KLAUS BRINKBÄUMER/CLEMENS HÖGES Die letzte Reise Der …Name, und ein amerikanischer...

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KLAUS BRINKBÄUMER/CLEMENS HÖGES Die letzte Reise Der Fall Christoph Columbus

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  • KLAUS BRINKBÄUMER/CLEMENS HÖGES

    Die letzte ReiseDer Fall Christoph Columbus

  • Buch

    500 Jahre nach seinem Tod versuchen Wissenschaftler, die vielen Rätseldes Falls Christoph Columbus mit den heute zur Verfügung stehendenMitteln zu lösen:Taucher und Unterwasserarchäologen untersuchen eingeheimnisvolles Wrack vor der Küste Panamas, das erstmals Aufschlussüber die Karavellen des berühmten Seefahrers zu geben verspricht. His-toriker forschen in spanischen Archiven nach den Spuren der Geldgeberfür die Reisen, Molekularbiologen untersuchen Columbus' mutmaßli-chen Leichnam.Was geschah wirklich auf seiner vierten und letzten Rei-se, als Columbus Meuterei, Stürme und Verrat überstand, als er seine vierSchiffe nacheinander verlor und schließlich krank, fast blind und demWahnsinn nahe auf Jamaika strandete? Im Licht neuester Erkenntnisse

    schildern die Autoren Triumph und Tragödie des großen Entdeckers.

    Autoren

    Klaus Brinkbäumer, 1967 in Münster geboren, arbeitet seit zwölf Jahrenfür den SPIEGEL, zur Zeit als Auslandsreporter. Er gewann mehrere Jour-nalistenpreise und ist Co-Autor von Bestsellern wie »Reiche Steffi, armesKind – Die Akte Graf« und »11. September – Geschichte eines Terror-

    angriffs«. Er ist Segler und Sporttaucher.

    Clemens Höges, geboren 1961 in Bonn, seit 1990 beim SPIEGEL, warWashington-Korrespondent und Auslandsreporter. Zur Zeit ist er Leiterdes Ressorts Deutschland.Er schrieb zahlreiche Titelgeschichten und Ar-tikel über maritime Themen. Er ist Hochseesegler und folgte Columbus’

    Spuren in der Karibik.

  • Klaus Brinkbäumer / Clemens Höges

    Die letzteReiseDer Fall

    Christoph Columbus

  • Mitarbeit:Marc Brasse,Karl Vandenhole

    Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100Das fsc-zertifizierte Papier München Super für Taschenbücher

    aus dem Goldmann Verlag liefert Mochenwangen Papier.

    1.AuflageTaschenbuchausgabe April 2006

    Wilhelm Goldmann Verlag,München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

    Copyright © der Originalausgabe 2004by Deutsche Verlags-Anstalt,München,

    in der Verlagsgruppe Random House GmbH,und SPIEGEL-Buchverlag,Hamburg

    Umschlaggestaltung:Design Team München unter Verwendung der Umschlagmotive der Hardcoverausgabe

    (gestaltet von Thomas Bonnie,Arne Vogt/DER SPIEGEL und Berndt & Fischer,Berlin)

    Umschlagabbildungen: BKP (2); SPIEGEL TVKF · Herstellung: Str.

    Druck und Bindung:GGP Media GmbH,PößneckPrinted in Germany

    ISBN 10: 3-442-15365-4ISBN 13: 978-3-442-15365-7

    www.goldmann-verlag.de

    SGS-COC-1940

  • Prolog 7

    1 Ein Wrack 17

    2 Mann ohne Heimat, Mann ohne Namen 61

    3 Das Geheimnis des großen Plans 87

    4 Mönche und Sklavenhändler 135

    5 „Tierra,Tierra!“ 181

    6 Der Held stürzt 235

    7 Die letzte Reise 303

    8 Schiffbruch und Meuterei 365

    9 Ein namenloses Schiff 407

    10 Ein Ende 443

    Epilog 455

    Karten 466

    Dank 471

    Bibliografie 472

    Register 475

    Inhalt

  • Prolog

    In Santa María de Belén hatten wir nie richtig Zeit gehabt,die Schiffe zu überholen, zu verpichen und zu kalfatern.Das rächte sich nun, als wir Puerto Bello erreicht hatten.Dort mussten wir auch die „Vizcaína“ zurücklassen – die Holzwürmer hatten schon den Schiffsboden zerstört.Auf zwei Schiffen wurde nun die ganze Mannschaftzusammengepfercht, sie mussten die Vorräte aufnehmen,die wir noch besaßen, und – das Gold.

    Aus dem Bericht des Diego Méndez, 1503

    Diver’s Haven, Panama, 1996

    Heute soll es ein Hafen sein, so etwas wie Heimat also, Heimat fürTaucher aus aller Welt. Für Christoph Columbus lag hier vor 495 Jah-ren das Ende der Welt.Weiter entfernt war die Heimat für ChristophColumbus nie.

    Diver’s Haven heißt der Ort heute, der Hafen der Taucher. Diver’sHeaven, der Himmel der Taucher, so sprechen die Leute den Namenaus. „Santa Gloria“, so hatte Christoph Columbus die Bucht genannt,und dann muss er sich in den Wochen danach gefühlt haben wievon Gott verlassen, von seinem Gott, jenem Gott, der ihn doch aus-erwählt hatte, das glaubte Columbus. Es waren höllische Zeiten fürihn: Columbus war krank, er sah kaum noch etwas, und seine Schiffezerfielen ihm unter den Füßen, Tausende Meilen von Spanien ent-fernt.

    Und heute, knapp 500 Jahre später: Ist dies nun der Himmel fürJames Norris oder das Ende seiner Träume? Ist der Himmel der Tau-cher in Wahrheit auch seine kleine, ganz private Hölle?

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  • James Norris hatte versucht, in Portobelo an der KaribikküstePanamas Fuß zu fassen. Er wollte dort eine Tauchbasis eröffnen, erhatte schon das Land gekauft und das Haus gebaut. Doch dann kamdie Mutter jener Frau, von der er das Land gekauft hatte, und sagte,dieses Land habe der Tochter leider niemals gehört, nein, das sei allesein Irrtum, denn das Land gehöre ihr, der Mutter, und dann kamendie Klagen, und die Gerichte eröffneten Untersuchungsverfahren,und so lange durfte die Tauchbasis nicht öffnen und …

    „So ist Panama, genau so, exakt 478 000 Dollar habe ich verloren,das war alles, was ich hatte“, sagt James Norris, und übrigens, sagt erdann, Nilda Vázquez hieß die Frau, von der er das Land gekauft hat,„auf Nilda kommen wir noch mal zurück“.

    James Norris ist ein braun gebrannter Kerl mit langen, blondenHaaren, 50 Jahre alt, er trägt eine Reebok-Mütze und einen Ohrringund auf dem Oberarm eine Tätowierung: Meerjungfrau vor Sonnen-aufgang.

    Panama war der Traum des James Norris. James Norris kommt ausAlabama, früher war er „Entertainer“, sagt er, Animateur in Ferien-clubs. Und Panama, das hieß Freiheit für ihn, keine Regeln mehr, eineigenes Tauchresort, die schönsten Riffe der Welt. Panama war derHimmel, dachte er.

    Und darum hat er nun, im Sommer 1996, als sein Geld weg ist undauch sein Haus in Portobelo, genau zwei Möglichkeiten. Er könnteheimkehren nach Alabama, geschlagen und gescheitert, oder er könntees noch einmal versuchen. Nein, er hat natürlich nur eine Möglich-keit. Er versucht es noch einmal.

    James Norris fährt die Küste entlang, immer weiter nach Osten. Esgibt hinreißende Buchten hier, weiß der Sand, grün die Palmen, blau dasMeer, es ist nur alles verdammt weit weg von der Zivilisation.Wie sol-len die Taucher hierher kommen, die Touristen, ohne die eine Tauch-basis leider nicht funktioniert? Andererseits: Das Land ist billig hier.

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  • Von Panama City braucht man mit dem Auto anderthalb Stundenbis nach Portobelo.Von Portobelo braucht man etwa eine Stunde, bisman in Nombre de Dios ist und damit in der Dritten Welt. VonNombre de Dios braucht man noch einmal 20 Minuten, bis man imDiver’s Haven ist. Es gibt viel Staub auf diesem Weg und eine MengeSchlaglöcher. Es ist nicht wirklich gemacht für Massentourismus.Andererseits: Es ist schön hier.

    Hängematten hängen zwischen den Palmen. Hühner und Hundelaufen herum, ein Volleyballnetz ist aufgebaut, und wenn man von denTischen vor James Norris’ bunt bemaltem Haus aufsteht und 30 Sekun-den lang läuft, dann steht man im Karibischen Meer.

    Es ist der Himmel der Taucher.Als er anfängt mit dieser Tauchbasis, macht James Norris das, was

    jeder Gründer einer Tauchbasis macht: Er fragt die Fischer der Gegend,wo die meisten Fische sind. Es ist eine dieser klassischen Taucher-regeln: Fische sammeln sich an Riffen und Wracks, also dort, wohinauch die Taucher wollen. Die Fischer nennen James Norris fünf, sechsStellen in der Bucht von Nombre de Dios, und James Norris nimmtSchnorchel und Flossen und erkundet die Gegend.

    Er sieht es, als er direkt darüber ist.Das Wrack ist alt, das sieht er sofort. Es ist überwachsen, es gibt

    Kanonen. Er hat keine Ahnung, was das Wrack bedeutet, es interessiertihn auch nicht. Für ihn ist das Wrack bloß ein Haufen im Meer, nichtspektakulär und nicht tief gelegen, James Norris will tauchen undnicht forschen.

    Und dann erzählt James Norris seinem Sohn, was er gesehen hat.Johnny Norris heißt dieser Sohn, er ist ein hübscher Kerl, muskulösund braun gebrannt, einer, der sich gern rumtreibt, und einer, der dieFrauen mag.

    Und dann schwängert Johnny, der Sohn, eine sehr junge Einheimi-sche. „Du musst sie heiraten“, sagt James Norris, der Vater.

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  • „Warum?“, fragt Johnny, der Sohn, „ich werfe mein Leben nichtweg, nur weil ich einmal gefickt habe.“

    „Du heiratest sie, oder ich kenne dich nicht mehr“, sagt JamesNorris.

    Und dann packt Johnny seine Sachen und geht. Und er rächt sich.Er hat gehört, dass eine Frau aus Portobelo, Nilda Vázquez ist ihrName, und ein amerikanischer Schatztaucher,Warren White ist seinName, die Küste nach Wracks absuchen.

    Johnny erzählt den beiden, dass sein Vater in der Bucht vonNombre de Dios ein Schiff gefunden habe.

    Dies ist die erste Geschichte von der Entdeckung der „Vizcaína“.Es ist ein verdammt altes Schiff, sagt Johnny, der Verräter.

    Nombre de Dios, Panama, Juni 1998

    Die zweite Geschichte von der Entdeckung der „Vizcaína“ handelt vonWarren White, dem amerikanischen Schatztaucher, und in dieser Ge-schichte spielt James Norris, der Mann aus dem Diver’s Haven,nicht mit.

    „James wer?“, fragt Warren White.Warren White sagt, dass niemand ihm von der „Vizcaína“ erzählt

    habe, auch nicht der Sohn dieses Tauchers namens James Norris, erkennt sie beide nicht, weder den Vater noch den Sohn, sagt WarrenWhite.

    Es ist Sommer 1998, es ist einer dieser sonnigen Nachmittage vorder Küste Panamas, die vor drei Jahren, 1995, dazu geführt haben, dassWarren White hier blieb. Es ist schon ziemlich spät, kurz vor vier,das Wasser ist nicht mehr klar, sie haben nur noch zwei Stunden Lichtauf der „Golden Venture“, dem Schnellboot mit diesem Kran, derKanonen aus dem Wasser heben kann. Und Anker. Und Gold. Wasman halt so findet in den Meeren der Welt.

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  • Es ist also zu spät, um heute noch nach einem Wrack zu suchen. Esist aber ein bisschen früh für das erste Bier. Die „Golden Venture“ liegtin der Bucht von Playa Damas, dem Strand vor Nombre de Dios.

    „Dort hinten ist ein Riff“, sagt Wesley,Warren Whites Sohn, 22 Jahrealt an diesem Sommertag.Wesley sagt: „Lass uns gucken, ob wir einpaar Hummer finden.“

    Warum nicht? „Okay“, sagt Warren White.Badehose, Maske, Schnorchel, Flossen, mehr brauchen Vater und

    Sohn nicht. Und dann liegen sie auf dem Bauch an der Wasser-oberfläche und suchen den Grund nach Hummern ab. Sie lassen sichtreiben, hin und wieder machen sie einen Schlag mit den Flossen, dasWasser ist 20 Grad warm.

    Und dann sieht Warren White den Haufen im Sand.Er sieht zwei kleine Kanonen dort unten im Sand.Er sieht die Anker.Er sieht die fette Bombarde, diese Kanone, mit der Ende des 15. Jahr-

    hunderts 20 Kilogramm schwere Steinkugeln durch die Gegend ge-schossen wurden.

    Er denkt: Das könnte sie sein.Warren White ist ein schwerer Mann mit sehr vielen Sommer-

    sprossen auf Armen und Beinen. Er trägt eine beigefarbene kurzeHose und ein graues T-Shirt und eine mächtige Goldkette mit einemAnker und eine Brille, er hat graues Haar und einen Schnauzbart, ertrinkt Diet Coke, er schwitzt.

    Warren White, Jahrgang 1947, kommt aus Miami, Florida. Sein Vaterwar Kapitän auf Segelschiffen, auf Schnellbooten der U. S. Navy, aufÖltankern, und sein Großvater war Schiffbauer. Warren White ist einTyp, der an der See und mit der See groß wurde. Er weiß nicht mehr,wann er schwimmen lernte, „it was no big deal“, sagt er, er war zweiJahre alt, das hat seine Mutter ihm erzählt. Seine ersten Wracks halfWarren White zu heben, als er 13 Jahre alt war, 1960, der Hurrikan

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  • „Donna“ hatte die Florida Keys verwüstet und mehr als 150 Boote undSchiffe versenkt. „Kein schlechtes Geschäft“, sagt Warren White.

    Nach der High School war er vier Jahre lang bei der Marine, aufeinem Zerstörer und auf einem Atom-U-Boot. Dann war er siebenJahre lang Polizist in Fort Lauderdale. Dann ging er aufs Miami DayJunior College und auf die University of Arkansas, Elektroingenieurwollte er werden, aber er brach das Studium ab, als die Angebote vonden Ölkonzernen kamen; die Ölkonzerne brauchten junge Leute, dietauchen und unter Wasser reparieren konnten, was zu reparieren war.Dann hatte Warren White ein kleines Hotel in Montana, 80 Meilennordwestlich vom Yellowstone-Nationalpark, 1995 verkaufte er es.

    Und dann zog er auf seine Yacht, die „Makado“, 18 Meter lang, einHaus auf dem Meer. Und seine Frau Frankie zog mit ihm. Sie wirdschnell seekrank, sie kriegt Atemnot unter Wasser, sie ist klaustropho-bisch, sie macht das alles trotzdem mit, sie liebt Warren sehr.

    Sie segelten im Pazifik und durch den Panamakanal, sie segelten imAtlantik, und als sie ein paar Reparaturen machen mussten im Hafenvon Colón, da blieben sie eine Woche, einen Monat, ein Jahr, undinzwischen wollen sie hier alt werden. „Unfassbar schön ist Panama“,sagt Warren White.

    Christoph Columbus, sagt Warren White, habe ihn schon fasziniert,als er ein kleiner Junge war. „Ein Mann, der ins Unbekannte segelt,Mann, was für eine Geschichte“, sagt er, „viermal ist er losgefahrenund viermal zurückgekehrt fast ohne Instrumente, was für ein See-mann!“ Wenn White mit seinem Bruder Jack beim Whiskey saß, sag-ten sie oft: „Eines seiner Schiffe müsste man finden.“

    Warum wurde nie eines entdeckt?Warren White hat da eine Theorie. Er glaubt, dass Columbus ganz

    bewusst falsche Fährten gelegt habe. Columbus schrieb zum Beispiel,dass er die „Capitana“ und die „Bermuda“ in der St. Ann’s Bay aufJamaika zurückließ, Hunderte Taucher haben dort gesucht. Nichts.

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  • Columbus schrieb, die „Vizcaína“ habe er in oder bei Portobelozurückgelassen, und Hunderte Taucher waren dort, sogar Mel Fisher,der Held aller amerikanischen Schatztaucher. Nichts.

    Warren White glaubt, dass Columbus eben gerade nicht verratenwollte, wo die Wracks lagen.

    Warren White sagt: „Columbus rechnete immer damit, dass er viel-leicht ein halbes Jahr oder neun Monate später zurückkehren würde,es konnte immer passieren, dass er dann Dinge von den Wracks holenwürde.Außerdem war er sehr misstrauisch: Ein Mann, der die eigeneMannschaft im Unklaren darüber lässt, wo sie sich gerade befindet,der Karten und Aufzeichnungen einsammelt, damit er und nur er dieKontrolle behält, der will auch das Wissen über Wrackstellen für sichallein behalten. Die ‚Vizcaína‘ gehörte nicht der Krone, sie gehörteColumbus, an Bord waren Kanonen. Warum sollte irgendeiner dervielen Kapitäne, die Geld aus seiner Entdeckung machen wollten,auch noch auf die zurückgelassene ‚Vizcaína‘ stoßen?“

    Das ist ein neuer Ansatz. All die Expeditionen, die 1992, zum 500.Jahrestag der Entdeckung Amerikas, ausgerüstet wurden, um endlichein Wrack des Columbus zu finden, bauten auf exakten Textanalysen.Was hat Columbus geschrieben, was schrieben sein Bruder und seinSohn, was steht in den Akten der Gerichte?

    Warren White ist Seemann und Praktiker, und er kennt die KüstePanamas. Warren White sagt: „Columbus schrieb davon, dass in derBucht von Portobelo 5000 Indianer waren. Er hatte blutige Kämpfehinter sich. Er wollte die ‚Vizcaína‘ vermutlich reparieren. WürdenSie ein Schiff in einer Bucht reparieren, in der Sie mit Speeren undPfeilen und vielen Toten rechnen müssen? Nun, vielleicht würden dieSpanier so etwas tun, aber gute Seeleute niemals.“

    Also? „Er kannte die Bucht von Nombre de Dios, er wusste, dassdort Platz für schwierige Manöver ist“, sagt Warren White, „Seeleutekehren gern dahin zurück, wo sie schon einmal waren.“

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  • An jenem Junitag schnorcheln Warren und Wesley White noch einwenig über dem Wrack herum, und sie übernachten in der Bucht vonNombre de Dios. Er sei von Anfang an sicher gewesen, dass diesesWrack die „Vizcaína“ des Christoph Columbus sei, sagt WarrenWhite, denn alles passe: Da sind viele Kanonen, einige geladen, dasind die Anker, die noch so liegen wie damals, quer über Deck, diesesSchiff lief nicht auf ein Riff, es sank langsam.

    Er hat keinen Beweis, sagt Warren White, eine Schiffsglocke oderein Namensschild gebe es nicht. Aber er weiß, was er gesehen hat.Er weiß, dass dieses Wrack alt ist, das sieht einer wie er, ungefähr 500 Jahre alt, das erkennt man an den Kanonen. Und er weiß, dass imUmkreis von 75 Kilometern vor ungefähr 500 Jahren kein zweitesSchiff gesunken ist, zumindest wurde niemals ein anderes gemeldet.

    Nur die „Vizcaína“.Dies ist die zweite Geschichte von der Entdeckung der „Vizcaína“.Und am Abend jenes Sommertags 1998 isst Warren White Hum-

    mer. Die Viecher saßen auf den Ankern des Wracks, sie saßen da wieTrophäen.

    Nombre de Dios, Panama, Oktober 2001

    Es gibt noch eine dritte Geschichte von der Entdeckung der „Viz-caína“. Das ist die Geschichte der Nilda Vázquez.

    Nilda Vázquez sagt, sie sei erstmals mit Columbus in Berührunggekommen, als sie 1992 die Jubiläumsfeiern der Provinz Colón orga-nisierte, 500 Jahre Entdeckung Amerikas. Nilda Vázquez sagt, sie habeeinen Tauchshop gehabt, „Diver’s Haven“, den ihr dann ein verrück-ter Amerikaner namens James Norris abgekauft habe, aber leiderkonnte der nicht bezahlen, also musste sie vor Gericht und ihm dieImmobilie wieder abnehmen, schade. Ein Dieb sei dieser James Nor-

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  • ris, sagt sie, Möbel, Kabel,Tauchausrüstung, alles habe er geklaut, „äh,wo war ich?“

    Die „Vizcaína“.Ja. Jedenfalls las Nilda Vázquez 1992 natürlich auch von der „Viz-

    caína“, und wie viele andere tauchte sie in der Bucht von Portobelonach dem Wrack.

    Vergebens.Nilda Vázquez hat schulterlange braune Haare, ist ziemlich mollig,

    trägt eine tief ausgeschnittene weiße Bluse. Sie ist 53 Jahre alt imOktober 2001, sie hat sich ein schönes rosafarbenes Haus an die Ein-fahrt zur Bucht von Portobelo gebaut, ein Haus wie ein Palast, Scher-ben, Münzen schmücken ihre Wände, allerlei Zeug, das so herumliegtauf dem Meeresboden. Nilda Vázquez ist Witwe, ihr Mann war beider U. S. Army und starb 1999. Nilda Vázquez ist Geschäftsfrau, siehandelt mit Immobilien, ohne sie geht wenig in Portobelo.

    Sie sagt, es sei schon richtig, dass Warren White das Wrack gefundenhabe, aber er habe es nicht erkannt.

    Sie sagt, sie habe Warren White gefragt, ob er interessante Wracks ander Küste Panamas kenne; Warren White habe ihr ein paar Stellengenannt und ansonsten keine Ahnung gehabt, „und ich sagte ihm, dasSchiff in Nombre de Dios müsse die ‚Vizcaína‘ sein“.

    He said: „What?“I said: „Yeah, the ‚Vizcaína‘ of Christopher Columbus.“Die beiden fahren zur Wrackstelle, sie tauchen zusammen, sie sam-

    meln ein paar Kanonen ein. Und Scherben.Archäologen sind nicht dabei.Immerhin legen sie das Zeug in Becken mit Süßwasser. Die Becken

    lässt Nilda vor einem Gebäude aufstellen, in dem sie früher mal einRestaurant hatte, damals, als die Amerikaner noch in Panama waren.

    Das ist die dritte Geschichte von der Entdeckung der „Vizcaína“.Drei Geschichten oder drei Versionen einer Geschichte sind das, die

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  • drei Menschen erzählen, die an der Karibikküste Panamas leben.Welcher dieser drei Menschen das Wrack als Erster gesehen hat, wervon ihnen als Erster den Namen „Vizcaína“ aussprach, das lässt sichschon ein paar Jahre später nicht mehr klären.

    Diese drei Geschichten – oder besser: diese drei Versionen der Ge-schichte von der Entdeckung der „Vizcaína“ – sagen eine Menge ausüber Panama, über Ohnmacht und Neid, Filz und verpasste Chancen.

    Vor Gericht streiten die Regierung, Behörden und Leute wie War-ren White und Nilda Vázquez darüber, wer welche Rechte an demWrack hat. Der 500. Jahrestag des Untergangs der „Vizcaína“ ver-streicht. Und ein Schiff, das möglicherweise eine Weltsensation ist,liegt in der Bucht vor Nombre de Dios, und nichts geschieht.

    Keine Universität schickt ihre Leute, die Unterwasserarchäologen tau-chen hier nicht, es gibt nur Gerüchte, aber keine Beweise, keine Unter-suchung, nichts. Und natürlich gibt es keine Pläne, das Schiff zu bergen.

    Die Columbus-Experten glauben die Gerüchte von der Entdeckungder „Vizcaína“ nicht.Wieso sollten sie auch?

    James Norris, den Taucher aus dem Diver’s Haven, kümmert derHaufen in der Bucht von Nombre de Dios nicht weiter.

    Warren White, der Schatzsucher aus Miami, behauptet, es sei die„Vizcaína“, aber beweisen kann er nichts.

    Die Geschäftsfrau Nilda Vázquez … Bitte, wer?Und darum wird die Geschichte von der Entdeckung der „Viz-

    caína“ zu einer dieser Geschichten, die kurz hochkommen und dannwieder verschwinden, ganz einfach, weil niemand daran glaubt. Nie-mand schreibt darüber, niemand forscht, niemand hebt das Schiff ansTageslicht.Was bleibt, sind die Meldungen in den Weiten des Inter-net, Jahre alt. Wer in den Suchmaschinen „Vizcaína“ eingibt, findetsie.Aber wer macht das schon?

    Es gab ein Gerücht, und es ist verpufft. Die Frage ist, ob das Ge-rücht deshalb falsch sein muss.

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  • 1Ein WrackNombre de Dios, Panama, Januar 2003

    Es leben nicht viele Menschen in Nombre de Dios, 3500 vielleicht,die genaue Zahl kennt niemand. Eine weiße Kirche gibt es in Nombrede Dios, Symbol und Relikt des Zeitalters der Kolonialmächte, und esgibt acht Bars, aber keine Gäste. Se vende, „Zu verkaufen“, steht vorden Hütten und Bauruinen, es gibt keine Käufer. Die Plastikstühlestehen herum, die Besitzer lehnen an ihren Tresen und trinken ihrBier selbst.

    Es gibt keine Arbeit in Nombre de Dios, keine Touristen und kein Geld. Die Frauen von Nombre de Dios waschen die Windelnihrer Kinder im schlammigen Fluss. Es ist neun Uhr am Freitag, dem24. Januar 2003.

    Nombre de Dios ist ein Dorf am Ende der Dritten Welt. Nombrede Dios, von Gott und der Menschheit vergessen, liegt an der Ka-ribikseite Panamas, 15 Meilen östlich von Portobelo und jenseits dessen, was in Europa und Nordamerika „Zivilisation“ genanntwird.

    Vielleicht liegt es ja daran, dass niemand reagierte, als Ende 2001 einSchatztaucher aus Miami die Meldung ins Internet hievte, er habe die„Vizcaína“ entdeckt. Ein paar Schlagzeilen wurden verfasst, CNNmeldete den Fund, doch mehr passierte nicht.Vielleicht war Nombrede Dios einfach zu weit abgelegen.

    Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Jahr für Jahr irgendwoirgendwer verkündet, er habe einen sensationellen Fund gemacht:Mal ist es ein Brief, mal die Schiffsglocke der „Santa María“, mal dasOriginal eines Logbuchs, und immer wieder mal ist es ein Wrack –Hauptsache, es hat mit Christoph Columbus zu tun.

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  • Archäologen und Columbus-Experten hören kaum noch hin, wennsich wieder einer dieser Wichtigtuer meldet, da es bisher doch meistFälschungen waren. Schatztaucher geben ihren Funden ganz gernspektakuläre Namen, damit sie ihre Artefakte besser verkaufen kön-nen, es ist ja keine Frage, dass sich für eine Kanone von einemColumbus-Schiff mehr Käufer finden als für eine Kanone von einemnamenlosen Wrack.

    Nun also die „Vizcaína“? Sonst noch etwas? Und wie heißt nochder Mann, der sie gefunden haben will, Warren White? Klar, ausge-rechnet.

    Warren White lebt in Colón, Panama, und gilt in der Szene derer,die den Grund der Ozeane absuchen, als Abenteurer, als Hasardeur, alsSchrecken aller Archäologen, denn Warren White ist einer jenerSchatztaucher, die die Wracks der Weltmeere schon mal mit Spreng-stoff bearbeiten, weil sie unter den Wracks Münzen und Gold ver-muten.

    Keiner glaubte ihm, weil ihm keiner glauben wollte.Alle, die sich tummeln in dieser Szene der Unterwasserforscher,

    haben schließlich irgendwann einmal nach einem Columbus-Schiffgesucht. Ein Columbus-Schiff, das wäre so etwas wie die letzte undgrößte Trophäe. Und wissenschaftlich interessant, o ja. Sie haben esversucht, alle, und es ist ja auch nicht so, dass man gar nichts wüsste.

    Neun Schiffe verlor Christoph Columbus auf seinen vier Reisen indie Neue Welt.

    Die Archäologen wussten zum Beispiel, dass die „Santa María“, dasFlaggschiff der ersten Reise, jenes Schiff, mit dem Columbus Amerikaentdeckt hat, zerstört wurde: In einer ruhigen Nacht, als die Mann-schaft und der Admiral der Meere schliefen, stand ein Schiffsjunge amRuder, und die „Santa María“ trieb vor dem damaligen Hispaniola,der heutigen Dominikanischen Republik, sanft dahin, und dann liefsie auf eine Sandbank; aus dem Holz ließ Columbus die erste Festung

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  • in der Neuen Welt bauen, La Navidad. Von dem Fort fanden sichSpuren, von dem Rumpf der „Santa María“ fand sich – nichts.

    Oder sie wussten, dass Columbus die „Gallega“ im Kampf mitIndianern am Río Belén verloren hatte, an der Nordseite des heu-tigen Panama, etwa 200 Kilometer westlich von Nombre de Dios.Monatelang suchten die Forscher der Texas A&M University nachder „Gallega“, sie gruben den Fluss um und die Mündung undirgendwann die halbe Bucht von Belén, aber sie fanden – nichts.

    Kein Schiff des Christoph Columbus ist erhalten. Die Fachweltweiß deshalb so gut wie nichts darüber, wie diese Schiffe aussahen.Gemälde gibt es, aber die entstanden Jahrzehnte später, und die Schiffeauf diesen Gemälden entstanden nach der Phantasie der Künstler.Nachbauten gibt es, aber die sind so, wie sich Seeleute im 20. Jahr-hundert Schiffe aus dem 15. Jahrhundert vorstellten. Es gibt keineBaupläne, keine exakten Beschreibungen, keine Skizzen.

    Bekannt ist, dass die „Santa María“ ein wuchtiger, stabiler, schwer-fälliger Pott war, Typ Nao, alles andere als wendig und deshalb imGrunde wenig geeignet für Reisen ins Unbekannte mit wechselndenWinden. Bekannt ist, dass Columbus ansonsten Karavellen segelte,Schiffe waren das mit einem Großmast und zwei oder drei weiteren,kleineren Masten, Schiffe, die an Bug und Heck scharf hochgezogenwaren, Schiffe, die vermutlich klein waren, vielleicht 18 bis 22 Meterlang, Schiffe, die wendig waren und auch ziemlich robust. Der Vorteilder Karavellen gegenüber Schiffen wie der „Santa María“ war, dass sie nicht nur stur und gerade vor dem Wind, das heißt mit Rücken-wind, sondern auch mit seitlichem Wind segeln konnten; Columbus’Männer konnten mit vielen Leinen die Segel um bis zu 40 Grad zurSeite hin ausrichten, und deshalb waren die Karavellen flexibler. Undflinker.

    Eng war es auf diesen Karavellen. Es wurde verdammt eng, wenn 30 bis 50 Männer ein Jahr lang auf einem ungefähr 20 Meter langen

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  • Kahn hausten, ohne Klo und ohne Küche. Und selbst der Admiral derMeere hatte meist keine eigene Kajüte – der Admiral der Meereschlief hinten unterm Achterdeck mit den anderen.

    Dies also weiß man, ansonsten ist die Seefahrt der Entdeckerzeit eingroßes Rätsel. „Wir wissen mehr über griechische oder römischeSchiffe als über die Schiffe der Entdecker“, sagt Filipe Castro, Unter-wasserarchäologe der Texas A&M University.

    Wie waren diese Schiffe gebaut? Wie waren die Masten angeordnet,und mit welchen Segeln waren die Karavellen unterwegs?

    Wie waren sie bewaffnet?Wie groß, wie schwer, wie schnell waren sie wirklich?Wie waren sie beladen, wie wohnte, wie aß, wie schlief die Mann-

    schaft?Wracks sind Zeitkapseln.Wracks konservieren Lebensweisen, Bräu-

    che, Epochen, und manchmal frieren sie Katastrophen gleichsam ein.Und nun gibt es dieses Wrack. Die „Vizcaína“? Das weiß noch kei-ner. Eine Karavelle aus der Entdeckerzeit? Das ist wahrscheinlich.Eine Sensation? Unbedingt.

    Denn die erste jemals gefundene Karavelle, das wäre ein enormerGewinn für Archäologen und Historiker. Zum ersten Mal könntensie herausfinden, wie die Schiffe der Entdecker konstruiert waren, wiesie segelten, wie die Menschen an Bord lebten. Und das Wrack vonNombre de Dios wird ihnen wohl noch mehr über die gesamteEpoche zeigen – wie Schiffbauer ihr Holz bearbeiteten, woher dieBäume stammten, aus denen sie das Schiff zimmerten, also auch, wel-che Handelsbeziehungen Spanien in seiner größten Zeit in Europapflegte. Proviantreste werden zeigen, wie sich die Matrosen ernähr-ten, aus den Ballaststeinen werden Fachleute schließen können, wo-hin das Schiff segelte. Denn die Seeleute bunkerten Ballast immerganz nach Bedarf, und darum sammelten sie meistens schwere Steinean jenen Stränden ein, vor denen sie gerade ankerten.

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  • Der Franzose Franck Goddio, eine Art Popstar der Wracktaucher,sagt: „Ein gesunkenes Schiff ist wie eine gut verkorkte Flaschenpostaus einer lange vergangenen Epoche. Bei Ausgrabungen an Land finden Sie in der Regel Ablagerungen anderer Zeiten über ihremeigentlichen Ziel. Das ist oft ein elendes Durcheinander. Unter Wasseraber haben wir gebündelte Informationen über eine ganz bestimmteZeit.Wracks sind wie Zeitmaschinen.“

    Und dieses Wrack wird die Wissenschaftler nun direkt in das Jahr-hundert der großen Entdeckungen transportieren, in jenes Jahrhun-dert, in dem die Europäer die mittelalterliche Angst vor unbekanntenSchrecken verloren, in dem sie anfingen, Wissen, Erfahrungen undTechnik mehr zu trauen als den Worten der Bibel. Es war jenesJahrhundert, in dem die Welt so zu werden begann, wie sie heute ist.

    Wenn dieses Wrack die „Vizcaína“ sein sollte, das erste jemals ent-deckte Schiff von Christoph Columbus, wäre der Fund mindestens so bedeutend wie die Entdeckung der berühmtesten Wracks: Die„Titanic“, die „Bismarck“, die „Bounty“, die „Whydah“, die „Cen-tral America“ und die Galeassen und Galeonen der spanischenArmada haben jeweils Zeugnisse einer ganzen Epoche mit auf denGrund des Meeres genommen. Jedes dieser Schiffe stand für einePhase der Menschheitsgeschichte, über jedes wurden Bücher geschrie-ben und Filme gedreht. Denn Wracks erzählen Geschichten. GroßeGeschichten sind das, Geschichten von Träumen und Tragik, vonAbenteuer, Demut und Größenwahn.

    Gibt es eine größere Geschichte als jene vom Aufstieg und vom Falldes Entdeckers der Neuen Welt, die Geschichte von Christoph Co-lumbus? Der Fall Columbus ist eine wilde, eine verwegene, eine grau-same Geschichte, es ist eine Geschichte, die von Phantasie handelt undzugleich von Kleingeistigkeit und grotesken Fehlern, vom größten vor-stellbaren Triumph und den Erniedrigungen und Niederlagen danach,von Liebe und zugleich vom ersten Völkermord.

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  • Bis heute mussten ein Logbuch, das im Original nicht erhalten ist,Briefe und Gerichtsunterlagen diese Geschichte erzählen. Eine MengeRätsel sind geblieben. Ein Wrack gab es nicht.

    Und jetzt, es ist neun Uhr am Freitag, den 24. Januar 2003, nähertsich ein weißes Motorboot dem Dorf Nombre de Dios, das in einerlang gezogenen Bucht namens Playa Damas liegt. Das Meer ist ruhigund tiefblau, hinter den Hütten und den Bauruinen von Nombre deDios geht es steil hinauf in den Dschungel Panamas.

    „Wo ist es?“, fragt einer der Männer an Bord.„Hier ist es“, sagt Jesse Allan und stoppt die Motoren.Jesse Allan, Jahrgang 1952, hat blonde Haare, einen Schnauzbart und

    einen gewaltigen Körper, gewaltige Oberarme vor allem. Jesse kommtaus Grand Junction, Colorado, und war 24 Jahre lang bei der U. S.Army, am Ende war er Master Sergeant, Gehaltsgruppe E 8. Er warnicht irgendein GI, er war einer dieser ganz besonders harten Typen:Jesse Allans Spezialgebiet war die Befreiung von Geiseln.

    Er war zweimal in Vietnam. Dann in Taiwan. Dann in Beirut, wäh-rend des Krieges. In Syrien. Er war in der Türkei, wo aber nur derStützpunkt für all die Einsätze in Iran lag. Er war in Saudi-Arabien, inDeutschland, in Dubai, in Kenia.

    Und dann kam Jesse Allan nach Panama, das war der Stützpunkt fürdie Einsätze in Kolumbien, Ecuador, Peru, El Salvador und Honduras,und als Jesse Allan dann weitergeschickt werden sollte, diesmal nachAfrika, da sagte er seinen Vorgesetzten, er habe genug. Genug vonallem. Genug vom Fallschirmspringen, vom Nahkampf, genug vonden Leichen, genug Geld für ein Leben in Panama. „Amerika war einfremdes Land für mich“, sagt er, „Panama war Heimat geworden.“

    Panama,Verbindung zwischen Süd- und Nordamerika, hat 2,6 Mil-lionen Einwohner, Panama ist 77 000 Quadratkilometer groß, so groß wie Österreich. Panama hat gewaltige Nationalparks wie „LaAmistad“ im Norden und „Darien“ im Süden, Panama hat 2000 Kilo-

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