Klinische Gesichtspunkte zur Prognosestellung bei der Lungentuberkulose

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 8. JAHRGANG Nr. 5 29. JANUAR I9~ 0BERSICHTEN. KLINISCHE GESICHTSPUNKTE ZUR PROGNOSE- STELLUNG BEI DER LUNGENTUBERKULOSE. Von Dr. FRANZ REDEKER, Mansfeld. Die Prognosestellung bet der Lungentuberkulose ist schwie- rig und unsicher. Bet ether Erkrankung, die in ihrem Verlauf sehlieglich die gauze Lunge zu zerst6ren pflegt, erscheint eine t3ewertung nach der erreiehten r~umlichei1 Ausdehnung der Ver~llderungen znn~chst als die gegebene und llattirliche. Dem kam entgegell, dab Perkussion und Auscultatioll eine Ab- grenzung dieser Ausdehnung zu gestatten sehienen und dab bereits die erste R611tgell~tra mit ihrell lloeh unvollkommenell Apparaten die Ausdehnung der Verschattungen -- freilich lediglich diese! -- objektiv festlegte. Aber schon TLTRBAN selbst hat seillerzeit bet der Aufstellung seiner bekannten, nach Ausdehllungsgraden orielltierten 3 Tuberkulosestadien be- stimmte AktivitXtszeichen mit angegebell und derell Bertick- sichtigullg verlangt. SpXtere Autoren haben das bet Ver- suchen, die alte Turbeneinteilung zu moderllisieren, in ver- st~rktem Mage getall. In der allgemeinen Praxis gilt eine Bewertullg der gefundellen Tuberkulose nach dell Turban- schen Ausdehnungsgraden immer noch, ulld zwar hat sich der Allgemeillpraktiker vor allem deshalb an sie gew6hllt, weil sie roll den meisten Versicherungstrggern den Einweisungs- richtlinien ftir dell Heilst~ttenantrag zugrullde gelegt wurde und weil nach ihr noch heute die meisten Heilst~tten ihre Befundberichte orielltieren. Von ganz anderen Gesichtspunkten gingen ALBERT FRANKEL und ALBRECHT sowie sp~iter NIKOL aus, als sie die Prognose der Lungentuberkulose auf die diagnostische Unter- scheidung yon exsudativen und produktiven bzw. cirrhoti- schen Tuberkuloseformen aufbauten. Die zu erwartende Ver- laufstendenz des tuberkul6sen Prozesses trat jetzt in den Vordergrund uld wird ftir die Prognose wichtiger als die zur Zeit nachweisbare Ausdehllung. Die exsudative Tuberkulose wurde hierbei zur b6sartigen, die produktive und besonders die produktiv-cirrhotische zur gutartigen Form. Man lernte besonders self C-R~.FF-I~OPFERLEsowie ROMBERG und ULRICI diese Formen, die freilich gallz rein nur selten vorkommen, mit den jetzt vervollkommneten R6ntgenapparaten relativ befriedigend zu differenzierell. Das war zweifellos ftir die Prognosestellung ein sehr grofler ulld fruchtbarer Fortschritt, der aber tiber die Kreise der Fach~rzte eillschlieBlich der Inter- nisten, P~diater und R6ntgenologen hinaus trotz aller Be- mtihungen nicht in die breite praktische Arzteschaft hinein- gedrungen ist. RANK~ dachte beim Aufbau seiner Gedankenwelt, die die gesetz- mXgigen Entwickhangsg~nge des tuberkul6sen Geschehens vom Prim~rherd fiber die Generalisationszeit zur isolierten terti~ren Phthise formte und in Stadien brachte, in keiner Weise all die Prognosestellung. In jedem seiner 3 groBen Stadien kommen sowohl gutartige wie b0sartige Phasen und Formen vor. Dasselbe gilt ffir die Aschoffsche Einteilung nach dell Yeriodeu der PrimXrinfektion und der t~einfektion. Nur LI}CBI~RMEISTt~R hat den Versuch unter- nommen, die Rankesche Dreiteilung so zu modifizieren, dab sie dem prognosestellenden Arzt am Krankenbett als Leitseil dienen kann. Er fagt den~entsprechend unter dem sekund~iren Stadium alle die Tuberkuloseformen zusammen, die rfickbildungsf~thig, also ohne wesentliche Gewebsver~nderungen heilbar shad. Terti~re Tuber- kulosen sind dann die, die bereits zu wesentlichen Gewebsalteratio- nen gefiihrt haben. Diese Einteilung hat sich jedoch weder bet den FachXrzten noch bet den Allgemeinpraktikern einbiirgern k6nnen. Von ganz anderen Gesichtspunkten ging die ausw~rtige, namentlich die franz6sische Tuberkuloseforschung aus. Eine Einteilung naeh Ausdehnungsgraden im Sinne unserer Turban- Klinische Wochensehrift, 8. Jahrg. einteilung hat sie niemals gekanut. Die Rankesche Stadien-" lehre hat sie ebenfalls nicht fibernommen, wohl aber ist ihr die Einteilung llaeh den Periodell der ,,Primoinfektion" und ,,Reinfektion" gel~tufig. Dartiber hinaus habell jedoch bereits im ersten Jahrzehnt des lallfendell Jahrhunderts BARD und PIERRV versucht, lediglich vom klinisch-empirischell Stand- punkt aus und llnter Verwertung diffizilster Perkussion und Auscultation eine groBe Anzahl yon Tuberkuloseformell zu unterscheiden und ffir jede eille besondere Prognosewahr- scheinlichkeit festzulegen. In der deutschen Forschung hat bekanlltlich die Wiener Neumann-Schule diese Bard-Pierry- sche Auffassullg vertreten llnd selbst mit feillster klinischer Beobachtung wetter ausgebaut. Es ist tiberraschend, wie der EillfluB der Turbanschell Einteilullgsprillzipien in Deutschland einerseits und der Bard-Pierryschen in Frankreich anderer- seits zu tiberaus differentell prognostischell Standpunktell und Mal3na.hmen geftihrt hat: Hier dominierende Einwertung des Nachweises yon Spitzenver~nderungen schlechthin, die als Typus des Turballschen Stadiums I den vermeilltlichen Begini1 des Stadiums II und III darstellten, dort weitgehende Vernachlassigullg der Spitzenver~nderungen an sich, die zu- meist als vernarbte Einzelver~nderungen den Typus der ,,abortiven" Tuberkulose darstellen, also als gutartig erkallnt werden, und start dessen die dominierende Bewertung ein- schmelzender Frozesse sowie des t3acillennachweises. Daher in Frankreich Einweisung der einschmelzenden und bacill~rell Formen in die Heilst~tten, in Deutschland jedoch der Turban- schen ersten Stadien, d. i. der isolierten Spitzenver~tnderungen jeglicher Art. W~hrend also ullter der Turbaneinteilung die prognostische Beurteiluug danaeh geht, ob der Ausdeh- nungsgrad I, II oder III erreicht ist, und w~hrend die Dua]i- t~itslehre dem die Frage zuftigt, ob es sich um einen exsudativen oder produktiven Prozeg handelt, fragt die franz6sische ulld Neu-Wiener Schule, ob es sich nm eine ,,abortive" Form oder um einen ,,kongestiven" rtickbildungsf~higen oder mn einen einschmelzenden, insbesondere ,,periscissuritischen" Prozeg handelt. Die neuere deutsche klinische Tuberkuloseforschung. be- rtihrt sich mit der franz6sischen und Neu-Wiener Schule darin, dab sie klinische Sonderformen zu erkennen versucht, doch er- strebt sie dartiber hinaus vom klinisch-empirischell Gesichts- punkt aus unter weitgehellder Verwertung r6ntgenologischer Serienbeobachtung verschiedene tuberkul6se Entwic!dungs- g~inge herauszudifferenzieren, um derart die in der Praxis vorgefulldenen Zustandsbilder als zugeh6rig zu bestimmten Entwicklullgsreihen erkennell zu k6nllen und darauf gesttitzt unter Nlitberticksichtigung aller Aktivit~ttserscheinungen die Prognose aufzubauen. Sie stellt sich damit durchaus llicht ill schroffen Gegensatz zu der alten bzw. modernisierten Turbaneinteilung an sich und noch weniger zur ,,Qualit~ts- diagnose" der Dualit~tslehre, sie ftigt vielmehr die wertvollen Einzelmomellte dieser beiden Anschauungsformen in die iiber- geordnete Betrachtung der Dynamik und Entwicklung der verschiedenen tuberkul6sen Vorgtinge ein. Freilich sind hier- bet einzelne mit der Turbaneinteilung sowie der Dualit~ts- lehre verbundene Vorstellungen unhaltbar geworden. Die Turbansche Einteilung ging davon aus und wird noch heute in der allgemeinen Praxis so verstanden, als ob die Lungenschwindsucht prinzipiell mit einem dem Turban- Stadium I entsprechenden klinischen Erscheinungsbild ein- setze und in allmahlichem chronischen Verlauf tiber das Bild des Stadiums II zu dem des Stadiums III ftihre. Das ist nach ullseren heutigen Kenntnissen keineswegs der Fall. Ganz im Gegenteil ist das Turbansche Stadium I in der grol3en Mehrzahl der Fttlle ein AbschluBbild eines frtiheren Stadiums II oder i3

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 8. J A H R G A N G Nr. 5 29. J A N U A R I 9 ~

0BERSICHTEN. KLINISCHE GESICHTSPUNKTE ZUR PROGNOSE-

STELLUNG BEI DER LUNGENTUBERKULOSE. Von

Dr. FRANZ REDEKER, Mansfeld.

Die Prognosestellung bet der Lungentuberkulose ist schwie- rig und unsicher. Bet ether Erkrankung, die in ihrem Verlauf sehlieglich die gauze Lunge zu zerst6ren pflegt, erscheint eine t3ewertung nach der erreiehten r~umlichei1 Ausdehnung der Ver~llderungen znn~chst als die gegebene und llattirliche. Dem kam entgegell, dab Perkussion und Auscultatioll eine Ab- grenzung dieser Ausdehnung zu gestatten sehienen und dab bereits die erste R611tgell~tra mit ihrell lloeh unvollkommenell Apparaten die Ausdehnung der Verschattungen -- freilich lediglich diese! -- objektiv festlegte. Aber schon TLTRBAN selbst hat seillerzeit bet der Aufstellung seiner bekannten, nach Ausdehllungsgraden orielltierten 3 Tuberkulosestadien be- s t immte AktivitXtszeichen mit angegebell und derell Bertick- sichtigullg verlangt. SpXtere Autoren haben das bet Ver- suchen, die alte Turbeneinteilung zu moderllisieren, in ver- st~rktem Mage getall. In der allgemeinen Praxis gilt eine Bewertullg der gefundellen Tuberkulose nach dell Turban- schen Ausdehnungsgraden immer noch, ulld zwar hat sich der Allgemeillpraktiker vor allem deshalb an sie gew6hllt, weil sie rol l den meisten Versicherungstrggern den Einweisungs- richtlinien ftir dell Heilst~ttenantrag zugrullde gelegt wurde und weil nach ihr noch heute die meisten Heilst~tten ihre Befundberichte orielltieren.

Von ganz anderen Gesichtspunkten gingen ALBERT FRANKEL und ALBRECHT sowie sp~iter NIKOL aus, als sie die Prognose der Lungentuberkulose auf die diagnostische Unter- scheidung yon exsudativen und produktiven bzw. cirrhoti- schen Tuberkuloseformen aufbauten. Die zu erwartende Ver- laufstendenz des tuberkul6sen Prozesses t ra t jetzt in den Vordergrund u l d wird ftir die Prognose wichtiger als die zur Zeit nachweisbare Ausdehllung. Die exsudative Tuberkulose wurde hierbei zur b6sartigen, die produktive und besonders die produktiv-cirrhotische zur gutartigen Form. Man lernte besonders self C-R~.FF-I~OPFERLE sowie ROMBERG und ULRICI diese Formen, die freilich gallz rein nur selten vorkommen, mit den jetzt vervollkommneten R6ntgenapparaten relativ befriedigend zu differenzierell. Das war zweifellos ftir die Prognosestellung ein sehr grofler ulld fruchtbarer Fortschritt , der aber tiber die Kreise der Fach~rzte eillschlieBlich der Inter- nisten, P~diater und R6ntgenologen hinaus trotz aller Be- mtihungen nicht in die breite praktische Arzteschaft hinein- gedrungen ist.

RANK~ dachte beim Aufbau seiner Gedankenwelt, die die gesetz- mXgigen Entwickhangsg~nge des tuberkul6sen Geschehens vom Prim~rherd fiber die Generalisationszeit zur isolierten terti~ren Phthise formte und in Stadien brachte, in keiner Weise all die Prognosestellung. In jedem seiner 3 groBen Stadien kommen sowohl gutartige wie b0sartige Phasen und Formen vor. Dasselbe gilt ffir die Aschoffsche Einteilung nach dell Yeriodeu der PrimXrinfektion und der t~einfektion. Nur LI}CBI~RMEISTt~R hat den Versuch unter- nommen, die Rankesche Dreiteilung so zu modifizieren, dab sie dem prognosestellenden Arzt am Krankenbett als Leitseil dienen kann. Er fagt den~entsprechend unter dem sekund~iren Stadium alle die Tuberkuloseformen zusammen, die rfickbildungsf~thig, also ohne wesentliche Gewebsver~nderungen heilbar shad. Terti~re Tuber- kulosen sind dann die, die bereits zu wesentlichen Gewebsalteratio- nen gefiihrt haben. Diese Einteilung hat sich jedoch weder bet den FachXrzten noch bet den Allgemeinpraktikern einbiirgern k6nnen.

Von ganz anderen Gesichtspunkten ging die ausw~rtige, namentlich die franz6sische Tuberkuloseforschung aus. Eine Einteilung naeh Ausdehnungsgraden im Sinne unserer Turban-

Klinische Wochensehrift, 8. Jahrg.

einteilung hat sie niemals gekanut. Die Rankesche Stadien-" lehre hat sie ebenfalls nicht fibernommen, wohl aber ist ihr die Einteilung llaeh den Periodell der , ,Primoinfektion" und ,,Reinfektion" gel~tufig. Dartiber hinaus habell jedoch bereits im ersten Jahrzehnt des lallfendell Jahrhunderts BARD und PIERRV versucht, lediglich vom klinisch-empirischell Stand- punkt aus und llnter Verwertung diffizilster Perkussion und Auscultation eine groBe Anzahl yon Tuberkuloseformell zu unterscheiden und ffir jede eille besondere Prognosewahr- scheinlichkeit festzulegen. In der deutschen Forschung hat bekanlltlich die Wiener Neumann-Schule diese Bard-Pierry- sche Auffassullg ver t re ten llnd selbst mit feillster klinischer Beobachtung wetter ausgebaut. Es ist tiberraschend, wie der EillfluB der Turbanschell Einteilullgsprillzipien in Deutschland einerseits und der Bard-Pierryschen in Frankreich anderer- seits zu t iberaus differentell prognostischell Standpunktell und Mal3na.hmen geftihrt hat: Hier dominierende Einwertung des Nachweises yon Spitzenver~nderungen schlechthin, die als Typus des Turballschen Stadiums I den vermeilltlichen Begini1 des Stadiums I I und I I I darstellten, dort weitgehende Vernachlassigullg der Spitzenver~nderungen an sich, die zu- meist als vernarbte Einzelver~nderungen den Typus der , ,abortiven" Tuberkulose darstellen, also als gutartig erkallnt werden, und start dessen die dominierende Bewertung ein- schmelzender Frozesse sowie des t3acillennachweises. Daher in Frankreich Einweisung der einschmelzenden und bacill~rell Formen in die Heilst~tten, in Deutschland jedoch der Turban- schen ersten Stadien, d. i. der isolierten Spitzenver~tnderungen jeglicher Art. W~hrend also ullter der Turbaneinteilung die prognostische Beurteiluug danaeh geht, ob der Ausdeh- nungsgrad I, II oder I I I erreicht ist, und w~hrend die Dua]i- t~itslehre dem die Frage zuftigt, ob es sich um einen exsudativen oder produktiven Prozeg handelt, fragt die franz6sische ulld Neu-Wiener Schule, ob es sich nm eine , ,abortive" Form oder um einen ,,kongestiven" rtickbildungsf~higen oder mn einen einschmelzenden, insbesondere ,,periscissuritischen" Prozeg handelt.

Die neuere deutsche klinische Tuberkuloseforschung. be- rtihrt sich mit der franz6sischen und Neu-Wiener Schule darin, dab sie klinische Sonderformen zu erkennen versucht, doch er- strebt sie dartiber hinaus vom klinisch-empirischell Gesichts- punkt aus unter weitgehellder Verwertung r6ntgenologischer Serienbeobachtung verschiedene tuberkul6se Entwic!dungs- g~inge herauszudifferenzieren, um derart die in der Praxis vorgefulldenen Zustandsbilder als zugeh6rig zu bestimmten Entwicklullgsreihen erkennell zu k6nllen und darauf gesttitzt unter Nlitberticksichtigung aller Aktivit~ttserscheinungen die Prognose aufzubauen. Sie stellt sich damit durchaus llicht ill schroffen Gegensatz zu der alten bzw. modernisierten Turbaneinteilung an sich und noch weniger zur ,,Qualit~ts- diagnose" der Dualit~tslehre, sie ftigt vielmehr die wertvollen Einzelmomellte dieser beiden Anschauungsformen in die iiber- geordnete Betrachtung der Dynamik und Entwicklung der verschiedenen tuberkul6sen Vorgtinge ein. Freilich sind hier- bet einzelne mit der Turbaneinteilung sowie der Dualit~ts- lehre verbundene Vorstellungen unhaltbar geworden.

Die Turbansche Einteilung ging davon aus und wird noch heute in der allgemeinen Praxis so verstanden, als ob die Lungenschwindsucht prinzipiell mit einem dem Turban- Stadium I entsprechenden klinischen Erscheinungsbild ein- setze und in allmahlichem chronischen Verlauf tiber das Bild des Stadiums I I zu dem des Stadiums I I I ftihre. Das ist nach ullseren heutigen Kenntnissen keineswegs der Fall. Ganz im Gegenteil ist das Turbansche Stadium I in der grol3en Mehrzahl der Fttlle ein AbschluBbild eines frtiheren Stadiums II oder

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gar III , mit anderen Worten : Die Identifizierung eines klinisch vorgefundenen tuberkul6sen Zustandsbildes als ein bestimm- tes Turbansches Stadium sagt fiber die Entstehung oder gar Weiterentwicklung und damit fiber die Prognose dieses Zu- standsbildes recht wenig oder gar niehts aus.

Zum Beispiel bieten die Frflhstadien der primXren Lungen- haftung in der Kindheit sehr h~ufig das typische Minische Bild eines Turban-Stadiums II oder gar III, mn dann nach erfolgter indura- tiver Umwandlung zum Prim~rkomplex das Bild des Stadiums o oder I zu zeigen. Auch die sp~teren Reaktionen der exacerbierenden Bronchialdriisentuberkulose zeigen oft mehrfach rezidivierend wieder ein Bild des Turban-Stadiums II oder III, um gewShnlich wieder zum Stadium o oder I abzuklingen. ~hnliches gilt ffir viele meta- statische intrapulmonale Formen sowie ffir manche Mndliche Spitzentuberkulosen. Auch der in der Pubertat oder Nachpubert~t zur typischen Phthise ft~hrende Schub des Fr~ihinfiltrates erscheint zun~chst unter dem Minischen Bild des Stadiums II, ~m dann auf das Stadium I zurfickzufallen oder sprunghaft fortzuschreiten. Die Vorstellung, dab der Verlauf der Tuberkulose MlmXhlich in konti- nuierlicher Reihenfolge yore Ausgangsbild o zum Ausdehnungs- grad I, sodann II und III ffihre, mug also fallen gelassen werden. Vielmehr sind fast stets dem Turban-Stadium I ein oder mehrere klinische Zustandsbilder yore Ausdehnungsgrad II oder III voraus- gegangen, wobei such die typischen Aktivit~tszeichen keineswegs gefehlt haben.

Auch der prognostische Satz der Dualit~tslehre, dab die exsudativen Formen b6sartig und die produktiv-cirrhotischen gutartig seien, gilt nut sehr eingeschr~nkt. Wir wissen heute, dal3 die meisten tuberkul6sen Zustandsbilder, die sich klinisch in Form einer exsudativen Entzfindung darstellen, zun~chst gutartig sind, und dab sehr viele yon ihnen auch dauernd tiber- aus gutartig bleiben. Als b6sartig diirfen sie erst dann gelten, wenn es zu erheblicheren zentralen Verk~sungen und Ein- sehmelzungen gekommen ist. Freilich vernarben sie such dann noch h~ufiger, als wir trfiher dachten. Es ist also nicht der Nachweis sines durch Tuberkutose bedingten exsudativ- entzfindlichen Zustandsbildes an sich das ma13gebliche, son- dern die Beantwortung der Frage, ob sich hinter ihm eine Ver- kgsung oder Einschr:lelzung versteckt bzw. ob es zu einer solchen wahrscheinlich noch kommen wird. Andererseits gibt es produktiv-eirrhotische Zustandsbilder, yon denen mit Sieherheit gesagt werden kann, dab sie weiterschreiten und zum Tode ffihren.

Also weder der klinisch erkennbare Ausdehnungsgrad ein- schlieBlich des Nachweises yon Aktivi t~tssymptomen noch der Nachweis klinisch als exsudativ oder produktiv-eirrhotisch sich darstellender Zustandsbilder gestattet uns eine einwand- freie Bewertung des tuberkul6sen Prozesses und damit eine Prognose. Mit diesen Vorstellungen erfassen wit das fiberaus mannigfache klinische Erscheinungsbild des tuberkul6sen Ge- schehens nicht mehr. Wit mi~ssen vielm.ehr versuchen, die ver- schiedenen Entwicldungsg~nge innerhalb des tuberkul6sen Ge- sehehenv klinisch zu erkennen, die einzelnen zugeh6rigen klini- schen Zustandsbilder zu identi]izieren und dam# einer prognosti- schen Beurteilung zug~ngig zu maehen.

Es ist bier nicht m6glich, die bisher differenzierten tuber- kul6sen Entwicklungsg~nge nnd ihre einzelnen Zustandsbilder eingehend zu beschreiben, es mug hierzu auf frfihere Dar- stellungen verwiesen werden. Die diesbezfiglichen Forschnn- gen sind zudem noch in stetem Flug und zum Teil stark um- stritten. Es ist aber f fir die praktische Prognosestellung be- reits sehr viel gewonnen, wenn man sich fiber einige Grund- prinzipien sowie fiber einige besonders wichtige Entwick- lungen und Formen klar ist. Freilieh wollen alle diese Formen zun~chst Iediglich klinisch gesehen und verstanden werden.

Es ist fiberaus schwer, das klinisch und r6ntgenologisch Gesehene in pathMogische Vorstellungen so zu fibersetzen, dab der Pathologe roll befriedigt ist. Der Pathoioge selbst hinwiederum sieht den Vorgang und die sich abrollende EntwicMung nicht auf dem Sek- tionstiseh, er muB sie vielmehr rflckw~rts aus dem Leichenbefund ersehlieBen und rekonstruieren. Umgekehrt ist es gerade so schwer, die exakten Ergebnisse der pathologisch-anatomischen Forschung sowie des pathologisch-mikroskopischen Einzelbefundes in die Klinik und klinische Diagnose zu flbersetzen. Es w~re deshalb zweifellos richtiger, wenn die Klinik ffir die Minisch gesehenen Ent- wicMungs- und Zustandsbilder prinzipiell nur eigene klinische Aus- drficke pr~gen und gebrauchen w5rde. Manche Pathologen vet-

langen das auch, well pathologisch-anatomisch orientierte Aus- driicke des Klinikers entweder nicht zutreffend seien oder doch zumindest nut unbewiesene Deutungen enthielten. Andere Patho- logen fordern jedoeh auch f~r klinische Begriffsbildungen patho- logisch-anatomische Nomenklaturen, well allein diese exakt seien und ohne solche die Zusammenh~nge und die gegenseitige Ver- st~ndigung verlorengingen. Freilich setzen sie dann doch mit der Kritik an diesen Ausdriicken ein. Es ist derart ft~r den Kliniker sehr schwer, es immer Mien reeht zu machen, wenn er seine Befunde und beobachteten EntwickIungen beschreiben will. Was im folgen- den gesagt wbd, ist deshalb tediglich Minisch zu verstehen und will keinerlei pathologisch-anatomische Feststellungen pr~judizieren.

Es ist wie gesagt ein allgemeingi~ltiges Gesetz, dab der Ablau] der Tuberkulose last niemals sin kontinuierlicher, sondern last stets sin sprungha]t schubweiser ist. Das gilt f fir die Vorstadien und Vorentwicklungen der ausgepr~gten Lungenphthise, das gilt aber auch ffir die Phthise selbst bis in die Endstadien hinein. Damit ist ffir die Prognose die Aufgabe gegeben, nicht lediglich die Ausdehnung und den entzfindlichen Charakter der vorliegenden tuberkul6sen Ver~nderungen allgemein fest- zustellen, sondern darfiber hinaus, ob zur Zeit sin Sehub ein- setzt, ob er in vollem Gang oder bereits im Abklingen begriffen ist, und welter ob er zu neuen Zerst6rungen zu ffihren droht oder gar schon geffihrt hat, und ob diese ihrerseits geeignet sind, neue Sehfibe auszul6sen oder ob zun~iehst alles zur folgenlosen Vernarbung kommen wird. Mit augenblicklichen Aktivit~tssymptomen und den entsprechenden Reaktionen ist es da allein nicht getan, so wichtig und unerl~Blich sie selbst- verst~ndlich sind. Man mug vielmehr versuchen, sich fiber die besondere Art des vorliegenden Sehubes Mar zu werden. Z .B. sind bei der einsetzenden perihil~ren Infiltrierung die Aktivi- t~tssymptome und Reaktionen ganz die gleichen wie bei dem einsetzenden Frfihinfiltrat, die klinischen entziindlich-infiltra- riven Erscheinungen wie ihre Ausdehnung sind bei der Infil- trierung gew6hnlich noch gr613er als bei dem Frfihinfiltrat, und trotzdem ist die Prognose bei der ersteren unendlich gfinstiger zu stellen als bei der letzteren. Wir wissen das bisher lediglieh aus der klinisch-empirischen Erfahrung und wfirden anf Grund etwa der Turbansehen Stadien-Zuteilung oder der Dualit~tslehre gerade zur entgegengesetzten, und zwar Ialschen Prognose kommen, l]4an muB also nicht nur die Phase dee Schubes, sondern aueh seine besondere Art zu er- kennen suchen, d. h. welsher klinlseh-empirischen E~twiclc- lungsreihe er zuzurechnen ist.

Ffir die Erkennung des Schubes und die Beurteilung seiner Phase darf als wichtigstes Moment die Regel gelten, dab so- wohl die Neuherdbildung wie die Exacerbation alter Herds ge- w6hnlich unter infiltrativ-entzi'~ndlichen Reaktionen und Er- scheinungen vor sieh gehen. Diese klinisch-empirische Tatsache deckt sich vollkommen mit den neueren pathologisch-ana- tomischen Anschauungen H~BSCHMANNS fiber die Tuber- kulose als ]Entzfindung. R6ntgenologisch mit dem Auge und perkussorisch-auscultatorisch mit dem Geh6r stellen wir in dieser akuten infiltrativen so iiberaus entscheidungsschwan- geren Phase zumeist nicht den bacill~iren Zerst6rungsherd, sondern die umgebende reaktiv-entzfindliahe exsudativ- infiltrierte Zone lest, also nicht den eigentlichen Fokus, son- dern die perifokale Entzfindung. Das, was wir kliniseh und r6ntgenologisch in bestimmter Ausdehnung feststellen, ist in dieser Phase des Schnbes somit kein tuberkuloides oder gar k~sig zerst6rtes Gewebe, sondern die umgebende entzfindlich infiltrierte Zone. Diese exsudative Phase kann sowohl zur Resorption wie zur indurativen Umwandlung, also zur pro- duktiv-cirrhofischen Tuberkuloseform, wie zur Verk~sung und Einschmelzung und damit zur schweren Phthise fiihren. Sie sagt also prognostisch an sich nichts Entscheidendes. In der Praxis werden gerade diese Phasen gew6hnlieh zu ungfinstig beurteilt und verffihren zu oft schwerw~egenden Unter- lassungen, well man an einen unmittelbaren therapeutischen Erfolg nicht mehr glaubt, sich deshalb mit symptomatischen Mal3nahmen begnfigt und derart den rechten Moment ver- paGt. Die entscheidende EntwicMung folgt erst hinterher, freilich ist es sehr schwer, sie vorauszusagen. Aktivit~ts- symptome sind sieherlich wichtig, doch lassen sic bier deshalb im Stich, well sic einerseits auch bei den gutartigen Formen

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in den akuten Anfangsphasen vorhanden sind und anderer- seits bet bSsartigen Formen oft lange Zeit hindurch fehlen. Man kommt letzten Endes nur dann wetter, wenn man ver- sucht, die verschiedenen Formen des Schubes vor allem r6ntgenologisch so auseinanderzuhalten, dab man erkennt, welchen Entwicklungsg/~ngen der einzelne Schub angeh6rt. Es gelingt dann, wenigstens mit einer gewissen Wahrschein- tichkeit, die b6sartigen yon den gutartigeren abzugrenzen. Von einer absoluten Sicherheit kann nattirlich niemals die Rede sein.

Die prognostische ~rberlegung, ob die vorgefundene exsu- dativ-infiltrative Phase zur Einschmelzung oder zur indu- rativen Umwandlung bzw. zur Resorption fiihren wird, trifft freilich zun/ichst nur die kurzfristige Prognose des jeweilig vorhandenen Schubes. Sie trifft damit nicht ohne weiteres such die langfristige Prognose der gesamten tuberkulSsen Entwicklung. Jedes strXngig-flecldge noch so geringgradige Narbenfeld, selbst die isolierte kleine Einzelnarbe, kann jederzeit bekanntlich zu einem neuen Schub f~hren, der so- wohl schwer wie leicht sein kann. t~esonders manche kind- liche Meningitisformen pflegen unerwartet und plStzlich bei relativ leichten tuberkulSsen Zustandsbildern aufzutreten und zum Tode zu ffihren. Die Prognose wird also stets die kurz- fristige Komponente des jeweils laufenden Schubes wie die langfristige der Tuberkulose fiberhaupt zu beriicksichtigen haben, wenn sie einigermal3en klar sein will.

Gehen wit nun zu den wichtigsten Typen des Schubes fiber, so steht an der Spitze der der ersten pulmonalen Ha/tung. Wir wissen auch heute noch nicht genfigend sicher, ob es sich hier- bet wirklich um die prim~re Eintrittsstelle des Tuberkel- bacillus oder um eine h/~matogene Zweithaftung handelt. Ffir die Praxis und die prognostische Beurteilung ist das jedoch ganz gleichgfiltig. Eine erkennbare pulmonale Gewebsreaktion, zu- mindest eine klinisch erfagbare Ver~nderung, kann hierbei ganz ausbleiben, wie das bet gelegentlichen Erstinfektionen ~lterer Kinder und Erwachsener sogar die Regel zu sein scheint. Die Kinder werden lediglich tuberkulinpositiv. Die Prognose ist such f~ir die Dauer fast absolut gfinstig, sofern nicht eine i~berwertige Superinfektionsreizung oder sonstige konditionelle oder konstitutionelle Reizkomponenten die volle Inaktivierung des immer gesetzten LymphabfluBherdes, also der okkulten Bronchialdrfisentuberkulose, verhindern bzw. st~ndig mit Exacerbationen drohen. Eine forttaufende Superinfektion ist also such bet diesen g~nzlich befundlosen Infektionen ein gen/igender Grund, um die Dauerprognose zurtickhaltend zu stellen und 1/e--Ij~hrige Kontrolldurchleuchtungen zu ver- langen.

Die pulmonale Ersthaftung kann jedoch auch zu ebenso akuten wie gewattigen exsudativ-infiltrativen Formen ftihren, die nicht selten eine ganze Lunge massiv pneumonisch werden lassen, Der Fokus ist hierbei nicht nur die eigentliche pul- monale Haftungsstelle, sondern die ganze LymphabfluBstraBe und besonders die ganze Kette der regionalen Hilus-Lymph- knoten. Das klinische Zustandsbild ist oft recht schwer, manchmal akut bedrohlich, die Symptome sind dann die der Pnemnonie mit hohem Fieber und allen nur denkbaren Aktivit~tssymptomen, einschliel31ich zeitweiser Ausscheidung yon Bacillen, die freilich beim S~ugling und Kleinkind nicht ausgehustet werden, sondern yon der hinteren Rachenwand oder dutch ~iagenausheberung oder im Stuhl gewonnen wer- den mfissen. Diese prim~iren exsudativ-infiltrativen Formen, also die ,,Primiirinfiltrierunge~", dfirfen nun nicht, wie das in der Praxis gew6hnlich geschieht, als kXsige Pneumonien aufgefaBt werden. Sie sind als ira wesentlichen perifokal- entzfindliche Pneumonien prognostisch durchaus nicht so nn- gfinstig zu beurteilen, selbst bei S~uglingen nicht. Anderer- seits ist ihre fokale Einschmelzungstendenz nicht unwesent- lich grSBer als die der sogleich zu besprechenden Sekund~r- infiltrierungen. Nach meinen Erfahrungen schmelzen yon den lappengroBen Formen bet SXuglingen doch 3o--4o % ein, bet Kleinkindern mit steigendem Alter immer weniger, bet 4j~thrigen etwa 5--IO%, im Schulalter noch weniger. Die kleinen alveol/~ren Verk/isungen des Prim/~rherdes sowie ein- zelner AbfluBherde, die fast immer indurieren, sind hier

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natfirlich nicht mit eingerechnet. Kommt es zu ausgedehnter zentraler Einschme]zung, ist die Prognose freilich sehr be- denklich, well neben der bronchialen Streuung auch ausge- dehnte h~matogene IVIetastasen meist schne11 folgen und ge- w6hnlich in eine t6dliche ~/Ieningitis ausklingen. Ob es zur Einschmelznng erheblicherer Ausdehnung kommt oder ge- kommen ist, erkennt man nun leider wieder nicht an der augenblicklichen Schwere des allgemeinen Zustandsbildes, son- dern am ehesten an dem Bestehen yon schwereren Metastasen. Nach diesen mul3 man fahnden. Fehlen sie, soll man nicht zu pessimistisch sein und selbst bet S~tuglingen niemals, wie das nur zu oft geschieht, ein Todesurteil fMlen. Findet man sie jedoch, z. t3. auf dem R6ntgenfilm, oder bet der Untersuchung der Niere, oder im Augenhintergrund, oder Gehirntuberkel oder gar Knochenherde usw., so wird man auch bet gutem Allgemeinzustand sehr vorsichtig sein.

Von diesen ,,Prim~trinfiltrierungen" nicht immer leicht zu unterscheiden sind die ,,Sekundar/iltrierungen", d. h. exsu- dativ-infiltrative Entzfindungen des Lungengewebes peri- fokal-entziindlicher Art um bereits frtiher vorhandene mehr oder minder schon sich riickbildende Herde. In der Kind- heit sind diese Formen fiberaus h~ufig, und zwar besonders die perihil~ren Formen, bet denen der Fokus ein Bronchial- drfisenherd ist. Sie imponieren klinisch und rSntgenologisch als zentrale perihil~re Pneumonien, die Ausdehnungen bis Lappen- oder gar LungengrSBe haben k6nnen. Manchmal, besonders in den ersten Tagen, kann das allgemeine Zustands- bild einen bedrohlichen Charakter annehmen, im allgemeinen ist aber gerade Ifir sie charakteristisch das iiberraschende Wohlbefinden der Kinder trotz des oft gewaltigen pneumo- nischen Befundes. Man muB diese Formen genau kennen! Denn ihre Prognose ist recht gut. H6chstens 2-- 3 % schmelzen ein, bet weiteren 3- -4% kommt es sparer zu h~matogenen :Vletastasen. Freilich rezidivieren sie h~ufig. Keine Tuber- kuloseform fiihrt zu schwereren Fehlprognosen als diese Sekund~rinfiltrierungen! Denn auch sie werden fast immer in der Praxis als Pneumonien gedeutet, und zwar nicht selten namentlich in phthisischen Familien als k~sige Pneumonien. Infiltrative Prozesse bet tuberkulin-positiven Kleinkindern, die um den Hilus mit Ausdehnung nach oben oder unten oder zur Mitte liegen, aber am Hilus am dichtesten sind und nach der Peripherie lockerer werden, die wom6glich noch im Hilus einen erkennbaren Fokus zeigen, hat man prognostisch gfinstig zu beurteilen trotz des gewaltigen ldinischen wie Filmbefundes und such dann, wenn der t3efund I - - 2 Jahre konstant bleibt, was gar nicht so selten der Fall ist. Diese Sekund/irinfil- trierungen klingen dann doch noch ab oder wandeln sich indurat iv urn, such dann, wenn, wie so h~ufig, die Wand- oder InterlobXrpleura beteiligt ist. Um sie yon den, wie gesagt, etwas ungfinstigeren Prim/~rinfiltrierungen unterscheiden zu k6nnen, muB man, wenn man das Kind nicht schon yon frfiher her kennt, die Anamnese mSglichst sorgf~tltig erheben, um den wahrscheinlicheren Terrain der erfolgten Erst-Infektion oder sonstige Momen*~e, die eine Exacerbation auszul6sen pflegen, zu ermitteln. Auch der Charakter der Allgemeinbeschwerden ist bet den Sekund~rinfiltrierungen etwas leichter als bet den Prim~rinfiltrierungen. wo die toxische Hemmung und L/ih- mung gewShnlich irgendwie erkennbar werden.

Sowohl bet der Prim/~r- wie der SekundXrinfiltrierung ist f~r die Prognose yon grSl3ter Wichtigkeit, ob eine weitere Superinfektion ausgeschaltet werden kann. Ist das nicht der Tall, muB man die Prognose, insbesondere die Dauerprognose, stets etwas bedenklich stellen. Die Ausschaltung der Super- infektion, sei es dutch Entfernung des Kindes oder der Quelle, set es dutch h/~usliche Sanierungen, ist demnach auch die wich- tigste therapeutische ),IaBnahme.

Sehr schwierig ist die richtige Beurteilung der hdmatogener~ Streuungen, wie sie im Anschlug an die Prim/irperiode vim h/~ufiger sind, als gemeinhin angenommen wird. Im infiltra- tiven Stadium, das bet den leichteren Formen nicht sehr aus- gesprochen ist, werden diese Formen zu ungfinstig beurteilt. Umgekehrt werden die schon indurat iv umgewandelten mul- tiplen kleinen Herdbildungen beim Kind gew6hnlich zu giinstig beurteilt. Denn soiange der okkulte Bronchialdrfisen-

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herd noch vorhanden ist, mu/3 man mit weiteren Streuungen rechnen, deren Intensit~t gar nicht vorauszusagen ist. Also die Prognose des einzelnen Streuungsschubes ist ziemlieh giinstig, die Gesamtprognose mug aber wenigstens im Kindes- alter sehr vorsichtig gestellt werden. Im Erwachsenenalter kann man optimistiseher sein, ohne jedoch jede Gefahr ver- neinen zu dfirfen.

Die h~tmatogene Streuung zeigt eine 13esonderheit, die auch bet den Infiltrierungen sowie allen sonstigen Tuberkulose- formen immer wieder zu beobachten ist, in besonders typi- scher Form. Tuberlcul6se P~ozesse ]eglicher A~t kommen, wenn sie die Spitzen#lder be]allen, welt schleehter zur Ri~clcbildung, als in den t ie/eren Geschossen. Woran das liegt, wissen wir nieht sieher. Schlechtere Durehblutung und Durchliiftung, vor allem aber die yon allen Seiten nahe Pleura, die fast immer beteiligt ist, welter die leichte Absperrung der Bronchuszu- leitung und die damit bedingte leichte Atelektasenbildung, alles das wirkt wahrscheinlich zusammen, Jedenfalls ist die Tafisaehe eine empirisch feststehende, die jedem, der serien- m~tBig die EntwicMung tuberkul6ser Prozesse auf dem R6nt- genfilm beobachten kann, tinnier wieder auff~llt. Wir sehen nun beim Kinde sehr h~ufig feinste mehr oder minder leichte h~matogene Aussaaten im ganzen Lungengewebe im AnschluB an die prim~re Haftung entstehen. Die Herdehen der tieferen Partien werden nun sehr bald Meiner und sind schliel31ich gar nich~ mehr sichtbar, die Spitzenherdehen bleiben jedoch in ihrer ursprtinglichen Gr6Be erhalten und indurieren so, dab sie zeitIebens erkennbar bleiben. IJberaus oft kommt es dabei zu Spitzenschwarten und Teilatelektasen, oft auch zu mul- tiplen Spitzennarben. Alle Schtibe, die die Spitzenfelder be- fallen, sind demnach prinzipiell bezfiglieh ihrer Rtickbildung schlechter zu beurteilen als die tiefer lokalisierten. Deutlfche Spitzennarben als Residuen kindlicher Ausstreuungen sind deshalb so iiberaus h~tufig. Man muB sieh htiten, diese Narben als beginnende Neuherde zu deuten.

Wit stehen hier an dem einen Angelpunkt schwer umstrit- tenet moderner Forschungsprobleme, die oft unter der Anti- these: Beginn der Phthise in der Spitze oder in tieferen Ge- schossen gefaf~t werden. Diese Antithese ist in dieser Form sicherlich ganz falsch gestellt und trifft gar nicht den Inhal t der eigentliehen Probleme. Wo eine vorgefundene tuberkul6se Ver~nderung liegt, ist ftir die Prognose, ob daraus eine Phthise sich entwickelt, ziemlich gleichgtiltig, wobei freilieh die auf- gefiihrte Tatsache, dab frische Prozesse in den Spitzen- geschossen sich augenscheinlich schlechter zuriickbilden als die tiefer gelegenen, zu bertieksiehtigen bleibt. Die Probleme kreisen vielmehr datum, welche klinischen Zustandsbilder zu einer phthisischen EntwieMung ftihren und welche nieht; und in welcher Form diese phthisische Entwicklung klinisch vor sich geht. Und bier lautete die frtihere Vorstellung,wie sie in zahllosen Lehrbfiehern festgelegt ist, so, dab kleinste Ver~tnde- rungen in der Spitze der Ausdruck eines neu einsetzenden Prozesses seien und in kontinuierlicher peripherer Apposition und zentraler Verkgsung zur Erwachsenenphthise ftihren, dab also r6ntgenologisch gesproehen der kleine isolierte FIeck in der Spitze die erste Manifestation und Neuherd- setzung der beginnenden Erwachsenenphthise set, dab er all- m~hlich gr6ger wtirde, de ra r t aIlm~thlich zur Verschattung der ganzen Spitze fiihre, um schlieBlich in kontinuierlicher absteigender Progression die gauze Lunge zu ergreifen. Dieser ProzeB entwickele sieh schneller oder langsamer, je nachdem er exsndativer oder produktiver Art set. (Daneben r~tumte man noeh ein, daf3 aueh manche der wahllos disseminierten h~matogenen Streuungsformen, wie wir sie oben ftir die Nach- prim~trzeit schilderten, zur Erwachsenenphthise fiihren k6nn- ten.) Die skizzierte alte Anschauung yon der Bedeutung des Spitzenbefundes deckle sich ja aneh mit der Aufstellung der 3 Turban-Stadien und ftihrte in der Praxis dahin, dab jede Vers in der Spitze als eine beginnende Phthise ge- denier wurde und daraufhin sofort der gauze Apparat der Hei l s t~ t t t en-und Sanatorieniiberweisung in Gang gesetzt wurde. Es kam das ja auch in allen Richtlinien der Versiche- rungstr~ger zum Ausdruck. Dieser Ansehauung und prak- tischen klinischen Beurteilung gegeniiber betont die neuere

Forschung, die freilich heftig umk~tmpft ist, dab ffir die in der Spifize gelegenen Ver~nderungen genau dieselben Beurfieilungs- momente gelten wie Eir die anders gelegenen auch, und dab sle deshalb genau so wie die anderen klinisch nnd r6ntgenolo- gisch zu differenzieren stud. Die meisten yon ihnen sind genau wie isolierte Fleckbefunde an anderer Stelte der Lunge a!s Narben und Residuen ~lterer prim~rer oder sekund~irer Pro- zesse zu beurteilen, yon denen aus eine ]Exacerbation gewiB ausgehen kann, genau wie yon den anderen Lungenherden auch, die aber durchaus nicht zur Phthise zu ftihren brauchen. Einen isolierten kleinen Fleckschatten in der Spitze, eine Pleuraadh~sion dortselbst oder eine stri~ngige Ver~tnderung prognostisch als beginnende Phthise zu deuten, hingegen den gleichen Ver/~nderungen, wenn sie auBerhalb der Spitze liegen, keine wesentliche 13edeutung beizulegen, liegt kein Orund vor. Man wird alle diese Formen, gleichgiiltig wo sie liegen, durch regelm~13ige Nachkontrolle weiterbeobachten und bei einem eventuellen Nachschub eingreifen, wie bet allen anderen Naeh- schtiben auch.

Ganz anders liegt es nattirlich bet infiltrativen Prozessen der Spitzengeschosse, oder bet ausgedehnten produktiv- cirrhotisehen oder gar schon k~isig einschmelzenden Prozessen. Sie sind in der Spitze genau so b6sartig wie wo anders auch oder sogar noch b6sartiger. Mi~ anderen lVorten, ~nan muff bei Spitzenprozessen genau so dijjerenzieren wie bei anderen auch, wenn man sie prognostisch ricl~tig beurteilen will.

Ich selbst habe in frtiheren Arbeiten 7 typisehe Ver~inderungs- formen in den Spitzengeschossea untersehieden, woven 2 gew6hn- lich zu Ph• filhren, die flbrigen 5 aber nur selten. Bei den ersten handelt es sich um die in den Spitzen gelegenen Friihinfiltrate und um die phthisischen Spitzensp~tformen, bet den anderen um indurierte~Prim~trherde der Spitze, um isolierte Simonsche Spitzen- metastasen der Kindheit, um multiple gleichartige Gruppenmeta- stasen, nm Indurationsfelder nach kindlichen Sekund~rinfiltrie- rungen und zuletzt um pleuritisch-atelektatisehe Spitzenschwarten.

Ob von den aus der Kindheit herrtihrenden Garbenformen, insbesondere den Spitzennarben, zum jetzt zu besprechenden Fri'~hinfiltrat ein Weg fiihrt, ist noeh nieht geki~rt. LOESCHClgF. hat das jfingst in ether eindrucksvollen Arbeit bejaht, yon anderen Pathologen wird das bezweifelt. Es handelt sich hier letzten Endes um die Streitfrage, ob das Friihinfittrat als eine endogene Metastase oder als exogene Neuherdbildung aufzu- fassen ist. Kliniseh ist das nicht zu entseheiden. Klinisch- praktisch ist das Friihinfiltrat jedenfalls pl6tzlieh da, meist zun~tehst ohne subjektive Krankheitssymptome. Bet einem Tell der Frtihinfiltrate kann man ~tltere Herdbildungen fest- stellen, darunter auch Spitzenver~tnderungen. Bet einem anderen Tell ist das nicht der Fall. Fiir diese letzteren F~lle behaupten manche Autoren, dab auch hier Spitzenherde vor- handen seien, die nur rSntgenologisch und kliniseh nicht er- kennbar seien. Sie sttitzen sieh vor allem a.uf die 13efunde einiger Pathologen, die bet 9o % aller erwaehsenen Menschen Spitzenveri~nderungen festgestellt h~tten. Der Kliniker und Praktiker kann das nieht entscheiden, die Folgerungen sind ffir ihn jedoch logischerweise die: Wenn 9 ~ % aller Erwach- senen Spitzenherde haben, und wenn wetter bet den kleinsten, auf dem besten RSntgenbild nieht nachweisbaren Spitzen- ver~nderungen genau so gut pI6tzlich Frtihinfiltrate entstehen wie bet anderen gr613eren Spitzenherden, so kann in der kli- nischen Praxis das Fehlen oder Vorhandensein yon Spitzen- herden prognostisch nieht ~ziel niitzen. Denn 9o % aller Men- schen kann man nicht als Phthisekandidaten-.behandeln, und eine Auswahl ist nicht m6glich, da Friilzinfiltrate bet nieht erkennbaren Spitzenherden nach dieser Theorie und nach der klinischen Empirfe genau so gut entstehen wie bet naehweis- baren. P~ak~iseh l~liniseh se~t demnaeh ~nbesehade~ ~m de~ wissensehaJtlic.hen Streit u m die exogene oder endogene, ins- besondere ~m die Spltzenherkunjt des Fri~hinjiltrates die Diagnose der beginnenden Phthise beim Fri~hinjiltrat ein.

Hier liegt der andere nicht mehr so sehr umstri t tene Angel- punkt der letztj~thrigen Forschung. Man ist sich wohl jetzt einig dartiber, dab das sog. Frtihinfiltrat -- ein 13egriff, der Ireilich yon x4elen als solcher beanstandet wird -- den h~ufig- sten praktisehen Beginn der Phthise darstellt und dab dem-

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entsprechend seine Prognose stets eine ernste sein muB. Nut sagen viele Autoren, besonders unter den ~lteren Forschern und Pathologen, dab das Frfihinfiltrat nicht der eigentliche Beginn, sondern die wichtigste Etappe zur Phihise sei. Sie nehmen hierbei an, dab yon der ~lteren evil. nicht nachweis- baren unsiehtbaren Narbe aus, insbesondere yon der Spitzen- narbe, unter ~berspringung unberi~hrter Lungenteile, auf dem Wege der bronchogenen Verschleppung das Frfihiiifiltrat als Neuherd gesetzt wiirde, also eineii Nachschub yon einem evtl. nicht sichtbaren ~tlteren Herd darstelle. Also auch sie geben die alte Vorstellung der kontinuierlichen Vergr613erung eines nen entstandenen Spitzenherdes auf. Es sind das alles letzten Endes Vorstellungen, fiber die eine geniigeiide Zahl patho- logischer Beobachtuiigen noch ausstehen. Ffir die Klinik und die Praxis kommt es, wie gesagt, lediglich darauf an, dab das Friihinfil trat akut ats relativ ausgedehntes exsu- dativ-i i if i l t rat ives Zustandsbild irgendwo in der Lunge, gew6hnlich infraclavicul~r bei fehlenden oder vorhandenen alten Herden erscheint und nunmehr ohne GegenmaBnahmen in einem sehr grol3en Prozentsatz fiber die Einschmelzung, Aspirationsanssaat und Tochterinfiltratbildung zur akuten oder chronischen Phthise ffihrt. Nit dem Frfihinfiltrat be- ginnt also klinisch-prakiisch die iKehrzahl der Erwachsenen- phthisen. Man muB dieses markante Zustandsbild demnaeh kennen und richtig beurteilen k6nneii.

Es handeli sich in den freilich nicht leicht zu erfassenden frfihesten Phasen um einen r6ntgenologisch feststellbareii dtin- lien diffusen pflaumengroBen intrapulmonal gelegenen Schat- ten. Auf die Differentialdiagnose gegenfiber zahlreichen ~hn- lichen R6ntgenbildern ist hier nicht einzugehen. Klinisch ist oft gar nichts, manehmal leises, etwas scharfes Atmen, oft auch leichte Verkiirzung oder Schonatmung usw. nachzu- weisen. Es handelt sich um die perifokal-entzfindliche Reak- tion bei Setzung eines Neuherdes, die zwar zur Resorption oder indurat iven Umwandlung ffihren kann, aber h~iufiger zur Einschmelzung kommt. Bei nicht behandelten FXllen schtttze ich den Prozentsatz der erkennbar werdenden Einschmel- zungen auI etwa 6o %, eine zweifellos sehr verh~ngnisvolle Zahl. Bei rechtzeitiger Ruhetherapie, sorgf~tltigster Uber- wachung und entsprechender rechtzeitiger Pneumothorax- anlage sind die Chancen freilich weit besser. Abet, und das ist das Tragische, die Diagnose wird nu t in einem k!einen Prozentsaiz der F~lle derart rechtzeitig gestellt. Entweder fehlen die Beschwerden und damit die Konsultatioii des Arztes, oder sie verschwinden schnell, und die Diagnose lautet in Anbetracht des Iehleiiden klinischen Befundes auf Grippe. Erst der n~tchste Schub oder gar ersi der iibern~chste ffihren zum R6ntgen und dann zur Feststelluhg eines welt schwereren fortgeschritteneren Zustandsbildes der Einschmelzung und umgebenden Aspirationsaussaat. Auch dann ist bei fehlender Pleurahaftung und dementsprechend glfickendem Pnenmo- thorax die Prognose noch nicht unbedingt schlecht. Sinkt die Lunge jedoch infolge Verwachsungen nicht zusammen, so verschlechtert sich die Prognose erheblich. Indurat ive

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Umwandlung und Resorptionsvorggnge k6nnen jedoch auch noeh dann erfolgen, selbst Kavernen k6nnen sich riickbilden. Nur ist es schwer zu sagen, ob das im einzelnen Fall erfolgen wird. Hier haben die laufenden Aktivii~ttsreaktionen, die Blutuntersuchungen nsw., sowie die lanfende R6ntgen- kontrolle einzusetzen. Denn die Indikationsstellung zur Plastik ist in Anbetracht der in der Literatur wohl etwas untersch~ttzten Schwere dieser Operation immer eine nicht leichte Gewissensfrage, der man freitich uiiter keinen Um- st~nden ausweichen darf. Droht doch die andersseitige Tochterinfil)cratbildung si~ndig und verniehtet, .wenn sie ein- tritt, auch diese leizte Chance der Ptastik.

Kommt das Frfihinfiltrat mit oder ohne Pneumothorax- behandlung zur indurat iven Umwandlung, so wird man die Dauerprognose trotzdem vorsichlig siellen und zumindest eine regelm~Bige r6ntgenologische Nachkontrolle fordern. Nachschtibe sind h~ufig. Im allgemeinen kann man zur Prognose dieser spgiteren Nachschi~be sagen, dab sie gfinstiger ist, wenn sieh die infil irativen Erscheinungen des Nachschubes in alien Narbenfeldern zeigen. Treien sie wie ein Frfihinfiltrat in bisher freien Regionen auf, so kommt es leichter zu frischen Einschmelzungen. Hat das Friihinfil irat zu schwerereii Zu- sfandsbildern geffihrt, so kann man mit einer restlosen In- aktivierung der resuliierenden Narbenfelder kaum noch rechnen. Es entstehen mehr oder minder schwere Phthiseii, mehr produktiv-indurativer oder mehr kXsig-einschmelzender Form, sehr oft auch cirrhotiseh-kavernSse Formen. Die Weiterentwicklung ist jetzt eine wellenf6rmige, die Nach- schtibe Iolgen in ktirzerer oder l~tngerer Folge, immer wieder die einleiiende exsudaiiv-infiltrierende und die abschlieBende prodnktiv-indurierende Phase erkennen lassend. Die Prognose der einzelnen Schfibe ist durchaus nicht so schlecht, wie sie gew6hnlich zu t3eginii des Schubes gestellt wird. Aber die Dauerprognose der bereits typischen Phihisen ist anch bei produktiv-indurativen Formen letzten Endes recht ungfinstig. Dem Schicksal des schnellen oder langsamen Phthisetodes entgehen doch nut recht wenige. Entschieden wird die Dauer- prognose demnach cure grano salis in der Per~ode des Fri~h- in]iltrates, die zu er/assen deshalb wohl die wichtigste Au/gabe der Tuberkulosetherapie und Bekgmp/ung ist.

Es wurde hier nu t versucht, fibergeordnete prognosfische Gesichtspunkte aus der Entwicklung des tuberkul6sen Ge- schehens selbst darznlegen. DaB daneben rein symptomatisch zu beobachien ist und alle prognostischen Reaktionen anzu- stellen sind, wurde mehrfaeh erw~hnt. Darfiber hinaus spielt jedoc h noch die Beobachtung der individuellen koiisiitufio- nellen und konditionellen Besonderheiteii eine iiberaus wich- tige Rolle. ~ a n wird hierbei weniger an das, was man frfiher Tuberkulosedisposition und phthisischen Habitus nannie, zu denken haben, als an die I3esonderheiten der individuellen entzfindliehen Reizantwort und der darauf einwirkenden Faktoren. Es kann an dieser Stelle auf diese fiberaus inter- essanten Fragen jedoch nicht II~b.er eingegangen werden.

ORIGINALIEN. GRENZEN, MOGLICHKEITEN UND ERFOLGE

POLIKLINISCHER PSYCHOTHERAPIE. Von

Dr. E. WITTKOWER. Aus der Poliklinik der I. Med. Klinik der Charit6 Berlin

(Direktor: Geh. Med.-Rat HIS).

Mit der wachsenden Erkenntnis ihrer Bedeutuiig hat das Interesse fiir die Psychotherapie in den letzten Jahren un- geheuer an Umfang zugenommen. Aus der unsystematischen Psychotherapie, die zu allen Zeiten yon allen Arzten angewandt wurde, haben sich Methoden herausgesch~ilt, die in zunehmen- dem MaBe zur Neurosenbehandlung herangezogen wurden. Die Psychotherapie liegt zur Zeit fast ausschlieBlich in H~n-

den yon Spezialisten; und obwohl yon maBgeblicher Seite immer wieder darauf hingewiesen wurde, dab die inter- nistische Psychotherapie wenigstens zum Teil den Internisten fiberlassen bleiben sollte, haben sich verh~iltnism~iBig wenig Internisten gefunden, die sich mit der systematischen Behand- lung der sog. Organneurosen befaBt haben (HANsEN, HzYZR, MOOR, MOOS u. a.).

Der Grund hierffir liegt haupts~chlich im Zeitmangel. Hauptforderung der Psyehotherapie ist Zeitaufwand. Die grol3e Psychotherapie : Psychoanalyse und Individual- psychologie, die ihren Sinn in einer tiefschiirfenden Pers6ii- lichkeitserfassung sucht, isi im klinischen oder gar im poli- !dinischen Betriebe schon allein aus Zeitmangel kaum duEh- ffihrbar. Andererseits ist die Zahl der Neurotisch-Kranken, die