KOLUMBIEN KONGO SCHWEIZ - Sentinelles...wurde. Justine ist 51 Jahre alt, Witwe und muss alleine für...

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SCHWEIZ Abschied vom Zeichner André Paul KOLUMBIEN Turbulentes Familienleben für Camila und Valentina N° 262 / Februar 2019 KONGO Nach dem Leid, der Wiederaufbau JAB CH 1008 Prilly Poste CH SA

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SCHWEIZAbschied vom Zeichner André Paul

KOLUMBIENTurbulentes Familienleben für Camila und Valentina

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KONGONach dem Leid, der Wiederaufbau

JABCH

1008 PrillyPoste CH

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Im Niger bewirkt das Sahel-Klima eine schwere Problematik, die mit dem Zugang zu Wasser verbunden ist. Im Pflegeheim von Sentinelles in Zinder, wo sich die Kinder, die an Noma erkrankt sind, aufhalten, fliesst das Wasser aus dem Wasser-hahn zu gewissen Jahreszeiten nur an einem von zwei Tagen oder manchmal sogar nur an jedem dritten. Ausserdem verstärkt der Bau von Raffinerien, die einen Teil des Grundwassers umlei-ten, den Mangel an fliessendem Wasser in gewissen Gegenden, wie das leider auch in Zinder der Fall ist.

Dieses Jahr hat das schweizerische Departement für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) die Finanzierung einer Trinkwas-serbohrung im Pflegeheim bewilligt. Nach gründlichen geologi-schen Studien sind zwei Pumpzonen in Arbeit um einen Wasser-turm zu füllen. Gute Neuigkeit: das Wasser ist trinkbar, was in gewissen Grundwasserzonen nicht immer der Fall ist.

So können die täglichen Aktivitäten zur Hygiene und Reinigung stattfinden, ohne dass Wassermangel befürchtet werden muss. Das unterstützt die Sensibilisierungsarbeit betreffend der Zahn-, Mund- und Körperhygiene, die im Rahmen der medizinischen Betreuung von Noma so wesentlich sind. Diese Installation wird auch das Aufrechterhalten der Sauberkeit des Heimes erleich-tern, wo sich die Kinder oft für längere Zeit aufhalten.

Einsatz für Kinder

Die Konvention für die Kinderrechte wird dieses Jahr dreis-sig Jahre alt. Sie ist heute das meist ratifizierte Menschen-rechtsabkommen und erzielte echte Fortschritte durch ihre Aufnahme in die öffentliche Politik und die nationa-len Rechtssprechungen. Leider bleiben in der Wirklich-keit mehrere Formen von Missachtung und Verletzung der Grundrechte der Kinder bestehen. Aus wirtschaftlichen, politischen, klimatischen, kulturellen oder sozialen Grün-den leben oder überleben Kinder in Bedingungen äusserster Armut, unter Gewalt und Missbrauch, ohne Gesundheits-pflege und Trinkwasser oder sie müssen, mit oder ohne ihre Familien, vor Kriegen und Hungersnöten fliehen. Wie-viele von ihnen haben keine Kindheit? Welche Auswirkun-gen haben diese Probleme auf ihr zukünftiges Leben als Erwachsene?

Die Solidarität, welche Sie im Laufe des vergangenen Jahres gezeigt haben, beweist Ihren Willen zur Unterstützung der Rechte der Kinder. Und wenn dieses Engagement, sowohl das Ihre als auch das unsere, minim scheint, hat es doch eine direkte, konkrete und langfristige Auswirkung für jedes der begleiteten Kinder und deren Familien. Die Betreuung und der Schutz eines geprügelten Talibé; einige Schritte mit einem jungen Erwachsenen, dessen Gesicht vom Noma zer-fressen wurde; eine freundschaftliche Hand, die einem mit seiner Familie auf der Strasse gestrandeten Mädchen auf-hilft – das ist eine bescheidene Hilfe, die aber eine sehr grosse Auswirkung hat. Sie ändert das aktuelle Leben der Betroffenen und hinterlässt in ihrem zukünftigen Leben positive Spuren.

2 | SENTINELLES | Februar 2019

| NIGER

Trinkwasserbohrung

Leitartikel

K U R Z G E S A G T

Marlyse Morard Geschäftsführerin

Sentinelles wurde 1980 von Edmond Kaiser frei von jeglicher Ideologie gegründet und setzt sich für die Rettung und Beglei-tung von unendlich verletzten Kindern und Erwachsenen ein.

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Trotz eines grauen und regnerischen Tages haben Antoinette, Daniela, Jean-Luc und Serge am Dienstag, 13. November, am 549. Martinsmarkt in Vevey mehr als 1,200 Franken gesammelt. Ihnen, die dem Wetter getrotzt und all jenen, die wunderbare Konfitüren hergestellt und auch noch die Gläser dekoriert haben, gebührt ein ganz grosser Dank! Danke auch allen, die durch ihre Einkäufe unsere Projekte unterstützen.

| SUISSE

Erfolg am Martinsmarkt

Im Juli 2018 hat die Ergotherapeutin Vanille Bioley als Freiwil-lige einen Teil ihrer Ferien dem Besuch des Pflegeheims in Zinder gewidmet. Dieses betreut Kinder, die unter Noma leiden. Das Ziel war es, das tägliche Funktionieren des Pflegeteams und des Ani-mators zu evaluieren. Vanille hat sich mit den Kindern in kleinen Altersgruppen beschäftigt, indem sie mit ihnen Aktivitäten durch-geführt hat, um ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern, wie zum Beispiel Ball-, Geschicklichkeits- oder Gedächtnistrainings-spiele. Den Kindern, in Rekonvaleszenz im Pflegeheim von Sen-tinelles, fehlt manchmal die für ihre Entwicklung notwendige Stimulation; einige, vor allem die kleinsten, die Noma hatten, werden von ihren Müttern und den Personen, die sie begleiten, zu sehr beschützt. Sie werden fast immer getragen, sodass sie ihre Umgebung nicht mit Musse selber entdecken können. Vanille hat mit einigen zwei- bis dreijährigen gearbeitet, um einfache Gesten zu erlernen, wie zum Beispiel einen Gegenstand ergreifen oder ihn von einer Hand in die andere zu tun.

Sie hat auch Empfehlungen zur Mund- und Zahnhygiene gege-ben. Die Kinder hatten die Gewohnheit, die Zahnpasta an einem vom Badezimmer entfernten Ort zu holen, um dann auf dem Weg dorthin, oft ganz zerstreut, anzufangen, ihre Zähne zu putzen. Vanille hat geraten, dass dieser ganze Vorgang an einem einzi-gen Ort stattfinden soll. Das Beherrschen des Zähneputzens ist wichtig für eine gute Mundhygiene, um so jedem Rückfall in die Krankheit (Zahnfleischentzündung) vorzubeugen. Je nach Gegend verwenden gewisse Familien andere Mittel, um sich die Zähne zu reinigen, so zum Beispiel Neemholz, Sand oder Kohle. Das Erler-nen einer neuen Technik kann deshalb schwierig sein. Die ausge-wählten Lösungen müssen auch auf die kulturellen Unterschiede Rücksicht nehmen, damit die Kinder eine Technik erwerben kön-nen, die in ihrer Gemeinschaft sonst niemand praktiziert. So wer-den sie die richtigen Gesten auch beibehalten, wenn die Betreu-ung durch Sentinelles zu Ende geht.

| NIGER

Besuch einer Ergotherapeutin

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Ita, dieser junge 20-jährige Pygmäe aus Zentralafrika, der schwer an Noma erkrankt war und von dem wir in den letzten Ausga-ben erzählt haben, hat nach einem Jahr Pflege und Operationen, die im Universitätsspital Genf durchgeführt worden sind, nach Hause zurückkehren können.

Er ist mit einem wieder hergestellten Gesicht und mit guten Per-spektiven für seine Zukunft abgereist. Sein Abschied war von heftigen Gefühlen begleitet, was angesichts der Verbundenheit und der Beziehungen, die während seines Aufenthaltes im Haus von Terre des hommes in Massongex und bei einer Familie, die ihn herzlich aufgenommen hatte, geknüpft worden sind nicht verwunderlich war.

Seine Ankunft zu Hause war auch eine Quelle verschiedenster Emotionen. Ita hat seine Mutter wieder gefunden, von der man gemeint hatte, sie sei gestorben. Es wird einige Zeit brauchen, um den Kontakt mit den Seinen, seinem Heimatland und seiner Kul-tur wiederzufinden. Trotz der Wiederbegegnung mit seiner Fami-lie hat es Ita vorgezogen, nach Bangui, der Hauptstadt, zurück-zukehren, da er dort mehr Möglichkeiten für seine Zukunft hat.

Eine Spende hat es dem jungen Mann erlaubt, sich eine Getrei-demühle anzuschaffen, was ihm erlauben wird, eine Tätigkeit ausüben zu können, die etwas Geld einbringt, sodass er für seine Lebenskosten aufkommen kann. Momentan lebt er in einer Fami-lie in der Hauptstadt, wo er sich zurechtfinden kann und auch gut nachbetreut wird.

Wir wünschen Ita das allerbeste für seine Zukunft und dass sein neues Gesicht ihm erlaube, ein Leben zu führen, bei dem er unter den Seinen integriert ist.

| SCHWEIZ/ZENTRALAFRIKA

Ita ist wieder zu Hause

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| KONGO

Lebensveränderungen In einem zerfallenen Haus lebte Justines Familie in kaum vorstellbarem Elend. Dank der Unterstützung von Sentinelles bauen Justine und ihre Kinder Schritt für Schritt ihre Leben wieder auf.

In der Demokratischen Republik Kongo kämpft die Bevölke-rung, unter oft unvorstellbaren Bedingungen, ums Überleben ihrer Familien. Die Armut ist enorm, vor allem in den ländli-chen Regionen. Sentinelles ist in Süd-Kivu vor Ort. Das Gebiet ist seit vielen Jahren von extremer Gewalt betroffen. Frauen und Kinder sind oft deren erste Opfer; darum stehen sie im Zentrum unserer Bemühungen. In der Region um Nyantende unterstützt Sentinelles eine verzweifelte Familie, die im Juni 2017 entdeckt wurde. Justine ist 51 Jahre alt, Witwe und muss alleine für die fünfzehnköpfige Familie aufkommen. Dies ist ihre Geschichte.

Justine ist selbst in einer Grossfamilie aufgewachsen und hat früh geheiratet. Sie begann ein ruhiges Leben mit Mann und zwölf Kindern. Das Ehepaar arbeitet als Holzträger (man nennt sie „porte-faix“). So bringen sie, wenn auch knapp, die Familie über die Runden. Irgendwann verfällt Justines Mann dem Alko-hol und wird gewalttätig. Er arbeitet nicht mehr; deshalb muss Justine jetzt alleine für das Überleben der Familie sorgen und sich auch alleine um die Kinder kümmern. Ständiger Hunger und fehlende Zuneigung setzen den Kindern stark zu; die älteren erliegen dem Konsum von Alkohol und Drogen. Der Ehemann wird schwer krank und stirbt im Mai 2017.

Justine ist jetzt ganz auf sich alleine gestellt. Ihr ältester Sohn, die einzig mögliche Stütze, verlässt die Region ohne irgendwel-che Nachrichten zu hinterlassen. Zur gleichen Zeit wird Justines Tochter Marta von ihrem Mann verlassen. Aus ihrem Zuhause von den Schwiegereltern vertrieben, ist sie gezwungen, zusam-

men mit ihren Kindern, zu Justine zurückzukommen. Dann wird Claire, eine andere von Justines Töchtern, von einem Mann schwanger, der das Kind nicht anerkennen will.

VERHINDERTE KATASTROPHESie leben alle zusammen auf kleinstem Raum in einem verfal-lenen Haus. Mauern und Dach sind voller Löcher und halten nicht mehr.

Während der Regenzeit ist das Haus überschwemmt.

Sie besitzen kein Bett, und wegen des Schlammes, der

dann in die Hütte eindringt, kann die Familie nachts

nicht schlafen.

In einem Haus, in das jeder ohne Schwierigkeiten eindringen kann, sind die Kinder allen Gefahren ausgesetzt. Dazu kommt, dass in der Regenzeit das Risiko dass das Haus einmal zusam-menfällt, steigt. Diese Lebensbedingungen sind nicht zumutbar.Die Sozialarbeiter von Sentinelles werden von einem Mitglied der Gemeinschaft kontaktiert und begeben sich darauf in Justi-nes Dorf. Den fortgeschrittenen Zerfall des Hauses zu sehen ist ein Schock. Der Bau eines neuen Hauses, wo diese Grossfamilie würdig leben kann, wird zur Priorität. Während des Baues stürzt das alte Haus eines nachts nach einem starken Regen zusam-men. Hätte Justines Familie nicht schon begonnen, die Nacht im neuen Haus zu verbringen, hätte die Situation tragisch enden können.

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In Sud-Kivu, von Sentinelles gestützt, hat Gislaine sehr ihr Leben und diejenigen ihrer Kin-der verbessern können. Eine schöne Geschichte.

Während neue Familien betreut werden, sind andere bereits bereit auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist der Fall von Gislaines Familie. Als sie 2013 vom Team von Sentinelles in der Region Kabare entdeckt wurde, lebte die Vierzigjäh-rige mit ihren fünf Kindern in grosser Armut. Ihr Mann war zwei Jahre zuvor von paramilitärischen Gruppen getötet worden und Gislaine war von diesem Vorkommnis immer noch traumatisiert.

Ihr Leben war zu einem ständigen Kampf um die Ernährung ihrer Familie gewor-den. Keines der Kinder ging in die Schule und die älteste Tochter, Nsimire, ver-suchte der Mutter finanziell zu helfen, indem sie sich prostituierte. Sie arbei-tete auch regelmässig gegen geringe Bezahlung auf den Feldern und küm-merte sich um ihre kleinen Brüder. Wie bei den meisten Familien, die Sentinel-les in Süd-Kivu unterstützt, lebten auch sie in einem äusserst baufälligen Haus.

Der erste Schritt war deshalb, das Haus wieder aufzubauen. Gleichzeitig begann Gislaine mit der Unterstützung durch unsere Sozialarbeiterinnen, ein kleines Geschäft mit Seifen und Bananensaft aufzubauen. Am Anfang war der Ver-

kauf harzig. Dank der häufigen Besuche und der regelmässigen Betreuung durch unsere Mitarbeiterinnen konnte sie sich wichtige neue Kenntnisse aneignen und lernte aus ihren Fehlern. Heute weiss sie, wie sie das Angebot je nach Sai-son und Nachfrage anpassen muss und

dadurch gelingt es ihr, einen Gewinn zu erzielen, der ihr erlaubt, den Bedürfnis-sen ihrer Familie gerecht werden zu kön-nen.

Nsimire ist mittlerweile 18 Jahre alt, hat mit der Prostitution aufgehört und ist Mutter geworden. In Bukavu hat sie bei „Cité de la Joie“ im Rahmen des Pro-gramms, das bezweckt aus der Not eine Stärke zu machen, eine Ausbildung gemacht. Voller Motivation und guten Mutes hilft sie jetzt ihrer Mutter im Geschäft und ist selber Besitzerin einer Meerschweinchenzucht; ein Fleischpro-dukt, das wegen des hohen Proteinge-halts geschätzt wird. Ihre kleinen Brü-der gehen regelmässig zur Schule und erzielen gute Resultate. Die Gesundheit der Familie ist gut.

Die Familiendynamik ist wieder herge-stellt, so dass Sentinelles sie ihren eige-nen Weg gehen lassen kann. Der Prozess des Wiederaufbaus einer in verschiede-nen Domänen geschädigten Familie ist lang und oft kompliziert. Aber mit Mit-gefühl, Geduld und Ausdauer erwacht auch die Hoffnung wieder, und einzelne Schicksale verbessern sich. ■

AUF DEM WEG ZUR SELBSTÄNDIGKEITDank eines Minikredits beginnt Justine mit der Unterstützung ihrer Töchter Marta und Claire einen Handel mit Bohnen und eine Hühnerzucht. Gleichzeitig arbeitet Justine einige Tage pro Woche bei der Abfallsammlung für private Haushalte; so hat sie eine zusätzliche Einkommensquelle. Die drei Frauen sind wegen dieser Gelegenheit, wieder einer Tätigkeit nachgehen zu kön-nen, glücklich und motiviert und bemühen sich sehr ihr Unter-nehmen zum Erfolg zu führen. Judith, ein weiteres Mädchen der Familie, besucht eine Ausbildung zur Schneiderin, und die jün-geren Kinder sind alle eingeschult. Und schlussendlich haben alle nun auch Zugang zu medizinischer Versorgung. Aber die Situation ist noch nicht ganz geklärt. Einige Kinder leiden unter Blutarmut und alle erkranken regelmässig an Malaria, die in der Region stark verbreitet ist.

Von diesen Leidensjahren traumatisiert, ist der Weg zur Selb-ständigkeit für diese Familie noch weit. Deshalb ist die intensive Betreuung durch unsere Sozialarbeiter so wichtig. Sentinelles will jede Frau und jedes Kind bis zum Moment, wo sie wieder für sich selber sorgen können, begleiten. Inzwischen hat die Fami-lie von Justine schon das Lachen wiedergefunden, und das hat keinen Preis… ausser dem ihrer Unterstützung. ■

In der Demokratischen Republik Kongo,

Mit CHF 30.– kann man einer in extremer Armut lebenden Familie ein Ferkel schenken.

Mit CHF 80.– zahlen sie einem Kind in der Demokratischen Republik Kongo seine jährlichen Schul- und Materialkosten.

CHF 500.– genügen um einer Familie, die vor der Gewalt geflohen ist und in den Wäldern von Kivu Schutz gesucht hat, ein Haus aus Lehm oder Holz zu bauen.

Ein Neubeginn

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Wir möchten Ihnen die Lebensgeschichte von Camila und Valentina erzählen, zwei Schwestern, die Sentinelles seit ihrem zweiten und dritten Lebensjahr begleitet.

| KOLUMBIEN

Zwei Schwestern

Die zehnjährige Camila kam im Dezember 2017 ins Pflegeheim. Im folgenden Jahr stiess auch ihre Schwester Valentina dazu. Ihre Familie wurde von Gewalt zerrüttet: die Mutter, Julieth Taborda, kam wegen Verwicklung in Drogenhandel und Dieb-stählen, die von jungen Straftätern organisiert und ausgeführt worden waren, 2017 ins Gefängnis. Auch ihr Sohn, Luis David, hatte mit ihnen zusammengearbeitet, blieb aber nach einem Zusammenstoss mit der Polizei gelähmt. Er war 19 Jahre alt.

Julieth Taborda ist 38 Jahre alt und hat sieben Kinder. Schon im frühesten Alter wurden ihr vier von ihnen durch die Kinder- und Jugendschutzbehörde Kolumbiens weggenommen und in Internaten platziert, denn sie lebten unter prekären Umständen von Unterernährung, Gewalt und Verwahrlosung. Mariana fand eine Pflegefamilie, Danilo, Daniel und Jacqueline wurden adop-tiert. Luis David wurde im Alter von sieben Jahren im Pflegeheim „Tierra de Vida“ (Sentinelles in Kolumbien) aufgenommen und anschliessend in einem Internat platziert.

In den 1990-er Jahren hat die Kinder- und Jugendschutzbehörde Julieth die elterliche Gewalt für alle ihre Kinder entzogen. Des-halb kämpfte Julieth nach der Geburt von Camila und Valentina darum zu beweisen, dass sie ihre Neugeborenen betreuen könne. Sie kümmerte sich um sie und suchte sich kleine Arbeiten. Sen-tinelles hat sie bei ihrer Arbeitssuche unterstützt.

SCHUTZ GEGEN GEWALTAls die kleinen Mädchen 2 und 3 Jahre alt waren, nahm Sentinel-les sie im Pflegeheim auf. Sie befanden sich in einem verwahr-losten Zustand, mit gesundheitlichen Schäden und angeschla-gen von schlechter Ernährung (die Kleinere war untergewichtig). Diese Unterbringung brachte den beiden Kleinen Stabilität. Die Betreuung ihrer Mutter ist hingegen chaotisch. Sie hat Alkohol- und Drogenprobleme und ist zudem Manipulatorin. Julieth hat ein schwieriges Leben. Der Vater der Mädchen, Fredy, schlägt sie und zwingt sie gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr.

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Julieth versucht unter grossen Schwierigkeiten zu arbeiten und die Mädchen bei sich zu behalten, aber im April 2017 kommt sie ins Gefängnis. Sie ist in Drogenhandel und bandenmässig orga-nisierten Diebstahl verwickelt.

Seit sie im Gefängnis ist, kümmert sich Fredy um Valentina und Camila. Besonders für Camila wird das Leben schwierig, weil Julieth nicht mehr da ist. Die Grossmutter, Doña Maria Victoria, hilft ihrem Sohn bei der Kinderbetreuung, aber sie diskriminiert Camila wegen ihrer dunklen Hautfarbe, welche sie von Julieth geerbt hat und bevorzugt Valentina, welche die helle Hautfarbe ihres Vaters hat. Camila muss alle Haushaltsarbeiten überneh-men. Sie wird dauernd gequält und ihren Vater kümmert das Leiden seiner Tochter überhaupt nicht.

Im Dezember 2017, nachdem die Vernachlässigung und schlechte Behandlung von Camila offiziell festgestellt worden waren, haben wir ihr vorgeschlagen, ins Pflegeheim zu kommen. Ihr Vater ist einverstanden und das Mädchen ist glücklich. Wir bemühen uns, ihr eine gesellschaftliche Eingliederung und eine gefühlvolle Umgebung zu bieten, in der sie ihren Selbstwert und ihr Selbstvertrauen wieder finden kann. Gleichzeitig soll sich auch die Verbindung mit ihrem Vater, ihrer Schwester und ihrer Grossmutter stärken. Valentina und Camila sehen sich jeden Nachmittag nach der Schule im Don Bosco-Zentrum (Räum-lichkeiten der Salesianer, wo sie nach der Schule spielen kön-nen und Nachhilfeunterricht erhalten). Danach geht Valentina zu ihrem Vater nach Hause und Camila kehrt ins Foyer zurück. Die beiden Schwestern besuchen ihre Mutter einmal im Monat im Gefängnis.

Camila entwickelt sich rasch, sie fühlt sich wohl, ist

gut eingegliedert und sehr intelligent. Für ein Kind,

welches den Gedanken an Selbstmord erwogen hatte,

bevor es ins Pflegeheim kam, ist das ein riesiger Fort-

schritt!

Valentina hingegen ist seit einigen Monaten im Pflegeheim weniger aktiv. Auch der Sozialarbeiter von Don Bosco hat uns seine Besorgnis mitgeteilt, weil sie dort nicht mehr regelmässig erscheint, leider auch in der Schule nicht. Valentina wird am Abend zuhause eingesperrt, entweder allein oder zusammen mit Juan Felipe, dem Sohn der neuen Freundin ihres Vaters.

Wir besuchen also Valentina und stellen fest, dass Fredy und seine Freundin Luz Mery durch ihre Arbeit in einer Kohlenmine überlastet sind. Sie haben keine Zeit für Valentina. Die Gross-mutter, die die Kleine gern hat, leidet an gesundheitlichen Pro-blemen und kann sich nicht mehr um sie kümmern. Etliche Nächte und Wochenende ist die neunjährige Valentina allein mit dem nur fünf Jahre älteren Sohn von Luz Mery.

WIEDER VEREINTAufgrund der schwierigen Situation von Valentina, die an schuli-schen und erzieherischen Mängeln leidet und körperlich gefähr-det ist, suchen wir das Gespräch mit der ganzen Familie. Camila, Julieth und Fredy sind einverstanden, dass sie ins Pflegeheim kommt bis Julieth aus dem Gefängnis entlassen wird. Wir bit-

ten Fredy und seine neue Freundin, die Mädchen jedes Wochen-ende zu holen. Luz Mery ist dagegen - sie will Camila nicht neh-men, weil sie schlecht erzogen sei. Wir schlagen Fredy vor, sie ein Wochenende lang zu nehmen und zu überlegen. Am Mon-tag beim vereinbarten Treffen sind Luz Mery und Fredy sehr zufrieden über die gemeinsam mit Camila verbrachte Zeit und sagen sie sei sehr nett, organisiert und verantwortungsvoll. Sie beschliessen also, die Aufnahme von Valentina im Pflegeheim zu beantragen und die beiden Mädchen jeden Freitag abzuholen.

Camila und Valentina freuen sich sehr, wieder zusammenle-ben zu können und Julieth, ihre Mutter, ist erleichtert. Valen-tina geht wieder regelmässig zur Schule und verlebt ihren Alltag mit ihrer Schwester und anderen Kindern; sie spielt gerne mit allen. Wir begleiten sie immer noch jeden Monat ins Gefängnis, um ihre Mutter zu besuchen. Ihr Vater, der sie jedes Wochen-ende abholt, verbringt immer noch nicht viel Zeit mit ihnen. Es muss noch ein langer Weg zurückgelegt werden, aber wenigs-tens sehen wir bei Camila einen deutlichen Fortschritt. Weil sie keinen Misshandlungen mehr ausgesetzt ist, kann sie ihr junges Leben schon selbst in die Hand nehmen.

Wir werden weiter mit ihrem Vater arbeiten und stärken die Bin-dung von Valentina und Camila mit ihrer Mutter durch die Besu-che im Gefängnis. Wir vertrauen voller Hoffnung auf eine glück-liche Zukunft der beiden Schwestern. ■

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Die alte Dame und der Schwarze

«Meine als authentisch zertifizierte Geschichte spielt im Restau-rant eines grossen Lausanner Warenhauses. Restaurant-Cafe-teria.

Eine alte Dame sitzt vor einer großen Schüssel dampfender Suppe. Sie will gerade beginnen zu essen, als sie merkt, dass sie vergessen hat, einen Löffel zu nehmen. Sie steht auf, geht zu den Besteckbehältern, nimmt einen Löffel und kehrt an ihren Platz zurück.

Oh Schreck! Vor ihr, an ihrem Tisch, sitzt ein Schwarzer, der fröhlich die Suppenschüssel in Angriff nimmt. Ihre Suppen-schüssel.

Die verblüffte alte Dame fixiert den Schwarzen, dieser taucht sei-nen Löffel unbeeindruckt weiterhin in die Schüssel..... Und ohne zu zögern taucht auch die alte Dame ihren Löffel ohne Federle-sens in die Schüssel («Es wäre ja noch schöner, wenn sie sich das Essen von so einem Lulatsch stehlen liesse....»).

Und so teilen sich eine alte Dame und ein Schwarzer mit grossem Appetit, und ohne ein Wort zu wechseln, eine Schüssel Suppe. Eine Schüssel Suppe hält nicht lange vor, wenn zwei Gäste sie unter sich aufteilen.

Ende des ersten Aktes. Der noch immer ungerührte Schwarze steht auf, nimmt die leere Schale mit und geht zur Theke. Zwei Minuten später kommt er mit einem Teller Spaghetti bolognese und zwei Gabeln zurück. Ohne ein Wort zu sagen, reicht er der alten Dame eine der Gabeln, und die gemeinsame Mahlzeit wird fortgesetzt. Immer abwechselnd machen die alte Dame und der Schwarze schwungvoll und mit einem noch immer intakten Appetit dem Spaghettiteller den Garaus. Immer noch schwei-gend, ohne verschwörerisches Augenzwinkern, als ob sie schon ewig vom gleichen und einzigen Teller gegessen hätten.

Fertig mit den Spaghetti bolognese!

Die alte Dame und der Schwarze scheinen satt zu sein. Sie blei-ben einander gegenüber sitzen, tief in ihren Gedanken, ohne jeg-lichen Wunsch, ihr Schweigen zu brechen. So geht es eine oder zwei Minuten lang.

Und dann, auf einmal..... verlässt der Blick der alten Dame den Tisch und ihr Gegenüber und schweift etwas weiter in das Res-taurant ab.

Etwas weiter.... oh..... nicht sehr viel weiter! Nur ein paar Meter weiter.... zu einem nahegelegenen Tisch... wo ganz allein... seit einer ganzen Weile verlassen.... eine Schüssel Suppe thront, die auf eine schwierige Kundin wartet..... Das war’s! »

Der Zeichner André Paul, ein treuer Freund von Edmond Kaiser und Sentinelles, ist gestorben. Mit unermesslichem Talent illustrierte er mit seinem schnellen, präzisen, aber auch zart und lyrisch angehauchten Strich freundlicherweise viele Texte unserer Zeitschrift, darunter auch diese von Lova Golovtchiner erzählte Geschichte.

| SCHWEIZ

Hommage an André Paul

Les Cerisiers, route de Cery CH -1008 Prilly / Lausanne (Suisse) Tel. +41 21 646 19 [email protected] www.sentinelles.org

Postscheck-Konto: Lausanne 10 - 4497- 9 Kantonalbank Waadt, 1001 Lausanne: BIC/SWIFT BCVLCH2LXXX Schweizer Franken Konto : IBAN CH12 0076 7000 S045 9154 0 Euro Konto : IBAN CH14 0076 7000 T511 2794 9

Auflage: 35.000 Exemplare (fr/de/eng)Abonnement: CHF 20.–/J (sechs Ausgaben) Verleger: SentinellesLayout: Mathias Regamey Druck: PCL Presses Centrales SA