SPRACHENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN & LESE- UND RECHTSCHREIB- SCHWIERIGKEITEN
Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben erkennen ... · Spezifische Schwierigkeiten im...
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Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben
erkennen und unterstützen
Dr. Ute Fischer
Pädagogische Hochschule Weingarten
Pädagogishe Hochschule
Weingarten
Arbeitsstelle für
Lernschwierigkeiten
im
Schriftspracherwerb
20.11.2014
Überblick:
Was weiß man über die Probleme des Lesens- und Schreibenkönnens bei deutschen Schüler(innen)?
Was funktioniert das Lesen und Schreiben?
Wie erwerben Kinder das Lesens und Scheiben?
Welche spezifischen Schwierigkeiten haben schwache Leser(innen) und Schreiber(innen) ?
Welche Methoden, Medien und Materialien kann man einsetzen, um den individuellen Erwerb des Lesens und Schreibens zu unterstützen?
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Ute Fischer
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Was weiß man über die Probleme des
Lesens- und Schreibenkönnens bei
deutschen Schüler(innen)?
20.11.2014 Ute Fischer
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20.11.2014 Ute Fischer
Die Ergebnisse der großen Schulleistungsstudien, wie IGLU, der
IQB-Ländervergleich oder PISA zeigen, dass ein erheblicher Anteil
der Schüler(innen) Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben
aufweist.
Insgesamt gehören in Deutschland etwa 13-15 Prozent der
Schüler(innen) in der vierten Klasse zur Gruppe der Kinder mit
Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben.
Im Lesen haben laut IGLU 2011 15,4% aller 4. Klässler Probleme
Im Rechtschreiben, so zeigt der IQB-Ländervergleich (2011) kommen 36% nicht auf das Niveau der Regelstandards, die als Durchschnittsniveau gelten.
Die Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben setzen sich bis ins Erwachsenenalter fort. 14,5% der Erwachsenen können keine zusammenhängenden Texte lesen oder schreiben (vgl. leo.Studie 2011, PIAAC Studie, 2013).
Die Schwierigkeiten, haben in den meisten Fällen ihren Anfang am Beginn des Schriftspracherwerbs, also in der ersten Klasse.
Problembeschreibung
Folie 4
4
20.11.2014 Ute Fischer
Ergebnisse der Wiener Längsschnittunter-
suchung (1993)
Entwicklung der Lesegeschwindigkeit von der 2. bis zur 8. Klasse
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
2. Klasse
(Jänner)
2. Klasse
(Juni)
3. Klasse 4. Klasse 8. Klasse
Wö
rter
pro
Min
ute
sehr schwache schwache unterdurchschnittl.
durchschnittl. gute
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Was funktioniert das Lesen und Schreiben?
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Zwei Wege des Lesens und Schreibens
Indirekte Weg des Lesens
Indirekte Weg des Schreibens
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Parallele Verarbeitungsprozesse auf
mehreren Ebenen
Verarbeitungseinheiten Ebene
schreiben Wort
schreib en Morpheme
schrei /ʃraj/ ben /bən/ Silben
sch
/ʃ/
r
/r/
ei
/aj/
b
/b/
e
/ə/
n
/n/
Grapheme
/Phoneme
s c h r e i b e n Buchstaben
c ) | _ ~ ‚ ~ \ < graphische
Merkmale
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Wie erwerben Kinder das Lesen und Scheiben?
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Der Einfluss von basalen Fähigkeiten
20.11.2014 Ute Fischer
20.11.2014 Ute Fischer
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Schriftspracherwerbsmodell von U. Frith (1986)
1a logographisch L1 (symbolisch)
1b logographisch L2 L2 logographisch
2a logographemisch L3 A1 alphabetisch
2b alphabetisch A2 A2 alphabetisch
3a orthographisch O1 A3 alphabetisch
3b orthographisch O2 O2 orthographisch
Lesen Schreiben
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Zusammenhang zwischen Lese- und
Rechtschreiberwerb in der Grundschule
Abb. aus: Klicpera u. a. (2006): Die mittelfristige Entwicklung von Kindern mit Teilleistungsschwierigkeiten am Beispiel der Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Vortrag beim 45. Kongress der Gesellschaft für Psychologie. Nürnberg.
Rechtschreibe
n
Rechtschreibe
n
Rechtschreibe
n
Lesesicherhei
t
Lesesicherhei
t
Lesesicherhei
t
Lese-
geschwindigke
it
Lese-
geschwindigke
it
Lese-
geschwindigke
it
Intelligenz
.21
.23 .65
.80
.18
.72 .42
.64
.42 .27 .63 .22
.28
.27
.16
.34
.24
.22
Ende 2. Klasse Ende 4. Klasse Ende 1. Klasse
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20.11.2014
Welche spezifischen Schwierigkeiten haben schwache Leser(innen) und Schreiber(innen) ?
Ute Fischer
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Spezifische Schwierigkeiten im Lesen
Die Schwierigkeiten machen sich in den verschiedenen
Teilfertigkeiten des Lesens bemerkbar.
Untersuchungen zeigen (vgl. Fischer 2012, Klicpera &
Gasteiger Klicpera 1993), dass sich das Lesen der
schwachen Kinder von Kindern, die problemlos lesen
lernen, durch drei Merkmale unterscheidet:
spezifische Lesefehler
Lesegeschwindigkeit
Art und Weise ihres Lesens
, 20.11.2014 Ute Fischer
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Lesefehler und Lesegeschwindigkeit
Mangelnde Buchstabenkenntnisse führen zur Unsicherheit in
der Zuordnung von Buchstaben zu Lauten.
Schwierigkeiten in der phonologischen Rekodierung ,was
dazu führt, dass die Kinder ein Dehnlesen nicht praktizieren
und Wörter häufig raten.
Schwierigkeiten im Zusammenlauten, sodass die Kinder
silbische Strukturen zum Erlesen nicht nutzen können .
Schwierigkeiten im lexikalischen Lesen , die dadurch
entstehen, dass Wörter nicht sicher im mentalen Lexikon
gespeichert sind. Das zeigt sich in einer hohen Fehlerzahl.
Im Vergleich zu ihren Klassenkameraden haben die Kinder
bei bekannten, unbekannten Wörtern und Pseudowörtern ein
erheblich langsameres Lesetempo.
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+ Spezifische Schwierigkeiten im
(Recht-)Schreiben
Schreibmotorische Schwierigkeiten führen zu einer mangelnden
Beherrschung von Buchstabenschemata, was zu einer
ungenügenden Einprägung führt.
Schwierigkeiten den Wortklang wahrzunehmen und zu erkennen,
dass Wörter aus einzelnen lautlichen Elementen aufgebaut sind,
die schriftlichen Elementen entsprechen. Das zeigt sich in
Fehlern beim Verschriften von Wörtern mit einfacher PGK.
Schwierigkeiten beim Erfassen der komplexeren PGK (Länge
und Kürze von Vokalen, Konsonantencluster).
Geringer Gedächtniseintrag im orthographischen Lexikon führt
zu einem geringen Sichtwortschatz. Häufige Wörter, die von einer
einfachen GPK abweichen, können nicht geschrieben werden.
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Welche Methoden, Medien und Materialien kann man einsetzen, um den individuellen Erwerb des Lesens und Schreibens zu unterstützen?
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Diagnostik
Aus dem bisher Gesagten kann man für die Diagnostik folgende
Schlussfolgerung ziehen:
Überprüft werden sollten Buchstabenkenntnisse und die
Fähigkeit, diese mit den entsprechenden Lauten zu verbinden
(GPK).
Zudem sollten aus dem Unterricht bekannte häufiger Wörter
sowie das Schreiben und Lesen unbekannter Wörter mit
einfacher GPK und beim Lesen zusätzlich sog. Pseudowörter
überprüft werden.
Hauptkriterien beim Lesen sind Genauigkeit und Lesezeit beim
Schreiben Anzahl und Art der Fehler.
Die Items der Teiltests müssen die Buchstabenprogression und
das Wortmaterial des Unterrichts berücksichtigen.
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20.11.2014 Ute Fischer
Diagnostik des basalen Rechtscheibens
Bekannte häufige Wörter:
und, mit, im, am, ist, da
Deutsche Wörter mit einfacher GPK ( bei folgenden ersten
Buchstaben: L,M.O,A,T,S,E,N,U)
der Mantel, die Palme, die Ampel, wir malen, der Masten, der
Name, die Lose
Normwerte zur Orientierung nach dem Wiener –
Früherkennungstest (WFT 2008)
PR Richtig geschriebene Wörter Bezeichnung der PR-Gruppe
< 5 0-5 stark unterdurchschnittlich
6-15 6-8 unterdurchschnittlich
16-30 9-10 am unteren Ende des Durchschnitts
31-70 11-12 durchschnittlich
>70 13 gut
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20.11.2014 Ute Fischer
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Diagnose des basalen Lesens
Konzeption des Frühe-Lesefähigkeiten-Test: (FLT):
Förderdiagnostisches Verfahren, überprüft den Erwerb der
Teilprozesse des basalen Lesens zu zwei Zeitpunkten.
Testkonstruktion folgt einem theoretisch fundierten Konzept.
Der FLT besteht aus vier Subtests mit denen Buchstaben-
kenntnisse, das Lesen von bekannten und unbekannten
Wörtern sowie Pseudowörtern überprüft werden.
Subtest Items FLT I Items FLT II
1. Buchstabenkenntnisse 10 Grapheme 15 Grapheme
2. Bekannte Wörter 16 Wörter 24 Wörter
3. Unbekannte Wörter 11 Wörter 16 Wörter
4. Pseudowörter 8 Pseudowörter 12 Pseudowörter
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Neben den Teilprozessen des Lesens wird auch die Art und
Weise bzw. die Lesestrategie erhoben. Folgende Kategorien
wurden gebildet:
1 = Kind fixiert das Wort, liest es spontan oder nach einer kurzen
Pause
2 = silbisches Erlesen /na-se/ oder /lam-pe/
3 = gedehntes verbundenes Lesen der Laute /nnnaaaasseee/
4 = einzelne Laute werden unverbunden gelesen /n-a-s-e/
5 = Kind liest die Laute wie in 4 richtig, nennt aber ein anderes
Wort
6 = Lesen nicht versucht oder durch das Kind abgebrochen
Lesekategorien 21
+ Normen zur Orientierung
Bei der Normierung des FLT ergaben sich folgende Zeiten:
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Lesezeit pro Wort im FLT I
Bekannte Wörter 7-11 Sek.
Unbekannte Wörter 11-21 Sek.
Pseudowörter 7,5 -11,5 Sek.
Lesezeit pro Wort im FLT II
Bekannte Wörter 3-5 Sek.
Unbekannte Wörter 10-14 Sek.
Pseudowörter 4-7 Sek.
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Verknüpfung von Diagnose und Förderung 23
20.11.2014
Übungsstationen im Überblick Nr. Übungsbereich Medien und Materialien
1 Buchstabenkenntnis
Buchstabenfühlkiste
Spiegel mit Fotographie der Mundstellung
Dosenspiel
Übungsblatt
2 Alphabetisches Lesen
Wortfächer
Wickelkarten
Wortzauberei
Anlautpuzzle
3 Silbisches Lesen
Reimwörterdomino
Silbenpuzzle
Silbenmemory
Silbenwickelkarten
4 Lexikalisches Lesen und Lesegeschwindigkeit
Wortschnipp-Schnapp
Wörterlotto
Hürdenbrettspiel
Leseautomat
5 Wort- und Lesever-ständnis
Wortmemory
Gesellschaftsspiele
Bilderbuchleporello
Alphabethisches
Lesen und Schreiben
Silbisches Lesen und
Schreiben
Lexikalisches Lesen,
orthographisches Schreiben
u. Lesegeschwindigkeit
Ute Fischer
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+ Einteilung in die Stationenarbeit
1. Falsche Buchstaben Station Einteilung
Station
T, t / I, i 1 1
2.
Lesezeit
Buchstaben
3.
Lesefähigkeit
Wortlesezeit
4.
Lesefähigkeit
Wortlesefehler
5.
Lesekategorie
Station Einteilung
Station
+ + + 1/2 (4) / 5
∅ ∅ ∅ 1 /2 / 3 3 /4 3
∅ - ∅ - ∅ - 3 /4 /(5) 2 /3 (4) 2
- - - 3 /4 2 /3 2
- - - - - - 3 /4 /5 (6) 2 /(3)
Kürzel:
+ = gut
ø = durchschnittlich
ø = leicht unterdurchschnittlich
= deutlich unterdurchschnittlich
= stark unterdurchschnittlich 20.11.2014 Ute Fischer
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+ Buchstabenkenntnis
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+ Alphabetisches Schreiben und Lesen
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+ Silbisches Lesen und Schreiben
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+ Lexikalisches Lesen und orthogra-
phisches Schreiben
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+ Wort- und Leseverständnis
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20.11.2014 Ute Fischer
Zusammenfassung
Der Erwerb des Lesens und Schreibens bedarf von Anfang an einer diagnostischen Aufmerksamkeit um eventuelle Schwierig-keiten der Kinder früh zu bemerken.
Je früher man reagiert, umso eher kann man größere Probleme verhindern.
Wichtig ist, die Teilfertigkeiten genau zu analysieren und die Förderung an den nächsten Entwicklungsschritten auszurichten, damit die Kinder Erfolgserlebnisse haben.
Bedenken muss man: Lesen lernt man nur durch Lesen und Schreiben nur durch Schreiben.
Ein tägliches kurzes Lesetraining z.B. in Form des Paired Readings zeigte in verschiedenen Untersuchungen gute Erfolge.
Entscheidend ist, dass die Kinder die erste Hürde nehmen, also das für sie anfänglich mühevolle Rekodieren überwinden, damit sie das, was sie lesen, auch verstehen. Das ist es, was sie für das weitere Lesen motiviert.
Wer erst einmal Lesen gelernt hat, der kann es in der Regel nicht mehr lassen.
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20.11.2014 Ute Fischer
Literaturhinweise Dahaene, S. (2009): Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was
dabei in unseren Köpfen passiert. München: Knauss.
Fischer U. (2012): Leseförderung im Anfangsunterricht. Duisburg:
Universitätsverlag Rhein-Ruhr.
Fischer, U. & Gasteiger-Klicpera, B. (2013). Der Frühe-Lesefähigkeiten-
Test (FLT). Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr.
Snowling, M. & Hulme, C. (2006). The Sience of Reading. A Handbook.
Malden: Blackwell Publishing.
Klicpera, C. , Schabmann, A. & Gasteiger-Klicpera, B. (2013): Legasthenie-
LRS. 4. Aufl. Stuttgart: UTB.
Klicpera, C. & Gasteiger-Klicpera, B. (1993): Lesen und Schreiben –
Entwicklung und Schwierigkeiten. München: Huber.
Klicpera, C,.Humer, R.; Gasteiger-Klicpera, B. & Schabmann, A. (2008)
WFT- Wiener Früherkennungstest. Wien: Doerner Verlag.
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