Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie; Clinical evidence for metabolic surgery;

5
Chirurg 2014 · 85:952–956 DOI 10.1007/s00104-014-2797-8 Online publiziert: 16. Oktober 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 J.D. Senft · A.T. Billeter · L. Fischer · B.P. Müller-Stich Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universität Heidelberg Klinische Evidenz der  metabolischen Chirurgie Die metabolische Wirkung bariatri- scher Operationen, d. h. das Poten- zial, adipositasassoziierte Komorbi- ditäten wie Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie und Dyslipidä- mie in Remission zu bringen, ist be- kannt und bei Patienten mit Adipo- sitas Grad III (Body-Mass-Index [BMI] >40 kg/m 2 ) als evident zu betrach- ten (Evidenzklasse IA; [1]). Vor diesem Hintergrund wurden metabolische Operationen in den letzten 10 Jahren zunehmend bei Patienten mit Adipo- sitas Grad I (BMI 30–35 kg/m 2 ) und Adipositas Grad II (BMI 35–40 kg/m 2 ) durchgeführt. Die aktuellen S3-Leitlinien der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) empfehlen die Durchführung metabolischer Eingrif- fe ab einer Adipositas Grad II (BMI ≥35 und <40 kg/m 2 ), wenn gleichzeitig eine metabolische Begleiterkrankung besteht. Sowohl die Leitlinien der DAG als auch die amerikanischen Leitlinien empfehlen die Durchführung einer metabolischen Operation in Sonderfällen bei Patienten mit einem BMI zwischen 30 und 35 kg/m 2 bei gleichzeitigem Vorliegen einer thera- pierefraktären diabetischen Stoffwechsel- lage bei Diabetes mellitus Typ 2. Die Indi- kation für metabolische Operationen bei Adipositas Grad I wird aktuell aufgrund der unzureichenden Datenlage diskutiert. In den letzten 5 Jahren wurden allerdings einige methodisch hochwertige klinische Studien veröffentlicht, die eine Bewertung der Wirksamkeit metabolischer Operatio- nen im Vergleich zur konservativen The- rapie bei Adipositas Grad I ermöglichen [2–4]. Die Evidenz für metabolische Ope- rationen bei Adipositas I und Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 2 ist von be- sonderer klinischer Relevanz, da der Häu- figkeitsgipfel der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 im BMI-Bereich zwischen 30 und 35 kg/m 2 liegt [5]. Aktuelle Datenlage In den letzten Jahren wurden mehrere kli- nische kontrollierte Studien publiziert [6], darunter auch 7 randomisiert kontrollier- te Studien (RCTs), welche die Wirksam- keit metabolischer Operationen bei Pa- tienten mit Adipositas Grad I und Grad II untersuchten (. Tab. 1). Der Nachbeob- achtungszeitraum dieser Studien lag zwi- schen 12 und 36 Monaten. Die Studie von Schauer et al. untersuchte mit 150 diabeti- schen Patienten das größte Kollektiv und hatte mit 36 Monaten das längste Follow- up. Die Patientenkollektive von Liang et al. und Wentworth et al. enthielten als ein- zige ausschließlich Patienten mit Adiposi- tas Grad I. Die Studien von Schauer et al. [7], Ikramuddin et al. [4] und Dixon et al. [2] untersuchten neben Patienten mit Adi- positas Grad I–II auch Patienten mit Adi- positas Grad III. Die konservative Thera- pie umfasste in allen Studien ein indivi- duelles und leitlinienkonformes multimo- dales Behandlungskonzept bestehend aus medikamentöser Therapie und Maßnah- men zur Lebensstilmodifikation und Ge- wichtsreduktion [8]. Einfluss auf BMI Alle 7 RCTs zeigten eine stärkere Ge- wichtsabnahme nach metabolischen Ein- griffen im Vergleich zur konservativen Therapie [2, 4, 7, 9–12]. In den genann- ten Studien ergab sich eine Reduktion des BMI um 4,0–9,1 kg/m 2 im Vergleich zu 0–2,7 kg/m 2 nach konservativer The- rapie. Der mittlere BMI lag postoperativ bei 25,0–29,5 kg/m 2 , d. h. der durch meta- bolische Eingriffe bewirkte Gewichtsver- lust führt auch bei Patienten in niedri- gen BMI-Klassen (25–35 kg/m 2 ) nicht zu einer Abnahme unter das Normgewicht. Einfluss auf Diabetes mellitus Typ 2 Der prozentuale Anteil der Patienten, die eine Remission des Diabetes mellitus Typ 2 nach operativer Therapie erreichten, lag in diesen Studien bei 31–90% im Vergleich zu 0–20% nach konservativer Therapie. Betrachtet man die Studien mit Patien- tenkollektiven, die ausschließlich Patien- ten mit Adipositas Grad I untersuchten, so lag die Remissionsrate nach metabo- lischer Chirurgie bei 53–90% verglichen mit 0–8% nach konservativer Therapie [9, 10]. In der Studie mit dem größten Patien- tenkollektiv (Schauer et al. [7]) erreichten nach 36 Monaten 38% (18/48) der Patien- ten nach Magenbypass und 24% (12/49) der Patienten nach Sleeve-Gastrektomie verglichen mit 2% (5/40) der konservativ therapierten Patienten den primären End- punkt der Remission (HbA 1c <6,0%). Zu beachten ist, dass die Remission des Dia- betes in den verschiedenen RCTs nicht einheitlich definiert wurde. In allen Stu- dien wurde das Erreichen eines HbA 1c - Zielwertes gefordert, der zwischen 6,0 und 7,0% liegt. Alle Studien mit Ausnah- me jener von Ikramuddin et al. [4]und Halperin et al. [12] verlangten für das Er- Leitthema 952 | Der Chirurg 11 · 2014

Transcript of Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie; Clinical evidence for metabolic surgery;

Page 1: Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie; Clinical evidence for metabolic surgery;

Chirurg 2014 · 85:952–956DOI 10.1007/s00104-014-2797-8Online publiziert: 16. Oktober 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J.D. Senft · A.T. Billeter · L. Fischer · B.P. Müller-StichKlinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universität Heidelberg

Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie

Die metabolische Wirkung bariatri-scher Operationen, d. h. das Poten-zial, adipositasassoziierte Komorbi-ditäten wie Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie und Dyslipidä-mie in Remission zu bringen, ist be-kannt und bei Patienten mit Adipo-sitas Grad III (Body-Mass-Index [BMI] >40 kg/m2) als evident zu betrach-ten (Evidenzklasse IA; [1]). Vor diesem Hintergrund wurden metabolische Operationen in den letzten 10 Jahren zunehmend bei Patienten mit Adipo-sitas Grad I (BMI 30–35 kg/m2) und Adipositas Grad II (BMI 35–40 kg/m2) durchgeführt.

Die aktuellen S3-Leitlinien der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) empfehlen die Durchführung metabolischer Eingrif-fe ab einer Adipositas Grad II (BMI ≥35 und <40 kg/m2), wenn gleichzeitig eine metabolische Begleiterkrankung besteht. Sowohl die Leitlinien der DAG als auch die amerikanischen Leitlinien empfehlen die Durchführung einer metabolischen Operation in Sonderfällen bei Patienten mit einem BMI zwischen 30 und 35 kg/m2 bei gleichzeitigem Vorliegen einer thera-pierefraktären diabetischen Stoffwechsel-lage bei Diabetes mellitus Typ 2. Die Indi-kation für metabolische Operationen bei Adipositas Grad I wird aktuell aufgrund der unzureichenden Datenlage diskutiert. In den letzten 5 Jahren wurden allerdings einige methodisch hochwertige klinische Studien veröffentlicht, die eine Bewertung der Wirksamkeit metabolischer Operatio-nen im Vergleich zur konservativen The-rapie bei Adipositas Grad I ermöglichen [2–4]. Die Evidenz für metabolische Ope-

rationen bei Adipositas I und Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 2 ist von be-sonderer klinischer Relevanz, da der Häu-figkeitsgipfel der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 im BMI-Bereich zwischen 30 und 35 kg/m2 liegt [5].

Aktuelle Datenlage

In den letzten Jahren wurden mehrere kli-nische kontrollierte Studien publiziert [6], darunter auch 7 randomisiert kontrollier-te Studien (RCTs), welche die Wirksam-keit metabolischer Operationen bei Pa-tienten mit Adipositas Grad I und Grad II untersuchten (. Tab. 1). Der Nachbeob-achtungszeitraum dieser Studien lag zwi-schen 12 und 36 Monaten. Die Studie von Schauer et al. untersuchte mit 150 diabeti-schen Patienten das größte Kollektiv und hatte mit 36 Monaten das längste Follow-up. Die Patientenkollektive von Liang et al. und Wentworth et al. enthielten als ein-zige ausschließlich Patienten mit Adiposi-tas Grad I. Die Studien von Schauer et al. [7], Ikramuddin et al. [4] und Dixon et al. [2] untersuchten neben Patienten mit Adi-positas Grad I–II auch Patienten mit Adi-positas Grad III. Die konservative Thera-pie umfasste in allen Studien ein indivi-duelles und leitlinienkonformes multimo-dales Behandlungskonzept bestehend aus medikamentöser Therapie und Maßnah-men zur Lebensstilmodifikation und Ge-wichtsreduktion [8].

Einfluss auf BMI

Alle 7 RCTs zeigten eine stärkere Ge-wichtsabnahme nach metabolischen Ein-griffen im Vergleich zur konservativen

Therapie [2, 4, 7, 9–12]. In den genann-ten Studien ergab sich eine Reduktion des BMI um 4,0–9,1 kg/m2 im Vergleich zu 0–2,7 kg/m2 nach konservativer The-rapie. Der mittlere BMI lag postoperativ bei 25,0–29,5 kg/m2, d. h. der durch meta-bolische Eingriffe bewirkte Gewichtsver-lust führt auch bei Patienten in niedri-gen BMI-Klassen (25–35 kg/m2) nicht zu einer Abnahme unter das Normgewicht.

Einfluss auf Diabetes mellitus Typ 2

Der prozentuale Anteil der Patienten, die eine Remission des Diabetes mellitus Typ 2 nach operativer Therapie erreichten, lag in diesen Studien bei 31–90% im Vergleich zu 0–20% nach konservativer Therapie. Betrachtet man die Studien mit Patien-tenkollektiven, die ausschließlich Patien-ten mit Adipositas Grad I untersuchten, so lag die Remissionsrate nach metabo-lischer Chirurgie bei 53–90% verglichen mit 0–8% nach konservativer Therapie [9, 10]. In der Studie mit dem größten Patien-tenkollektiv (Schauer et al. [7]) erreichten nach 36 Monaten 38% (18/48) der Patien-ten nach Magenbypass und 24% (12/49) der Patienten nach Sleeve-Gastrektomie verglichen mit 2% (5/40) der konservativ therapierten Patienten den primären End-punkt der Remission (HbA1c <6,0%). Zu beachten ist, dass die Remission des Dia-betes in den verschiedenen RCTs nicht einheitlich definiert wurde. In allen Stu-dien wurde das Erreichen eines HbA1c-Zielwertes gefordert, der zwischen 6,0 und 7,0% liegt. Alle Studien mit Ausnah-me jener von Ikramuddin et al. [4]und Halperin et al. [12] verlangten für das Er-

Leitthema

952 |  Der Chirurg 11 · 2014

Page 2: Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie; Clinical evidence for metabolic surgery;

reichen einer Remission ein Absetzen der antidiabetischen Medikation.

Eine glykämische Kontrolle, d. h. einen HbA1c-Zielwert von <7%, erreichten in diesen Studien 65–91% der Patienten nach metabolischer Chirurgie im Vergleich zu 21–60% nach konservativer Therapie. Auch im Hinblick auf die Definition der glykämischen Kontrolle bestand eine He-terogenität des geforderten HbA1c-Wer-tes, der sich in den verschieden Studien zwischen 6,0 und 7,0% bewegte. Die Re-duktion des HbA1c-Wertes am Ende des Nachuntersuchungszeitraumes lag in die-sen Studien bei 1,0–2,0% nach metaboli-scher Chirurgie gegenüber 0–1,0% nach konservativer Therapie. Alle Studien zeig-ten nach metabolischen Eingriffen eine signifikante Reduktion der notwendigen antidiabetischen Medikation.

Einfluss auf Diabetes-assoziierte Folgeerkrankungen

Schauer et al. [7] konnten nach 36 Mo-naten eine prozentuale Reduktion der re-nalen Albuminausscheidung um 40,0% nach Roux-Y-Magenbypass und 52,4% nach Sleeve-Gastrektomie verglichen mit 8,6% nach konservativer Therapie nach-weisen. Darüber hinaus zeigten auch ver-schiedene nicht kontrollierte Studien die Wirksamkeit metabolischer Operationen

bei weiteren Diabetes-assoziierten Folge-erkrankungen wie der diabetischen Reti-nopathie oder Polyneuropathie. In einer Kohortenstudie von Thomas et al. [13] zeigte sich bei 5 von 14 Patienten mit prä-operativ bestehender diabetischer Reti-nopathie eine Regression des ophthalmo-skopischen Befundes. Allerdings wurde bei 2 Patienten mit schwerer Retinopat-hie und bei einem Patienten mit präpro-liferativer Retinopathie eine Progression beobachtet.

»  Diabetes-assoziierte Polyneuropathie wird durch RYGB positiv beeinflusst 

Unsere Arbeitsgruppe konnte in einer Ko-hortenstudie, die 20 Patienten mit insu-linpflichtigem Diabetes mellitus Typ 2 bei Adipositas Grad I bis II einschloss, eine Verbesserung der Diabetes-assoziierten Polyneuropathie nach Roux-Y-Magen-bypass zeigen. Sechs Monate nach Ope-ration konnten bei 67,0% (8/12) der Pa-tienten, die präoperativ an einer klinisch manifesten Polyneuropathie litten, kei-ne Neuropathiesymptome mehr nachge-wiesen werden [14]. Zum aktuellen Zeit-punkt gibt es allerdings keine publizier-te, klinische kontrollierte Studie, welche die Wirksamkeit von metabolischen Ein-

griffen bei diabetischer Retinopathie oder Polyneuropathie vergleichend mit der konservativen Therapie darstellt.

Einfluss auf arterielle Hypertonie

Die Studie von Dixon et al. zeigte nach 24 Monaten eine Reduktion der Patien-ten mit antihypertensiver Medikation um 70% (14/20) nach Magenband im Ver-gleich zu 0% (0/26) nach konservativer Therapie. In der Studie von Ikramuddin et al. [4] konnte kein signifikanter Unter-schied hinsichtlich einer Remission der arteriellen Hypertonie nachgewiesen wer-den. Zu bemerken ist hierbei allerdings, dass Ikramuddin et al. das Erreichen eines systolischen Blutdruckwertes <130 mmHg unabhängig von der Notwendigkeit anti-hypertensiver Medikation bewerteten.

Einfluss auf Dyslipidämie

In den Studien von Schauer et al. [7] und Dixon et al. [2] konnte nach metaboli-scher Chirurgie eine signifikante Reduk-tion des Bedarfs an lipidsenkenden Me-dikamenten gezeigt werden. In der Stu-die von Schauer et al. konnte der Anteil der Patienten mit Bedarf an Lipidsenkern nach 36 Monaten um 63% (26/41) nach Roux-Y-Magenbypass und 47% (18/38) nach Sleeve-Gastrektomie verglichen mit

Tab. 1  Randomisiert kontrollierte Studien zu metabolischer Chirurgie vs. leitliniengerechter konservativer Therapie bei Adipositas Grad I und II

Autor Jahr N NUZ  BMI Outcome Glykämische  Kontrolle 

HbA1c Remission AHT  Remission Dyslipdiämie 

(Monate) (%) (%) (%) (%)

Courcoulas et al. [11]

2014 69 12 35,6±3,1 RYGB k.A. k.A. 25 (3/12) 50 (7/14)

Magenband k.A. k.A. 46 (6/13) 25 (4/16)

Konservativ k.A. k.A. 0 (0/16) 0 (0/15)

Halperin  et al. [12]

2014 43 12 36,3±3,5 RYGB 79 (15/19) k.A. k.A. k.A.

Konservativ 21 (4/19) k.A. k.A. k.A.

Schauer  et al. [7]

2014 150 36 36,7±3,4 RYGB 65 (31/48) 6,7±1,3 k.A. 63 (26/41)

Schlauchmagen 65 (32/49) 7,0±1,3 k.A. 47 (18/38)

Konservativ 40 (16/40) 8,4±2,2 k.A. 0 (1/34)

Wentworth et al. [10]

2014 51 24 29,0±1,0 Magenband 91 (21/23) 6,1±1,0 k.A. k.A.

Konservativ 60 (15/25) 7,3±1,4 k.A. k.A.

Ikramuddin et al. [4]

2013 120 12 34,6±3,1 RYGB 75 (43/57) 6,3±0,9 78 (32/41) 69 (27/39)

Konservativ 32 (18/57) 7,8±1,5 72 (32/44) 61 (25/41)

Liang  et al. [9]

2013 108 12 30,4±1,4 RYGB k.A. 6,0±3,0 k.A. k.A.

Konservativ k.A. 7,1±0,3 k.A. k.A.

Dixon  et al. [2]

2008 60 24 37,1±2,6 Magenband 83 (24/29) 6,0±0,8 70 (14/20) 67 (8/12)

Konservativ 23 (6/26) 7,2±1,4 0 (0/15) 13 (1/8)AHT Arterielle Hypertonie, BMI Body-Mass-Index, k.A. keine Angabe, N Anzahl der Patienten, NUZ Nachbeobachtungszeitraum, RYGB „Roux-en-Y gastric bypass“.

953Der Chirurg 11 · 2014  | 

Page 3: Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie; Clinical evidence for metabolic surgery;

2,5% (1/40) nach konservativer Therapie reduziert werden. Die Studie von Dixon et al. zeigte nach 24 Monaten eine Reduktion um 67% (8/12) nach Magenband vergli-chen zu 13% (1/8) nach konservativer The-rapie. Darüber konnte in 6 RCTs ein stär-kerer Abfall der Triglyzeridwerte und ein höherer Anstieg des HDL („high density lipoproteine“) -Cholesterins nach meta-bolischer Chirurgie nachgewiesen wer-den [2, 4, 7, 9, 8, 9, 10, 11]. Zwischen den genannten Studien bestand allerdings eine Heterogenität hinsichtlich der Definition der Dyslipidämie und des Therapieziels.

Schlussfolgerung

Die Vorteile der metabolischen Chirur-gie im Vergleich zur leitliniengerechten konservativen Therapie hinsichtlich gly-kämischer Kontrolle und Remission von arterieller Hypertonie und Dyslipidä-mie können für Patienten mit Adipositas ≥ Grad II im kurzfristigen Verlauf (12–36 Monate) als gesichert betrachtet wer-den. Gleichermaßen bestätigte eine eige-ne Metaanalyse aller zurzeit verfügba-ren kontrollierten Studien, die Patienten mit Adipositas Grad I einschlossen, die Überlegenheit der metabolischen Chir-urgie gegenüber der konservativen The-rapie [6]. Darüber hinaus haben metabo-lische Eingriffe das Potenzial, Diabetes-assoziierte Folgeerkrankungen wie Reti-no-, Nephro- und Polyneuropathie posi-tiv zu beeinflussen (. Tab. 2). Wie die Er-gebnisse der Studien von Dixon et al. [2] und Wentworth et al. [10] zeigten scheint neben dem Roux-Y-Magenbypass und der Sleeve-Gastrektomie auch ein rein re-striktiv wirksamer Eingriff wie das Ma-genband eine metabolische Wirkung zu haben.

Ausblick

Eine chirurgische Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 und assoziierter Begleit-erkrankungen kann nur dann als gerecht-fertigt erachtet werden, wenn die günsti-ge metabolische Wirkung die chirurgische Morbidität und das Komplikationsrisiko überwiegen. Für diese Abwägung sind Langzeitdaten von großer Relevanz, da der Vorteil einer chirurgischen Therapie hinsichtlich der Langzeitfolgen des Dia-

betes mellitus Typ 2 anhand der aktuellen Datenlage vermutet werden kann, aber bisher nicht bewiesen wurde. Anderer-seits bestätigt sich auch bei Patienten mit Adipositas Grad I und II die bei bariatri-schen Eingriffen bereits beobachtete Ten-denz, dass einige Patienten mit anfängli-cher Remission im Langzeitverlauf erneut an Diabetes mellitus erkranken [7, 15].

»  Die DiaSurg-2-Studie untersucht metabolische Chirurgie im Langzeitverlauf

Mit dem Ziel, die metabolische Chirur-gie bei Patienten mit Übergewicht und höchstens Adipositas Grad I im Lang-zeitverlauf zu untersuchen, wurde in Hei-delberg die DiaSurg-2-Studie initiiert. Es

Zusammenfassung · Abstract

Chirurg 2014 · 85:952–956   DOI 10.1007/s00104-014-2797-8© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J.D. Senft · A.T. Billeter · L. Fischer · B.P. Müller-Stich

Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie

ZusammenfassungDie metabolische Wirkung bariatrischer Ope-rationen ist bekannt und bei Patienten mit Adipositas Grad III (BMI >40 kg/m2) als evi-dent zu betrachten. In den letzten Jahren wurden metabolische Operationen zuneh-mend bei Patienten mit Adipositas Grad II (BMI 35–40 kg/m2) und Adipositas Grad I (BMI 30–35 kg/m2) durchgeführt. Die Indika-tion für metabolische Operationen bei Adi-positas Grad I ist aufgrund der bis zuletzt un-zureichenden Datenlage Gegenstand aktuel-ler Diskussionen. In den letzten 5 Jahren wur-den allerdings einige methodisch hochwer-tige klinische randomisiert kontrollierte Stu-dien veröffentlicht, die eine Bewertung der Wirksamkeit metabolischer Operationen im Vergleich zur konservativen Therapie bei Adi-positas Grad I ermöglichen. Auf Grundlage dieser Daten kann die Effizienz der metaboli-schen Chirurgie im Vergleich zur leitlinienge-rechten konservativen Therapie im kurzfristi-

gen Follow-up (12–36 Monate) für Patienten mit Adipositas Grad I und II als gesichert be-trachtet werden. Neben einer verbesserten glykämischen Kontrolle und einer Remission des Diabetes haben metabolische Eingriffe auch das Potenzial, Diabetes-assoziierte Fol-geerkrankungen wie die diabetische Retino-pathie, Nephropathie und Polyneuropathie und Komorbiditäten wie arterielle Hyperto-nie und Dyslipidämie positiv zu beeinflussen. Zukünftige klinische kontrollierte Studien sollten die langfristige Wirkung der metabo-lischen Chirurgie (>36 Monate), die Patien-tenselektion und die Verfahrenswahl adres-sieren.

SchlüsselwörterBariatrische Chirurgie · Adipositas · Diabetes mellitus Typ 2 · Arterielle Hypertonie · Dyslipidämie

Clinical evidence for metabolic surgery

AbstractThe metabolic effect of bariatric surgery is well-established and is considered to be self-evident in morbidly obese patients with a body mass index (BMI) >40 kg/m2. Metabol-ic surgery performed on patients with obesi-ty grades II (BMI 35–40 kg/m2) and I (BMI 30–35 kg/m2) according to the World Health Or-ganization (WHO) has increased in recent years; however, the indications for metabol-ic surgery in obesity grades I and II are cur-rently under debate due to insufficient evi-dence. In the last 5 years several highly quali-fied randomized clinical trials have been pub-lished which evaluated the effect of meta-bolic surgery in patients with obesity grades I and II in comparison to conservative thera-py. Based on these data the efficacy of meta-bolic surgery in short-term follow-up (12–36 

months) is unquestionable when compared to conservative therapy according to the cur-rent guidelines. Besides improved glycemic control and remission of diabetes, metabol-ic surgery has the potential to have a positive influence on diabetic complications, such as diabetic retinopathy, nephropathy and poly-neuropathy, as well as on comorbidities, such as arterial hypertension and dyslipidemia. Fu-ture clinical trials should address the long-term (>36 months) effects of metabolic sur-gery, patient selection criteria and choice of procedure.

KeywordsBariatric surgery · Obesity · Type 2 diabetes mellitus · Arterial hypertension · Dyslipidemia

954 |  Der Chirurg 11 · 2014

Page 4: Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie; Clinical evidence for metabolic surgery;

handelt sich hierbei um eine multizent-rische randomisiert kontrollierte Studie mit 400 Diabetes-Patienten, die den Ver-lauf nach Roux-Y-Magenbypass vergli-chen mit alleiniger konservativer Thera-pie über eine Nachbeobachtungszeitraum von 8 Jahren untersucht. Als primärer Endpunkt wird die Langzeitwirkung auf Mortalität und makrovaskuläre Kompli-kationen untersucht, was entscheidend ist für die Bewertung metabolisch chirurgi-scher Verfahren im Vergleich zur konser-vativen Therapie [16]. Weitere gut konzi-pierte klinische Studien sollten die Frage nach geeigneten Selektionskriterien und dem geeignetsten operativen Verfahren klären.

Zusammenfassung

Die metabolische Chirurgie bietet eine effiziente Therapieoption, welche sowohl den Diabetes mellitus Typ 2 auch Diabe-tes-assoziierten Folgeerkrankungen er-fasst. Aktuell zeigt die Datenlage eine Überlegenheit der metabolischen Chirur-gie im Vergleich zur konservativen Thera-pie hinsichtlich der Remission des Diabe-tes mellitus Typ 2, glykämischer Kontrol-le sowie Remission von Komorbiditäten wie arterielle Hypertonie und Dyslipidä-mie über einem Nachuntersuchungszeit-raum von 12 bis 36 Monaten (Evidenzklas-se IA). Nebst der Langzeitwirkung meta-bolischer Eingriffe auf Mortalität und vas-kuläre Komplikationen sollten auch Se-lektionskriterien und die Verfahrenswahl

durch zukünftige, gut konzipierte klini-sche Studien untersucht werden.

Fazit für die Praxis

F  Die aktuelle Datenlage zeigt eine Überlegenheit der metabolischen Chirurgie im Vergleich zur konserva-tiven Therapie hinsichtlich der Remis-sion von Diabetes mellitus Typ 2, gly-kämischer Kontrolle sowie Remis-sion von Komorbiditäten wie arteriel-ler Hypertonie und Dyslipidämie über einen Nachuntersuchungszeitraum von 12 bis 36 Monaten.

F  Metabolische Eingriffe haben das Potenzial, Diabetes-assoziierte Folge-erkrankungen wie die diabetische Re-tinopathie, Nephropathie und Poly-neuropathie positiv zu beeinflussen.

F  Neben dem Roux-Y-Magenbypass und der Sleeve-Gastrektomie scheint auch ein rein restriktiv wirksamer Ein-griff wie das Magenband eine meta-bolische Wirkung zu haben.

F  Zukünftige klinische Studien sollten die Langzeitwirkung metabolischer Eingriffe auf Mortalität und vaskulä-re Komplikationen sowie mögliche Patientenselektionskriterien und die Frage nach dem geeignetsten Opera-tionsverfahren klären.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. B.P. Müller-StichKlinik für Allgemein-, Viszeral-  und Transplantationschirurgie,  Universität Heidelberg,Im Neuenheimer Feld 110, 69120 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  J.D. Senft, A.T. Billeter, L. Fischer und BP. Müller-Stich geben an, dass kein Interessen-konflikt besteht. 

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

  1.  Gloy VL, Briel M, Bhatt DL et al (2013) Bariatric sur-gery versus non-surgical treatment for obesity: a systematic review and meta-analysis of randomi-sed controlled trials. BMJ 347:f5934

  2.  Dixon JB, O’Brien PE, Playfair J et al (2008) Adjusta-ble gastric banding and conventional therapy for type 2 diabetes: a randomized controlled trial. JA-MA 299:316–323. doi:10.1001/jama.299.3.316

  3.  Schauer PR, Kashyap SR, Wolski K et al (2012) Bar-iatric surgery versus intensive medical thera-py in obese patients with diabetes. N Engl J Med 366:1567–1576. doi:10.1056/NEJMoa1200225

  4.  Ikramuddin S, Korner J, Lee W-J et al (2013) Roux-en-Y gastric bypass vs intensive medical manage-ment for the control of type 2 diabetes, hyper-tension, and hyperlipidemia: the Diabetes Surge-ry Study randomized clinical trial. JAMA 309:2240–2249. doi:10.1001/jama.2013.5835

  5.  Bays HE, Chapman RH, Grandy S, SHIELD Investiga-tors‘ Group (2007) The relationship of body mass index to diabetes mellitus, hypertension and dys-lipidaemia: comparison of data from two national surveys. Int J Clin Pract 61:737–747. doi:10.1111/j.1742-1241.2007.01336.x

  6.  Müller-Stich, BP, Senft, JD et al (2014) Surgical ver-sus medical treatment of type 2 diabetes mellitus in non-severely obese patients- A systematic re-view and meta-analysis. Ann Surg (in press)

  7.  Schauer PR, Bhatt DL, Kirwan JP et al (2014) Bar-iatric surgery versus intensive medical thera-py for diabetes – 3-year outcomes. N Engl J Med. doi:10.1056/NEJMoa1401329

  8.  Inzucchi SE, Bergenstal RM, Buse JB et al (2012) Management of hyperglycemia in type 2 diabetes: a patient-centered approach: position statement of the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care 35:1364–1379. doi:10.2337/dc12-0413

  9.  Liang Z, Wu Q, Chen B et al (2013) Effect of lapa-roscopic Roux-en-Y gastric bypass surgery on ty-pe 2 diabetes mellitus with hypertension: a ran-domized controlled trial. Diabetes Res Clin Pract. doi:10.1016/j.diabres.2013.04.005

10.  Wentworth JM, Playfair J, Laurie C et al (2014) Mul-tidisciplinary diabetes care with and without bar-iatric surgery in overweight people: a randomi-sed controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol. doi:10.1016/S2213-8587(14)70066-X

Tab. 2  Wirksamkeit der metabolischen Chirurgie im kurzfristigen Nachuntersuchungszeit-raum (12–36 Monate)

Outcome Stellenwert der  metabolischen Chirurgie

Evidenz-grad

Kriterium für Evidenzgrad

Remission des Typ-2-Diabetes

Überlegenheit gegenüber konservativer Therapie

IA Metaanalyse von randomisiert kontrollierten Studien [6]

Glykämische Kontrolle Überlegenheit gegenüber konservativer Therapie

IA Metaanalyse von randomisiert kontrollierten Studien [6]

Remission arterielle Hypertonie

Überlegenheit gegenüber konservativer Therapie

IA Metaanalyse von randomisiert kontrollierten Studien [6]

Remission  Dyslipidämie

Überlegenheit gegenüber konservativer Therapie

IA Metaanalyse von randomisiert kontrollierten Studien [6]

Diabetische  Nephropathie

Überlegenheit gegenüber konservativer Therapie

IB Gut angelegte randomisiert kontrollierte Studie [7]

Diabetische  Polyneuropathie

Wirksamkeit IIB Gut angelegte Kohortenstudie [14]

Diabetische  Retinopathie

Wirksamkeit IV Fallserie [13]

955Der Chirurg 11 · 2014  | 

Page 5: Klinische Evidenz der metabolischen Chirurgie; Clinical evidence for metabolic surgery;

11.  Courcoulas AP, Goodpaster BH, Eagleton JK et al (2014) Surgical vs medical treatments for type 2 diabetes mellitus: a randomized clinical trial. JAMA Surg. doi:10.1001/jamasurg.2014.467

12.  Halperin F, Ding S-A, Simonson DC et al (2014) Roux-en-Y gastric bypass surgery or lifestyle with intensive medical management in patients with type 2 diabetes: feasibility and 1-year results of a randomized clinical trial. JAMA Surg. doi:10.1001/jamasurg.2014.514

13.  Thomas RL, Prior SL, Barry JD et al (2013) Does bar-iatric surgery adversely impact on diabetic retino-pathy in persons with morbid obesity and type 2 diabetes? A pilot study. J Diabetes Complications. doi:10.1016/j.jdiacomp.2013.10.006

14.  Müller-Stich BP, Fischer L, Kenngott HG et al (2013) Gastric bypass leads to improvement of diabetic neuropathy independent of glucose normalizati-on – results of a prospective cohort study (DiaSurg 1 study). Ann Surg 258:760–765 (discussion 765–766). doi:10.1097/SLA.0b013e3182a618b2

15.  Buchwald H, Estok R, Fahrbach K et al (2009) Weight and type 2 diabetes after bariatric sur-gery: systematic review and meta-analysis. Am J Med 122:248–256.e5. doi:10.1016/j.am-jmed.2008.09.041

16.  Kenngott HG, Clemens G, Gondan M et al (2013) DiaSurg 2 trial – surgical vs. medical treatment of insulin-dependent type 2 diabetes mellitus in pa-tients with a body mass index between 26 and 35 kg/m2: study protocol of a randomized con-trolled multicenter trial – DRKS00004550. Trials 14:183. doi:10.1186/1745-6215-14-183

Kommentieren Sie diesen Beitrag auf springermedizin.de

7 Geben Sie hierzu den Bei-tragstitel in die Suche ein und nutzen Sie anschließend die Kommentarfunktion am Bei-tragsende.

Videobeitrag: Aktuelle OperationstechnikenReichen Sie Ihren Beitrag inkl. Video für Der Chirurg jetzt ein!

springermedizin.de

Im Mittelpunkt des Beitrags steht Ihr Video zu aktuellen Ope-rationstechniken. Es werden bewährte operative Verfahren dargestellt. Neben der Vermittlung aller wichtigen prä-, intra- und postoperativen Details sowie den Hinweisen auf mögliche

Fehler und Gefahren liegt der Schwerpunkt auf einer genauen Darstellung der jeweiligen Operationsschritte im Video.Nutzen Sie das Medium des Videos um komplizierte Vorgehens-weisen leicht verständlich zu präsentieren. Bitte reichen Sie zudem einen kurzen begleitenden Beitrag ein, der die wesent-lichen Punkte des Videos zusammenfasst.

Weitere Informationenzur Einreichung sowie einen detaillierten Autorenleitfaden finden Sie auf www.derchirurg.de

Reichen Sie Ihren Videobeitrag online ein unterwww.editorialmanager.com/dech/

Alle Operationsschritte werden übersichtlich im Detail von Experten erklärt. Die neue Videoreihe finden Sie auf springermedizin.de

956 |  Der Chirurg 11 · 2014

Leitthema