«Kleine Frakturen» bei Erwachsenen

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«Kleine Frakturen» bei Erwachsenen Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. med. Matthias Knobe, MME, MHBA Leiter und Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie 18.03.2021

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«Kleine Frakturen» bei Erwachsenen

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Prof. Dr. med. Matthias Knobe, MME, MHBA

Leiter und Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

18.03.2021

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«Kleine Frakturen»

18.03.2021

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«Claviculafraktur»

18.03.2021

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Geschichtliches

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Hippokrates (400 v. Chr.):

«Eine gebrochene Klavikula heilt wie alle spongiösen Knochen schnell, denn all diese Knochen

bilden in kurzer Zeit Kallus. Wenn es dann zu einer Fraktur gekommen ist, messen die Patienten

dieser eine grosse Bedeutung zu, in der Annahme, dass das Problem grösser ist als die

Wirklichkeit…; aber, nach kurzer Zeit beachten die Patienten ihre Schmerzen oder Behinderung

nicht mehr und werden nachlässig. Und die Ärzte, feststellend, dass sie es nicht fertigbringen, die

heilenden Bruchstücke gut aussehen zu lassen, ziehen sich zurück und bedauern die Nachlässigkeit

der Patienten nicht, und in der Zwischenzeit bildet sich schnell Kallus.»

Luzerner Kantonsspital (2021 n. Chr.):

»Gemäss Literatur heilen 90% aller Klavikulafrakturen unter konservativer Behandlung aus. In

bestimmten Fällen besteht jedoch eine absolute oder relative Operationsindikation, die es zu

erkennen gilt. Und das mit den Bruchstücken können wir heute besser…»

R. Trompetter, A. Seekamp: Klavikulafrakturen; Unfallchirurg 2008 . 111:27-39.

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Epidemiologie und Ätiologie

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Mit einer Inzidenz von ca. 2.6% häufige Fraktur

zweithäufigster Knochenbruch

Männer > Frauen, links > rechts

Meist junge, sportlich-aktive Patienten

Indirektes Trauma

Gewalteinwirkung auf das Schultergelenk

Seltener Sturz auf den ausgestreckten Arm

Direktes Trauma

Bspw. durch einen Schlag, Stoss, Anprall,

Schuss

Müller-Mai, Ekkernkamp: Frakturen auf einen Blick. Springer 2015, ISBN: 978-3-642-27428-2.

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Epidemiologie und Ätiologie

6 Quelle: Amboss

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Diagnostik der Claviculafraktur: apparative Diagnostik

7 Quelle: AO Surgery

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Absolute Indikationen zur operativen Behandlung

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Offene Frakturen, drohende Perforation,

Nerven- und Gefässverletzungen

Floating Shoulder

Kettenverletzung der betroffenen Extremität

Verkürzung > 1.5 – 2cm

Dislokation ab Schaftbreite, Trümmerfraktur

Symptomatische Nonunion/Malunion

Para- und Tetraplegiker

Quelle: Blaubuch LUKS

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Relative Indikationen zur operativen Behandlung

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Starke Knickbildung (>25°)

Leistungssportler

Beidseitige Frakturen

Polytraumatisierter Patient

Wunsch nach symmetrischem Schultergürtel

Quelle: Blaubuch: www.luot.ch

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Postoperatives Prozedere

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Ruhigstellung für 2 Tage

Röntgenkontrolle mit klinisch und radiologischer Verlaufskontrolle

postoperativ, sowie nach 6, 12 Wochen und 1 Jahr postop

Wundkontrollen

Fadenentfernung 12-14 Tage postop

Keine Belastung für 6 Wochen

Bewegung nur bis zur Horizontalen, physiotherapeutisch assistiert

Körperliche Arbeit frühestens wieder nach 3 Monaten

Entfernung des Materials nicht obligat, frühestens nach 12-18

Monaten

Quelle: Blaubuch: www.luot.ch

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Ökonomische Gesichtspunkte

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Initiale Kosten für ein operatives Vorgehen höher als bei

konservativem Vorgehen

jedoch kompensiert durch weniger Verdienstausfall in der operative

Gruppe

Berechnet man jedoch die Möglichkeit einer notwendigen Entfernung

des Osteosynthesematerials im Verlauf mit ein (bis zu 53%), besteht

in beiden Gruppen rein ökonomisch gesehen kein Kostenvorteil

P.L. Althausen, et al.: Clinical and financial comparison of operative and nonoperative treatment of displaced clavicle fractzres.

J Shoulder Elbow Surg (2013) 22, 608-611.

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Fallvorstellung:

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34-jähriger Patient, Sturz mit dem MTB beim

Downhillbiken. Ein Helm wurde getragen,

keine Bewusstlosigkeit, keine

Commotiozeichen. Immobilisierende

Schmerzen in der linken Schulter. Deutlich

sichtbare Fehlstellung und Druckdolenz im

Bereich der linken Clavicula.

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Fallvorstellung:

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Offene Frakturen, drohende Perforation,

Nerven- und Gefässverletzungen

Floating Shoulder

Kettenverletzung der betroffenen Extremität

Verkürzung > 1.5 – 2cm

Dislokation ab Schaftbreite, Trümmerfraktur

Symptomatische Nonunion/Malunion

Para- und Tetraplegiker

Indikation zur operativen Versorgung

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Fallvorstellung:

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Fallvorstellung:

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25-järhiger Patient; beim Fussballspielen mit

dem Gegenspieler kollidiert. Sofortige

immobilisierende Schmerzen.

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Fallvorstellung:

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Offene Frakturen, drohende Perforation,

Nerven- und Gefässverletzungen

Floating Shoulder

Kettenverletzung der betroffenen Extremität

Verkürzung > 1.5 – 2cm

Dislokation ab Schaftbreite, Trümmerfraktur

Symptomatische Nonunion/Malunion

Para- und Tetraplegiker

Indikation zur operativen Versorgung

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Fallvorstellung:

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Diagnose:

Polytrauma nach Velosturz am 02.03.2021 mit/bei:

• Flail Chest bei Rippenserienfraktur der zweiten bis 8. Rippe rechts mit Stückfrakturen der 5. bis

7. Rippe.

• Pneumothorax mit ausgeprägtem Weichteilemphysem rechts mit Ausdehnung von infraaurikulär

bis auf Höhe der Spina iliaca anterior.

• Clavicula- und Scapulakorpusfraktur rechts

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Viele «Kleine Frakturen»

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«Humeruskopffraktur»

18.03.2021

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Epidemiologie

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Ca. 5,7 % aller Frakturen

Inzidenz steigend

Dritthäufigste Osteoporose-assoziierte Fraktur

Risikofaktoren:

Alter > 65 Jahre

Weibliches Geschlecht (ca. 3:1)

Junge Männer (Hochenergietrauma)

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Muskelzug bestimmt Fehlstellung

Blutversorgung kommt von medial

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Hertel, R., et al.,. J Shoulder Elbow Surg, 2004.

<8mm

>2mm

Positiv prädiktiver Wert:

Calcar <8mm: 0,77

Verschiebung medialer Hinge > 2mm: 0,83

Risikofaktoren Humeruskopfnekrose

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Klassifikationen

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Verstehen der Fraktur

Beinflusst Behandlungskonzept

Morphologiebasiert

Biologiebasiert

Pathomechanikbasiert

Outcomebasiert

Berücksichtigt alle Frakturtypen

Reproduzierbar

Codman 1934

Neer 1970

AO 1990

Hertel 2004

Edelson 2004

Resch 2011

HGLS (Sandow) 2013

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Codman Neer AO

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4 Fragmente:

definiert durch

Epiphysenfugen

Fragment:

> 1cm Dislokation

> 45⁰

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Praktikabilität im Alltag?

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Siebenrock, K.A. and C. Gerber,

J Bone Joint Surg Am, 1993.

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Neue 3D Klassifikation

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Analog Codman / Hertel

Inter- / intraobserver gut / sehr gut

Validierung nur durch Autoren

CT-Indikation grosszügig !

Sukthankar A et al, JSES 2013

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• Trauma-Serie (true a.-p., axial, Y-Aufnahme)

• Axiale Velpeau-Aufnahme

• Stabilitätsprüfung durch BV:

– Sitzender Patient,

– BV horizontal,

– ARO 60°

Kopf dreht bei stabilen Frakturen mit

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Evidenced based treatment?

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Cochrane Library 2015: Level 1

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Undislozierte Frakturen:

Frühe Physiotherapie bei konservativer Therapie :

weniger Schmerz

schnellere Rekonvaleszenz

Dislozierte Frakturen

Operative vs. konservative Therapie

keine Unterschiede bzgl. Schmerz und

Funktion

Oft zweite OP nötig

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Warum operieren wir trotzdem ??

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40 % operiert….

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Warum operieren wir trotzdem ??

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EBM:

klinische und statistische Heterogenität

Heterogenität bildet nicht den klinischen Alltag ab

Klinische Erfahrung

Wenig Erfahrung bez. natural history

Anspruchshaltung älterer Patienten an Selbständigkeit etc.

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Therapieentscheid

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Konservativ

Nicht oder minimal disloziert Ältere Patienten mit Vorerkrankungen

+ sehr wenig Anspruch

Operativ

Hoher Anspruch / Aktiv: > 0.5 cm oder > 40-45 º

Alterstrauma-Patienten Schmerzen Kurzfristig Vorteile (Rollator) Alltag leben

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Therapie konservativ

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Gilchrist (Mitella o.ä.):

2 Wochen

Event. Hypomochlion

Physio:

2. Woche horizontale Hängelage

3-4 Woche aktiv assistiv

7. Woche resistiv

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2 part

1 W 12 W

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Operative Methoden

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Gelenkerhaltende Antegrade proximale Nagelsysteme

Winkelstabiles Plattensystem

Offen versus MIPO

Gelenkersatz Hemiarthroplastik

Reversed Prothese

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Die winkelstabilen Implantate erreichen eine gute Stabilität,

sind aber weiterhin mit einer hohen Komplikationsrate verbunden

Owsley&Gorczyca (JBJS, 2008)

Ergebnis wird durch korrekte Einheilung Tuberkula bestimmt

Inklination und Torsion Varusfrakturen sekundäres Abrutschen,

Impingement und Schraubenperforation

Reoperationsrate bis zu 30% (Fjalestad

2010, Olerud 2011)

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Rekonstruktion oder prothetische Versorgung?

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Abhängig von Frakturmorphologie (schalenförmiges Kalottenfragment, Head-Split

Frakturen, Humeruskopfimpression, kurzes Calcarfragment)

Knochenqualität

Biologischem Alter

Anspruch des Patienten

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Problem: Osteosynthese

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Mobilisation von Belastbarkeit abhängig

Bei Osteosynthesen (und Hemiprothesen) teilweise längere Ruhigstellung erforderlich

akute und langfristige Einschränkung der Funktion / ADL („Activities of Daily Living“)

Bei Abhängigkeit von Gehhilfen ggf. sogar Verlust der Gehfähigkeit

Verfahrenswechsel bei gescheiterter Osteosynthese oder Hemiprothese sind absolute

Hochrisikoeingriffe für geriatrische Patienten

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Problem: Hemiprothese

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• Hemiprothese löst diese Probleme nicht zufriedenstellend:

• längere Ruhigstellung erforderlich

• wesentlich von der knöchernen Einheilung der Tuberkulafragmente abhängig

• Belastung (z. B. am Rollator) nicht möglich.

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49 Frau Sch., 79 Jahre

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Frau Sch., 79 Jahre

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Die Lösung (chirurgisch, ethisch-sozial)

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Inverse TEP vorteilhaft (geriatr.

Patienten):

Post OP Ruhigstellung nicht erforderlich

Knöcherne Einheilung der Tuberkula

nicht Voraussetzung für den

Heilungserfolg

Zuverlässig zumindest

zufriedenstellende Alltagsfunktion

Mobilisation am Rollator möglich Rotationszentrum medialisiert

Humerus distalisiert

Verlängerung M. deltoideus

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Entscheidungsfindung

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Alter

Comorbiditäten Bedarf

Bone Stock

Vaskularität Klinische Erfahrung

Kommunikation