Kein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer bei nicht mehr vorübergehender...
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Betriebs-Berater | BB 49.2014 | 1.12.2014 3007
Kommentierte Entscheidung | ArbeitsrechtBAG · 3.6.2014 – 9 AZR 111/13
gezogen sind. Hinzu kommt, dass im Einzelfall zu entscheiden sein
wird, ob die von der Muttergesellschaft zur Sanierung der Tochterge-
sellschaft getroffenen Entscheidungen fehlerhaft und fahrlässig sind.
Daraus entsteht eine große Rechtsunsicherheit. Da zahlreiche interna-
tionale Konzerne betroffen sind, ist die Mitarbeitgeberrechtsprechung
auch außerhalb von Frankreich berüchtigt. Dies führt leider dazu,
dass potentielle Investoren aufgrund der daraus entstanden Rechtsun-
sicherheit und der Verletzung des Rechts auf unternehmerische Frei-
heit nicht in Frankreich sondern in anderen Ländern investieren.
Vor diesem Hintergrund könnte eine Änderung der Rechtsprechung
des Kassationshofs durch eine erneute Berücksichtigung der Wei-
sungsgebundenheit als Voraussetzung für eine Arbeitgeberstellung da-
zu beitragen, dass sowohl ausländische als auch französische Investo-
ren wieder Vertrauen schöpfen, ohne dass dadurch der Arbeitnehmer-
schutz beeinträchtigt wird.
Bénédicte Querenet-Hahn berät und vertritt internationaltätige Unternehmen, insbesondere aus deutschsprachigenLändern, im französischen Arbeits- und Handelsrecht.
Markus Erkert studierte Rechtswissenschaft an der Univer-sität Tübingen und hat die französische Eignungprüfung fürausländische Rechtsanwälte absolviert. Die Fachgebiete vonMarkus Erkert sind Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht.
BAG: Nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung –Rechtsfolge
BAG, Urteil vom 3.6.2014 – 9 AZR 111/13
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2014-3007-1
unter www.betriebs-berater.de
NICHT AMTLICHER LEITSATZ
Ein Verstoß gegen das ab dem 1.12.2011 geltende Verbot der nicht nur
vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG
führt nicht gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG zum Zustandekommen eines Ar-
beitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer,
wenn der Verleiher die nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG erforderliche Erlaubnis
hat, seine Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung zu überlassen.
AÜG § 1 Abs. 1 § 10 Abs. 1
SACHVERHALT
Die Parteien streiten vor allem darüber, ob zwischen ihnen seit dem
1.8.2008 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte betreibt Krankenhäuser. Die Klägerin wurde von einer Agen-
tur für Gesundheitsfachberufe (G GmbH), die über eine unbefristet erteilte
Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügt, zum 1.8.2008 als Kran-
kenschwester eingestellt. Der Arbeitsvertrag nimmt auf die vom Interes-
senverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen mit den Mitgliedsgewerk-
schaften des DGB geschlossenen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung
Bezug. Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wurde die Klägerin der Be-
klagten als Leiharbeitnehmerin überlassen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückge-
wiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt
die Klägerin ihre Ansprüche weiter mit den Maßgaben, dass im Antrag zu 1.
das Wort „ungekündigtes“ entfällt und die Anträge zu 2., 3. Buchst. a) und
b) nur für den Fall gestellt werden, dass dem Antrag zu 1. stattgegeben
wird. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
AUS DEN GRÜNDEN8Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen ha-
ben die Klage mit Recht abgewiesen.
Kein Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisseszwischen der Klägerin und der Beklagten
91. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht das Zustandekommen
eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten ver-
neint. Die Anträge der Klägerin zu 2., 3. Buchst. a) und b) sind dem Senat
deshalb nicht zur Entscheidung angefallen. …11b) Die Klägerin hat keine Argumente vorgebracht, die die tragenden
Ausführungen des Senats im Urteil vom 10.12.2013 (– 9 AZR 51/13, BB
2014, 700 –) infrage stellen könnten. Sie hat insbesondere keine Um-
stände aufgezeigt, aus denen entgegen der Annahme des Senats folgt,
der Gesetzgeber habe unbewusst davon abgesehen anzuordnen, dass
bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung ein Ar-
beitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher be-
gründet wird. Argumente, die auf ein unbewusstes, versehentliches Un-
terlassen des Gesetzgebers schließen lassen könnten, hat die Klägerin
nicht vorgebracht.
12c) Der Hinweis der Klägerin auf den zwischen CDU, CSU und SPD am
16.12.2013 unterzeichneten Koalitionsvertrag geht in mehrfacher Hinsicht
fehl. Absichtserklärungen von Parteien in einer Koalitionsvereinbarung
berechtigen Gerichte nicht, die geltende Rechtslage außer Acht zu lassen.
Im Übrigen haben die Koalitionsparteien unter Ziff. 2.2 des Koalitionsver-
trags nicht vereinbart, dass eine nicht mehr vorübergehende Überlassung
eines Leiharbeitnehmers hinsichtlich der Rechtsfolge einer Überlassung
ohne Erlaubnis gleichgestellt werden soll. Nur bei einer „verdeckten“
Überlassung (Scheinwerk- und -dienstverträge) soll geregelt werden, dass
über § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem vermeintlichen
Werkbesteller/Dienstberechtigten zustande kommt. …
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BB-Kommentar„Kein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher undLeiharbeitnehmer bei nicht mehr vorübergehenderArbeitnehmerüberlassung mit Erlaubnis“
PROBLEMEnde 2013 hat der Neunte Senat festgestellt, dass bei mehr als vorüber-
gehender Arbeitnehmerüberlassung mit Erlaubnis kein Arbeitsverhältnis
mit dem Entleiher entsteht (BAG, 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, BB 2014, 700
m. BB-Komm. Zimmermann; vgl. auch Lipinski/Praß, BB 2014, 1465). Zu
diesem Zeitpunkt war die Revision im vorliegenden Verfahren schon an-
hängig. Die Klägerin nahm das Rechtsmittel nicht zurück; sie schien auf
eine Kehrtwende des Gerichts zu hoffen. Die politische Diskussion und
die im Koalitionsvertrag angekündigten Vorhaben der Großen Koalition,
die Leiharbeit auf ihre „Kernfunktion“ hin zu orientieren (vgl. dazu Lemb-
ke, BB 2014, 1333) mögen Grund hierfür gewesen sein. Die Hoffnung der
Klägerin hat sich nicht erfüllt.
ZUSAMMENFASSUNG
Die Klägerin ist seit dem 1.8.2008 bei einem Personaldienstleistungsun-
ternehmen als Krankenschwester angestellt. Der Personaldienstleister ver-
fügt über eine unbefristet erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses ist die Klägerin bei der Beklagten als
Leiharbeitnehmerin tätig. Die Beklagte und der Personaldienstleister ge-
hören demselben Konzern an.
Die Klägerin ist der Auffassung – und begehrte entsprechende gerichtli-
che Feststellung –, dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeitsver-
hältnis besteht. Ihr Einsatz bei der Beklagten sei nicht vorübergehend
i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG. Die Beklagte nutze Arbeitnehmerüberlassung
rechtsmissbräuchlich, um dauerhaften Arbeitskräftebedarf zu – für sie –
günstigen Bedingungen zu decken. Der durch die Leiharbeitsrichtlinie be-
zweckte Mindestschutz werde verfehlt.
Im Revisionsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass die Große Koali-
tion eine Gesetzesänderung beabsichtige, wonach bei Überschreitung ei-
ner Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ein Arbeitsverhältnis zum
Entleiher entstehe. Bis zur Umsetzung des Vorhabens bleibe es der Recht-
sprechung überlassen, eine Sanktionierung der verbotenen Dauerüberlas-
sung unter Einbeziehung dieser Planungen und unter Zugrundelegung
der Leiharbeitsrichtlinie vorzunehmen.
Nachdem die Klägerin bereits in den Vorinstanzen unterlegen war, hatte
sie auch keinen Erfolg beim BAG. Ganz knapp verweist der Senat auf sein
Urteil vom 10.12.2013. Dort sei eingehend begründet, warum weder in
direkter noch in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG bei
mehr als vorübergehender Überlassung ein Arbeitsverhältnis zum Entlei-
her entstehe und warum auch die Leiharbeitsrichtlinie kein anderes Er-
gebnis vorgebe.
Der Hinweis der Klägerin auf den Koalitionsvertrag gehe fehl. Absichtserklä-
rungen in einem Koalitionsvertrag berechtigten Gerichte nicht, die gelten-
de Rechtslage außer Acht zu lassen. Im Übrigen sei im Koalitionsvertrag
nicht vereinbart, dass eine nicht mehr vorübergehende Überlassung zu ei-
nem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher führt und damit bei der Rechtsfol-
ge einer Überlassung ohne Erlaubnis gleichgestellt werden soll. Nur bei
„verdeckter“ Überlassung (vulgo: Scheinwerk- und -dienstverträge) solle
geregelt werden, dass über § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit
dem vermeintlichenWerkbesteller/Dienstberechtigten zustande kommt.
PRAXISFOLGENDas BAG bestätigt sein Grundsatzurteil vom 10.12.2013 (BAG, 10.12.2013
– 9 AZR 51/13, BB 2014, 700 m. BB-Komm. Zimmermann): Bei dauerhafter
Überlassung mit Erlaubnis kommt auch im Konzern kein Arbeitsverhältnis
mit dem Entleiher zustande.
Offen ist nach wie vor, wie lang „vorübergehend“ ist. Geklärt ist nur: Der
zeitlich nicht begrenzte Einsatz eines Leiharbeitnehmers anstelle eines
Stammarbeitnehmers ist es nicht (BAG, 10.7.2013 – 7 ABR 91/11, BB
2013, 3071 m. BB-Komm. Zimmermann). Der Koalitionsvertrag sieht vor,
„vorübergehend“ dahingehend zu „präzisieren“, dass eine Überlassungs-
höchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festgeschrieben wird. Zuletzt galt
bis Ende 2003 eine Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten.
Ob der Begriff „vorübergehend“ arbeitnehmer- oder arbeitsplatzbezogen
auszulegen ist, ist zur geltenden Rechtslage umstritten. Die geplante
Überlassungshöchstdauer dürfte als maximal zulässige Einsatzdauer des
einzelnen Leiharbeitnehmers zu verstehen sein, also arbeitnehmerbezo-
gen. Der Verleiher kann demselben Entleiher dann nach Ablauf der 18
Monate einen anderen Leiharbeitnehmer überlassen, ohne dass die vor-
angegangene Überlassung angerechnet wird. Auch eine Mehrfachüber-
lassung desselben Leiharbeitnehmers wäre wohl grundsätzlich zulässig.
Allerdings sieht die Leiharbeitsrichtlinie vor, dass aufeinanderfolgende
Überlassungen zur Umgehung der Richtlinie zu verhindern sind. Auch
nach den Schlussanträgen des zuständigen Generalanwalts in einem fin-
nischen Vorlageverfahren vor dem EuGH (Rs. C-533/13) dürfte eine rein
arbeitnehmerbezogene Höchstüberlassungsdauer nicht ausreichen, um
die Regelungsziele der Leiharbeitsrichtlinie zu erreichen.
Der Koalitionsvertrag lässt offen, ob eine Überschreitung der Höchstdauer
zivilrechtliche Folgen hat. Darauf weist der Senat zutreffend hin. Im Koaliti-
onsvertragwurdedie vonder SPDgewünschteFormulierungeines „automa-
tischen“ Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher bei Gesetzesverstößen in
der finalen Fassung gestrichen. Früher (bis 1997) wurde über die vermutete
Arbeitsvermittlung und § 13 AÜG a.F. ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher
fingiert. Ein Gesetzentwurf des Bundesrates (BR-Drs. 687/13) sieht in einem
neuen § 9 Nr. 1 lit c AÜG vor, dass bei Überschreitung der Höchstdauer die
Fiktion des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG greift. Es bleibt abzuwarten, ob das eine
Mehrheit findet.
Laut Äußerungen aus dem BMAS ist jedenfalls nicht vor Ende 2015 mit
Inkrafttreten einer neuen Regelung zu rechnen. Bis zur Umsetzung eines
solchen Vorhabens ist die Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zum Ent-
leiher bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis ausge-
schlossen, auch bei rein konzerninterner Überlassung.
Dr. André Zimmermann, LL.M., RA, FAArbR, ist Counsel imFrankfurter Büro von King & Wood Mallesons LLP. Er verfügtüber besondere Erfahrung im Bereich der Arbeitnehmer-überlassung.
3008 Betriebs-Berater | BB 49.2014 | 1.12.2014
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