Kölner Stadt Anzeiger

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B islang hat sich niemand ge- meldet auf Anzeige Num- mer 38 174: „Kevin, 20, ge- boren am 3. 11. 1992, sucht seine leiblichen Eltern; Name der Mut- ter: Heike Manuela L., geb. P., wohnhaft in Siegen. Vater unbe- kannt. Er möchte gern Kontakt aufnehmen.“ Vor einerWoche hat Kevin den Suchauftrag im Internetforum www.adoption.de geschaltet. Seit- dem wartet er auf eine Rückmel- dung. „Vielleicht weiß ja jemand was.“ Und wenn nicht? Dann wäre das nicht die erste Enttäuschung, die er in den vergangenen vier Jah- ren verkraften musste. Kevin, angehender „Fachmann für Systemgastronomie“, geboren und aufgewachsen in Siegen, ist ein Adoptivkind. Zwei Jahre und neun Monate war er alt, als er den Familiennamen Hillnhütter er- hielt. 16 Jahre war er, als er erfuhr, dass sein Geburtsname ein anderer ist. Seitdem ist Kevin auf der Su- che nach seinen biologischenWur- zeln. Ein Zufall brachte vor vier Jah- ren die Wahrheit über seine Her- kunft ans Licht. „Ich wollte einen Personalausweis beantragen, aber die haben mich im Bürgerbüro un- ter meinem Familiennamen nicht gefunden.“ Die Sachbearbeiterin begann nachzuforschen – und ent- deckte unter dem Geburtsdatum 3. November 1992 einen „Kevin L.“ „Ich konnte mir im ersten Mo- ment überhaupt keinen Reim da- rauf machen und habe erst mal mit einem Heulkrampf reagiert“, erin- nert sich Kevin an seinen denk- würdigen Besuch im Bürgerbüro. Die Eltern klärten den verstörten 16-Jährigen widerwillig auf. „Du bist adoptiert.“ Offensichtlich hat- ten sie es versäumt, das Kind nach der Adoption unter seinem neuen Familiennamen anzumelden. Informationen über seine Her- kunftseltern erhielt Kevin in die- sem ersten Gespräch nicht. Auch später schwiegen die Eltern be- harrlich über die Umstände seiner Adoption. „Über die Asozialen re- den wir nicht“, schmetterte die Mutter irgendwann alle weiteren Nachfragen des Sohnes ab. „Die mauern, damit sie nach au- ßen den Schein von einer rosaro- ten Familie aufrechterhalten kön- nen“, vermutet Kevin. „Wir hätten doch in Ruhe darüber reden kön- nen. Ich war schließlich schon 16, als alles aufflog. So kam zu dem Schock, adoptiert worden zu sein, die Enttäuschung dazu, dass sie mir nichts gesagt haben und selbst jetzt noch schweigen.“ Bis heute weiß der 20-Jährige nicht, wo er die ersten drei Jahre seines Lebens bis zu seiner Adop- tion verbracht hat. Er weiß nicht, ob er Geschwister, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen hat, ob sei- ne Eltern und Großeltern noch le- ben. Und – er weiß nicht, „ob mei- ne leiblichen Eltern ab und zu an mich denken und sich fragen, was wohl aus mir geworden ist, oder ob ihnen das völlig egal ist“. Er streicht sich das feuerrot ge- färbte Haar aus dem Gesicht. Die Fingernägel sind blau lackiert, die hellen Augen blicken ein wenig melancholisch in die Welt. „Mir hängt ständig im Hinterkopf: Du willst endlich wissen, wer deine leiblichen Eltern sind. Ein wichti- ger Teil von mir fehlt einfach. Ich wünsche das niemandem: Nicht zu wissen, wo er herkommt.“ Kevin versteht „Spenderkinder“ wie die 22-jährige Sarah P., die mehrmals vor Gericht zog, um den Namen des anonymen Samen- spenders zu erfahren, dem sie ihre Existenz verdankt. Das Oberlan- desgericht Hamm gab der jungen Frau Anfang dieses Monats recht: Der zuständige Mediziner muss Sarah P. den Namen des Spenders nennen. „Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist ein fundamentales Recht“, so die Ur- teilsbegründung. „Je früher man die Kinder auf- klärt, desto besser“, sagt dazu Car- men Thiele vom „Bundesverband der Pflege- und Adoptionsfamili- en“. „Irgendwann macht sich jeder auf die Suche nach seinen Wur- zeln, und je länger man ihm die Wahrheit verschweigt, desto grö- ßer ist die Frustration, jahrelang belogen worden zu sein.“ Kevin Hillnhütter sieht das ge- nauso. „Es solltenTüren und Wege offengehalten werden, die es den Kindern ermöglichen, ihre leibli- chen Eltern kennenzulernen.“ Er kennt inzwischen wenigstens den Namen seiner leiblichen Mutter. „Heike Manuela L., geborene P., wohnhaft in Siegen“ steht auf der Abstammungsurkunde, die er nach intensiver Suche in der Woh- nung der Adoptiveltern fand. „Ich habe sämtliche Schränke durch- wühlt, um irgendwelche Akten oder andere Hinweise auf meine Eltern zu finden.“ Die Abstam- mungsurkunde, auf der auch das Datum der Adoption – der 4. Au- gust 1995 – verzeichnet ist, war das einzige Dokument, das seine Adoption belegt. Der Name des biologischen Vaters fehlt darauf. „Wahrscheinlich haben meine El- tern die Unterlagen woanders un- tergebracht. Es muss doch irgend- etwas geben.“ Niemals, sagt Kevin, wäre er auf die Idee gekommen, nicht das leib- liche Kind seiner Eltern zu sein. Bis heute nennt er die Adoptivel- tern im Gespräch Vater und Mut- ter. Sicher, da war die Sache mit seinen Füßen. Die hat ihn „irgend- wann kurz stutzig werden lassen“. Er lacht ein wenig verlegen. Als Einziger in der Familie hat er Schuhgröße 50. „Mein Vater hat bei Größe 45 aufgehört, meine Mutter hat 37. Nur ich habe diese Riesenlatschen. Aber ich habe nie weiter darüber nachgedacht.“ Die ersten Erinnerungen des 20- Jährigen reichen zurück in seine Kindergartenzeit, die Jahre davor sind „wie ausgelöscht“. Als er sie- ben ist, adoptieren die Eltern ein weiteres Kind. Der „Kurze“, wie der Große ihn nennt, hat seine ers- ten drei Lebensjahre in einem Kin- derheim verbracht. Kevin erinnert sich noch an die Besuche von Mit- arbeitern des Jugendamtes, die ihn fragen, ob er sich vorstellen kön- ne, ein Brüderchen zu bekommen. Der leibliche Vater hält auch nach der Adoption Kontakt zu dem „Kurzen“; die Mutter hält sich fern. „Bei ihm war von Anfang an klar, dass er adoptiert ist“, sagt Ke- vin. Darüber gesprochen wird dennoch nicht im Haus der Adop- tiveltern. „Das ganze Thema ist ein verschlossenes Buch. Ich weiß we- der, warum unsere Eltern keine ei- genen Kinder hatten, noch warum sie uns angenommen haben.“ In- zwischen könne er ihnen ihr Schweigen zwar verzeihen. „Ver- gessen kann ich es nicht.“ Die Erziehung ist streng, der Fa- milienalltag von festen Regeln ge- prägt. An materiellen Zuwendun- gen mangelt es nicht „Unsere El- tern haben immer viel für mich und meinen Bruder getan“, erin- nert sich Kevin. Familienurlaube, Skikurse, Ferienfreizeiten, Mit- gliedschaft in einem Kinder- und Jugendchor: „Wenn wir uns etwas gewünscht haben, haben wir es auch bekommen.“ An Küsse und liebevolle Umarmungen kann er sich nicht erinnern. Im August 2012 zieht Kevin zu Hause aus. „Die Sache mit der ver- schwiegenen Adoption war der erste große Knall bei uns. An- schließend gab es immer wieder Zoff.“ Als Kevin sich als schwul outet, reduziert derVater den Kon- takt mit dem Ältesten auf das Nö- tigste. „Er hat nichts mehr mit mir unternommen, dem war alles völ- lig egal. Ob meine Mutter damit ein Problem hatte, weiß ich nicht. Sie redet nicht darüber. Ich bin ein- fach anders als die beiden. Ich ma- che den Mund auf, wenn mir etwas nicht passt, und ich rede mit ande- ren über meine Probleme.“ Seit seinem Auszug forscht Ke- vin verstärkt nach seinen leibli- chen Eltern. „Ich fühle mich freier als früher. Abends sitze ich oft auf meiner Couch und denke über mein Leben nach. Irgendwann kam alles wieder hoch und ich dachte: Du musst jetzt was tun. Das alles ist inzwischen 20 Jahre her. Akten können verschwinden, Menschen können sterben, und dann findest du vielleicht nie her- aus, was damals passiert ist.“ Stundenlang sitzt er vor dem Computer und gibt den Namen der Mutter in verschiedene Suchma- schinen ein: „Heike Manuela L., Heike L., Manuela L.“ Nichts. „Weißt du, wie viele Heike Ma- nuelas es in Deutschland gibt?“, fragt er. Er setzt sich mit dem Ju- gendamt in Siegen und dem örtli- chen Kinderheim inVerbindung in der Hoffnung, etwas über seine ersten drei Lebensjahre zu erfah- ren. Nichts. Er durchforstet heimlich und mit Hilfe von Freun- den – die Krankenakten zweier Krankenhäuser, um in Erfahrung zu bringen, ob eine Heike Manuela L., geborene P., vor 20 Jahren in ei- nem von ihnen einen Sohn entbun- den hat. Nichts. Nun also die An- zeige im Internet. Jeder neuer Versuch kostet Kraft, jeder Misserfolg „zieht ei- nen weiter runter. Man hofft ja je- des Mal: Vielleicht bekommt man diesmal ein paar Unterlagen oder Fotos. Aber nichts.“ Manchmal stellt Kevin sich vor, was er täte, wenn er die Adresse von Heike Manuela L. herausgefunden hätte. „Ich bin keiner, der sich hinsetzt, einen langen Brief schreibt und abwartet, ob er vielleicht irgend- wann eine Antwort bekommt. Ich würde einfach hingehen und bei ihr klingeln.“ Und dann? „Dann möchte ich ei- ne Erklärung von ihr. Ich will wis- sen, was damals abgelaufen ist und warum meine Eltern mich wegge- geben haben. Ich denke, entweder man kriegt ein Kind und sorgt da- für. Oder man sieht zu, dass man erst gar keine Kinder bekommt.“ 4000 Adoptionen pro Jahr in Deutschland Die Zahl der Adoptionen in Deutschland ist rückläufig. 2011 wurden 4060 Kinder adoptiert, davon 3126 deutsche und 934 nichtdeutsche. 1995 lag die Zahl fast doppelt so hoch: Knapp 8000 Kinder wurden erfolgreich in eine Adoptivfamilie vermittelt. Die Mehrzahl der vermittelten Kinder wurde 2011 von Verwandten oder Stiefeltern adoptiert (2370). 1690 Kinder fanden bei fremden Familien dauerhaft ein neues Zu- hause. Neue Gerichtsurteile: Das Ober- landesgericht Hamm entschied Anfang Februar, dass „Spender- kinder“ ein Anrecht darauf haben, den Namen des anonymen Sa- menspenders zu erfahren, dem sie ihre Existenz verdanken. Das Bundesverfassungsgericht stärkte Mitte Februar die Rechte homosexueller Paare. Bringt ein Partner ein Adoptivkind mit in die Ehe, darf der andere es rechtlich als Kind annehmen. (P.P.) Die verschwiegene Adoption war der erste große Knall bei uns. Anschließend gab es immer wieder Zoff Kevin Hillnhütter Ich denke, entweder man kriegt ein Kind und sorgt dafür. Oder man sieht zu, dass man erst gar keine Kinder bekommt Kevin Hillnhütter Montag, 25. Februar 2013 Kölner Stadt-Anzeiger Reportage 08 Ein Teil von ihm fehlt Kevin Hillnhütter wurde als Kind adoptiert – und hat das als Teenager zufällig erfahren. Seither sucht der junge Mann aus Siegen nach seinen leiblichen Eltern VON PETRA PLUWATSCH Kevins Suche nach seinen leiblichen Eltern gestaltet sich schwierig. Kevin mit seinerAbstammungsurkunde BILDER: MICHAEL BAUSE

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  • Bislang hat sich niemand ge-meldet auf Anzeige Num-mer 38 174: Kevin, 20, ge-boren am 3. 11. 1992, sucht seineleiblichen Eltern; Name der Mut-ter: Heike Manuela L., geb. P.,wohnhaft in Siegen. Vater unbe-kannt. Er mchte gern Kontaktaufnehmen.Vor einer Woche hat Kevin den

    Suchauftrag im Internetforumwww.adoption.de geschaltet. Seit-dem wartet er auf eine Rckmel-dung. Vielleicht wei ja jemandwas. Und wenn nicht? Dann wredas nicht die erste Enttuschung,die er in den vergangenen vier Jah-ren verkraften musste.Kevin, angehender Fachmann

    fr Systemgastronomie, geborenund aufgewachsen in Siegen, istein Adoptivkind. Zwei Jahre undneun Monate war er alt, als er denFamiliennamen Hillnhtter er-hielt. 16 Jahre war er, als er erfuhr,dass seinGeburtsname ein andererist. Seitdem ist Kevin auf der Su-che nach seinen biologischenWur-zeln.Ein Zufall brachte vor vier Jah-

    ren die Wahrheit ber seine Her-kunft ans Licht. Ich wollte einenPersonalausweis beantragen, aberdie haben mich im Brgerbro un-ter meinem Familiennamen nichtgefunden. Die Sachbearbeiterinbegann nachzuforschen und ent-deckte unter demGeburtsdatum 3.November 1992 einen Kevin L.Ich konnte mir im ersten Mo-

    ment berhaupt keinen Reim da-rauf machen und habe erst mal miteinem Heulkrampf reagiert, erin-nert sich Kevin an seinen denk-wrdigen Besuch im Brgerbro.Die Eltern klrten den verstrten16-Jhrigen widerwillig auf. Dubist adoptiert. Offensichtlich hat-ten sie es versumt, das Kind nachder Adoption unter seinem neuenFamiliennamen anzumelden.Informationen ber seine Her-

    kunftseltern erhielt Kevin in die-sem ersten Gesprch nicht. Auchspter schwiegen die Eltern be-harrlich ber die Umstnde seiner

    Adoption. ber dieAsozialen re-den wir nicht, schmetterte dieMutter irgendwann alle weiterenNachfragen des Sohnes ab.Die mauern, damit sie nach au-

    en den Schein von einer rosaro-ten Familie aufrechterhalten kn-nen, vermutet Kevin. Wir httendoch in Ruhe darber reden kn-nen. Ich war schlielich schon 16,als alles aufflog. So kam zu demSchock, adoptiert worden zu sein,die Enttuschung dazu, dass siemir nichts gesagt haben und selbstjetzt noch schweigen.Bis heute wei der 20-Jhrige

    nicht, wo er die ersten drei Jahreseines Lebens bis zu seiner Adop-tion verbracht hat. Er wei nicht,ob er Geschwister, Onkel, Tanten,Cousins und Cousinen hat, ob sei-ne Eltern und Groeltern noch le-ben. Und er wei nicht, ob mei-ne leiblichen Eltern ab und zu anmich denken und sich fragen, waswohl ausmir geworden ist, oder obihnen das vllig egal ist.Er streicht sich das feuerrot ge-

    frbte Haar aus dem Gesicht. DieFingerngel sind blau lackiert, diehellen Augen blicken ein wenigmelancholisch in die Welt. Mirhngt stndig im Hinterkopf: Duwillst endlich wissen, wer deineleiblichen Eltern sind. Ein wichti-ger Teil von mir fehlt einfach. Ichwnsche das niemandem:Nicht zuwissen, wo er herkommt.Kevin versteht Spenderkinder

    wie die 22-jhrige Sarah P., diemehrmals vor Gericht zog, um denNamen des anonymen Samen-spenders zu erfahren, dem sie ihreExistenz verdankt. Das Oberlan-desgericht Hamm gab der jungenFrau Anfang dieses Monats recht:Der zustndige Mediziner mussSarah P. den Namen des Spendersnennen. Das Recht auf Kenntnisder eigenen Abstammung ist einfundamentales Recht, so die Ur-teilsbegrndung.Je frher man die Kinder auf-

    klrt, desto besser, sagt dazu Car-men Thiele vom Bundesverbandder Pflege- und Adoptionsfamili-en. Irgendwannmacht sich jederauf die Suche nach seinen Wur-zeln, und je lnger man ihm dieWahrheit verschweigt, desto gr-er ist die Frustration, jahrelangbelogen worden zu sein.Kevin Hillnhtter sieht das ge-

    nauso. Es solltenTren undWegeoffengehalten werden, die es denKindern ermglichen, ihre leibli-chen Eltern kennenzulernen. Erkennt inzwischen wenigstens denNamen seiner leiblichen Mutter.

    Heike Manuela L., geborene P.,wohnhaft in Siegen steht auf derAbstammungsurkunde, die ernach intensiver Suche in derWoh-nung der Adoptiveltern fand. Ichhabe smtliche Schrnke durch-whlt, um irgendwelche Aktenoder andere Hinweise auf meineEltern zu finden. Die Abstam-mungsurkunde, auf der auch dasDatum der Adoption der 4. Au-gust 1995 verzeichnet ist, war

    das einzige Dokument, das seineAdoption belegt. Der Name desbiologischen Vaters fehlt darauf.Wahrscheinlich haben meine El-tern die Unterlagen woanders un-tergebracht. Es muss doch irgend-etwas geben.Niemals, sagt Kevin, wre er auf

    die Idee gekommen, nicht das leib-liche Kind seiner Eltern zu sein.Bis heute nennt er die Adoptivel-tern im Gesprch Vater und Mut-

    ter. Sicher, da war die Sache mitseinen Fen. Die hat ihn irgend-wann kurz stutzig werden lassen.Er lacht ein wenig verlegen. AlsEinziger in der Familie hat erSchuhgre 50. Mein Vater hatbei Gre 45 aufgehrt, meineMutter hat 37. Nur ich habe dieseRiesenlatschen. Aber ich habe nieweiter darber nachgedacht.Die ersten Erinnerungen des 20-

    Jhrigen reichen zurck in seineKindergartenzeit, die Jahre davorsind wie ausgelscht. Als er sie-ben ist, adoptieren die Eltern einweiteres Kind. Der Kurze, wieder Groe ihn nennt, hat seine ers-ten drei Lebensjahre in einemKin-derheim verbracht. Kevin erinnertsich noch an die Besuche vonMit-arbeitern des Jugendamtes, die ihnfragen, ob er sich vorstellen kn-ne, ein Brderchen zu bekommen.Der leibliche Vater hlt auch

    nach derAdoptionKontakt zu demKurzen; die Mutter hlt sichfern. Bei ihm war von Anfang anklar, dass er adoptiert ist, sagt Ke-vin. Darber gesprochen wirddennoch nicht im Haus der Adop-

    tiveltern. Das ganzeThema ist einverschlossenesBuch. Ichweiwe-der, warum unsere Eltern keine ei-genen Kinder hatten, noch warumsie uns angenommen haben. In-zwischen knne er ihnen ihrSchweigen zwar verzeihen. Ver-gessen kann ich es nicht.Die Erziehung ist streng, der Fa-

    milienalltag von festen Regeln ge-prgt. An materiellen Zuwendun-gen mangelt es nicht Unsere El-tern haben immer viel fr michund meinen Bruder getan, erin-nert sich Kevin. Familienurlaube,Skikurse, Ferienfreizeiten, Mit-gliedschaft in einem Kinder- undJugendchor: Wenn wir uns etwas

    gewnscht haben, haben wir esauch bekommen. An Ksse undliebevolle Umarmungen kann ersich nicht erinnern.Im August 2012 zieht Kevin zu

    Hause aus. Die Sachemit der ver-schwiegenen Adoption war dererste groe Knall bei uns. An-schlieend gab es immer wiederZoff. Als Kevin sich als schwuloutet, reduziert derVater den Kon-takt mit dem ltesten auf das N-tigste. Er hat nichts mehr mit mirunternommen, dem war alles vl-lig egal. Ob meine Mutter damitein Problem hatte, wei ich nicht.Sie redet nicht darber. Ich bin ein-fach anders als die beiden. Ich ma-che denMund auf, wennmir etwasnicht passt, und ich rede mit ande-ren ber meine Probleme.Seit seinem Auszug forscht Ke-

    vin verstrkt nach seinen leibli-chen Eltern. Ich fhle mich freierals frher. Abends sitze ich oft aufmeiner Couch und denke bermein Leben nach. Irgendwannkam alles wieder hoch und ichdachte: Du musst jetzt was tun.Das alles ist inzwischen 20 Jahreher. Akten knnen verschwinden,Menschen knnen sterben, unddann findest du vielleicht nie her-aus, was damals passiert ist.Stundenlang sitzt er vor dem

    Computer und gibt den Namen derMutter in verschiedene Suchma-schinen ein: Heike Manuela L.,Heike L., Manuela L. Nichts.Weit du, wie viele Heike Ma-nuelas es in Deutschland gibt?,fragt er. Er setzt sich mit dem Ju-gendamt in Siegen und dem rtli-chen Kinderheim inVerbindung inder Hoffnung, etwas ber seineersten drei Lebensjahre zu erfah-ren. Nichts. Er durchforstet heimlich und mit Hilfe von Freun-den die Krankenakten zweierKrankenhuser, um in Erfahrungzu bringen, ob eineHeikeManuelaL., geborene P., vor 20 Jahren in ei-nem von ihnen einen Sohn entbun-den hat. Nichts. Nun also die An-zeige im Internet.Jeder neuer Versuch kostet

    Kraft, jeder Misserfolg zieht ei-nen weiter runter. Man hofft ja je-des Mal: Vielleicht bekommt mandiesmal ein paar Unterlagen oderFotos. Aber nichts. Manchmalstellt Kevin sich vor, was er tte,wenn er die Adresse von HeikeManuela L. herausgefunden htte.Ich bin keiner, der sich hinsetzt,einen langen Brief schreibt undabwartet, ob er vielleicht irgend-wann eine Antwort bekommt. Ichwrde einfach hingehen und beiihr klingeln.Und dann? Dannmchte ich ei-

    ne Erklrung von ihr. Ich will wis-sen,was damals abgelaufen ist undwarum meine Eltern mich wegge-geben haben. Ich denke, entwederman kriegt ein Kind und sorgt da-fr. Oder man sieht zu, dass manerst gar keine Kinder bekommt.

    4000Adoptionen pro Jahr in DeutschlandDie Zahl der Adoptionen inDeutschland ist rcklufig. 2011wurden 4060 Kinder adoptiert,davon 3126 deutsche und 934nichtdeutsche. 1995 lag die Zahlfast doppelt so hoch: Knapp 8000Kinderwurden erfolgreich in eineAdoptivfamilie vermittelt. DieMehrzahl der vermittelten Kinderwurde 2011 von Verwandtenoder Stiefeltern adoptiert (2370).1690 Kinder fanden bei fremdenFamilien dauerhaft ein neues Zu-hause.

    Neue Gerichtsurteile: Das Ober-landesgericht Hamm entschiedAnfang Februar, dass Spender-kinder ein Anrecht darauf haben,den Namen des anonymen Sa-menspenders zu erfahren, demsie ihre Existenz verdanken.

    Das Bundesverfassungsgerichtstrkte Mitte Februar die Rechtehomosexueller Paare. Bringt einPartner ein Adoptivkindmit in dieEhe, darf der andere es rechtlichals Kind annehmen. (P.P.)

    Die verschwiegeneAdoption war der erstegroe Knall bei uns.Anschlieend gab esimmer wieder ZoffKevin Hillnhtter

    Ich denke, entwederman kriegt ein Kindund sorgt dafr.Oder man sieht zu, dassman erst gar keineKinder bekommtKevin Hillnhtter

    Montag, 25. Februar 2013 Klner Stadt-Anzeiger

    Reportage 08

    Ein Teil von ihm fehltKevin Hillnhtter wurde als Kind adoptiert und hat das als Teenager zuflligerfahren. Seither sucht der jungeMann aus Siegen nach seinen leiblichenElternVON PETRA PLUWATSCH

    Kevins Suche nach seinen leiblichen Eltern gestaltet sich schwierig.

    Kevin mit seinerAbstammungsurkunde BILDER: MICHAEL BAUSE