Künstler, Ehrengäste und Veranstalter: David Saudek ... Künstler, Ehrengäste und Veranstalter:...

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KULTUR Sudetendeutsche Zeitung Folge 6 | 12. 2. 2016 7 SL-Förderpreisträgerin Anina Polášek und Pianist Steffen Zander umrahmen die Ver- nissage einfühlsam mit passenden Chansons. Bilder: Susanne Habel Künstler, Ehrengäste und Veranstalter: David Saudek, Jaroslav Valečka, Heimatpflegerin Dr. Zuzana Finger, Direktor Dr. Ondrej Čeřný, Kurato- rin Dr. Rea Michalová, Martin Káňa, Hansjürgen Gartner und Joachim Lothar Gartner. In München eröffnete Zuzana Finger, Heimatpflegerin der Su- detendeutschen, mit Ausstel- lungskuratorin Rea Michalová die Ausstellung „Borderline- Syndrom“. Die deutsch-tsche- chische Ausstellung ist eine grenzüberschreitende Präsenta- tion von tschechischen und su- detendeutschen Künstlern. B orderline-Syndrom ist ein Ausstellungsprojekt von fünf tschechischen und deutschen Künstlern über die Vertreibung und das tschechisch-deutsche Zusammenleben im Grenzgebiet des Sudetenlandes“, erläuter- te Kuratorin Rea Michalová bei ihrer Ausstellungseinführung. Die Ausstellung sei unter dem tschechischen Namen „Hranicní Syndrom“ in einer Vorläufer- form schon in diversen tschechi- schen Galerien gezeigt worden. Mit der Bezeichnung „Border- line-Syndrom“, der an die Dia- gnose einer schweren psychiatri- schen Erkrankung erinnern solle, wolle man zeigen, daß durch die „Besetzung“ der Sudetengebie- te 1938 und die Vertreibung aus dem Sudetenland in der Nach- kriegszeit wunde Stellen in der tschechisch-deutschen Geschich- te geblieben seien. „Die tschechischen Künstler David Saudek, Jaroslav Valečka und Martin Káňa, alle in der Nachkriegszeit geboren, treten hier in den schöpferischen Dialog mit den sudetendeutschen Zwil- lings-Künstlern Hansjürgen Gart- ner und Joachim Lothar Gartner, Zeugen aus der Vertreibungs- zeit.“ Die Künstler aus fast drei Generationen hätten das Thema besonders gut darstellen können, so Michalová, da das Problem des Sudetenlandes jeden von ih- nen persönlich betreffe: Hansjür- gen Gartner und Joachim Lothar Gartner seien 1945 im nordböh- mischen Steinschönau zur Welt gekommen und nach der Ver- treibung 1949 zunächst in Öster- reich gestrandet. Der Prager Ja- roslav Valečka und Martin Káňa aus Weipert, beide in den Sieb- zigern geboren, seien im Sude- tenland aufgewachsen. Der 1966 in Prag gebore- ne David Saudek habe einen deut- schen Großvater, Sepp Geisler, ge- habt. „Seine Fa- milie war vom Holocaust betrof- fen.“ Ihr eigener Va- ter, so die Kunst- historikerin und Galeristin, ha- be 1938 zusam- men mit weite- ren 200 000 im Grenzgebiet le- benden Tsche- chen seinen Wohnsitz nach Be- setzung durch die Nationalsozia- listen verlassen müssen. „Aus der schöpferischen Re- flexion über diese gemeinsamen Lebensgeschichten in Verbin- dung mit der tschechisch-deut- schen Koexistenz im Herzen Eu- ropas, mit dem Sudetengebiet, entstand der Grundbaustein des Ausstellungsprojekts Hraniční syndrom/Borderline-Syndrom.“ Mit diesem künstlerischen Pro- jekt solle zur „Kultivierung der beiden Gemeinschaften“ beige- tragen werden. Michalová schilderte die sehr unterschiedlichen künstlerischen Ansätze der Beteiligten: Hansjür- gen und Joachim Lothar Gartner, beide Mitglieder der Sudeten- deutschen Akademie der Wis- senschaften und Künste, nutzten in ihrer konzeptuell gestimmten Einstellung Notizen der konkre- ten Realität. Hansjürgen Gart- ners Schaffensweg sei prägnant konzeptuell. In seinem Bilder- zyklus „Grenzstein“ sei ihm die Anonymität und Abstraktheit der gewaltsamen Diaspora äußerst bewußt. Er betrete die konkre- te Wirklichkeit mit Hilfe seiner imaginativen „Domkonstruktio- nen“, die teilweise den zukünf- tigen – aber auch den vergan- genen – Zustand der Vertrei- bungsorte dokumentierten. Joachim Lo- thar Gartner sei in seinem Schaf- fenswerk direkter und emotions- voller. Er nutze die Foto-Kollage aus historischen Aufnahmen mit Bildervervielfa- chung. Jaroslav Valečka zei- ge eher ei- ne fantasie- und gefühlvol- le Position im Rahmen des klassischen Bildes. In sei- nen Gemälden sei seine inne- re Verknüpfung mit dem Lau- sitzer Gebirge eingeschrie- ben, wo er aufgewachsen sei und zeitweise lebe. Seine kal- ten, winterlichen, schneebe- deckten Landschaften mit glü- henden Feuerlichtern und my- steriösen Geheimnissen und Riten halte wundersame Men- schengeschichten bereit. Die künstlerische Methode von David Saudek stelle sich symbolisch und konzeptuell stärker dar. In seinen Werken verbinde er auf wirkungsvol- le Art historische Motive, die mit dem Thema zusammen- hingen, mit Ikonen und Ido- len der heutigen, von der Ge- schichte durchaus unbelaste- ten Generation. „Durch eine innovative Schichtung von manchmal auch naiven und scheinbar fast unangebrach- ten Symbolen erzielt er einen neuen Anblick und eine neue Ansicht“, schilderte die Kura- torin. Der bildende Künstler Martin Káňa wiederum verei- ne die Metaphern der Grenze mit nüchternen, abstrahierten und monumentalen Objekten, die seine schöpferischen Ge- danke präzis spiegelten. Oft sei zu hören, daß der Verlust des Sudetenlands für beide Seiten ein hinreichender Grund zu gemeinsamer Reue und Trauer sei, faßte Michalová zusammen. „Wir sind der An- sicht, daß wir nach positiveren Ausgangspunkten suchen soll- ten. Wir haben einen Raum für die Wiederbelebung der Multi- kulturalität und für die Wieder- herstellung von Kontakten er- worben“, schloß sie. Derzeit gebe es Bemühungen, die Ausstellung später noch an anderen Orten zu zeigen. Sie bedankt der Gastge- berin, der Heimatpflegerin Zu- zana Finger, sowie dem Mitver- anstalter Jan Samec, dem Leiter der Interaktiven Galerie Villa Be- cher in Karlsbad, der leider am Eröffnungstag in München ver- hindert war. Dank galt natürlich auch der Kuratorin, den ihr Ondřej Cerný aussprach. Der Direktor des Tschechischen Zentrums in Mün- chen meinte in seinem Grußwort, daß nach dem Trauma des Zwei- ten Weltkriegs die Deutschen schon früh eine Versöhnung an- gestrebt, die tschechische Sei- te jedoch erst spät mit der Auf- arbeitung begonnen habe. Die neue Ausstellung strebe nun ei- nen künstlerischen Dialog und eine multiperspektivische Dis- kussion an. „Die Perspektiven in ,Borderli- ne‘ sind wahrlich sehr vielseitig“, so Zuzana Finger. Die Heimat- pflegerin freute sich über die Be- gegnung von tschechischen und sudetendeutschen Künstlern. Zur Ausstellung erscheine auch ein zweisprachiger Katalog, der bei der Heimatpflege der Sude- tendeutschen erhältlich sei. „In ,Borderline‘ kann man sich auf eine grenzüberschreitende Rei- se begeben“, lud Finger ein. Dies wurde noch musikalisch erleich- tert: Anina Polásek sang das Lied „Auf die Reise“, das sie mit ih- rem Piano-Begleiter Steffen Zan- der komponiert hatte. Susanne Habel Bis Freitag, 25. März: „Border- line-Syndrom“ in München-Au, Sudetendeutsches Haus, Hoch- straße 8. 9.00–18.30 Uhr. Katalog 10 Euro. Ausstellungseröffnung im Sudetendeutschen Haus Grenzgänger in der Kunst Jaroslav Valečka: „Brennender Jeschken“ (Öl, 2015) und „Lager“ (Öl, 2015). David Saudek: „Ende eines Mythos“ (2013) und „Schießkommando“ (2014) sowie Joachim Lothar Gartner: „Soweit die Füße tragen 3“ (2015) und „Som- mer 1941 (1)“ (Fotocollagen, 2012). Vorne auf dem Boden: Martin Káňa: „Muster 39“ (Plaststoff, 2011/12). Dr. Rea Michalová Oben Hansjürgen Gartner: „Grenzstein 0“ (Acryl, 2015). Unten Joachim Lo- thar Gartner: „Soweit die Füße tragen 1“ (Collage, 2015).

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KULTURSudetendeutsche ZeitungFolge 6 | 12. 2. 2016 7

SL-Förderpreisträgerin Anina Polášek und Pianist Steffen Zander umrahmen die Ver-nissage einfühlsam mit passenden Chansons. Bilder: Susanne Habel

Künstler, Ehrengäste und Veranstalter: David Saudek, Jaroslav Valečka, Heimatpflegerin Dr. Zuzana Finger, Direktor Dr. Ondrej Čeřný, Kurato-rin Dr. Rea Michalová, Martin Káňa, Hansjürgen Gartner und Joachim Lothar Gartner.

In München eröffnete Zuzana Finger, Heimatpflegerin der Su-detendeutschen, mit Ausstel-lungskuratorin Rea Michalová die Ausstellung „Borderline-Syndrom“. Die deutsch-tsche-chische Ausstellung ist eine grenzüberschreitende Präsenta-tion von tschechischen und su-detendeutschen Künstlern.

Borderline-Syndrom ist ein Ausstellungsprojekt von fünf

tschechischen und deutschen Künstlern über die Vertreibung und das tschechisch-deutsche Zusammenleben im Grenzgebiet des Sudetenlandes“, erläuter-te Kuratorin Rea Michalová bei ihrer Ausstellungseinführung. Die Ausstellung sei unter dem tschechischen Namen „Hranicní Syndrom“ in einer Vorläufer-form schon in diversen tschechi-schen Galerien gezeigt worden. Mit der Bezeichnung „Border-line-Syndrom“, der an die Dia-gnose einer schweren psychiatri-schen Erkrankung erinnern solle, wolle man zeigen, daß durch die „Besetzung“ der Sudetengebie-te 1938 und die Vertreibung aus dem Sudetenland in der Nach-kriegszeit wunde Stellen in der tschechisch-deutschen Geschich-te geblieben seien.

„Die tschechischen Künstler David Saudek, Jaroslav Valečka und Martin Káňa, alle in der Nachkriegszeit geboren, treten hier in den schöpferischen Dialog mit den sudetendeutschen Zwil-lings-Künstlern Hansjürgen Gart-ner und Joachim Lothar Gartner, Zeugen aus der Vertreibungs-zeit.“ Die Künstler aus fast drei Generationen hätten das Thema besonders gut darstellen können, so Michalová, da das Problem

des Sudetenlandes jeden von ih-nen persönlich betreffe: Hansjür-gen Gartner und Joachim Lothar Gartner seien 1945 im nordböh-mischen Steinschönau zur Welt gekommen und nach der Ver-treibung 1949 zunächst in Öster-reich gestrandet. Der Prager Ja-roslav Valečka und Martin Káňa aus Weipert, beide in den Sieb-zigern geboren, seien im Sude-tenland aufgewachsen. Der 1966

in Prag gebore-ne David Saudek habe einen deut-schen Großvater, Sepp Geisler, ge-habt. „Seine Fa-milie war vom Holocaust betrof-fen.“

Ihr eigener Va-ter, so die Kunst-historikerin und Galeristin, ha-be 1938 zusam-men mit weite-ren 200 000 im Grenzgebiet le-benden Tsche-chen seinen Wohnsitz nach Be-setzung durch die Nationalsozia-listen verlassen müssen.

„Aus der schöpferischen Re-flexion über diese gemeinsamen Lebensgeschichten in Verbin-dung mit der tschechisch-deut-schen Koexistenz im Herzen Eu-ropas, mit dem Sudetengebiet, entstand der Grundbaustein des Ausstellungsprojekts Hraniční syndrom/Borderline-Syndrom.“ Mit diesem künstlerischen Pro-jekt solle zur „Kultivierung der beiden Gemeinschaften“ beige-tragen werden.

Michalová schilderte die sehr unterschiedlichen künstlerischen Ansätze der Beteiligten: Hansjür-gen und Joachim Lothar Gartner, beide Mitglieder der Sudeten-deutschen Akademie der Wis-senschaften und Künste, nutzten in ihrer konzeptuell gestimmten Einstellung Notizen der konkre-ten Realität. Hansjürgen Gart-ners Schaffensweg sei prägnant konzeptuell. In seinem Bilder-zyklus „Grenzstein“ sei ihm die Anonymität und Abstraktheit der gewaltsamen Diaspora äußerst bewußt. Er betrete die konkre-te Wirklichkeit mit Hilfe seiner imaginativen „Domkonstruktio-nen“, die teilweise den zukünf-tigen – aber auch den vergan-genen – Zustand der Vertrei-bungsorte dokumentierten.

Joachim Lo-thar Gartner sei in seinem Schaf-fenswerk direkter und emotions-voller. Er nutze die Foto-Kollage aus historischen Aufnahmen mit Bildervervielfa-chung.

Jaroslav Valečka zei-ge eher ei-ne fantasie- und gefühlvol-le Position im Rahmen des

klassischen Bildes. In sei-nen Gemälden sei seine inne-re Verknüpfung mit dem Lau-sitzer Gebirge eingeschrie-ben, wo er aufgewachsen sei und zeitweise lebe. Seine kal-ten, winterlichen, schneebe-deckten Landschaften mit glü-henden Feuerlichtern und my-steriösen Geheimnissen und Riten halte wundersame Men-schengeschichten bereit.

Die künstlerische Methode von David Saudek stelle sich symbolisch und konzeptuell stärker dar. In seinen Werken verbinde er auf wirkungsvol-le Art historische Motive, die mit dem Thema zusammen-hingen, mit Ikonen und Ido-len der heutigen, von der Ge-schichte durchaus unbelaste-ten Generation. „Durch eine innovative Schichtung von manchmal auch naiven und scheinbar fast unangebrach-ten Symbolen erzielt er einen neuen Anblick und eine neue Ansicht“, schilderte die Kura-torin. Der bildende Künstler Martin Káňa wiederum verei-ne die Metaphern der Grenze mit nüchternen, abstrahierten und monumentalen Objekten, die seine schöpferischen Ge-danke präzis spiegelten.

Oft sei zu hören, daß der Verlust des Sudetenlands für

beide Seiten ein hinreichender Grund zu gemeinsamer Reue und Trauer sei, faßte Michalová zusammen. „Wir sind der An-sicht, daß wir nach positiveren Ausgangspunkten suchen soll-ten. Wir haben einen Raum für die Wiederbelebung der Multi-kulturalität und für die Wieder-herstellung von Kontakten er-worben“, schloß sie. Derzeit gebe es Bemühungen, die Ausstellung

später noch an anderen Orten zu zeigen. Sie bedankt der Gastge-berin, der Heimatpflegerin Zu-zana Finger, sowie dem Mitver-anstalter Jan Samec, dem Leiter der Interaktiven Galerie Villa Be-cher in Karlsbad, der leider am Eröffnungstag in München ver-hindert war.

Dank galt natürlich auch der Kuratorin, den ihr Ondřej Cerný aussprach. Der Direktor des Tschechischen Zentrums in Mün-chen meinte in seinem Grußwort, daß nach dem Trauma des Zwei-ten Weltkriegs die Deutschen schon früh eine Versöhnung an-gestrebt, die tschechische Sei-te jedoch erst spät mit der Auf-arbeitung begonnen habe. Die neue Ausstellung strebe nun ei-nen künstlerischen Dialog und eine multiperspektivische Dis-kussion an.

„Die Perspektiven in ,Borderli-ne‘ sind wahrlich sehr vielseitig“, so Zuzana Finger. Die Heimat-pflegerin freute sich über die Be-gegnung von tschechischen und sudetendeutschen Künstlern. Zur Ausstellung erscheine auch ein zweisprachiger Katalog, der bei der Heimatpflege der Sude-tendeutschen erhältlich sei. „In ,Borderline‘ kann man sich auf eine grenzüberschreitende Rei-se begeben“, lud Finger ein. Dies wurde noch musikalisch erleich-tert: Anina Polásek sang das Lied „Auf die Reise“, das sie mit ih-rem Piano-Begleiter Steffen Zan-der komponiert hatte.

Susanne Habel

Bis Freitag, 25. März: „Border-line-Syndrom“ in München-Au, Sudetendeutsches Haus, Hoch-straße 8. 9.00–18.30 Uhr. Katalog 10 Euro.

� Ausstellungseröffnung im Sudetendeutschen Haus

Grenzgänger in der Kunst

Jaroslav Valečka: „Brennender Jeschken“ (Öl, 2015) und „Lager“ (Öl, 2015).

David Saudek: „Ende eines Mythos“ (2013) und „Schießkommando“ (2014) sowie Joachim Lothar Gartner: „Soweit die Füße tragen 3“ (2015) und „Som-mer 1941 (1)“ (Fotocollagen, 2012). Vorne auf dem Boden: Martin Káňa: „Muster 39“ (Plaststoff, 2011/12).

Dr. Rea Michalová

Oben Hansjürgen Gartner: „Grenzstein 0“ (Acryl, 2015). Unten Joachim Lo-thar Gartner: „Soweit die Füße tragen 1“ (Collage, 2015).