Kiezdeutsch als Teil des Sprachrepertoires … · Auszug aus der Senatsverwaltung für...
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1 1 "Kiezdeutsch ist voll baba! (...wenn man's versteht)" Kiezdeutsch als Teil des Sprachrepertoires Jugendlicher in multiethnischen Wohngebieten Maria Pohle & Kathleen Schumann, Uni Potsdam
Transcript of Kiezdeutsch als Teil des Sprachrepertoires … · Auszug aus der Senatsverwaltung für...
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"Kiezdeutsch ist voll baba! (...wenn man's versteht)"
Kiezdeutsch als Teil des Sprachrepertoires Jugendlicher in multiethnischen Wohngebieten
Maria Pohle & Kathleen Schumann, Uni Potsdam
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Als kleiner Einstieg…
„ Hast du Handy bei?“ Ein Bericht über Kiezdeutsch aus dem SAT.1-Frühstücksfernsehen
Quelle: SAT.1 Frühstücksfernsehen vom 29.02.2012 08:15 Uhr; Abrufbar unter http://www.sat1.de/tv/fruehstuecksfernsehen/video/kiez-deutsch-hast-du-handy-bei-clip
We want to remind you of the classification of Kiezdeutsch: Kiezdeutsch counts as a youth language as well as a contact language. This implies that we find elements that are typical for youth language, such as anglicisms; Kiezdeutsch is used in peer group situations. It is more than a „lingua franca“, because it‘s a code to establish a multicultural group identitiy. As German youth languages, we can find influences of subcultures (e.g. music styles) and the internet. There are also elements that are typical for contact languages, such as influences from many different languages. Because of this, Kiezdeutsch differs from the German standard lexically and grammatically. For Kiezdeutsch, there can be described new grammatical patterns, for example focus-only particles ;). in the following, we will give you two auditory examples of Kiezdeutsch. You will see that Kiezdeutsch as a variety consists of very different styles.
Jugendsprache: Mädchen und Jungen ~12 bis 19 Jahre alt
introductory and closing remarks (sometimes involving ritualised insults), such as çüş ‘Play up! / You fool!’ (lit.: ‘Whoa!’, said to stop a donkey; Turkish origin), hadi ‘Come on!’ (Turkish; initially haydi), yallah ‘Go!’ (lit.: “oh, Allah”; Arabic origin), and affirmative particles such as wallah ‘indeed’ / ‘really’ (lit.: “and God”; Arabic origin). “abu” is an exclamation signalling displeasure. The term is derived from Arabic 'abū, ‘father’, used as an abbreviation of a pattern 'abū [NP] for insults, e.g. “'abū l-hmār”, ‘your father is a donkey’, or “'abū l-kalb”, ‘your father is a dog’. Integration lexikalischen Materials aus Herkunftssprachen: Nominale Ausdrücke, die jemanden direkt adressieren Ey, rockst du, lan, Alter. lan (türkisch Typ / Kerl) Moruk moruk guck dir das doch mal an. moruk (türkisch alter Man) Ausdrücke der Bekräftigung Wallah isch kann nich ohne sie.�wallah (arabisch, wörtlich bei Gott) Ausdruck, der Missfallen, Unmut signalisiert Abu, war voll mies. Er wird so gefoult, ja? abu (arabisch Vater), wird als Abkürzung für Muster‘ abū + [NP] im Arabischen, das für Beleidigungen benutzt wird , z.B. “'abū l-hmār”, ‘dein Vater ist ein Esel’, oder “'abū l-kalb”, ‘dein Vater ist ein Hund’
III. grammatische Reduktionen
Bloße Nominalphrasen (Wegfall von Präpositionen und Artikeln)
a) b) c)
Muster der bloßen Nominalphrasen gibt es auch im Standarddeutschen; da sind sie jedoch auf den ÖPNV beschränkt
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
[am]
[einem]
[ein]
Vorführender
Präsentationsnotizen
Artikel und Pronomen entfallen mitunter; vor allem dort, wo der Satz trotzdem verständlich bleibt (siehe z.B. Wiese 2006): � Eine im Standarddeutschen übliche Zusammenziehung von Präposition und Artikel (vor allem in so genannten generischen Kontexten, in denen das Nomen etwas Generelles bezeichnet; siehe z.B. Wiegand 2000; Nübling 1992) wird häufig durch die Präposition allein ersetzt: Zum Beispiel wenn wir in Unterricht sind.�Ich kenn ihn von Fitness. Im Standarddeutschen werden Artikel häufig auf Hinweisschildern (Ausfahrt freihalten!) oder bei Überschriften in Zeitungen (Kunstsammlung eröffnet) weggelassen. Dieser telegrammartige Stil wird dort aus Gründen der Sprachökonomie verwendet und dient der schnelleren Informationsverarbeitung für den Leser (siehe z.B. Dürscheid 2003). In Kiezdeutsch ähneln viele Sätze durch das Weglassen von Artikeln dem Telegrammstil. Der Artikel kann dann aber leicht ergänzt werden. Im gesprochenen Deutsch treten solche Einsparungen dagegen seltener auf, oft werden aber Pronomen stark verkürzt: Wenn sie direkt nach dem finiten Verb stehen, verschmelzen sie mit diesem (so genannte Klitisierung); kannst du wird dann z.B. zu kannste, musst du wird zu musste oder musstu, aus gehen wir wird gehnwa oder gemma, haben wir wird zu hammwa usw. Der Ländername Türkei: Eine Stelle, an der in Kiezdeutsch häufig der Artikel fehlt, ist vor dem Ländernamen Türkei. Hier handelt es sich um eine Übertragung einer allgemeinen Regel des Standarddeutschen (siehe z.B. Thieroff 2000). Die meisten Länder- und Städtenamen im Deutschen stehen tatsächlich ohne Artikel (z.B. Deutschland, England, Frankreich, Berlin usw.). Es gibt jedoch einige Ausnahmen, zu denen auch der Ländername Türkei gehört (die Türkei, die Schweiz, der Iran, der Irak). In Kiezdeutsch wird diese Ausnahme häufig regularisiert, d.h. Türkei wird ohne Artikel benutzt, so wie Deutschland, England etc: Weil ich in Türkei geboren bin.�Ja, viel wohler als in Türkei. [auf die Frage „Fühlst du dich wohl in Berlin?“]�Also ich würde gern in Berlin wohnen als in Türkei. Wie andere Ländernamen ohne Artikel wird Türkei daher in Kiezdeutsch oft auch mit der Präposition nach benutzt (statt in die Türkei), also entsprechend dem standarddeutschen Muster für nach Deutschland: Und danach ist meine Mutter zurück nach Türkei gegangen. Hier führt die Veränderung in Kiezdeutsch somit zu einer systematischeren Behandlung von Ländernamen; Ausnahmen des Standarddeutschen werden in das generelle System eingeordnet.
III. grammatische Reduktionen
Bloße Nominalphrasen (Wegfall von Präpositionen und Artikeln)
Muster der bloßen Nominalphrasen gibt es auch im Standarddeutschen; da sind sie jedoch auf den ÖPNV beschränkt
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
A: Tschuldigung, haben Sie ne Ahnung, wie ich zum Zoologischen Garten komme von hier aus? B: Zoologischen Garten… wow… Steigen Sie (unverständlich) den 123er. A: Ja. B: Oder der TXL… A: Ja. B: fahren bis Turmstraße U-Bahnhof Richtung Rathaus Steglitz, da ist dann äh (-) Zoo. Die erste ist Hansaplatz und danach kommt Zoologischer Garten. A: Klasse, Danke! [ich hab sie grad] B: Ach so, der TXL, der der fährt hier sowieso nicht, ist nur der 123er, der hier fährt. Der TXL fährt nächste Ecke erst. A: Super, danke! B: [oder Sie] müssten jetzt zurücklaufen bis zur Ecke (-) A: Ja. B: Und dann äh… mit=m Bus bis (-) U-Bahnhof Turmstraße
Vorführender
Präsentationsnotizen
Artikel und Pronomen entfallen mitunter; vor allem dort, wo der Satz trotzdem verständlich bleibt (siehe z.B. Wiese 2006): � Eine im Standarddeutschen übliche Zusammenziehung von Präposition und Artikel (vor allem in so genannten generischen Kontexten, in denen das Nomen etwas Generelles bezeichnet; siehe z.B. Wiegand 2000; Nübling 1992) wird häufig durch die Präposition allein ersetzt: Zum Beispiel wenn wir in Unterricht sind.�Ich kenn ihn von Fitness. Im Standarddeutschen werden Artikel häufig auf Hinweisschildern (Ausfahrt freihalten!) oder bei Überschriften in Zeitungen (Kunstsammlung eröffnet) weggelassen. Dieser telegrammartige Stil wird dort aus Gründen der Sprachökonomie verwendet und dient der schnelleren Informationsverarbeitung für den Leser (siehe z.B. Dürscheid 2003). In Kiezdeutsch ähneln viele Sätze durch das Weglassen von Artikeln dem Telegrammstil. Der Artikel kann dann aber leicht ergänzt werden. Im gesprochenen Deutsch treten solche Einsparungen dagegen seltener auf, oft werden aber Pronomen stark verkürzt: Wenn sie direkt nach dem finiten Verb stehen, verschmelzen sie mit diesem (so genannte Klitisierung); kannst du wird dann z.B. zu kannste, musst du wird zu musste oder musstu, aus gehen wir wird gehnwa oder gemma, haben wir wird zu hammwa usw. Der Ländername Türkei: Eine Stelle, an der in Kiezdeutsch häufig der Artikel fehlt, ist vor dem Ländernamen Türkei. Hier handelt es sich um eine Übertragung einer allgemeinen Regel des Standarddeutschen (siehe z.B. Thieroff 2000). Die meisten Länder- und Städtenamen im Deutschen stehen tatsächlich ohne Artikel (z.B. Deutschland, England, Frankreich, Berlin usw.). Es gibt jedoch einige Ausnahmen, zu denen auch der Ländername Türkei gehört (die Türkei, die Schweiz, der Iran, der Irak). In Kiezdeutsch wird diese Ausnahme häufig regularisiert, d.h. Türkei wird ohne Artikel benutzt, so wie Deutschland, England etc: Weil ich in Türkei geboren bin.�Ja, viel wohler als in Türkei. [auf die Frage „Fühlst du dich wohl in Berlin?“]�Also ich würde gern in Berlin wohnen als in Türkei. Wie andere Ländernamen ohne Artikel wird Türkei daher in Kiezdeutsch oft auch mit der Präposition nach benutzt (statt in die Türkei), also entsprechend dem standarddeutschen Muster für nach Deutschland: Und danach ist meine Mutter zurück nach Türkei gegangen. Hier führt die Veränderung in Kiezdeutsch somit zu einer systematischeren Behandlung von Ländernamen; Ausnahmen des Standarddeutschen werden in das generelle System eingeordnet.
IV. Innovation
Wortstellung:
standarddeutsche Entsprechung: „Gestern war ich am Ku‘damm.“
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
IV. Innovation
Wortstellung: Aussagesätze im Standarddeutschen: Verb-zweit-Beschränkung
Vorfeld LSK Mittelfeld RSK Nachfeld Du musst heute zum Arzt
gehen
Zum Arzt musst du heute gehen
Heute musst du zum Arzt gehen
Beschränkungen in der Vorfeldbesetzung im Standarddeutschen: maximal 1 Konstituente vor dem finiten Verb
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
IV. Innovation
Wortstellung: Im Kiezdeutschen: Auflockern der Verb-zweit-Beschränkung
Im Kiezdeutschen sind im Vorfeld bis zu 2 Konstituenten erlaubt. Diese sind immer das Satzadverbial und das Subjekt.
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
Vorfeld LSK Mittelfeld RSK Nachfeld Gestern isch war Ku‘damm.
*Gestern Ku‘damm war isch.
*Isch Ku‘damm war gestern.
IV. Innovation ‚so‘ als Fokusmarker
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
Vorführender
Präsentationsnotizen
so wird im Standarddeutschen zur Kennzeichnung von Unschärfe verwendet, also wenn ein Sprecher nicht genau weiß, ob seine Aussage stimmt, oder signalisieren will, dass sie nur ungefähr zutrifft (siehe zu sog. „Heckenausdrücken“ bzw. Vagheitsindikatoren z.B. Schwitalla 1997; zu Jugendsprache auch Androutsopoulos 1998) In Kiezdeutsch gibt es diese Verwendung auch: Ich bin nicht oft in der Gegend, so vielleicht einmal in der Woche. Im nächsten Beispiel wird so ebenfalls wie im Standarddeutschen verwendet, nämlich in der Verschmelzung von so und einem indefiniten Artikel vor einem Substantiv: Der hat son Lied über Ausländer geschrieben. Diese Verschmelzung findet im gesprochenen Deutschen so regelmäßig statt, dass sprachwissenschaftliche Analysen z.T. von der Entstehung eines neuen Artikels son im Standarddeutschen ausgehen (siehe z.B. Hole & Klumpp 2000). Das Besondere an Kiezdeutsch ist, dass so auch vor Substantiven ohne Artikel auftreten kann, wenn im Standarddeutschen eigentlich ein Artikel stünde: Ich bin mehr so Naturtyp für Natur, Dorf. Kiezdeutsch nutzt hier also ein bereits bestehendes Muster des Standarddeutschen (häufiger Gebrauch von so vor Substantiven mit Artikel) und weitet es aus. Wenn diese Entwicklung weiter geht, könnte so in Kiezdeutsch Artikelfunktionen übernehmen; es könnte sich zu einem Signal: „Jetzt kommt ein Substantiv!“ entwickeln.
IV. Innovation ‚so‘ als Fokusmarker
So als multifunktionale Partikel im Standarddeutschen:
Semantik: - Vergleiche (Sören ist so groß wie sein Bruder.)
- Modale indexikalische Partikel (Ich will so ne Lederjacke kaufen.)
- Intensivierer (Die Rosen sind so schön!)
- quotative marker (Und ich so: „Was willst du von mir?“)
- Vagheitspartikel (Sören ist so 2 Meter groß.)
Syntax: kann vor verschiedenen Wortgruppentypen stehen.
Prosodie: so kann betont (Vergleich, Intensivierer) oder unbetont(quotation marker, Vagheit) sein
so wird im Standarddeutschen zur Kennzeichnung von Unschärfe verwendet, also wenn ein Sprecher nicht genau weiß, ob seine Aussage stimmt, oder signalisieren will, dass sie nur ungefähr zutrifft (siehe zu sog. „Heckenausdrücken“ bzw. Vagheitsindikatoren z.B. Schwitalla 1997; zu Jugendsprache auch Androutsopoulos 1998) In Kiezdeutsch gibt es diese Verwendung auch: Ich bin nicht oft in der Gegend, so vielleicht einmal in der Woche. Im nächsten Beispiel wird so ebenfalls wie im Standarddeutschen verwendet, nämlich in der Verschmelzung von so und einem indefiniten Artikel vor einem Substantiv: Der hat son Lied über Ausländer geschrieben. Diese Verschmelzung findet im gesprochenen Deutschen so regelmäßig statt, dass sprachwissenschaftliche Analysen z.T. von der Entstehung eines neuen Artikels son im Standarddeutschen ausgehen (siehe z.B. Hole & Klumpp 2000). Das Besondere an Kiezdeutsch ist, dass so auch vor Substantiven ohne Artikel auftreten kann, wenn im Standarddeutschen eigentlich ein Artikel stünde: Ich bin mehr so Naturtyp für Natur, Dorf. Kiezdeutsch nutzt hier also ein bereits bestehendes Muster des Standarddeutschen (häufiger Gebrauch von so vor Substantiven mit Artikel) und weitet es aus. Wenn diese Entwicklung weiter geht, könnte so in Kiezdeutsch Artikelfunktionen übernehmen; es könnte sich zu einem Signal: „Jetzt kommt ein Substantiv!“ entwickeln.
IV. Innovation ‚so‘ als Fokusmarker
Fokus von lat. focus ‘Brennpunkt’, ‘Herd’, Zentrum einer Aussage, Teil des Satzes mit dem höchsten Mitteilungswert Standarddeutsch: Fokus durch Intonation und Wortstellung markiert
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
- so verbindet sich mit der Konstituente, die den Satzakzent trägt (=Fokuskonstituente) - fügt dem Satz keine Semantik hinzu (gebleicht), sondern markiert ausschließlich den
Fokus
Vorführender
Präsentationsnotizen
so wird im Standarddeutschen zur Kennzeichnung von Unschärfe verwendet, also wenn ein Sprecher nicht genau weiß, ob seine Aussage stimmt, oder signalisieren will, dass sie nur ungefähr zutrifft (siehe zu sog. „Heckenausdrücken“ bzw. Vagheitsindikatoren z.B. Schwitalla 1997; zu Jugendsprache auch Androutsopoulos 1998) In Kiezdeutsch gibt es diese Verwendung auch: Ich bin nicht oft in der Gegend, so vielleicht einmal in der Woche. Im nächsten Beispiel wird so ebenfalls wie im Standarddeutschen verwendet, nämlich in der Verschmelzung von so und einem indefiniten Artikel vor einem Substantiv: Der hat son Lied über Ausländer geschrieben. Diese Verschmelzung findet im gesprochenen Deutschen so regelmäßig statt, dass sprachwissenschaftliche Analysen z.T. von der Entstehung eines neuen Artikels son im Standarddeutschen ausgehen (siehe z.B. Hole & Klumpp 2000). Das Besondere an Kiezdeutsch ist, dass so auch vor Substantiven ohne Artikel auftreten kann, wenn im Standarddeutschen eigentlich ein Artikel stünde: Ich bin mehr so Naturtyp für Natur, Dorf. Kiezdeutsch nutzt hier also ein bereits bestehendes Muster des Standarddeutschen (häufiger Gebrauch von so vor Substantiven mit Artikel) und weitet es aus. Wenn diese Entwicklung weiter geht, könnte so in Kiezdeutsch Artikelfunktionen übernehmen; es könnte sich zu einem Signal: „Jetzt kommt ein Substantiv!“ entwickeln.
IV. Innovation Funktionsverbgefüge
Funktionsverb
- kaum noch sem. Bedeutung - trägt gramm. Informationen, um das Prädikat satzfähig zu
machen
+
Nominale Teile
- tragen die eigentliche Bedeutung
(das Stück) zur Aufführung bringen (sie) zur Rede stellen
Das Standarddeutsche verfügt über ein begrenztes Repertoire an FVG und kann keine neuen mehr bilden → unproduktiv
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
Vorführender
Präsentationsnotizen
Funktionsverben - können in bestimmter Satzverwendung das Prädikat nicht alleine ausdrücken - bilden zusammen mit nominalem Bestandteil Funktionsverbgefüge i.d.R. Substantiv im Akk oder Präpositionalgruppe) = semantische Einheit = Prädikat - FV kann nicht ohne Nominalteil auftreten (dieser wird als lexikalischer Prädikatsteil aufgefasst) - FVG gleicht in seiner Bedeutung einem Vollverb - innerhalb der FVG haben FV vorwiegend grammatische, kaum noch semantische Bedeutung (ähnl. Hilfsverben) - eigentlich Bedeutung auf Prädikatsteile verlagert Sie bringt das Kind ins Bett. (Vollverb, Ortveränderung) Sie bringen das Stück zur Aufführung. (FV, keine Ortsveränderung)
IV. Innovation Funktionsverbgefüge a) Machst du rote Ampel. (kiezdeutsch.de)
b) Sie macht Jackpot gerade. (Wittenberg & Paul 2009)
c) Wir sind jetzt anderes Thema.
(kiezdeutsch.de)
Kiezdeutsch nutzt das Muster aus dem Standarddeutschen und kann durch
seine schwächeren Restriktionen neue FVG bilden → produktiv
Welche sprachlichen Merkmale hat Kiezdeutsch?
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Themen des Vortrags
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Kiezdeutsch: Fakten und Merkmale aus
wissenschaftlicher Perspektive
- Wer spricht Kiezdeutsch? - Wo wird es gesprochen? - Wie klingt Kiezdeutsch? - Wie lässt es sich in das
Sprachsystem einordnen?
Kiezdeutsch: Kritik und Wahrnehmung aus gesellschaftlicher Perspektive
- Wie reagiert die Gesellschaft
auf Kiezdeutsch? - Wie wird Kiezdeutsch in den
Medien dargestellt? - Können die Jugendlichen
wirklich kein Deutsch?
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Wahrnehmung von Kiezdeutsch
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Kiezdeutsch – zur Zeit im Mittelpunkt kontroverser Diskussionen im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs KD - oft Objekt massiver Sprachkritik: Mythos 1: gebrochenes, fehlerhaftes Deutsch Mythos 2: Zeichen der mangelnden Sprachkompetenz (im Deutschen) Mythos 3: die einzige Ausdruckmöglichkeit der KD-Sprecher
Vorführender
Präsentationsnotizen
Hier der Übergang von K.: „Wie gerade gesehen haben, stellt Kiezdeutsch sprachwissenschaftlich gesehen ein komplexes, regelhaftes sprachliches Phänomen dar, welches ein komplexes System eigener sprachlichen Merkmale auf allen sprachlichen Ebenen besitzt. Wie bereit gezeigt wurde, unterliegen diese Merkmale konkreten Gebrauchsregeln und erfüllen bestimmte Funktionen, die Ihre Verwendung im Rahmen dieses Sprachgebrauchs „rechtfertigen“ / begründen. Nichtdestotrotz wird Kiezdeutsch der Status einer regelhaften Sprachvarietät neben solchen Dialekten wie Berlinerisch oder Bayerisch in der breiten Öffentlichkeit entschieden abgestritten. Stattdessen herrscht in der mittlerweile hitzigen, meist politisch und emotional äußerst beladenen Diskussion rund um diesen Sprachgebrauch ein weitverbreiteter Mythos von dem „gebrochenen Deutsch integrationsunwilliger Migrantenjugendlichen“. Kiezdeutsch wird dabei als Zeichen der mangelnden Sprachkenntnisse und damit die einzige Ausdrucksmöglichkeit seiner Sprecher angesehen, die Kiezdeutsch reden, weil sie kein „ordentliches Deutsch“ können. Diese hartnäckige Vorstellungen, die in erster Linie die Medien präsentieren und verbreiten, wird auch in wissenschaftlichen Kreisen exemplarisch vertreten und spiegelt sich letztendlich in der allgemeinen gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Kiezdeutsch und seinen Sprechern wider. Dies möchte ich nun anhand einzelner Beispiele veranschaulichen.
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„Kiezdeutsch ist eine gequetschte jugendliche Sprechweise, […] in der Angeberei eine große Rolle spielt […] es ist weder ein Dialekt noch ein Soziolekt, sondern eine transitorische Sondersprache, die auf Einflüssen anderer Sprachen und auf Fehlern im Deutschen beruht. […] Es ist kein Fall für die Dialektologie, sondern für die Sprachpsychologie und die Fehleranalyse. […] (H.Glück, in: FAZ vom 04.2012)
Sprachwissenschaft / Sprachdidaktik:
Wahrnehmung von Kiezdeutsch
Schlechtes, abgehacktes Deutsch ist weder Jugendsprache noch Dialekt der Berliner Kieze. […] Sie erklären das Kauderwelsch und gestammelte Deutsch der Schulabgänger ohne Schulabschluss und der Jugendlichen mit großen Mängeln im Gebrauch der deutschen Sprache zu einer Zielsprache […] Uns Deutschlehrern können Sie das abnehmen: mangelnde Sprachkompetenz ist die Ursache für schlechtes Deutsch.“ (KiDKo_E: Brief 30/01/2012)
Mythos 1: gebrochenes, fehlerhaftes Deutsch Mythos 2: Zeichen der mangelnden Sprachkompetenz im Deutschen Mythos 3: die einzige Ausdruckmöglichkeit der KD-Sprecher
Vorführender
Präsentationsnotizen
Bevor wir uns mit der medialen Darstellung und den privaten Einstellungen gegenüber Kiezdeutsch befassen, sollte ein Blick auf die Fachkreise geworfen werden, in denen insbesondere in den letzten Jahren eine kontroverse Diskussion rund um den Sprachgebrauch „Kiezdeutsch“ läuft und sehr unterschiedliche Ansichten vertreten werden. So lassen anhand folgendes Zitats von Helmut Glück (eines Germanisten an der Uni Bamberg) alle drei bereits erwähnte Vorurteile gegenüber Kiezdeutsch veranschaulichen: Glück definiert Kiezdeutsch als *Mythos 1 + entsprechenden Zitatteil leuchten lassen* “weder ein Dialekt noch ein Soziolekt, sondern eine transitorische Sondersprache, die auf Einflüssen anderer Sprachen und auf Fehlern im Deutschen beruht“. In den Abweichung von der Standardspreche, die Kiezdeutsch aufweist, sieht er nichts anderes als Fälle der falschen Verwendung des Standarddeutschen *Mythos 2 + entsprechenden Zitatteil leuchten lassen* unter den eindeutigen Einflüssen des Türkischen und Arabischen. Kiezdeutsch wird dabei als eine Art „Lernersprache“ verstanden, die *Mythos 3 + entsprechenden Zitatteil leuchten lassen* von von Leuten aus anderen Sprachen gesprochen wird, die bestimmte Konstruktionen von KD immer verwenden, da sie kein „richtiges“ Kiezdeutrsch können. Darauf komme ich später nochmal zurück.
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Zur Wahrnehmung von Kiezdeutsch
Medien: Beispiel: Kiez-Deutsch: „Hast du Handy bei?“ (SAT-1 Frühstücksfernsehen) „Das ist Kiezdeutsch: junge Erwachsene werfen nur mit Satzteilen um sich
herum, vollständige Sätze bleiben auf der Strecke. […]
Mythos 1: gebrochenes, fehlerhaftes Deutsch Mythos 2: Zeichen der mangelnden Sprachkompetenz im Deutschen Mythos 3: die einzige Ausdruckmöglichkeit der KD-Sprecher
Arbeitsgebern ist das ein Dorn im Auge. Wer nicht vernünftig mit Kunden sprechen kann, der hat bei mir keine Chance“
Im Hintergrund also ja, im Kundengespräch nein. Die jungen Erwachsenen bleiben dagegen immer bei ihrem neuen Dialekt.“
Vorführender
Präsentationsnotizen
Text (MP)
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Nicht nur die Sprache wird verhunzt. Die Möglichkeit sich differenziert oder detailliert zu äußern ist diesen Mitmenschen leider nicht möglich. Wer hochdeutsch kann, der spräche nicht mehr so. Dieses Kiezdeutsch ist doch ein Garant für Minderbemitteltheit. (KiDKo_E, Spiegel Online 29/03/2012)
Kiezsprache? Nein! So klingen Russlanddeutsche und Türken, die kein Deutsch können. Wenn das zunimmt, dann nimmt eher die Zahl derer zu, die kein Deutsch können und aus diesem ethnischen Umfeld kommen. (KiDKo_E, Bild.de, 16.02.2012)
„Kauderwelsch" fällt mir bei so was eher ein. Vor allem, wenn sie dieses verkümmerte Idioten-Deutsch noch mit Versatzstücken der eigenen Sprache vermengen. Eine verbale Katastrophe. (KiDKo_E, DeutschlandEcho, 29/01/2012)
Öffentlichkeit: private Einstellungen
Wahrnehmung von Kiezdeutsch
Mythos 1: gebrochenes, fehlerhaftes Deutsch Mythos 2: Zeichen der mangelnden Sprachkompetenz im Deutschen Mythos 3: die einzige Ausdruckmöglichkeit der KD-Sprecher
Vorführender
Präsentationsnotizen
text (MP)
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Zur Wahrnehmung von Kiezdeutsch
Auf der Suche nach dem WARUM: Gründe für Diskrepanz von Kiezdeutsch
Womit ich „Kiezdeutsch“ assoziiere: ungebildete, primitive männliche Jugendliche . Gewaltbereitschaft, Aggressivität, Pöbelei . Düstere, grimmige Visagen. […] Hass auf die Gebildeten und auf diejenigen, die sich durch eigene Arbeit einen gewissen Wohlstand geschaffen haben. […] (KiDKo_E, Fokus Online 12/02/2012)
Multiethno- Konzept „Migrationshintergrund“
Negative Assoziationen
Projektion auf Sprachgebrauch
(nach: Wiese 2012)
Abwertung Sprecher
Abwertung Sprache
KIEZDEUTSCH
„ABWEHRSPIERALE“
Vorführender
Präsentationsnotizen
Die Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ für dieses äußerst niedrige soziale Prestige von Kiezdeutsch liegt in seinem besonderen Status als jugendsprachlicher Multiethnolekt. Dadurch „erntete“ Kiezdeutsch gleich mehrfach öffentliche Kritik, die auf drei unterschiedliche Aspekte dieses Sprachgebrauchs konzentriert. Zunächst sorgte der „Multiethno“-Status für negative Bewertung von Kiezdeutsch: es hat sich in den multiethnischen Wohngebieten unter den Bedingungen der mehrsprachigen Interaktion entwickelt und wird daher in erster Linie von den Sprecher/-inne/n aus diesen sozial schwachen Wohngebieten im Rahmen der In-Group-Kommunikation verwendet. Auch wenn Kiezdeutsch gleichermaßen von Jugendlichen deutscher als auch nicht-deutscher Herkunft gebraucht wird (worauf ich nochmals später eingehen werde), steht es in enger Verbindung zum Konzept „Migrationshintergrund“, welches sich in der öffentlichen Wahrnehmung auf alle Kiezdeutsch-Sprecher/-innen bezieht. Da das Konzept „Migrationshintergrund“ vor allem mit den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen assoziiert wird und damit leider als Symbol für soziale Schwäche, Armut und niedriges Bildungsniveau steht, sorgt diese Verbindung für die äußerst negative Wahrnehmung der Varietät. Dies sorgt wiederum für eine öffentliche Abwertung der Sprecher/-innen von Kiezdeutsch. Beispiel Das negative Sprecher/-innen - Bild trägt dabei weiterhin zur öffentlichen Abwertung von Kiezdeutsch bei, Wiese (2012) spricht hier von: [einer] Abwärtsspirale, bei der ein niedriges Sozialprestige bestimmter Bevölkerungsgruppen eine negative Bewertung ihres Sprachgebrauchs bewirkt und diese wiederum eine negative Bewertung der Sprecher/innen nach sich zieht, was zu einer negativen Bewertung des Sprachgebrauchs führt usw. usf. (Wiese 2012:169).
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Jugend- sprache
Auf der Suche nach dem WARUM:
Gründe für Diskrepanz von Kiezdeutsch
(Dia) -lekt Abweichungen von der Standardsprache
Verstoß gegen „monolingualen Habitus“ *
Bedrohung der „Reinheit der Sprache“
Unterschied zu anderen Dialekten: keine historische Verwurzelung + v.a. soziale Definierung weitere Abwertung durch niedriges soziales Prestige der „Bezugsregion“ (vgl. „Multiethno-“)
* Gogolin 1994:63
„Abgrenzungsfunktion“ „Stein des Anstoßes“ in der Kommunikation zwischen Generationen
Projektion der Vorurteile gegenüber JS auf KD
Wahrnehmung von Kiezdeutsch
Vorführender
Präsentationsnotizen
In Bezug auf sprachliche Eigenschaften stellt Kiezdeutsch eine von dem Standarddeutschen systematisch abweichende Varietät dar („-lekt“), die mit anderen Dialekten des Deutschen gleichzusetzen ist. Und das ist ein weiterer „Stein des Anstoßes“ in der öffentlichen Wahrnehmung von Kiezdeutsch. Auf der einen Seite verletzt die Existenz einer weiteren Sprachvarietät neben der allgemeingeltenden Standardsprache den sogenannten monolingualen Habitus :ein Überbleibsel aus den Zeiten der Staatsgründung, welches in der Grundüberzeugung besteht, ein Land, ein Staat und letztendlich ein Individuum sei normalerweise einsprachig. Dabei dient die „auserwählte“ Sprache als Symbol der Einheit einer Sprechergemeinschaft, als „verbindendes Element“ und damit Mittel der Selbstidentifikation als Gesellschaftsmitglied. Kein Wunder, dass ein Verstoß gegen diese Vorstellung oft als Angriff auf persönlicher Ebene wahrgenommen wird. Eine weitere Vorstellung, die mit dem „monolingualen Habitus“ unmittelbar verbunden ist, ist die Vorstellung von der „Reinheit der Sprache“: etliche Abweichungen von der existierenden Norm werden als „Fehler“ postuliert und als Bedrohung der Standardsprache angesehen. Auch dies trifft Kiezdeutsch, welches, wie Kathleen bereits erläutert hat, abweichende Merkmale auf allen sprachlichen Ebenen aufweist. Dazu kommt, dass Kiezdeutsch, im Vergleich zu den traditionellen Dialekten, nicht als sprachliches Symbol einer bestimmten Region fungiert und damit als „Ausdruck“ des lokalen Patriotismus zumindest das Wohlwollen einer bestimmten Sprechergemeinschaft gewinnt (wie es z.B. bei dem Bayerischen in Bayern oder Berlinerisch im Berlin der Fall wäre), sondern sich auf eine multiethnische Sprechergemeinschaft, einschließlich Sprecher/-innen mit Migrationshintergrund, in unterschiedlichen Städten Deutschland bezieht, was, wie bereits erläutert, eine noch negativere Wahrnehmung als bei anderen Dialekten bedingt. Jugendsprache. Wie oben bereits dargestellt wurde, fungiert Kiezdeutsch als ein gruppeninternes Kommunikationsmittel v.a. für junge Sprecher/-innen, deren Alter im Schnitt zwischen 14 und 20 Jahren liegt. Der jugendsprachliche Status bedingt weitere Negativurteile über Kiezdeutsch: die negative Einstellung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Jugendsprachen ist ein allgemeinbekanntes Phänomen, welches in erster Linie auf die Hauptfunktion der Jugendsprache zurückzuführen ist: die Abgrenzung von der „Welt der Erwachsenen“, Abstand zu den vorherigen Generationen, die dieses gruppeninternen Kommunikationscodes nicht mächtig sind. Die Vorurteile gegenüber der Sprache der Jugend gibt es damit seit die Jugendsprache überhaupt existiert – geschätzt seit Mitte des 19. Jhts. Dabei unterscheiden sie sich die Vorwürfe nur wenig von Generation zu Generation: Wissenschaftler, Lehrer, Politiker, Journalisten und letztendlich die „Zeitungsleser“ weisen immer wieder auf niedrige Chancen hinsichtlich der beruflichen Zukunft, schulische Misserfolge und mangelndes Bildungsniveau der Kiezdeutsch-Sprecher/-innen hin, sprechen von „Integrationsverweigerung“, die hier an Stelle der „Dialogverweigerung“ zwischen den Generationen im Fall der anderen Jugendpsprache tritt und beklagen sich natürlich über den vermeintlichen „Bedeutungsverlust des Deutschen als Kultur- und Wissenschaftssprache“. Das sind nach wie vor die Hauptkritikpunkte in Bezug auf Jugendsprache, ganz egal ob es um die multiethnische Sprache des 21. Jahrhunderts oder das „Halbstarken-Chinesisch“ der 50er Jahren geht.
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ich gehe Schule
Betroffene Jugendliche sind […] nicht mehr in der Lage, zwischen Standarddeutsch und ihrer Kiezsprache zu unterscheiden. Ihnen ist nicht mehr klar, dass es in einem Vorstellungsgespräch anders zugehen muss als im Gespräch untereinander. (Dittmar 2007, in: Trojanowski 2008).
„Kiezdeutsch im Sprachrepertoire“: Studie zur selektiven Verwendung von Kiezdeutsch-Phänomenen in unterschiedlichen Situationen (Universität Potsdam, Pohle, 2012)
Danach
Kritikpunkt: grammatische Innnovationen
Ort: Schule im multiethnischen Bezirk Berlins (Neukölln)
ProbandInnen: 40 Jugendliche mit unterschiedlichem
ethnischen und sprachlichen Hintergrund (14 bis 20 J.alt)
Aufgabenstellung : Beschreibung eines (fiktiven)
Unfalls aus der Zeugenperspektive in vier Situationen:
S., weiblich, Türkisch-Deutsch, 18 Jahre alt SMS Eyyyy weisst du was hier grad passiert ist!! Hermannplatz ist ein Auto gegen eine Frau gefahren hahah tam fail kadin einfach sokakta yatiiyo krass dimi :D Polizeibericht: Eine Frau, die am 27.02.2013 zwischen 14.00 und 15.00 mit ihrem Fahrrad unterwegs war, wurde am Hermannplatz von einem Auto angefahren.
Gespräch mit der Freundin hey (fremdsprachlich) ich bin grad HERmannplatz ich komm n bisschen SPÄter JA ein ein auto hat einfach so =ne FRAU überfahren mit fahrrad […]
Gespräch mit der Polizei: ich habe heute ein UNfall (-) beobachten können ich stand an der kreuzung am HERmannplatz da ist eine frau die mit dem FAHRrad unterwegs war (-)
Kiezdeutsch im Sprachrepertoire
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Hermannplatz ist ein Auto gegen eine Frau gefahren
Eine Frau […] wurde am Hermannplatz von einem Auto angefahren
ich bin grad HERmannplatz
ich stand an der kreuzung am HERmannplatz
Gespräch mit einem Freund
Gespräch mit der Polizei
SMS an den Freund
Polizeibericht
ich war mit mxxx und txxx hier Kudamm
meine freunde und ich waren am Kudamm
Hermannplatz ist ein Auto gegen eine Frau gefahren
Der Unfall war an der Ecke Hermannstraße/Karl-Marx Straße […]
A., weiblich, Bosnisch-Deutsch, 15 Jahre alt
S., weiblich, Türkisch-Deutsch, 18 Jahre alt
D., monolingual Deutsch, 18 Jahre alt
Kiezdeutsch im Sprachrepertoire
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Auf einmal eine frau mit telefon wird angefahren
Anschließend stieg die Frau aus ihrem Wagen […]
auf einmal ich GUCK (-) äh da ist so eine frau mit dem FAHRrad
[…] dann lag sie halt auf dem Boden
Dann die Fahrradfahrerin ist zu ihr gekommen
Dann ging ich fort
Dann ich bin so weiter gegangen
Dann bin ich einfach weiter fortgegangen
K., männlich, Türkisch-Deutsch, 20 Jahre alt
Y., männlich, Türkisch-Deutsch, 16 Jahre alt
Kiezdeutsch im Sprachrepertoire
Verwendung der Standard- vs. Non-Standard-Varianten
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IM: informell mündlich (Gespräch Freund)
IS: informell schriftlich (SMS)
FM: formell mündlich (Gespräch Polizei)
FS: formell schriftlich (Polizeibericht)
Hermannplatz ist ein Auto gegen eine Frau gefahren sie liegt grad todes auf boden ich war mit mxxx und txxx hier Kudamm Ja ich gehe jetzt (-) poliZEi Ich stand an Ampel Abou grad einfach hermannplatz eine Frau wurde angefahren
Verwendung unabhängig vom ethnischen und sprachlichen Hintergrund der Sprecher
dann ich wollte so über AMpel gehen […] auf einmal diese frau kommt RAUS grad ich laufe mitten auf der STRAße (-) dann ich hör so ein schrei von einer frau auf einmal ich guck EINfach (-) da läuft ne FRAu […] grad einfach hermannplatz eine Frau wurde angefahren xD
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Distribution of standard vs. nonstandard usages
0
20
40
60
80
100
IM IS FM FS
STANDARD
KIEZDEUTCH
Verwendung der Standard- vs. Non-Standard-Varianten
IM: informell mündlich (Gespräch Freund)
IS: informell schriftlich (SMS)
FM: formell mündlich (Gespräch Polizei)
FS: formell schriftlich (Polizeibericht)
Kiezdeutsch im Sprachrepertoire
Verwendung unabhängig vom ethnischen und sprachlichen Hintergrund der Sprecher
Verwendung beider KD-Phänomene in unterschiedlichen Situationen
Verwendung von KD-Merkmalen nur in der informellen Peer-Group-Kommunikation Dabei: Verwendung nicht statt, sondern neben standardsprachlichen Konstruktionen Formelle Kommunikation: Verwendung von fast ausschließlich Standardsprache Verwendung der Kiezdeutsch-Formulierungen unabhängig von bestimmter Herkunft
KD - die einzige Ausdrucksmöglichkeit der Jugendlichen, sondern nur ein Teil ihres Sprachrepertoires, den sie neben standardnäheren Varianten situationsspezifisch verwenden
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Zusammenfassung
„Betroffene Jugendliche sind nicht mehr in der Lage, zwischen Standarddeutsch und ihrer Kiezsprache zu unterscheiden.“
Vorführender
Präsentationsnotizen
Diskurse Nach Foucault: - Reflexion in Medien/Lit,... lassen Reflexionen zu Diskursen zu - durch Interpretation/Analyse kann Transparenz erreicht werden - Austritt aus dem Diskurs nur virtuell möglich (durch Konsum von Medien/Lit) → Bleibt man Teil des Diskurses & identifiziert sich damit oder verlässt man den Diskurs & gewinnt eine Draufsicht, die einem kritische & analytische Auseinandersetzung ermöglicht? Bezogen auf die Kiezdeutsch-Debatten und die Vorurteile aus jeglicher gesellschaftlicher Richtung: - man sollte den Diskurs in den Medien nicht einfach rezipieren, sondern reflektieren → das fiktionale „Außen“ einnehmen, um den Diskurs kritisch betrachten zu können - bestenfalls werden dadurch Ängste & Vorurteile abgebaut
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„Was man zu verstehen gelernt
hat, fürchtet man nicht mehr.“
Marie Curie
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
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Quellen Dittmar, Norbert (2007) in: Trojanowski, Sven: Red isch Deutsch oda was, Fokus Online (lezter Zugriff: 13.01.20134) Freywald, Ulrike / Mayr, Katharina / Özçelik, Tiner / Wiese, Heike (2011): Kiezdeutsch as a multiethnolect, in: Friederike Kern / Margret Selting (2011) (Hrsg.): Ethnic Styles of Speaking in European Metropolitan Areas. Amsterdam: Benjamins, S.45-73 Glück, Helmut: Sachtemang mit dit Kiezdeutsche, in: FAZ vom 04.04.2012 Gogolin, Ingrid (1994): Das Leitbild öffentlicher Einsprachigkeit: ‘common sense’ in der bundesdeutschen Einwanderungsgesellschaft, in: Gogolin, Ingrid (1994) (Hrsg.): Das Leitbild öffentlicher Einsprachigkeit: ‘common sense’ Das nationale Selbstverständnis der Bildung. Münster / New York: Waxmann, S. 59-80 Golato, Andrea (2000): An innovative German quotative for reporting on embodied actions: Und ich so/und er so 'and I'm like/and he's like ‘. In: Journal of Pragmatics 32 (2000) 29-54 Hole, Daniel /Klumpp, Gerson (2000): ‘Definite type and indefinite token: the article son in colloquial German’. Linguistische Berichte 182, S. 231-244. Pohle, Maria (2013): Registerdifferenzierung bei Kreuzberger Jugendlichen. Masterarbeit, Institut für Germanistik der Universität Potsdam (unveröffentlicht) Thurmair, Maria (2001): Vergleiche und Vergleichen. Eine Studie zu Form und Funktion der Vergleichsstrukturen im Deutschen. Tübingen: Niemeyer. Weinrich, Harald (2003): Textgrammatik der deutschen Sprache. Hildesheim [u.a.]: Olms. Wiese, Heike; Freywald, Ulrike; Schalowski, Sören, & Mayr, Katharina (2012). Das KiezDeutsch-Korpus. Spontansprachliche Daten Jugendlicher aus urbanen Wohngebieten. Deutsche Sprache 2. Wiese, Heike (2012): Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht. München: Beck Wiese, Heike / Rehbein, Ines / Bunk, Oliver, / Pohle, Maria (2013): KiDKo/E - Ein Korpus aus Emails und Leserkommentaren in der öffentlichen Debatte zu Kiezdeutsch ("Einstellungen"-Ergänzung zum KiezDeutsch-Korpus, KiDKo), abholbar unter: http://www.kiezdeutschkorpus.de/corpus3.html