine Ur-sachlichkeit als von Gott verschiedene Wirklichkeiten von Gottgeschaffen und uns gegeben.

• Die einzige Gabe in der Gott nicht nur Geber sondern Gabeselbst ist, ist die gratia increata. Also nur in der Rechtfertigungals solcher (abgesehen von unio hypostatica und a fortiori inder visio beatifica) gibt Gott sich selbst als die Gabe (spatereThese).

– Insofern mussen sie sagen, dass an und fur sich eine donumphysicum permanens et physicum noch nicht notwendig eindonum creatum ist.

– Wir werden spater deutlicher nachzuweisen versuchen, imGegensatz zu dem normal Gesagten, dass im Grunde eindonum simpliciter et entitative supernaturale gar nicht ad-aquat als schlechthin ubernaturlich gedacht werden kann,außer man rechnet hinein das donum increatum.∗ Nur insofern die Rechtfertigungsgnade wirklich Gott in

seinem eigenen Wesen als Gabe mit einschließt, kannvon strenger Ubernaturlichkeit der Gabe gesprochenwerden.

∗ Aber so mussen wir mit gewissen Ansatzen in der Hei-ligen Schrift und der mittelalterlichen Theologie, die inTrient sanktioniert und fest definiert worden ist, sagen,dass die heiligmachende Gnade der Rechtfertigungszu-stand auch geschaffene, durch die effiziente KausalitatGottes hervorgebrachte Wirkungen im begnadeten Ge-schopf einschließt,

∗ so dass die heiligmachende Gnade das donum ist, auchein donum physicum creatum einschließt.

• In der gewohnlichen scholastischen Theologie traditioneller Artseit Trient versteht mangewohnlich unter heiligmachender Gnade sogar nur das do-

num physicum creatum und betrachtetdie Einwohnung des Heiligen Geistes als etwas Anderes, was

man unter gratia sanctificans als Begriff nicht subsumiert.Man spricht oft von causalitas formalis und schreibt sie nur

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

der increata zu aus terminologischen Grunden vom Triden-tinum her, und spricht

von increata nur als wie von consortium terminativum (S187 III.2) hinsichtlich der Rechtfertigung.

• Spater werden wir sehen: das ist terminologisch nicht glucklich,da creata und increata sehr eng zusammenhangen,aber die Einwohnung Gottes nicht als bloßes consequens der

creata da ist, jener creata, die von Gott hervorgebracht ist,sondern absolut der ontologische Zusammenhang auch um-

gekehrt gesehen werden kann:weil Gott sich uns als die Gabe gibt, geschehen in uns effizi-

ent hervorgebrachte Umwandlungen.• Ich schlage vor, heiligmachende Gnade dieses Ganze zu nennen,

was zum Rechtfertigungszustand dazugehort.Und der ist, weil ubernaturlich, ein donum physicum perma-

nens et increatum et creatum.Aber in dieser These kommt es uns zunachst mit der scho-

lastischen Theologie von Trient zunachst auf donum crea-tum an.

Um das vorzusehen sagen wir importat d.h. wir sagen nicht:est. Sondern wir sagen: gratia sanctificans importat,

und denken dazu, was in spateren Thesen gesagt wird: sedirreductibiliter gratiam etiam increatam, qua Deus seipsumamorosa communicat.

15.5.1957 Vorlesung 63 (2.Stunde)

Adversarii Gegener der These

• Wir stehen bei der These uber die Existenz der heiligmachendenGnade insofern von ihr behauptet wird,dass sie bleibende permanente (zustandliche) Gabe Gottes

ist, die realontologische, geschaffene Große ist, besser: mitsich bringt (importat). Was das bedeutet und warum es ge-sagt ist, haben wir schon gesagt. In diesem Zusammenhanghaben wir auch schon auf

die protestantische Theologie hingewiesen. Damit haben wirauch die gegenteiligen Lehren in der Geschichte des Dogmasin den wichtigsten Vertretern genannt.

Es gibt noch andere.• Bei Petrus Lombardus: gratia gratum faciens: Komplex der ein-

gegossenen Tugenden.

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

Aber die Liebe ist nicht eine der einigegossenen Tugenden,die geschaffenen habitus bedeutet, sondern die

Liebe ist fur ihn der mitgeteilte Heilige Geist und zwar er al-lein. Das war eine mittelalterliche Sentenz, obwohl PetrusLombardus das Schulbuch des Mittelalters war, war es An-sicht, die die Scholastiker im

Hochmittelalter einmutig ablehnten. Auch die Caritas undheiligmachende Gnade impliziert geschaffene habituelleWirklichkeit in der Seele.

Alteren Protestantismus haben wir schon gesehen.• Fur Bajus, fur den es keine Ubernaturlichkeit gibt, fur den pa-

radiesischer Zustand geschuldet war, istGnade nur zur Uberwindung der Konkupiszenz, des Unge-

horsams aufgefasst. Fur ihn ist der Zustand der Rechtferti-gung in der habituellen Bereitschaft, die Gebote Gottes zubeobachten und

nicht in habitueller eingegossener Gnade. Gnade ist fur ihnnur als Hilfe zur Uberwindung der Konkupiszenz und nurzur Erfullung der Gebote der reinen Natur.

• Nachtridentinisch gab es den Gedanken, die heiligmachendeGnade auf die Summe der aktuellen Gnaden zuruckzufuhren.Im Hochmittelalter war es umgekehrt.In der nachtridentinischen Zeit sagte man, dass es fur die

actus dispositivi zur Rechtfertigung aktuelle Gnade gebenmuss.

Von ihr wird gesagt, dass sie trotz der habituellen Gnadeauch noch nach der Rechtfertigung fur die Heilsakte notigsind.

Extrem, dass die heiligmachende Gnade uberhaupt nur dieSumme der aktuellen Gnaden mit der Bereitschaft Gotteszusammen, diese immer wieder zu verleihen, sei.

Also das gegenteilige Pendant zur mittelalterlichen Auffas-sung.

• Dort wo in der Aufklarungstheologie - zweite Halfte des acht-zehnten Jahrhunderts und erste Halfte des neunzehnten - mankein Verstandnis hatte furs Christentum,wo es reduziert wurde auf burgerliche Moral und Sittlichkeit,

Natur in wurdiger Weise, da konnte man sich unterGnade nichts mehr vorstellen als Hilfe Gottes zu morali-

schem Leben, das vom Menschen her und nicht von derMitteilung Gottes an den Menschen gemessen und konzi-piert wurde.

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

Qualificatio theologische Qualifikation

• Die Qualifikation: doctrina catholica, definibilis, die ohne großenIrrtum nicht negiert werden kann. Etwas was man nicht bezeich-nen kann als de fide divina aber doctrina divina et catholica, permagisterium ordinarium auch:dass der Mensch in einer Weise auch in seiner Geschopf-

lichkeit umgestaltet wird durch ein donum creatum. Nichtnur in cap.7 sess.6 des Tridentinums so deutlich gelehrt,das ist auch eine

selbstverstandliche Lehre der Katechismen, Predigt usw.:sententia proxime definibilis. Eine Lehre von der absolutsicher ist, durch das magisterium ordinarium feststeht,

dass sie dem Gemeinten nach eine von Gott geoffenbarteund von der Kirche als Glaubenslehre verkundete Glaubens-lehre ist. Also ordentlichem Lehramt angehort.

• Damit ist nicht geleugnet, dass im Verstandnis der Theologiebei dieser These Vorstellung mitschwingt, die nicht definiert ist,

– eine himmlische Vergoldung, ein Belag an unserer Seele, deruns Gott angenehm macht, den er von uns fordert als Livree,ohne den kein Eintritt ins Himmelreich.

– Dann ist dieses vorgestellt in einer Weise, wie es nichts mitGlaubenslehre zu tun hat.

• Es ist auch zuzugeben, dass das Ziel der geschaffenen Gnade seitTrient im Affront gegen Luther

– in vermeintlicher Fortsetzung von Trient,– die unica causa formalis iustificationis sei, die geschaffene

heiligmachende Gnade -– da ist vieles hinzugedacht und exklusiv bloß als creata gese-

hen, was nichts zu tun hat mit der definierbaren heiligma-chenden Gnade.

• Neuere Arbeiten auch uber increata bei Thomas,uber das Verhaltnis von der gratia creata und increata, ubergratia und visio beatifica zeigen, dass es eine

katholische Auffassung ist, wenn man mehr als gewohn-lich die ungeschaffene Gnade betont.

Davon spater in anderen Thesen.

Magisterium Beweis aus dem kirchlichen Lehramt

• Fur die vortridentinische Lehre der Kirche ist nur nochzu sagen:

im ganzen Mittelalter ist die Lehre von der habituellen ge-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

schaffenen Gnade absolut selbstverstandliche Lehre derTheologie, und zwar so sehr, dass die aktuelle ubernatur-liche Gnade sehr in den Hintergrund trat, wenn nicht ganzubersehen wurde.

Die einzige Ausnahme war Petrus Lombardus, der teilweiseeine Ausnahme ist, der geschaffene habituelle Gnade zugab.

Einziges Problem war fur sie, welcher Gerechtfertigte diesegeschaffene Gnade erhalt.– Dabei konnte man sich bis ins 14. Jahrhundert denken,

dass unter Umstanden in der Taufe der unmundigenKinder eine Vergebung eintritt, die mit der Eingießungder ubernaturlichen Gnade noch nichts zu tun hat,

– weil man den Erwerb der Gnade, im Gegensatz zur Til-gung der Sunden enger an das sittliche Tun des Men-schen gebunden glaubte, mehr als wir das tun in uber-triebener Weise.

– Dass sie also noch nicht heiligmachende Gnade erhalten.∗ Bis Trient war das eine offene Frage, wenn auch im-

mer mehr dahin entschieden, dass die Kinder durchdie Taufe die ubernaturliche Rechtfertigungsgnadebekommen und nicht erst wenn sie sich subjektiv zu-stimmend vorbereiten auf solchen Akt.

∗ Das leugnet naturlich nicht, dass die heiligmachendeGnade dort, wo sie ist, ein donum physicum creatumist.

• Trient 7.cap. sess.6 ziemlich klar: es gibt voluntaria susceptiogratiae et donorum. Trient lasst Verhaltnis zwischen gratiasanctificans und eingegossener Liebe offen. Das wird dort nichtentschieden.

– Es vermeidet auch gewisse zu philosophisch vorkommendeTermini. Gratia und dona, iustitia die uns infunditur,

– aber gesagt, dass diese gratia und dona, die jeder als seineempfangt, als causa formalis iustificationis zu unterscheidensei von der causa efficiens iustficationis.

• Fur den Luther in der imputations Rechtfertigung wardie Gerechtigkeit Christi, die uns angerechnet wird, gleichzeitigdie causa formalis, das wodurch wir gerechtfertigt und das wassie hervorbringt, die causa efficiens. So konnte man zwischendiesen beiden bei ihm nicht unterscheiden.

– Demgegenuber betont das Konzil: jeder empfangt seineRechtfertigung, die von der causa efficiens und meritoria,

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

dem handelnden Gott und dem Verdienste Christi und sei-nes Kreuzes zu unterscheiden ist.

– Damit ist im Grunde das donum physicum permanens ei-nem jeden einzelnen interne gelehrt. Nicht definiert aberder Sache nach so ausdrucklich positiv, nicht per transen-nam sondern als Gegenstand der kirchlichen Lehre gelehrt,dass es klar ist.

• Auch cn.11 gratia nobis inhaeret, nobis infunditur , dasssie nicht bloß favor Dei ist, dass es zweifellos klar ist: dieImputations-Gerechtigkeit ist als Haresie verworfen, dort wo derMensch wirklich durch diese Imputatio nicht umgeschaffen wird.

– Ob und in welchem Sinn man Imputation annehmen kann,die in∗ positiver Aussage was Wichtiges betont,∗ aber die inhaerente Gerechtigkeit nicht ausschließt,∗ sondern gerade darin zu ihrer eigenen Verwirklichung

kommt:· darauf konnen wir nicht eingehen.· Siehe Hans Kung, Rechtfertigung bei K.Barth. Dort

konnen sie das nachlesen.– Sie wissen ja, dass von Seripanto Kropper und anderen Ver-

mittlungstheologen doppelte Gerechtigkeit vorgeschla-gen wurde - inputierte und andere - daswurde in gewissem Sinn in Trient abgelehnt, wo sie als

unica causa formalis (gratia et dona) gelehrt wird. Hal-bierende Vermittlungs Theologie wurde abgelehnt, undkann auch heute nicht restauriert werden.

Aber ob man nicht um die Gesamtwirklichkeit, die invielen Begriffen ausgedruckt werden muss,

in gewissem Sinn auch katholisch von Anrechnungder Verdienste Christi, von imputierter Gerechtigkeitsprechen konnte, vorausgesetzt

dass nicht protestantische Missverstandnisse zu be-furchten sind, und nicht Melanchthon erneuert wird -ist andere Frage, auf die wir nicht eingehen konnen.

• Geschaffene Gnade, die vom donum increatum im Konzil vonTrient als selbstverstandlich vorausgesetzt wird, die leugnetdas donum increatum nicht.

Redet nicht deutlich davon, kennt inhabitatio Spiritus Sanc-ti.

Damit ist naturlich die Lehre vom donum increatum vorhan-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

den, abernicht deutlich artikuliert und uber dasVerhaltnis der beiden nicht nachgedacht.

– Die Kontroverse uber das Verhaltnis geht bis heuteweiter. Scheeben und Granderath haben sich heftig gezankt,aber gerade weil Trient∗ so sehr das eigentliche donum increatum der inhabitatio

Spiritus Sancti, der communicatio divinae naturae inden Hintergrund treten lasst,

∗ ist klar, dass mit der Umwelt der Trienter Zeit unterdonum, das jeder als seines empfangt, eben ein donumphysicum et creatum verstanden wird.

– Wenn es nicht donum physicum ware, also es sich um kei-ne ontologischen, dem geistig religiosen Verhalten voraus-liegenden und von ihm unterschieden seienden Zustandlich-keiten handeln wurde,∗ dann konnte es Trient nicht als falsch bezeichnen, dass

es nur eine uber dem Menschen schwebende Huld ware.∗ Das ist es naturlich auch, aber das außert sich eben in

dem donum permanens physicum.∗ Trient will im Sinn dieser Theologie verstanden sein.

– Wenn die heiligmachende Gnade, so wie Morius usw. esaufgefasst haben, als die bloße Serie des gottlichen Bei-standes zu den Heilsakten aufgefasst werden durfte,∗ ware es unverstandlich, dass Trient unterscheidet

zwischen actus disponentes und Rechtfertigungselbst.

∗ Die Abfolge der einzelnen: cap.6 Vorbereitung auf dieRechtfertigung, und zwar aus der Gnade heraus und imcap.7 von der darauffolgenden inhaerierenden Rechtfer-tigung.

∗ Das ware sinnlos, wenn die heiligmachende Gnade nurHilfe ware, Serie der Hilfen fur das Heilshandeln derMenschen.· Denn dann ware das auch sich erstreckend auf die

Aktio der Disposition.· Dann: uberall dort, wo das getan wird, wurde sich

heiligmachende Gnade betatigen,· und das konnte man nicht als inhaerent bezeichnen.

Bajus haben wir schon besprochen.

• Im Vaticanum war eine Definition vorbereitet: neque .. neque

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

praetereuntibus actibus constituitur, sed est permanens su-pernaturale donum a Deo. (also was Trient erst erschlossennoch definiert. Ebenso dass die getauften Kinder die Gnade er-langen. Es kam nicht dazu aus außeren Grunden, hat keinenWiderspruch bekommen dort.

– Man sieht, was die mens ecclesiae ist.– Interessant gegen die Protestanten ist, dass Trient und das

Vatikanum vermeidet, Ausdrucke wie qualitas und habitus.– Kommen also einem gewissen Bedenken der Protestanten

hinsichtlich solcher Terminologie entgegen,∗ diese Terminologie, die richtig ist und richtig verstanden

werden kann und sollte,∗ aber doch von ihnen in zu primitiver Weise verstanden

wird,∗ wird so vermieden.

Schrift. Schriftbeweis

Was die Schrift angeht: das was in These 8 ausfuhrlich dargestelltwird, wollen wir nicht wiederhohlen. Vieles davon haben wir schonjetzt angedeutet. Einzelne Schriftstellen konnen sie selbst ansehen.

• Dass es innere Gabe ist, ist klar. Einwohnen des heiligenGeistes, Pneumatischsein, Siegel empfangen Haben, umgestal-tet Sein, wiedergeboren Sein, von oben her geboren Sein, daserneuert Sein, neue Kreatur Sein usw. besagt, wenn man denWortern ihren Sinn lasst, eine den Menschen innerlich qualifi-zierende Gabe Gottes.

• Dass es etwas Dauerndes ist. Haben wir auch schon gesehen.Dieselben Aussagen der Schrift wie oben: Pneumatisch Sein,neue Kreatur Sein, lebendig Sein, neu geschaffen Sein, umge-staltet Sein besagt donum permanens, nicht ein Galvanisiertseineines Toten, damit er ubernaturliche Zuckungen macht.

• Dort, in These 8, ist auch deutlicher gezeigt, dass die heiligeSchrift

– zwar zweifellos das donum increatum, die Mitteilung desgottlichen Pneumas selbst an den Menschen in den Vorder-grund ihrer Rechtfertigungslehre ruckt, im Unterschied zurmittelalterlichen Theologie,

– aber eben doch auch sieht, dass diese Gnade der gottlichenSelbstmitteilung Wirkungen im Menschen als dem Geschopfselber hat,

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

∗ die von dem Pneuma selbst auch unterschieden werden,∗ und als unterschieden nur als geschaffene Wirkung auf-

gefasst werden konnen.– Einiges: Vorstellung eines Wachsens in der Gnade, Erstar-

ken, eines uberstromenden Wirksamwerdens des gottlichenPneumas,∗ kann man nicht mehr gut sinnvoll konzipieren, wenn

man die Gnade bloß in der Mitteilung der gottlichenWirklichkeit allein bestehen lasst.

∗ Denn mindestens, dass der gottliche Geist sich inten-siv wachsend mitteilt. Das ist aber nur von Seiten desmenschlichen Geistes moglich, nicht von Seiten Gottes.· Wenn die ubernaturliche Seligkeit verschiedeneGrade hat und diese nicht bloß Grade der verschie-denen Naturkapazitat des Menschen sind, sondern inVerschiedenheit des Lebens besteht,

· dann bleibt nichts ubrig als zu sagen: geschaffene Wir-kungen, die großer und kleiner sein konnen, mussenim Menschen angenommen werden konnen.

· Also nach der Schrift: geschaffene Gnade gibt es.– Paulus spricht vom Pneuma des Menschen im Gegensatz

zum gottlichen Pneuma. Das gottliche Pneuma bezeugt un-serem Pneuma, dass wir Kinder Gottes sind.

– Das ist nicht stringent aber doch einsichtig: dieses insofernes von unserem unterschieden wird, ist nicht unter natur-licher yÔqh und nouc. Paulus kennt auch nouc und yÔqh,hat in 1 Thess unter Umstanden yÔqh, nouc und pneuma alsscheinbare Trichotomie nebeneinander.

– Aber es geht offenbar nicht bei ihm um naturliche dreisto-ckige Beseeltheit: niedrige Geist und andere Seele. SondernPneuma ist offenbar die ubernaturliche Begnadigung desMenschen, entspricht ihm besser (dem Paulus). Wir sinddie pneumatikoÐ.∗ Paulus konzipiert die Mitteilung des Pneumas mit einer

Wirkung auf uns, die wir anders werden.∗ Nicht gut ohne dass man geschaffene Wirklichkeit kon-

zipiert, die verschieden ist von der Natur und doch vomgottlichen Pneuma verschieden und doch da ist als Folgedes mitgeteilten Pneumas.

• Solche und ahnliche Uberlegungen zeigen, dass die Schrift unsin diese Richtung weist, dass die gottliche Selbstmitteilung, da-

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

durch dass sie geschieht, gewisse geschopfliche Wirkungenmit sich bringt - gratia creata - die zu dem Zustand der Recht-fertigung hinzu gehort, auch nach der Schrift.

• Dass es sich nicht bloß um psychologische ethische Relati-on handelt bei der heiligmachenden Gnade sondern um donumphysicum, geht auch aus der Schrift deutlich hervor.

– Harnack hat gemeint, dass im Grunde (liberal!) genom-men, dass das so nicht ins Evangelium hinein gehort, son-dern Rechtfertigung nichts anderes ist, als das tapfere Ver-trauen des Menschen, dass Gott trotz seiner Unbegreiflich-keit und unserer Armseligkeit unser liebender Vater ist,

– und daraus gefolgert, dass jede Vorstellung einer innerenVergottlichung des Menschen eine hellenistische Eintra-gung magisch mystischer Konzepte in das reine schlichteEvangelium Christi vom Vater im Himmel und den Men-schen als Kindern dieses Vaters eingetragen ist.∗ Ob man Paulus heraushaut, dass er auch das meint,∗ oder ob man zugibt, dass in der Konzeption des Pneu-

mas mit Zuziehung von Stoischer Terminologie, die denMenschen vergottliche, gottlichen Stoff einfloße

∗ oder sagt, dass das erst die spateren griechischen Kir-chenvater - Athanasius - verkorkst haben,

∗ andert nichts daran, dass man zugeben muss: Paulusund die Kirchenvater erkennen deutlich, dass ein ge-schaffene Realitat das ist, was der Grund unserer Dingeist.

• Der einwohnende Geist ist nicht geistige Gesinnung desMenschen im NT. So musste es der Harnack und auch moderneexistentialistische Auffassung bei der Gnade und der Rechtfer-tigung meinen.

– Da ware der einwohnende Geist, Einwohnung des Geistes(von der redet Paulus) nichts anderes als die Gesinnung desMenschen.

– So hat aber Paulus eindeutig Pneuma nie aufgefasst. Pneu-ma ist fur ihn nie Gesinnung sondern Realitat.

– Wenn man sagt, er ist noch massiver, noch nicht existenti-eller Denker, er greift zu physikalischen Kategorien, um dieWahrheit dieser Entscheidung des Menschen in der Aktua-litat seiner Entscheidung deutlich zu machen, um deutlichzu machen was passiert.

– Dann ist zu sagen: es nutzt diesen Leuten, die so Paulus

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

heraus distinguieren wollen, nicht nur nichts, es nutzt nichtnur nichts, sondern dann ist zu sagen:∗ dann ist das richtig was Paulus sagt und nicht eure Ver-

dunnung,∗ sondern auch: wenn man wirklich begreift was Bult-

mann oder die existentialistischen Interpretationen desEvangeliums sieht: dass die Rechtfertigung zunachst TatGottes an uns ist.

∗ Uberall dort, wo man das nicht aufrecht erhalt, bleibenwir in unseren Sunden.

• Der Witz des ganzen Evangeliums ist, dass da der Mensch da-durch dass Gott an ihm handelt, mehr ist als er sonst ware.Diese fundamentalste Wahrheit darf man doch, wenn man nochChrist ist, nicht ubersehen, wenn man nicht Naturalist ist. WennGott an uns handelt, eben das bezeichnen wir als etwas, dasGott an uns tut. Das nennen wir donum physicum inhae-rens permanens, das von unserer Einstellung verschieden ist,so sehr es die ontologische Moglichkeit einer wahrhaften Ent-scheidung des Menschen ist.

17.5.1957 Vorlesung 64

• Wir stehen noch bei der These uber die Existenz der heiligma-chenden Gnade insofern sie in ihrem Begriff auch

• wenn auch nicht ausschließlich eine• geschaffene physische realontologische Qualitat, Gabe Gottes

einschließt.– Was diese macht, welches ihre Funktion ist, daruber wird

noch zu reden sein.– Hier geht es nur uber die Existenz.

• Wir sagten schon in welcher Hinsicht auch die Schrift,– so sehr sie die ungeschaffene Gnade der Mitteilung des Geis-

tes in den Vordergrund ruckt,– doch auch von realer Umgestaltung als Wirkung der Mit-

teilung des Geistes weiß– und damit geschaffene Gnade aussagt.

Patrologia Vaterlehre

• Was die Lehre der Kirchenvater angeht: zunachstgriechische Theologie: dasselbe wie das, was zur heiligen

Schrift zu sagen war: Vergottlichung durch die substanziel-

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13.2 These 22 Heiligmachende Gnade

le Mitteilung des Geistes steht im Vordergrund. Dass dieseVergottlichung eine Mitteilung an den Menschen bedeutetso dass

er eine geschaffene Gnade auch erhalt, ist aus den griechi-schen Vatern herauszulesen. Bilder wie Gottes Geburt, wie-der erhaltenen Bildes und Gleichnisses Gottes, eine Mi-schung, Umgestaltung usw.. Zum Teil in stoischen und an-deren Termini ausgedruckt,

alle diese Dinge legen ebenso eine Vergottlichung nahe durchden Geist Gottes als den Menschen einwohnend verursacht.

• Auf der anderen Seite: Wirkungen in den Menschen,habitus, als geschaffene Gnade ansprechbar. Es kommen

auch schon in der griechischen Philosophie - poi¸thc undahnliches vorkommend -

Ausdrucke vor in philosophischer Begriffssprache auf ge-schaffene Qualitat abziehlend.

Theologen Lehre der TTH

• Dass im Mittelalter die Lehre von der geschaffenen und zwarhabituellen Gnade in einer geistesgeschichtlichen interessantenbegrifflichen Ausformung der Lehre bei Augustinus eingetretenist,

• so sehr dass die gottliche ubernaturliche Gnade und die habitu-elle heiligmachende Gnade einfach identifiziert wurden,

• und so die Gnadenlehre als habitus Lehre durchgefuhrt wurde:• davon war die Rede bei der dogmengeschichtlichen Einfuhrung

in diesen Traktat am Anfang des Jahres.

Ratio theologica theologische Vernunftbeweis.

• Wenn der Mensch mit seinen ihm eigenen Akten auf ubernatur-liches Ziel hinstreben soll (dies wird vorausgesetzt),

• wenn sein Tun diesem Ziel entsprechend sein soll, und wenn erwirklich

• diese Schritte auf dieses Ziel als seine eigenen tun soll, und zwarinsofern sie positive Schritte auf dieses Ziel hin seine eigenensein sollen,

– dann ist eine seinshafte, dem Ziel entsprechende Vorausset-zung von Seiten des Menschen notwendig,

– die doch ihn als das handelnde Subjekt dauernd affizierenmuss (in dauernde Moglichkeit zu solchen Heilsakten).∗ Mit anderen Worten: Es sind ubernaturliche Vergott-

lichung seines Wesens und der daraus fließenden Fa-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

higkeiten notig, also heiligmachende Gnade und uber-naturliche Erhohung seiner Fahigkeiten (ubernaturlicheeingegossene Tugenden).

∗ Daraus ergibt sich also die Lehre von heiligmachen-der Gnade und den eingegossenen Tugenden von selbst,wenn begriffen wird,· dass ein Akt nur mein Akt ist, wenn er aus der Mitte

des Personkerns hervorgeht.· Wenn begriffen, dass ein ubernaturlicher Akt in die-

sem Sinn nur ubernaturlich ware,· nicht insofern er frei von mir gesetzt wird und durch

merkwurdige Erhohung nur von Gott her ubernatur-lich werden kann.

· Was damit gemeint ist, wird spater noch deutlicher,wenn wir die Frage stellen mussen, wie die aktuelleGnade beim begnadeten Menschen genauer aufzufas-sen ist.

Das mag genugen fur diese These.

13.3 Scholastische Terminologie: Akzidens,Habitus etc.

Dann sind auch die Fragen noch zu behandeln, wie in scholastischer forma-ler ontologischer Terminologie diese gratia entitativ genauer zu betrachtenist.

Akzidens: Sie ist Akzidens, dass das

• nicht bedeutet, dass das etwas Unwesentliches ist,• sondern die ubernaturliche Vollendung des naturlichen Wesens,

– also kein neues konstitutives Element des Wesens– sondern die Vollendung des Wesens und in diesem Sinn ein

Akzidens.• Dass dieses doch nicht so in die ublichen Kategorien ganz hin-

einpasst, weil es eine Vergottlichung des substantiellen Wesensist, ist klar.

– Dass dieses Akzidens als qualitas und habitus qualifiziertwerden kann, weil es quale gibt:

– ubernaturliche Befahigung vom Grund des Wesens her Aktedes Heils setzen zu konnen.

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13.3 Scholastische Terminologie: Akzidens, Habitus etc.

Dass es ein habitus sein muss, wenn und insofern ein solcher eine qua-litas difficile mobilis ist.

• Eine Qualitas wird habitus genannt, wenn sie nicht perifere,vorubergehende, jetzt einmal daseiende qualitative Bestimmungdes Subjekts ist,

• sondern mit Stabilitat und Festigkeit gewisser Art zukommt:nennt man habitus.

Unterschieden in entitativus oder operativus je nachdem ob ruhendeZustandlichkeit und Eigentumlichkeit oder diese Bestimmung auf ak-tiven Vollzug als aktive Fahigkeit hinzielt, so dass letztlich die heilig-machende Gnade, wenn eingegossene Tugenden dazugenommen wer-den, in die entitativen und operativen habitus unterschieden gehort.Das ist klar.

Dass solche Vergottlichung der Seele von der Seele realdistinkt ist,ist fur scholastisch Denkenden auch klar.

Quod non realiter distinguiturnon potest ab eo separari.

Was nicht realdistinkt ist kann nichtdavon getrennt werden

Wenn zu A auch B kommen kann, muss A und B verschiedensein, erst recht wenn A bleibt, auch wenn B aufhort. Wer dasnicht einsieht, dem kann ich nicht helfen, obwohl es Leute gibt,die das nicht einsehen.

Dass also die heiligmachende Gnade nicht in reiner Relationali-tat, Relatio auf Gott hin bestehen kann, denn dann ware dasFundament die reine Natur des Menschen, dann konnte sie auchnicht ubernaturlich sein (die relatio).

Mit anderen Worten: heiligmachende Gnade muss etwas Abso-lutes sein. Wenn aber etwas Absolutes, was von der Natur ge-trennt werden kann, weil sie sundig sein kann, und weil solcherNatur solche Gnade auch nicht verliehen werden konnte, dannmuss dieses Absolute verschieden sein von dieser Seele als Na-tursubstanz.

Dass solche realitas realdistinct nicht auf der Seele gepackt ist wie An-strich auf Hauswand, sondern

• trotz dessen die Eigentumlichkeit der Seele selbst das ist• mit distinctio realis ontologica• im Gegensatz zu physikalischer, ist selbstverstandlich.

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

These 23. In iustificatione donum increatum datur Spiritus Sanctus.Als ungeschaffene Gabe wird der Heilige Geist bei der Rechtferti-

gung gegeben.

Der Tenor dieser These ist moglichst schlicht und einfach ohne meta-physische Komplikationen gegeben. Als ungeschaffene Gnade emp-fangt der Mensch den Heiligen Geist. Donum increatum datur Spiri-tus Sanctus, um biblische Formulierung zu haben. Was das bedeutet,mussen wir jetzt noch sehen.

13.4.1 Was sagt Schrift dazu

Dass in der Schrift die Rechtfertigung des Menschen dadurch vor al-lem ausgesprochen wird,

• dass der Mensch Heiligen Geist empfangt in der Taufe, Firmung,Rechtfertigung, uberhaupt,

• dass dieser Geist im Menschen wohnt,• dass der Mensch mit diesem gesalbt, gesiegelt ist,• dass er zu ihm kommt, dass wir ihn haben, dass wir mit ihm

gebrannt sind,• dass er wie unctio in uns ist, unter Umstanden auch wie Samen

Gottes,• dass er aufgrund dieser Inexistenz, dieser Mitteilung im Men-

schen– auch als Trost,– als umgestaltendes Prinzip,– als Angeld der Herrlichkeit in uns ist,– dass er uns treibt,– dass er in uns fur uns eintritt mit unaussprechlichen Seuf-

zern,– dass diese Salbung uns belehrt: solche und ahnliche Dinge

sind so deutlich im NT ausgesprochen,• dazu kommt noch, dass naturlich der Begriff der Geistmitteilung

(Galater) und der Begriff der Sohnschaft und Kindesannahmewiederum unlosliche Verbindung haben.

• Weil wir Kinder Gottes sind, haben wir den Geist Gottes in unsausgegossen.

• Dass dadurch eine Geburt aus Gott eintritt,

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13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

• dass wir dadurch, dass wir diesen realen Geist haben, nicht nurKinder Gottes genannt werden sondern sind:

alles das ist einem, der NT gelesen hat selbstverstandlich.

Wenn dieser Geist Gottes so sehr er Wirkungen im Menschen und anihm hat, die vom Geist Gottes verschieden gedacht und so geschaffengedacht werden mussen, so sehr er sie hervorbringt,

• dass dort wo das Pneuma Gottes als Gabe an den Menschengegeben wird,

• der Heilige Geist als gottliche Person gemeint ist,

kann fur vernunftige Bibeltheologie nicht zweifelhaft sein.

• Es ist zwar richtig, dass Pneuma nicht immer und notwendig dasgottliche, ungeschaffene, personale Pneuma, die dritte Personder Trinitat bedeuten muss.Wenn z. B. in der lukanischen Erzahlung von der Mensch-

werdung zu Maria gesagt wird: Pneuma �gion wird uber dichkommen, dann ist nicht ohne weiteres sagbar, hier sei inrecto der gottliche Geist als gottliche Person gemeint.– Aber dass im Zusammenhang mit der Rechtfertigung

des Menschen das personale Personhafte eigentlich gott-liche Pneuma gemeint ist bei Paulus,

– so sehr die ausstrahlt, einen pneumatischen Hof hat,Wirkungen im Menschen hat, daruber ist kein Zweifel.

Schon vor vielen Jahrzehnten hat Gachter einen Aufsatzgeschrieben, wo er nachgewiesen hat, dass wenn man diePneumastellen im NT richtig aufbaut, kann man sagen,– das Pneuma �gion ist im NT zunachst Geist als Person

und– ubrige Abschattungen sind als Abschattungen dieses

Begriffs gemeint∗ und nicht umgekehrt Pneuma etwas vage Gottliches∗ und ab und zu konzentriert sich dieser Begriff zu per-

sonal gottlichem Pneuma.Ob von der außerpaulinischen Begriffsgeschichte her es

einmal einen– Begriff von Pneuma gegeben hat im AT, in der Stoa,

Popularphilosophie, der diese trinitarisch konzentrierteBedeutung nicht hatte, ist andere Frage, und selbstver-standlich, dass es so war.

– Aber bei Johannes in den Abschiedsreden, bei Paulus,wenn er davon spricht, dass das Pneuma in uns redet,

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

fur uns Zeugnis gibt, uns erleuchtet, lenkt und treibt,– und zwar jenes, das die Tiefen der Gottheit erforscht,

das bei Paulus (2 Cor Schluss) eindeutig in trinitarischerFormel wie Mt 28 neben Vater und Sohn geordnet wird,

– wenn man Paulus genau durchmustert, gibt es sol-che trinitarische Stellen, wo unauffallig der jeìc pathr,Qristìc, tä Pneuma nebeneinander auftreten, sehr viele,besonders 2Cor 13 Schluss.

Wenn dieser Geist, der Geist des Sohnes ist, der– Abba Vater sagen kann, der die Tiefen der Gottheit er-

forscht, der Macht hat, Zeugnis gibt, in unaussprechli-chen Seufzern ruft,

– und in diesen trinitarischen Formeln gleichzeitig vor-kommt,∗ wenn er einerseits als gottlicher Geist∗ und als Prinzip unserer Sohnschaft, Rechtfertigung,

Heiligkeit, Gnadenleben auftritt,– dann ist klar: fur Paulus ist der zentrale Begriff des-

sen die Mitteilung des personalen, personhaften, gottli-chen Geistes in den Menschen.

– Dadurch erst ist der Mensch aus der Zone dieses Aonsdes Fleisches, des Psychischen, Hylischen, des Gesetzes,todesdunkler, finsterer Machte, der Engel Machte auchals gute Bedeutung, grundsatzlich enthoben.

So sehr es antiarianisch gerade auch fur die Soteriologieentscheidend ist,– dass der Logos kein Geschopf ist, weil dann, wie die

Kirchenvater betonen, im Grunde genommen∗ der Mensch in einer rein geschopflichen Sphare blei-

ben wurde∗ und so gar nicht eigentlich erlost ware,

– bleibt Erlosung nicht bloß Vergebung einer Schuld– sondern Erlosung vom verhaftet Bleiben des Endlichen

in Endlichkeit, des Fernbleibens von Gott.Ebenso ist im Grunde zu sagen: dass das Pneuma �gion als

Prinzip der Rechtfertigung das ist, wirklich das ist, wasErlosung im Sinn des NT bedeuten kann: Teilnahme an dergottlichen Natur und Sohnschaft.– Das ist so deutlich, dass die Kirchenvater im Kampf

gegen Adoptianismus (Macedonianismus) gegen diese soargumentiert haben,∗ dass wir so gar nicht vergottlicht waren, wenn das

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13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

Pneuma �gion nicht Gott selbst ware,∗ waren wir nicht im Besitz des gottlichen Wesens

durch Mitteilung des Geistes vom Vater durch denSohn, so waren wir nicht vergottlicht.

In der Schrift ist klar: in iustificatione datur Pneuma �giontamquam persona divina tamquam donum increatum.

13.4.2 Verhaltnis zu den anderen gottlichenPersonen

Wie sich diese Aussage nun zur Frage verhalt, ob und inwiefern dieanderen gottlichen Personen in der Rechtfertigung dem Men-schen gegeben werden, einwohnen usw.

• ob und inwiefern scholastisch ausgedruckt, es sich bei dieser Er-klarung des Geistes als der entscheidenden Gabe der Rechtfer-tigung um bloße Zueignung (Appropriation)

• oder um Eigentumlichkeit des Heiligen Geistes handelt,• ist anderen Frage, die durch das bisher Gesagte nicht praeiudi-

ziert und entschieden ist.Zweifellos: durch diese Gabe des gottlichen Geistes an

den Menschen tritt auf jeden Fall der Mensch in einunmittelbares Verhaltnis zum Sohn und Vater, denn der ist

der Geist des Vaters und des Sohnes und insofern empfangter eben, er wird ja mit diesem Geistempfang ist die Gytesiaverbunden, empfangt er Sohnschaft zum Vater

und steht so in nachster Verbindung der Intimitat zu dempersonalen Ursprung gottlichen Lebens, dem ursprunglosenUrsprung des gottlichen Lebens, den wir Vater nennen.

Zur Appropriation oder Proprium Und so spricht Christus bei Johannesunbefangen so, dass der Vater und der Sohn zum begnadeten Men-schen kommen, bei ihm Wohnung nehmen.

• Dem entsprechend: dass Christus in unseren Herzen wohnt, dasswir aus Gott (Vater) geboren werden, dass wir aus dem í jeìcsind, womit wieder der Vater gemeint ist.

• Damit ist durchaus gegeben, dass selbstverstandlich auch derVater und der Sohn in wahrem Sinne Gabe der Rechtfertigungsind.

• Das braucht wiederum nicht bedeuten, - Verkurzung und falscheabstrakte Formalisierung der Schriftlehre, - dass nun einfach Va-ter, Sohn und Heiliger Geist in gleicher formalistischer Weise als

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

der eine Gott in der Rechtfertigung dem Menschen gegeben wirdim Einwohnen,

– und so der Geist als Gabe bloß eine Appropriation nomina-listischer Art ware,

– die man in genau derselben Weise vom Vater und Sohn aus-sagen konnte.Nun ist naturlich schon dogmengeschichtlich gesehen

Appropriation haben nicht klar und eindeutig, hat seineGeschichte gehabt.

Geschichte der Verdunnung und Verwasserung. Brauchtnicht so nichtssagend gemeint sein, wie heute in denSchulbuchern (vielleicht auch bei Thomas nicht). Dar-auf brauchen wir nicht eingehen, viel zu kompliziert.

Aber es ist durchaus moglich, berechtigt von Grundda-ten der Schrift und der Theologie: dass man mit Tho-massin und Petavius, Scheeben (untereinander nichtdasselbe sagend) mit dieser,

wenn auch relativ kleineren von anderen (Galthier) be-kampften Schule von Theologen sagen, dass das

Verhaltnis der drei gottlichen Personen zum begnade-ten Menschen ein je Eigentumliches sei,∗ so dass der Geist dasjenige gottliche Prinzip ist, das

durch seine Selbst-Mitgeteiltheit als Prinzip der Hei-ligung und der Liebe

∗ das eigentumliche Verhaltnis des begnadeten Men-schen zum Sohn und das wiederum verschiedene zumVater vermittelt.

Indem wir den Geist Gottes haben, wohnt Christus alsdas vaterliche Wort Gottes in uns in seiner Weise

und haben wir Gott zum nahen Vater, der sich unsgibt, in dem er den Geist uns gibt.

Denn dieser ist sein Geist, und er ist der Geist Gottes,in dem er das gottliche Wesen vom Vater als die wegge-schenkte Liebe empfangt.

• Wenn Gott der Vater uns den Geist gibt als seine Gabe, hat ersich dadurch gegeben.

– Aber weil das in der Fortsetzung der trinitarischen Verhalt-nisse zwischen Vater, Sohn und Geist geschieht,

– ist das Verhaltnis des Menschen zu den drei einzelnen, hates diese trinitarische Struktur,

– eben bekommen wir Beziehung, die zum Geist anders istwie zum Sohn und Vater, weil sie voneinander verschieden

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13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

sind, entiale (notionale?)– wenn auch nicht essentiale Eigentumlichkeit haben und sich

gerade so dem Menschen mitteilen.• Durchgangige scholastische Vorstellung, als ob es sich um un-

personliches neutrales Wesen Gottes handle, das dem Menschenmitgeteilt werde, oder um Begnadigung des Menschen, so sehrsie increata impliziert

• doch nur Mitteilung einer Wirkung, die den drei gottlichen Per-sonen gemeinsam ware, und ihnen nur appropriiert werde unddass diese nur eine Beziehung wischen ihnen begrunden konnte,die allen gleich ware.

• Basiert auf dem Grundirrtum, dass die heiligmachende Gnadein erster Linie basiere auf der geschaffenen Gnade. Das ist falsch,biblisch und auch im Grunde scholastisch.

Ein Scholastiker kann leugnen, dass wir in der visio beatifica den Va-ter und Sohn und Heiligen Geist sehen und lieben, wenn und insofernsie voneinander auch verschieden sind.

• Dass wir Beziehung zum trinitarischen Gott insofern er die Drei-faltigkeit und nicht nur der eine in der Einheit seines Wesens ist.

• Wenn man aber die scholastische Lehre von den ontologischenVoraussetzungen einer visio beatifica,

– die nicht durch ein geschopfliches Medium (species impressacreata) vermittelt werden kann - denn dann hatten wir nuranaloge Erkenntnis aus Geschopflichem heraus - da die ge-schopfliche Vermittlung der drei Personen, insofern sie von-einander verschieden sind, nur durch die gottlichen Perso-nen selbst, insofern sie voneinander verschieden sind ver-mittelt werden kann:

– um sie zu erkennen, eine realontologische dafur vorausge-setzte Beziehung zu Vater, Sohn und Heiligen Geist insofernsie voneinander verschieden sind, haben muss:

– also eine relatio propria der drei gottlichen Personen zu denbegnadeten Menschen. Das entspricht der Heiligen Schrift.∗ Der Heilige Geist wird in der Schrift so deutlich als gott-

licher Geist gesehen,∗ und gottlicher Geist gerade als das gesehen, was die

Rechtfertigung bewirkt:∗ mit anderen Worten: die immanente und Heils-

okonomische Trinitat sind so miteinander im NT iden-tisch· eines macht das andere klar,

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

· und das eine lasst sich nur vom anderen verstehen· wir wissen so was Vater ist und bedeutet, wenn wir

auf unser gottliches Leben schauen,· das wodurch wir des gottlichen Lebens teilhaftig wer-

den, ist der Geist und umgekehrt.• Wenn man in der Trinitatslehre so tut,

– als ob die drei Personen eigentlich Gott allein angehen undwir noch nebenbei wissen, dass er der dreifaltige ist, und er-kennen dass diese Dreifaltigkeit an einem Punkt fur uns vonBedeutung geworden ist: dass der Sohn Mensch gewordenist und nicht die anderen.

– Wenn man so tut, als ob die Dreifaltigkeit uns nichts an-ginge, und das meint man wenn man sagt, die EinwohnungGottes, der Gnadenbezug des Menschen auf den HeiligenGeist und der des Heiligen Geistes auf den Menschen seibloß apropriiert.

– Dann versteht man auch die immanente Trinitat nicht mehr.Sie wird die mathematische, formalistische Angelegenheiteiner spekulativen Relationen Theologie,

– die vor lauter Subtilitat leer wird. Man spricht von dreiRelationen, von Prozessionen und kann sich nichts mehrGescheites darunter denken.

• Durch die in der Scholastik vorgenommene (Augustinus schonzum Teil schuld) im Unterschied zur griechischen, obwohl dasbei den Kappadoziern auch komisches ist, wo durch den Satzvon der Appropriation in der Trinitatslehre, Trinitatslehre undGnadenlehre weit außeinander geruckt sind,

• versteht man Trinitats-Theologie nicht mehr, und auch die Ra-dikalitat der Gnadenlehre nicht mehr.

• Was ist das Pneuma �gion fur Gott? Fur den Vater (immer Ana-logie vorausgesetzt). Fur den Vater ist es gerade das, was es furuns ist.

22.5.1957 Vorlesung 65

Wir haben noch so viel Stoff fur das zu Ende gehende Schuljahr, dasswir schnell vorgehen mussen. Nur wichtigere, schwierigere Sachen undVerbindungslinien. Das ubrige lesen sie selbst im Kodex nach.

Kirchenlehre Magisterium

• Wir stehen bei der These von der Einwohnung des Heiligen Geis-

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13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

tes. Dass es sie gibt, steht fest durch die Schrift.• Trient erwahnt das nur am Rande. Schrift, Vater, Liturgie,

”Di-

vinum illius“ Leo XIII,”Mystici corporis“ Pius XII, lasen keinen

Zweifel, dass diese Wahrheit im Lehramt der Kirche ist.• Uber das Verhaltnis zu den drei gottlichen Personen der Trinitat

haben wir schon gesprochen.– Wir sagten, dass wir in der Theologie die Frage offen lassen,

ob sie durch Appropriation zu erklaren– oder ob sie eine jeder der drei Personen eigentumliche Be-

ziehung besagt oder mit sich bringt.– Letzteres wird das Richtige sein.

• Der theologische Grund: die visio beatifica von der unmittel-baren Schau der drei Personen, haben wir letztes Mal schongesprochen.

• Dass es Mitteilung des Heiligen Geistes an den Menschen ist,haben wir auch schon gesagt. Naheres finden sie im Kodex.

13.4.3 Exkurs: Wie Einwohnung ausdruckbar inscholastischer Begrifflichkeit

Was sich daraus nach der Lehre der Schrift ergibt in den verschie-densten Hinsichten ist hier auch unerwahnt. Die Frage ist genauerdie, wie diese Einwohnung in scholastischer Begrifflichkeit genauergefasst werden kann und muss.

Wir konnen so anfangen: dass die Einwohnung, Tatsache undArt• nicht zuruckfuhrbar ist auf die Tatsache der heiligmachen-

den Gnade als geschaffener oder insofern sie donum crea-tum mit sich bringt,– weil er dann nicht anders einwohnen konnte als der

Schopfer der ubernaturlichen Wirklichkeit.– Aber Schopfertatigkeit wurde kein spezifisch neues Ele-

ment mit sich bringen. Als Schopfer wohnt er aller Krea-tur ein.

– Die durch etwas Geschaffenes als solches begrundete Na-he konnte die Einwohnung Gottes im Gerechtfertigtennicht wesentlich unterscheiden von sonstiger Einwoh-nung Gottes in allem, was er geschaffen hat.

• Wenn man sagt: Ja, diese geschaffene heiligmachende Gnadebegrundet eine erkenntnismaßige und liebende Bezie-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

hung auf Gott, so wie sonst nie, Gott wird in neuer WeiseTerminus eines erkennenden und liebenden Verhaltens undbekommt so als der in der visio beatifica erkannteGott eine besondere Nahe.– Positiv ist das sicher richtig.– Aber es entsteht die Frage, wie dieses so aufgefasste

Konsortium intellektuale und amorosum terminativumontologisch genauer zu erklaren ist.∗ Man kann sagen, das Geschopf hat dadurch eine be-

sondere Unmittelbarkeit des Erkennens und Liebens.∗ Nach der Heiligen Schrift ist aber dieses Verhaltnis

gerade vermittelt durch die Gabe des Heiligen Geis-tes.

∗ Dadurch dass wir den Geist haben, haben wir dieNahe, die nicht mehr die des fernstehenden Knechtessondern des liebenden Kindes Gottes ist.

∗ Wodurch ist diese Einwohnung des Geistes selberkonstituiert? Dazu darf nicht reflektiert werden, wasdaraus folgt. Weil wir ihn haben, sind ihr ihm nahe,und nicht weil wir ihm nahe sind, haben wir ihn.

• Dieselbe Frage konnte man auch stellen, wenn man vomProblem der Ubernaturlichkeit ausgeht.– In der letzten Stunde haben wir schon gesagt: spekulativ

ist es nicht einzusehen, wie etwas als rein Geschaffenesentitative et simpliziter supernaturalis sein konne.∗ Jede bloß geschaffene Wirklichkeit ist entweder Sub-

stanz oder Akzidens, das in sich selber Standige oderseine Bestimmung.

∗ Es besteht eine Korrespondenz zwischen dem Sub-stantiellen und Akzidentellen.

∗ Fur jedes bloß geschaffene Akzidens muss dochnotwendigerweise aus innerer Harmonie und Ent-sprechung der geschaffenen Seinschichten her auchein entsprechender substanzieller Trager mindestensdenkbar sein.

∗ Es konnte sein, dass ein bestimmtes Akzidens fureine bestimmte Substanz gleichsam ubernaturlich ist,so dass also nur in potentia oboedientialis und durchbesondere Einwirkung Gottes dieses Akzidens einerniedrigeren Substanz gegeben werden konnte.

∗ Aber warum diesem Akzidens nicht eine moglicheSubstanz entsprechen konnte, die von Gott geschaf-

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13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

fen werden konnte, wenn er wollte, das ist nicht ein-zusehen.

∗ Wenn die Gnade ein rein geschopfliches Akzidens wa-re, aus dem nur gewisse Folgerungen als reine Konse-quenzen folgen wurden Mitteilung der gottlichen Na-tur.

∗ Mit anderen Worten: entweder ist diese Gnade einbloß geschaffenes Akzidens, dann ist sie nicht simpli-citer supernaturalis.

∗ Oder, wenn wirklich simpliciter supernaturalis, dasheißt wenn dieser Wirklichkeit als connaturale Großedie Wirklichkeit Gottes entspricht, dann kann dieseGnade nicht bloß geschopfliche Wirklichkeit sein.

• Beide Fragen, die damit gestellt sind hinsichtlich Einwoh-nung des Geistes lassen sich am besten losen von

der Frage der visio beatifica her. Leo XIII und mystici corporisweisen darauf hin,• dass Gnadenstand und ubernaturliche visio beatifica eigent-

lich nur Phasen, Actualitatsstufen• ein und desselben Verhaltnisses zwischen Gott und Mensch

sind:• weil wir Gott haben werden wir Gott sehen.

– Wie ist in der scholastischen klassischen Theorie beiThomas (Suarez macht Abstriche, die nicht empfehlens-wert sind) das Verhaltnis Gottes zu Menschen gedachtbei der visio beatifica?

Es sei voraus geschickt: jeder geistig intentionale Erkennt-nisakt auf das Objekt, setzt, wenn der Erkennende und Er-kannte nicht von vorneherein identisch sind,• setzt eine seinshafte Bestimmung voraus, wodurch das

Erkenntnis-Subjekt intentional bezogen ist auf das Ob-jekt.

• Eine solche seinshafte, realontologische Bestim-mung eines geistig erkennenden Subjekts derart, dasses beim Objekt ist, nennt man in der Scholastik einespecies impressa.

• Diese ist eine realontologische, nicht nur gleichsam bild-hafte oder intentional gedachte Bestimmung des geisti-gen Subjekts, durch das es ein von ihm verschiedenesObjekt erkennt.

Von dieser Metaphysik, von der Ontologie einer geistigenErkenntnis aus, fragt die mittelalterliche Scholastik: welche

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

species impressa muss gefordert werden,• damit Gott als er selber in der visio beatifica, nulla me-

diante creatura als erkannter moglich ist?• Welches muss die species impressa sein, dass die visio

beatifica eine visio beatifica intuitiva ist,• und nicht eine durch die Geschopfe vermittelte und da-

mit bloß analoge Erkenntnis ist?Jene species impressa kann keine entitas creata allein sein.

Es gibt ein lumen gloriae (im Trienter Konzil definiertgegen Beguinen) aber dieses ist eine Art confortatio undadaptatio des Erkenntnissubjekts, aber nicht die species im-pressa, die notwendig ist fur die visio beatifica und intuitiva.

Diese kann keine Realitat geschaffener Art sein, weil enti-tas creata nicht der realontologische Grund fur eine visiointuitiva sein kann.• Denn das Objekt wird vermittelt durch die species im-

pressa.• Geschaffenes kann nur so viel aussagen, wie eine Kreatur

aussagen kann. Wesentlich nicht mehr, wie wir von Gotterkennen durch die Welt:

• noch genau so weit von Gott entfernt, wie jetzt auch.– Ware vielleicht großartiger, schoner, intensiver, hel-

ler– aber keine wesentliche Anderung.

• Darum sagt die Scholastik in der Spekulation uber dieErkenntnis in der visio beatifica: die species impressa,die notwendig ist, dass der geschaffene Geist Gott selbstals Objekt hat,

• die realontologische Voraussetzung und nicht Terminusintentionalis ist, muss in der visio beatifica das Sein Got-tes selbst sein.

Gott in seiner Wirklichkeit selbst, nicht durch eine geschaf-fene Vertretung seiner selbst,• gibt sich als realontologische Bestimmung dem mensch-

lichen Geist zu eigen,• so dass nun dadurch der Mensch, indem er die absolute

Intelligibilitat, Lichthaftigkeit, innere Erhelltheit Got-tes selbst zum Besitz bekommt,

• weiß er von Gott durch sich selbst, hat er die visio bea-tifica.

Ontologisch wird dieses Verhaltnis Gottes, der die Quasi-species des geschaffenen Geistes ist, bestimmt:

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13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

• nicht effiziente Kausalitat Gottes, der etwas im Geistbewirkt,

• sondern dass er die determinierende Realitat des ge-schopflichen Geistes selbst wird. - Dass er nicht effizien-te, sondern in Wahrheit formale Kausalitat ausubt– (schon wieder missverstandlich: Er produziert nicht

etwas von sich verschiedenes,– sondern gibt sich selbst als Bestimmung, als Mog-

lichkeit der visio dem Geist hin.Im Unterschied zu solchen (sonstigen) Verhaltnissen einer

Form zur causa materialis ist, dass die gottliche Wirklich-keit nicht davon abhangt, Form zu sein.Dass sie durch diese causa materialis recipiens, durch

das empfangende Subjekt, nicht eingeengt wird,dass sie in Freiheit und Gottlichkeit bleibt, nennt die

Scholastik das causa quasi formalis.Quasi heißt nicht, das ist nicht so, nur poetisch. Sondern es

handelt sich um die geheimnisvolle,Gott Gott sein lassende Selbstmitteilung Gottes in sei-

nem Sein an das Geschopf, welche Selbstmitteilungontologisch noch die großte Analogie hat zu dem, was

wir causalitas formalis gegenuber efficiens nennen.Dass es so was geben kann, grundsatzlich, sieht man dar-

an, dass auch in der unio hypostatica ein solches on-tologisches Verhaltnis Gottes zum Geschopf notwendig ist,• und wenn auch nicht so formuliert,• zu den absoluten Wahrheiten des Glaubens und zu den

absoluten Mysterien des Glaubens gehort.Dort ist die hypostase des gottlichen Wortes die Hyposta-

se der menschlichen Natur• nicht etwas, was auf die menschliche Natur effizient ein-

wirkt• sondern selbst die Wirklichkeit dieser Natur.• Zwischen Hypostase des Verbums und der menschlichen

Natur obwaltet eine formale Kausalitat, nicht effiziente.Der Begriff einer formalen Kausalitat Gottes hinsichtlich

seines Geschopfes ist ein Begriff, auf den die christlicheTheologie nicht verzichten kann, dessen Moglichkeit durchdas Dogma der unio hypostatica garantiert ist,• kann nicht von vorneherein unanwendbar sein auch in

anderen Verhaltnissen.• Man kann nicht sagen: so was kann es nicht geben (mit

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

rationalistischen Spekulationen).• Sondern dieser Begriff ist zwar ein Geheimnis, das letzt-

lich undurchdringlich ist,• aber gehort an einem Datum wie die unio hypostatica

zu den Urdaten des christliche Glaubens.• Wenn wir sagen, wir kommen in der visio beatifica und

in der Gnadenlehre nicht ohne diesen Begriff aus,• dann bekommen wir ein metaphysisches Verstandnis da-

fur, was Glaubensgeheimnisse im strengen Sinne sind.Wir wissen aus der Lehre gegen den Semirationalismus und

Patristik hinsichtlich Incomprehensibilitat, dass es absolute Ge-heimnisse gibt, die doch den Menschen nahe gebracht werdenkonnen.• Wenn man die Korrespondenz von ens und verum kapiert

hat, weiß man: eine geschopfliche Wirklichkeit streng alssolche kann gar nicht absolutes Mysterium sein, auch furdie Engel usw..

• Denn jede endliche geschaffene Wirklichkeit ist als endlicheein Glas, das endlich ist und ausgetrunken werden kann.Dafur ist naturlicher Weise die Moglichkeit da, ein so großerMagen, der das austrinken kann, vorhanden (um im Bild zubleiben).

• Metaphysischer ausgedruckt: die Intelligibilitat eines Ge-schopflichen ist wesentlich eine endliche Intelligibilitat. Eineendliche muss bewaltigbar sein: Apriori selbstverstandlichein korrespondierender, auf der gleichen Stufe stehender In-tellekt moglich sein.– Mit anderen Worten: nur wo Gott als Gott ins Spiel

kommt, kann sinnvoll von Mysterium absolutum die Re-de sein, wenn man nicht einen primitiven Begriff vonMysterium hat.

– Ein absolutes Mysterium gibt es nur dort, wo Gott insich fur sich in Frage kommt oder wo er selbst nichtdurch etwas, was er schafft, sondern er selbst die Be-stimmung der Kreatur in causalitas formalis ist.

Eigentliche Mysterien gibt es nur in innergottlicher Unzugang-lichkeit• der Trinitat oder dort• wo Gott als quasi causalitas formalis sich selbst in seinem

ihm selbst vorbehaltenen Mysterium dem Geschopf gibt indem was Gnade oder visio beatifica

• oder unio hypostatica ist.

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13.4 These 23 Ungeschaffene Gnade

– Mit anderen Worten: wir fassen die gratia increata, dieEinwohnung Gottes im Menschen als Vater Sohn undHeiligen Geist auf als eine durch eine quasi causalitasformalis konstituierte Selbstmitteilung Gottes dazuhin,dass Gott in seinem eigentlichen Leben, Herrlichkeit, In-telligibilitat und Werthaftigkeit personaler Art der un-mittelbare Gegenstand der Anschauung und der Liebeder Kreatur sein kann,

– wobei naturlich diese Selbstmitteilung Gottes an dieKreatur jetzt schon geschehen kann und doch aus an-deren Grunden die visio beatifica als Folge Erscheinungdieser Selbstmitteilung, noch nicht actu gegeben ist son-dern latent ist.

– Wobei die Selbstmitteilung nicht etwas ist, was nur pro-visorisch ist, so wie eine Erbswurst eingepackt, um siespater abzukochen, sondern sie wirkt sich aus in dem,was wir Glauben und actus salutares nennen usw..

• Warum das moglich ist, dass Gott jetzt schon in den Aktendes Gerechtfertigten tatsachlich auswirkt,– und zwar so, dass sie nicht so waren, wenn sie nicht ihr

Grund ware in causa quasi formalis:– daruber spater, wenn von der Bewusstheit der Gnade

gesprochen wird.Nun ist nur noch zu sagen, wie sich unter dieser Voraussetzung

die geschaffene Gnade zu der ungeschaffenen Gnade ver-halt.• Es ist schwierig und dunkel und wir haben keine Zeit, uns

den Kopf daruber zu zerbrechen, ob causalitas formalis hin-sichtlich eines Subjekts als causa materialis immer auch(auch) dadurch sich auswirkt, dass in dem Subjekt auchetwas da ist, was von der causa formalis verschieden ist,

• also ganz allgemein die Frage zu stellen - das ist gar nichtunwichtig - ob die causa formalis, obwohl sie sich mit ihrereigenen Wirklichkeit dem Subjekt gibt und nicht formal inder causa formalis etwas Verschiedenes von sich macht,

• doch Wirkungen hervorbringt im Subjekt, die von beidenverschieden sind. Das ist nicht Apriori undenkbar.

• Wenn das denkbar ware im Allgemeinen schon, oder wenndas nicht nachweisbar ware, so ist es doch in gewissen Fallenvorstellbar, dass

der actus einer causa formalis auf ein Subjekt in dem SubjektPradispositionen voraussetzt, die

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

A) notwendig sind, dass die causa causa formalis sein kann. Unddie doch nur

B) da sind, wenn diese causa formalis ausgeubt wird.• Z. B. physikalisch chemisches Substrat des Menschen in der

organisch chemischen Konfiguration des menschlichen Lei-bes hat zweifellos Bestimmungen, Zustande, die von dergeistigen Seelen verschieden sind, die abera) einerseits notwendig sind, damit diese Seele actu forma

corporis sein kann, aktuell causalitas formalis ausubungkann, in dem Leib sich selber als die Wirklichkeit diesesLeibes geben kann, und die

b) doch nur gegeben sind, wenn und insofern diese causa-litas formales animae gegeben ist.

Es gibt zwischen causa formalis und Subjekt eine Disposition, die ei-nerseits fur die causalitas formalis notwendige Voraussetzung ist, unddoch nur da ist, wenn sie causa actu informans ist.

Wenn wir diese gegenseitige Abhangigkeit zwischen ultima dis-positio ad formam (in subiecto) und der Form von der ultimadispositio und von dieser voraussetzen, was ja gut thomistischist, dann konnen wir ohne weiteres sagen:• Was wir gratia creata - von Gott geschaffene ubernaturliche

Gnade - nennen, muss konzipiert werden• als dispositio fur die causalitas Dei et per hanc,

– so dass die beiden, gratia creata et increata einerseitsvon einander verschieden sind,

– anderseits wesentlich aufeinander bezogen sind, vonein-ander nicht getrennt werden konnen

– und so immer zusammen gegeben sind.Dadurch dass Gott sich selbst in seinen Sein auch selbst mit-

teilt, bewirkt erin effizienter Kausalitat die ultima dispositio im Subjekt fur

diese causa formalis.Und durch sein eigenes Wesen erhalt er durch diese dauern-

de aktuelle causalitas formalis diese geschaffene Dispositionim Menschen,

und so ist mit creata immer increata und umgekehrt gege-ben und eines lasst sich richtig verstanden aus dem anderenableiten.

Damit kommen wir auch spekulativ um die zerstrittenen Fragen her-um, ob die increata zur creata etwas Eigentliches hinzufugt:

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13.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade

• In wahrem Sinn fugt sie alles hinzu: Gott selbst.• In anderem Sinn sind sie gar nicht zu trennen: denn fur die

Selbstmitteilung Gottes selbst ist die creata Disposition,genannt geschaffene Gnade und lumen gratiae notwendige

Voraussetzung undumgekehrt, nur solche die gegeben sein kann, wenn und in-

sofern die gratia increata gegeben ist.

Bild: flussiges Wachs (das Wachs ist einfach flussig, kann nicht er-starren) in dem, wenn ein Siegel eingedruckt wird:

• das Siegel ist einerseits das, was durch die Eindruckung derWirklichkeit des Siegels selbst da ist,

• nur so lange da ist, als die Mitteilung des Siegels selbst da ist,• und doch in wahrem Sinn konzipiert werden kann als Voraus-

setzung dafur, dass das Siegel in dem Wachs eindruckbar ist.• Denn wenn es nicht eindruckbar ware, konnte das Siegel nur

druber schweben. Macht die ontologischen Verhaltnisse der ge-genseitigen Abhangigkeit zwischen ultima dispositio und formaquae einigermaßen bildhaft klar.

Die positiven Dinge, die dazu gehoren mussen sie im Kodex selbstnachlesen. Das mag uber diese These wohl genugen.

13.5 These 24 Formaleffekt derheiligmachenden Gnade

These 24 Gratiae sanctificantis effectus formalis primarius est in eo,ut animam vere et physice licet et analoge et accidentaliter, red-dat divinae naturae formaliter consortem per supernaturalemassimilationem ad naturam divinam intellectualem et moralem.

Der primare Formaleffekt der heiligmachenden Gnade besteht dar-in, dass sie die Seele wirklich und physisch wenn auch analogund akzidentell der gottlichen Natur formal teilhaft macht durchubernaturliche Verahnlichung mit der intellektuellen und mora-lischen gottlichen Natur.

13.5.1 Der Sinn der These und Begriffe

Der Sinn der These ist an und fur sich sehr einfach und im Grundeselbstverstandlich.

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

• Wir haben zunachst gesagt, es existiert eine Gnade als geschaf-fene reale Gabe an den gerechtfertigten Menschen

• und Gott selbst wohnt dem begnadeten Menschen dadurch ein,– nicht durch eine lokale Prasenz.– Das ware nichts besonderes– sondern durch diese, von der wir eben gesprochen haben.

• Wir haben naturlich von der Schrift her und von der Kirchen-lehre her (Trient unica forma interna iustificationis) die Pflicht,

– gratia increata und creata als die– sich gegenseitig bedingenden und erganzenden Momente an

der Rechtfertigung aufzufassen.• Dadurch haben wir in den vorausgehenden Thesen nur gesagt:

wir haben Gott,• indem er uns auch eine geschaffene gottliche Gnade der Heili-

gung, Rechtfertigung und so weiter, gibt.• Nun werden wir nach diesen zwei Thesen,

– die die Feststellung der Tatsache des Bestehens der Recht-fertigung waren,

– fragen: welches ist ihr Wesen?

Eine Bestimmung eines Subjekts kann man in ihrem eigenen Wesennur beschreiben, indem man sagt wozu sie das Subjekt bestimmt.

Eine causa formalis kann man nur in ihrem Wesen dadurch be-schreiben,

dass man den effectus formalis ausspricht.

Effectus formalis - im Gegensatz zum Effekt bei der causa efficiens -ist die

Wirklichkeit des Subjekts selber, aber dadurch dass die causasich selbst und nicht etwas von ihr Produziertes dem Subjekt

gibt.• Der Leib ist lebendig nicht dadurch dass die Seele den Leib

lebendig macht,• sondern weil er die lebendige Seele selbst besitzt. Lebendig

durch die Seele.Nicht produzierende Ursachesondern formale Ursache.

Wir fragen hier: welches ist der effectus formalis primarius (derursprunglichste) der heiligmachenden Gnade,

wobei darunter die Einheit von geschaffener und ungeschaffenerGnade verstanden wird.

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13.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade

22.5.1957 Vorlesung 66 (zweite Stunde)

• Wir haben die vierundzwanzigste These angefangen.• Sie spricht von geschaffener und ungeschaffener Gnade,• ihrem gemeinsamen Wesen,

– insofern sie nach dem formalen Effekt fragt.– Was ist dadurch gegeben, dass die Selbstmitteilung Gottes

dem Menschen gegeben ist– samt den geschaffenen Voraussetzungen?

∗ Dadurch ist der Mensch in wirklicher,∗ wenn auch analoger Weise∗ der gottlichen Natur gleichformig gestaltet,∗ insofern diese als Prinzip ubernaturlichen, geistigen und

sittlichen Lebens gemeint ist.∗ Consortium cum natura divina prout haec est principi-

um vitae intellectualis et moralis.Gott ist der Selige, der Heilige, der sich selbst kennt und

liebt,der trinitarisches Leben hat, Vater, Sohn und Geist, gesagtes

Wort Gottes, gehauchte Liebe,in seiner gottlichen Natur als der dreipersonliche Gott ein

Prinzip gottlichen Lebens.Und dadurch dass der Mensch einerseits durch die ge-

schaffene Gnade vergottlicht wird und, was wir immerdazu nehmen wollen,

Gottes eigenes Sein und Wirklichkeit zum realontologi-schen Prinzip des eigenen erkenntnismaßigen Wollensund Lebens erhalten hat,

ist er in einem der gottlichen Natur angeglichen.

Dieser Effekt wird als effectus primarius bezeichnet.

Was damit gemeint ist, ist leicht zu verstehen.

• Ein bestimmtes Seiendes hat verschiedene Eigentumlichkeitenund Bestimmungen: rot, schwer, suß...

• Es gibt viele Bestimmungen eines Wesens, die auf einem gemein-samen Wesens-Grund basieren,auf eine gemeinsame letzte formale Ursachlichkeit zuruck-

fuhrbar sind,die in gewissem sachlichem Verhaltnis, einer Art Abstam-

mungsverhaltnis voneinander stehen.• Eine bestimmte Bestimmung kann die ursprunglichere sein,

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

• andere kann abgeleitet sein.

Wenn man das als allgemeine ontologische Voraussetzungvoraussetzt und beobachtet,

• dass die Rechtfertigung und Rechtfertigungsgnade durch sehrviele Aussagen der Schrift genauer qualifiziert werden - dassman

• ein Kind Gottes ist, Erbe des Himmels ist,• heilig ist, neue Kreatur ist, gerecht ist,• Heiligen Geist hat, Tempel Gottes ist,• nicht mehr im Fleisch ist, Pne uma ist,

– eine ganze Unmenge von Ausdrucken,– von einzelnen Aussagen in der Schrift.

Nun fragt es sich in einem diese Daten durchdenkenden Theologen,wie sie zusammenhangen,

• auf gemeinsamen Nenner gebracht werden konnen,• wie eine bestimmte herausgestellt als erste begreifbar ist,• aus der die ubrigen als Außerungen von selbst sich ergeben.

– Es ist selbstverstandlich, in der Schrift schon da, dass manErbe Gottes ist, weil man sein Kind ist.

– Wenn in der Schrift gesagt ist, dass wir aus Gott geborenwerden, ist klar, dass diese Bestimmung das ontologischePrius ist dazu, dass wir Kinder Gottes sind.

–”Weil wir Kinder Gottes sind, werden wir aus Gott geboren“kann man nicht sagen nach dem logischen Zusammenhang.∗ Der sachliche Zusammenhang ist: weil wir aus Gott ge-

boren sind, sind wir Kinder Gottes.∗ Weil wir Heiligen Geist haben, partizipieren wir an den

Eigenschaften gottlicher Natur.

Welches ist der ursprunglichste, erste Formaleffekt der gottlichenRechtfertigungsgnade?

Sie besteht in der Teilnahme an der gottlichen Natur. Damitdrucken wir die Sache aus in einem Bild, einer Redewendung,die bei Petrus selbst vorkommt. koinwnÐa jeÐac fÔsewc.

Wie das dort genauer gemeint ist, kann eine exegetische Frageoder Problem sein. Das ist letztlich• nicht entscheidend fur unsere These,• wie weit bei Petrus die Theologie vorgetrieben ist,• oder nur relativ wenig gesagt ist. Das macht nichts aus.

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13.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade

Unsere Behauptung basiert nicht auf dieser Stelle allein, son-dern auf dem Gesamtkomplex der Aussagen der Schrift uberdie Rechtfertigung.

Wenn wir in Gott sind, sein Same in uns ist, eine Neuschopfungsind, wenn wir den Heiligen Geist als gottliche Lebendigkeitselbst empfangen, mit gottlichem Lebensprinzip begnadet wer-den,

dann ist ganz gleich, wie diese Petrus Stelle zu erklaren ist, ausdem Kontext ist das klar, was hier gesagt wird.

• Damit ist klar, was effectus formalis im Allgemeinen ist.• Effectus primarius ist klar.

Consortium: ist auch nicht schwer zu verstehen.

• Zunachst ist es das Haben der Sors mit einem anderen zusam-men, der Mitbesitz von etwas mit einem anderen.Vulgarer Sinn: es ist daran gedacht, dass der andere ursprung-

licher, mehr von Rechts wegen dieses Ding besitzt und demanderen Anteil daran gibt, gleichsam ihn einsetzt zu condo-minium.

Im metaphysischen Sinn kann das dadurch sein, dass zweidieselbe Natur haben, ohne dass der eine sie vom anderenhat.Aber dort wo das Wesen eines bestimmten dadurch

besessen wirddass man es von dem anderen erhalt, dort haben wir

ein consortium im metaphysischen, wirklichen Sinne.• Das ist in verschiedener Weise denkbar: consortium, metoq  kann

dadurch geschehen,– dass Gott dem betreffenden Geschopf eine von Gott ver-

schiedene geschaffene Natur verleiht,– die doch eine Ahnlichkeit mit Gott selbst hat: assimilatio

und consortium naturale.– Jedes Seiende insofern es seiend ist, ist dem absoluten Sein

ahnlich.• Ein geistig personales, erkennendes - Gott erkennendes Geschopf

ist in besonderer Weise Gott naturlich ahnlich dadurch,dass es die perfectiones purae der Erkenntnis und des freien

Willens partizipiert. - diese ist aber noch radikal verschiedenvon der hier gemeinten,

Sie besteht nicht in dem Besitz der gottlichen Wirklichkeitals solcher selber, sondern im Besitz einer von Gott ge-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

schaffenen von ihm selbst verschiedene Natur.• Hier aber, wo wir in unserer These und Theologie in die heilig-

machende Gnadedie ungeschaffene Gnade mit hineinnehmen als entschei-

dend konstitutives Element der heiligmachenden Gnade,und wo wir die

ungeschaffene Gnade in wirklicher causa formalis erklaren,da ist ein consortium an der gottlichen Natur,

in der das gottliche Wesen als es selber, als ungeschaffe-nes, im wahren Sinne konstitutives Element ist.

Nun muss man naturlich trotzdem zwischen causa formalis und ef-fectus formalis in gewissem Sinne unterscheiden: Hier sind metaphy-sische, spekulative Schwierigkeiten, die zu erwartender Weise damitverbunden sind:

Analoge et accidentaliter • Wahrend sonst causa formalis sich in dercausalitas formae erschopft und so der effectus formalis und cau-sa formalis absolut kommensuriert sind - es gibt soviel causaformalis, wie es effectus formalis gibt, - kann das

• bei der Selbstmitteilung Gottes an den Menschen so nicht sein.Es wird - Dialektik des Geheimnisses - Gott selbst dem Men-schen mitgeteilt, so dass er selbst durch seine Wirklichkeit Wirk-lichkeit des Menschen wird.

• Aber der Mensch bleibt naturlich immer Geschopf, bleibt darinein Endlicher. Seine visio beatifica ist immer noch in actu secun-do - nicht im Prinzip der species ımpressa - es wird Gott selbstbetrachtet - sondern in dem

• was darin geschieht - visio beatefica, etwas Endliches, aber etwassolches, was es mit dem Unendlichen selber zu tun hat, so dassdiese Unendlichkeit selber der unmittelbare Gegenstand diesesEndlichen sein kann.

– Fur eine Metaphysik der Erkenntnis ist es gar nichts Selbst-verstandliches sondern beinahe etwas Unmogliches, dass derendliche Akt das unendliche Objekt unmittelbar durch esselber zum Gegenstand hat.∗ Dadurch entsteht das indiskutable Mysterium der visio

beatifica, das hierin besteht, dass doch∗ dieses finitum capax infiniti ist durch die visio beatifica

(dass hierin die visio beatifica unmittelbar capax infinitist, und doch dass dieses finitum capax infiniti ist)

– Diese Problematik - auch bei der visio beatifica - ist aus-druckbar als solche der unendlichen causa formalis,

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13.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade

∗ die trotz dieser causalitas formalis infinita∗ keinen effectus infinitus hervorbringt und hervorbringen

kann.· Bei effizienter Ursachlichkeit haben wir es leichter,

das zu begreifen..· Denn wenn Gott etwas von sich Verschiedenes pro-

duziert, ist es leichter sich vorzustellen, dass doch deractus producendi als unendlicher etwas Endliches pro-duziert.

∗ Bei der causalitas formalis ist es schwerer, sich vorzu-stellen und aufrecht zu erhalten,· dass Gott einerseits selbst die Bestimmung der Krea-

tur ist,· und doch die Kreatur in ihrer Bestimmtheit endlich

ist.Das wird ausgedruckt durch: dass das consortium der

divina natura ein verum et physicum und doch ana-logon und accidentale ist.

Wie diese Bestimmungen gleichzeitig wahr sein kon-nen, warum sie sich nicht gegenseitig aufheben,

das positiv einzusehen, ist nicht Sache der Theologiaviatoris, dann ware es kein Geheimnis mehr.

∗ Wir konnen nur beides einsehen, sagen dass wir beideseinsehen mussen1. dass wir die Vollendung des Menschen in der Gnade

so bestimmen mussen, dass Gott selbst in sich dieGabe ist, die wir wirklich empfangen und zweitens

2. dass wir gleichzeitig, trotzdem wir sie haben, alsbesitzende Empfanger dieser Gabe nicht aufhoren,Kreatur zu sein.

∗ So formuliert scheint es nicht schwer zu sein. Aber manhat die unendliche Gabe und hort doch nicht auf, end-lich zu sein. - dabei stellen wir uns die Gabe vor als eineSache im Rucksack.Dass die Bestimmung von einer solchen außeren

Gabe her es ermoglicht, dass sie trotzdem nicht uber-geht auf den Besitzer, kommt von der Materialitat.

Aber wo die Gabe eine Bestimmung des Empfangersder Gabe selbst wird, dort wird es ein Mysterium,bei uns wenigstens.

Dass es sich um Besitz handelt, ohne dass einfachdie Gottlichkeit des besessenen Gottes schlechthin un-

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

sere eigene Eigentumlichkeit wird, das heißt dass wirGott selbst werden - dass das nicht geht ist klar. Dassdas Geschopf, wo es am nachsten zu Gott kommt, esam radikalsten von Gott abgesetzt ist, kann man ein-sehen.

Entwickelt man eine formale Ontologie des Ver-haltnisses zwischen transzendentem Gott und endli-chem Seienden, dann sieht man,

dass Nahe und Ferne bei dem Schopfer und derKreatur nicht sich gegenseitig verdrangt sondernsteigert.

∗ Von da aus kann man einsehen, wenn auch nicht durch-schauen, dass das wahre Verhaltnis der beiden,dort wo Gott die freie Tat in der Kreatur tut, sie

die absolute Nahe ist und doch das Geschopf dadurcherst recht nicht nur Geschopf ist sondern erst rechtwird.

Der radikalste Akt der Anerkennung unserer Ver-schiedenheit von Gott geschieht gerade durch dieradikalste Nahe zu Gott. Nur mit Gott zu sammelnund von ihm her kann man begreifen und anerkennen,dass Gott allein Gott ist.

Damit wird der radikalste Akt der Kapitulationvor Gott gleichzeitig der Akt der absoluten Seligkeitder Kreatur,

weil beides getragen ist von Gott selbst, der, indemer sich selbst entaußert, der Kreatur den radikalstenSelbststand gibt und

dadurch die Kreatur absolut in sich vereinigt unddoch absolut von sich unterscheidet.

In der Liebe konnen wir eine Ahnung von dieser Paradoxiebekommen: Sie ist das absolut Freigebende und Unterscheiden-de in einem damit, dass es das Einigende ist.

• Sie verschluckt nicht sondern einigt, indem sie den anderen etwassein lasst.

• Im Akt der participatio creaturae ist zu sagen,– dass hier die hochste Nahe ist, weil Gott sich selbst gibt und

nicht nur geschaffene Gabe und ist zu sagen,– dass hierdurch gerade die hochste Unterscheidung da ist,

∗ und deshalb muss vom effectus formalis dieser causalitasdivina gesagt werden, dass sie

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13.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade

vere et physice durch geschaffene und ungeschaffeneGnade da ist

sed accedentaliter et analoge, das Geschopf Ge-schopf sein lassend und geistigen Selbststand nichtaufhebend

∗ den Menschen der gottlichen Natur teilhaftig macht.

13.5.2 Adversarii

Dass dort wo man die Gnade als

• bloße Freisprechung der Schuld auffasst: Protestanten und Bajus• wo man das Verhaltnis des Geschopfes zum Schopfer auf bur-

gerlicher Moral beruhend auffasst - es ist von Gott geschaf- fenund hat sich moralisch vor ihm aufzufuhren, dann bestatigt Gottdies und lasst es auf seine Art selig werden -

• wo man rationalistisch das so primitiv sieht, dass dort von sol-cher These wie hier nicht die Rede sein kann, ist klar

Dass wir von unserer Auffassung des Verhaltnisses von geschaffenerund ungeschaffener Gnade her

• ein consortium divinum haben und dieses weder adaquat auf dieeine noch andere allein zuruckgefuhrt werden kann,

• dass wir also die Trennung der Frage, was macht die heiligma-chende Gnade als geschaffene und welche geschieht intentional(terminativ) durch die ungeschaffene> gar nicht machen kon-nen,

• dass wir also gar nicht so fragen konnen, ist auch klar,

Dass Lessius, Petavius, Hurter, Scheeben nicht so unterscheiden kon-nen hinsichtlich des Formaleffekts der Gnade, ist klar. - Diese Sen-tenzen sind fur unseren Geschmack uberholt.

Ferner: Trotz Thomas und Skotus hat es keinen rechten Sinn die Fra-ge zu einem Aut - Aut hinsichtlich des Intellektuellen Cognoscitivenund Volitiven zu machen.

Hinsichtlich der Frage des Wesens der visio beatifica hat Thomas -gegen seine letzten Prinzipien - wegen Aristoteles behauptet, dass dieessentia der visio bea- tifica in der cognitio Gottes allein besteht unddass die Freude, Liebe unweigerliche, notwendige Eigentumlichkeitder beatitudo sei, aber etwas Konsequentes.

Nach den Prinzipien des Thomas sind ens, verum, bo- num transzen-dentale Bestimmungen des Seins.

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

Die Dreifaltigkeit hat einen ordo in den gottlichan Personnen, abernicht etwas, von dem man sagen kann: Gott besteht im Grunde mitdem Vater, hintendrein mit metaphysischer Notwendigkeit kommtSohn und Geist.

Von der Transzendentalitat des unum, verum, bonum her, wo also kei-ne transzendentale Eigentumlichkeit, obwohl sie untereinander einenordo haben, eines die bloße Folge des anderen ist, sondern sie in gleichur- sprunglicher Weise das eine und selbe Seiende konstituieren,

und von den notwendigen Prozessionen Gottes her, muss man sagen:

• Der geistige Selbstvollzug des Menschen in der absolut unuber-bietbaren, auch durch Gott nicht mehr hoher steigerbaren visiobeatifica ist so der radikale Vollzug des radikalsten Wesens desSeienden, dass es kein Fundament hat zu fragen: ist da der Willedas Wesentliche, sondern:

• Mit der transzendentalen Notwendigkeit, wie verum und bonumzusammenhangen und die Liebe die absolute Helle ist, und daseine nicht das andere voraussetzt, folgen lasst, sondern doch eineEinheit bilden wie diese drei Personen, so ist die visio beatificaaufzufassen,

• und so die Gnade. Es hat nicht Sinn, die Gnade als Prinzip bloßubernaturlicher Erkenntnis oder Liebe aufzufassen,

• sondern die assimilatio ad naturam divinam geschieht notwendigad naturam divinam intellectualem et moralem.

Zum Sinn der These und Begriffe Fortsetzung

”et

”ist jenes

”und“ das in den transzendentalen Eigenschaften ihrer

Verkopplung entspricht und von dieser Verkopplung und Einheit sichableitet.

•”Und“ ist ja der analogste Begriff den man sich denken kann:– Gott ist weise und gerecht. Gott ist Vater und Sohn und

Hl. Geist.– Das ist ein anderes

”und“ als wenn ich sage: Dieser Mensch

ist weise und gerecht.– Und das wieder anders als wenn ich sage: Dieser Mensch

hat Verstand und Wille,– anders als wenn ich sage: Diese Wand ist hart und blau und

grun und rot.∗ Die innere Gestuftheit der Einheit ist eine Grundwirk-

lichkeit in dem Realen, im Seienden.

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13.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade

∗ Die Identitat ist selbst ein analoger Begriff, hat Varia-tionsbreite, ist analog.

∗ Insofern gibt es naturlich unter Umstanden Einheiten ,Verbindungen, bei denen ich die Frage des primariumund secundarium nicht so stellen kann, wie ich das einanderes Mal stelle.· Wenn ich sage z. B.: Sicher ist Erbberechtigung etwas

Sekundares zur Kindschaft.· Ich kann mir Kindschaft denken , wo es Erbberechti-

gung nicht gibt, namlich wo nichts zu erben ist.· Hier ist die Verbindung außerlich, kann getrennt wer-

den, ist ein reines Abfolgeverhaltnis, wo das erstenicht vom zweiten aber das zweite vom ersten ab-hangt.

intellectualem et moralem So ist es nicht beim Verstand und Willen.

Gott kann nicht den Verstand lassen und den Willen nehmen, sowenig wie Gott Vater sein kann ohne Geist und Sohn zu haben.

In diesem Sinne meinen wir: Et intellectualem et moralem, je-nes Letzte, nicht mehr definierbare, was wir Freiheit, Liebe, Hin-gabe, Wert nennen, Freude, Weltbesitz nennen.

Intellectualis: Kann Erkenntnis, gegenstandlichen Besitz, Beim-andern- oder Bei-sich-Sein meinen. Darauf kann man hier nurhinweisen. Man kann nicht sagen : Das eine ist das andere, -und doch gehoren sie ursprunglich zusammen, so dass, wenn sieidentischer waren, damit nichts gewonnen ware.

Liebe, Wille usw.: nicht als Modalitat an der Erkenntnis, so wie Ari-stoteles, Spinoza und Thomas auch irgendwie leider, sondern Liebehat ihren eigenen Stand, eigene Bedeutung. - Umgekehrt kann Er-kenntnis nicht bloß als Modalitat an der Liebe aufgefasst werden.Das eine braucht das andere.

• Wille ist Modalitat an der Erkenntnis und Erkenntnis ist Mo-dalitat an der Liebe,

• und doch sind sie nicht einfach identisch.– Aber sie gehoren so ursprunglich sich gegenseitig bedingend

zusammen als Modalitaten des Seins, die nicht wegdenkbarsind,

– dass, wenn man den hochsten Vollzug beschreiben will, - dievisio beatifica,- man beides gleich ursprunglich in ihr Weseneintragen muss,

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

– und man deshalb auch die seinshafte Voraussetzung einessolchen totalen, erschopfenden Grundes des menschlichenDaseins als assimilatio ad naturam intellectualem et mora-lem betrachten muss.

13.5.3 Qualificatio und Beweis

Dass vieles davon keine definierten Wahrheiten sind, ist klar:

• Aliquod consortium: Von allen gelehrt.• Dass dazu konstututiv die gratia creata dazugehort: Weil es die-

se sicher in veritas definibilis gibt, Ist auch klar. Sonst ware nichteinzusehen, warum es diese gibt.

• Deshalb ist noch nicht zu sagen, dass sie das eigentliche con-sortium, dass das radikal und allein auf die gratia creata imUnterschied zur increata zuruckgefuhrt werden musse.

• Dass die Kirche exaggeratio im pantheistischen Sinn gegen Ek-kehard und Molinos’s und Verdunnung abwehrt: gegen Bajus,wo exaltatio in consortium divinae naturae in Schutz genom-men wird, ist auch klar.

24.5.1957. Vorlesung 67

Wir stehen bei der 24. These uber den effectus formalis der gratiasanctificans, der im consortium divinum besteht.

Nun: consortium und participatio sind fur uns mehr oder minder syn-onym.

• Participatio bedeutet: etwas besitzen, was ein anderer besitzt.• Dieser kann dasselbe unabhangig oder abhangig vom anderen

besitzen.• Dieser kann wieder mehr oder minder in Abhangigkeit vom an-

deren sein.– Es ergibt sich, dass wir dieses consortium als aus der ganzen

gratia sanctificans bestehend betrachten,– weil die Schrift nicht unterscheidet und– weil von Trient es nahegelegt wird, diese beiden Seiten nicht

voneinander zu trennen und unabhangig voneinander zukonzipieren.

– Insofern sie sich gegenseitig bedingen, haben sie primarenFormaleffekt.

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13.5 These 24 Formaleffekt der heiligmachenden Gnade

Man kann die Vergottlichung schon durch die geschaffene Gnade,die dem Menschen die dispositio proxima gibt, um die Selbstmit-teilung des gottlichen Wesens aufzunehmen, fur sich schon als eineVerahnlichung und damit als participatio an der gottlichen Naturauffassen

und umgekehrt ist eine Selbstmitteilung zum Zwecke der visio beati-fica selber noch mal in intensivster unuberbietbarer Weise eine Teil-nahme an der gottlichen Natur,

• nicht mehr konstituiert durch ein drittes geschaffenes zwischenden beiden,

• sondern durch formale Kausalitat der gottlichen Natur selbst,• ein wirkliches Haben des Wesens Gottes selbst, ein consortium

in eminentem Sinn.

Ein consortium terminativum: aber nur insofern als diese formal kausaleMitteilung des gottlichen Wesens letztlich bezweckt,

• dass man den dreifaltigen Gott als Gegenuber, als Du in dervisio beatifica und so in terminativem Sinne hat,

• und nicht in dem Sinne: Man hat mit ihm erst etwas durch dieErkenntnis im Glauben durch Liebe und visio beatifica zu tun,

• sondern indem er sich uns mitteilt haben wir zuerst etwas mitihm zu tun, aber so dass es die Folge ist davon.

– Das Ubrige: Dass eine solche participatio durch eine entitasformaliter und simpliciter supernaturalis,

– die ihren Gipfelpunkt in der ungeschaffenen Gnade ein we-sentlich hoheres consortium cum natura divina gibt∗ als es im geschaffenen Bereich,∗ sei es im gesamten, auch dem materiellen,∗ sei es in der naturlichen Spiritualitat moglich ist, ist

klar.• Insofern ubersteigt die Gnade jedes consortium auch naturli-

cherweise, so sehr sie aufeinander hin sind.In der Schopfung: Nur durch die Wirkursachlichkeit geschaf-

fen, als von Gott verschieden; Ahnlichkeit als Sein und alsGeist.

Im Ubernaturlichen: Besitzen wir Gott selbst unter der Vor-aussetzung einer geschaffenen Gnade, aber wirklich ihnselbst.– Damit ist der wesentliche Unterschied zwischen natur-

licher– und ubernaturlicher Teilnahme an Gott gegeben.

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

Anderes im Kodex.

13.6 These 25 Adoptovkindschaft

Eine weitere Folge dieser Teilnahme an der gottlichen Natur, dieses ausGott geboren werden, gezeugt werden, der p�lin genesÐa. von oben, derneuen Kreatur , des Besitzes des Hl. Geistes, ist , was die Schrift als Ad-optivsohnschaft bezeichnet.

These 25. Gratia sanctificans hominem formaliter constituit filiumdei adoptivum.

Der Mensch wird zum Adoptivkind Gottes durch die heiligma-chende Gnade

Sensus Thesis und Begriffe

Wenn wir verstanden haben, dass die heiligmachende Gnade als ge-schaffene und ungeschaffene eine Neuschopfung wahrhaft bedeutet,dann ist klar, dass sie eine

Adoptivsohnschaft NICHT in dem Sinne ist, dass sie bloß inrichterlicher Betrachtungsweise besteht, dass Gott bloßeine Kreatur so auffasst als ob sie sein Kind sei. - Dass sie

NICHT bloß in einem bloß gemuthaften, liebenden Ver-haltnis des Menschen zu Gott oder Gottes zum Menschenbesteht. Weder betrachtet Gott uns bloß als seine Kindernoch besteht sie darin, dass wir besondere kindliche Gefuhleeinem Schopfer-Gott gegenuber haben,

SONDERN sie besteht in einer realen Mitteilung des gott-lichen Wesens an den begnadeten Geist in der Mitteilungdes gottlichen pne uma, so dass wir wirklich aus Gott gebo-ren sind, Gottes Wesen wirklich besitzen.

Naturlich gipfelt dieser Besitz Gottes letztlich in der ER-KENNTNIS und LIEBE, in dem von-Gott-erkannt-Sein undGott-Erken- nen und Lieben.• Aber dieses ist nicht irgendwie ein allerwelts Erkennen

und Lieben Gottes, wie der Spiesburger sich das vor-stellt, der darauf baut, dass er ein gnadiges Wohlwollenhaben werde

• sondern sie sind das absolute Geheimnis unseres Daseinsdas begrundet ist in seiner Tiefe, und darin erkannt wer-den kann, dass man sagt:

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13.6 These 25 Adoptovkindschaft

– Es kann nur darin geschehen, dass Gott der absoluteGeist in der Selbstmitteilung seines Wesens uns in dasunzugangliche Licht Gottes hineinversetzt

– und uns an der Weise der Erkenntnis teilnehmenlasst, wie er sie selbst besitzt im innertrinitarischenLeben.

In wiefern ist das noch Adoptivsohnschaft? Nicht adoptiv-insofern sie durch bloß juridischen Spruch eines Gerichteskonstituiert wirdsondern insofern als diese wahre Sohnschaft eine

Sohnschaft nicht von Natur sondern von Gnade ist,nicht etwas was aus diesem Wesen selbst erfließt, sowie das innertrinitarische Leben Gottes selbst, sondernHuld und Gnade, freie Entschließung Gottes selbst ist.

Das tertium comparationis der menschlichen und gott-lichen Adoptivsohnschaft ist nicht die Außerlichkeit, dieblutsmaßige Getrenntheit der einen und anderen Sohn-schaft,

sondern ist die Tatsache dass die eine und andere ausfreiem Entschluss gegrundet ist und in diesem Sinne An-nahme eines fremden Außenstehenden ist,

total verschieden aber in dem, was durch diese Annahmegeschieht:In der menschlichen Adoption: Es wird dem anderen ein

gewisses Wohlwollen verheißen und er erhalt bestimmteburgerliche Rechte betreffs eines Vermogens. In der

Adoption durch Gott: Werden wir der Natur des adop-tierenden Vaters teilhaftig.• Dadurch treten wir in eine Konnaturalitat des inne-

ren, seinshaften Verstandnisses, wie sie im menschli-chen nur zwischen richtigen Eltern und Kindern be-stehen kann und im Normalfall nur darauf beruht.

• Dadurch dass wir die Natur des Vaters und zwar alsuns mitgeteilte besitzen sind wir seine Kinder.

• Wir haben hier sogar eine noch viel intimere , radika-lere Sohnschaft als selbst in naturlicher, menschlicherSohnschaft gegeben ist:

Das ist auf der einen Seite das Große und dochAbschwachen- de und Tragische der Eltern:• Sie zeugen Kinder, geben ihnen ihre eigene Wirklichkeit

mit und in diesem Augenblick distanziert sich das Kindvon den Eitern, und in dem Maße.

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

• Bei der gottlichen Sohnschaft haben wir die absoluteNahe und hochste Selbstandigkeit im gleichsinnig wach-senden Maß.– Im menschlichen Bereich konkurrenzieren sich die

beiden:– der Mensch wird Vater und Mutter verlassen.– Im gottlichen Bereich ist es anders:– hochste Nahe und darin hochster Selbstand.∗ Diese Nahe ermoglicht das Unuberbietbare zu tun:∗ Gott in absoluter Nahe zu erkennen und in Liebe

zu bejahen. An und fur sich ist das ... ’• Wodurch das begrundet ist, was die Theologen sagen,

konnen sie im Kodex nachlesen.

Qualificatio theologische Qualifikation

ALIQUA FILIATIQ ADOPTIVA: de fide divina et catholicaex Scriptura et magisterio ordinario.

Dass dazu gratia sanctificans der realoniologische Grundist indem er irgendwie dazu beitragt: theologice certum.• Wenn man das leugnen wurde, kame man der Sache

nach mit Trient in Konflikt, wonach die unica causaformalis interna der iustificatio die gratia sanctificansist.

• Justificatio und filiatio divina adoptiva lassen sich derSache und der Schrift nach nicht trennen.

• Also muss die unica causa formalis iustificationis min-destens etwas mit der filiatio adoptiva zu tun haben.

WIE GENAU DIESER ZUSAMMENHANG IST und wel-che Nuancen und Zusammenhange zwischen Rechtfertigungund Adoptivkindschaft da sind, hangt von vielen Dingenab, die nicht mehr zum Glaubensgut gehoren sondern zumAuslegungsgut der Theologie• Man kann alles mogliche von Begriffen der Adoptions-

kindschaft annehmen.• Man kann sagen, dass sie etwas Geistig-Personales un-

mittelbar ware,• die Gnade nur ontologische Voraussetzung, usw. - Nicht

dass ich das glaube. -• Das sind keine sachlichen Probleme mehr. Es kommt

darauf an, dass man in sinnvoller Weise systematischzusammensieht und aufbaut die Daten der Offenbarunguber diesen Lehrpunkt.

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13.6 These 25 Adoptovkindschaft

13.6.1 Beweis

Kirchenlehre Nicht viel zu sagen.

In der Liturgie ist immer die Rede davon, Pfingstprafationz.B.

Trient 4. & 7. c. der sess. 6. Nicht ausfuhrlich aber doch dieSache gelehrt und als selbstverstandlich vorausgesetzt.

Gegen Bajus: Consortium divinae naturae ausdrucklich be-tont. Sagt im 42. Satz, adoptatur homo in filium dei.

Biblische Lehre: Nun ware es interessant, die biblische Lehre ge-nauer darzustellen, weil sie reich ist und viele Anwendungenmacht aus der

Grundidee der Sohnschaft aus Gnade

Diese Lehre hat große und lange Entwicklung hinter sich: DieVorstellung dass Gott der

• Vater ist in der Sapienzliteratur - des einzelnen Menschen-,wie sich von daher die Auffassung des einzelnen als Kindentwickelt,

• wieweit diese in der allgemeinen Religionsgeschlchte gege-ben ist - die Vorstellung Gottes als des Vaters: Konnen wirhier nicht genauer betrachten.

• Neutestamentlich: Die ganze Vorstellung von Gott als demVater und uns als den Kindern dieses himmlischen Vaters– bekommt eine neue, radikal vertiefte, nur noch in wei-

tem Sinne mit diesem zusammenhangende Inhaltlich-keit

– dadurch dass der Sohn erscheint und unsere Sohnschaftnun als participatio an der Sohnschaft dieses Sohnesdurch seinen Geist uns zugesprochen wird

– und dadurch etwas ganz Neues, Absolutes, Endgultigesin diesen Begriff der Sohnschaft hineinkommt.

• Damit ist nun auch, um das zu erwahnen, gegeben, und das• hangt zusammen mit dem Gesagten uber das Proprium der

Beziehung des Gerechtfertigten zu den drei gottlichen Per-sonen,

• dass bibel-theologisch trotz allem was Thomas und Suarezsagt, der Vater, dem wir Vater unser sagen, eben der Vaterin dar Trinitat ist.

Wenn wir wirklich ein proprium, ein nicht bloß appropriiertesVerhaltnis zu den drei Personen haben, kann man das gar nichtanders ausdrucken als so:

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

• Der Vater unseres Herrn Jesus Christus ist mein Vater.• - Naturlich dadurch dass er uns, indem er uns seinen Geist

verleiht, zu sich und ihm als unserem Bruder in ein neuesVerhaltnis setzt.– Insofern bedeutet unser Verhaltnis zu Gott dem trini-

tarischen Vater als unserem– eine besondere Beziehung zu dem Sohn und dem Geist.– Jede Beziehung ist von der anderen bedingt und kann

von ihr nicht getrennt werden.– Trotzdem sind die Beziehungen zu den drei Personen

nicht einfach Beziehungen zu der unbestimmten gottli-chen Natur,

– sondern sind nicht-appropriierte Beziehungen• und insofern brauche ich naturlich ein Wort, um die

Verschiedenheit dieser verschiedenen Beziehungen auszu-drucken,– jede in ihrer Eigenart zu charakterisieren,– und zwar ein Wort, das verkundigungsmaßig leicht zu

handhaben ist.• Dazu braucht man nicht weit gehen.

a) Nur die Schrift und ihre Aussageweise benutzen undb) sie ernst nehmen und nicht nachtraglich die Schriftspra-

che durch falsches Theologumenon einzuebnen,• die sagt: ich steige auf zu meinem Vater und eurem Vater.

Klar, dieser Vater ist sein Vater und unser Vater, nicht in glei-cher Weise, und dass Jesus unser Vater ist, davon steht nichtsin der Schrift.

• Ich kann Konzept der Vaterschaft bilden in monotheisti-schem Sinne vom Schopfergott: Dann ist klar, dass auchGeist und Logos unser Vater ist.

• So spricht die Bibel nicht. Sie begrundet unser Verhaltnisder Kindschaft nicht im Verhaltnis der Schopfermacht.

Naturlich sieht Jesus die vaterliche Liebe seines Vaters auch inder Natur am Werk.

• Deshalb kann er sagen: Der Vater im Himmel lasst regnenuber Gute und Bose - dass er die Lilien kleide, usw.,

• aber wenn man da die synoptische Theologie der Vater-schaft, die Jesus verkundet,

• die durchaus, - richtig verstanden - der Kern seiner Froh-botschaft ist,

• wenn mit dieser Botschaft der Sohn ins Evangelium kommt

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13.6 These 25 Adoptovkindschaft

und nicht aus dem Evangelium herauskommt, muss mansagen:Diese synoptische Vaterschaft ist deshalb, weil sie dem

Herrn auch erscheint und aufgeht in der Fursorge Gottesfur den Menschen auch im naturlichen Bereich

deshalb noch 1ange nicht eine bloß naturliche die des-halb in der selben Weise bibeltheologisch auch auf denSohn und Hl. Geist angewandt werden konnte.

Denn letztlich ist das, was Jesus sagt, dass dieser Gottder Gerichte , Gewitter, Unglucks,. des Totgeschlagen-Werdens durch den Sturz des Baumes,

dass das unser Vater ist, der uns liebt, so dass wir in sei-nen naturlichen Wohltaten ihn sehen konnen,

nicht etwas , was man in der gleichen Weise und Ver-trauenswurdigkeit auch ohne die Botschaft Jesu wusste,sondern

etwas, was Jesus der Sohn, der Gekreuzigte und Auf-erstandene uns nur sagt und sagen kann.

Er sagt es eben dann von seinem Vater, m.a.W, vonder ersten gottlichen Person.

Und dadurch dass er der Sohn sich mit uns gleichsam verbin-det, auch dort, wo er das nicht ausdrucklich sagt, weiß er vonGott als auch von unserem Vater,

• m.a.W. sein Vater ist auch SYNOPTISCH unser Vater• und nicht so ein allerwelts Gott, von dem wir auch unab-

hangig von Jesus etwas wussten,

M.a.W. Auch die synoptische Theologie ist, wie derdurchgangige Sprachgebrauch des N.T., derart dass ç jeìcund jeìc kaÈ pat r sowohl dort, wo von diesem Gott in Be-ziehung zu Jesus gesprochen wird, als auch wo in Beziehungzu uns gesprochen wird, die erste gottliche Person und sonstnichts. Dieser Sprachgebrauch ist kerygmatisch brauchbar und,wenn er nicht von falschem Theologumenon nivelliert wird,durchaus eine Terminologie, die unmittelbar zu nehmen ist, wiesie da ist, eine Ausdrucksweise, die unsere Beziehung als Kinderzum Vater unmittelbar ausdruckt in Tatsachlichkeit, Wesenund Unterschiedlichkeit zu dem Verhaltnis, das wir zum Sohnund Hl. Geist haben.

Wenn wir fragen, wie drucken wir denn biblisch unser Verhalt-nis zum Sohn aus: Er ist der kurioc, Herr, Bruder, Mittler, der-jenige der in uns wohnt, mit dem wir verbunden sind wie mit

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

unserem Haupte.

Und zum Hl.Geist: Er ist die Gabe, die uns der Vater durch denSohn gegeben, er ist unsere Heiligung, Salbung, der in uns woh-nende Hl. Geist, das pne uma, das uns gegeben ist, die Kraftdurch die der Sohn uns gegeben ist, durch den Sohn und imSohn der Vater.

Diese Dinge hangen zusammen. Das wodurch das eine zum We-sen seiner kommt, und zur Auswirkung, andert nichts daran ,dass es eine Trinitat gibt, die die heilsokonomische Trinitat ist,da diese immanente Trinitat in der okonomischen Trinitat istund umgekehrt, die Aussage die eine mit der anderen in Bezie-hung setzt, weil von jeder in eigener Art gesagt ist.

Uber das Wesen der filiatio adoptiva in der Schrift: im Kodex!

Kirchenvater und Theologen

Dass eine so ausdruckliche und leicht verstandliche und des-halb leicht verdunnbare Lehre und deistisch rationalistischmissverstandene Lehre immer in der ausdrucklichen Lehre, derKirchenvater und Theologen war, ist selbstverstandlich.

Gerechtfertigtwerden, Kind Gottes sein und bleiben, dement-sprechend leben, uber alle personlichen Erfahrungen zu glauben,hoffen, wissen,

zu bauen darauf dass Gott in Wahrheit unser Vater in unaus-denkbarer Nahe und Ernsthaftigkeit ist, ist die Quintessenz desChristentums uberhaupt. - Dazu ist nicht viel zu sagen.

Ratio Theologica Braucht man nicht lange weiter durchzunehmen.Man konnte noch sehr viele andere effectus formales gratiae

sanctificantis secundarii usw. anfuhren:Dass der Mensch Tempel Gottes ist, Erbe des Himmels ist, der

Vertraute Gottes ist, Mitburger der Heiligen,Glied Christi in radikalem Sinn, Glied der Kirche in radikalem

Sinn,nicht bloß außere Organisation sondern in innerem Sinn durch

den Hl. Geist der Kirche eingegliedert ist, dass er dadurchein vertieftes Verhaltnis zu den anderen Menschen bekommt,

dass erein Ansatzpunkt fur die Verklarung der Welt ist, dass er dasSubjekt von Glaube, Hoffnung, Liebe, einer verubernaturlichten

gottlichen Sittlichkeit ist, dass

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13.6 These 25 Adoptovkindschaft

er damit etwas mit der dìxa jeo u zu tun hat, - den Begriff desGerechten konnte man bibeltheologisch genauer analysieren.• Wenn die Schrift viele Worte hat, sind das• nicht Worte die dasselbe sagen,• sondern jedes hat sein Gewicht und seine Bedeutung, er-

ganzt das andere.• So konnte man in Theologie biblischer Art sehr vieles sagen:

Kann der Lesung der Schrift uberlassen werden.

Wir fangen das 7. Kapitel an in der nachsten Stunde, damit noch einigesuber die eingegossenen Tugenden gesagt wird.

28.5.1957. Vorlesung 68

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13 Gnade als Vergottlichung des Menschen

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14 Vergottlichung derFahigkeiten: EingegosseneTugenden

Wir beginnen das 7. Kapitel unseres Traktates uber die eingegossenen Tu-genden.

Naturlich bringen wir uber dieses Thema nur das Wichtigste, weil uberdie erste theologische Tugend, die des Glaubens, in einem eigenen Traktatdas Notige gesagt zu werden pflegt, weil das schwierig und wichtig und zueigenem Traktat ausgebaut worden ist. Deshalb handeln wir hier nur uberdie Existenz der eingegossenen theologischen Tugenden im Allgemeinenund ganz kurz uber die theologische Tugend der Hoffnung und der Liebe.Die erste These dieses Abschnitts heißt:

14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

These 26. Ad gratiam iustificationis pertinent tres virtutes theologi-cae fidei, spei, et caritatis, quae sunt dona supernaturalia creataphysice permanentia.

Die drei theologischen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung undder Liebe, die geschaffene, physisch dauernde, ubernatorlicheGaben sind, gehoren zur rechtfertigenden Gnade

14.1.1 Explicatio Tenoris

Also zur RECHTFERTIGENDEM Gnade. Wir drucken das so aus, umes von der heiligmachenden Gnade etwas abzusetzen.

• Zur rechtfertigenden Gnade gehort außer der heiligmachendenGnade im engeren Sinn

• insofern man sie nach dem Thomismus von den eingegossenenTugenden unterscheiden kann

• auch die drei eingegossenen theologischen Tugenden des Glau-bens, der Hoffnung und der Liebe,TUGENDEN, die aufzufassen sind als

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

reale, physische, dauernde Befahigungen des Menschen vonstreng ubernaturlicher Art, nicht nur der Modalitat nachsondern ihrem Wesen nach.

• Wir sagen es gibt DREI eingegossene theologische Tugendendrei und nicht mehr.Diese drei sind DONA PHYSICA PERMANENTIA und

zwarENTITATIVE ET SIMPLICITER SUPERNATURALIA,

– m.a.W. diese drei eingegossenen Tugenden sind von der-selben metaphysischen Wesensart,

– wie die heiligmachende Gnade selbst: donum physicumet physice permanens

– und wir haben von ihr, besonders auch fur die Rechtfer-tigungsgnade, bewiesen, dass sie eine eigentlich schlecht-hin ubernaturliche Gabe ihrem Wesen nach ist

– und nicht nur der Modalitat ihres Erwerbs nach, alsoentitative et simpliciter supernaturalis.

Diese Aussage hinsichtlich der strengen Ubernaturlichkeitmachen wir auch von diesen Tugenden des Glaubens, derHoffnung und der Liebe.

14.1.1.1 Begriffe

TUGEND (Einteilung)

Was Tugend im scholastischen Sinne ist, ist leicht verstandlich.Man unterscheidet bei einem Subjekt eine gewisse Qualitat.• Diese kann eine entitative und operative sein, und das (ope-

rative) ist dann eine Tugend,• und diese Tugenden konnen wieder sein simpliciter (morali-

sche) oder secundum quid (intellectuelle, ars, intellectuelleBefahigung, Fahigkeit Tisch zu machen, Fahrrad zu Fahren,Usw.)

Ich kann jede Tugend, die den Menschen sittlich qualifiziert,moralische Tugend nennen, oder Tugend schlechthin, dienicht bestimmte Fahigkeit, sondern den Menschen schlechthinvervollkommnet.

Diese moralische kann eine theologische oder moralische in en-gerem Sinn sein, je nachdem das Formalobjekt Gott selbst odernur endliche geschaffene Werthaftigkeit ist, bonum morale crea-tum oder Deus ipse.

Naturlich kann man solche Tugenden dann auch noch (alles Ge-sagte) distinguieren, je nachdem man im geschaffenen naturli-

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

chen oder ubernaturlichen Bereich ist.Dann auch die Tugend noch unterscheiden in acquisita und in-

fusa.

permanens=habitus

..............................................................................................................................................................................................

entitativa

operativa=virtus

..............................................................................................................................................................................................

simplicitert=moralis

secundum quid

theologica

moralis

............................................................................................................................

............................................................................................................................

acquisita

infusa

Subject−qualitas

Wenn diese operative, auf das Handeln ausgerichtete Befahi-gung sittlicher Art im ubernaturlichen Bereich sich befindetund nicht durch den Menschen von sich aus durch Ubungerreicht werden kann, sondern von Gott verliehen werden muss,wenn auch als verliehene wachsen kann, dann sprechen wir vonvirtus supernaturalis simpliciter talis infusa! Nicht so als obGott eine Gieskanne nimmt, den Deckel vom Kopf abnimmtund was reingießen wurde.

Habitus operativus bonus = virtus. Naturlich gibt es auch habi-tus operativus malus= vitium.

Virtus kann virtus SECUNDUM QUID sein: Kreuz Wortratselsehr leicht losen konnen - durch lange Ubung, Stadt an der Ost-see sehr schnell herauszubringen - macht den Menschen nichtschlechthin gut. Ist also bloß in einer bestimmten Hinsicht gut,so wie Mathematik zu konnen usw.

Virtus kann virtus SIMPLICITER TALIS sein. Diese simplicitertalis ist eine moralische Tugend.• Eine moralische Tugend heißt fur die Scholastik nicht ein-

fach, dass das Subjekt dieser Tugend der Wille sein muss.• Ein habitus operativus bonus simpliciter talis, also eine vir-

tus moralis, hat immer mit der freien Entscheidung desMenschen, der uber sich als ganzes verfugt, etwas zu tun.– Virtus moralis gibt es nur im Zusammenhang mit und

auf die freie Person hin.– Aber unmittelbarer Trager kann doch der Intellekt sein.– So ist z. B. der fides = habitus operativus bonus sim-

pliciter talis, also eine moralische Tugend,– aber eine solche, deren unmittelbarer Trager die geistige

Erkenntnisfahigkeit oder besser der Mensch insofern ergeistig erkennend ist, ist,

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

– freilich in freier Entscheidung geistig erkennend. -• Insofern kann virtus moralis als Trager den Intellekt oder

Willen haben.VIRTUS : moralis - theologica • Je nachdem solche virtus mo-

ralis im weiteren Sinn Gott selbst zum gemeinten intentio-nalen Ziel hat = virtus theologica

• und dort wo diese moralische Tugend, die den Menschenals Ganzen bestimmt, einen endlichen sittlichen Wert zumunmittelbaren Gegenstand hat– (z.B. den Menschen insofern er einer Unterstutzung von

mir wurdig ist,– insofern die Regeln der sozialen Ehrlichkeit beachtet

werden = verschiedene sittliche Tugenden im engerenSinn)

• hat man moralische Tugenden insofern sie von den theolo-gischen unterschieden werden.

Eine Tugend, solche sittliche Befahigung, Tuchtigkeit (selbesdeutsches Wort) hat nicht

jenes sauerliche, altmodische, verbogene an sich, wie es das sooft an sich zu haben scheint: Tugendbolde = da meinen wirdas Schlimmste von einem zu sagen, was man sagen kann, imvulgaren Sinn.

Tugend ist etwas Sinnvolles. Tugend sagt nicht, dass man die Tu-gend notwendigerweise haben musse, sie anstrebe, um sie zu ha-ben. Man kann die eingegossene Tugend der Liebe also haben,wenn man nicht sie sondern durch sie Gott sucht.

Tugend und Streben nach Tugend sind nicht notwendigerweisemit introvertiertem Egoismus und Seelenpflege verbunden.

Andererseits bedeutet das auch nicht, dass das unmoralischware.• Wenn sich einer sagt: Ich bin einer, der ohne mit der Wim-

per zu zucken schwindelt, sich aus unangenehmen Situatio-nen heraus laviert.

• Wenn er da sagt: Das ist Schweinerei, ich dressiere mich dar-aufhin, dass ich ehrlicher werde, bis ich mir die Gewohnheiterworben habe,

• dann ist dazu zu sagen: solches Tugendstreben ist anzuer-kennen.

Anerzogenes und Anerkampftes darf nicht verkannt werden, in-dem man sagt, das sei angeknobelt - was nicht ernsthaft in sei-nem Wesen gesehen wird, wo man nur tut, als ob es einen inter-essiert oder wo es nur muhsam gerade noch hergebracht wird.

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

Habitus: Dauernde gleichmaßige in ruhigen Besitz gekommene Quali-tat ist ein habitus.

Habitus operativus bonus ist etwas was man nicht von vornehereinhat und den es Sinn hat, sich zu erwerben.

Die meisten naturlichen Tugenden kann man erwerben, indemman nicht auf sie, sondern auf die gemeinte Sache hinsteuert.

Wer nur tugendhaft werden will und dem der Nachste gleichgul-tig ist, der wird nicht tugendhaft. Denn die Nachstenliebe be-steht ja darin, dass einem der Nachste uberall vorsteht.

Die meisten Tugenden bestehen darin, dass man aus sich weg-kommt. Aber darum kommt er gerade in die mit Tugend ge-meinte Zustandlichkeit.

Virtus: acquisita - infusa, per accidens - per se infusa

• Diese Tugend kann auf der Basis der Fahigkeiten durch Ubungerreicht werden = virtus acquisita, erworbene Tugend.

• Wenn diese Tugend tatsachlich nicht durch Ubung erworbenwurde, sondern das, was man an sich erwerben konnte durchein plotzliches Eingreifen Gottes da ist (denkbar ist das jeden-falls), dann spricht man von virtus per accidens infusa.

– Z. B. Wenn einer noch niemals fur Kreuzwortratsel sichinteressiert hat und Fluss in Australien nicht rausbringtund nicht geubt hat, eines Morgens aufwacht und genials-ter Kreuzwortratselloser ware, dann hatten wir eine Tugendsecundum quid, die man durch Ubung erreichen kann, dieaber hier per accidens von Gott gegeben ware. Das ist einevirtus per accidens infusa, nur modal ubernaturlich!

– Wenn aber dieser habitus operativus simpliciter talis dervon den naturlichen Fahigkeiten des Menschen allein auchdurch alle Ubung nicht im leisesten Ansatz erworbenwerden kann, sondern wo die Befahigung durch eine ArtNeuschopfung von Gott gegeben werden muss, dann ha-ben wir eine VIRTUS PER SE INFUSA oder INFU-SA (wenn man diese nicht meint, sagt man

”per accidens“

hinzu.)– Dass eine solche virtus per se infusa aus der Natur der Sache

heraus EINE UBERNATURLICHE TUGEND seinmuss, ist klar. Denn wenn sie es nicht ware, dann konnte ersie sich erwerben, dann ware sie nicht per se infusa.

– Virtus per se infusa und simpliciter supernaturalis hangenihrer Natur nach zusammen,

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Wir SAGEN IN der THESE: Es gibt drei Tugenden, die Gott selbstzum Formalobjekt haben (genauer spater!),

• die in diesem Sinne theologische Tugenden genannt werden,• die habitus operativus bonus moralis darstellen, den Menschen

als ganzen betreffen,• und zwar so dass sie dauernde und nur von Gott selbst verliehene

Fahigkeiten und Moglichkeiten sind,• die im eigentlichen und strikten Sinne ubernaturlich sind.

Das ist der Sinn dieser These! Damit ist eigentlich der Sinn der Theseschon gesagt.

An sich ist in dieses Netzwerk scholastischer Unterscheidungen, dienutzlich sind, nur das eingefangen, was, wenn wir durch sie in derFahigkeit sind auch die gemeinte und gesagte Sache selbst zu sagen,die in der Schrift der Sache nach selbst gegeben ist.

Dass es pÐstic, âlpÐc und �g�ph in der Schrift gibt, ist nicht zwei-felhaft. Paulus in allen Briefen.

Im Corintherbrief unterscheidet er. Auch dadurch dass er an an-deren Stellen deutlich merken lasst, dass diese drei eine Gruppefur sich bilden. -

Ihm ist von vorneherein dieser TERNAR bekannt. Er kehrt ein-mal die Reihenfolge um, zahlt einmal nur zwei auf, sagt einmalstatt âlpÐc auch nur Ípomon  =Durchhalten, was mit âlpÐc das-selbe ist,

aber es ist nicht bestreitbar, es gibt bei Paulus einen von anderenVerhaltensweisen abgegrenzten Ternar, der so genannt wird.

Jetzt kann man sich fragen: Warum sind das t� trÐa tauta?

• abgegrenzt von anderen Tugenden, die der Paulus auch kennt?so fragt der auf den Sprachgebrauch des N.T. reflektierendeTheologe, (warum ist dieser Ternar sinnvoll?)siehe weiter unten.

• Klar: Wenn ich nicht luge, respektiere ich den Mitmenschenund sein Recht auf Wahrheit. - Wenn ich die Schneider-rechnung bezahle, respektiere ich sein Recht auf Entgelt. -Wenn ich keusch bin, respektiere ich meine eigene Personoder die des Nachsten in seiner Geschlechtlichkeit. -

• Ich habe es also mit mir und dem Mitmenschen zu tun.

Mit wem habe ich es zu tun, wenn ich es mit pÐstic, âlpÐc und �g�phzu tun habe?

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

GLAUBE: Dass ich bei der pÐstic es mit Gott zu tun habe, an Gott,wegen Gott, auf Gott hin glaube, ist in der Schrift gesagt.Was mit der pÐstic gemeint ist, das ist die pÐstic auf das

Wort Gottes hin: er spricht, und ich glaube ihm, er ver-heißt, und ich nehme das Verheißene als Grundlage meinerErwartung an, weil er spricht, sich enthullt, zeigt.

Dass das Woraufhin auch Christus sein kann, andert nichtsdaran: Er ist der uns prasentwerdende Gott, in dem wir dasWort Gottes selber horen.

Die pÐstic hat sicher Gott zum Woraufhin, also scholastischzum Formalobjekt. Credo propter auctoritatem Dei, sagenwir.

Der Begriff des Formalobjekts bedeutet dann auch, eine ei-gentumliche• participatio an Gottes innerer Verhulltheit, Gerichtet-

heit:• Er offenbart sich in seiner uns sonst unzuganglichen Ge-

heimnishaftigkeit.• Er erzahlt nicht etwas von Atomphysik, sondern die

Mysteria, die in ihm verborgen sind,• sein Heilsratschluss, sein innertrinitarisches Leben, das

kein Mensch gesehen hat und sehen kann.Die pÐstic hat etwas ganz Besonderes mit Gott zu tun: in

verschiedensten Rucksichten: Darauf zielt sie, von ihmkommt Sie her, von seinem pne uma getragen, begrundet siebesondere Beziehung zu Gott, die wir sonst nicht hatten.

H0FFNUNG: Ahnlich ist es bei der âlpÐc. Biblisch gesehen ist dieseHoffnung, - kann man nicht auf einen Menschen setzen (alttes-tamentlich), nicht auf den Wagenfuhrer, Geldbeutel des Vaterssich verlassen.>ElpÐc die da gemeint ist, hat ganz deutlich Gott zum Ge-

genstand, Grundmotiv, in ganz eigentumlicher Weise, wieman nicht auf Menschen bauen darf.

Hier ist auch Gott nicht nur das Motiv, die Festigkeit oderetwas Ahnliches, sondern auch das Erhoffte. Spero a DeoDeum.

Im pne uma Gottes werde ich von meiner angsthaftenUnsicherheit befreit, so dass ich weiß, das eigentlichsteErhoffte, der Grund meines Heiles ist Gott und nichtsanderes.

So ist Gott in der âlpÐc, biblisch gesehen der, der in dieserâlpÐc in ganz eigentumlicher Weise als er und nur er an-

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

gezielt wird. Also auch da ist Gott Formalobjekt, in umfas-sendem Sinne gemeint,

LIEBE: Ebenso mit der �g�ph: Nach Worten Jesu und bei Paulusist der Begriff der �g�ph so, dass er den Nachsten mit in diese�g�ph hineinzieht.Und doch ist an vielen Stellen der Hl. Schrift (wenn auch,

nicht bei Ro. 5) deutlich: die �g�ph richtet sich auch aufGott.

Nicht nur auch auf Gott als eines der verschiedenenSubjekte personaler Axt, denen ich meine �g�ph schenkenkann, als ob ich sie auch jemand anderem schenken konnte.- Nein!

Schon rein terminologisch: Gibt es nur in Neutestamentli-cher Fachsprache. Kommt auch sonst vor, aber nicht mitso zentraler Bedeutung. Es gibt diese �g�ph neutestament-lich nur, weil Gott uns gegenuber seine �g�ph gezeigt undgeoffenbart hat.

Auch der Nachste ist der in �g�ph Geliebte, weil Gott unsin dieser ganz eigentumlichen Weise geliebt hat, und wir ihndarum so in �g�ph lieben konnen und darin den Nachsten.

Auch in der �g�ph ist Gott der, worauf sie geht, von dem siegetragen wird, der, der sie uberhaupt ermoglicht.

WENN WIR ALS0 FRAGEN: Warum ist dieser merkwurdige Ter-nar, der geschlossen ist, von der Sache her sinnvoll, so ist gemein-sam sagbar :Weil diese drei Verhaltungsweisen sich in eigentumlicher

Weise auf Gott beziehenund von Gott her kommen, von seiner Macht von seinem

sich den Menschen gegenuber Eroffnen getragen sind, -scholastisch: WEIL GOTT DAS FORMALOBJEKT IST!

GBGENPROBE! Ein auf der gleichen Ebene stehendes gleichursprungliches Verhalten des Menschen zu Gott neben undaußer diesem,

gibt es nicht und kann es von der Sache her nicht geben:Dieser Ternar ist in seiner Abgegrenztheit von der Schriftund Sache her berechtigt.

SPEKULATIV GENAUER:

Es gibt im Grund nur zwei Grundvollzuge des Geistes: ERKENNENund FEEIES JA DER LIEBE.

• Fur Theologen, trotz Haecker und anderen Leuten, geziemt es

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

sich nicht, so von ... her und mit neuer Psychologie von dreiGrundkraften zu reden: Erkennen, Wollen und Fuhlen. Das istmetaphysischer Unsinn, so modern sie in der modernen Psycho-logie sind.

• Warum kann man diesen Unsinn nicht mitmachen? Es musste inGott 4 Personen geben. Es gibt nur zwei Prozessionen, deshalbnur drei Personen, ursprungliche und entsprungene Personen inder einen und anderen Weise: durch die spiratio amoris und diedictio Verbi.

• Daraus ist fur einen vernunftigen Theologen klar, ganz gleichwie er das zerspalten kann, dass das Leben des Menschen alsAbbild des innertrinitarischen, nur zwei Grundvollzuge nabenkann: Erkenntnis und Liebe, - Freude, Wille: nur innerhalb des-sen.

Erkenntnis hat innere Dynamik: kann man Wille nennen. Jeder

gegluckte Selbstvollzug, ganz gleich ob Erkenntnis oder Liebe,hat etwas an sich, was wir Freude nennen konnen: Das sindModalitaten an den Grundvollzugen. Liebe ist innerlich gerichtet

und ist so Erkennen. Alles das hat zustandlichen Aspekt: Freude,Seligkeit des Gefuhls. -

Aber dort wo scheelerisch (Intentionale Gefuhle) von Intentiona-litat der Gefuhle zu sprechen ist,• haben wir Grundvollzug, wo der Mensch sich einer anderen

Person gibt oder offnet: Liebe, Freiheit,• scholastisch voluntas, intellectus (das ist nicht so wichtig.)• Jedenfalls: Diese Grundvollzuge gibt es und keine dritten.

Der Grundvollzug des freien Jas kann sich entweder auf -, kann letzt-lich getragen sein

vom Willen der Person insofern sie etwas anderes in der Bewe-gung auf sich hin will: Dann haben wir AMOR CONCU-PISCENTIAE,

oder getragen von jener Bewegung in der sich die Person aufdie andere offnet und sich ihr hingibt, also die andere so be-hauptet, wie man sich selbst behauptet (bejaht): dann habenwir AMOR BENEVOLENTIAE!Deshalb kann der zweite Grundvollzug - das freie Ja - ent-

weder Gott wollen indem er gewollt wird als die eigene Se-ligkeit, als eigener Heilsgrund des Daseins, dann haben wir: SPES

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

oder Gott kann gewollt sein so, dass der Mensch sich abso-lut in Liebe an diesen Gott hingibt, weil das die letzte undentscheidende Wertantwort auf ihn hin ist: AGAPAE.

Mit anderen Worten: Der Ternar, der uns von der Schrift angebotenwird,

• von ihr begreiflich gemacht wird insofern sie sagt, dass da Gottin ganz eigentumlicher Weise - anders wie bei anderen sittlichenVerhaltensweisen - das Woraufhin ist,

• erklart sich in seiner ternarischen Abgeschlossenheit aus demWesen der geistigen Person.

• Deutlicher: dass es sich um ubernaturliche Grundvollzuge han-delt und dass das ein habitus permanens infusus ist: nachher!

28.5.1957 Vorlesung 69 2.Stunde.

Repetition: Wir haben den Traktat”De virtutibus infusis“ angefangen.

• Wir sagten: - Die erste These lautet: Es existieren drei einge-gossene Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe,

• die von Gott eingegossene, von ihm verliehene dauernde Fahig-keiten ubernaturlichen Handelns, und selber ubernaturlicher Artsind,

• so dass von ihnen dasselbe ausgesagt werden kann,– wie von der heiligmachenden Gnade und– sie auch zur Rechtfertigungsgnade hinzugehoren.

• Ich hatte hinzufugen mussen in der letzten Stunde:– Dass nach Aussagen des trienter Konzils und wie es Recht-

fertigungsgnade und Liebe zusammenfasst und beinahe ter-minologisch zusammennimmt: klar dass Liebe und Recht-fertigung unzertrennlich verbunden sind, soweit sie nichtuberhaupt dasselbe sind.

– Auch klar dass die eingegossenen Tugenden des Glaubensund der Hoffnung im Menschen existieren konnen ohne dieRechtfertigungsgnade.

– Aber selbstverstandlich gilt nicht da Umgekehrte. Der Ge-rechtfertigte hat auch noch Glaube und Hoffnung. Sie wer-den als eingegossene habitus gegeben spatestens mit derRechtfertigungsgnade.

• Die Frage kann offen bleiben, in unserer These, ob nicht die ein-gegossenen Tugenden des Glaubens und der Hoffnung auch dem

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

Menschen gegeben werden konnen vor der Rechtfertigungsgna-de,

• dort wo er die entsprechenden, ubernaturlichen Akte des Glau-bens und der Hoffnung erweckt, was er vor der Rechtfertigungkann, ja in Vorbereitung auf die Rechtfertigung muss,

• denn es ist selbstverstandlich, dass es keine Rechtfertigung gibt,ohne ihre Vorbereitung

• und weil der Mensch Glaube nur als Rechtfertigungsakt erwe-cken kann, steht dem nichts im Wege, dass mit der Erweckungdieses Heilsaktes auch die eingegossene Tugend des Glaubensihm verliehen wird. Das halte ich fur das Richtige.

Wir landeten schon bei der Schriftlehre in der letzten Stunde.

Wir sagten, es gibt zweifellos in der Schrift einen Ternar, der nachder Meinung der Schrift abgegrenzt ist und offenbar darum auch,weil diese drei Grundverhaltungsweisen des Menschen sich gerade aufGott in besonderer Weise vollziehen und in diesem Sinne theologischeTugenden sind.

Weiterfuhrung:

14.1.1.2 SCHRIFTBEWEIS DASS DIESE TUGENDENEINGEGOSSENE TUGENDEN SIND

Nun ist auch nach der Lehre der Schrift ebenso klar, dass diese pÐstic,âlpÐc und �g�ph mit dem pne uma-Besitz etwas zu tun haben, Fruchtedes Geistes sind, in der Dynamis des Geistes geschehen, aus demGeist heraus geschehen, m.a.W, sie sind

Moglichkeiten eines ubernaturlichen Heilsvollzugs, die begrun-det sind in dem, was wir Rechtfertigungsgnade nennen kon-nen und mussen. und wir haben aber schon bewiesen, dass die-ser Pneumabesitz die geschaffene und ungeschaffene Gnade ein-schließend durchaus als eine realontologische und dauernde Be-gnadetheit des Menschen, also in diesem Sinn als habitus perma-nens aufgefasst werden muss, nach der Schrift, Neuschopfung,

dauernde den Menschen qualifizierende Qualitat der menschli-chen Natur, eine dauernde Einwohnung ist. Sie kann gar nichtanders als als dauernder habitus des Menschen aufgefasst wer-den.

Nun aber haben wir hier pne uma und pÐstic, âlpÐc und �g�ph, wel-che zweifellos (zunachst einmal bei Paulus) nicht unmittelbareinen habitus infusus bedeutet sondern Glauben Hoffen und Lie-

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

ben als Tat meinen. Aber sie gehen aus dem Pneuma hervor. Siesind moglich, weil der Mensch das pne uma hat. Dieses erleuch-tet den Menschen, ist die Salbung, die den Menschen zu einemvon Gott bekehrten macht. Bei Paulus und Johannes 1 Jh undAbschiedsreden.

Dieses Hoffen und diese Liebe geschehen in der dun�mic diesespne umas Gottes. Wir sehen: auf der einen Seite ist das, wasPaulus pne uma-Besitz nennt, etwas Aktives, nicht nur habitusentitativus sondern operativus, der sich darin außert.

Wenn und insofern wir nun das wahr sein lassen, dass eine dau-ernde in Tatigkeit ubergehende Zustandlichkeit, die sich inpÐstic, âlpÐc und �g�ph manifestiert, darin ihre Fruchte bringt,gibt und wenn wir dennoch mehr aus systematischen, metaphy-sischen Uberlegungen als aus der Schrift heraus einen Grundbe-sitz des Pneumas, Grundanteilnahme an der gottlichen Naturin der Art einer neu geschaffenen Natur und dem unmittelba-ren Konnen von pÐstic, âlpÐc und �g�ph aus dem pne uma herausunterscheiden wollen,

dann konnen wir in der Gnade im einen eine Grundhaltungsich verzweigende, ausbreitende Gnade und pneuma insofernes Fahigkeit verleiht, unterscheiden und dann das zweiteannehmen als habitus operativus.

Das nennt man eingegossene Tugenden.

Von da aus sieht man, dass die eine ubernaturliche Vergottlichungdes Menschen, je nachdem sie sich in den Fahigkeiten des Menschenausbreitet und von denen aus in verschiedene aktuelle Vollzuge desMenschen ubergeht in verschiedener Weise sich qualifiziert in spes,fides, caritas.

Der Sache nach ist immer gemeint die ubernaturliche pneumati-sche Grundfahigkeit, in der Rechtfertigung gegeben, insofern siesich im pluralen Wesen des Menschen, der verschiedene Fahig-keiten hat, in die verschiedenen Vollzuge und Richtungen desMenschen verzweigen kann in dem, was wir die verschiedenenhabitus nennen.

Diese verschiedenen habitus sind innerlich geeint, aus gemeinsa-mer Wurzel kommend vom Geist Gottes her, der den Menschenvergottlicht.

Die scholastische Theologie sagt: ich kann von einer Seite dieneu-schopferische Umwandlung, die Konstitution zum KindGottes in seinem Wesen nicht radikal, wurzelhaft genug anset-zen.

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

Halte ich metaphysisch fest, dass ich zwischen Substanz und Seelenfa-higkeiten unterscheiden muss, dass der

• Mensch ein plurales Wesen ist, dessen Fahigkeiten nicht mit derSubstanz identisch sind (philosophisch), dann ist klar dass wennich etwas solches habe, ich fragen muss

• betrifft es die Seelensubstanz oder die Potenzen des Menschensagt mir die Schrift: Participatio an der gottlichen Natur, neueKreatur im Grunde seiner Wirklichkeit dauernd qualifiziert undnicht nur oberflachlich,

• dann muss ich sagen: die Vergottlichung trifft auch die Substanz,aber selbstverstandlich, weil allein sinnlos, auch die Fahigkeiten.

• Weil Vergottlichung in der Natur (substantiellen Natur) und inden Fahigkeiten, und Natur und Fahigkeiten als real verschie-den angenommen werden muss,dann muss ich realontologische Verschiedenheit der Ver-

gottlichung der Natur undder Seelenfahigkeiten annehmen, sonst waren nicht beide

vergottlicht oder sie waren nicht verschieden.• Dann muss ich unterscheiden zwischen

ubernaturlicher Vergottlichung der Fahigkeiten: uberna-turliche Tugenden und

Vergottlichung des Seelengrundes der Natur des Menschenim engeren Sinn: heiligmachender Gnade.

Das Ganze kann man Rechtfertigungsgnade nennen undsagen: Rechtfertigungsgnade impliziert außer der heiligma-chenden Gnade auch die Potenzen und wird virtus infusaso genannt.– So besteht, trotz Realunterscheidug zwischen beiden

doch ein enges Verhaltnis, ist ein dauerndes Entsprin-gen, ontologisches Heraussetzen dieser Fahigkeiten inder geistigen Natur des Menschen gegeben.

– Dieses innige Verhaltnis, in dem sich die Natur in diePotenzen hinein vollzieht und darin die Potenzen inein-ander gehalten werden in naturhafter Perichorese sichdurchdringen, dieses Verhaltnis waltet auch zwischenheiligmachender Gnade und eingegossenen Tugenden.

Wenn man sagt: das kann nicht sein, Glaube und Hoff-nung kann existieren auch wenn heiligmachende Gnadenicht mehr existiert,– Dann ist darauf grob zu sagen: in dem Sinn, in dem man

Glaube und Hoffnung als eingegossene Tugend noch be-

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

sitzt, in dem Sinn besitzt man auch die heiligmachendeGnade.∗ Man nennt diesen Besitz erst heiligmachende Gnade

mit Recht,∗ wenn der Mensch ganz geheiligt ist,∗ wenn er auch die eingegossene Tugend der Caritas

hat.– Wenn sie sagen: das ist doch klar nach Katechismus und

Trient, dass man durch schwere Sunde die heiligmachen-de Gnade verliert:∗ Selbstverstandlich verliert man sie. Das Verlieren be-

deutert aber nicht, dass das einfach schlechthin wegist sondern bedeutet, dass diese eine und dieselbeandrangende Wirklichkeit des gnadigen Gottes vomMenschen in einer existentiell verschiedenen Intensi-tat akzeptiert werden kann.

∗ Wenn die ubernaturliche Moglichkeit, die Gott an-bietet, nur in einem intellectuellen fur wahr Haltenakzeptiert wird: eingegossene Tugend des Glaubens.

∗ Wenn dieselbe existentiell radikaler angenommenwird, kann sich diese im Menschen so einwurzeln, dasswir dieses so Vollzogene Tugend der Hoffnung nennen.

Und wenn er radikal diese wirklich annimmt, heißt das ein-gegossene Tugend der Liebe samt der Rechtfertigungschlechthin: heiligmachende Gnade.

Spater kommen wir vielleicht noch mal darauf zuruck. Ein-fache Einsicht: was in metaphysischer, scholastischer Termi-nologie ausgedruckt von virtus als habitus operativus bonusentitativus, realis, physicus:

ist in der Schrift in anderer Terminologie auch gesagt ist: dadurchdass der Mensch das gottliche Pneuma als ihn selbst umwandelndeWirklichkeit besitzt, ist er dauernd in der Moglichkeit zu glauben,hoffen, lieben: pÐstic, âlpÐc und �g�ph aus der Kraft des gottlichenPneumas heraus zu tun.

Dasselbe wie wenn wir sagen: eingegossene Tugenden.

Wir haben schon bewiesen: dieser pneumatische Grundzustand dermenschlichen Natur ist etwas Dauerndes und Realontologisches, undvon dem wird gesagt: in dessen Kraft geglaubt, gehofft und Gottgeliebt als Vollzuge, die im Pneuma Gottes geschehen, also mitanderen Worten: dasselbe.

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

14.1.2 Adversarii

Nur dort wo die realontologische ubernaturliche habituelle Wirklich-keit der heiligmachenden Gnade geleugnet wird dort werden kon-sequent auch die eingegossenen Tugenden geleugnet.

Umgekehrt, wo die heiligmachende Gnade im vorgetragenen Sinn kon-zipiert wird, gibt es keine ernsthaften Bestreiter der eingegossenenTugenden.

Also sind sie Adversarii dieselben wie bei der These uber die heiligma-chende Gnade: Aufklarungs-Theologen, Leute, die die Ubernaturlich-keit nicht verstanden haben, weil sie im Grunde das ganze Heilswirkendes Menschen auf die bloße Beobachtung der Gebote unter Hilfe einerGnade reduziert haben.

14.1.3 Qualificatio der These:

Genauer konnte man unterscheiden: praktisch vielleicht noch nicht ge-rade definiert, aber so deutlich in Trient gelehrt, das es temere ware,daran zu zweifeln.

Die These ist theologisch sicher, in Einzelfragen nicht, aber der Sachenach sicher.

Dass es solche eingegossenen Tugenden gibt ist in Trient genau so ge-sagt wie die Existenz der Rechtfertigungsgnade. Man kann sagen: defide ex magisterio ordinario.

Die Ubernaturlichkeit der eingegossenen Tugenden ist auch nicht inthesi definiert, aber das Konzil Vaticanum 1 spricht von ubernaturli-cher Tugend des Glaubens, meint nicht bloß ubernaturlich hinsicht-lich des geglaubten Objekts sondern auch des Glaubensprinzips alssubjektives Prinzip.

Die dona werden eingegossen. Von Glaube, Hoffnung und Liebe ist dieRede. Wenn heiligmachende Gnade entitativ und simpliziter uber-naturlich ist, dann kann ich weder von der Schrift, noch von Trient,noch vom Vaticanum her zweifeln, dass diese Ubernaturlichkeit auchmit den eingegossenen Tugenden zu tun hat.

Denn das ware eine Qualitat rein entitativer Art, die unbewusst seinmusste, von der man nicht einsehen konnte, was sie in personalem,geistigen Wesen uberhaupt zu tun hat,

nicht einsehbar, was die Gnade fur einen Sinn hatte, wenn sie sichnicht fortsetzt, in Aktivitat ubergeht, in habitus und Akte. Mit an-deren Worten, die Ubernaturlichkeit der Gnade und der Tugendenist die gleiche.

Dass es drei und nicht mehr und nicht weniger gibt, ist so selbstver-

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

standlich in der Tradition, das ist so selbstverstandlich von Trientvorausgesetzt, das daran auch zu sehen ist: es ist theologisch sicher.• Naturlich ist die Dreiteilung nicht wie Pickel, Schaufel, Sage von-

einander getrennt. Glaube, Hoffnung, Liebe als Grundvollzugedes Menschen, in alle moglichen Taten des Menschen eintretenkonnend.

• Der Geist des Menschen ist sehr flexibles, von unendlicher Bieg-samkeit, was sich dauernd verwandelt.

• Kann bei bleibenden Grundvollzugen sich dauernd verwandelnund auch die Tugenden alle moglichen Weisen annehmen kon-nend

• und diese auch wieder unterscheidbar. Das ist damit nicht ge-leugnet, dass es nur drei sind.

14.1.4 Beweis aus Lehramt der Kirche (kurz)

Trient 7.c sess.6 wird das von den eingegossenen Tugend gelehrt, waswir eben gesagt haben. Dort ist nicht mit dieser Terminologie gearbei-tet habitus operativus bonus, sondern mit schlichterer Terminologiesachlich das gleiche gesagt:

Eingießen, verleihen, inhaerere nach der Terminologie der damaligenZeit etwas Dauerndes gemeint, physisch Reales: in der These uberdie seinshafte Realitat der heiligmachenden Gnade schon behandelt.Brauchen wir nicht wiederholen.

Dass in der damnatio Baji die Ubernaturlichkeit der habitus antont ir-gendwie, ist auch noch zusagen.

14.1.4.1 PP

In der Patristik: das was wir in der These ausdrucklich behaupten auch da.

14.1.4.2 R.th.

Es knupfen sich in der theologischen Erorterung an diese Dinge nochverschiedene Fragen an uber den Zusammenhang zwischen eingegos-senen Tugenden und visio beatifica. Der Sache nach haben wir davonauch schon gesprochen.

Alle Heilsgnade ist notwendig und wesentlich und schlechthin uberna-turlich, weil der Mensch einerseits auf ubernaturliches Ziel der visiobeatifica hingeordnet und anderseits dieses Ziel durch diesem Zielkonnaturales Verhalten erreichen soll und darum sein Ziel erreichensoll als seine Tat, so sehr es ihm geschenkt ist.

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

[Wenn das Ziel etwas ist, was die Fahigkeiten des Menschen sprengtund eindeutig transzendiert, dann kann die Ermoglichung solcherHeilsakte nur geschehen, indem der Mensch uber seine Natur erhobenwird im Hinblick auf diese Heilsakte. Und wenn diese ubernaturlicheErhohung als dauernde in der Offenbarung vorkommt, heißt das, erhat die gratia sanctificans und entsprechende habitus operativi boni,die aus der Natur der Sache heraus dauernde und physische habitussein mussen.

Dass die Moglichkeit fur Akte gegeben wird, die selbst Verwandt-schaft mit der visio beatifica haben, und diese Tugenden wirklich aufdas ubernaturliche Ziel hinlenkt, und wenn Gott das ubernaturlicheZiel ist, und wenn diese Tugenden mit Gott zu tun haben, dannsieht man wieder: diese drei sind insofern sie den Gott ubernaturli-chen Lebens meinen, von anderen Tugenden und Verhaltensweisenabgegrenzt und werden mit Recht theologische Tugenden genannt.

Versteht sich von selbst dass wenn diese Tugenden per se infusaesind, wenn Gott also nicht nur sie gibt, obwohl man sie auch selbsterwerben konnte, von sich mit seinen Kraften her, dann ist auch klar,dass das Grund-Wesen dieser Tugenden nicht so sehr das leicht undfreudig, ungehemmt Etwas-tun-Konnen bedeuten,

sondern die Fahigkeit zu diesem Tun selbst erst geben. Dass es sichdabei nicht um ein posse bene agere sondern omnino agere posse,man kann es uberhaupt nur in der Kraft des gottlichen Geistes. In-sofern kommen diese per se eingegossenen ubernaturlichen Tugendenauf Grund ihres Wesens beinahe mehr mit Potenz als mit habitusoperativus bonus einer Potenz uberein. Bei den ubernaturlichen Tu-genden gibt uns Gott das Konnen und das gut und leicht Konnen.

Das Entscheidende ist das uberhaupt Konnen. Man kann es ohne sieuberhaupt nicht.

”Kann“ ist nicht sich Anknobelnkonnen, sonderm

absolut nur als freies Geschenk empfangenes Konnen.

Dann kann man freilich diese Fahigkeit wachsen lassen und sich andiese Fahigkeit assimilieren.

Man kann im ubernaturlichen Leben zunehmen durch seine eigenenAkte, zu virtus per se infusa eine facilitas, virtus acquisita dazu er-werben, wie das in der Aszese geschehen sollte.

Was wir fruher einmal uber die

Notwendigkeit einer gratia increata gesagt haben, wenn uberhauptvon wirklicher Vergottlichung des Menschen die Rede sein soll, vom

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Mysterium stricte dictum, von participatio an Gott in ordine advisionem beatificam, das da geschehene muss auch in virtus infusa,dass Gott den Vollzug mittragt selbstverstandlich, wenn begriffenwie ubernaturliche Rechtfertigungs-Gnade und eingegossene Tugen-den miteinander eng zusammenhangen - selbe Wirklichkeit auf zweiverschiedenen Stufen, der der Natur und der der Fahigkeiten sind.Aus der Uberlegung daruber, wie das eigentliche des Glaubens, derHoffnung und der Liebe ein Tun ist, das man nur kann, indem esGott mit seiner Wirklichkeit mittut: gratia increata konnte hierdurchaus auch am Werk gesehen werden.

Wann werden sie eingegossen: daruber haben wir schon gesprochen.Liebe und Rechtfertigungsgnade treten notwendigerweise miteinan-der auf: der liebt bekommt die Rechtfertigung. Dass Glaube undHoffnung fruher eingegossen werden kann, daruber besteht nicht Ein-mutigkeit in der Theologie. Wir haben schon gesagt und angedeutet,wie wir das vernunftigerweise verstehen konnten.

Bekannte Frage die zwischen Suarez, Bellarmin und Thomas strittigist, ist im Grunde auch schon behandelt:

ob caritas und Rechtfertigungsgnade dasselbe sind. Wir konnen unsan Thomas halten, vorausgesetzt dass es einleuchtet, dass die Sub-stanz der Seele und die Potenz der Seele real verschieden sind. Potenzund Substanz verhalten sich wie Substanz und Akzidens. Wenn derganze Mensch in Pluralitat vergottlicht ist, bleibt nichts ubrig alszu sagen, die Vergottlichung des Willens insofern er von der Seelen-substanz verschieden ist, ist Caritas, und die der Seelensubstanz alsverschieden von den Potenzen ist heiligmachende Gnade.

Dass das Verhaltnis dieser zueinander selbst sehr innig ist, und derWille mit dem Grund der Person sehr viel zu tun hat, und dass dasauch gilt von der heiligmachenden Gnade, ich auch klar.

Dann die eingegossenen moralischen Tugenden und die dona SpiritusSancti: damit werden wir das nachste Mal weiterfahren.

31.5.1957 Vorlesung 70

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

14.1.5 Moralische Tugenden, Gaben des Hl.Geistes

14.1.5.1 Gibt es auch eingegossene moralische Tugenden

Wir haben die erste These uber die eingegossenen Tugenden durch-genommen, dass es drei eingegossene theologische Tugenden, desGlaubens, der Hoffnung und der Liebe gibt, die streng ubernatur-liche, realontologische Fahigkeiten, habitus sind. Daran schließt sichgewohnlich die Frage an,

ob es auch eingegossene moralische Tugenden gibt. Wenn wir dieSchrift anschauen, muss man diese Frage bejahen. Die Erfullung derGebote auf sich und auf die Umwelt hin, ist nach der Lehre der Schriftvom Pneuma Gottes getragen, ist Auswirkung des ubernaturlichenLebens des Menschen, das durch die Mitteilung des Geistes begrundetist. Er wandelt im Geiste, nicht nur das Verhaltnis zu Gott, sonderner begreift sein Verhaltnis zu den Mitmenschen, Werden, geschlecht-liches Leben als Auswirkungen des Geistes Gottes.

Da sich dieser Geist auswirkt auf den ganzen Umfang des religiossittlichen Lebens des Menschen in allen Dimensionen, dauerndesPrinzip dieses Lebens in seinen verschiedenen Vollzugen ist, diedabei modifiziert sind: in diesem Sinne gibt es auch moralischeeingegossene Tugenden. Daran kann kein Zweifel sein.

Wie viele gibt es? Diese Frage kann man nicht beantworten. Denndie Welt, der gegenuber er sich glaubend, hoffend, liebend, artiku-lierend und modifizierend auf die Vielfalt dieser Welt verhalt, istmannigfaltig und groß und bedarf immer wieder anderen sittlichenreligiosen Tuns. Wie man diese Mannigfaltigkeit von Verhaltun-gen zur Welt des Menschen klassifiziert, auf gewisse Grundtypenzuruckfuhrt, ist gleich.

Der Heilige Geist in seiner Kraft und Gnade tut sich nicht schwerohne diese Klassifikation in seinem Treiben, Werben, Begeistern sichdiesen Situationen anzupassen. Da in diesem ubernaturlichen, sittli-chen Leben des Menschen, auf sich, auf seine Umwelt hin die uber-naturlichen Tugenden des Glaubens, Hoffens, Liebens auch betatigtsind, da sein sittliches Tun getragen ist von den Grundhaltungen aufGott, die ubernaturliche, theologische Tugenden sind, ist selbstver-standlich. Denn er wird sie in der Welt als das weltliche Wesen alsauf Gott bezogener betatigen.

In den eingegossenen moralischen Tugenden werden

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

auch die theologischen Tugenden eingesetzt. Wenn jemand sagt, esgibt keine moralischen eingegossenen Tugenden, sondern dadurch,zu diesem Tun auch auf die Welt hin genugen auch die theologi-schen Tugenden, sagt er nichts anderes, sondern druckt denselbenSachverhalt auch aus - im Grunde nur verbale Verschiedenheit, - vor-ausgesetzt dass die theologischen Tugenden auch auf die Welt hinausstrahlen und im auf die Welt extravertierten Menschen auch dieWelt mitnehmen.

Also es gibt von theologischen Tugenden getragene sittliche Vermo-gen und Tugenden, die es dem Menschen ermoglichen seine Grund-Begnadigung auch in seinem sittlichen Leben, in den Einzelheitendieses Lebens in die Welt hinein zu realisieren.

14.1.5.2 Was sind die Gaben des Hl.Geistes

Es ware vielleicht noch etwas zu sagen uber die Gaben des HeiligenGeistes (Is.11) Fulle des Geistes die uber den Messias ausgegossenwird. Dadurch geschildert dass dieser Geist als Geist verschiedenerVerhaltensweisen geschildert wird. Sechs Verhaltensweisen, Tugen-den, Gaben, in Septuaginta zu sieben, weil eine als siebente doppeltubersetzt wird.

Da wir von Christus Gabe um Gabe bekommen, ist es berechtigt, die-se Gaben auch von den gerechtfertigten Gliedern des Hauptes auszu-sagen, stromen uber auf die gerechtfertigten Glieder des Leibes vomHaupt. Damit ist noch nicht viel gesagt. Dass wir Geist der From-migkeit usw. haben und haben mussen.

Die Frage ist die, wie verhalten sich diese Gaben zu unserer Gnade,vollen Rechtfertigung mit den Gnaden und Gaben, die wir schonmit der Tradition bewiesen haben: den eingegossenen theologischenTugenden und den moralischen Tugenden?

Wenn man die Schrift allein fur sich unbefangen nimmt, kame manzum Schluss: hier ist nur

in anderer Weise, die auch moglich ist, dasselbe Gnadenlebengeschildert, wie auch sonst mit anderen Begriffen und Wortengeschildert. Sittliches Verhalten lasst sich mit verschiedenen Be-griffen und Tugenden, Verhaltensweisen schildern. Terminologieder verschiedenen Volker, Zeiten, Entwicklungsstufen bietet eineunubersehbare Menge von Gesichtspunkten usw., die man auf dasubernaturliche Gnadenleben anwenden kann.

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14.1 These 26 Glaube Hoffnung Liebe

Nun ist doch die Tradition, wenn auch nicht verbindliche GlaubensLehre, dazu gekommen, die sieben Gaben des Geistes doch irgendwievor den eingegossenen Tugenden, wie sonst in anderer Systematik(man unterscheidet gewohnlich, ausgehend von den vier Kardinaltu-genden, und diese wieder einteilend hat Thomas ein ganzes Systemvon Tugenden moralischer Art entworfen bis Eutropia und anderenschonen Dingen).

Man unterscheidet traditionell die Gaben des Heiligen Geistes von denmoralischen und theologischen Tugenden. Das Problem entsteht: wieunterscheiden sie sich? Darin sind die Theologen uneins. Fur man-che nur Klassifikation besonders intensiver Akte des ubernaturlichenTugendlebens.

Andere und Thomas fassen die Gaben des Geistes als besondere Gna-den habitus auf, die dem Gerechten außer den eingegossenen Tugen-den gegeben werden.

Frage: wir unterscheiden sich diese habitus infusi donorum von denhabitus infusarum virtutum? Dazu gibt es verschiedene Theorien.

Man kann dieses auffassen als eine Art Empfangsantennen, Fahigkeitder raschen und intensiven Aufnahme von hoheren, an den Rand derMystik reichenden Impulsen des Heiligen Geistes. Der einzelne Christ(R8) wird man zugeben mussen, ist nicht nur einer, der einen Kodexvon Prinzipien in die Hand bekommen hat und im Buchel nachschau-en muss, was er zu tun hat, in Noldin usw.. Sondern der Christ istdaruber hinaus ein Mensch, der vom Geist Gottes getrieben, ange-regt, erleuchtet werden soll. Merkt er nichts, ist es seine eigene Schuldoder er stellt sich etwas anderes vor, sucht, was er nicht findet, undubersieht das, was er finden wurde, wenn er nicht daran vorbeisehenwurde. Es ist vieles in der Seele, was da ist, und man doch nicht zuhaben meint. Das gilt auch bei dem ubernaturlichen Leben.

Insofern der Christ ein von Gottes Geist getriebener ist, erleuchtet, ge-salbt, belehrt Gottes unmittelbarer Schuler - wie die Schrift sagt -(obwohl die Theologen das nicht horen wollen, weil sie meinen, dieSchulmeister, sie waren die adaquaten Stellvertreter des lieben Got-tes und er musste schweigen vorlaufig, weil sie das Wort hatten) weiles solchen Impuls Gottes auf den einzelnen gibt, ist es sinnvoll zusagen, der Mensch hat an und fur sich als der Gerechtfertigte dieFahigkeit (wieweit sie entwickelt ist, ist eine andere Frage), solcheImpulse Gottes aufzunehmen, zu empfangen, darauf richtig zu rea-gieren. So was kann man, wenn man will, mit diesen Begriffen der

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

dona in Verbindung bringen.

Wenn einer sagt: das ist exegetisch an den Haaren herbeigezogen,dann sage ich: schon, im Grunde ist das gleichgultig, denn dieSache, die Thomas unter diese Nomenklatur bringt, gibt es danndoch irgendwie. Denn dass es das gibt, dass der Mensch eine Emp-fanglichkeit durch die Rechtfertigung hat, kann man nicht leugnen,ob man das dona Spiritus Sancti nennt oder anderes, so und socharakterisiert, ist gleichgultig.

Immerhin konnen die dona so inhaltlich gefullt dazu benutzt werden,auf diese Seite des christlichen Gnadenlebens aufmerksam zu machen.Man kann also an Pfingsten uber diese Gaben des Geistes predigenoder betrachten, ohne auf ein Gebiet zu gehen, von dem man nichtweiß, ob es sie gibt. Was Thomas und die Aszetiker und Mystikerda sagen, das gibt es sicher. Ob das unter dona Spiritus Sancti sub-sumiert wird oder nicht, andert an diesen Dingen der Sache nachnichts.

14.2 These 27 Hoffnung

These 27 Obiectum materiale primarium spei theologicae est Deusbeatitudine supernaturali possidendus, secundarium sunt omniamedia ad hunc finem. Obiectum formale quod est bonitas Deirelativa, formale quo omnipotentia Dei auxiliatrix.

Das primare Materialobjekt der Hoffnung als theologischer Tu-gend ist Gott, der durch ubernaturliche Seligkeit zu besitzensein wird, das sekundare sind alle Mittel zu diesem Ziel. DasFormalobjekt quod ist die relative Gute Gottes, das quo ist diehelfende Allmacht Gottes.

Zweiter Teil: Theologische Tugenden im einzelnen.

Da der Glaube als eingegossene Tugend einen eigenen Traktatbildet, kommen wir fuglich gleich zur eingegossenen Tugend derHoffnung.Jedes intentionale Verhalten des Menschen hat intentionale

und subjektive Seite,kann intentional und entitativ betrachtet werden (jeder

Akt).• Was von den Tugenden von der Subjektseite her ge-

sagt werden kann, ist gesagt:

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14.2 These 27 Hoffnung

donum reale physicum abactibus distinctum enti-tative et simpliciter su-pernaturale et ideo iusti-ficatum posse intelligereet velle prouti Deo ex-clusive proprium est. In-quantum est iam inchoa-tio - etsi abscondita ad-huc velata in velamine fi-dei - vitae beatae et ae-ternae.

Sie sind eine reale, physische,von den Akten verschiedeneGabe, seinshaft und schlecht-hin ubernaturlich, durch dieder Gerechtfertigte erkennenund wollen kann, wie es Gottausschließlich eigen ist. Inso-fern ist es schon der Anfangdes seligen und ewigen Le-bens, wenn auch verborgenund noch verhullt im Schleierdes Glaubens

• Man konnte naturlich ausgehend von diesen Bestim-mungen des subjektiven Aktes, des eingegossenenhabitus, der eingegossenen Tugenden von da aus auf dieBeschreibung der intentionalen Seite dieses Akteskommen.

• Das ware moglich, setzt aber einige Dinge voraus, diewir noch nicht bewiesen haben, und die umstritten sind.– Theorien, wie sich intentionale und realontologische

Seite zueinander verhalten.– Entitative Erhobenheit des Menschen, inwieweit die-

se eine bewusste Gegenstandlichkeit im Be-wusstsein hat, in seiner seinsmaßigen Erhobenheitoder nicht. Man ist sich in der Theologie darubernicht einig. Diese Frage behandeln wir spater, set-zen wir hier nicht voraus.

• Deshalb beschreiben wir die Hoffnung indem wir gleichunmittelbar von der Erfahrung und der Schriftauf die intentionale Seite diese Hoffnung ubergehenund

• den spekulativen Anmarsch zu dieser intentiona-len Beschreibung des Aktes der Hoffnung von seinerseinshaften Seite her vermeiden.

Was im Allgemeinen Hoffnung ist, das weiß jeder Mensch, dernicht ganz blode ist.• Wir wissen, das geistige Leben des Menschen hat zwei

Grundvollzuge,1. Erkenntnis und die andere Seite:2. Wille oder Liebe oder Stellungnahme oder wertendes

Verhalten oder wie man es auch nennen will, daraufkommt es nicht an.

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

• Zweifellos gehort die Hoffnung in den zweiten Grundvollzugdes geistigen Daseins des Menschen.– Solcher Grundvollzug kann naturlich, so wie die Er-

kenntnis, sinnlich und geistig sein kann,– so ist auch der voluntas sinnlich und geistig moglich.

• Dass die Hoffnung, um die es bei uns geht, dazu (zeigt aufSkizze) (zum appetitus intellectualis) gehort ist selbstver-standlich: Teil des voluntas spiritualis.

Geist qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqErkennen

Liebenamor benevolentiae

amor concupiscentiae

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqSolchen Akt auf Seiten des geistigen Willens, den kann man naturlich

Liebe nennen. Jetzt: eine solche Liebe kann man in verschiedensterWeise entwickeln. Wie ich das mache, ist nicht das allein selig ma-chende.

• Geistiger Wille ist als Akt der geistigen Person, der als freierAkt wesentlich auf Grund der Freiheit und Geistigkeit des Akteswesentlich einen transzendentalen Horizont hat, istwesentlich ein Akt, der die eigene Person einsetzt, derwesentlich im eigenen Grundgefuge immer und uberall ei-

ne Person meint.• Weil das ein personaler Akt ist als geistig freie Stellungnahme,

ist das immer ein Akt auf Person hin im Grund.– Es ist nicht gut spekulativ, wenn man den Willen von vor-

neherein als indifferentes Vermogen betrachtet, das sichmit Rettich und mit dem lieben Gott und mit sich selbstbefasst.

– Ein Akt der geistig ist und frei ist, ist immer ein Akt, derim Grunde einer geistigen Person entspringt und immer mitihr grundsatzlich zu tun hat.

• Solcher Akt hat auf der einen Seite immermit der eigenen Person zu tun und hat immermit dem absoluten Horizont der Transzendenz, immerwenigstens implizit mit Gott zu tun. Er ist in dem Sinnimmer ein theologischer und ein subjekthafter subjektiver

Akt,und das ist naturlich in einer transzendental impliziten

Weise auf jeden Fall da.• Aber dieser Akt kann sich auch explizit mit der eigenen Per-

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14.2 These 27 Hoffnung

son beschaftigen,die eigene Person gegenstandlich, zum Gegenstand, reflex

und ausdrucklich in gegenstandlicher Weise zum Gegen-stand dieses Aktes machen,

oder sie kann eine andere Person zum Gegenstand eines sol-chen personalen Aktes machen.– Dieser reflexe Gegenstand ist dann wiederum Gott– oder eine andere geistige Person - Mitmensch oder En-

gel. -Nur insofern in diesem Gefuge nun auch andere Gegen-

standlichkeiten eine Bedeutung haben, kommen sie fureinen geistigen personalen Akt des Menschen inFrage.– Z. B. wenn ich mich will: ich bin ein Wesen, das auch

einen Magen hat.– Dann kann ich in diesem Akt und aus diesem heraus

wegen meines Willens als Person– auch mit einem Glas Bier mich beschaftigen oder mit

was Ahnlichem.• Jetzt insofern ein Akt personaler subjektiver Art mit dem impli-

ziten ungegenstandlichen Horizont Gott sich mit dem Subjektselbst, mit dem eigenen Ego oder mit anderer geistiger Personbeschaftigt, ist solch ein Aktimmer und notwendig ein sittlicher oder unsittlicher (sitt-

lich bedeutsamer) Akt oder actus circa bonum honestum:geistige Person des Menschen, Gottes, ego, ist als Person,

wenn auch nicht unendlich, so doch absoluter Wert,weil es ein Wert ist, der sich selbst begreift: also indirecte

oder directe actus moralis honestus oder inhonestus.– Die Person will in ihrem eigenen Grundakt immer, in-

dem sie implizit nach Gott verlangt,– implizit auch sich selbst, aber– wesentlich auch explizit kann sie eine fremde Person

wollen.Denn ein solcher Grund-Akt (wichtig fur die Frage

des Wesens der Liebe) istnicht deshalb ein Grundakt, weil er mich als mit mir

identisch will,sondern weil er mich als geistige Person will.

Von anderer Seite: die beruhmte Frage des Egoismus. Wo ist manegoistisch und wo nicht? Warum man, wenn man sich liebt, nicht

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

notwendig egoistisch ist, und warum man seine Seele retten darf,

• beruht auf dem Missverstandnis, ein Akt sei egoistisch, weiler seine Person suche und

• nur altruistisch, wenn die gesuchte Person eine andere ist.– In Wirklichkeit ist der Geist eine Fahigkeit, die das Ansich

einer personalen Wirklichkeit bejahen kann,– in diesem Sinn objektiv sein kann,

∗ und so objektiv sich∗ und in gleicher Weise anderem gegenuber treten kann.

– Das Tier ist nicht egoistisch, es kann sich nicht objektivierenund auf dieser Basis sich suchen.∗ Das Tier ist so unschuldig mit seiner Subjektivitat iden-

tisch, da es sie nicht objektivieren kann,∗ dass es nicht in schlechtes Verhaltnis zu dem Wert, der

man selber ist, kommen kann.– Weil der Geist transzendental ist, kann er die andere Person

und sich selbst als das absolut So-Seiende sehen und beja-hen, wenn er etwas anderes will in der (berechtigten) Beja-hung seiner selbst, zu dem er einen eigentlichen Grundaktdes amor hat.∗ Noch was anderes vorher: jeder Akt wirklich geistig frei-

er objektivierender Transzendenz zu einer Person istder Grundakt des Menschen insofern amor schlechthin:amor benevolentiae.

∗ Man kann sich objektiv mit wahrem echtem amor bene-volentiae lieben, sich lieben als der der man ist als Per-son, die man in ihrer objektiven Wertigkeit sieht unddeshalb auch so zu verantworten hat, wie sie ist.

∗ In Antwort die die Person, die in diesem Falle die eigeneist, gelten lasst, als das, was sie ist.

∗ Das ist personale Liebe, amor benevolentiae, die man zusich haben kann: Liebe des Wohlwollens, und deshalbauch zu anderen haben kann und haben muss.

– Dass wegen der Liebe zu Gott, wegen der immanent tran-szendentalen Anwesenheit Gottes in jedem geistigen Aktdieser Amor benevolentiae noch in besonderer Weise gege-ben ist, davon ist im Augenblick nicht zu reden, das mussbei genauerer Analyse des religiosen Aktes im engeren Sinnbehandelt werden.

– Sie sehen, dass die Person als Subjekt im amor benevo-lentiae entweder sich selbst, das eigene Ego, oder fremde

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14.2 These 27 Hoffnung

Person lieben kann.

Dort aber nun, wo ich in dem Grundakt des amor benevolentiae zumir selber etwas will und suche als Ermoglichung meiner berech-tigten objektiven sachlich richtigen Selbstliebe, also etwas andereswill, spricht man von amor concupiscentiae. Ich weiß nicht, obdie normale Scholastik das so aufzieht, bin aber uberzeugt, dass mandas so sehen muss, wenn man nicht in merkwurdige Schwierigkeitenkommen will.

• Weil ich mich im amor benevolentiae, der mit Egoismus nichtszu tun hat, nicht nur selbst lieben darf sondern muss - ich darfmir gegenuber nicht unobjektiver sein - darum

• darf ich in dieser legitimen Liebe zu mir selbst, kann ich vielessuchen, erstreben, wollen, was zur Begrundung und Sicherungzum Heil dieser meiner Person notwendig ist, obwohl es vondieser Person verschieden ist.

• Jener Wille zu diesen Wirklichkeiten personaler oder sachlicherArt, dieser Wille zu diesen Wirklichkeiten, die die Vorausset-zung, Begrundung, Sicherung usw. meiner eigenen personalenWirklichkeit ist, den nennt man amor concupiscentiae, Lie-be des Begehrens: ich begehre etwas anderes fur mich.Dieses Bejahen meiner selbst, das durchaus legitim ist, zum

Wesensvollzug des Seins selbst gehort, dort wo Person ist,ist sie die sich selbst bejahende, die sich dort am meistenbejaht, wo sie Gott bejaht.

Und da bejaht sie sich selbst als das Seiende, das eksta-tisch auf Gott ausgerichtet ist, und in dieser ekstatischenTranszendenz das eigene Wesen vollzieht, das substare,das in sich selber Standigkeit der Kreatur ist, das aus sichheraus standig sein auf Gott selbst hin (beim Geist) ist.

Dort nun, wo ich in diesem amor concupiscentiae nach ei-nem noch ausstandigen, aus der amor benevolentiae zureigenen Person einen noch ausstandigen und schwer zuerreichenden, nicht absolut schon gesicherten Wert als Er-moglichung fur mich und mein Heil selber verlange und su-che, vollziehe ich den Akt der Hoffnung.

Hoffnung noch im allgemeinen, noch nicht auf Gott bezo-gen, ist nichts anderes– als jener Akt, der in einer geistigen Selbstbehauptung

einer wirklichen personalen Liebe zur eigenen Person– auf eine mit dieser Person fur das Sein und das Heil

dieser Person vorgreift,

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

– das noch ausstandig und schwer zu erlangen ist,– mit dem ruhigen Vertrauen, dass dieses noch ausstan-

dige heilssichernde Gut noch erreicht werden kann.Actus amoris concupiscentiae in bonum futurum et arduum

actus fiducialis gegen desperatio. Von da aus werden wirsehen, was die theologische Tugend der Hoffnung auf Gottselbst ist.

4.6.1957 Vorlesung 71

1. Wir stehen bei der These uber die theologische Tugend der Hoff-nung im allgemeinen,

2. bei dem Beweis der Existenz der theologische Tugenden,3. die einen eigenen Grund in den ubernaturlichen Verhaltenswei-

sen darin hat,4. dass sie sich vor den anderen dadurch unterscheiden, dass ihr

Formalobjekt Gott selbst sei.a) Wir haben letztesmal davon gesprochen, wie der Mensch ein

wollendes, liebendes, Wert bejahendes letztlich absolutenWert eines geistigen personalen bejahendes Wesen ist undsich verhalt.

b) Dieses Verhalten kann sich auf die eigene Person beziehen,die als Wert Objekt aufgenommen wird und so als Sittlichesaufgenommen werden kann.

c) Es ist nicht dadurch sittlich, dass es der andere ist,d) sondern dadurch dass es sich in der richtigen Weise auf bo-

num honestum bezieht und dieses in richtiger Weise bejaht.i. Sittliche Werte sind absolute Werte.ii. Absoluter Wert ist nur der Personwert.iii. Alles andere nur insofern es in den Akt der Bejahung

einer Person, der eigenen oder einer anderen, hineinge-zogen wird, weil der andere Gegenstand als Vorausset-zung, Folge usw. dieser Person gesehen und gewollt ist.A. Infolgedessen kann der Mensch sich beziehen auf die

andere Person, Engel, Mensch, Gott. Oder auf sichselbst.

B. In allen diesen Fallen hat man amor benevolentiae,Liebe des Wohlwollens.

iv. Wenn und insofern nun der Mensch in der Liebe desWohlwollens zu sich selbst etwas anderes als Voraus-setzung mit Umweltbedingung usw. dieses Selbstverhal-

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14.2 These 27 Hoffnung

tens zu sich selbst in einer Liebe des Wohlwollens be-jaht,

v. setzt er einen Akt des amor concupiscentiae, der begehrtetwas von sich Verschiedenes als Mittel (im weitestenSinn, was nicht Unterordnung sein muss) seiner eigenenPerson.

5. Dort wo wir eine Liebe des Begehrens, die getragen ist von dersittlich legitimen selbst Bejahung in diesem amor benevolentiaezur eigenen Person haben wir

ein begehrendes Lieben, das sich auf Gott richtet, insofern er das ei-gene absolute Heil der eigenen Person ist, wo er in dieser begehrendenLiebe er selber, wenn auch als unser Gut gewollt wird, und zwar alsdas noch ausstehende, schwierig zu erlangende Gut begehrt wird mitdem Vertrauen, dass es erlangt werden kann, haben wir die uberna-turliche Tugend der Hoffnung.

• Es handelt sich um die Tugend der Hoffnung, weil diese amorconcupiscentiae in Deum propter amorem benevolentiae in pro-priam personam

• zunachst nicht die Caritas ist, denn diese liebt Gott um seinerselbst willen und fur ihn, nicht fur uns.

• Es handelt sich umgekehrt bei diesem amor concupiscentiaenoch um in einer weiteren Hinsicht ausstehendes endgultig zuerlangendes Gut, um ein schwierig zu erlangendes, wo das Ver-trauen, es erlangen zu konnen, dabei sein muss, dass man eserlangt.

• Es handelt sich um Hoffnung, ein Streben, das nicht in Verzweif-lung ausartet, des Heils, in die Aufgabe der Aussicht dieses ansich notwendige Gut erlangen zu konnen: insofern um Hoffnung.

Bei jedem intentionalen Akt, der sich auf personalen Wert richtetkann man unterscheiden zwischen Materialobjekt und Formalobjekt.

• Jeder Gegenstand - endlicher oder unendlicher - Gott mit Wert-fulle hat viele Eigentumlichkeiten und deshalb Gesichtspunkteunter denen das erstrebt wird. Insofern alle diese unterscheid-baren Gesichtspunkte, alle Werte eines und desselben sind,kann man konkret etwas nur erstreben, indem man es als Ganzeserstrebt, es mit Haut und Haaren in Kauf nimmt. Welches istdas, was erstrebt wird mit all dem, durch welches es konstitu-iert wird: Materialobjekt. Wenn ich Rettich essen will: Rettichmit allem was dazugehort, Farbe, Saft usw. ist das Material-objekt.

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

• Aber der Mensch erstrebt dieses Materialobjekt unter bestimm-tem Gesichtspunkt, besonders dort wo er es fur sich erstrebt.Dieses muss eine Eigentumlichkeit am Objekt selbst sein, aberder Aspekt unter dem das totale (materiale) Objekt eines Stre-bens erstrebt wird, nennt man Formalobjekt.

• Bei der ubernaturlichen Hoffnung und der Liebe muss Gott dasMaterial und Formalobjekt sein, sonst ist es nicht theologischeTugend.

– Das was dem Akt seine eigentumliche Struktur gibt, mussGott selbst sein, aber

– naturlich unter einem Gesichtspunkt unter dem in demamor benevolentiae zur eigenen Person Gott erstrebt wer-den kann.

• Nun wird Gott als Materialobjekt erstrebt, er als der Ganzenaturlich. Denn er als der Ganze, mit all dem, was er ist und hat,kann ja eben der Grund, die Voraussetzung, der Inhalt unserereigenen Seligkeit sein:

– alles an Gott kann Materialobjekt sein fur jene ErstrebungGottes in dem Akt des eigenen Auslangens nach der eigenenSeligkeit.

– Insofern sagen wir, ist Deus beatitudine supernaturali pos-sidendus das Materialobjekt.

– Naturliches Materialobjekt bis zu gewissem Grad auch ge-nauer determiniert. Man kann sich fragen, ob das nichtschon zum Formalobjekt wird.

• Aber ich kann Gott auch unter anderen Rucksichten erstreben:wenn ich, ohne Seligkeit erlangen zu wollen, Gott anrufe, imToto zu gewinnen:

– dann nicht mit der theologischen Tugend der Hoffnung er-strebt, sondern zwar Gott als mein Gut gewollt,

– aber nicht in der spezifischen Weise, dass dieser Gott dasvon mir erstrebte Gut der ubernaturlichen Tugend der Hoff-nung wurde.

– Insofern ist es sinnvoll, Gott als ubernaturliches Heils-Gutewigen Besitzes durch visio beatifica als Materialobjekt an-zusprechen.

• Wenn ich frage, unter welchem Gesichtspunkt strebe ich diesesGut an,

– dann frage ich noch in engerem Sinn hinsichtlich des For-malobjekts

– beachte dass da das Material- und Formalobjekt nicht aus-einander fallen mussen. Sie konnen material identisch sein.

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14.2 These 27 Hoffnung

– Es kann in einem Fall so und im anderen so sein. In unseremFall fallen sie material nicht auseinander.∗ Wer schwarzen Johannesbeersaft nur trinkt wegen der

Vitamine,∗ die man von der Farbe und dem Geschmack trennen

konnte,∗ hat Formalobjekt, das materiell trennbar ware. So ist es

bei Gott nicht.

Bei Objektum formale ist quod und quo unterscheidbar. In vielenFalle ist diese Unterscheidung nicht sinnvoll sondern eine Subtilitat.Hier hat es Sinn. Warum?

• Bei der Hoffnung konnen wir das Wunschen des Gutes und dasVertrauen, dieses Gut zu erhalten, unterscheiden.

– Auch der, der verzweifelt an irgend etwas (im Examendurchzukommen, wunscht ja immer noch, durchzukom-men).

– Wer schlechterdings daran desinteressiert ware, von demkonnte man nicht sagen, dass er verzweifelt ist. Zur Hoff-nung im eigentlichen Sinn gehort nicht nur der Wunsch, dasGut zu haben,

– sondern auch das Vertrauen, das Gut zu erlangen: positivruhige Zuversicht, es kommt auch, was ich erhoffe.

• Weil in der Hoffnung das doppelte Element: Vertrauen undWunsch, kann ich im Formalobjekt diese zwei Seiten unterschei-den:1. die die macht, dass ich dieses Material Objekt begehre2. Und das was macht im Gut, dass ich dann Vertrauen habe,

das Gut zu erlangen.– In unserem Falle ist der Grund, warum ich vertraue, dass

ich dieses erlange, letztlich in Gott und nicht in mir be-grundet. Es geht um ein Gut, das sich mir schenken mussund nicht um etwas, das erobert werden muss, wie manRettich aus dem Boden ziehen muss, kann und sagenkann: dich habe ich.

– Bei Gott und bei anderer Person: immer im Entgegen-kommen der anderen Person begrundet. Diese muss sichanvertrauen, muss dafur sorgen, das mein Akt, der sichauf die andere Person bezieht, gelingt.

• Dialogisch aufgebauter Akt: Gott kann ich mit Vertrauen nuranstreben, wenn in Gott etwas ist, was das Vertrauen, ihn zuerlangen, begrundet. Darum kann ich in Gott unterscheiden:

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

– der formale Gesichtspunkt, warum er mein Heil ist, mei-ne ubernaturliche Seligkeit, Heilsbegrundung definitive Artvon mir selbst,

– der ich als bedurftiges, ekstatisches Seiendes wesentlich vonanderem abhangig bin, um selbst das werden zu konnen,was ich bin.

– Gott ist das, was meine Begrundung und Rettung ist.Und was in ihm macht, dass ich diese Rettung auch erlangen

kann, und deshalb auch macht, dass mein Verlangen zumZiel kommt.

So ist das Objektum formale quod dasjenige an einem Wert(personlicher oder nicht ist verschieden) was ihn an sich furmich begehrenswert macht.

quo: dasjenige was macht, dass dieser Wert, den das furmich hatte auch wirklich mir zukommen kann, eine Pro-portion fur mich hat, usw.

Naturlich sind in anderen Fallen diese Gesichtspunkte sonahe beisammen, dass sie nicht unterschieden werdenmussen. Bei uns kann man sie unterscheiden.

Der Sinn der These ist also klar: Objektum formale quod .. quo... secun-darium. Man muss zwischen

objectum formale primarium und secundarium unterscheiden.

Secundarium ist, was sich in dieses mit allen Konsequenzen be-trachtete Materialobjekt einordnet. Wenn ich nach Gott als mei-ner Daseins Erfullung verlange, kann ich gar nicht anders, alsnach all dem zu verlangen, was die Erreichung dieses Ziels er-moglicht.

Nach der Natur einer Kreatur ist es nun so, dass man, um nachGott zu verlangen und zu streben, man tatsachlich auch nachanderem streben muss, was nicht er selbst in Person ist.

Wenn er mir gebietet, die Taufe zu empfangen, Sunden zu bereu-en, in der Kirche zu sein usw., wenn das Voraussetzungen sind,um Gott als meine Seligkeit zu erlangen, dann kann ich sinnvollnur auf Gott hinstreben, indem ich auch nach diesem Anderenauslange.

Deshalb objectum formale secundarium sunt omnia media ad hunc fi-nem. (sekundares Formalobjekt sind alle Mittel zu diesem Ziel). Dasklingt trocken und abstrakt. Aber wenn man verstanden hat, was dasheißt, ist implizit gesagt, was im Fundament (der Exerzitien) gesagt

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14.2 These 27 Hoffnung

ist, zum Gebrauch der Mittel zum Ziel, zu dem der Mensch geschaffenist.

Man kann aus dieser These die großartige Hierarchisierungund Finalisierung des Menschen ableiten.• Er ist vielseitig, fur Gott, fur seinen Magen, fur Matrizen-

rechnung usw. interessiert er sich.• Er ist plural. Er ist zwar durch all das hindurch getrieben,

der Korb der auf allen Meeren getrieben und keine Ordnunghat, aber

Muss man sagen: objektiv haben alle diese Dinge, weil alle vonGott ausgehend und auf ihn hingeordnet, auf ihn, der nicht nurdurch das Medium der pluralen Dinge hindurch besessen werdensoll,

haben alle diese Dinge Finalitat. Aber diese muss in steigendemMaße• vom Menschen nachvollzogen werden, ratifiziert werden,• so dass er immer mehr alles, was ihm begegnet• auch durch die ubernaturliche Tugend der Hoffnung

als obiectum materiale secundarium sieht, durchleuchtet und somanifestiert.• Denn nicht alles, was da ist, ist deshalb schon in seiner

Dienstfunktion auf das ubernaturliche Ziel gesehen und ge-handhabt.

• Alle Dinge mussen in ihrer Funktion gesehen werden• und dazu gehort die ubernaturliche Tugend der Hoffnung,

die es fertig bringen soll, alle Dinge fur diese Finalisierungauf den Gott des ubernaturlichen Lebens hin einzuordnen.

Insofern sehen sie dann dadurch, wenn wir durchdenken, was esheißt: ubernaturliche Hoffnung,wenn wir uns erinnern, dass diese nur geschehen und vollzo-

gen werden kann mit der heiligmachenden Gnade,wenn wir uns erinnern, dass diese adaquat und in vollem

Zustand mit Caritas, Glaube heiligmachender Gnade ge-geben ist, wo sie bei ihrem eigenen Wesen angekommen ist.

Wenn ich fur diese ubernaturliche Hoffnung, die geschaffe-ne und ubernaturliche ungeschaffene Gnade voraussetze,wird actualisiert: dass wir imstande sind in der Tugend derHoffnung

diese heterogene unfinalisierte Welt so zu nehmen, dasssie wirklich in Gott hinein durch Gott selbst finalisiertwird.

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Denn wir konnen ubernaturlich die Tugend nur haben,indem Gott selbst das Prinzip dieses finalisierenden Han-delns wird.

So kann man noch deutlicher sehen, was eigentlich das heißt, wenn tro-cken gesagt wird: omnia media ad hunc finem konnen als objektumsecundarium in diese Tugend aufgenommen werden.

Man konnte in solchem Zusammenhang den

personalistischen und dialogischen Charakter der Hoffnung deutlichmachen und zeigen, was Großartiges eigentlich gesagt wird, wenngesagt wird, dass ich gleichsam mit den Dingen der Welt zu Gottkomme.

Dass ich sie auf ihn und diese personliche Gemeinschaft mit ihmfinalisieren kann, dass sie dadurch eine Relativitat bekommen,aber in dieser Relativitat auf Gott Aug in Auge und Herz in Herzhin hineingenommen,

eine Bedeutung bekommen und Große, die sie sonst nie habenkonnten in dieser Relativitat.

Alle Dinge entlarven sich so, wenn er nicht wusste, dass er sie hin-einnehmen kann und darf, wurden sich alle als leer, endlich ent-larven, in Sackgassen hinein rennen,

ihr immanentes Prinzip des fad und langweilig Werdens an sichist aushaltbar fur den Geist des Menschen, den sie

nur fur den Menschen der Transzendentalitat hat und auf Gotthin ist, hatten sie nur quellen- und ziellosen Charakter.

Aber dadurch dass alle diese obiectum secundarium spei wer-den konnen, kann das, wie Sorge sagt, mit Lobgesang zu Gottgetragen werden.

Dass das obiectum formale quod die bonitas relativa Dei ist, die GuteGottes selbst in sich, insofern sie fur uns gut ist, das ist klar.

Dass damit keine materiale Distinktion zwischen objectum ma-teriale und formale gesagt ist, haben wir schon gesagt.

Gute heißt nicht einzelne Eigenschaft neben anderen sondernGutheit samtlicher Eigenschaften Gott. Er als der Getreue,Wahre, Alllichte, Allmachtige, Gewaltige, Unbegreifliche:

in allen seinen Eigenschaften ist er gut. Denn alles Seiende unddas absolute Seiende in der Fulle seines Seins ist in jeder Hinsichtgut, und wie die ubernaturliche Tugend der Hoffnung zeigt,

auch in allem fur uns gut, auch in seiner Unbegreiflichkeit.

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14.2 These 27 Hoffnung

Bonitas Dei relativa als objectum formale der Tugend der spesbesagt: Gott in seiner namenlosen Fulle seines Wesens ist unserMaterialobjekt.

Denn das Formalobjekt der spes bonitas relativa Dei deckt

• jede Eigentumlichkeit Gottes,• alles was Materialobjekt sein kann, in sich und fur uns,• der ganze Gott in seiner Fulle als unser ewiges Ziel und Heil ist

Gegenstand der Hoffnung.

Und dann kommt noch die Aussage: Objectum formale quo ist diezur Hilfe bereite Macht Gottes.

Wenn wir von Allmacht sprechen denken wir daran leider, dassGott Baume machen kann und den Elefanten noch hundert Malgroßer als er schon ist, und Atombomben auch machen konnte,die noch großer ist als die Superbombe. Aber das ist nicht derentscheidende Bereich der Allmacht.

Sondern seine Allmacht besteht in radikalerem Sinn darin, dasser freies geistiges Wesen in seine eigene Freiheit, Verantwortlich-keit, und Unzuruckfuhrbarkeit stellen kann und sie doch als dasvon ihm Verfugbare behalten kann, und

dass diese Allmacht uns hilfreich und gnadig ist: das begrundetdie Tugend der Hoffnung, insofern sie das gelassene Vertrauenauf Gott ist.

Hier waren naturlich nun (nicht genauer) vielleicht Fragen zu stellenhinsichtlich der genauen Natur dieses hoffenden Vertrauens und ver-trauenden Hoffens.

• Wir sagen mit Recht, insofern es sich um die ubernaturliche Tu-gend der Hoffnung handelt, insofern diese auf Gott, seine Macht,Allmacht, Bereitschaft zu helfen, seine Gute, seinen Ruf zu sichals unserem Ziel, seinen allgemeinen Heilswillen bewegt,

• ist diese Tugend der Hoffnung als solche von absoluter Sicher-heit. Das durfen und mussen wir sagen.

– Und wenn und insofern der Luther bei seiner fides fiducia-lis eigentlich das gemeint hatte und gesagt hatte, hatte erdurchaus recht.∗ Diese Ungeheuerlichkeit eines solchen Vertrauens auf

Gott zu betonen, den Christen einzuscharfen, dass dasnicht Selbstverstandlichkeit ist.

∗ Dass das nur Selbstverstandlichkeit sein kann im holli-schen Feuer der Heilsangst des Sunders,

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

∗ der in sich radikal gar keinen Grund zu diesem Vertrau-en finden kann und darin sich erproben muss.· Wenn Luther das dem Christen seiner Zeit, der in der

Versuchung war, sich gegen Gott abzuschirmen,· oder es selbstverstandlich zu finden, dass Gott der

gnadige und barmherzige ist (auch fur Pharisaer),· wenn er zeigen wollte, dass diese Kraft gar nicht ab-

solut genug sich auf Gott verlassen kann, dann warealles in Ordnung gewesen.

– Falsch bei Luther ist nur, dass er die Tendenz hatte,∗ einerseits die intellektuelle Glaubensgewissheit gegen-

uber der Botschaft Gottes, die uns objektive Wirklich-keiten verkundet und offenbart,

∗ mit dieser ganz anders gearteten Hoffnungsgewissheit ineinen Topf zu werfen.· Der Mensch ist aber in dieser Hinsicht ein plurales

Wesen,· muss es sein und Mut haben, es zu sein, und das ist,· sich in der Verschiedenheit dieser Elemente lassen und

sich sagen,· dass er den Paroxismus einer Identitatsmystik in sei-

nem Wesen nicht haben kann.• Das Vertrauen auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist etwas

Anderes als der assensus firmus des Geistes, der auf die Wahrheitstrebt.Der Mensch ist der, der die Wahrheit an sich erkennt und

erkennen kann, undda wo er sich-offenbarendem-Gott gegenubersteht, auf

diese Wahrheit ausgerichtet ist. Diese Objektivitat seinesWahrheitswillens und Erkennens ist etwas

anderes als die auch zum Menschen gehorende geistigeSelbstbehauptung, in dem er Gott die Ehre gibt,

den Mut hat, die Kreatur zu sein und sein zu wollen.• Aber weil das nicht dasselbe ist, gibt es certitudo dogmatica und

die andere certitudo (Hoffnungsgewissheit) der spes.– Dazu kommt, dass hinsichtlich der existentiellen Selbstbe-

hauptung der Mensch nicht das mit sich selbst identischeWesen sein darf, und

– deshalb der Mensch gelassen die Pluralitat seines Verhaltensauf sich nehmen muss. Er hat nie alles in einem, er kann sichnie so unifizieren, dass er nur total in einem Akt leben kannund muss.

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14.3 These 28 Liebe

– Er muss immer durch vieles hindurchgehen. Er muss einmalsich freuen, einmal sich angstigen. Usw..∗ Deshalb gibt es neben der certitudo und firmitas der

theologischen Tugend der spes∗ den anderen Akt der Heilsfurcht im Blick auf sich selbst

und seine noch nicht adaquat in Gott hinein geretteteFreiheit.

– Weil der Mensch das plurale Wesen ist, und sein muss, unddadurch dass er bereit ist, das zu sein, Gott die Ehre gibt,der da ist,∗ darum gibt es neben der spes Dei benevoli et auxiliatoris

noch∗ die Furcht und das Zittern im Blick auf unsere eigene

Schwache, Hohlheit usw..– Da ist das zweite, was der Luther in einer neurotischen

Heilsangst nicht mehr wahrhaben wollte,∗ dass der Mensch selbst im Vertrauen auf Gott noch ein-

mal Kreatur sein muss, und so sich in der Aufgipfelung,Erectio annimmt, noch Mal der gelassene sein muss,

∗ der Gott nicht in seine Hand bringen will, der pluralesein muss,

∗ der hofft und sich daneben furchtet auf sein eigenes Heil.– Das ist der zweite Aspekt, der beachtet werden muss bei

der spes im Unterschied der reformatorischen Lehre.

Morgen machen wir kurz die These zu Ende. Das Positive konnensie selbst nachlesen. Dann gehen wir gleich an die These uber dietheologische Tugend der Liebe.

5.6.1957 Vorlesung 72

14.3 These 28 Liebe

Wir wollen gleich zur These 28 ubergehen, die der vorausgehenden Theseparallel ist.

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

These 28. Obiectum formale caritatis theologicae est bonitas Dei ab-soluta, qua sibi ipsi et quidem secundum modum ei soli naturali-ter proprium est bonus. Obiectum materiale primarium est Deus,secundarium creatura rationalis actu vel potentia beatitudinemsupernaturalem participans.

Das Formalobjekt der theologischen Liebe ist die absolute Gut-heit Gottes durch die er fur sich selbst und zwar nach der vonNatur nur ihm eigenen Weise gut ist. Das primare Materialob-jekt ist Gott, das sekundare die vernunftige Kreatur insofern siewirklich oder der Moglichkeit nach an der ubernaturlichen Selig-keit teilhat.

14.3.1 Intentionale Struktur der Liebe

In der vorausgehenden These haben wir von der intentionalen Seite derHoffnung her die theologische Tugend der Hoffnung beschrieben. Dasselbewollen wir nun hinsichtlich der theologischen Tugend der Liebe tun.

14.3.1.1 Liebe religioser Akt schlechthin

• Insofern selbstverstandlich diese theologische Tugend der Liebe inihrem Akt nach christlicher Lehre, des Evangeliums, der Worte desHerrn und Paulus 1Co13 der religiose Akt in Vollendung schlecht-hin ist, und deshalb weil er das ist, in der unmittelbarsten Weise vorGott und sein Geheimnis selbst bringt und den Menschen total ac-tualisiert im Grunde seines Wesens, ist ein solcher Akt im Geheimnisder Bestimmung des Menschen auf Gott hin mit ihm identisch.

• Er muss in ubernaturliche Sphare getragen, alles in sich enthalten,was es gibt: den Menschen, sein Erkennen und Wollen, seine Ge-schichtlichkeit, seine Verwiesenheit auf Christus, die reale Prasenz inder Welt von ihm. Muss auch im Tun des Christentums, muss vonpersonaler Struktur sein.

• Hat nicht nur gegenstandliche Struktur, in dem wir an den begriff-lich gegenstandlich gemachten Gott denken, und auf ihn insofern unsbeziehen, er hat die Unmittelbarkeit eines tranzendentalen Aktes aufGott und eines in der Gnade selbst auf Gott erhohten Aktes usw.

– Was wir vom Akt der Liebe sagen konnen, ist nur das Primi-tivste, unmittelbar Greifbarste, das wodurch er sich von anderenangebbar reflex unterscheidet.

– Aber nicht den Eindruck als ob wir von anderem Akt, der nebenanderen vorhanden ware, sprechen: es ist der religiose Grundaktdes Menschen uberhaupt.

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14.3 These 28 Liebe

– Im Grunde muss das eingerechnet und stillschweigend vorausge-setzt werden, was von seinem Herzen her, von Gott und seinemGeheimnis her, von der Transzendenz des Menschen her, von derdialogischen Struktur des geistigen Lebens uberhaupt her, vonder ubernaturlichen Erhobenheit dieses Aktes von ihm gesagtwerden musste.

14.3.1.2 Formalobjekt der Liebe

Das Formalobjekt der theologischen Tugend der Liebe ist die absolu-te Gutheit Gottes in der und durch die Gott fur sich selbst und insich und fur sich absolut gut ist, die der personale Wert schlechthinist. Und zwar damit

bezeichnen wir das Objektum formale quo: in der Weise wird dieserGott in sich und fur sich in dem amor complacentiae et benevolen-tiae, wie er in einer Weise fur sich gut ist, die ihm im Unterschied zujeder bloßen Kreatur zukommt,

und in dem er sich in der Dimension der ubernaturlichen Gnade undseligen Lebens der Kreatur erschlossen hat, um Liebe Gottes in ihmund fur ihn selbst, wie sie nur in der Dimension der Gnade moglichist.• Damit unterscheiden wir diese Caritas als theologische uberna-

turliche Tugend von geistiger personaler Liebe zu Gott, wie sienotwendig auch als rein naturliche geistigem Geschopf moglichund geboten gewesen ware.

• Der in dieser Hinsicht so mit diesem amor benevolentiae undcomplacentiae in ubernaturlicher Ordnung geliebt wird, ist alsodas Materialobjekt, ist eben Gott mit all seinen Eigenschaf-ten und Wirklichkeiten, die als gute fur Gott und als fur Gottgute geliebt, bejaht, anerkannt, respektiert werden.

14.3.1.3 Sekundares Formalobjekt: geistige Kreatur

• Aber und damit wird die Sache erst dunkel und schwierig: wir sa-gen nach der Lehre des Evangeliums, diese metaphysisch ausdeutend,dass auch die geistige Kreatur, Engel und Mensch, die und insofernsie einer ubernaturlichen Seligkeit actu oder potentiell noch fahig ist,sekundares Objekt dieser ubernaturlichen theologischen Tugend seinkonnen.

• Wir konnen gleich anschließen die Erklarung, was das meint. Dannsieht man, dass die traditionelle Theologie so was Großartiges sagt,dass man es ihr nicht zutrauen sollte. Wenn man einen Katechismus

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Christen fragt: muss man Nachsten lieben? Ja, um Gottes willen? ja.Was bedeutet das? Kann er nicht sagen.Sagt man, man liebt Gott. Nun kann man das nicht gut als dadurch,dass man auch seinen Geboten und Wunschen nachkommt, ohne wel-chen Gehorsam er diese Liebe nicht akzeptiert. Nun hat er befohlen,dass man den Nachsten anstandig behandeln muss und in diesemSinn lieben muss, und das muss man machen, weil man Gott liebtund lieben will.

• Aber selbstverstandlich sind diese zwei Lieben in sich ganz verschie-den. Der Akt der Liebe Gottes befiehlt einen Akt der Nachstenliebe,aber diese zwei sind spezifisch voneinander verschieden, so wie ich ausLiebe zu Gott aufmerksam studieren kann, aber das Studium selbstin seiner inneren Struktur eine Hinwendung zu dem sittlichen undmenschlichen Wert einer Wahrheitserkenntnis ist, so dass der Aktder Liebe Gottes zwar diesen Aktes befiehlt, anordnet, aber dieserandere Akt eine innere andere Struktur hat.

– Wenn ich z. B. sagen wir: weil ich Gott liebe, nicht luge, dann ha-be ich, wenn ich mich genau anschaue, zwei verschiedene Akte,kann sie wenigstens haben, den Akt der Bejahung des endlichensozialen Wertes der Wahrheit und Ehrlichkeit und den Akt derGottes Liebe, der auf Gott geht. Diese beiden haben Zusammen-hang. Der eine fordert den anderen, aber der inneren Strukturnach zwei verschiedene.

– So konnte man denken, und so wird der Wald und Wiesen Theo-loge und der Katechismuschrist sich das denken: Die zwei Liebenhaben nur das Wort gemeinsam, es sind in sich zwei verschiedeneAkte. Im einen Mal blicke ich auf Gott und bejahe ihn mit Liebe,die nur ihm zukommen kann: actus specificatur ab obiecto unddas kommt eben nur diesem Subjekt zu. Wenn ich den Nachstenliebe, so ist das eine Kreatur wie ich, man muss Mitleid habenmit diesem Mobel, aber mit so was sich einverstanden erklarenist etwas anderes, als wenn ich Gott liebe.

• Also zwei Dinge die in innerer Struktur ganz verschiedener Art sind.So ist es gerade nicht: obiectum secundarium materiale ipsissimaecaritatis theologicae potest esse creatura rationalis actu vel potentiabeatitudinem supernaturalem participans. Damit sagen wir: im Aktder ubernaturlichen Gottesliebe wird auch der Nachste getroffen. Erselbst ist in diesen Akt mit hineingezogen, und zwar ohne daß erdabei zu kurz kommt.

– Es gibt naturlich unter Umstanden ein Materialobjekt eines Ak-tes, wo ein fremder Gegenstand, fremde Person, Werthaftigkeitin fremden Akt hineingezogen wird, aber wo das Eigentumliche

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14.3 These 28 Liebe

dieses Gegenstandes verschwindet: wenn kleiner Bub von vierJahren sagt, ich habe meine Mutter gern, und die sagt, mandarf nicht lugen und der zu Liebe schwindle ich nicht, wenn ichgenascht habe, dann hat dieser vier jahrige Junge, setzt in Lie-be zu seiner Mutter, bezieht er das Nicht-lugen hinein, hat aberkein inneres Verhaltnis zum sittlichen Wert, der in der Ehrlich-keit selbst drin ist.Das geht uns auch so: durch Hausordnungen, Regeln, Commentzu x-Dingen verpflichtet und tun das auch, wozu uns der Gro-schen nicht runtergerutscht ist. Viele Theologie Studenten stu-dieren die Theologie weil das eine leider nicht vermeidbare Bur-de ist, bevor man zum Priester geweiht wird. Das Studium istso ausgedruckt, bloßes Materialobjekt eines sittlichen Aktes, woaber die immanente Wurde dieses Materialobjekts gar nicht zuGesicht gebracht wird. Wo das Materialobjekt bloßes Material-objekt ist, das rein außerlich mit dem Formalobjekt verknupftist. So ist es nicht, wenn wir sagen: der Nachste gehort als Ma-terialobjekt in den Akt der Gottes Liebe hinein, so dass derAkt der Gottes Liebe ein Akt der Nachstenliebe ist oder seinkann. Das ist ein innerer Bezug, so dass in diesem Formalob-jekt, das Gott ist, der Nachste in seiner hochsten Wurdigkeitgesehen wird.

– Man kann objizieren und sagen: diese Erfahrung machen wir:die Menschen lieben uns um Gottes willen. Wir haben den Ein-druck: taten sie uns weniger um Gottes willen lieben und et-was wirklicher selber in diesem Akt getroffen wird: man ist nurUbungsmaterial der Abtotung, in dem die Gottes-Liebe selbstexerziert wird, und dafur hat man nicht sehr viel Interesse. Amliebsten tate er einen hassen, aber er lasst es bleiben, weil er,ohne Interesse an einem selbst zu haben, ohne einen selbst zu lie-ben, tut er so ahnlich, weil er mit Gott in Frieden leben will. Soist das nicht gemeint bei dem theologischen Akt der Nachsten-liebe. Der Nachste ist nicht nur der metaphysische Kleiderhakenzum Aufhangen der eigenen Akte der Liebe Gottes.

• Dort muss der Nachste in seiner eigenen hochsten Wurde undBedeutsamkeit, eben in seiner Gottgeliebtheit und Liebesfahigkeitauf Gott hin in seiner gegenseitigen actu oder potentia gegebenenFreundschafts-Verbindung mit Gott gesehen werden. Dadurch wirder selbst liebenswurdig in so radikaler Weise, wie es sonst nicht mog-lich ware. Er wird der, der von Gott in intimster Weise geliebt wird.So wird er gesehen.

• Man muss bedenken, dass eine solche Liebe nicht eine ist, die eine

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Herde von Schafen als oberster Schiedsrichter der Welt liebt. Sondernes geht um eine absolut intime jeweils einmalige Liebe. Das merkenwir noch nicht so. Es geht uns nicht auf. Wir fuhlen uns wohlwollendvom großen Herrn im Himmel betreut und am Bandel gehalten, sodass es unangenehm ist. So ist es nicht. Gott findet es der Muhe wert,dieser Liebe ein absolut ewiges Dasein zu geben. Das hat nur Sinn,wenn die einzelne Kreatur nur einmalig von Gott geliebt wird. Er istder Unendliche, Unbegreifliche, Reiche, die Uberfulle, die sich jedemin besonderer Weise schenken und mitteilen kann, so dass, wenn ichdie so Geliebten in je einmaliger Weise Geliebten sehe und bejahe,ihr innerstes Geheimnis, ihre unvertretbare Einmaligkeit liebe, undnicht so den Nachsten toleriere in dieser bloß legalen Weise einestolerierenden Wohlwollens gegenuber dem Nachsten.

• Die These sagt, dass im Akt der absoluten Liebe auf Gott hin, mankonnte sagen in dieser radikalen Einmaligkeit, wo der einmalige Gottund der einmalige Mensch sich begegnend trotzdem der Nachste indiesem Akt drin stehen kann und darin gesehen und getroffen, inseinem Personalsten Einmaligsten getroffen und bejaht werden kann.

14.3.1.4 Gibt es auch andere Liebe des Nachsten? InkarnatorischeSeite

• Dass man den Menschen nur so lieben konne, ist damit nicht be-hauptet. Es ist denkbar dass in einer unmittelbaren Begegnung derpersonalen Werthaftigkeit und in der Begegnung seiner individuellenWerthaftigkeit dieser Wert als solcher erkannt und als mich anfor-dernd erkannt werden kann, und so auch unmittelbar der Nachstegeliebt werden kann.

• Er kann auch in unmittelbarer Werthaftigkeit geliebt werden, und sokann es eine ubernaturliche Liebe geben, die unabhangig ist von deranderen, so ist nicht gesagt dass die andere einen Umweg macht.

• Sie ist weniger unmittelbar insofern sie erst das absolut ubernaturli-che Geheimnis dieses Menschen vor sich bringt und liebend umfasst,sich auf dieses Geheimnis hin liebt

• und das ist das gottliche Geheimnis jeder Kreatur in der ubernatur-lichen Gnadenordnung. Denn dort gibt sich Gott in seiner eigenenHerrlichkeit, Lebens Fulle und wird durch ihn selber und nicht durchetwas von ihm Verschiedenes das Geheimnis dieses Menschen, seinerHerrlichkeit in der Gnade.

• Als solchen Menschen den Menschen lieben heißt unmittelbar in ihmund an ihm Gott antreffen und lieben, und wenn wir den Gott antref-fen wollen, der sich an seine Kreatur weggegeben hat, kann ich ihn

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14.3 These 28 Liebe

nur lieben, wenn ich zu ihm Ja sage, der so der Kreatur gegenubersein wollte.

14.3.1.5 Zusammenhang zwischen Liebe und Apostolat

Ich kann den assensus der Caritas geben, indem ich den Descensus Gottesin die Kreatur selbst mitvollziehe.

• Hier ist die Wurzel des Zusammenhangs zwischen Liebe zu Gott undApostolat, Seelsorge und priesterlichem Dasein.

• Hier sieht man auch, dass diese christliche Tugend der Caritas nichteine abstrakte metaphysische Angelegenheit ist.

• Ich begegne Gott ja hier so wie er konkret ist und so wie er mir ge-genuber konkret sein wollte. Den nahen Gott, so wie er durch dieAusgießung des personalen Geistes der nahe Gott der sich weggege-ben habende Gott geworden ist.Diese theologische Tugend des responsorischen Verhaltens auf

diese Liebe hat wesentlich inkarnatorische Struktur: liebt denNachsten als Bruder Christi,

konkretisiert sich in der Welt und braucht diese Welt nicht ver-lassen, so dass Gott nur in metaphysischem Raptus uber dieWelt hinaus geliebt werden kann, sondern

dort wo er ist und durch die Inkarnation ein Stuck von ihm ge-worden ist: Welt. Der Raum, der Hof, die Umwelt dieser In-karnation Gottes selbst. Dann ist eine

solche Liebe der Mitvollzug der Inkarnation und damit desKreuzes usw., die sich in der Annahme dieser Torheit und die-ses Skandalons erst bewahren muss, und darin ihre Konkretheitfindet.

– Wenn wir so uberlegen, was heißt objectum secundariumcreatura rationalis actu vel potentia beatutudinem super-naturalem participans, sehen sie, dass das keine Selbstver-standlichkeit ist, sondern zu den ubernaturlichen Botschaf-ten des Christentums und der Frohbotschaft gehort und

– man versteht, warum Christus das Gebot der Gottes undNachstenliebe identifiziert hat. Das war die scholastischeTheologie, so dass sie es verdeutlicht hat,

– zumal wenn man sich fragt, ob es schon gelungen ist, denNachsten so in der Liebe auf Gott hin zu lieben, ihn zu

– empfinden als Hausgenossen Gottes, der in das innere LebenGottes hinein genommen ist, und von dem sich Gott nichtmehr distanziert, so wenig distanziert, dass er sich nur nochdort findet, wo er durch seine �g�ph hingeraten ist: in das

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Herz der Kreatur selbst.∗ Wenn es wahr ist, dass Gott die �g�ph ist und im Unter-

schied zum platonischen Eros, die absolute Wegschen-kung Gottes an die Kreatur ist,

∗ wenn er eigentlich biblisch gesehen der ist, der so wasnur kann von sich aus, wie �g�ph haben, weil er derabsolut Unbedurftige ist, aber diese Unbedurftigkeit

∗ anderseits doch nicht das introvertiert-sich-selbst- Ge-nießen ist, sondern diese Selbstgenugsamkeit fur Gottder Ausgangspunkt und die Ermoglichung einer absolu-ten von sich freien Selbsthingabe an das was bedurftigist,

∗ dann ist wahr, dass wahre �g�ph nur moglich ist dort,wo die Kreatur auf Gott hin liebend so liebt und so vonGott geliebt ist.

14.3.1.6 Metaphysische Analyse dieses Zusammenhangs

• Rein metaphysisch analysierend diese Liebe noch genauer bestimmenzu wollen, in dem man das Geheimnis und die Unanalysierbarkeitdieses Aktes als Wunder der Gnade und als total Akt schon voraus-gesetzt ist, konnen wir sagen:Solcher amor ist ein amor des selbstlosen Wohlgefallens und

Wohlwollens, das eine Person, geistige Natur, die ein absoluterWert ist, wenn auch nicht ein unendlicher, aber doch nicht nurMittelwert sondern Endwert,

die als sie selbst so wie sie fur sich ist entsprechend diesem on-tologischen fur sich Sein man benevolentia und complacentianennt, in sich bejaht werden muss, haben wir schon gesagt. Dassdas in absolutem Sinn absolut gilt, ist selbstverstandlich.In solchem Akt der wohlwollenden und wohlgefallenden

Liebe wird zunachst einmal die geliebte Person selbst inihrer eigenen Unbezuglichkeit selbst gesehen, bejaht, ebengeliebt.

Weiter: in diesem Akt des Wohlgefallens, der gleichsamnicht mehr zur Person des Liebenden zuruckkehrt, sondernsein Ziel und Ende in der geliebten Person selbst hat,will man dieser geliebten Person all das, was fur ihr Sein,Entfaltung notwendig ist. So kann im actus complacentiaeund actus benevolentiae fur Gott

auch seine gloria externa, seine Verherrlichung gewolltwerden. Dort wo in

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14.3 These 28 Liebe

einem Akt absoluter Selbstverfugung, und das ist der freieGrundakt einer freien Person notwendigerweise, weil da diePerson am intensivsten zu sich kommt - kann die anderePerson nur affirmiert, bejaht, geliebt werden, so dass siedas Ende, der Abschluss dieses Aktes ist, dass der Menschmit dieser

liebenden Intentionalitat beim anderen landet, ohne diesePerson auf sich zuruck zu beziehen, wenn man in diesemAkt der Selbstverfugung sich selbst wegschenkt an die ge-liebte Person, und insofern hat jeder Akt dieser Liebe com-placentiae et benevolentiae aus seinem Wesen heraus einesolche Einigungstendenz in sich.– Ein absolut uninteressiertes Wohlgefallen, theoretisches

Wohlgefallen,– interessiert doch nicht - ich werde mich huten, in seine

Kreise zu kommen - ist gar nicht das, was wir Liebenennen.

– Liebe bedeutet wesentlich ein Engagement der eigenenPerson auf die geliebte Person hin.

– Ich muss mich auf sie hin interessieren, mich auf sie hinweggeben. Zur Liebe gehort complacentia, benevolentia,und der affectus.

14.3.1.7 Diese hat Stufen

• Naturlich hat das verschiedene Stufen. Auch der Knecht, der seinenHerrn liebt, approbiert ihn mit Haut und Haaren. Auch in dem, wasihn nichts angeht, setzt sich unter Umstanden aus Liebe fur das Nicht-Mitteilen-Wollen des Herrn, das er respektiert, setzt der Knecht ausLiebe sich in respektvolle Entfernung vom Herrn.

• Dort wo die geliebte Person in freier Selbsterschließung sich selbstdem lieben Wollenden mitteilt, bekommt die Liebe zu dieser anderenPerson von absoluter Selbsterschließung einen Intimitats- Grad, densie sonst nicht hatte und nicht haben kann, wenn sie echte Liebe seinkann.

• Echte Liebe, die was anderes ist als unfreies Getriebenwerden vitalerArt, hat es an sich, dass sie sich der geliebten Person in der eigenenPersonalitat offnet und anbietet

• und gleichzeitig die geliebte Person daruber verfugen lasst, wie weitdiese unitive Tendenz wirklich und vollzogen werden soll.

• Das eigentliche dieser Liebe, dass sie liebt und die geliebte Personnicht vergewaltigt sondern in wahrem Sinn in ihre eigene Freiheit

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

und Selbstverfugung frei gibt, naturlich auch so, wie diese anderePerson es haben will.

– Es ist von Bedeutung, unbeschadet einer letzten Struktur, dassjede amor complacentiae et benevolentiae mit appetitus unitivusdennoch die Caritas als Antwort auf die gnadenhafte Selbster-schließung Gottes eine Eigenschaft haben kann, die nicht so istwie bei der Kreatur.

– Diese ware immer die Abstand haltende, die Liebe des Knechtszu seinem unbegreiflichen Herrn, ware aus Liebe Abstand hal-tend.

– Die Caritas um die es hier geht, ist die Liebe des Menschen zudem nahen Gott, der in seiner Liebe nahe sein wollte.

– Ist die Liebe, die solche Nahe wagen und fordern und erwartenkann, weil sie weiß, dass Gott gar nicht nahe genug bei uns seinkann.

5.6.1957 Vorlesung 73 (2.Stunde)

1. Wir stehen bei der These uber die caritas als virtus theologica hin-sichtlich ihrer intentionalen Struktur.

2. Wir sagten schon, dass die Caritas ein amor benevolentiae und com-placentiae mit einer tendentia unitiva ist.

a) Dass in ihr Materialobjekt als sekundares, auf Grund der uber-naturlichen gnadenhaften Einigungsliebe zwischen Gott und derKreatur

b) auch die geistige Kreatur, insofern sie nicht endgultig verstoßenist, hinein genommen ist,

c) insofern in der Liebe, die auf Gott zielt, der Mitmensch geliebtwerden kann,

d) und vielleicht grundsatzlich wird man sagen konnen, man kannsogar sich selbst mit der Caritas theologica als den mit Gottverbundenen Freund lieben.

i. Die Liebe qualifiziert sich nicht primar dadurch, dass der,den man liebt, man selbst oder ein anderer ist, sondern vonder Werthaftigkeit der geliebten Person her. Die hat dasRecht auf absolute Bejahung.

ii. Dort und insofern die eigene Person in dieser geistigen, ob-jektivierenden die hochste Objektivitat sehenden Liebe ge-liebt wird, als die von Gott geliebte, wird man konsequentnicht bestreiten konnen, dass ein solcher Akt der Selbstlie-be aus diesem Formalobjekt heraus eine Liebe im Sinn derCaritas theologica ist.

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14.3 These 28 Liebe

e) Damit ist das Material- und Formalobjekt bestimmt.3. Beim Formalobjekt haben wir schon gesagt, dass das Formalobjekt

als objectum formale quod die bonitas Dei absoluta ist, die Gut-heit, in der Gott sich selbst absolut ist, wo, um das noch mal zubetonen, diese Gutheit nicht eine Eigenschaft neben Gottes anderenEigenschaften ist, sondern das ganze gottliche Wesen in seiner Wirk-lichkeit und Seinsfulle, insofern das alles gut ist, das heißt forderndenAnspruch an das macht, was wir Liebe nennen. Insofern ist er geliebtum seiner selbst willen in allen Eigenschaften.

4. Objectum formale quo ist Gott, insofern er in der Gott allein eigen-tumlichen Weise gut ist, indem diese Gutheit durch eine geschopflicheWirklichkeit nicht partizipiert werden kann, Die ubernaturliche Gut-heit Gottes, die reduplikativ gottliche Gutheit Gottes als nicht par-tizipiert werden konnende und vom geistigen Geschopf nur durch dieungeschaffene Gnade partizipierbare: dadurch ist das objektum for-male quo ausgedruckt, diese objectum formale quo insinuiert auchdie genauere Begrundung warum jemand, das Geschopf, Gott in die-ser Weise so lieben kann.

a) Leute die unmetaphysisch Denken, haben beim amor desinter-essatus complacentiae et benevolentiae die Schwierigkeit, dasssie sich fragen, ob man das konne.

b) Das geht bis in die katholische Theologie hinein, als ob da ei-ne geistige Person, auch wenn sie noch so selbstlos sei, etwasanderes nur um ihrer selbst willen lieben konne.

c) Jede Liebe ist eine Modalitat der Selbstliebe. Missverhaltnisvorhanden zwischen Formalobjekt und formalem innerem Mo-tiv eines Aktes und den Voraussetzungen eines solchen Aktes.Nicht alle ontischen und psychologischen Voraussetzungen einessolchen Aktes sind das im Akt selbst Angezielte, Gewollte undBejahte und Geliebte.

14.3.1.8 Wie kann man Gott um seiner selbst willen lieben?

Selbstverstandlich muss ich ein Wesen sein, das Gott lieben kann. Gottmuss fur mich liebenswurdig sein. Eine gewisse Proportion des Liebendenzum Geliebten muss gegeben sein, um Gott lieben zu konnen. Das bewirktnicht, dass man im Grunde nur sich liebt. Das ist die ontische, psycholo-gische und ethische Voraussetzung dafur, dass man Gott liebt. Wenn undinsofern man ihn in der Caritas liebt, liebt man ihn um seiner selbst willen.

Wie kann ein Geschopf so von sich absehen? Im Grunde ist dazu zu sagen:das geistige Geschopf ist so gebaut, dass es zu seiner Wesens Vollendungkommt, indem es sich gleichsam ekstatisch werdend los lasst auf die geliebte

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Person auf die absolute Seinsfulle hin, die Gott ist.Mit anderen Worten: wenn das Wesen des Menschen, seine Vollendung

als Geist und ubernaturlich erhohtes Seiendes gerade in der selbstlosen Lie-be zu Gott besteht, dann besteht kein Dilemma, entweder sich suchen zumussen oder Gott suchen zu mussen, sondern das ist im Letzten beides das-selbe. Man halt es, man kommt bei sich an, indem man bei Gott ankommt.Dort wo man kurzschlussig bei sich sein will, verliert man sich. Das reineGott gewollte, von Gottes Gnade erloste im Menschen als Geist und Erho-benes besteht in dieser Ekstase und Transzendenz, von-sich-Wegkommenund aus-sich-heraus-in-Gott-Kommen.

Mit anderen Worten: wenn in einer sehr schonen Arbeit uber die Liebeim Mittelalter Rousselot (einer der besten Theologen in der Neuscholastik)so die franziskanische Liebesidee als ekstatische Liebe qualifiziert und diethomistische als physische, dann ist das zur Beschreibung der psychologi-schen Verschiedenheiten ganz gut. Metaphysisch ist kein Unterschied.

Das physische Wesen des Geistes besteht in dem von sich selbst auf an-deren hin weglieben konnen. Dabei bleibt doch bestehen, dass sie nichtdeshalb selbstlose Liebe ist, weil sie den anderen als anderen sucht, son-dern weil sie den absolut liebenswerten Gott sucht. Das ist das Wesen desMenschen: die in sich Selbstandigkeit ist das hin-Sein- auf-Gott, nicht eineSelbstbehauptung, die davon absieht.

Im Akt der Liebe ist nicht ein in sich Ruhendes, sein Problem schonerledigt habendes Wesen, das noch etwas betreibt und mit was anderembeschaftigt ist und dabei auch noch sich mit Gott beschaftigt und nochanerkennt, dass das das Respektabelste ist, und mit ihm in Frieden zuleben das Wichtigste, sondern der Wesensvollzug der Transzendenz ist aufdas absolute Geheimnis, das wir Gott nennen. Darin dass der Mensch darinsich abgibt in der Transzendenz, Ekstase, ist er bei sich angekommen.

Freilich setzt das voraus, dass der Mensch ein transzendentales Wesenhat. Und diese Voraussetzung ist auch Voraussetzung der Liebe: dass manselbst nicht egozentrisch und introvertiert ist - macht nicht, dass man Gottals Modifikation der eigenen Selbstliebe liebt, als Ausfuhrungsweise dieserSelbstliebe, sondern umgekehrt, man kann sich nur lieben, indem man ubersich hinaus kommt und uber sich hinausgekommen bleibt.

14.3.1.9 Liebe in der Ordnung des Kreuzes

Wie weit der kreaturlichen Liebe in der christlichen Ordnung des Kreu-zes, des christlichen Viators, der noch mit angekommen ist, diese Ekstase,die dem Wesen der Liebe zukommt, auch noch im franziskanischen Sinn,der Charakter des Kreuzigenden anhaftet, ist noch eine andere Frage, unddas konnte der Metaphysiker Thomas, der in Ruhe die Struktur aller Din-

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14.3 These 28 Liebe

ge auf Gott sieht, weniger zum Ausdruck bringen als ein franziskanischerTheologe, der nicht von abstracter Ontologie der Transzendenz des Men-schen, sondern konkret im Blick auf das Kreuz sieht. Und da, in der Liebedes esprit incarnee des in der Nachfolge Christi lieben Mussenden, kann erMomente sehen, die Thomas weniger explizit ausdruckt.

Aber grundsatzlich metaphysisch verschiedene Liebes-Konzeptionen, dieunversohnt nebeneinander stehend sind, konnen nicht gehalten werden.Geyer OP hat nachgewiesen gegen Rousselot: sobald man das Wesen desMenschen deutlich bestimmt, folgen alle Merkmale einer franziskanischenLiebestheologie auch da heraus. Dass unter Umstanden in der FormulierungThomas da und dort es sich billig macht, ist klar.

Wenn man fragt: wie kann ein Geschopf Gott mehr lieben als sich selbst,wenn Thomas sich die Sache formalistisch beruhigend leicht macht, undsagt: Jeder Teil liebt das Ganze mehr als sich als Teil, dann ist das nichtfalsch aber auch nicht erhellend und viel erklarend. Warum kann man Gottmehr lieben als sich selbst: letzte Antwort (von der Frage der Gnade undBefreiung von sundigem Egoismus absehend) weil der Geist auf Grundseines Wesens, auch dort wo er endlich und geschopflich, aber Geist ist,von seinem Wesen her die Bejahung des absoluten Seienden ist, und so dieBejahung des Absoluten, das man selbst ist.

Das andert nichts daran, dass das Wesen des Geistes die Bejahung desAbsoluten ist, und darin der absolute Gott mehr geliebt wird, als man sichselbst liebt, weil man sich selbst in der Weise liebt, wie man geliebt seinsollte, nur dann hat, wenn man Gott liebt.

14.3.1.10 Liebe und andere Akte, Quietismus

So sehr sie die Mater, forma usw. virtutum ist, gibt es Akte und Vollzuge imMenschen, die mit dieser nicht identisch sind. Und solange der Homo nochunterwegs zu eigener selbst Integration ist, konnte er gar nicht dahineinintegriert werden konnen und durfen. Der Mensch darf nicht so tun, als ober am Ende angelangt ware. Er kann nicht in einem totalen Akt der Liebezu Gott, in dem man sich vergisst und vergessen muss, beharren wollen.

Der Quietismus bei Fenelon usw. war von ruhrendem Pathos erfullt:Gott muss geliebt werden und in diesen Akt muss das ganze Leben hineinkommen. Es muss da schon geschehen, dass Gott aus allen Kraften geliebtwird und es darf diesen Akt geben und sonst nichts.

Wer aber weiß, die Kreatur ist die, die ihr noch nicht am Ziel sein demutigannehmen kann, und aus Liebe weniger tun muss als bloße Liebe. Franzvon Sales hat es gesagt: man solle Gott aus Liebe furchten und nicht ausFurcht lieben. Aber gerade wenn ich ihn aus Liebe furchten muss, dannmuss ich ihn auch wirklich furchten. 1 Jh: die Liebe treibt die Furcht aus.

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Hier wird man ohne Evangelium und Johanneischen Idealismus verbessernzu brauchen, sagen konnen: er meint, hier ist knechtische und servile Furchtgemeint, die nicht aus Liebe furchtet sondern zahneknirschend sich dazuhergeben will, aus Furcht zu lieben. Da ist es wahr, dass die Liebe dieFurcht austreiben wird. Aber nach Augustinus wird man dem Wesen derLiebe zu Gott gerecht, gerade weil man ihn fur sich liebt, ihn allein Gottsein lasst.

Mit anderen Worten: gerade die Liebe, die das Wort Gottes unbefangenentgegennimmt, die uns sagt: mehr sind wir als Knechte, gerade diese Liebebekennt sich aus Liebe als Knechte. Mit anderen Worten: aus Liebe gehtdie Liebe in ihre geschopfliche Demutigkeit und damit in ihre ontologischeund existentielle Pluralitat zuruck und darum ist in diesem Pilgerstand,gerade wegen der Vollkommenheit, die die noch nicht vollendete, die ange-nommene Unvollkommenheit der Viators ist, ist die Liebe nicht der einzigeAkt, den der Mensch vollziehen muss, so auch in innerer Welt als Pilgerdurch verschiedene Verhaltensweisen hindurch.

Er hat es nicht in seiner Macht dieses Bouquet des Verhaltens Gottgegenuber zu stilisieren. Da verfugt Gott noch mal uber ihn. Diese unbe-rechenbare Verfugung nimmt die Liebe entgegen. Dass ihr Gott als der inLiebe vertraute begegnet und dann als die nichtende Majestat, der in unzu-ganglichem Licht wohnt, als den, den wir nicht begreifen auch als Gott desZornes, der sich als solcher offenbart, all das nimmt die Liebe aus Gott, weilsie ihn Gott sein lasst, an. Und insofern bringt es die Liebe noch mal fertig,den Menschen aus Liebe weniger sein zulassen als bloß den Liebenden.

Dinge, die auch gegen fides fiducialis der Protestanten oder ahnlicheszu sagen sind. Man von daher auch, dass jeder Monismus der Aszese vonvorneherein grundsatzlich verkehrt ist. Es gibt nicht das ein und alles insich hinein integrierende Rezept im geistlichen Leben. Naturlich wird ei-ne berechtigte unifizierende Tendenz immer wieder im geistlichen Lebenssein. Rousseau (Tusso?): Das geistliche Leben muss vereinfacht werden.Dieser Forderung hat sein Berechtigtes. Aber sie mussen mit der Gelassen-heit einer demutigen und pluralen und Personalitat annehmenden Kreaturangenommen und behandelt werden, die weiß, dass es das alles manipulier-bare Rezept des menschlichen Lebens gar nicht gibt. Nicht in der Kircheund nicht in aszetischen Schulen. Da gilt das Wort, dass der Mensch nichtHerr seiner Wege ist. Er soll doch was planen aber doch so, dass er immernoch in der unverfugbaren Verfugung Gottes allein bleibt und so darin nochmal seine Liebe betatigen kann.

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14.3 These 28 Liebe

14.3.2 Qualificatio und Magisterium

Nun, viel zu der These ist nicht mehr zu sagen. Es gibt keine Definitionder Kirche vom Wesen der ubernaturlichen Tugend der Caritas, mehr aussententia unanimis theologorum, die keine Diskrepanz aufweist hinsichtlichFormalobjekt.

Wenn die Liebe der Rechtfertigungsakt ist, wenn sie das ist, was notwen-dig und unzertrennbar mit Rechtfertigung verbunden ist, dann kann sie dasnur sein, als was wir sie beschrieben haben: der hochste und umfassendsteAkt, der den Menschen in seiner Wurzel in der Totalitat seines Wesens be-greift und abgibt an den absoluten und unendlichen, an die absolute PersonGottes in der Weise, wie sie ermoglicht wird durch die Ordnung Christi undder Gnade mit dem Ziel der visio beatifica.

Wenn wir diese Daten umsetzen in unsere Terminologie, folgt diese Theseunmittelbar. Wurde man sie leugnen, wurde man die in Schrift und Ma-gisterium gelehrten Wahrheiten in Gefahr bringen, die dort unmittelbargelehrt sind, also theologice certum.

Wir haben in Trient die contritio perfecta von der attritio unterschieden.Kann die caritas garnichts anderes als Gott zum Formalobjekt haben, auchda gibt es Anhaltspunkt in der Lehre.

Innozenz XI, dass diese Liebe notwendig ist, dass der Satz verworfenist, dass man das eine oder andere Mal Gott mit Akt der Liebe honorie-ren musse, dass es sittliche Pflicht des aktuellen Liebens Gottes gibt. Wiesie vollzogen wird und andere Fragen konnen auf die Moral abgeschobenwerden, damit diese nicht bloß Sundenkasuistik treibt.

Wie weit das der Vollzug einer Liebe ist: Gebet der Liebe? Wieweit derAkt der theologischen Tugend der Caritas erweckbar ist, wenn man sagt:Jesus ich liebe dich, weil du am Kreuz fur mich gestorben bist - kathe-chetische Fragen, kerygmatische Fragen, ob so ein Akt der Liebe erwecktwerden kann, oder ob man abstract metaphysische Formel braucht: weil dudas hochste Gut bist (vorstellen kann sich das Kind da nichts) sind andereFragen.

Bonitas absoluta kann mir in bonitas relativa erscheinen. Dass Gott ab-solut gut ist, kann uns daran aufgehen, dass er uns gegenuber lieb verfahrenist. Im gewohnlichen Leben ist es auch so: den netten Menschen lerne ichdadurch als durchaus in sich liebenswurdig kennen. Die bonitas Dei relativaist auch eine Eigenschaft Gottes und so ist sie auch bonitas Dei absoluta.

Gott ist fur sich selbst besser als er ware, wenn er nicht barmherzig,wohlwollend und hilfsbereit fur andere ware, fur seine Geschopfe. Ware erdas nicht, ware er auch fur sich nicht der, der er ist. Es ist psychologisch undontologisch moglich, dass eine bonitas relativa der Anstoß ja ein partiellesobjectum formale fur einen actus der Liebe abgibt.

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

Also braucht man auch in der Predigt nicht so unterscheiden, wie mandas im siebzehnten Jahrhundert auch in der Predigt meinte, dass ja eineCaritas herauskommt und man nicht nur in der Hoffnung stecken bleibt.

Eine metaphysische Apothekerrechnung: insofern du das hochste Gutnicht fur mich sondern in dir bist, ob in diesem Ausdruck die Liebe wirklichvollzogen ist, ist andere Frage. Es gibt Bewusstseinsetiketten, hinter denennichts ist, und andere, die nicht so etikettisiert sind, und hinter denen vielessteht.

Anderes: Quesnel usw. konnen sie selbst nachlesen.Insofern bei der Buße gesagt wird, dass es eine Attrtio gibt, die noch

nicht vollkommenen Liebe und doch Liebe ist, insofern es habitus fidei gibtohne Caritas: klar, dass Liebe nicht einziger ubernaturlicher Akt ist, derverdienstlich ist, wie Jansenismus sagt, so dass der Mensch der absolut Lie-bende oder der absolut Verworfene ist. Da gibt es Dinge dazwischen, diesich auf das Ganze des menschlichen Lebens entweder in die eine Seite ent-wickeln werden oder entwickeln mussen, die sich in ihrer Zwischenpositionauf die Dauer nicht halten konnen. Das kann man zugeben. Man kann derMeinung sein, dass wer es faktisch zu einer unvollkommenen Reue bringt,bringt es auch zu vollkommener Reue. Bei einem bei dem feststellt: er hatReue, bei dem er sich distanziert von seiner Sunde.

Der Fall des Umberg, der Attritio hat und nicht das Sakrament, der dannin Holle kommt: der kommt nicht vor. Im Sterben und vor dem Sterben,wo einem ein Ziegelstein auf den Kopf fallt, da wird eine Anttritio sichselbst in Contritio caritate perfecta aufheben, oder sie selbst wird auchnicht mehr da sein, sondern in das totale Nein zu Gott verdorben sein.Aber diese Tatsache, die man unbefangen ins Auge fassen kann, dem evan-gelischen Christen zugeben kann, der nicht so gern zwischen diesen Aktenmetaphysisch unterscheidet, so sehr man das zugeben kann, bleibt es wahr:es gibt verschiedene Akte, die nicht alle von gleicher Wesensstruktur sind.Der hochste, umfassendste, wenn auch nicht der einzige, ist die Liebe. Dasist der Sache nach festzuhalten, gegen Quesnel usw..

14.3.3 Schrift:

Muss man selbst anschauen. Es ist nicht viel zu erklaren. Dass man dieseDinge, die im Kodex nur kurz da sind, muss man sich klar machen, dassman nicht bloß die abstrakte Definition weiß: amor benevolentiae .... inDeum propter bonitatem Dei ad nos sed absolute. Aber Lebendigkeit hatsie noch nicht, muss sie haben, wenn man predigen will. Also muss manbiblische Lehre von der >Ag�ph sich zu Gemute fuhren. Das braucht nichtunbedingt hier in der Stunde sein.

Damit sind wir angekommen beim achten Kapitel und wir mussen noch

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14.3 These 28 Liebe

gewisse Dinge in diesem Kapitel betrachten. Dort wo es um sententia com-munis und sententiae disputatae sich handelt trotz Ubernaturlichkeit undwegen Ubernaturlichkeit wichtig.

7.6.1957 Vorlesung 74

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14 Vergottlichung der Fahigkeiten: Eingegossene Tugenden

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15 Leben in der Gnade

Kapitel VIII Das Leben des Gerechfertigten.

15.1 Vorbemerkungen, Allgemeines zuraktuellen Gnade

Wir kommen zu neuem Kapitel des Traktats uber die Gnade, denman ganz allgemein uberschreiben kann:

• das Leben des gerechtfertigten Menschen.– Es ist klar, dass vieles, was hier hinein gehort, von der Moral

als Glaubenswissenschaft, von Aszese und Mystik behandeltwerden mussen.

– Denn die genauere Beschreibung des gerechtfertigten Men-schen im Stande der Gnade, in der Erfullung der GeboteGottes, im Wachsen und Fortschreiten dieses Lebens aufdas ewige Ziel zu, kann nur im gesamten der Dogmatik,Moral von den ubrigen Fachern gegeben werden.

• Deshalb einige Gesichtspunkte (mehr allgemeiner und forma-ler Art), unter denen das Leben des Gerechtfertigten betrachtetwerden kann und muss.

Tatsachlich aber handelt dieser erste Abschnitt dieses Kapitels

1. uber die aktuelle Gnade, wobei sich bei der Uberlegung der aktuellenGnade mit der Zeit herausstellt, dass sie nicht hier her gehort.

1. Wir haben vermieden, von vorneherein aufzuteilen in Traktateuber habituelle und aktuelle Gnade.

2. Wir gingen aus vom Heilswillen, dass Gott die Mittel, namlichdie Gnade, gibt, um das ubernaturliche Ziel in einer entspre-chenden Weise zu erreichen.a) Jene innere Hilfe Gottes, die dem Menschen ermoglicht

durch sein freies Tun, dem Ziel entsprechende Akte zu set-zen, nennen wir Gnade.

b) Sie muss innerlich sein, als solche notwendig ungeschuldet,ubernaturlich, trifft auf den Menschen auf, nimmt ihm die

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15 Leben in der Gnade

Freiheit nicht.c) Er bereitet sich auf dauernde zustandliche Begnadetheit

vor, die eine der Ermoglichung solchen sittlichen Tuns ist,und wenn er sich so vorbereitet, ist er der Gerechtfertigte.

d) Er besitzt ubernaturliche ungeschaffene Gnade dauernderArt als innere dauernde Bestimmung seines Wesens, die alsdauernde Tugend gottliche und moralische Tugenden ihmein Leben ermoglichen, das auf ubernaturliches Ziel positivhingerichtet ist.

3. Wir sagten ofters, dass man solche Gnade, Gnade zum ak-tuellem Tun des Menschen nennen kann. In dieser Hinsichtsind aktuelle und habituelle Gnade dieselben, weil man sie alsdauernde Zustandlichkeit des Menschen, als habitus infu-sus entitativus oder operativus ansprechen muß, also sie auchhabituelle Gnade nennen muß.

4. Nun ist die Frage, ist diese eine Gnade, von der wir bishergesprochen haben, der Gnade zum ubernaturlichen Heilstun desMenschen,• ist diese uberall und immer eine solche Gnade, dass sie je

nach dem, von welchem Gesichtspunkt aus betrachtet,• eine habituelle und gleichzeitig aktuelle Gnade genannt wer-

den kann.• Fruher schon sagten wir, dass eingegossene theologische Tu-

gend und moralische Tugenden habitus operativi sind.5. Habitus ist zustandliche dauernde Bestimmung des Menschen.

a) Habitus operativus auf der anderen Seite besagt, dass es umMoglichkeit zu aktuellem Tun geht.

b) Wenn und insofern man unter aktueller Gnade nichts ande-res versteht als Hilfe Gottes zu einem Akt des Menschen,ware solcher habitus operativus eine aktuelle Gnade.

6. Nun entsteht die Frage: gibt es in einem praziseren Sinn eineaktuelle Gnade? Und wenn in der Theologie im allgemeinen vonaktueller Gnade die Rede ist, dann:a) insofern sie nicht eine Betrachtungsweise der habituellen ist,b) sondern insofern sie von der habituellen, der eingegossenen

Tugend real verschieden ist - eine bloß aktuelle Gnade.i. Eine gottliche Hilfe zu einzelnem Heilsakt als solchem,

und zwar in ubernaturlichem Sinn. - innere, ungeschul-dete, entitativ und simpliziter ubernaturliche GnadeGottes,

ii. die den Fahigkeiten des Menschen gegeben wird fur be-stimmten einzelnen positiven Heilsakt,

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15.1 Vorbemerkungen, Allgemeines zur aktuellen Gnade

iii. so dass dieser Akt und diese Gnade keinen ubernaturli-chen Dauer habitus voraussetzen.

c) Die Frage ist also: gibt es in diesem Sinn aktuelle Gnade?Diese Frage kann wiederum an sich in doppelter Weise ge-stellt werden.i. Wenn ich hier (beginnt Skizze an der tafel) das mensch-

liche Subjekt mir vorstelle und es setzt einen Akt, dannkann ich fragen: brauche ich zu diesem ubernaturlichenHeilsakt eine aktuelle Gnade?

ii. Dass man zu Heilsakt eine innere ubernaturliche Gna-de in jedem Falle braucht - ist schon durch die Theseacht als Dogma des Glaubens gegen den Pelagianismusfestgestellt worden.

iii. Aber die Frage ist jetzt: ist eine solche absolute notwen-dige Gnade immer oder bloß manchmal aktuelle Gnade?A. Wer sagen wurde, auch der Gerechtfertigte, der die

ubernaturliche habituelle Gnade hat, braucht außerdiesem ubernaturlichen habitus auch als Gerechtfer-tigter zu einem Heilsakt des Gerechtfertigten noch be-sondere aktuelle Gnade, die vom habitus und seinemoperativen Wirken und vom Konkurs Gottes verschie-den ist,

B. der wurde sagen: fur jeden Heilsakt braucht es instrengem Sinn aktuelle Gnade.

iv. Wenn man das bestreitet: nein, der Gerechtfertigte, derdie eingegossenen theologischen Tugenden und einge-gossene moralische Tugenden hat,• kann auf Grund der habituellen Befahigung zu uber-

naturlichem Heilshandeln diese ubernaturlichen Ta-tigkeiten ausfuhren,

• kann aus diesem habitus operativus heraus solcheHeilsakte setzen, und die sind ubernaturlich.

v. Wer sagt, er braucht naturlich entsprechenden Konkurs,ist also von causa prima, Gott, dadurch getragen,• der leugnet, dass man neue aktuelle Gnade braucht

zu einem Heilsakt, wenn man ein gerechtfertigterMensch ist. Der halt die 8. These immer noch.

• Er sagt, zu diesem braucht es physisch notwendigGnade Gottes innerer und ubernaturliche Art, aberdiese

• besteht in der Aktualisierung der ubernaturlichendauernden Zustandlichkeit der eingegossenen Tugen-

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15 Leben in der Gnade

den und daruber hinaus ist keine weitere ubernatur-liche Gnade notig.

d) Wir werden spater so diese Frage auch negativ beantworten.Außer dem entsprechenden Konkurs braucht der

Mensch, wenn er habituelle eingegossene Tugendenhat, fur einen Heilsakt

eine weitere von ihr verschiedene aktuelle Gnade nicht.Damit leugnen wir also, dass man beim Gerechtfertig-ten noch unterscheiden muss zwischen aktueller undhabitueller Gnade.

e) Die aktuelle Gnade des Gerechtfertigten ist die Aktualisie-rung der habituellen Gnade.Insofern naturlich (rein scholastisch betrachtet)

selbstverstandlich der Akt vom habitus und vonder Potenz und der habitus der Potenz real verschiedenist und

insofern die Ubernaturlichkeit des Aktes deshalb auchvon der Ubernaturlichkeit der Potenz und ihres habi-tus verschieden sein muss, ist naturlich ubernaturliche

Erhobenheit, Pneumatisierung des Aktes etwas, wasvon der ubernaturlichen Zustandlichkeit des Menschenverschieden ist.

Wenn man das aktuelle Gnade nennen will, kann mandas tun. Nur ist das so verschieden wie der Akt vonder entsprechenden Potenz verschieden ist.

Da wir ubernaturlich erhobene Potenz haben, die zumaktuellen Handeln hin erhoben ist, ist klar, dass einAkt, der aus solcher erhobenen Potenz erfließt,der innerer Qualitat entspricht, also auch ubernatur-lich erhoben ist.

7. Dass Gott entsprechend der Potenz und dem Akt seinen Kon-kurs gibt, da er real terminativ nichts anderes als dieser Aktist, und in diesem Sinn man diesen Konkurs ubernaturlichenKonkurs nennen kann,• also Konkurs zu ubernaturlichem Akt nennen kann und• diesen dann auch ubernaturliche aktuelle Gnade nennen

kann, ist schon und recht.• Es ist nichts anderes als connaturale Ursache, dass hier ein

mit ubernaturlicher Potenz ausgerusteter Mensch ist,• dass er gottliches Leben hat, das sich in diesen connaturalen

Akten vollzieht. Das ist eine nicht vom Konkurs verschiede-ne, eigens dazugegebene Gnade.

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15.1 Vorbemerkungen, Allgemeines zur aktuellen Gnade

• Man sollte das im Grunde nicht aktuelle Gnade nennen.

2. Aktuelle Gnade kann man aber, wenn richtig verstanden undnicht ubertrieben und dramatisiert, dort sehen

1. wo und insofern man einen Menschen voraussetzt und voraus-setzen muss, der• noch nicht durch ubernaturlichen dauernden habitus zu ei-

nem ubernaturlichen Handeln dauernd befahigt ist einer-seits,

• und doch einen ubernaturlichen Akt setzt.2. Gibt es das? Nach der Lehre der Schrift und der Tradition, In-

diculus, Arausicanum, Description im Tridentinum cap.5 und 6der 6. Sitzung gibt es Akte,• die als positive Heilsakte zu qualifizieren sind, und die dem

Empfang des Rechtfertigungs habitus vorausgehen.– Wenn und insofern es also positive, zum Heil positiv

beitragende ubernaturliche sittliche Akte des Menschengibt,

– die er setzt, ohne schon die ubernaturliche gleichsamZustandlichkeit der eingegossenen Tugenden zu haben,

– und wenn es auch fur diese Akte wahr ist, was schon be-wiesen ist, dass dazu eine gratia entitative et simplizitersupernaturalis absolut notwendig ist (Heilsakt),

• dann ist klar, dass es eine Gnade innerer schlechthin uber-naturlicher Art geben muss fur solchen Heilsakt, der nichtaus solchem eingegossenen habitus hervorgeht.Solche Gnade muss man dann aktuelle Gnade nennen

im prazisen Sinn:ubernaturliche Gnade, die vom habitus verschieden

ist, und darum kennt die scholastische Theologie undauch das Trienter Konzil diese

aktuelle Gnade als notwendig mindestens fur die Akte,die der Rechtfertigung vorausgehen.– Der Ungerechtfertigte, noch Mensch ohne habituelle

Gnade, setzt Heilsakt,– wird gerechtfertigt oder erhalt habitus fidei et spei,– und kann aus diesen habitus operativi weitere Heils-

akte setzen.∗ Wenn man auch fur die Heilsakte des gerechtfertig-

ten Menschen noch eigene aktuelle Gnade fordert,dann ist klar,

∗ dass die aktuelle Gnade erst einmal fur die actus

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15 Leben in der Gnade

dispositivi ad iustificationem notwendig sind∗ und zweitens fur die actus procedentes ex gratia

iustificationis.∗ Wer das zweite bestreitet, kennt im Grunde aktu-

elle Gnade nur fur die actus dispositivi ad iustifi-cationem.

3. Weil sehr viele scholastische Theologen auch die gratia actualisfur die Heilsakte des gerechtfertigten Menschen verlangen,• so sehr dass es Theologen gibt, die diese Notwendigkeit als

Glaubenswahrheit darstellen,• wahrend wir behaupten, das gibt es nicht, und braucht es

nicht,– ist es klar, dass fur diese Theologen man einen runden

Traktat de gratia actuali machen kann.– Braucht man immer von Anfang bis Ende, sauberlich

verschieden vom Traktat de gratia habituali.∗ Nur sieht man nicht, wenn man fur jeden Heilsakt

aktuelle Gnade braucht,∗ zu was es dann habitus operativi infusi gibt. Die sit-

zen da und sagen: was sollen wir noch tun?∗ Was wir sollen, tut Gott mit seiner aktuellen Gnade

ja so.· Wenn man sagt, es ist doch verschieden, wenn ein

Heilsakt von einem Kind Gottes getan wird:· mit dieser Auskunft begreife ich habitus entitativus· aber nicht warum es habitus fidei als habitus ope-

rativus gibt.· Dieser muss was machen, und das kann nur Heils-

akt sein, und wenn er dazu fahig ist, muss er Heils-akt setzen konnen, sonst ist er nicht habitus ope-rativus.

· Dass dazu der Konkurs Gottes notig ist, ist klar.Aber sonst scheint nichts notwendig zu sein. Al-so keine vom habitus operativus und Konkurs ver-schiedene Gnade.

4. Wenn wir sagen, zu den Heilsakten des gerechtfertigten brau-chen wir nicht zusatzliche aktuelle Gnade sondern diese ist nurnotwendig fur die Heilsakte des noch nicht gerechtfertigten Men-schen, dass er mit der Gnade Gottes nach der Rechtfertigungerst greift,dann schrumpft der Traktat uber die aktuelle Gnade zu

relativ zusatzlichem Stuck zusammen: zu etwas, was nur in

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15.1 Vorbemerkungen, Allgemeines zur aktuellen Gnade

bestimmten Voraussetzungen notwendig ist und vorkommt,und man sieht, dass dieser Traktat nicht die Halfte des

gesamten Traktates sein kann: Habituelle hier und Aktuelledort.

Denn das Wichtigste davon ist das, was zum Traktat uberdie habituelle Gnade gehort.

Naturlich sieht man da auch, dass der Traktat uber die

3. wirkliche aktuelle Gnade, gar nicht dahin gehort, wo wir ihn be-handeln, sondern in den Traktat uber die Vorbereitung auf die Recht-fertigung hinein.

• Wo wir uber die Notwendigkeit von actus dispositivi geredethaben:

• dass es dogmatischen Glauben und nicht fides fiducialis undnoch anderes braucht:

• dort hatten wir sagen mussen: und dazu braucht es naturlich,entsprechend These 8 von der Notwendigkeit der inneren Gnadezu jedem Heilsakt

• auch eine, die, weil sie nicht aus dem habitus hervorgeht unddeshalb actualis genannt werden muss.

– Warum aber so blod unsystematisch? Weil wir von dem ab-sehen wollen, dass es Theologen gibt, die sagen, dass mansie auch fur die Gerechtfertigten braucht.

– Das ist eine quaestio disputata. Wir wollen davon absehen,methodisch. Wir gehen vom allgemein Angenommenen aus.

– Deshalb konnen wir das nicht so machen. Man sollte dastun, dass man ihn von vorneherein verbannt in das Werdender Rechtfertigung.

• Die ganze Frage uber die aktuelle Gnade wird noch durch andereUberlegung in ihrer relativen Bedeutung sichtbar durch folgen-des:

4. Großer Teil der nachtridentinischen Jesuitentheologen und andereTheologen auch stellt sich, im Gegensatz zu den Thomisten, die uber-naturliche aktuelle Gnade so vor, dass die ubernaturliche Erhebungden Akt als solchen und nur ihn trifft.

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15 Leben in der Gnade

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqgeistig freies

Subjekt setzt actus ausnaturlichen Kraftennoch nicht gerechtfertigt(deliberatus oder indelib.)

ubernat. Erhohungtrifft nur Akt als solchen

Nachtridentinische Jesuitentheologen

Hier (skizziert an der Tafel obiges Bild, ohne Beschriftung) geistigfreies Subjekt, setzt actus deliberatus oder indeliberatus ausseinen naturlichen Kraften heraus. Soll noch nicht gerechtfer-tigt sein.

– Wir konstruieren ein Beispiel (ist naturlich schwierig!): ichhore zum ersten Mal etwas von einer Glaubensbotschaft.Was ich hore, regt mich an,

– fuhrt noch nicht zu einer Entscheidung, zu denken, es warevernunftig, darauf einzugehen - actus intellectualis cognos-citivus et volitivus indeliberatus sollicitans ad pium credu-litatis affectum liberum -,

– angenommen, es ware erster ubernaturlicher Akt in diesemMenschen.∗ Viele Jesuitentheologen sagen nun, dieser Akt wird von

den naturlichen Fahigkeiten gesetzt,∗ nur wird er so als einer auch gesetzt, wird er, da er

Heilsakt werden soll, entitativ von Gott erhoben.∗ Aber diese Erhobenheit, die auf jeden Fall notwendig

ist, und von allen nachtridentinischen Theologen selbst-verstandlich gelehrt wird, wenn er durch entitativ uber-naturliche Gnade erhoben sein soll,

∗ dann muss der Akt eben erhoben sein und sonst nichts.· Also wird er (missverstandlich so genannt) durch

concursus supernaturalis erhoben.• Die Thomisten sagen: Unsinn, primitiv, unmetaphysisch und

unmenschlich, sondern der Mensch muss ubernaturlichen Aktsetzen.

– Das setzt voraus, auch wenn er keinen habitus operativusperdurans hat, dass er den Akt als ubernaturlichen setzt,wenn er dauernden habitus operativus nicht hat,

– dann muss Gott seine geistigen Potenzen transeunter erhe-ben und aus dieser transeunter erhobenen Potenz folgt derentsprechende ubernaturliche Akt.∗ Ich muss diesen Akt als ubernaturlichen setzen und

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15.1 Vorbemerkungen, Allgemeines zur aktuellen Gnade

nicht nur haben als von Gott ubernaturlich gemachten.∗ Ich darf nicht nur der passive Empfanger einer uberna-

turlichen Qualifizierung meines Aktes sein,∗ sondern muss der Tater meines ubernaturlichen Aktes

als eines solchen sein, und darf diesen Akt nicht nur alsnaturlichen aktiv setzen

∗ sondern aktiv als ubernaturlichen setzen.– Wenn das aber sein soll, dann bedarf es, weil ich ubernatur-

lichen Akt aus naturlicher Potenz nicht setzen kann, bedarfes ubernaturlicher vorubergehender Erhebung dieser Potenzdurch Gott.

– Mit anderen Worten, die sogenannte habituelle Gnade alshabitus operativus und aktuelle Gnade als Erhebung derPotenz zur Moglichkeit einen ubernaturlichen Heilsakt alssolchen zu setzen, unterscheiden sich sachlich durch nichtsals durch die langere oder kurzere zeitlich dauernde Anwe-senheit der ubernaturlichen Erhebung der Potenz.

– Wenn wir fur unseren Teil die thomistische Ansicht furdie sinnvollere, richtigere, Thomas besser entsprechendehalten, - sie ist auch im Grund den biblischen Daten besserentsprechende, - dann sagen wir:jeder ubernaturliche Heilsakt geht aus ubernaturlicher

Erhebung einer geistigen Potenz des Menschen hervor.Und diese ubernaturliche Erhebung der Potenz durchGott, die macht, dass dieser Mensch einen ubernaturli-chen Heilsakt setzen kann,

kann nun entweder vorubergehend gegeben sein - aktu-elle Gnade - oder

dauernd gegeben sein - dann nennen wir das habituelleGnade. -

Sie sehen dann, dass unter dieser Hinsicht der Traktat uber die ak-tuelle Gnade

5. gar nicht die ontologische Selbstandigkeit hat, die man ihm zuer-kennt, wenn man den ganzen Traktat einteilt in habituelle und ak-tuelle Gnade, als ob das die selbstandigen Teile des Gnadentraktatswaren. Das ist unrichtig,

a) weil wir die aktuelle Gnade nur fur die actus dispositivi brauchenb) weil sie sich gar nicht wesentlich von der habituellen Gnade un-

terscheidet, sondern nur hinsichtlich der Dauer dieser ubernatur-lichen Erhobenheit der Potenz einen Unterschied macht.

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15 Leben in der Gnade

Wenn sie das noch vereinfachter (nicht aus Primitivitat, sondernaus dem Vorantreiben der Problematik sich ergebend) habenwollen, haben sie nichts anderes zu denken als Folgendes:

Hier ist der Mensch: von Gott auf ubernaturliches Ziel hin be-stimmt.

Die gottliche Gnade greift im Grund des Wesens des Men-schen an, gibt ihm Moglichkeit, Heilsakte zu setzen.

Tut er das, dann erwirbt er sich die gottliche Ermoglichungals dauernde Befahigung - habituelle Gnade - oder

er verschließt sich frei, schuldig, dieser ubernaturlichen Be-fahigung, dann nennt man dieses zuruckgewiesene Ange-bot Gottes zu ubernaturlichem Akt, diese in der Potenzanwesende Moglichkeit gottlichen Heilshandelns, in der derMensch sich verschließt, was er storrisch macht, nennt man- aktuelle Gnade -, so wie das

Ziehen Gottes, wenn der Mensch sich ziehen lasst, ihn zuKind Gottes macht, und wie das Ziehen des Vaters (Jh 6)ihn eben zu einem Menschen macht, der der Gnade GottesWiderstand leistet.

Kann man dann, dieser schlichte und im Grunde sich mehr oderminder bloß von der existentiellen Reaktion des Menschen hersich unterscheidend eine Gnadenwirklichkeit, kann man von denverschiedenen Reaktionen des Menschen aus in verschiedenenSituationen in der Existenz des Menschen sehen.

Und dann nennt man das eine aktuelle und das andere habituel-le Gnade, und je nach dem, wie tief es ratifiziert, angenommenenist,

eingegossene Tugend des Glaubens usw. unddas Ganze Rechtfertigungsgnade mit eingegossenem habitus

der Liebe.

Es ist wichtig, dass man diese Dinge so sieht, daß man durch-aus bejaht, was die scholastische Terminologie sagt und meint,und auf der anderen Seite

nicht vor lauter Wortern, Distinktionen den Wald nicht mehrsieht. Die Dinge hangen viel simpler und selbstverstandlicherzusammen, als es aussieht, als wenn man einfach die Distinktio-nen thetisch hinsetzt, als ob es absolut getrennte Wirklichkeitenwaren, die nichts miteinander zu tun haben, sondern einzeln vonGott gegeben werden mussten.

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15.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen

Nun wollen wir in der nachsten Stunde gleich weitermachen: in dieserersten These uber die aktuelle Gnade (29.These des Gnadentraktats)ist noch einiges zu sagen, was auf jeden Fall hinsichtlich dieser Gnadegesagt werden kann, was also gemeinsame Lehre von allen Schulen ist.

7.6.1957 Vorlesung 75 (2.Stunde)

Wir haben in der letzten Stunde1. die allgemeine Problematik hinsichtlich der aktuellen Gnade,2. ihres Orts im gesamten Traktat,3. die verschiedenen Unterschiede systematischer Art bei den verschie-

denen Schulen angedeutet.

15.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen

Um nicht nur diese Verschiedenheiten zu betonen, sagt die erste These

These 29 Existunt auxilia actualia supernaturalia gratiae internae,quae a fontibus exhibentur tamquam illustrationes intellectus etinspirationes voluntatis immediatae importantque actus vitalesindeliberatos et deliberatos.

Es gibt aktuelle innerliche ubernaturliche Gnaden, die von denQuellen als Erleuchtungen des Verstandes und unmittelbare In-spirationen des Willens bezeichnet werden und unwillkurlicheund willkurliche vitale Akte mit sich bringen.

Die Frage nach den einzelnen Tatigkeiten des ubernaturlichen Le-bens, einzelnen Heilsakten des Gerechtfertigten Menschen (vondiesen sprechen wir), kann, wenn allgemein betrachtet, betrach-tet werden unter dem Gesichtspunkt des actus subjektivus undobjektivus.

Wir konnen fragen: Wie nehmen sich diese Heilsakte des gerechtfertigtenMenschen

in ihrer seinshaften Wirklichkeit aus undwie machen sie sich subjektiv, bewusstseinsmaßig, geltend.

Die erste Frage wird hier in dieser These soweit eine allgemeine Auffas-sung herauskristallisierbar ist, gegeben.

Wenn man den Sinn dieser These sich deutlicher vergegenwartigenwill, ist zunachst Folgendes zu sagen:

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15 Leben in der Gnade

die Heilsakte sind entweder freie Akte oder unwillkurliche Akte,deliberati oder indeliberati.

Letztlich muss die erste Gnade ein indeliberatus sein.Jedem ubernaturlichen freien Handeln geht bei der Endlichkeit

des Menschen ein Anstoß voraus. Dieser Anstoß muss dem Men-schen, wo es um sittliche freie Entscheidung geht,

bewusst sein, indem ihm Motivationen vorgelegt werden, zu de-nen er Stellung nehmen kann.

Den actus deliberati mussen indeliberati vorausgehen.• Wenn diese Heilsakte sein sollen, dann mussen sie aus Gna-

de hervorgehen. Also das Subjekt mit seinen actus indeli-berati oder deliberati.

• Dieser Heilsakt muss aus Gnade sein, aus innerer Gnade.• Mit anderen Worten: diese innere Gnade muss den Heilsakt

zu etwas machen.

Subjekt Aktqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

ubernaturlicheErhohung qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

qqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqqq

deliberatus

indeliberatusmachtetwasmit demAkt

Jetzt ist naturlich klar, dass ein solcher actus indeliberatus, wenn ernicht absolut mirakulose Angelegenheit sein soll, wie er nicht zu fin-den ist im normalen Leben, dann kann er, wenn er als gnadenhaftgetragener Heilsakt bezeichnet werden soll, nicht bloß aus der Gnadehervorgehen.

Wir entdecken ja normalerweise in sehr vielen Fallen keine inne-ren Akte in uns,

die nicht auch naturliche Voraussetzungen haben.• Wenn uns ein frommer Gedanke einfallt, dann weil wir geis-

tige Erinnerung an etwas haben, was wir gehort haben, oderbeigebracht bekommen haben.

• Wenn wir besonderen Antrieb spuren, was Gutes zu tun,dann auch daher, dass ausnahmsweise kein Fon ist, dass wirausgeschlafen haben, oder eine Tasse Bohnen-Kaffee unse-ren inneren Menschen beflugelt, oder die Exhorte wirklichausnahmsweise unser Herz bewegt hat.

Andererseits werden wir solche Akte, wenn wir uberhaupt so waswie Heilsakte und Heilsgnade entdecken wollen, werden wir sol-che Anregungen Gnade nennen mussen. Wir stehen vor der Fra-

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15.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen

ge:diese Gnade getragenen Akte haben ihre Grunde, Ursachen,

Voraussetzungen, Anstoße, die nicht einfach mit der innerenGnade identifiziert werden konnen.

Naturlich kann und muss man sagen: auch diese außerenund innere Ursachen, die nicht unmittelbar Gnaden sind,die machen, dass ich diesen und diesen Gedanken fasse,

sind auch von Gottes Gute gegeben, von der Vorsehung ge-deichselte und geschaukelt, dass was Vernunftiges heraus-kommt. So sind sie einfach auch Gnade zu nennen.• Wenn ich aus ubernaturlichem Motiv freundlich bin,

wenn ich es nicht gewesen ware, wenn ich Bohnen Kaf-fee nicht getrunken hatte und eine Huld des Kochs ihnmir nicht hatte zuteilwerden lassen - klar

• dass wenn Gott es nicht so gedeichselt hatte, ware dieserAkt nicht geschehen.

• Dieser Augenblick meines Daseins ware mit Akt derBrummigkeit ausgefullt worden, und es hatte nichts Ge-scheites daraus werden konnen.

• Diese freie Verfugung Gottes hinsichtlich der Tasse Kaf-fee kann ich als gratia quoad finem supernaturalem be-trachten und muss es tun.

Insofern kann ich auch unter diesem Aspekt die entitativ naturli-chen Ursachen eines Heilsaktes willkurlicher oder unwillkurlicherArt als Gnade auffassen.• Aber da wir schon bewiesen haben, dass wir eine

entitativ ubernaturliche Gnade brauchen, nicht bloßquoad modum, kann ich

die Gnadenhaftigkeit eines solchen actus deliberatus oderindeliberatus– nicht bloß als die Ungeschuldetheit und ungeschulde-

te Finalisierung des naturlich Verursachten auffassen,– insofern es unter ubernaturlicher Heilsprovidenz

Gottes steht,– sondern es muss durch die innere Gnade anders sein,

als wenn es diese innere Gnade nicht gabe.Er muss seinshaft ubernaturlich erhoben sein durch die

innere Gnade unddarf nicht nur modal durch die ubernaturliche Providenz

Gottes im Allgemeinen modal ubernaturlich sein, derauch die Natur lenkt.

Ob sie uberdies auch noch den Akt subjektiv

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15 Leben in der Gnade

bewusstseinsmaßig andert oder nicht: daruber spater.

Jedenfalls alle Theologen sagen, dass durch die innere Gnade jene ac-tus deliberati und indeliberati, die als Heilsakte angesprochen wer-den konnen, entitativ und ubernaturlich erhoben, seinsmaßig erhobensind durch die innere Gnade.

• Wenn und insofern ein ubernaturlicher freier Akt wieder in sichvon der Gnade getragen ist,

• Anlass zu weiteren Akten geben kann, ist er schon Gnade Got-tes.

• Und insofern ihm ein actus indeliberatus vorausgeht, der selbstubernaturlich erhoht ist,

• muss und kann ich diesen actus indeliberatus auch als Gnadeansprechen.

Ich kann naturlich, weil dieser Akt nicht allein von der ubernaturlichenGnade seinshaft konstituiert ist, sondern auch durch naturliche Fa-higkeiten gesetzt und getragen ist,

• kann ich unterscheidenzwischen naturlichem Sein undubernaturlicher Erhebung bei solchem Akt,

• und kann die ubernaturliche Erhebung als solche Gnade nennen,• und weil diese ubernaturliche Erhebung die eines geistigen Men-

schen ist, kann ich auch den so erhobenen Akt Gnade nennen.

Nun kommt erst die Schwierigkeit dieser These. Was bisher ge-sagt wurde, ist aus fruherem von selbst sich ergebend. Von denQuellen der Offenbarung her, Schrift, Indiculus, Arausicanumwird dieaktuelle Gnade im weiteren Sinn des aktuellen gnadenhaf-

ten Tuns des Menschen beschrieben als Erleuchtung undInspiration.

Ursprunglich illuminatio et inspiratio, wie sie schon in derSchrift, Indiculus und Arausicanum vorkommen,• von der Salbung, vom Ziehen des Vaters, salutaris cogi-

tatio,• velle et perficere, das durch gottliche Gnade gegeben ist

- nicht deutlich unterschieden - bedeutet• geistige Akte des Menschen, Neigung, sich angezogen

Fuhlen, bewegt Sein,• sich gedrangt Fuhlen, dass Gott was will, mich ruft usw.

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15.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen

• Alle diese Akte sind in der Schrift da, werden als Gnadeaufgefasst, nicht genau unterschieden.

Im Laufe der Begriffsentwicklung istilluminatio mehr auf die geistig-erkenntnismaßige Seite zu

beziehen,inspiratio mehr auf die willentliche Seite des Menschen zu

beziehen.• Daran hat man sich gewohnt.

– Auch heute, wenn ein frommer Mensch zumBeichtvater kommt oder zum Spiritual und nichtnur Sunden erzahlt, wird er sagen: ich fuhle michangeregt, in die Eskimomission zu gehen und derSpiritual wird sagen, das ist kostbare Gnade Got-tes, die man nicht verscherzen darf.

– Wenn einer vom Priesterberuf spricht, meint er dieGestimmtheit, das Angetriebensein zum Ergreifensolchen Berufs, Verstandnis dafur, Geneigtheit furdiese Dinge.

– Eine Menge von geistigen Eindrucken, Verhaltens-weisen, Gesichtspunkten, die solche geistigen undvolitiven Akte sind.

– So was nennt der Sprachgebrauch der Schrift undTradition und heutigem Sprachgebrauch: Gnade.

Jetzt die Schwierigkeit namlich: der reflektierende Theologewird sagen, schon, naturlich kann und musst du das Gnadenennen, dass so was bei dir passiert, dass du dich angeregtfuhlst, hundert Schilling zu geben fur die Missionen undnicht zu stehlen, und dass du das tust, das ist Gnade.• Aber schon, dass es Missionen gibt, hat mir Gott nicht

geoffenbart sondern die katholischen Missionen und dassChristenmensch was dafur tun muss, hat mir der Reli-gionslehrer eingebleut.

• Als Kind, das Schokolade gehabt hat, wurde ich dres-siert, nicht alles zu behalten sondern herzugeben.

• Wenn ich das, was Gnade ist, analysiere und auf das ent-sprechende Konto schreibe, naturliche Ursachen usw.,was bleibt denn noch fur Gott mit innerer Gnade ub-rig?– Dass mir gerade jetzt der Gedanke kommt, kommt

vom Wetter,– dass es dieser ist, von den Assoziationen und– diese ist von der Schule, der Mutter, der Lekture,

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15 Leben in der Gnade

dass ich diese Erziehung hatte,– dass das meine Eltern waren, und das wieder daher,

dass sie sich heirateten, und das kam daher, dass derda und die da wohnten usw.

Man kann das, was man Gnade nennt, in ein letztlich un-ubersehbares Netz von Ursachen auflosen und analysieren,das doch eindeutig ist.• Was bleibt fur Gottes Gnade ubrig?• Die erhohte diese Akte. Sie kommen als Akt einer Er-

kenntnis, als Antriebs-Konstellation aus naturlichen Ur-sachen.

• Aber aus diesen unzahligen Ursachen und Konstellatio-nen kommende Anregung: dieser Akt ist von der GnadeGottes getragen und entitativ seinsmaßig ubernaturlicherhoht.– Schon, sagt einer, das kann man ja sagen. Dann be-

greife ich, wie meine einfache und unwiderlegliche Er-fahrung, dann begreife ich,

– dass auch meine Gnade von naturlichen Ursachenhervorgerufen werden.

– Diese Tatsache kann ich vereinigen mit der merk-wurdige Lehre, dass ein ubernaturlicher Heilsakt voninnerer ubernaturlicher Gnade und nicht durch WeltKonstellation gemacht durch Providenz Gottes, ab-hangt.

Aber kann man sagen: die Tradition scheint doch diese ac-tus deliberati und indeliberati, insofern sie psychologischsind, auf die Gnade Gottes zuruckzufuhren, auf die innereGnade Gottes. Wenn in der Nachfolge Christi: suaviterquem gratia Dei portat. Beispiel: in der Nachfolge Chris-ti wird innere Geneigtheit, Ruhrung, Affinitat an gottlicheGebote, Verstandnis fur Gott Gnade Gottes genannt.Man kann sagen, der normale Mensch sagt nicht, heu-

te fuhle ich mich angeregt zu allem, Betrachtung ruhrtmich zu Tranen. Ich gehe gerne in die Schule. Da sageich doch, das kommt vom Wetter oder vom Hormon-Haushalt oder vom Kaffee, von gesunden Nerven, dieich von meinen Ahnen bekommen habe.

Dieser Fromme wird sagen: siehst du, Gottes Gnade istin mir. Das wirkt der Heilige Geist in mir.• Und wenn er sich abgespannt, mude, trage findet,

dann sagt der Spiritual: geh in die Kapelle und flehe

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15.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen

um Gottes Gnade, dass die auf dich herabkommt unddu dich kraftig zu allen guten fuhlst.

• Der Nerven Arzt wird ihm sagen: nein, geh nicht indie Kapelle, du musst ausschlafen und dann wirst duden Pfingststurm noch mehr fuhlen und nicht nochmehr dich geradert fuhlen durch eine zusatzliche Be-trachtung. Wo ist diese Gnade?

Hier sagt sehr nuchtern rationalistisch beinahe, nicht auf denersten Blick mit dem Empfinden des frommen Christen undnicht auf den ersten Blick mit der Tradition und Schrift uber-einstimmend, die theologische Schule:• ja, mein lieber, du kannst - Ausnahmen vorbehalten - du

kannst den psychologischen Inhalt deiner Akte, die du Gna-de nennen musst als Heilsakte von der Gnade getragen be-trachten musst,

• du kannst bei diesen Heilsakten den psychologischen Inhaltauch adaquat auf naturliche Ursachen zuruckfuhren. Ich sa-ge nicht: du musst das.

Spater werden wir sagen, dass das nicht einmal richtig ist,dass das erbittert von uns bekampft wird,• aber wenn wir von den tatsachlich in der Kirche vorhan-

denen und nicht beanstandeten gemeinsamen Patrimoniumausgehen,

• durfen und mussen wir sagen: die ubernaturlich erhohtendeliberaten und indeliberaten Heilsakte des Menschen kon-nen zunachst einmal in ihrem Inhalt auf naturliche Ursachenzuruckgefuhrt werden und

• sind streng ubernaturlich zunachst einmal nur in der uber-naturlichen Erhebung dieser Akte,– und zwar, nach vielen katholischen Theologen, (ohne

dass das Magisterium etwas dagegen einwendet,)– ohne dass man notwendigerweise diese ubernaturliche

seinshafte Erhebung auch in das Bewusstsein hinein-wirkend sich denken muss,

• so dass umgekehrt das, was sich in diesen Akten subjek-tiv bewusst bemerkbar macht, auf naturliche Ursachenzuruckgefuhrt werden darf.1. Dass diese naturlichen Ursachen selbst wieder unter

Heilsprovidenz Gottes stehen und unter dieser Hin-sicht ungeschuldete Gnade sein konnen, ist nicht zu be-zweifeln. Wenn einer eine gesunde Natur geerbt hat,nicht ein Nervenbundel ist, dass das große Gnade Gottes

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15 Leben in der Gnade

ist, fur die er nichts kann, ist selbstverstandlich.2. ist naturlich in dem Inhalt dieses Bewusstseins, inso-

fern es der Inhalt von christlichen Heilsakten ist, inso-fern es ubernaturlich ist, kann sehr viel dieser Inhalteaus der ubernaturlichen Offenbarung Gottes stammen,die vermittelt sind durch Predigt und Lehre des Evan-geliums: ist auch klar.– Insofern sind unsere ubernaturlichen Heilsakte auch

streng ubernaturlich, insofern sie aus streng uberna-turlicher - ihr Inhalt streng aus einer ubernaturlichenOffenbarung Gottes stammen.

– Die Schwierigkeit bleibt, aber die Tradition nenntdoch diese geistigen Akte des Menschen Gnade inso-fern sie einen gedanklichen und willensmaßigen Inhalthaben, insofern sie Inspiratio und Illuminatio sind.

Das sagen nun alle Theologen sensu praecisivo und viele sensu exclusi-vo

man kann der Tradition genugend gerecht werden, ob wahr, istandere Frage, man muss festhalten:

man kann der Tradition von der Gnadenhaftigkeit der Inspirationund Illuminatio genugend gerecht werden, dadurch dass mansagt

jene Akte seien entitativ ubernaturlich erhoben und das genugeauch, um diese Akte als inspiratio und illuminatio zu qualifi-zieren,

ohne dass man annehmen musste, dass auch der bewusst und ge-genstandlich gegebene Inhalt (geistig bewusster Inhalt) das ob-jectum intentionale dieser Akte aus der inneren Gnade entstam-me,

wenn es auch in seinem heilsbedeutsamen Kommen aus derGnade der fides ex auditu stamme.

Woran muss ich mindestens sicher festhalten hinsichtlich der Gna-denhaftigkeit meiner Heilsakte, aber vielleicht auch: wo brauche ichnicht mehr zu fordern?

Jene geistigen erkenntnismaßigen Akte willentlicher und er-kenntnismaßiger Art, in denen ich mich positiv irgendwie mitHeil befasse, sind insofern illuminatio und inspiratio ex gratiapraecedentesinsofern diese entitativ ubernaturlich erhoht sind. Ich brau-

che nicht notwendig behaupten,

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15.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen

dass diese geistigen Akte der Erkenntnis und des Willens,die auf Heilsobjekte hinstreben, mir auch in der Bewusst-seinssphare durch die innere Gnade gegeben seien.

Das brauche ich nicht behaupten. Wenn einer das doch be-haupten will, ist das etwas, wofur er nicht durch die Lehreder Kirche stricte verpflichtet ware.

Wenn einer sagt: alle geistigen Bewusstseins Inhalte erkenntnis-maßiger und willentlicher Art, die in normalem christlichen Be-wusstsein, - wo nicht Wunden sind, - als Heilsgnade gegebensind,stammen aus außerlicher Erfahrung des Menschen, sind ge-

liefert durch seine naturlichen Akte unddie Gnade bei ihnen bewirkt nur seinshafte Erhohung dieser

Akte, die bewusstseinsjenseitig ist.Dann sagt er nichts, was sich gegen verpflichtende kirchli-

che Lehre wenden wurde.Wenn er sagt: es muss so sein, denn bei mir kann ich nicht mehr

entdecken, der kann sich, wenn er meint, das sei einleuchtend,mit diesem Minimalismus begnugen.• Jedenfalls sagen wir positiv in dieser These nicht mehr. Die

gratia actualis bringt mit sich diese actus indeliberati unddeliberati. Sie erhoht diese seinsmaßig, macht so diese Akteselbst zu ubernaturlichen Gnadeakten, zu etwas was manselbst eine Gnade Gottes nennen kann.

• Und man kann diese Akte dann, wegen dieser seinsmaßigenErhohung auch als illuminatio und inspiratio ansprechen,– selbst wenn man annimmt, dass der psychische Inhalt

dieser Akte nicht der inneren Gnade Gottes entstammt,– fur diese innere Gnade Gottes, die sie seinsmaßig erhebt,

den Bewusstseins-Inhalt dieser Akte nicht modifiziert.Dass im normalen Fall der Inhalt nicht einfach aus der inneren

Gnade stammt, ist klar.• Es gibt Klosterfrauen, die Erleuchtungen niederschrei-

ben und meinen, die stammen dem Inhalt nach aus derhimmlischen Telefonverbindung. Aber man merkt: es sindReminiszenzen aus Exerzitien usw., gehen aus dem Unter-bewusstsein solche Personen hervor

• und weil das mit Eindringlichkeit und modifizierter Variati-on ins Bewusstsein kommt, meint so jemand, das hatte ihmGott gesagt.– So kam es, dass eine solche Nonne ganze Seiten himmli-

scher Erleuchtung niedergeschrieben hat. Da merkte

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15 Leben in der Gnade

man: es sind nur Seiten aus der Summa Theologica desheiligen Thomas. Hat sie nieder geschrieben.

– Als der Spiritual darauf aufmerksam gemacht wurde,war er nicht zu bekehren, dass das naturlich ist, sondernglaubte, das kann der liebe Gott doch auch. Aber mansoll den lieben Gott nicht bemuhen, wo es auch einfachergeht.

Anders ausgedruckt: das was man konkret als Gnaden Anregung erlebt,

• muss und kann deshalb von der inneren Gnade Gottes kommendInspiration genannt werden,

• weil diese Akt tatsachlich,– das weiß ich nur aus dem Glauben– und nicht aus innerer Erfahrung,

ubernaturlich seinshaft erhoht ist.• Und was geistige Anregung ist und• was so, wie es konkret ist, nicht ware,• wenn es nicht durch Gott, durch innere Gnade modifiziert ware,• kann ich auf Gott zuruckfuhren und• deshalb illuminatio und inspiratio nennen,

– auch wenn sein geistiger Inhalt nicht unmittelbar von Gott– sondern mittelbar von Gott durch naturliche Ursachen

kommt.

Das sagt die These sensu praecisivo. Daran mindestens muss festge-halten werden.

• Ob das adaquat der Tradition, wenn unbefangen interpretiert,gerecht wird, oder nur zum Teil und nicht ganzlich, ist andereFrage.

• Ich glaube von der 29.These ist mehr oder weniger grundsatzlichschon alles gesagt.

• Wir kommen darauf von anderer Seite zuruck, wenn wir diesequaestiones disputatae miteinander uberlegen, von denen auchals Problem schon die Rede war.

19.6.1957 Vorlesung 76

1. Wir mussen noch schneller voranmachen, da wir nur noch 6Stunden haben.

2. Wir stehen in dem Abschnitt uber die aktuelle Gnade.3. Wir haben gesagt dass diese aktuelle Gnade nach den positiven

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15.2 These 29 Erleuchtungen und Inspitationen

Quellen etwas mit den naturlichen geistigen Akten des Men-schen zu tun hat und deshalb beschrieben werden als von Gottangeregte illuminationes et inspirationes intellectus et volunta-tis.

4. Und dass diesem Begriff hinsichtlich der Kirchenlehre die Erkla-rung genugt,

5. und angesichts des Standes der Theologie nicht mehr sagbar istals,a) dass diese geistigen Akte des Menschen insofern als bewuss-

te himmlische Erleuchtungen und Antriebe Gottes genanntwerden konnen,

b) als sie hinsichtlich ihrer seinshaften ubernaturlichen Erhe-bung durch die eigentliche im strengen Sinn entitativ undschlechthin ubernaturliche Gnade erhoben werden.

Ob dieser Begriff der Inspiratio und illuminatio wirklich den Quellengenugt, wo sie nicht bloß durch amtliches Lehramt vertreten werden,ist andere Frage. Wir mussen daran festhalten:

• es gibt aktuelle Gnade, die insofern aktuelle ist, als sie mit sichbringt1. geistige Akte des Menschen

a) aus ihrer Natur heraus vorubergehend,b) die der eigentlichen Rechtfertigung und dem Besitz der

rechtfertigenden Gnade voraus gehen.2. Und die eigentliche gottliche Gabe

– insofern als sie in ihrem seinshaften Bestand nur durchinneres Eingreifen Gottes,

– wenn auch mit anderen Ursachen zusammen, hervorge-bracht werden konnen,

• und weil sie solche sind, konnen sie auch geistige ErleuchtungenAntriebe gottliche Art genannt werden.

Das Nahere uber diese vorausgehende These ist im Kodex nachzule-sen.

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15 Leben in der Gnade

15.3 Assertum I Ansichten rur aktuellen Gnade

Assertum I: Actus indeliberati et deliberati, quibus ut illustratio-nibus et inspirationibus Dei immediatis vindicavimus rationemgratiae actualis, procedunt ex potentiis suis antecedenter ad eostranseunter elevatis; quapropter huic de se transeunti elevationisupernaturali potentiarum primo convenit ratio gratiae actualis.

Unwillkurliche und willkurliche Akte, denen wir als Erleuchtungenund unmittelbare Inspirationen Gottes die Eigenart einer aktu-ellen Gnade zuschreiben gehen hervor aus ihren Potenzen dieim Voraus vorubergehend erhoht werden. Deshalb kommt die-ser vorubergehenden ubernaturlichen Erhohung der Fahigkeitenzuerst die Eigenart der aktuellen Gnade zu.

Wir gehen uber zu Fragen, die mit aktueller Gnade zu tun haben, diedisputiert werden, wo es keine allgemeine Auffassung gibt. Dazu nur einigeAnmerkungen.

Zunachst die Frage, wie diese ubernaturlichen Akte, die seinsmaßigubernaturlich sind, von Gott bewirkt werden. Hier gibt es zwei Grund-auffassungen, die von Molina her und von den Jesuiten Theologen.Und die, die ausschließlich von Dominikanern und Thomisten vertre-ten wurden. Das ist ganz kurz abmachbar.

Molina und Jesuitentheologen

• Geistiges Subjekt setzt Akt.• Dieser Akt soll ubernaturliche Gnade sein.

– Frage: dieser Akt ist auf jeden Fall ubernaturlich, also et-was was wir in diesem Sinn eine schlechthin entitativ uber-naturliche Gnade nennen.

– In seinem naturlichen Seinsbestand entitativ und inten-tionaler Akt durch geistiges Subjekt gesetzt

– anders als wir aus unserer Potenz aktiv heraus setzen kon-nen.∗ anders kann gar kein Akt sein.∗ Nur Bestimmungen konnen da sein∗ so wie wir unsere Fahigkeiten als Bestimmungen haben∗ und daraus Akt setzen.

– Die kann seinsmaßige Bestimmungen haben,– die Gott gemacht hat,– die nicht von mir abhangen z.B. Meinen Verstand.

∗ Ich kann mit ihm etwas tun,∗ aber geistige Akte konnen nur von mir sein wenn sie von

mir gesetzt sind.

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15.3 Assertum I Ansichten rur aktuellen Gnade

Wenn eine salutaris cogitatio usw. von mir gesetzt sind,mussen sie notwendig vom endlichen geistigen Subjekt ge-

setzt werden.Actus vitalis intellectivus bei dieser inspiratio und illumi-

natio ist vom geistigen Subjekt gesetzt.Ich bete, uberlege, fuhle mich angetrieben:

– alles das ist etwas was wir Gnade Gottes nennenmussen

– und doch etwas, was wenigstens in bestimmter Hin-sicht des Seinsbestandes dieses Akts von diesemSubjekt gesetzt wird.

Nun ist es aber nach positiven Quellen etwas, wasGott in mir bewirkt - wir sagten mindestens dieubernaturliche Qualitat dieses Aktes bewirkt Gott inmir.

Frage: ist dort, wo wir noch nicht ohne weiteres habitusinfusus im Subjekt annehmen konnen diese ubernatur-liche Qualitat meines Aktes– (worin dieser genauer besteht, daruber haben wir

uns nicht den Kopf zerbrochen, sondern nur abstraktformal gesagt)

– nur von Gott allein gesetzt so dass ich nur enti-tativ naturliche Akte aktiv aus meinen Potenzenheraussetze oder ist es anders?

Molina: Gott erhebt diesen Akt und nur diesen alleinunmittelbar.– Er gibt ihm diese ubernaturliche Bestimmung durch

Erhebung, die auf ihn allein zielt,– so dass der Mensch selbst diesen Akt nur setzt, inso-

fern er ein naturlicher, verstandesmaßiger, willensma-ßiger actus deliberatus oder indeliberatus des Men-schen ist.

Und das nennt man dann concursus supernaturalis,der dem– Vermogen des Menschen außerlich ist und– nur den Akt selber erhebt und ubernaturlich macht.– Als naturlicher und von rein naturlicher Potenz (wir

setzen voraus, dass ich habitus noch nicht habe).In solchem Falle sagt der Molinist tritt diese assistentia

extrinseca ein(Molinismus hier hat nichts zu tun mit dem vorherigen

Molinismus, aber sie sind de facto Anhanger der assis-

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15 Leben in der Gnade

tentia extrinseca, der von Gott allein unmittelbar be-wirkten Erhohung den Aktes als solchen allein.

Da ware das erste von Gott bewirkte die ubernaturliche Erhohungdes Aktes allein, der vom Subjekt allein als rein naturlicher Aktgesetzt wird.

Die Thomisten (scheint einzig senkrechte Meinung zu sein) sagen:nein, der Akt, ob deliberatus oder nicht, soll als ubernaturlichergesetzt werden vom Subjekt. Das bedingt eine vorubergehende Erhe-bung der Potenz, so dass damit der Mensch auch den ubernaturlichenAkt als seinen ubernaturlichen Akt setzen kann.

Und der Thomist sagt: gegen solche Konzeption ist sachlich nicht dasgeringste einzuwenden, weil wir als Christen annehmen und lehrenmussen, dass Gott den Gerechtfertigten durch habituelle Erhebungseiner Potenzen, habituelle Gnade, eingegossenen Tugenden genannt,in Stand setzt, ubernaturliche Akte als solche zu setzen. Warum ha-ben wir habitus infusus, wozu sind diese Mobel da? Merken wir! Nichtnur angeknobelt im Katechismus, was man aber nicht merkt . Nein.Gott will, dass wir geistig frei personal handeln so dass dieses demZiel des Besitzes Gottes in visio innerlich kongenial und konform ist.

Dazu mussen diese Akte, wenn es ein ubernaturliches Ziel ist undnicht nur ein Spruch, mussen diese Akte seinsmaßig diesem Zielentsprechen. Aber wenn ich sage, jeder katholische Theologe sagt,dass dieser Akt in seiner Gottformigkeit wirklich mein Akt sein soll,dann muss er eben nicht bloß von Gott in mir bewirkt sein, sondernich muss ihn als solchen bewirken und dazu gibt Gott dem Menschenjene ubernaturlichen dauernden Befahigungen, solche Akte als seineund als ubernaturliche zu setzen und das nennt man eingegosseneTugenden, Glaube, Hoffnung, Liebe, moralische Tugenden, DonaSpiritus Sancti usw.

Ebenso fahren wir fort gegen Molinismus mit genauso viel Sinn undbesonderer Belastung, die in solcher Auffassung besteht, behauptenwir: Gott gibt, wenn er uns uberhaupt die Moglichkeit eines actus sa-lutaris gibt, macht er es dadurch dass er meinem Handeln erhebend,ihm zuvor kommt, mich in den Stand setzt, wenn auch vielleichtnur vorubergehend, diesen ubernaturlichen Akt als solchen zu set-zen. Begrifflich: er erhebt meine Potenz zu ubernaturlichem Handeln-Konnen, so dass ich aus dieser ubernaturlich befahigten geistigen Po-tenz den entsprechenden Akt als meinen setze, so dass der uberna-

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15.3 Assertum I Ansichten rur aktuellen Gnade

turliche Akt als ubernaturlicher meiner ist und mein Akt als meinerein ubernaturlicher ist.

Wenn der Molinist sagt, warum soll denn Gott diese Potenz erhe-ben, es genugt doch, den Akt zu erheben. Antwort: das ist Quatsch.Das ist ein nominalistischer Einfluss, der darin geblieben ist, ist auchhistorisch nachweisbar.

Wenn er den Akt erheben wurde, dann wurde er mir den geben.Ich hatte ihn, aber ich hatte ihn nicht gesetzt. Ich hatte ihn nur alsnaturlichen gesetzt. Ich muss angeregt sein, indem ich der bin, derglaubt, hofft, liebt usw.. Auch beim actus indeliberatus soll dieseindeliberatio von mir sein, dieser Anstoß muss aber als Anstoß einesubernaturlichen freien Aktes selbst in der ubernaturlichen Dimensionsein, von mir gesetzt sein, d. h. Ich muss in der Lage sein, solchenAkt setzen zu konnen. Ich muss im Voraus dazu von Gott erhobenwerden. Der Molinist sagt vielleicht: dann muss ja Gott die Potenzerheben. Und wenn ich den Akt ausschlage, den actus indeliberatusnicht zum Anstoß eines freien ubernaturlichen Jas benutze, dannhort diese praevia elevatio wieder auf.

Wenn einer bereut im Beichtstuhl, dass er zu viel getrunkenhat, absolviert ist, in Stand der Gnade kommt, die eingegosse-nen habitus wieder hat und steuert voll ubernaturlicher Freudeam Wirtshaus doch nicht vorbei, dann ist nach Wald und Wie-sentheologie jedenfalls der auch wieder ohne habitus, ob dieseDauer zwei Minuten oder eine Viertelstunde dauert, das istvon Gott aus gesehen vollkommen gleich.

Wir behaupten dass und insofern auch die Akte, die der uber-naturlichen habituellen Rechtfertigung des Menschen voraus-gehen und Heilsakte, ubernaturliche Akte sind, als solchesinnvoller Weise vom Menschen gesetzte gedacht werden mus-sen, bleibt fur metaphysische Analyse dieser Annahme nichtsanderes ubrig als zu sagen,

Gott gibt dem Menschen bei aktueller Gnade die Moglichkeitdadurch, dass er diese geistigen Potenzen des Menschenubernaturlich erhoht und dadurch in Stand setzt, die dieserubernaturlichen Potenz entsprechenden Heilsakte als solcheubernaturlichen Akte zu setzen.

Einer sagt: was heißt das eigentlich sachlich, biblisch fur vernunfti-gen Menschen entsprechend? Sieh lieber Freund: wenn du die Schriftliest, siehst du, dass da

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15 Leben in der Gnade

Gott und sein Geist konzipiert werden als aus der Tiefe desMenschen heraus als der Geist, die Dynamis des Menschenwirkend, ihn treibend, ziehend, mit unaussprechlichen Seufzernziehend, lockt in neue Daseinssphare versetzend, so dass ausdiesem der Zustand des Getrosteten heraus kommt.

Und diese Struktur des Menschen, von dessen innerer WesensmitteGott selbst mitwirkt ein dem geistig personalen Wesen des Men-schen insofern es sich auf Gott bezieht.

Das fangt schon an, wenn auch nicht durch dauerndeZugesprochenheit sondern durch tatsachliches MitwirkenGottes, schon an, wenn er uberhaupt anfangt nach Gottzu verlangen, beim ersten unwillkurlichen freien Akt des Men-schen, in welchem er sich auf Gott erst noch hin bewegt, weilnach der Schrift auch solche Akte Heilsakte sind, in denen Gottdem Menschen vorauskommt, ihm Moglichkeit und Tun gibt.

Darum ist dieses Wirken Gottes ebenso zu denken, wie es beimGerechtfertigten ist. Aus der Mitte seines Daseins heraus han-delt Gott am und mit dem Menschen, gibt ihm Moglichkeit,Anstoß, Dimension, in der er so was gibt, wie spontane oder freiakzeptierte Heilsakte.

Das ist der Sinn, der nicht unwichtig ist, von dem was scholastischsublim ausgedruckt ist. Und mehr dazu ist nicht zu sagen.

15.4 Assertum II: Braucht diese aktuelle Gnadeauch der Gerechtfertigte?

Assertum II Actus supernaturales, qui procedunt ex habitibus su-pernaturalibus correspondentibus, ut fiant, non indigent aliquagratia actuali interna et supernaturali, quae distincta est ab ele-vatione actus resultante ex potentia elevata et a concursu Deihuic actui correpondente.

Aus ubernaturlichem Habitus hervorgehende ubernaturliche Aktebrauchen keine entsprechende aktuelle innere und ubernaturlicheGnade, die verschieden ist von der Erhohung des Aktes die sichaus der ubernaturlich erhohten Fahigkeit ergibt und aus demKonkurs Gottes zu diesem entsprechenden Akt.

zum Assertum II.

Eine weitere Frage, die auch disputata ist, ist hier anschliessbar: dieFragen namlich: braucht es diese aktuelle Gnade auch noch mal beim

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15.4 Assertum II: Braucht diese aktuelle Gnade auch der Gerechtfertigte?

Gerechtfertigten?

Aktuelle Gnade war fur uns gar nichts anderes als das von Gott demMenschen im voraus zu seiner freien Entscheidung schon gegebeneKonnen und Wollen, Angeregtsein zu einem ubernaturlichen Akt.Infolgedessen wird man vernunftigerweise sagen mussen: dort woGott dem Menschen dieses Konnen dadurch dass er ihn recht-fertigt, ihn zu Tempel Gottes, zu neuer Kreatur, zu innerlich mitder Wirklichkeit Gottes Gesalbtem gemacht hat, kann der Menschda noch mal neue, andere aktuelle Gnade uber die habitus opera-tivi boni hinaus nicht fordern. Das ist im Grunde vollig sinnlos unduberflussig.

Naturlich gilt auch fur solchen Akt das allgemeine metaphysischeGrundaxiom, dass eine Kreatur aus der Potenz in den Akt nur uber-gehen kann, wenn Gott mit seinem Konkurs diesen Akt auch mit-tragt.

So sehr es endliches Subjekt gibt, das Akt setzen kann, so ist diesesals den Akt setzendes, von Gott getragenes und dieses Getragensein,diese sich selbst in der Zeit entfaltenden geschopflichen Seins, inso-fern es sich auf den Akt bezieht, nennt man Konkurs. Insofern derubernaturliche Akt erst recht ein Akt ist und ein Ubergang vonder Potenz zum Akt ist, auch dann wenn er die notigen dauerndenBefahigungen hat, darum ist auch in solchem Falle eines ubernaturli-chen Akts aus der Potenz heraus die ubernaturliche auch notwendigund auch klar, dass dieser ein Konkurs zu dem ubernaturlichen Aktist.

Der Gerechtfertigte braucht Konkurs huic actui correspondens, dernichts anderes ist als diesem korrespondierend und so ist er naturlichetwas Ubernaturliches. Wenn man Konkurs ad actum supernatu-ralem eine gratia actualis nennen will, hat man die Schwierigkeit:das bringt die Terminologie durcheinander. Verwischt die Eigenartdieses Konkurses. Eine sachliche Meinungsverschiedenheit brauchtdas nicht zu sein.

Wenn Gott durch Konkurs, Belehrung, Bohnenkaffee, Engel unterUmstanden solches geistiges ubernaturliches Subjekt das schonvirtus hat, dazu bewegt, aus der Potenz in den Akt uberzugehen(Glocke lautet, Spiritual mahnt usw.) (gratia extrinseca) dann durfendiese nicht mit ubernaturlicher Gnade als aktueller verwechselt wer-den. Gnade in aktuellem Sinn als innere, ist die innere Erhobenheit,innere Proportionalitat zum Ziel des geistigen Aktes, und die ist bei

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15 Leben in der Gnade

dem, der die habitus infusi hat, genugend erklart durch die habitusinfusi, vorausgesetzt dass wir die habitus infusi annehmen. Das sagtdas zweite assertum in unserem Kodex.

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16 Quaestio disputata: Uber dieBewusstheit derubernaturlichen Gnade

16.1 Zusammenhang und vorbereitendeUberlegungen

16.1.1 Assertum I

Assertum I: Sine speciali revelatione nemo de sua iustitia certitudi-nem strictam habere potest.

Uber seinen Rechtfertigungszustand kann niemand strenge Sicher-heit haben ohne besondere Offenbarung

16.1.2 Assertum II

Assertum II. Actui entitativo supernaturali omni ex ipsa eius subiec-tiva elevatione convenit obiectum formale, quod ut tale a nulloactu naturali attingi potest. Hoc vero obiectum formale nequitreflexione interna contradistingui ab obiecto formali actus intel-lectualis naturalis et hac via constitui in terminum et motivumiudicii.

Jedem seinsmaßig ubernaturlich erhobenen Akt kommt gerade ausseiner subjektiven Erhobenheit ein Formalobjekt zu, welches alssolches von keinem naturlichen Akt erreichbar ist. Dieses For-malobjekt ist jedoch nicht durch innere Reflexion unterscheid-bar vom Formalobjekt eines naturlichen Aktes des Verstandes,kann also nicht auf diesem Wege das Ergebnis (Terminus) undden Beweggrund eines Verstandes Urteils bilden.

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

16.1.3 Hat es Sinn, sich mit problematischer Frage zubefassen?

Wir kommen nun zu anderer Frage die auch mit aktueller Gnade waszu tun hat: die weithin in der katholischen Theologie quaestio disputataist, wobei man aber, und das ist das Paradigmatische an diesem Traktat,nicht sagen kann, dass diese quaestio eine Haarspalterei der Theologen ist.

1. Es gibt gescheite theologische Lehrer und Bischofe vielleicht auch,die den Eindruck haben: was der katholische Glaube ist, ist was imKatechismus und im Denzinger steht: das ist von Gott geoffenbartund alles, was daruber hinaus liegt, das ist, wenn es nicht gerade umdie Sentenz in der Mariologie geht, dann sind das Quisquilien, diefur existentiellen Vollzug des religiosen Lebens vollig belanglos sind.Diese Meinung ist in manchen Fallen richtig, aber oft falsch.• Ob das oleum ab episcopo benedictum ad validitatem extremae

unctionis, oder nur von Seiten der Kirche fest gestellt ist: einerkann doch guter Christ sein, auf die Hohen eines sehr mystischengeistlichen Lebens erhoben sein, und doch davon nichts wissen.

2. Aber es gibt auch Fragen die von kapitaler Bedeutung sind, wenn siewirklich das Christentum fur die Menschen von heute richtig predigenwollen, so dass es dort ankommt und assimilierbar ist, und doch sindsolche Dinge, die dazu notig sind, quaestiones disputatae.• So kann es nicht sein,

– denn Gott kann uns doch nicht angewiesen haben auf dieScharfsinnigkeit der Theologen.

– Es muss doch so gehen.∗ In gewissem Sinne muss es ja gehen.∗ Aber wenn es wahr ist,

· dass es Dogmen Entwicklung gibt, dann gibt es Dinge,die quaestiones disputatae waren,

· und die dann doch so sehr in explizites Glaubens Be-wusstsein der Kirche eingehen, dass sie jetzt Dogmawerden.

• Warum konnte die Kirche nicht auf dem Stand der Dogmen-Entwicklung fur ewige Zeiten bleiben, wo sie war?

– Warum kann sie nicht sagen: diese Fragen sind offen undlassen wir sie offen.

– Die Apostel sind auch selig geworden ohne diese Fragen.∗ So redet die Kirche nicht, weil es fur die geistesgeschicht-

liche Situation eines spateren Menschen notwendig seinkann, dass er sich reflex daruber Rechenschaft gibt:

∗ denn ist es nicht so, dass dann die Kirche die Sache

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16.1 Zusammenhang und vorbereitende Uberlegungen

durch feierliche Definition klar macht?Nutzanwendung: warum Theologie im Gegensatz zum katechismus-maßigen Lernen des Definierten als Positives dazu von kerygmati-scher Bedeutung sein kann.

16.1.4 Konsequenzen fur die Verkundigung: praktischesVorgehen, verschiedene Adressaten

16.1.4.1 allgemeine Adressaten

Sie konnen naturlich nicht sagen: das habe ich herausgebracht, ist ab-solut notwendig, musst du auch glauben, obwohl es noch nicht definiertist. Aber man kann doch sagen, ohne Urteil zu fallen uber eine objektiveSache, sondern etwa so: das lehrt die Kirche und das auch und das ver-steht man besser, wenn man das sich so denkt. Ich brauche nicht zusagen, das ist meine Spekulation, sondern ich trage mit meiner prakti-schen Ausdeutung die Lehren der Kirche so vor, dass die Lehrenwirklich ankommen und verstanden werden konnen. Und diese Funk-tion genugt, um die Verwendung von quaestiones disputatae in richtigemSinn nach meinem theologische Gewissen zu rechtfertigen.

Wenn einer sagt: das glaube ich nicht, dann kann man ihm sagen, dasbrauchst du nicht glauben. Das und das lehrt die Kirche. Wenn du ohnedas Zwischenglied auskommst, um es zu verstehen: gut, geh hin in Frieden.

16.1.4.2 Kritische Zuhorer: Protestanten

Meistens ist es umgekehrt: man muss mit Protestanten reden: dannmerkt man, wie viel Theologie notig ist, die nicht definiert ist, um diesenLeuten ein Verstandnis beizubringen fur viele Dinge.

Wir sind katholisch geboren, haben es aufgenommen, nehmen wir inKauf und regen uns daruber nicht auf, auch wenn wir nicht wissen, wiedas so sein konne. Der Protestant, moderne Unglaubige oder der bedrohteKirchen Christ fragt: was soll das heißen. Wenn er das nicht fragt, dannist er ein Christ, der sich darum nicht kummert, sondern nur Osterbeichtemacht, Sonntagsmesse usw. und glaubt Gott ist damit zufrieden.

Der wertvollere Christ fragt, und da ist es wichtig, dass man quaes-tiones disputatae weiß, dass man vernunftige Antwort geben kann.

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

16.2 Gibt es Bewusstseinsstruktur derubernaturlichen Gnade, oder ist siebewusstseinsjenseitig

Der moderne Christ wird fragen: Kinder, was fur eine komplizierte Apothe-ke hat der Liebe Gott da eingerichtet, wie komplizierte Pulver muss maneinnehmen, um in den Himmel zukommen, davon merke ich nichts. Dasist gerade der Witz:

”davon merkt man nichts“?

Ich habe gemeint, davon merkt man was: wie diese Akte entitativsind. Was soll das Ganze, wenn man nichts davon merkt?

Eine wirkliche, kerygmatisch vertretbare Antwort, die sauber ist fur diegratia actualis gibt es nicht, wenn man nicht die Frage nach der Be-wusstheit der ubernaturlichen Heilsakte stellt und sie positiv beant-wortet, obwohl es eine quaestio acriter disputata inter theologos1 ist.2

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

ubernaturlichbegnadeter

Mensch

Absolute bzw.semipermeable

Betondecke

(Keller)

naturliches Bewusstsein

Pneumaheiligmachende Gnade

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.................................................................................................................................................

........................

.......................................................

.......................................................................

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.......................

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.......................................................

Natur

Gnade

Glaube

1.Moglichkeitmit absoluter Betondecke

=Treppe

außenherum

ppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp

ppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp

ppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp pppppppppppppppppppppppppppppppppp pppppppppppppppppppppppppppppppppp pppppppppppppppppppppppppppppppppp pppppppppppppppppppppppppppppppppp pppppppppppppppppppppppppppppppppp

2.Moglichkeit:mit Osmose =

(↓ = nicht reflektierbar)Bewusstheit der Gnadeppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp

19.6.1957 Vorlesung 77 (Zweite Stunde.)

1Wir haben diese Problematik schon aufgezeigt in der 12.These, wo wir auch auf den Zusammenhangmit der Christologie hingewiesen haben. Dort ist auch gezeigt, dass die Bewusstseinsjenseitigkeit zuseltsamen Konseqquenzen beim Bewusstsein Jesu fuhrt.

2Beziehungen zur Christologie siehe Bemerkungen zur Theorie von Galtier vorne bei These 12. undzugehorige Tafelskizzen. Dadurch wird das Folgende ebenfalls erlautert, von einer anderen Seite her.Dort wird nur die gangige Theorie der absolut bewusstheits jenseitigen Gnade skizziert, weil die derTheorie der gemaßigten assumptus-homo-Theorie von Galtier entspricht. Die Auswirkung der hierdargestellten Theorie auf die Christologie wurde in dieser Vorlesung nicht beruhrt, liegt aber nahe,und stellt eigentlich eine weitere Motivation fur die Auffassung von der Bewusstheit der Gnade dar.Die vorne geschilderten seltsamen Folgerungen fur das Bewusstsein Jesu losen sich damit auf, dass inder visio beatifica die Bewusstheit der Vergottlichung reflektierbar wird

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16.2 Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

1. Wir stehen hinsichtlich der Frage des konkreten ubernaturlichen Ak-tes und der dazu notwendigen aktuellen oder habituellen Gnade, de-ren Unterschied nicht groß ist, vor der Frage

2. ob solcher Akt eine bestimmte Bewusstseins Struktur hat, die vonnaturlichem Akt, der rein naturlich ist, nicht gegeben ist.

3. Dass eine solche Frage ihre Bedeutung hat, ist leicht verstandlich.a) Der Mensch lebt als geistiges Wesen in der Wirklichkeit insofern

sie ihm bewusst ist undb) die nicht bewusste Wirklichkeit ist,

i. wenn sie seine ist, fur ihn nur wichtig und interessant,ii. insofern sie sich als Voraussetzung, als Folge usw. tragendes

Substrat usw. von solcher geistiger Bewusstheit gibt.4. Der Geist ist fur christlichen Theologen nicht bloß Epiphanomen,

Fluoreszenz unabhangig vom Bewusstsein, das Eigentlichkeit ware,a) sondern Geist und Bewusstsein ist dasselbe so sehr,b) dass die Wirklichkeit, die nicht bewusst bei sich ist, nicht seiend

ist.i. Wo Christentum gelebt wird, gehandelt wird, wo man sich

in bewusstem Vorgang auf Liebe, Wollen einstellt:ii. dort ist christliches Leben.iii. Wo Gnade, die fur sich west und gar nicht Absicht, Lust

und Aufgabe hatte, sich in geistig- personaler, also auchbewusster Wirklichkeit zu manifestieren,

iv. dann ware das eine Vorstellung von etwas, was man nichtim Ernst als Christentum bezeichnen kann.

Radikale Disjunktion zwischen Sein und Bewusstseingibt es nicht.• Auch der Theologe der sagt, die Entitat, seinshafte Erho-

hung unserer Akte ist bewusstseinsjenseitig,– wird nur indirekt gewusst und in der gleichen Weise wie

ich von vielem was wissen kann, was ich nicht bewussthabe:

– ich spure Blinddarm nicht und weiß von seiner Existenz.– So gibt es Zustande substantieller und accidenteller Art,

von denen man weiß, die aber nicht bewusst sind.• Jeder katholische Theologe wird zugeben, dass letzt-

lich jede seinshafte Gnade eine Hinordnung hat auf be-wusste, geistliche Zustandlichkeit des Menschen. Je-de Gnade ist gegeben als Bedingung, Moglichkeit, Voraus-setzung der visio beatifica. Insofern zielt jede ubernaturli-che Gnade auf geistig personales Leben.

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

16.2.1 Zusammenhang zwischen Sein und Erkennen darfnicht gelockert werden

Frage kann nur sein, ob wir diesen Zusammenhang in gewissen Fallen solockern durfen, dass wir sagen durfen, es gibt Falle, wo diese Gnade be-wusstseinsjenseitig bleibt, unter der Schwelle des Bewusstseins bleibt,nur faktische Zustandlichkeit unpersonaler Art ist an Akten, deren geistige,bewusste Inhaltlichkeit rein naturlich ist, oder ob wir diesen Zusammen-hang so nicht lockern durfen:

Wir durfen das nicht, aus den schon angedeuteten Grunden des Zu-sammenhangs zwischen Sein und Erkennen und auch dieser nur beim strik-testen Beweis, dass er gelockert werden muss, gelockert werden darf, istselbstverstandlich.

Weiter: wenn das Christentum dort, wo es das entitativ und simplizi-ter ubernaturliche ist, [wie im Bild unten]absolut bewusstseinsjenseitigware, musste man sagen: wir leben eigentlich im Bewussten außer-halb des Christentums. Es vollzieht sich nur im Keller des Bewusst-seins. Dort wo wir sind, ist nur Natur. Wo der Heilige Geist ist, dortsind wir als die geistig Handelnden nicht. Halt! Unsinn: selbstver-standlich befassen wir uns geistig personal wissend mit dieser Wirklichkeitder Gnade. Wir sind also auch dort wo Gott, sein Geist, seine Gnade, dasubernaturliche Leben, die innere Salbung, Einwohnung des Geistes ist usw.aber, so mussen wir da antworten, das stimmt nur halb.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

ubernaturlichbegnadeter

Mensch

AbsoluteBetondecke

(Keller)

naturliches Bewusstsein

Pneumaheiligmachende Gnade

(absolutbewusstseinsjenseitig?)

..........................................................

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Natur

Gnade

Glaube

1.Moglichkeitmit absoluter Betondecke

=Treppe

außenherum

1. MoglichkeitGnade absolutbewusstseinsjenseitig

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16.3 Unterschied zwischen Gewusstem und Bewusstem

16.3 Unterschied zwischen Gewusstem undBewusstem

Warum? Um den eigentlich springenden Punkt zu sehen, mussen wir daraufreflektieren, dass es einen Unterschied gibt zwischen Gewusstem undBewusstem.

Z. B.. Nehmen sie einmal: jemand hort, dass der physiologisch psycholo-gische Vorgang des sensitiven Horens etwas mit einem Trommelfell,Schnecke, nervosen Erregungen usw. etwas zu tun hat. Dann weiß er et-was von seinem sensitiven Horen. Aber das, was er so weiß, ist ihm nichtbewusst.

Er kann naturlich, weil er davon etwas weiß, dementsprechende Folge-rungen ziehen, z. B. dass es gut ist, nicht zu große Larm Erschutterungauf das Trommelfell los zu lassen, sonst platzt es, Zerstorungen werden be-wirkt. Von solchem schlichten Beispiel aus, kann man sich den Unterschiedzwischen Bewusstem und Gewusstem klarmachen.

Das Gewusste kann nichtbewusste, seinsmaßige Voraussetzun-gen haben, von denen man etwas weiß, nichtbewusste Voraussetzungen desBewussten konnen gewusst werden.

Unter Umstanden kann man bestimmtes Bauchweh haben, das nur derArzt daraufhin diagnostiziert als Blinddarmreizung. Die Schmerzreizunghat unbewusste ontische Voraussetzung: Kirschkern, und davon wissen Siewas.

Sie durfen das Bewusstsein ihres Schmerzes und das Wissen umnichtbewusste Ursache nicht miteinander verwechseln.

16.4 Anwendung auf die Gnade: Wir habenWissen aus der Offenbarung

Nun ist klar dass man von der Gnade verschiedenes Wissen (Gnaden Trak-tat) hat. Gnade: von der man sagen kann, dass sie die ontische, vielleichtnicht bewusste Wirklichkeit an einem Bewussten sind. Lieber Gott,ich liebe dich von Herzen. Es passiert bewusster Vorgang: der ist be-wusst. Da ist der Akt und die Person die ihn setzt sich selbst gegenwartig.Das nennt man Bewusstsein.

Gleichzeitig wissen sie durch die Gnadenlehre: das ist ein ubernatur-licher Akt, der vom Heiligen Geist getragen ist, der eine Seinsbe-stimmtheit hat, die wir Gnade oder ubernaturliche Erhebung usw. nennen.

Sie konnen naturlich auch, weil sie davon was wissen, sagen: ich mussdas und das tun, damit dieses Nichtbewusste da ist.

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

Wenn der Arzt den Kirschkern durch Operation entfernt aus dem Blind-darm: aus dem Wissen stammende ontische Einwirkung ist indirekt auchBewusstsein modifizierend: der Schmerz hort auf.

Bewusstsein, ontische Voraussetzung und Gewusstheit hangenso miteinander zusammen .

16.4.1 Gibt es Bewusstheit oder nur Gewusstheit derGnade?

Klar ist, dass wir etwas von der Gnade wissen, weil Gott uns in derSchrift, Lehre der Kirche und der Apostel etwas gesagt hat. Damit ist esgut: vorlaufig unbewusst.

Ich weiß aber etwas davon: Dass es das Wichtigste ist, ich kann sorgen,dass sie nicht verloren geht. Kann Sakramente empfangen und beten: im-mer aus dem Wissen heraus: eine Veranderung in meinen Bewusstsein unddiese Veranderung bringt, wie ich weiß, eine Veranderung in diesem nichtbewussten Gnade-Sein mit sich, und damit ist die Sache gut.

Das gibt es und das ist auch wichtig, aber ist das alles? Mit anderenWorten: gibt es eine Bewusstheit der Gnade oder nur eine Ge-wusstheit der Gnade? Das ist die Frage, die wir uns stellen.

16.5 Bewusstheit des Formalobjekts: Analyseder Bewusstheit: was ist nichtintentionalerBewusstseinszustand

Nun: analysieren wir einmal nicht die Gewusstheit sondern die Bewusst-heit.

Es gibt naturlich nicht-intentionale Bewusstseins Zustande und intentio-nale Bewusstseins Zustande. Wir konnen uns, weil wir immer außer vitalenBewusstseins Zustanden auch immer eine begleitende Reflexion darauf ha-ben: ist uns der Begriff eines nicht-intentionalen Bewusstsein Zustandesnicht leicht verstandlich.

Das Zahnweh als solches ist dort, wo es bewusst ist (sonst ist es nichtZahnweh sondern nur nicht in Ordnung sein) ist was anderes wie das Wissenum Zahnweh: nicht nur darum, dass man davon wissen kann, ohne es zuhaben. Auch wenn man es hat, ist es verschieden.

Wir nehmen den intentionalen Akt: dort ist zunachst einmal der Ge-genstand bewusst: ich denke uber die Tatsache nach, ob es morgen beigutem Wetter zum Mittagessen vielleicht Eis geben wird. Hier beschaftigeich mich mit diesem Gegenstand. Der ist mir bewusst.

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16.5 Nichtintentionaler Bewusstseinszustand

Insofern es sich um von außen kommenden Gegenstand handelt: natur-lich Gewusstes. Dass ich um diesen Gegenstand weiß, ist mir bewusst. Ichkann daruber nachdenken und reden: das begleitende bei-sich-Sein des uberEis Nachdenkenden ist noch mal ein Gegenstand: ich kann Bewusstes inGewusstes ubersetzen, aber es ist nicht dasselbe.

Das Subjekt als es selber und sein Akt sind sich bewusst. Sie konnen dannnaturlich in einer nachtraglichen Reflexion sich und diesen Akt noch malzu Gegenstand des Wissens machen. Man kann hintergrundige Bewusstheitvorholen, so wie man auch etwas von außen sich als Gegenstand des Wissensgeben lassen kann.

Nun: wenn man nun noch diese Bewusstheit des einen Gegenstand ha-benden Subjekts von sich selbst und seinem Akt genauer analysiert, wirdman folgendes sagen konnen: zunachst ist dieses Bewusstsein kein Gewuss-tes: es ist nicht intentional angezielter Gegenstand, sondern die innere Hel-le, ungegenstandliche Helle des Gegenstand erkennenden Subjekts, das un-mittelbar ungegenstandlich bei sich selbst ist.

16.5.1 Formalobjekt als Bewusstes und seineEigenschaften

Weiter: eine solche ungegenstandliche Akt-Gegebenheit steht nun nichtdem Gegenstand des Bewusstseins, des Wissens unverbunden gegenuber.Es ist nicht so, dass da eine Art geistige Tute ist, ein Sack, und da kommtein Gegenstand an, nicht so wie bei einer Mattscheibe, wo etwas darauf falltund daran sichtbar wird, sondern das Bewusstsein des Subjekts von sichselbst und seinem Akt ist begleitet von einem auch nur bewussten, nicht ge-wussten, gleichsam farblosen apriorischen Wissen um die Reichweite diesesAkt-Verhaltens: um das Formalobjekt.

Was ist das Formalobjekt des Auges: das Farbige, raumlich ausge-dehnte Farbige. Das Ohr hort Tone usw..

Das Formalobjekt einer Intentionalen Fahigkeit ist nun nicht bloß dienachtragliche Abstraktion aus den konkreten Gegenstanden, die faktisch alsGegenstande, als Gewusstes dieser betreffenden Fakultat gegeben sind: son-dern die apriorische und zwar nicht gegenstandlich aber ungegenstand-lich bewusste Weite der Fakultat selbst.

Wir konnen sagen: bei jedem Akt, der ein intentionales von außen oderletztlich vielleicht auch manchmal von innen gegebenen Gegenstand er-greift, geschieht das in der Kraft eines apriorischen Formalobjektes, dasals solches zwar nicht Gegenstand dieses Aktes, aber Bewusstheitdieses Aktes bedeutet.

Wir horchen z. B. immer auf Tone, und horen deshalb einen bestimm-

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

ten Ton, wir denken immer gleichsam in der Andacht des Geistes an dasSeiende schlechthin und im ganzen und erfassen in dieser farblos, anonym,unreflex gegebenen Bewusstheit unseres geistigen Erkennens den einzelnenGegenstand, das einzelne Seiende.

In der Ergreifung eines bestimmten einzelnen Gegenstandesder Erkenntnis in seinem konkreten so und so Sein, geschieht immerauch eine Eroffnung des Bewusstseins des Formalobjekts.

Ich reflektiere darauf nicht, bringe das vielleicht nicht fertig. Und dochhabe ich dieses Formalobjekt bewusst und dieses Bewussthaben dieses For-malobjekts, das deshalb noch nicht Gegenstand ist, ist die Bedingung derMoglichkeit des Ergreifens eines bestimmten Gegenstandes.3

Wir konnen bei intentionalem Geist und seiner Erkenntnis sagen:es gibt darin ein apriorisches Formalobjekt, das mit der innerenseinshaften Struktur dieser Erkenntnis Fahigkeit gegeben ist, welchesFormalobjekt in jedem Akt bewusst (nicht gewusst) mit gegeben ist alsHorizont, Woraufhin, Worin ein einzelner Gegenstand uberhaupt zumStehen, Gegebenheit kommen kann.

Mit anderen Worten: der einzelne Gegenstand wird erfasst in undmit und unter und durch das Bewusstwerden des apriorischenFormalobjekts, das einfach die Spannweite, Reichweite, die Großedes Feldes dieser Fahigkeit aussagt.

16.6 Etwas kann bewusst sein und nichtgewusst sein, ja vielleicht sogar unmoglichreflex gewusst werden

Nun muss man noch, wenn wir zuruckkehren zur Dogmatik: noch auf fol-gendes reflektieren: nach selbstverstandlichster scholastischer Erkenntnis-Metaphysik geschieht das Horen eines bestimmten Tones in einem Hor-chen auf den Ton uberhaupt: so erst kann ich zwei verschiedene Tonemiteinander vergleichen, kann ich sagen, das ist nicht der: dieser apriori-sche Horizont jeder Erkenntnis Fahigkeit, der als solcher bewusst wird undweil er bewusst wird, ist die Bedingung der Moglichkeit eines Vergleichszweier Gegenstande und der gemeinsame Maßstab ist der apriorischvorgegebene Horizont dieser Fahigkeit.

3Andere Aspekte hierzu, besonders die Frage, wie so etwas Konstitutives aposteriorisch moglich ist,finden sie im Seminar Natur und Gnade. Noch andere Aspekte, namlich das thematisch Werden, imSeminar uber das Geheimnis

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16.7 Inhalt des Bewusstseins ist immer großer als Inhalt des Gewusstseins

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ubernaturlichbegnadeter

Mensch

semipermeableBetondecke

(Keller)

naturliches Bewusstsein

Pneumaheiligmachende Gnade

..........................................................

.................................................................................................................................................

........................

.......................................................

.......................................................................

..............................................................................................................................................................................................................................

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.......................................................

Natur

Gnade

Glaube

vom Horen

GEWUSSTHEIT

=Treppe

außenherum

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BEWUSSTHEIT

mit Osmose =

(↓ = nicht reflektierbar)Bewusstheit der Gnadeppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp

Weil beim Horen ein Horchen auf Tone uberhaupt geschieht und soder Ton schlechthin bewusst wird, obwohl er nicht gewusst wird undnicht Gegenstand des Horens wird, kann die Fahigkeit des Horens aufihr Formalobjekt nicht reflektieren. Die Ohren haben ein Formalobjekt,aber das Formalobjekt der Ohren kann nicht Gegenstand der Fa-higkeit des Horens werden, sondern daruber kann nur der Verstandnachdenken.

Mit anderen Worten: es ist von vorneherein, nach der normalstenScholastik, selbstverstandlich dass mit der Behauptung, etwas seibewusst, noch nicht gegeben ist, dass es gewusst werden konne:das kann so sein braucht aber nicht so sein.

1. Mit anderen Worten: wir konnen den Satz sagen: die Moglichkeit dassetwas Inhalt des Bewusstseins ist,

2. bedeutet noch nicht notwendig und immer die Moglichkeit darauf zureflektieren und

a) das ursprunglich Bewusste,b) zum reflexen Gegenstand, reflex gewussten Gegenstand eines

Wissens zu machen.

16.7 Inhalt des Bewusstseins ist immer großerals Inhalt des Gewusstseins

Wir konnen sogar sagen: es ist apriori selbstverstandlich, dass der absolu-te adaquate Inhalt des Bewusstseins immer großer ist als der Inhalt des

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

Gewusstseins.Warum: ich denke uber den Rettich nach. Jetzt will ich uber das Nach-

denken uber den Rettich nachdenken. Auch daruber will ich mir Rechen-schaft geben, wie das geht usw.. Nach Akt A reflektiere ich auf den AktB. Dieser Akt B hat wieder eine Bewusstheit, also reflektiere ich darubernach, und schon habe ich dritten Akt.

Mit anderen Worten: auch hier kann sich die Katze unseres Denkensnicht in den Schwanz beißen. Hupft um sich selbst herum, wenn sie es ver-sucht. Sie sieht ihren Schwanz. Wir konnen unsere transzendentale reflexeBewusstheit nie adaquat in Gewusstheit umsetzen.

Sie sollen nach alter Sitte eine Betrachtung machen, und nachher in derReflexio wieder uber die Betrachtung nachdenken.

Ganz richtig: aber sie mussen wieder nachdenken, wie sie diese Reflexiogemacht haben, und dann wieder wie das Nachdenken uber die Reflexio.Ja, das geht ja nicht: ich werde ja verruckt: horen sie ja rechtzeitig auf.Skrupulant hat den Mut nicht, mehr zu wissen als uber das, woruber ernachgedacht hat.

Er weiß, ich habe den Schlussel umgedreht, er denkt: weiß ich genau obich den Schlussel umgedreht habe? Versucht es, zieht den Schlussel wiederraus, vielleicht Gedachtnis Tauschung, geht noch mal hin, dreht noch malrum usw..

16.7.1 Tiefenpsychologisches Unterbewusstsein undBewusstheit bei uns: Es gibt Bewusstes, uber dasman nicht relfektieren kann

Andere Phanomene: wenn sie zu Psychotherapeuten gehen und er will sievon ihrem Stottern heilen, dann macht er ihnen etwas bewusst: im Grun-de meint er nicht, das sei ihnen schlechterdings nicht bewusst gewesen.Sondern er will ihnen beibringen, dass sie was wissen, von dem sie nichtzugeben, dass sie es wissen. Dass sie es Wissen aber nicht wahr habenwollen, dass sie es wissen: verdrangt haben. (Problematische Gesellschaft:guter Witz: Psychotherapeut strahlt: heute habe ich einen Patienten ge-kriegt, der hat eine gespaltene Personlichkeit und jeder von den beidenzahlt)

Auch ein Spiritual, der nichts davon wissen will, wird zugeben, dass einMensch sich was vormachen kann. Denn die richtigen Sunder sind nichtdie, die sagen: das hatte ich so und so machen sollen und habe es nichtgemacht, sondern die die im Grunde Wissen was sie tun sollen und es nichtwahr haben wollen, sondern sich vor sich selbst rausreden. Da ist die Kunstdes Spirituals, dass er ihn zum Bekenntnis vor sich selbst bringt.

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16.7 Inhalt des Bewusstseins ist immer großer als Inhalt des Gewusstseins

Gott etwas bekennen ist nicht selbstverstandlich. Er weiß es, aber ichwill nicht wissen, was ich ihm sagen soll. Eine solche Behauptung, jemandmache sich was vor, sei Nonsens, denn der, der vormacht und der demvorgemacht wird ist derselbe: wieso kann er sich selbst was vormachen? Erweiß es ja. Der sture Logiker wird sich sagen: in dem Augenblick glaubt eres nicht.

Gegen diese primitive Logik muss man sagen: es gibt riesigen Raum desBewusstseins, wo es Inhalte gibt, die nicht so gegeben sind, wie mir einGlas Bier gegeben ist, wenn ich sage: Fraulein noch eine Maß. In diesemBewusstsein steht es auf der Film Leinwand als Gegenstand den ich anziele.

Gleichzeitig habe ich unendlich viele Inhalte (nicht Gegenstande) im Be-wusstsein: ich weiß um mich usw.. Es gibt Randbewusstes und in der Tiefedes Subjekts Bewusstes. Den apriorischen Horizont, in dem ich lebe unddenke. Dieser kann wieder beeinflusst sein, ohne dass ich darauf denke.

Wenn das Bewusstsein nicht so ist, wie fur primitiven Logiker, dassgleichsam nur Gegenstande bewusst sein konnen, wenn da fließende Uber-gangen sind, dann gibt es von vorneherein keine grundsatzliche Schwie-rigkeit, dass es auch Dinge gibt, uber die man, obwohl sie Inhalte desBewusstseins sind, uber die man nicht so reflektieren kann von innen, dassman sie bewusst machen kann.

Es ist immer noch moglich dass sie von außen gegebene Gegenstande desBewusstseins sind.

Beispiel: einer zittert beim Geigenspielen weil er im Grunde wegen Min-derwertigkeits-Komplexen - dass er nicht ein Genie werden kann wie dery. Er hat ein bewusstes aber nicht gewusstes Motiv seines Zitterns. Eskann das sein. Sie werden nicht tiefenpsychologisch untersuchen, wenn sieKopfweh haben: im Kino nicht so bewusst als beim Studieren.

Es kann sein, dass dieses nicht zum Gegenstand des Bewusstseins ge-macht werden kann, aber eine Psychotherapeut kann das sagen, und dannwissen sie, ohne dass sie es durch immanente Reflexion vorgeholt haben,wissen sie etwas von dem was dahinter gewusst ist, von dem man selbstauch Gewusstheit—

Das mussten wir sagen, damit wir die Frage nach dem Bewusstsein derGnade sinnvoll stellen konnen.

21.6.1957 Vorlesung 78

Wiederholung Wir stehen bei der Frage uber die Bewusstheit des Uber-naturlichen.

Dass es ein Wissen um das Ubernaturliche gibt, ist selbstverstandlich,denn sonst konnten wir daruber nicht reden. Wir wissen etwas uber das

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

Ubernaturliche, uber die seinsmaßige Erhobenheit des Aktes, uber Einwoh-nung des Geistes, weil es die von außen aus der fides ex auditu kommendeOffenbarung gesagt hat. Diesbezuglich besteht keine Frage.

Ebenso kein Problem bei uns hinsichtlich der Frage, dass man diese uber-naturliche von außen kommende gewusste ubernaturliche Wirklichkeit zumGegenstand geistiger Akte Strebungen und so weiter machen kann, dassman diese ubernaturliche, von dem man etwas gegenstandlich weiß aus derfides, auch zum Motiv seines Handelns machen kann: ist selbstverstandlich.Wenn ich sage, ich will getauft werden weil ich Gnaden besitzen will: dasist solcher Akt: ich weiß von der Gnade und setze entsprechende Akte, umsolche Wirklichkeit zu erhalten.

Die Frage ist nur die, ob diese Wirklichkeit des Ubernaturlichenin sich, dadurch dass sie gegeben ist gleichsam von sich selbst her, vonder inneren Subjektivitat des Menschen her, ein Datum des Bewusst-seins ist. Um diese Frage zu beantworten: in letzter Stunde vorbereitendeUberlegungen.

Auf jeden Fall: begrifflich von der Psychologie und Erkenntnis-Metaphysik her: dass man unterscheiden muss zwischen gegenstandlich Ge-wusstem und Bewusstem uberhaupt. Diese beiden fallen nicht zusammen:nicht jedes Bewusste ist gegenstandlich Gewusstes, das von außen durchSinnes-Organe kommendes Ding ist.

16.8 Apriorisches Formalobjekt oder Woraufhinoder Horizont

Zu diesem ungegenstandlich Bewussten gehort das apriorische Formal-objekt. Jede Erkenntnisfahigkeit erfasst den einzelnen sich von außen auf-drangenden Gegenstand unter bestimmtem Horizont, den diese betreffendeErkenntnisfahigkeit aus ihrem Wesen her mitbringt. Der apriorische Hori-zont, die apriorische Grenze, der selektive Blickpunkt und Gesichtspunktunter dem ein einzelner sich meldender Gegenstand erfasst wird: nennt manFormalobjekt dieser Fahigkeit, apriorisches Formalobjekt.

Ich kann innerhalb eines apriorischen Formalobjekts gewisse Gegenstan-de willkurlich unter eine Gruppe zusammenfassen: wenn ich z. B. alle Wur-zeln sammle unter dem Gesichtspunkt, sie als Rettich benutzen zu konnen,dann habe ich aposteriorisches Formalobjekt. Der Chemiker: unterdem Gesichtspunkt des periodischen Systems: das ist chemisches aposte-riorisches Formalobjekt innerhalb des Formelobjekts, das gegeben ist mitsinnlicher Geistigkeit.

Wir sprechen nur vom Formalobjekt apriorischer Art, das mit demWesen im Voraus zur einzelnen Erkenntnis gegeben ist.

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16.8 Apriorisches Formalobjekt oder Woraufhin oder Horizont

Dieses Formalobjekt ist nicht fur sich allein aber im Akt des Ergrei-fens eines einzelnen Gegenstandes bewusst, aber noch kein Gegenstandreflexer Art dieses Bewusstseins. Ein Bauer beschaftigt sich mit Kar-toffelpreisen auch unter dem Formalobjekt des Seins als solchem. Er hatnoch nicht daruber nachgedacht, und doch ist es der erhellende, in Be-ziehung setzende Horizont, unter dem seinsmaßiges Erkennen und Wollengeschieht.

1. Dieses apriorische Formalobjekt ist in und mit und am einzelnenGegenstand mitbewusst.

a) Insofern ist es ein Datum des Bewusstseins,b) aber nicht Gegenstand des Gewusstseins,

i. bewusstii. aber nicht gewusst.

2. Von diesem konnen wir weiter sagen,a) dass es vielleicht und in bestimmten Fallen moglich ist, dass

man darauf reflektiert:i. wie der Geist auf sein naturliches Formalobjekt Seiendes als

solches, absolutes Sein (ens ut sic, esse absolutum), reflek-tieren kann

ii. (wie das zusammenhangt: behandeln wir nicht) siehe siehez.B.Brugger, de anima humana oder Rahner, Geist in Welt.

b) In anderem Zusammenhang, beim Horen usw. haben wirnachgewiesen,

i. dass Gegebenheit im Bewusstsein ungegenstandlicherArt

ii. mit der MoglichkeitA. einer reflexenB. und in dieser Reflexion das Formalobjekt von anderen

Formalobjekten unterscheidendenreflexen Vergegenstandlichung (=Gewusstheit) nichtnotwendig zusammenhangen.

3. Bewusstsein und Vergegenstandlichung konnen miteinanderverkoppelt sein, brauchen es nicht.

a) Warum das in bestimmten Fallen nicht ist, ist andere Frage:b) jedenfalls kann das Gehor nicht auf den Ton als solchen (ut sic)

reflektieren,• weil der kein konkreter Ton ist, und• Gegenstand fur das Gehor nur konkreter Ton ist,

4. wenn wir es auf unseren Fall anwenden - nur das Allergrobste mochteich hier andeuten, die These ist im lateinischen Kodex etwas genauerausgefuhrt - besteht diese Anwendung darin

a) dass das Formalobjekt eines geistig ubernaturlichen, entitativ

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

erhobenen Aktes Gott ist in seiner eigenen Gottlichkeitb) und das ist ein bewusstes apriorisches Formalobjekt,

i. das aber nicht in eindeutiger Weise zum Gegenstandeiner nachtraglicher Reflexion gemacht werden kann,A. der es gelingen wurde, dieses apriorische Formalobjekt

zu distinguierenB. vom apriorischen Formalobjekt des naturlichen Geistes,

dem Sein uberhaupt.ii. Und darum kann durch einfache Reflexion auf sich selbst

eine absolute Gewissheit uber die ubernaturliche Er-hobenheit unserer Akte nicht erzielt werden.

16.9 Keine Sicherheit uber Rechtfertigungmoglich: fides fiducialis im Sinn desTridentinums nicht moglich

A Daraus folgt aber gar nicht, dass das Ubernaturliche kein Datum,kein Inhalt unseres Bewusstseins sei.

B Weil und insofern wir sagena) dass das ubernaturliche Formalobjekt als streng solches kein Ge-

genstand moglicher und genau unterscheidender Reflexion seinkann:

i. so dass ich merke, dieses ist mir gegeben,ii. ich kann von diese Erfahrung eindeutig daruber reden,

b) ist auch reflex erklart,i. warum wir keine absolute Sicherheit uber den Zustand der

Gnade in uns personlich haben konnen,ii. ohne besondere Offenbarung Gottes.

1. Der allgemeine in seinem Kern definierte Satz des Trienter Kon-zils lautet dahin,

a) dass wir absolute Gewissheit uber gegenwartigen Gnaden-zustand nicht haben und nicht haben konnen.

b) Dass fides fiducialis uber eigene Rechtfertigung dem Menschennicht gegeben ist.

2. Das ist ein Satz uber die reflektierte, aussagbare, sich selber gegen-standlich werdende Bewusstheit der Gnade. Diese These konnen sieim Kodex genauer nachlesen.

a) Es ware vieles zu sagen: warum und in welchem Sinn die Recht-fertigungs-Gewissheit der Reformatoren abgelehnt wird

b) und in welchem Sinne nicht,

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16.9 Keine Sicherheit uber Rechtfertigung moglich

i. und warum doch der Christ der Mensch sein soll, der sagenkann: wer kann mich scheiden von der Liebe Christi,

ii. und der der die Freude des Erlosten hat in der Hoffnung,die auf Gott blickt von sich weg und blicken muss, um einChrist zu sein,

iii. warum solche Hoffnung eben doch dasjenige ist und aner-kannt werden kann als solches,

iv. was in haretischer Falschzeichnung die Reformatoren letzt-lich doch gemeint haben.

c) was in der Predigt im Geist der Schrift vielmehr deutlichwerden sollte fur den Christen, der sagen konnen sollte:• nicht

i. es gibt Reich des Sohnes, es gibt das Reich der Liebe:aber ob ich da drin bin, das weiß ich nicht,

ii. dem das Erste und Letzte, was ihm klar ist, die Gebotesind, aber der nicht weiß, wie er die tausend Geboteerfullen kann.

• Sondern er sollte der sein, der sagt: ich gehore zu den Ge-heilten, Berufenen usw.

3. Aber warum so was bei dem Menschen, der als Kreatur der Pluraleund darin der Gedemutigte sein muss,

a) warum in solchem Menschen trotz und neben diesem zentralenHoffen seiner wirklichen Gerechtmachung

b) das Zittern, Sorgen wirklich zu den Konstitutiven seines christ-lichen, weil menschlichen, Daseins gehort

i. daruber konnen wir uns nicht unterhalten, das steht im Ko-dex, aber

ii. Weil es solche absolute Heils-Gewissheit glaubensmaßigerund metaphysisch sicherer Art in solchen existenziellen Din-gen wie eigener Zustand nicht gibt:A. daraus folgt noch langst nicht, wie viele gescheite und

doch dumme Theologen meinen:B. nicht: dass deshalb der Gnaden Zustand so absolut be-

wusstseins-jenseitige Wirklichkeit sein musse.iii. Wir haben schon nachgewiesen: Bewusstheit und Ge-

genstandlichkeit des Bewusstseins sind nicht dasselbe.Aber dass Nicht-Gegenstandlich-Machung auch Nicht-Bewusstheit uberhaupt ausschließt, ist noch nicht gegeben.

iv. Damit ist noch nicht das, was wir gesagt haben, nachgewie-sen: das muss positiv nachgewiesen werden.

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

16.10 Zwei Uberlegungen, die zum Beweisunserer Meinung fuhren

Zwei Uberlegungen die zu solchem positivem Beweis der These fuhren

16.10.1 Metaphysische Uberlegung

Erstens: metaphysische Uberlegung:Nicht naher explizierbar, weil auf Metaphysik der Erkenntnis verwiesen

werden muss: Sein und Seiendes sind fur Metaphysik thomistischer Art:Sein und Beisichsein sind konvertible Begriffe, die im selben Maß zuneh-men, so dass sie in dem Sinn, in der Intensitat, Grad, Akt oder Potenz einBei-sich-Sein gegeben ist in dem Grad es ein Seiendes ist.

Es ist ein absolut metaphysischer Irrsinn und eine todliche Bedrohungder christlichen Metaphysik wollte man die Idee wagen, dass das hohereSeiende und Sein weniger bewusst sein konnte als geringeres. Es gibt ho-hes Unbewusstes: heiligmachende Gnade eines Wickelkindes ist unbewusstweil Zustandlichkeit aus dem Wesen eines Akzidens abhangig ist vom Be-wusstseinsgrad des Subjekts, dessen es ist. Ergibt sich aus der Natur derSache.

Aber doch ein metaphysischer Nonsens: einen bewussten Akt zu konzi-pieren, in dem und durch den ein Subjekt bei sich selbst ist, so dass diehochste Seinsbestimmtheit dieses Aktes weniger bewusst sei als die tiefere.

Das ist angesichts des Axioms ens et verum convertuntur (Sein und Bei-sichsein vertauschen) und angesichts der Tatsache, dass die hohere Seins-wirklichkeit eine Bestimmung dieses Aktes selbst ist, und nichts anderes,unmoglich.

Wenn das, was wir Gnade, ubernaturliche Erhobenheit nennen, eine Be-stimmung eines Aktes, der bei sich selber ist, dann kann es metaphysischunmoglich so sein, dass die hochste Wirklichkeit an dem bei sich seien-den Subjekt, insofern es eine Bestimmung des Tragers ist, selber wiederunbestimmt sei. Das ist ein metaphysischer Unfug.

Genauer auszufuhren: es hangt am metaphysischen Verstandnis desAxioms: ens et verum convertuntur. in tantum quis intelligit, inquantumest actu. Wer das was ich sagte nicht annimmt: siehe Super Sent.,lib.3 d.14q.1 a.1 qc 2 co, muss sagen, wie er dieses Axiom dann erklart.

16.10.2 Beweis aus den positiven Quellen: Heilige Schrift

Zweitens:

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16.10 Zwei Uberlegungen, die zum Beweis unserer Meinung fuhren

Der zweite Gesichtspunkt von dem aus wir dazukommen: ist der Ge-sichtspunkt der positivem Quellen: wenn wir Heilige Schrift und Traditionunbefangen so annehmen wie sie sind, nicht gewaltsam zurecht distinguie-ren: dann bezeugt die Schrift eine Koinzidenz von Gnade und Gnadener-lebnis.

Nicht als ob hier absolute Koinzidenz gegeben ware: selbstverstandlichso wie in meinem naturlichen Sein gleichsam so die oberste Spitze meinerWirklichkeit so seinshaft hoch ist, dass sie in die Region des Bewusst-seins eintaucht das Bewusstsein ist, so ist es auch bei der Gnade: wenn ichschlafe, als Wickelkind getauft bin, habe ich eingegossene Tugenden usw.:ubernaturliche Seins Wirklichkeit, von der ich nichts weiß.

Aber wenn sie die Schrift lesen ohne scholastische Vorurteile und fragen,wie konzipiert der Paulus unser Christenleben: Trost, Zuversicht, Glaubeim Geist, Zeugnis geben des Geistes Gottes fur uns, innere Salbung, Mut,Starke, Hoffnung, Liebe usw..

Wenn ich sage: ja mein lieber, alles nur durch naturliche Konzepte allein,durch die fides ex auditu zusammen gebastelte Wirklichkeit, und was damitgemeint ist, ist alles verpackt im Kellergeschoss unserer Wirklichkeit, vondem An-sich-selbst weiß ich nichts. Dann mache ich daraus eine komischeWirklichkeit, was die Schrift bezeugt. Dann konnen wir uns auf die Dauernicht wundern, wenn der Unglaubige sagt: was erzahlt wird, ist nicht dasEigentliche, und vom Eigentlichen weiß ich sowieso nichts. Also kann mirdas Ganze gestohlen werden.

Der Trost, die Zuversicht, das um seine Begnadigung Wissen, ist un-beschadet dessen, dass ich das nicht reflektieren kann, chemisch abson-dern kann, nicht bloß naturliches Wissen von Ubernaturlichem, sondernein ubernaturliches Wissen von etwas Ubernaturlichem, und das leugnetdie These, dass die eigentliche Entitat der Gnade auch dort wo sie im Aktam Akt sei, unbewusst sei.

Wer das leugnet sagt: ich habe nur naturliches Wissen, Hoffen, Lieben,nicht Ubernaturliches, und dieses ware nur insofern ubernaturlich, als esentitativ ubernaturlich ist und sich auf Ubernaturliches, von dem ich nichtserfahre, bezieht. Wer damit zufrieden ist, soll dabei bleiben.

Ich mochte fragen, ob man im Ernst das so im Grunde aus der Wirk-lichkeit heraus diskutieren kann, was in der Schrift steht. Wo gibt mir derGeist Gottes Zeugnis, dass ich Kind Gottes bin, wo tut er Zeugnis gebendass ich Abba, Vater rufe: wenn nur: weil es ein kirchliches Lehramt gibt,weiß ich was davon, wenn ich das so ausdrucken kann: der Geist Gottes istmir ins Herz gegeben bedeutet: der Denzinger bezeugt mir, dass ich KindGottes bin. Bedeutet das nicht zwei verschiedene Paar Stiefel?

Woher die nachtridentinische Theorie von vielen (nicht allen) Theologengehalten wird: es ist selbstverstandliche von keiner Schule beanstandete

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

Lehren der thomistischen Schule.

16.10.3 Woher die merkwurdige Skepsis gegenuberubernaturlichem Geistesleben?

Sie sehen, woher die merkwurdige Skepsis gegenuber ubernaturlichem Geis-tesleben kommt: man hat den Eindruck, man wurde, wenn man sich mutigund stolz als Christ bekennt, in den protestantischen Graben hinein fal-len, wo das testimonium internum Spiritus sancti zum Geschutz gegen diefides ex auditu gemacht wird, gegen das Lehramt, weil man Angst hat-te man wurde in Illuminatismus hineinkommen, hat man das Kind mitdem Bade ausgeschuttet. Weil man Angst hatte vor: ja der Geist selbstbezeugt uns das, nicht nur der Pfarrer und das Buch, weil man furchtete inpseudomystischen protestantischen Subjektivismus zu verfallen, ist man inExtrinsezismuse auf weiten Strecken innerhalb der katholischen Theologiegekommen.

Nun muss man sagen: um darauf aufmerksam zu machen: was du mitder einen Hand gibst, nimmst du wieder: du leugnet ja, dass diese Bewusst-heit der Gnade auch zu einem Gegenstand der unterscheidenden Reflexiongemacht werden kann: also ist das doch im Grunde wieder ein Bewusstseindas keines ist.

Nein: auf einer Seite mussen wir vorsichtig sein: diese Bewusstheit istkeine Moglichkeit einer genauen, stringenten Reflexion gegenstandlicherArt, die die Sphare, in der ich als ubernaturlicher Mensch lebe, abstrahiertaus dem Gesamtvollzug des Aktes prapariert und sich als Trophae vorzeigt:siehe ich bin begnadeter Mensch, habe den Heiligen Geist am Schopf undkann ihn mir vorfuhren.

Wenn ich leugne, dass das geht: nicht dass es im Bewusstsein was aus-macht, dass der Geist da ist, nicht nur in den Kellern meines Bewusstseins,in Speichern meiner transsubjektiven Entitaten: es macht was aus in denErkenntnissen: Reflex kann ich es nur sagen: dadurch dass die fides ex audtumir zu Hilfe kommt.

Es gibt vieles, was ich weiß und doch nur weiß weil es mir gesagt wurde.Was wurden sie uber die Metaphysik des Bewusstseins herausfinden, uberFreiheit und Formalobjekt der Freiheit, und doch haben sie das alles erlebt,und sie wissen unreflex mehr, als was in Buchern daruber steht: was Freiheitist, wissen sie, was Geist ist wissen sie. Wenn sie daruber reden wurden,kame seltsame Sache heraus, wenn nicht ein Unsinn.

Wenn das a fortiori gilt vom Treiben, Drangen und Ziehen des Geistes,von Erleuchtung und Inspiration usw. mussen wir sagen: aber reflex dar-uber eine eindeutige Gewissheit verschaffen, kannst du nicht: ist das nicht

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16.10 Zwei Uberlegungen, die zum Beweis unserer Meinung fuhren

verwunderlich. Du musst Geist walten lassen und nicht ihn beobachtenwollen, mit ihm in den Vollzug des menschlichen Daseins hineingehen undnicht ihn beobachten. Dort wo der Mensch nicht uber Freiheit nachdenkt,sondern sie tut, dort ist das erst von Wichtigkeit.

Getan, geglaubt, liebend weiß man, dass der Geist Gottes bei uns ist.Stelle dich auf die Rampe deines Bewusstseins. Das geht nicht. Er gibt sichuns, indem wir uns von uns wegblickend ihm ergeben. Er ist aber doch da- so konnte ich nicht daruber reden, wenn ich nicht aus der fides ex audituetwas daruber wusste.

Wer schon zum Geist des Menschen und zum Heiligen Geist erwachtist, der merkt ahnend von sich weg blickend, dass da eine geheimnisvolleKorrespondenz ist, dass ich es weiß und was ich weiß richtig ausgelegt wirdvon ihr.

16.10.4 Antwort aus einer Metaphysik des Geistes

Warum weiß ich reflex von meinem Heiligen Geist nichts, obwohl er wirk-lich, die Dynamik von ihm auf die Unendlichkeit des dreifaltigen Gottesauf die visio beatifica hin, das Formalobjekt meiner ubernaturlichen Akteist? Warum existiert solche Unabhebbarkeit der naturlichem und uberna-turlichen Akte: die Antwort ist sehr leicht fur Metaphysik des Geistes:

In Beispiel: stellen sie sich vor, ein Kanonen Kugel ware immer selbstbewusst. Sie weiß dann, worauf sie gezielt ist. Nun soll sie gleichzeitig derMacht der Schwerkraft unterliegen, so dass und insofern sich nach allenRegeln der Ballistik sie nicht hinkommt wohin sie fliegt, sondern dauerndvon anderem Prinzip ihrer Gesamtdynamik nieder gesogen wird, so dass siehinsichtlich ihres Woraufhin sich asymptotisch verhalt, obwohl sie darauf-hin ist. Weiter: durch ein neues Prinzip wurde diese neue innere Ablenkungaufgehoben. Sie wurde wirklich auf ihr Ziel hinfliegen. Dann kann naturlichdiese Kanonenkugel nicht unterscheiden zwischen ursprunglicher Ausrich-tung und der Moglichkeit, das nun auch wirklich zu erreichen.

Dadurch dass der Mensch eine absolut unbegrenzte Transzendenz alsnaturlicher Geist auf das Sein uberhaupt hat, die ubernaturliche Erhohungdieser Transzendenz also nicht ein Plus eigentlich uber diese Transzendenzhinaus, sondern die Moglichkeit der unmittelbaren, reinen Erfullung dieserTranszendenz ist, kann man diese beiden Dinge nicht voneinander reflexabheben, solange die visio beatifica nicht da ist.

Doch bedeutet die ubernaturliche Transzendenz, diese bewusste Offen-heit auf den dreifaltigen Gott, etwas fur den Menschen.

Wie wenig solche Dinge nur abstrakter Spekulation sind, wie sehr sieals Prinzip konkreten Handelns eingesetzt werden, konnten sie bei einerTheologie der Exerzitien des heiligen Ignatius deutlich merken. Sie finden

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

daruber etwas im Wulf Buch: Logik der existentiellen Erkenntnis beim hei-ligen Ignatius, wo diese Dinge, die hier in der Theologie vorkommen, wiedervorausgesetzt sind, so dass man sehen kann, wie diese Dinge praktisch zu-sammenhangen.

26.6. 1957 Vorlesung 79

Wir mussen schauen, dass Leute fertig werden und abreisen. Nur nocheinige Anmerkungen.

Was das Thema der letzten Stunde uber die Bewusstheit der Gnade angeht: ware noch vieles zu sagen,

16.11 Zusammenfassung

Wenn wie wir sagtenGott der dreifaltige Gott des ewigen Lebens,das absolute Sein in seiner absoluten Selbstmitteilung,die Dynamik auf diesen Gott welche bewusst wird, wenn in diesem SinnGott selbst das Formalobjekt ist, auf das hin der Einzelgegenstand im

Heilsakt ergriffen wird, wenndieses Formalobjekt nicht vom Formalobjekt des naturlichen Geistes,

dem Seienden schlechthin, ut sic, in communi abgesetzt werden kannund so eine eindeutige Reflexion auf dieses ubernaturliche von keinem

naturlichen Akte erreichbare Formalobjekt unmoglich ist,so bedeutet das nicht, dass solches Formalobjekt keine prakti-

sche Bedeutung im religiosen Leben habe.Wie und was das im religiosen Leben bedeuten mag,

• wie man daraus ein Verstandnis haben kann und• wie das ein Verstandnis dafur geben kann,• in welcher Weise wir das erfahren, interpretieren konnen

und wir dannso ein theologisches, metaphysisches Verstandnis uber

dieAussagen der Schrift, uber die Bewusstheit der Gnade

erlangen konnen: darauf konnen wir nicht eingehen.4

Einiges konnen sie finden in verschiedenen Aufsatzen:uber die Erfahrung der Gnade, und in einem anderen:

die Logik der existentiellen Erkenntnis, der sich mitTrost, Erfahrung der Gnade in den Exerzitien des

4Siehe auch Anwendung auf Uroffenbarung, Anwendung auf fides implicita (als gnadenhafte ImplicationUnglaube.pdf Section 6.5)

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16.11 Zusammenfassung

Heiligen Ignatius beschaftigt.

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16 Quaestio disputata: Uber die Bewusstheit der ubernaturlichen Gnade

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17 Wachstum des Gnadenlebens

17.1 These 30 Verdienste: Entwicklung undBewahrung des ubernaturlichenGnadenlebens

These 30 Homo iustus bonis operibus vere meretur apud Deum aug-mentum gratiae sanctificantis et gloriam coelestem.

Durch gute Werke verdient der gerechtfertigte Mensch bei Gott dieVermehrung der heiligmachenden Gnade und der himmlischenGlorie

Nachstes Kapitel: Entwicklung und Bewahrung des ubernaturlichen ver-gottlichten Gnadenlebens. 1.These: dass der Mensch durch seine guten Wer-ke im Stand der Gerechtigkeit aus Gnade getan ein wirkliches und wahr-haftes Verdienst sammeln konne bei Gott in Bezug auf die Vermehrung derheiligmachenden Gnade (gloriae caelestis): es gibt ein Verdienst.

1. Das einzelne daruber:a) was meritum de congruo, condigno,b) dass in dieser These de condigno gemeint ist,

2. unter welchen Voraussetzungen das gegeben:a) dass der Mensch im Stand der Gnade sein muss,

i. dass der betreffende Mensch habituell vergottlicht ist,ii. mit der Gnade ausgestatteter Mensch Heils Akte setzen

muss,iii. welche Bedingungen dafur moglich sind,

A. dass ein Motiv des Glaubens mitspielen muss,B. er frei sein muss,C. die Tat ein actus honestus sein muss, eingefugt in die

Dynamik auf das ubernaturliche Ziel:diese Dinge sind im lateinischen Kodex bei der These selbst nachzu-lesen.

3. Auch was er verdienen kann und was nicht,a) dass er die erste Gnade nicht verdienen kann. Sie geht jedem

Verdienst voraus.

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17 Wachstum des Gnadenlebens

b) Dass er auch die wirksame im Gegensatz zur bloß zureichendenGnade nicht verdienen kann

c) - wie weit er sie fur einen anderen verdienen kann und wieweitdas nur de congruo sein kann, finden sie im Kodex selbst.

Diese Dinge sind fur die Klarung der Begriffe und die Deutlichkeit derVorstellung uber solche Aussagen durchaus wichtig.

17.2 Warum will man von Verdiensten nichtswissen: wegen protestantischerRechtfertigungslehre

Hier nur ganz grundsatzliche Uberlegung: auch in der modernsten neu-testamentlichen Exegese bei den evangelischen und katholischen Exegeten:Schmidt, Schnackenburg: findet man ofters merkwurdige Angst (bei denProtestanten eher von der Rechtfertigungslehre her) ein wirkliches meri-tum de condigno zuzugeben. Man sucht die Stellen der Schrift, die un-befangen von Verdienst reden, Lohn, gerechtem Richter, der vergilt nachWerken, vom Gericht, bei dem es darum geht wie man aufgrund der Wer-ke vor Gott bestehen kann: und diese sucht man dann von einer anderenAussage, die auch dort ist, zu verdunnen und abzuschwachen.

Das ist aber im Grunde gar nicht notig. Nicht mochte ich sagen: nicht umeine dogmatische Zensur zu erteilen: wir wollen uns nicht mit Außerungendieser modernen Exegeten beschaftigen: immerhin sagte ein Erzbischof:wenn man gewohnliche Schuldogmatiken aufschlagen wurde, konnte manbessere Synthese dieser Fragen finden als bei den Exegeten. Ob das richtigist, ist auch fraglich. Es ist zweifellos bei einer systematischen Theologiedoch wieder auch etwas zu primitiv. Nicht in jeder Schuldogmatik findetman klarer und synthetisierter alles was im NT gesagt wird. Davon ist auchkeine Rede.

17.3 einige fundamentale Punkte

17.3.1 Jedes Verdienst ist selbst wieder Gnade

Was Grundsatzliches angeht: ein paar fundamentale Punkte:1. Erstens ist selbstverstandlich, wenn man Bisheriges uber die Gna-

dentheologie Gesagtes betrachtet: dass in einer zweifachen Hinsichtjedes ubernaturliche Verdienst selbst ein Gnaden-Verdienst in demSinn ist,

I dass erstens die erste Gnade absolut unverdient ist, und

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17.3 einige fundamentale Punkte

II zweitens die heiligmachende Gnade, die Grund jedes ubernatur-lichen Verdienstes ist, nicht verdient werden kann, sondern Gna-den Geschenk Gottes ist.

2. Weiter: jeder weitere tatsachliche Akt, der verdienstlich ist insofernauch noch mal uber diese gemeinsame unverdiente Grundlage vonGott rein geschenktem Gnadenkeim hinaus, noch mal ein GeschenkGottes ist und nicht in der autonomen Hand des Menschen liegt,

a) weil jeder ubernaturliche Heilsakt basiert auf wirksamer Gnade,i. ob innerlich oderii. außerlich spielt keine Rolle,

A. welche als wirksame im UnterschiedB. zur hinreichenden Gnade nicht verdient werden kann.

b) Man kann und muss sagen, der Gerechte muss sich diese erbit-ten, und

i. wenn er dieses Gebet tut, wie er soll und kann, wenn er eswirklich tut, dann erhalt er auch diese wirksame Gnade.

ii. Aber dieses Gebet ist ja selbst, wenn es in der richtigenWeise, Beharrlichkeit und Intensitat geschieht, selbst eineWirkung der wirksamen Gnade,

iii. die nicht durch etwas anderes verdient werden kann, sondernreines Geschenk Gottes ist.

3. In seiner Grundlage und konkretem Vollzug ist jedes Verdienst eineGnade Gottes.

a) Und insofern ist jeder Lohn ein Gnadenlohn,b) und insofern ist klar, was Trient weiß und Augustinus auch: dass

Gott auch als gerechter Richter, der nach Verdienst lohnt,c) in dem Verdienst seine eigene Gnade kront.

Das ist fur katholische Theologie eine absolute Selbstverstandlichkeit.

17.3.2 Verdienst ist Vollzug des gottlichen Lebens

1. Weiter muss gesehen werden, dass der Begriff des Verdienstes nichtausschließt sondern einschließt, dass dieses Verdienst eine reine gleich-sam juridische, moralistische Große ist: sondern dass die These nichtnur sagt: dass es sich um ein Verdienst hinsichtlich augmentum gra-tiae (zur Vermehrung der Gnade) handelt,

2. sondern dass der Mensch getragen vom Heiligen Geist ein Mensch ist,der in homogenerem Verhaltnis zu Gott steht: Vollzug des gottlichenLebens = Verdienst,

3. und das bedeutet aus seinem Wesen heraus, selbst wenn der Begiffvon Verdienst und Lohn nicht angewendet wird: Mehrung, tiefereVerwurzelung dieses Lebens im Menschen, weil jeder Lebensakt ei-

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17 Wachstum des Gnadenlebens

nes in seinem Wesen nicht vom Tod bedrohten Lebens Steigerung,Intensivierung seines als Moglichkeit gegebenen Lebens ist.

a) Der Mensch lebt sein Leben, das in diesem Leben wachst, stei-gert, radikaler, existentieller verwurzelt wird im Menschen. Dassdas in der Schrift gesagt wird und nicht die Souveranitat undReinheit der Gnade gefahrdet, ist selbstverstandlich.

b) Grundprinzip: dass Gott der radikale allein Selbstverstandlicheist: - daraus folgt nicht,

i. dass der Mensch das rein passiv manipulierte Ding ist,ii. sondern, weil Gott der Lebendige ist, der sein Leben dem

Menschen schickt,iii. ist der Mensch

A. der Lebendige,B. einer der was kann, vollzieht,C. geschichtliche Lebendigkeit hat,D. sich vollzieht, sich ausstreckt nach seiner eigenen Vollen-

dungiv. = der Mensch sammelt Verdienste vor Gott.

1. Man muss sich klarmachen: nach der selbstverstandlichen Lehre derKirche beruht jedes Verdienst auf der Gnade in der doppelten Hin-sicht der reinen Gnade als Rechtfertigungs-Gnade und der wirksamenGnade fur wirksamen Akt.

2. Zweitens: ein Verdienst das im Grunde nichts anderes ist als derVollzug des gottlichen Lebens in geschichtlichem Zunehmen undWachsen.

3. Dazu ein Dritter und ebenso wesentlicher Gesichtspunkt: wenn undinsofern der Mensch ein plurales Wesen ist, - weil Geschopf - stehtder Mensch in einer pluralen Welt von vielen Wirklichkeiten, die vonGott geschaffen sind und in Pluralitat von Gott gewollt sind, stehtder Mensch, der selbst ein plurales Wesen ist, mit Recht nach GottesWillen in Pluralitat von Verhaltensweisen, Antrieben, Motivationen,und wenn er die alle restlos auf einen in sich identischen Punkt kon-zentrieren wollte, nur noch eines sein wollte, wurde er gegen seinkreaturliches Wesen handeln.

Gott wollte nicht, dass der Mensch sich bloß mit Gott abgibt. Esgibt Essen, Trinken, Geschlechts-Gemeinschaft: in dieser Pluralitatsteht der Mensch und soll der Mensch stehen. Das ist die eine Seite:plurale Seite.Auf der anderen Seite: als einheitliches Wesen vor dem einen

Gott, ist er nicht einer unter vielen, sondern der eine Einzige.Der Mensch besteht selbst noch mal in einer merkwurdigen Po-laritat zwischen Monismus und Pluralismus, und das eine und

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17.3 einige fundamentale Punkte

andere Moment durfen sich nicht gegenseitig aufheben und sindselbst dieser Pluralismus von menschlichem Pluralismus von sichin seiner Welt und in Gott und durch Gott: dieser ist noch maleinzig und allein durch Gott fur sich allein und nicht durch denMenschen synthetisierter Star einer christlichen Ontologie, dienoch nicht spekulativ und begrifflich genugend herausgearbeitetworden ist: auch anwendbar auf Ekklesiologie.

Was folgt aus dieser Metaphysik fur unsere Frage: wenn derMensch z. B. eben verschiedene Motive hat, unter welchenMotiven auch das Motiv: ich will meine eigene Bestimmungeinholen, aufwachsen zur Fulle des von Gott gegebenen Lebens,dieses Leben bewahren, Seele retten, Verdienste vor Gott sam-meln: dann ist eine solche plurale und in dieser Pluralitat derMotive auf den Menschen selbst blickende und auf seine uberna-turliche Gute, die von Gott geschaffen: durchaus berechtigt, istdie vernunftige und metaphysisch und christlich sinnvolle, vonder Demutigkeit des Geschopfes geforderte Verhaltensweise.

Auf der anderen Seite: bleibt es wahr: der Mensch muss Gott lieben,und diese Liebe ist ja nicht nur ein Sollen, was der Mensch tun kann,das auch. Ich esse, schlafe, vertrage mich mit Menschen und liebeGott.Aber gleichzeitig ist diese Liebe das Umfassende,

Synthetisierende, das Eine auf das alles ankommt. Der Plura-lismus zwischen dieser Liebe und dem Pluralismus der Motiveandererseits, worin es auch rechten Willen zum Verdienst Pola-ritat der Liebe und Pluralismus und himmlischen Lohn gibt, istnicht im Menschen sondern Gott allein noch mal synthetisiert.

Das bedeutet nicht dass diese Liebe nicht eine forma, radixund fundamentum omnium virtutum (Form, Wurzel undGrundlage aller Tugenden) ist und so die ubrigen Tugendenunter sich zusammenfasst, aber ohne sie aufzuheben. Das istkompliziert und schwierig: aber das ist in dem Wesen desMenschen begrundet.

Wenn die Liebe zu Gott eine absolut dominierende, wenn auchdie• anderen Verhaltensweisen nicht verdampfende, sondern• sie bewahrende, ubergreifende Funktion hat,• und wenn man nur Gott liebt,

– wenn man nicht seinen Lohn und ubernaturlichenLebens-Vollzug sucht

– sondern ihn, Gott selbst,• wenn auch wahr ist dass der absolut ubernaturliche Lebens

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17 Wachstum des Gnadenlebens

Vollzug die Liebe zu Gott ist und nichts anderes:– dann ist klar; dass auch nach normalster katholischer

Lehre, der Verdienst-Gedanke, Lohn-Gedanke einerseitsein berechtigtes Moment am pluralen Wesen des Men-schen ist

– und doch gar nicht das zentrale Motiv sein kann unddarf.

Wer von Gott letztlich belohnt werden will, kann nicht belohnt wer-den, weil er das nicht getan hat, wofur man belohnt werden kann:er wurde im letzten fur die Liebe belohnt und zwar fur die Liebe. dieGott gegeben hat als Gnade, und das kront er als unser Verdienst.Aber weil die Liebe das Verdienst als Folge hat: ist damit nicht ge-geben, dass diese Liebe Struktur gebendes Motiv ist, denn das kannes nicht fur die Liebe geben.Neben der Liebe gibt es noch andere Verhaltensweisen.

Trotzdem istdie Liebe das Letzte, das alles in sich integrieren muss

undvor dem alles andere als wesenhaft sekundarer

zurucktreten muss.Weil der Mensch diese letzte Vollendung seines Lebens

• in diesem Leben als der plurale, geschichtlich geteilteund gedehnte

• letztlich nicht der einzig nur auf Gott hin Seiende alsKreatur vollziehen muss,– gibt es Liebe als Motiv– (dann gibt es neben Liebe auch Lohn).– Wenn es so in der Schrift steht, dann haben wir

durchaus das Recht, es so hinzunehmen.Und da dieser plurale Kosmos unbeschadet seiner Pluralitat

vom einen Gott stammt und unbeschadet dieser von Gott inseiner letzten sinnhaften Harmonie garantiert ist, braucht derChrist auch nach dem Zeugnis der Unbefangenheit der Schrift,nicht so angstlich sorgen, ob die Ingredienzen des christlichenDaseins in der genugenden Dosierung und Strukturierunggegeben sind.

Dort wo er sich den Motiven der Schrift anbietet in großzugi-gem Durcheinander, kommt er von selbst zum Ganzen. Der,der begreift, was das heißt: Gott begnadet den Menschen so,und wer diese Gute Gottes unbefangen annimmt, diesen ansich vorlaufigen Strukturen der Welt Gottes getreu ist, derkommt von selbst zur Liebe Gottes. Er kann sich sagen lassen,

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17.4 These 31 Verlierbarkeit der Gnade

dass, wenn er alles gabe aber die Liebe nicht, die Liebe dienach allem verlangt aber nicht Gott: ware tonendes Erz undklingende Schelle: gar nichts in der Welt Gottes und seinesubernaturlichen Lebens.

Viertens: kommt dazu: Letztlich ist der Lohn, nachdem der Christ al-lein verlangen kann, Gott selbst.• Gott in sich und Gott im Verhaltnis zu ihm!• Das erfordert gewisse Strukturen, die damit gegeben werden, so

dass der Lohn Gott selbst ist,– dass ich dadurch belohnt werde, dass ich Gott lieben darf,– und er mich dadurch belohnt, dass er mich liebt, und gerade

das das Gluck, die Seligkeit der Kreatur ist.– Dann kann ich das Sublimste noch mal unter dem Begriff

des Lohnes ausdrucken,– muss aber dabei mir immer klar sein, dass dieser Lohn Gott

selbst und seine Liebe ist.– Und dass man nach diesem Lohn letztlich nur greifen kann,

um nicht nach ihm als Lohn, sondern nach Gott als dem umseiner selbst willen zu Liebenden greift.

Das konnte genugen: im ubrigen mussen sie diese These im lateinischenKodex selbst anschauen.

noch 26.6.1957 Wir mussen schauen, dass wir heute fertig werden. Nurnoch einige Anmerkungen, zunachst zu These 31 im lateinischen Kodex.

17.4 These 31 Verlierbarkeit der Gnade

Nun zur nachsten sectio. Sectio II De conservatione vitae supernaturalis.

These 31 Iustitia adaequate sumpta potest amitti, etiam in perpe-tuum. Amittitur omni et solo peccato mortali gratia sanctificanscum omnibus donis infusis praeter habitus fidei et spei, qui nondestruuntur nisi peccatis directe oppositis.

Die adaquat betrachtete Rechtfertigung kann auch fur immerverlorengehen. Die heiligmachende Gnade mit allen eingegosse-nen Gaben geht verloren durch jede Todsunde und nur durchdie Todsunde, mit Ausnahme des Glaubens und der Liebe, dieallein durch ihnen entgegengesetzte Sunden zerstort werden.

Es ist gegen Calvinismus strenger Observanz, gegen die Reformatorenuberhaupt feierlich definiert, dass man die Rechtfertigungsgnade verlierenkann, auch wenn man sie schon besessen hat, dass die Praedestination zumewigen Leben noch keine Garantie ist, dass man die Gnade hic et nunc

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17 Wachstum des Gnadenlebens

schon hat. Und umgekehrt, dass wenn man sie hat, keine Garantie ist,dass man zu den zum ewigen Leben von Gott wirksam Vorherbestimmtengehort.

Der Mensch ist das Wesen, in dessen Geschichte in der Zeit sich etwaswirklich ereignet, nicht nur im Leib, sondern an gewissen Punkten, wasvorher nicht war und nachher nicht sein wird in Bezug auf das Heil desMenschen.

Weiterhin wird gesagt durch diese These, dass wir katholisch nicht sagenkonnen, dass die Rechtfertigung durch den fides fiducialis allein konstitu-iert werden kann und bloß durch die Sunde des Unglaubens verloren ge-hen kann, sondern nach Ausweis der Schrift kann, wie Trient definiert, dieiustitia omni peccato mortali verloren gehen, naturlich auch solo peccatomotali.

In allen diesen Aussagen ist ein unubersehbares Maß von Voraussetzun-gen der theologischen Uberlegungen vorausgegeben. Die Metaphysik desUnterschieds zwischen schwerer und lasslicher Sunde, wie der Mensch an-zusetzen ist, im Grund-Wesen, wie die Freiheit anzusetzen ist, dass schwereund lassliche als radikal verschiedene Sunden, die nur analog ubereinstim-men, nicht einmal essentiell: ist schon dogmengeschichtlich eine schwierigeund Interessante und bedeutsame Frage, auf die wir hier nicht eingehenkonnen.

Weiter ist die Frage, was das heißt:, omni peccato amittitur. Diese Aussa-ge, die definiert ist in Trient, bedeutet noch nicht adaquate Lehre daruber,wie doch in jeder Sunde so was wie eine inchoative, verborgene Unglau-bigkeit gegeben sein kann. Wenn ein evangelischer Theologe sagen wurde:nein, nur durch Unglauben kann man Rechtfertigung verlieren, dann muss-te man fragen: was verstehst du unter Unglaube? Muss dieser sich intellek-tuell unmittelbar auf die objektive Botschaft beziehen oder auch anonym -im Ehebruch, der nach Paulus vom Reiche Gottes ausschließt, Sunden derNachstenliebe, die nach der Schilderung Christi machen, dass er zu seinerLinken stehen wird, muss solcher Christ sagen, selbstverstandlich ist dasauch so. Es kann einer festhalten wollen, dass er ein Glaubender ist, unddoch in diesem anonymen Sinn unglaubig sein.

Auf diese Fragen geht Trient nicht ein. Stellt ganz praktikabel fest furden Alltag: der Unzuchtige, Morder, Dieb konnen Reich Gottes nicht erben.Wenn sie das sind, sind sie solche, die die Rechtfertigungsgnade verlorenhaben und konnen doch noch solche sein, die Herr Herr sagen um sogarim Namen Christi Wunder gewirkt haben, die sich einbildeten, auf SeitenChristi zu stehen mit Einbildung die objektive Teil-Grunde hatte mit demwas Konzil von Trient mit recht den beibehaltenen Glauben nennt, ob-wohl man schwere Sunde begangen hat, die in diesem Sinne nicht eine desUnglaubens ist sondern eine andere.

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17.4 These 31 Verlierbarkeit der Gnade

Auch hier was Ahnliches wie vorhin: selbstverstandlich hat jede schwereSunde, ganz gleich wie im einzelnen, eine gemeinsame Grundstruktur: sie istein Nein schließlich zu Gott. Insofern kann ich dieses gemeinsame Wesenaller schweren Sunden herausarbeiten und mit Recht sagen: das immerselbe ist die Sundigkeit an der Sunde.

Das bedeutet aber angesichts der Welthaftigkeit und des Pluralismusim Menschen nicht, dass dieses selbe Wesen nicht eine wahre substantielleEinheit eingeht mit dem konkreten pluralen Material, an dem dieses letzteNein zu Gott realisiert wird, so dass es viele spezifisch verschiedene Sundengeben kann. Es gibt gemeinsame Sundigkeit, aber das ist doch etwas, wasan verschiedenen Akten vollzogen wird, so dass diese Verschiedenheit undSundigkeit eine Einheit eingehen, dass die Sundigkeit spezifisch verschiedensich verleiblicht und es so Sunde der Unkeuschheit, Lieblosigkeit, Unglau-ben geben kann, welche Sunden unbeschadet ihrer letzten metaphysischenStruktur, verschieden sind.

Wenn das begriffen ist, und nicht in untheologischer und unmenschlicherund unkreaturlicher Monomanie, die auch heute in der protestantischenTheologie noch vorkommt - Surkau z. B. - von Bultmann herkommend,letzte Struktur der Sundigkeit als letztes Nein des Herzens gegen Gott istsensu positivo richtig, aber sensu exclusivo falsch. Und so aufgefasst unddann Dinge als Konsequenzen herrauskommend, die sich dann zeigen, dassein Mensch nicht Sunden beichten muss, sondern als Sunder mit Sundig-keit empfinden kann, die nur die eine Verzeihung erlangen kann von seinerSundigkeit.

26.6.1957 Vorlesung 80 (2.Stunde)

Wir stehen bei der These 31 uber die Verlierbarkeit der Gnade. Wir sag-ten, dass diese These hauptsachlich gegen den Calvinismus gerichtet ist,wo der Pradestinierte der Mensch in der Gnade ist, der nicht daraus her-ausfallen kann und der Nicht-Pradestinierte auch die Gnade nicht besitzenkann, obwohl es vielleicht so aussieht. Und dann auch gegen die lutheri-sche These wodurch die Rechtfertigung nur durch die Aufgabe des fidesfiducialis verlorengehen kann.

Dass die Rechtfertigungsgnade verlorengehen kann ist de fide definita.Dass es nicht durch jede Sunde, dass es also lassliche Sunden gibt, ist derSache nach definiert. Dass der Glaube nicht durch jede Sunde verloren geht,ist auch definiert. Dass Caritas und Rechtfertigungsgnade nicht trennbarsind, ist wenigstens de fide. Dass der Glaube durch die Sunde gegen denGlauben aufhort, ist theologisch sicher. Bei der spes ist es weniger klar.Dass man spes haben kann nachdem man die Liebe schon verloren hat, isttheologisch sicher.

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17 Wachstum des Gnadenlebens

Man muss sich daruber klar sein, dass der Begriff des Verloren-Habensder heiligmachenden Gnade nicht so einfach und selbstverstandlich ist, wieer uns vorkommt. Wir werden unwillkurlich das Vorstellungsbild haben, sowie wenn einer seine Schuhe verliert, Geld abgenommen bekommt usw..Nicht mehr Dasein der Rechtfertigungsgnade.

Nun sieht man aus unseren fruheren Uberlegungen uber die aktuelleGnade, dass die Sache in Wirklichkeit etwas schwieriger ist. Wir haben inanfanglicher These schon gesagt, dass Gott allgemeinen Heilswillen hat,alle Menschen auch infralapsarisch, auch gegen Unglaubige und gegen Ver-stockte. Also auch diese sind grundsatzlich in irgend einem Sinn in derMoglichkeit - wenigstens in entfernter - ubernaturliche Heilsakte zu setzen.

Nun ist nicht so leicht zu sagen, wodurch sich diese dauernde Moglichkeit,wenn auch nur remota, ubernaturliche Heilsakte zu setzen, unterscheidetvon einer habituellen Gnade solche Heilsakte zu setzen und wodurch sicheine solche habituelle Gnade von dem unterscheidet, was wir hier als ver-loren gehend behaupten mit definierter Kirchenlehre.

Nicht sachlicher Widerspruch, sondern dass es nicht leicht zu sagen ist,was nicht mehr Haben der Gnade bedeutet. Bedeutet das ein schlechthinnicht mehr Existieren dieser Gnade oder ein bestimmtes Verhaltnis desMenschen zu der noch existierenden Gnade in gewissem Sinn? Wer eineTure zuschlagt, die von ihm aus nicht mehr geoffnet werden kann, besitztdas, was im anderen Zimmer ist, nicht mehr, obwohl er es so lange besessenhat, solange er freien Zugang zum anderen Zimmer hatte. Wenn Gott nun ingewissem Sinn die Ture, die wir zugeschlagen haben, immer noch offenlasst,solange wir Pilger sind, kann ich dann sagen, ich besitze das noch, obwohlich in anderem bedeutsamen Sinn sagen muss, ich besitze das druben nichtmehr, insofern es definitiv verloren geht wenn ich die Offnung, die Gottmacht, nicht benutze

Darauf konnen wir nicht naher eingehen, wie weit das Zeitschema - jetztist Gnade da, jetzt nicht mehr da, und dann wieder da - wie weit solchesZeitschema, das der normalen Vorstellung vom Verlieren und Wiederer-werben zugrunde liegt, ob man das in ein Verhaltnis nicht zeitlicher Artumsetzen und umschreiben kann. Das Haben der Gnade ware dann das An-genommenhaben der Gnade, oder das nicht Nein gesagt haben zu Gnade.Nicht haben existentiell sich verneinend gegen die Gnade verhalten, so dasssie nicht mehr mir gehort, obwohl sie als mir zugedachte und angeboteneexistiert. Wir konnen nicht uns darauf einlassen, ob das denkbar ist oderunvereinbar ist mit den Glaubensquellen. Nur aufmerksam machen, dassdas Verlieren nicht so deutlich und klar ist, wie es auf den ersten Blick zusein scheint.

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17.5 These 32 und 33 spezielle Hilfe zur Beharrlichkeit notig

17.5 These 32 und 33 spezielle Hilfe zurBeharrlichkeit notig

These 32 In statu naturae lapsae neque iustus in accepta iustitia diuperseverare potest sine speciali Dei auxilio

Auch der Gerechtfertigte kann nach dem Sundenfall ohne spezel-le Hilfe Gottes nicht lange in der empfangenen Rechtfertigungbeharren

These 33 Donum perseverantiae finalis actualis habet rationem spe-cialis beneficii gratuiti divini

Die Gabe der Beharrlichkeit bis zum wirklichen Ende ist eine spe-zielle freibebige gottliche Wohltat

Nach dieser These von der Verlierbarkeit der Gnade, haben wir noch zweiThesen uber die endliche Beharrlichkeit (siehe These 32 im lateinischen Ko-dex und These 33). Diese sind im Grunde genommen nur Anwendungender Thesen, die wir fruher schon hatten. Fruher schon gesagt: der Menschkann ohne besondere (auch der Gerechtfertigte) Hilfe Gottes das naturli-che Sittengesetz auf lange Sicht nicht beobachten, braucht dazu besondereHilfe Gottes, die ihm zwar zugedacht ist, an sich von Gott gewahrt wirdwegen des allgemeinen Heilswillens Gottes, die aber nicht dadurch effektivgegeben ist, dass er freies Wesen ist und die heiligmachende Gnade hat.

Daraus ergibt sich von selbst, dass wir besondere Hilfe Gottes brauchen,um in der erhaltenen, erworbenen Gerechtigkeit beharren zu konnen. Dassdie Rechtfertigungs-Gnade allein als solche noch nicht die Dynamik ge-genuber der Konkupiszenz, der Welt, Fleisch usw. bedeutet die notig ist,um die sittlichen Forderungen des Naturgesetzes und des ubernaturlichenGnadegesetzes allein zu erfullen. Auch der Gerechtfertigte muss noch nachdem Wort Jesu beten: fuhre uns nicht in Versuchung, dass er wenn er steht,nicht falle, dass er ihn in seiner Gnade bewahre, das gute Werk vollendebis zum Tage Christi.

Die Moglichkeit in der Gnade Gottes zu beharren ist selbst noch malein von der Gnade selbst verschiedenes Gnadengeschenk Gottes, das auchdurch die außeren Gnaden der Providenz Gottes zur Auswirkung kommt.Dieses auch speziale ad posse perseverare ist in der Serie von Gnaden ein-geschlossen, die wir gratiae sanantes nennen, wenn auch nicht nur.

Nun sagten wir, dass die gratia efficax, insofern sie mehr besagt, als bloßhinreichende Gnade (wenn auch nicht real verschieden) ein von Gott gese-hen besonderes Gnadegeschenk ist, dass also sich efficax in actu primo nichtbloß durch den faktisch verweigerten Konsens des Menschen unterscheiden.

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17 Wachstum des Gnadenlebens

Daraus ist klar, dass wenn ein Mensch tatsachlich in der Gnade beharrt,in der Gnade stirbt. Das letztlich Gnade Haben und in ihr Sterben brauchennicht zeitlich weit auseinander liegen. Sunder der Sakramente empfangtund stirbt hat perseverantia finalis, obwohl diese Gnade ihm im letztenAugenblick gegeben ist.

Wenn dies geschieht durch freien Akt des Menschen, der irgendwo ge-setzt wird, und dieser tatsachlich freie, gute Akt insofern beruht auf gratiaefficax selbst noch ein besonderes Geschenk Gottes ist, dann ist klar dassfaktisches Beharren in der Gnade eine großere Gnade ist uber die HilfeGottes zum Beharrenkonnen hinaus, so wie sich gratia sufficiens und effi-cax unterscheiden, so auch das posse perseverare (Beharren Konnen) undde facto perseverare (faktisch Beharren) sich unterscheiden. Also zwischenbeiden ist ein Unterschied. Und dass diese auch activus und passivus, sichhinein versetzt haben und nicht haben und das in diesem Augenblick ster-ben, was man nicht in der Hand hat, dass das auch unterschieden werdenkann, eine partialis und totalis (eine zeitlang und definitiv) ist von selbstverstandlich.

In dem Sinn in dem die gratia efficax ein beneficium materiale et formalemaius ist als gratia mere sufficiens, ist die gratia efficax zu der entschei-denden Tat des Menschen, in der er fur die Zeit und Ewigkeit diese Recht-fertigungsgnade empfangt und behalt sie ein beneficium incomparabilitermaius als die Perseverantia mere potentialis durch die hinreichende Gnade.

Wahrend wir bei der perseverantia potentialis sagen mussen, sie ist nurmoglich durch besondere Hilfe Gottes, und die perseverantia actualis: ge-schieht unter besonderem Gnaden Geschenk Gottes, dass es auxilium spe-ciale ist besagt nur: es muss dieses auxilium noch dazukommen zum Men-schen, seiner Dauerfahigkeit und Rechtfertigung, wenn wir sagen, Perse-verantia ist ein beneficium speciale, eine Gnadengabe Gottes, von der wirnicht wissen, ob sie jeder bekommt.

Aus allgemeinem Heilswillen wissen wir, das posse perseverare ist ansich jedem Menschen angeboten. Da wir nicht wissen ob er alle dazu wirk-same Gnade gegeben hat, furchten mussen, dass er es nicht hat, mussenwir sagen: wem Gott diese verleiht, dem hat er Gnade gegeben, die unver-gleichlich großer ist als die besondere Hilfe, die er jedem Menschen gewahrt,damit er, wenn er will und sich dieser Gnade nicht versagt, beharren kann.

Das ist eigentlich der Grundsinn dieser zwei letzten Thesen.

Das Ubrige konnen sie im Kodex selber nachlesen. Beides ist in derkirchlichen Lehraußerung deutlich ausgesagt, wenn auch nicht definiert.Genauere Interpretation des Trienter Konzils konnen sie auch im Kodexlesen.

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17.6 Schlusswort:

17.6 Schlusswort:

Damit ist das Wesentliche uber die Gnadenlehre gesagt, soweit sie uber-haupt de facto behandelt wird im Rahmen der ublichen Schultheologie.

Am Anfang des Jahres haben wir gesagt, dass viele Dinge in dieser Gna-denlehre der facto nicht zur Sprache kommen, die in adaquater, von derBibel her orientierter Theologie zur Rede gebracht werden mussten: soziale,ekklesiologische, sakramentale Aspekte der Gnade. Altruistische Aspekteder Gnade innerhalb des MCC, die gratiae gratis datae, psychologischesam Wachstum der Gnade, Verknupfung mit anderen Traktaten: Aszese,Abtotung, Entsagung, die evangelischen Rate, Stufen des geistlichen Le-bens, mit der Mystik, solche und viele andere Dinge sind nicht zur Sprachegekommen.

In Sakramententheologie: gratia specifica specialis der einzelnen Sa-kramente, der inkarnatorische Aspekt der Gnadenlehre, der trinitarischeAspekt der Gnade (Ansatzpunkt gegeben) aber Assimilatio ad Verbum imGegensatz zum Heiligen Geist, zum Vater als Vater, trinitarische Aspek-te zu vollziehen, das Hervorbringen der Gnade, ubernaturliche Heilsgnade,die uns Christus assimiliert, in den konkreten Lebensvollzug des Menschenmit allen Vollzugen wissenschaftlicher Art, Familie, des Verhaltnisses derEltern und Kinder, Wirtschaftsleben, Gerechtigkeit, Nachstenliebe usw.mussen zur Sprache kommen. Dass ware heute mehr Aufgabe der MoralTheologie, die aber, weil sie stark vom naturlichen Sittengesetz herkommt,und das stark naturalistisch sieht und ubernaturliche Erhohung dieser Ak-te kummerlich oder gar nicht betrachtet: darauf kann man hier nicht mehreingehen.

Noch Mal ein Ruckblick, was wir gesagt haben: einfaches und sehr um-fassendes, einfaches und geheimnisvolles zugleich.

Der den wir Gott nennen, und der auf der einen Seite durch unser Lebenhindurchwaltet, aber als das absolute Geheimnis, das sich auch als solchesGeheimnis in geistig irdischem Daseinsvollzug zeigt, dass er da ist als die-ses Geheimnis und nur so und deshalb diese merkwurdigen Verhaltungendes Glaubens, der Hoffnung und der Liebe verlangt, wissen wir durch dieBotschaft Christi dass dieser der Vater des Sohnes, der als wesensgleicherSohn da ist und darum da ist, um uns zu wagen. Daher wissen wir, dassGott sein absolutes restloses sein eigentumliches Wesen gegeben hat undmitteilen will, dadurch die Freiheit des Menschen erst ermoglicht und be-freit als den Menschen, der zu Gott Nein gesagt hatte, erlost von seinenSunden und mit dieser dreifaltigen absoluten Lebensfulle Gottes mit denMenschen hineingeht in alle seine Lebensbezirke, ihn erlost, heiligt, zumSohne Gottes macht, die nicht begriffen werden kann und in diesem radi-kalen Verhaltnis, dass das des Schopfers zum Geschopf absolut uberbietet,

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17 Wachstum des Gnadenlebens

so ist diese absolute Selbstmitteilung Gottes von Gott her in der forma-len und nicht effizienten Mitteilung ein Geheimnis, aber eines in dem derMensch ersticken wurde.

Diese absolute Selbstmitteilung Gottes, die durch die Inkarnation desVerbums hindurch wegentaußert ist, ist das Geheimnis des Christentumsund der Gnade, indem das Geheimnis der Trinitat uns geoffenbart ist, undwas auch in unlosbarem Zusammenhang mit dem der Inkarnation steht. Al-les andere ist Ausgestaltung und Vorbereitung dieses Grundverhaltnisses:freie ungeschuldete, absolut ungeschuldete Gnade: ergibt sich aus diesemWesensansatz von selbst.

Dass diese im geschichtlichen Menschen selbst geschichtlich kommenmuss - universalgeschichtlich und individuellgeschichtlich Ansatze und Ge-fahren hat, durch die Freiheit des Menschen hindurch muss, sie anruft undnicht aufhebt.

Das dieses Leben des einen Gottes als an den pluralen Menschen mit-geteiltes sich auffachert in die verschiedenen Dimensionen des Menschenhinein, dass sie auch ihre inkarnatorische Seite hat in den Sakramente derKirche als Ursakrament, ergibt sich von selbst.

Und dass sie sich erfullt in der Vollendung des Menschen, in der er seinLeben selbst auszeitigt in der Mitteilung Gottes an die Kreatur - visiobeatifica und unmittelbare Liebe - dass das das absolute Geheimnis ist,weil Gott in seiner absoluten radikalen Selbstmitteilung ein Geheimnis ist,versteht sich von selbst.

Was sonst noch gesagt: gratia sanans, salutaris, efficax und sufficiens usw.sind Zerlegungen der einen Gnade Gottes in dem Prisma des Geschopfs,das als plurales diese eine Selbstmitteilung Gottes in seine Pluralitat hin-einnimmt, wo von actus honestus usw. die Rede ist in seine Geschichte:in seine soziale Art - Sakramente - in individuelle Geschichte - Glaube,Wachsen der Rechtfertigung, bewahren dieser durch das Leben hindurchbis zum Ende, Perseveranz usw. -

Das sind nur Variationen, die mit dem Menschen gegeben sind, diesesGrundthemas der Selbstmitteilung Gottes, in dem Gott nicht eine von ihmverschiedene Gabe gibt, sondern sich selbst, als ungeschuldete Gnade, alsHerrlichkeit usw. im Grunde etwas sehr Einfaches, etwas sogar, was einMensch unter Umstanden ahnen kann, wenn er ungefahr nichts von derDogmatik vollziehen kann, wenn er scheinbar vom Christentum noch nichtsgehort hat.

Die radikale Verfugung, unauslotbare, nirgends haltmachbare VerfugungGottes annehmen, das ist eben Gott unuberschaut, unartikuliert anneh-men als den, der Er de facto ist: als der des Geheimnisses, der radikalenbis zum Unuberbietbaren Liebe. Dort wo der Mensch sich in der Unbe-greiflichkeit Unabgrenzbarkeit seines Geheimnisses und seiner Weite be-

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17.6 Schlusswort:

dingungslos hinnimmt, sich selbst in das Geheimnis Gottes uberantwortet,sich ihm uberliefernd anheimgibt, hat er vermutlicherweise den Grund (werbisher gut studiert hat, weiß vermutlicherweise darum) den Grundakt desChristentums schon vollzogen und steht auf der Seite Gottes.

Ob das der Mensch getan hat, wissen wir nicht, nicht einmal von unsselbst. wir sind immer noch dran das zu tun was wir hoffentlich schongetan haben: ihm uns in vertrauender Liebe zu ubergeben.

Wenn das so leicht ist, warum haben wir so lange und umstandlich dar-uber geredet? Weil Gott uns in seiner geschichtlichen Gnade durch Christusgenauer ausdrucklicher geoffenbart hat, was in dem Grundakt passiert, denvermutlicherweise jeder Mensch in seinem Leben tut.

Warum hat er es geoffenbart? Damit wir es leichter, verstandlicher tunkonnen. Er hat fur uns Christen die Verantwortung großer gemacht. Diegroßere Sicherheit der Gnade ist vielleicht das großere Risiko. Wir habenuns Gott so zu stellen wie er uns gegenuber sein wollte. Und da ist er nichtnur der, der seine absolute Lebensfulle uns de facto anbietet - das tut erjeder geistigen Kreatur, die im Dasein ist - sondern uns gegenuber auchder, dem er durch Propheten und seinen Sohn schon gesagt hat, was er anuns tut, auf jeden Fall, selbst wenn er es manchem so deutlich nicht sagt.

Wir haben diese ausgesagte Tat Gottes so anzunehmen wie sie ist. Undweil er nicht nur an uns die Liebes-Tat seiner Gnade tut sondern auchgesagt hat, was er tut, darum wird Theologie getrieben und haben sieTheologie getrieben, und wenn sie unter diesem Aspekt getrieben wird: derinneren Selbstmitteilung Gottes, dann haben wir den Traktat de gratia zutun oder vielleicht auch ein bisschen getan.

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