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Studienjahr 2008-2009 Kompositionelle Okkasionalismen in Schlagzeilen und ihre Äquivalente in Zeitungstexten Eine Untersuchung Masterarbeit im Fachgebiet Deutsche Sprachwissenschaft von Stijn Raepsaet Master Deutsch-Englisch Leser: Prof. Dr. Luc De Grauwe, Dr. Torsten Leuschner & Prof. Dr. Martina Penke

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Studienjahr 2008-2009

Kompositionelle Okkasionalismen in Schlagzeilen und ihre Äquivalente in

Zeitungstexten

Eine Untersuchung

Masterarbeit im Fachgebiet Deutsche Sprachwissenschaft

von Stijn Raepsaet

Master Deutsch-Englisch Leser: Prof. Dr. Luc De Grauwe, Dr. Torsten Leuschner & Prof. Dr. Martina Penke

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Vorwort:

In der vorliegenden Masterarbeit beschäftige ich mich mit der Thematik der kompositionellen

Okkasionalismen. Eine Thematik, die meiner Meinung nach in der deutschen

Sprachwissenschaft wenig berücksichtigt wird. Ich danke Prof. Dr. Luc De Grauwe für die

Betreuung dieser Arbeit, und meinen Eltern und meiner Freundin für die mentalen

Unterstützung. Ohne diese Personen wäre die Arbeit nicht zustande gekommen.

Sint-Eloois-Winkel, im Mai 2009 Stijn Raepsaet

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Literaturverzeichnis:

0. Einleitung 8

1. Zeitung 8

1.1 Zeitungssprache 8

1.1.1 Seriöse Zeitungen 9

1.1.2 Boulevardpresse 10

1.2 Die Schlagzeile 11

2. Der Begriff Komposition 12

2.1 Die Wortbildung 12

2.2 Komposition 15

2.2.1 Funktion 17

2.2.2 Die Einheiten der Komposition 18

2.2.3 Kompositionsarten 22

2.2.3.1 Das Determinativkompositum 22

2.2.3.1.1 Die nominalen Determinativkomposita 24

2.2.3.1.1.1 Das Nomen-Nomen-Kompositum 24

2.2.3.1.1.1.1 Zur Struktur 25

2.2.3.1.1.1.2 Zur Semantik 26

2.2.3.1.1.1.3 Die Klammerform 30

2.2.3.1.1.2 Das Adjektiv-Nomen-Kompositum 30

2.2.3.1.1.2.1 Zur Struktur 30

2.2.3.1.1.2.2 Zur Semantik 32

2.2.3.1.1.3 Das Verb-Nomen-Kompositum 32

2.2.3.1.1.3.1 Zur Struktur 33

2.2.3.1.1.3.2 Zur Semantik 34

2.2.3.1.1.4 Das nominale Konfixkompositum 34

2.2.3.1.1.4.1 Das Konfix-Nomen-Kompositum 35

2.2.3.1.1.4.2 Das Nomen-Konfix-Kompositum 35

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2.2.3.1.1.4.3 Das Konfix-Konfix-Kompositum 36

2.2.3.1.1.5 Das Satz-Nomen- und das Phrasen-Nomen-

Kompositum 36

2.2.3.1.2 Das Possessivkompositum 37

2.2.3.1.3 Das verdeutlichende Kompositum 37

2.2.3.2 Das Kopulativkompositum 39

2.2.3.3 Onymische und deonymische Komposita 40

2.2.3.3.1 Das onymische Kompositum 40

2.2.3.3.2 Das deonymische Kompositum 41

2.2.3.4 Die Reduplikation 42

2.2.3.4 Die Kontamination 43

3. Neologismen 43

3.1 Definition 43

3.2 Okkasionalismen 44

3.2.1 Okkasionalismen in der Zeitung 49

4. Die Untersuchung 52

4.1 Arbeitsmethode 52

4.2 Material 54

4.3 Die eigentliche Untersuchung 56

4.4 Ergebnisse 89

5. Zusammenfassung/Schlussfolgerung 94

6. Literaturverzeichnis 97

7. Anhang 99

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0. Einleitung

Da es sich um die Aktualität handelt und also neue Ereignisse beschrieben werden, tauchen

sich in der Berichterstattung von Zeitungen häufig neue Wörter bzw. Gelegenheitsbildungen

auf. In dieser Arbeit werde ich zusammengesetzte Gelegenheitsbildungen, die in den

Schlagzeilen von Zeitungen vorkommen, untersuchen.

Zunächst ist es jedoch notwendig, auf einige Begriffe näher einzugehen. In einem ersten

Kapitel werde ich mich dem Begriff ‚Zeitung‟ zuwenden. Hier werde ich die Aspekte

‚Zeitungssprache‟ und ‚Schlagzeile‟ theoretisch erläutern. Diese Aspekte sind für meine

Arbeit von großer Bedeutung, denn sie bilden die sogenannten Stützpunkte der zu

besprechenden Wörter: Die Gelegenheitsbildungen sind im Rahmen dieser Art von Sprache

aufgebaut. In einem zweiten Kapitel werde ich mich mit den Gelegenheitsbildungen als

zusammengesetzten Wörtern bzw. Komposita beschäftigen. Hier werde ich den Begriff

‚Komposition‟ definieren und die verschiedenen Arten der Komposita strukturell und

semantisch erörtern. In einem dritten Kapitel werde ich mich auf die Gelegenheitsbildungen

selbst beschränken. Nachdem der Begriff ‚Gelegenheitsbildung‟ bzw. ‚Okkasionalismus‟

definiert worden ist, werde ich näher auf ihre möglichen Funktionen eingehen.

Erst nach dieser theoretischen Darlegungen zu den betreffenden Begriffen werde ich imstande

sein, eine Fragestellung und eine darauf aufbauende mögliche Hypothese zu formulieren. Aus

diesem Grunde werden die Fragestellung und Hypothese am Ende von Kapitel 3 präsentiert.

1. Zeitung

In diesem Kapitel werde ich mich kurz mit die Aspekten des Begriffes ‚Zeitung‟ beschäftigen,

die für meine Arbeit von Belang sein. Die fraglichen Aspekte sind die Begriffe

‚Zeitungssprache‟ und ‚Schlagzeile‟.

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1.1 Zeitungssprache

Es ist undenkbar, von einer einheitlichen Zeitungssprache für alle Zeitungen zu sprechen. Die

Sprache, die in dieser Textsorte verwendet wird, variiert stark von Zeitung bis Zeitung. Im

Folgenden werde ich die bundesdeutschen Zeitungen je nach dem Sprachgebrauch in zwei

Gruppen unterteilen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird in den westlichen Besatzungszonen die strenge

Überwachung von Zeitungen, die während des Nazi-Regimes gilt, aufgehoben.1 Von da an

kann jeder eine Zeitung herausgeben. Dies hat zur Folge, dass in den ersten Jahren nach dem

Krieg viele Zeitungen entstehen. Die Unmenge Zeitungen führt zu einem heftigen

Konkurrenzkampf und schließlich zu einer Konzentrationsbewegung. So verschwindet eine

große Anzahl - regionale, lokale - Zeitungen und entwickeln sich vor allem die Zeitungen, die

sich als überregional profilieren, d.h. über nationale und internationale Themen in Politik,

Kultur, Wirtschaft, usw. berichten.2 Im Laufe der Nachkriegszeit werden die Zeitungen auch

mehr und mehr privatisiert. Da sich die Presse wegen des privatwirtschaftlichen Blickwinkels

gewinnorientiert bestimmt, steht das Verkaufen im Vordergrund. Zeitungen entwickeln sich

auf diese Weise schnell zu Massenmedien, die auf den Massengeschmack gerichtet sind. In

der Suche nach Lesern unterscheiden sich innerhalb der Zeitungen im Großen und Ganzen

zwei Tendenzen, die beide viele Anhänger haben: Entweder versucht die Zeitung über eine

breite Vielfalt von Themen möglichst genau und objektiv zu informieren, oder sie will durch

sensationelle und eher subjektive Berichterstattung Leser locken (vgl. Straßner 1997: 11-12).

Den ersten Fall bestimme ich als „seriöse Zeitungen“, den zweiten als Boulevardpresse.

1.1.1 Seriöse Zeitungen

Als seriöse Zeitungen werden diejenigen betrachtet, deren Hauptzweck ist, objektiv zu

informieren. Die Nachrichten in Zeitungen haben rein als Funktion, die Leser über einen

bestimmten Gegenstand oder Sachverhalt zu berichten. Deshalb ist der Sprachgebrauch in

solchen Zeitungen – abgesehen von subjektiven Artikeln wie Kommentaren und Kolumnen -

1 In der DDR wurden die Zeitungen noch immer - damals von der Stasi - überwachen.

2 Die Konzentrationsbewegung hat zur Folge, dass zwischen 1954 und 1980 fast die Hälfte der Herausgeber-

Verlage verschwand (vgl. Straßner 1997: 11).

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als neutral berichtend zu bezeichnen.3 Überdies ist die Sprache der seriösen Zeitungen fast

ausnahmslos standardsprachig. Die inhaltliche und sprachliche Neutralität führt dazu, dass

solche Zeitungen meinungsbildend sind und in gewissem Maße einen elitären Charakter

haben. Diese Zeitungen zielen auf eine soziologisch vergleichsweise hoch angesiedelte

Leserschaft bzw. auf Akademiker. Beispiele seriöser deutschsprachiger Zeitungen sind die

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Die ZEIT, Die Welt und die Süddeutsche Zeitung (SZ)

(vgl. Straßner 1997: 19).

1.1.2 Boulevardpresse

Boulevard- oder Kaufzeitungen haben als Hauptzweck, über Nachrichten sensationell und

möglichst exklusiv zu berichten, damit die Leser dazu angereizt werden, die Zeitungen zu

kaufen. Derartige Zeitungen berichten häufig von Ereignissen in Showbizz und Modetrends,

beim Berichten über „seriöse“ (z.B. ökonomische, politische, usw.) Gegenstände oder

Sachverhalte handelt es sich meist um Skandale oder banale Aspekte eines Geschehens.

Während eine seriöse Zeitung die Begegnung des belgischen Königspaares mit

Bundeskanzlerin Angela Merkel aus politischen, ökonomischen Standpunkten betrachten

würde, würde eine Boulevardzeitung die Aufmerksamkeit eher auf die Tracht der

Prominenten lenken. Außerdem berichten Kaufzeitungen nicht neutral, nicht objektiv. Häufig

vertreten die Berichte die Meinung oder Betrachtung, die der Journalist gegenüber dem

besprochenen Thema hat. Im Gegensatz zu den seriösen Zeitungen sind Boulevardzeitungen

also nicht meinungsbildend, sondern eher meinungsaufdringlich. Die Journalisten erwähnen

ihre Meinung meist nicht explizit, sondern verwenden hierfür emotionsbefrachtete Wörter.

Der „subjektive“ Wortschatz drückt nicht nur die Meinung des Journalisten aus, sie wirkt

auch attraktiv und sensationell (vgl. Straßner 1997: 50-51).

Mittelberg (1967) unterscheidet in der Bild-Zeitung, welche die größte Boulevardzeitung

Deutschlands ist, vier verschiedene Bereiche emotionsbefrachteten Wortschatzes:4

3 „Kommentare sind Meinungsbeiträge der Redakteure […] Es wird Stellung genommen zu Gegenständen, die in

Berichten mitgeteilt werden. […] Ein Urteil des Lesers kann vorbereitet, seine Wertung unterstützt werden

(Straßner 1997: 17). Die Kolumne bezeichnet einen kurzen Meinungsbeitrag von stets demselben Journalisten

bzw. Kolumnisten. Meist handelt sie von der Meinung des Schreibers in Bezug auf alltägliche Themen (vgl.

Duden Wörterbuch 2003: 926). In dergleichen Artikeln handelt es sich um subjektive Texte, in denen folglich

nicht neutral berichtet wird. 4 Obwohl die Studie von Mittelberg von 1967 datiert, finde ich sie noch ganz zutreffend. Dies habe ich nach dem

Lesen einiger gegenwärtiger Boulevardzeitungen (BILD-Zeitungen) konstatiert.

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1) Zuerst gibt es den Wortschatz der Sensation. Da die Bild-Zeitung, wie alle

Boulevardzeitungen, ein Sensationsblatt ist, werden häufig Wörter verwendet, die

Erregung, Spannung, Furcht, Leidenschaft und Empörung aufrufen, z.B. Superlative

(der größte Unfall), ausdrucksstarke Adjektiven (ein heller Kampf), intensivierende

Wortbildungen (Panikstimmung in München) (vgl. Mittelberg 1967: 47).

2) Als zweite Sorte erwähnt Mittelberg (1967: 57-61) einen Wortschatz, der Fürsorge

und Liebe aufruft. Als Wörter der Fürsorge werden häufig solche aus dem Wortfeld

‚Hilfe‟, wie Rettung, verwendet. Ein typisches Wort, mit dem Liebe aufgerufen wird,

ist Herz, z.B. Das kranke Mädchen braucht unser Herz.

3) Daneben gibt es den Wortschatz der Sentimentalität, Wörter die - gesteigerte -

Einsamkeit, Alter und Armut aufrufen. Hier gibt es häufig direkte sprachliche

Superlative und Gradadverbien, z.B. das einsamste Kind der Stadt, die verarmte Frau

(vgl. Mittelberg 1967: 61-62).

4) Letztens erwähnt Mittelberg (1967: 62-69) einen Wortschatz der Stellungsnahme.

Hierzu werden oft die Adjektive groß und gut - und ihre Superlative - sowie

Synonyme für das Gradadverb sehr verwendet, z.B. das große/größte Interesse, das

Riesenschiff / das mächtige Schiff ‚das sehr große Schiff‟.

Mittelberg (1967: 69-73) erwähnt auch, dass die zahlreichen emotionalen (Aussage)Verben zu

den verschiedenen Wortschätzen beitragen, z.B. empören, hätscheln, sich abhärmen, necken.

Außerdem nimmt die Boulevardpresse auf umgangssprachliche Tendenzen Rücksicht.

Mittelberg (1967: 74) bemerkt, dass in den Artikeln häufig Umgangssprache im engeren

Sinne - d.h. erhöhte Volkssprache -, Alltagssprache - d.h. die hochdeutsche Sprachform, die

im täglichen Umgang der Menschen angewendet wird -, dem Slang - oft vom Jargon

beeinflusst - und vulgäre Gossensprache verwendet wird. Die Verwendung

umgangssprachlicher Wörter in der Boulevardpresse hat als Hauptzweck, sich auf die

Leserschaft einzustellen. Leser der Boulevardzeitungen gehören meist der mittleren

Mittelschicht bis zur unteren Unterschicht an.

1.2 Die Schlagzeile

Als Schlagzeile bezeichnet man den Titel bzw. die Überschrift eines Artikels.. Mittelberg

(1969: 19) sagt, dass die Schlagzeile das Gesicht der Zeitungstexte bildet. Er bestimmt sie

gewissermaßen als das Aushängeschild des Textes. Ihre Aufgabe ist, die Aufmerksamkeit des

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Lesers auf sich zu ziehen, damit der Leser - wenn interessiert – dazu angereizt ist, den Text zu

lesen. Diese Aufmerksamkeit bekommt die Schlagzeile, indem sie sowohl formal als auch

inhaltlich auffällt: Formal tragen verschiedene stilistische Faktoren zu der Gestaltung der

Schlagzeile bei. So variiert sie in Bezug auf den Text meist in Schriftfarbe, Schriftgröße,

Schriftwahl (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schlagzeile (11/04/09)).5 Inhaltlich will der

Journalist über die Schlagzeile den Text möglichst akkurat umschreiben. Aber, indem die

Schlagzeile in Länge beschränkt ist - sie ist in der Regel nur ein Wort bis einige Wörter lang -

, drängt möglichst viel Information sich auf wenig Raum. Trotzdem fasst sie irgendwie den

Text zusammen, interpretiert ihn, oder sie umschreibt irgendwie die im Text behandelte

Thematik (vgl. Elsen 2004: 103). Meist verwendet der Journalist dazu Schlagwörter oder

effektive textzusammenfassende Wörter. Elsen (2004: 103) bemerkt, dass hierzu häufig

zusammengesetzte Worte bzw. Komposita benutzt werden. Im folgenden Kapitel werde ich

diese Wortbildungskonstruktionen ausführlich behandeln.

2. Der Begriff Komposition

Die Komposition ist eine der deutschen Wortbildungsarten. Bevor ich sie ausführlich

behandele, ist es notwendig, den Begriff in dem weiteren Bereich der deutschen Wortbildung

einzuordnen.

2.1 Die Wortbildung

Eine ausreichende Definition des Begriffs Wortbildung findet man in Hentschel/Weydt (2003:

23). Sie betrachten Wortbildung als „die Gesamtheit der Verfahren mittels derer einer Sprache

neue Wörter auf der Basis schon vorhandener Wörter gebildet werden.“ Sie erläutern, dass

dieser Bildungsprozess erfolgt, indem einzelne Wörter zu neuen komplexen Wörtern

zusammengefügt oder indem einzelne Wörter durch grammatische Mittel zu neuen

umgeformt werden. Laut Duden (2006: 641) enthält der Terminus eine zweite Bedeutung: Der

Begriff Wortbildung gebraucht man auch für das Ergebnis des oben genannten Prozesses; das

„gebildete“ Wort.

5 Diese Internetquelle betrachte ich als wissenschaftlich akzeptabel, weil sie eine Zusammenfassung des Buches

ABC des Journalismus. Ein Leitfaden für die Redaktionsarbeit (1998) ist. Dieses Buch gilt als Handbuch für die

Redaktionsarbeit.

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Da die Bildung der neuen Wörter - die Wortbildung - über verschiedene Regeln und unter

bestimmten Bedingungen stattfindet, kann man verschiedene Wortbildungsarten erkennen.

Die Einteilung in Wortbildungsarten variiert von Forscher zu Forscher: In Donalies (2005)

findet man eine eher allgemeine Untergliederung in Komposition, Derivation,

Kurzwortbildung, sowie Neumotivierung und Wortspiel.

Bei der Komposition - auch Zusammensetzung genannt - werden mindestens zwei Wörter

und/oder Konfixe zu einem Kompositum zusammengesetzt (vgl. Donalies 2005: 51).6 Eine

ausführliche Darlegung in Bezug auf den Begriff Komposition und seine möglichen

Konstituenten folgt später im Kapitel 2.2.

Bei der Derivation - auch Ableitung genannt – wird ein Wort oder ein Konfix zu einem

Derivat abgeleitet. Das Wort oder Konfix von dem ein neues Wort abgeleitet wird, nennt man

die Basis. Als eine Untergliederung zum Begriff Derivation fasst Donalies (2005: 95) drei

Wortbildungsarten zusammen: Erstens die explizite Derivation, d.h. die Ableitung mit

Wortbildungsaffixen wie -heit, -ig, be- (z.B. frei → Freiheit).7 Zweitens gibt es die

Konversion, d.h. die Ableitung findet allein durch Wortartwechsel statt. Duden (2006: 674)

beschreibt sie als „eine Wortbildungsart, bei der ein Wort in eine andere Wortart umgesetzt

wird, und zwar ohne Beteiligung von Affixen.“ In der Regel gibt es hier also keine

morphologische Veränderung der Basis (z.B. reisen → das Reisen ). Drittens gibt es die

implizite Derivation. „Als implizite Derivation werden Wortbildungsverfahren bezeichnet, die

durch Ab- oder Umlaut gebildet werden“ (Hentschel/Weydt 2003: 26) Diese Wortbildungsart

ist also mit einem Wechsel des Stammvokals verbunden. Im Gegensatz zur expliziten

Derivation bekommt man die Ableitung nicht durch Hinzufügung eines Affixes, sondern

durch Stammalternation. Als implizite Derivation betrachtet man Prozesse deverbaler

Derivation von Substantiven (z.B. werfen → Wurf) und deverbaler Derivation von Verben

(z.B. fallen → fällen) (vgl. Fleischer/Barz 2007: 51).

Bei der Kurzwortbildung wird ein Wort - wie der Begriff vermuten lässt - verkürzt. Durch

die Kürzung wechseln die Wortart und die Bedeutung des Wortes sich jedoch nicht. Ein neues

6 Ein Konfix ist ein„Wortbildungselement, das nicht wortfähig und doch kein Affix ist“ (Duden 2003: 1265).

Eine ausführlichere Darlegung dieses Begriffes folgt später. 7 Affixe sind Wortbildungsmorpheme, die nicht frei vorkommen, sondern gebunden. Dies haben sie mit den

Konfixen - die im nächsten näher Kapitel besprochen werden - gemeinsam. Sie dienen in Verbindung mit

Derivationsbasen (Grundmorphemen oder Wörtern) der Bildung komplexer Wörter. Sie tragen jedoch wie

Grundmorpheme eine lexikalisch-begriffliche Bedeutung. Obwohl sie nicht basisfähig sind, können sie

Basiswörter in eine andere Wortart transponieren und/oder deren Bedeutung modifizieren (vgl. Fleischer/Barz

2007: 25-26). Je nach der Stelle im (komplexeren) Wort kann man sie untergliedern in Präfixe (stets vor einer

Basis positioniert: z.B. be-merken), Suffixe (stets hinter einer Basis positioniert: z.B. Schön-heit) und Zirkumfixe

(stets um eine Basis herum positioniert: z.B. be-fest-ig(en)) (vgl. Donalies 2005: 26-33).

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Wort entsteht also nicht, sondern eine Wortvariante. Nach Bellman (1988: 18) sprechen

Fleischer/Barz (2007: 52) von „lexikalischer Variation besonderen Typs“. Die Vollform wird

durch die Kürzung nicht völlig verdrängt oder ersetzt, sondern „lediglich in ihrer

Auftretenshäufigkeit eingeschränkt.“ (Fleischer/Barz [2007: 52] nach Bellmann [1988: 18]),

z.B. bi für bisexuell, öko für ökologisch, Info für Information, ARD für Arbeitsgemeinschaft

der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Duden

2006: 676).

Bei der Neumotivierung verändert der Sprecher die konventionelle Bedeutung eines Wortes,

indem er durch Verwendungssituation und Kontext semantische Transparenz bei einer nicht

(mehr) transparenten Wortbildung herstellt. Z.B. Löwenanteil → „der größte Teil von etwas“

zu Löwenanteil → „Teil des Eintrittsgeldes der Zoobesucher, der zur Erhaltung der

Löwenzucht verwendet wird.“ (vgl. Duden 2006: 652). Letztens, bei dem Wortspiel werden

Wortbildungsprodukte ironisch-spielerisch aufgegriffen und analog zu lexikalisierten Wörtern

gebildet, z.B. Untertan → Obertan (vgl. Donalies 2005: 152).

In Duden (2006: 668-676) werden die Wortbildungsarten anders dargestellt, da sie über

mehrere Stufen untergliedert sind:

Wortbildungsarten

I mit UK-Struktur ohne UK-Struktur

II zwei wortfähige UK eine wortfähige UK Wortartwechsel kein Wortart-

Wechsel

III Komposition Derivation Konversion Kurzwortbildung

[Schema 1: Duden 2006: 668]

Auf einer ersten Ebene macht Duden den Unterschied zwischen Wortbildungsarten mit

unmittelbaren Konstituenten (UK) und Wortbildungsarten ohne unmittelbare Konstituenten.

Unmittelbare Konstituenten sind „die zwei Bestandteile, aus denen ein komplexes Wort am

wahrscheinlichsten entstanden ist und in die es sich auf der nächstniedrigeren Ebene

lexikalisch und semantisch plausibel zerlegen lässt.“ (Duden 2006: 669). Wortbildungen mit

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einer UK-Struktur sind im Grunde binär. Die Wortbildung ist also auf zwei Konstituenten

zurückzuführen, auch wenn es sich um ein komplexes Wort handelt.8

Auf der zweiten Ebene verzweigen sich beide Strukturen - mit oder ohne UK-Struktur: Im

Bereich der Wortbildungsarten mit UK-Struktur macht Duden den Unterschied zwischen der

UK-Struktur mit zwei wortfähigen UK und der UK-Struktur mit einer wortfähigen UK. Das

Merkmal ‚wortfähig‟ besagt, dass die entsprechende Konstituente auch außerhalb der

Wortbildung […] im Satz verwendet werden kann.“ (Duden 2006: 671). Unter wortfähiger

UK versteht man also UK, die aus einem freien Morphem bestehen. Deshalb werden sie dann

auch freie UK genannt. Typische freie Konstituenten sind Wörter (Substantive, Adjektive,

Verben usw.) bzw. Stämme und - als Spezialfall - syntaktische Fügungen. Demgegenüber

bestehen nicht-wortfähige UK aus einem gebundenen Morphem, wodurch sie auch gebundene

UK genannt werden. Gebundene UK sind Konfixe und Affixe. Enthalt die UK-Struktur zwei

wortfähige UK, dann spricht man von Komposition. Kompositionen sind also komplexe

Wörter aus wortfähigen unmittelbaren Konstituenten, Konfixkomposita hier ausgenommen

(vgl. Duden 2006: 671).9 Enthalt die UK-Struktur nur eine wortfähige UK, dann hat es mit

Derivation zu tun. Die beiden unmittelbaren Konstituenten eines Derivats - einer Ableitung -

sind also eine wortfähige Konstituente und ein Affix (vgl. Duden 2006: 673).10

Bei den Wortbildungen ohne UK-Struktur macht Duden auf einer zweiten Ebene den

Unterschied zwischen über Wortartwechsel gebildeten Wortbildungen und Wortbildungen

ohne Wortartwechsel. Im ersten Falle spricht man von Konversion und im zweiten von

Kurzwortbildung.11

Weiter erwähnt Duden (2006: 677-681) einige Wortbildungsarten, die sich nicht oder nicht

hinreichend deutlich nach dem oben genannten Schema analysieren lassen. Neben der

Partikelverbbildung (12

) und der Rückbildung (13

) werden die Reduplikation und die

8 Eine eingehende Analyse der Binarität der UK-Struktur (bezüglich Kompostion) findet man im nächsten

Kapitel. 9 Die wortfähigen UK werden im nächsten Kapitel ausführlich besprochen.

10 Der Fall, in dem die Ableitung aus einem Konfix und Affix aufgebaut ist, wird hier außer Betracht gelassen,

z.B. ident-isch (vgl. Donalies 2005: 24). 11

Beide Begriffe sind schon eher in diesem Kapitel definiert und behandelt worden. 12

„Genauso wie bei der Präfixderivation wird bei der Partikelverbbildung ein Verb mithilfe eines Präelements

von einer verbalen, substantivischen oder adjektivischen Basis abgeleitet […]. Anders als bei der

Präfixderivation entstehen jedoch durch Partikelverbbildung keine festen komplexen Verben, sondern unfeste,

sogenannte trennbare.“ (Duden 2006: 677). 13

“Rückbildung ist Derivation nicht durch Hinzufügen, sondern durch Tilgung oder Austausch eines

Wortbildungssuffixes mit gleichzeitiger Transposition in eine andere Wortart, wobei der Eindruck entsteht, das

‚rückgebildete‟ Wort sei die - kürzere - Ausgangsform […].“ (Fleischer/Barz 2007: 51). So entstehen

rückgebildete Verben aus substantivischen Komposita mit einem deverbalen Zweitglied, wobei vorhandene

substantivische Suffixe entfallen, z.B. Notlandung → notlanden, Mähdrescher → mähdreschen (vgl. Duden

2006: 681).

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Kontamination – auch Wortkreuzung, Wortverschmelzung, Wortmischung und Kontraktion

genannt - angegeben. Diese zwei Wortbildungsarten betrachte ich nach Donalies (2005) als

Unterarten der Komposition. Deshalb werde ich sie im nächsten Kapitel erläutern.

2.2 Komposition

Aus dem vorigen Kapitel kann man folgern, dass Komposition eine Wortbildungsart mit UK-

Struktur ist, in der mindestens zwei wortfähige unmittelbare Konstituenten und/oder (nicht

wortfähige) Konfixe zusammengesetzt werden. Das Wortbildungsprodukt der Komposition

nennt man ein Kompositum. Einige Beispiele sind Haustürschlüssel, Kapitän-Lehrer,

Langbein, Kellertreppe, usw. Wichtig ist zu bemerken, dass ich mich auf die nominalen

Komposita beschränken werde, da nur sie für diese Arbeit relevant sind.

Das - nominale – Kompositum ist im Grunde durch die Stabilität der Wortstruktur

gekennzeichnet: konstruktionsintern gibt es keine Flexion 14

, der Hauptakzent liegt auf der

ersten UK (15

), die Struktur ist binär (16

) und das Zweitglied bestimmt Wortart, Genus und

Flexionstyp (vgl. Fleischer/Barz 2007: 87-88).17

Fleischer/Barz (2007: 89-90) bemerken, dass bestimmte konstruktionsinterne semantische

Eigenschaften dieser formativstrukturellen Stabilität entsprechen: Zuerst kann die

semantische Beziehung der UK nur durch Paraphrasierung und damit Übergang auf die Ebene

des Satzes bzw. der Wortgruppe explizit gemacht werden, z.B. Sonnenschutz – Schutz gegen

die Sonne. Zweitens verfügt das Erstglied eines Kompositums nicht mehr ohne weiteres über

die doppelten Möglichkeiten, um die Beziehung entweder auf eine Klasse von Gegenständen

oder einen bestimmten Einzelgegenstand einzuschränken: z.B. der Arm bezieht sich auf ‚die

14

Bei Komposita wie Sohnespflicht hat die interne Flexion - -es - seine herkömmliche Funktion – ‚Betonung des

Genitivs (‚Pflicht des Sohnes‟) - verloren und fungiert sie nur noch als Fugenelement (vgl. Donalies 2005: 56). 15

Bei Kopulativkomposita (vgl. Kapitel 2.2.3.2) sind beide UK jedoch gleichermaßen betont (vgl. Donalies

2005: 56). 16

Für eine ausführliche Darlegung der Binarität - bei Determinativkomposita - verweise ich auf Kapitel 2.2.3.1. 17

Fleischer/Barz (2007: 88-89) erwähnen jedoch einige Ausnahmen:

- In einigen Komposita ist die interne Flexion relikthaft bewahrt, z.B. ein Hoheslied - das Hohelied.

Daneben können adjektivische Erstglieder regulär mit superlativischem -st- verwendet werden, z.B.

Klein- /Kleinstminen ( vgl. Fleischer/Barz 2007: 88).

- Ein abweichendes Akzentschema haben: einzelne Kopulativkomposita (Schlèswig-Hólstein,

Marxìsmus-Leninísmus); Komposita mit determinierendem Zweitglied (Jàhrhúndert, Lèipzig-Óst),

Konfixkomposita mit Fremdelementen (Dìskothék); Komposita mit Durchkopplungsbindestrich

(Èbbe-Flút-Wìrkung, Hàls-Nàsen-Óhren-Àrzt); sonstige polymorphemische Komposita (vgl.

Fleischer/Barz 2007: 88).

- In einigen Typen von Determinativkomposita (vgl. Kapitel 2.2.3.1) ist nicht das Erst-, sondern das

Zweitglied determinierend (nach H. Ortner/L. Ortner (1984:19:61f) „Inversionskomposita“

genannt): verschiedene Typen von Eigennamen-Koppelungen; einzelne Entlehnungen (Titel von

Büchern, Sendereihen, Zeitschriften, z.B. TV-Aktuell, NL-Konkret); heimische Einzelfälle wie

Jahrhundert (vgl. Fleischer/Barz 2007: 88).

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17

Klasse der Arme‟ oder ‚den Arm dieser Frau‟. In dem Kompositum Armband ist die

individualisierende Komponente eingeschränkt und dominiert die generelle

Klassenbeziehung: ‚Ein Band für die Klasse von Gegenständen Arm‟. Drittens tendieren

Kompositionsglieder zur Reduzierung oder Beseitigung der Polysemie, d.h. „das

Vorhandensein mehrerer Bedeutungen bei einem Wort“. (Duden 2003: 1225).18

Wichtig ist zu

bemerken, dass es sich hier eher um allgemeine semantische Eigenschaften handelt. Je nach

der spezifischen Art bzw. Struktur des Kompositums gibt es noch distinktive semantische

Eigenschaften.

In diesem Kapitel werde ich die Wortbildungsart Komposition und deren Aspekte weiter

darlegen. Wie schon erwähnt werde ich nur auf die nominalen Komposita fokussieren.

2.2.1 Funktion

Bevor ich die Charakteristika von Komposita darlege, werde ich zuerst, nach Fleischer/Barz

(2007: 90-92), einige Fälle erwähnen, in denen man in der Sprache die Komposition

anwendet:

1) Zuerst genügen Komposita den Bedürfnissen nach handlicher Kürzung für den

Alltagsgebrauch, d.h. im Alltagsgebrauch versucht man eine ganze Wortgruppe in

möglichst beschränkten Formen zu äußern, z.B. acht Stunden währender Arbeitstag →

achtstündiger Arbeitstag → Achtstundentag.

2) Komposita werden auch angewendet, indem sie häufig der Suche nach einer

fixierenden sprachlichen Benennung entgegenkommen. Als Beispiel erwähnen

Fleischer/Barz (2007: 90) die Suche von Christa Wolf nach einem passenden Titel für

ihren neuen Roman: Kindheitsmuster (1976) gingen Umschreibungen voran wie

„Verhaltensmuster […], die Kindheit und Jugend bestimmten.“ (1974) und

„Reaktions- und Verhaltensweisen, die, in der Kindheit eingeschleust, die Struktur der

Beziehungen eines Charakters zu seiner Umwelt weiter bestimmen.“ (1974).

3) Komposita können auch der zusammenfassenden Wiederaufnahme des vorangehenden

Satzinhalts in Folgesätzen dienen, z.B. Man konnte die alte Frau nicht befragen,

weil… […] Die alte-Frau-Befragung…

4) Komposita stehen auch im Dienste stilistischer Ausdrucksverbesserung, z.B. durch

Vermeidung einer Genitivdoppelung: Schicht der Intelligenz → Intelligenzschicht.

18

Bedeutungseinschränkungen sind vor allem bei den Determinativkomposita (vgl. Kapitel 2.2.3.1) zu

beobachten.

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18

5) Bei der Suche nach neuen Wörtern schafft man häufig Komposita analog zu

lexikalisierten Einzelbildungen, z.B. Hubsteiger (analog zu Hubschrauber): ‚Gerät mit

einer Platform, die über ein Teleskop nach oben ausgefahren wird und Personen

aufnehmen kann.‟ (TZ 1989).

6) Unmittelbare kompositionelle Benennungen können ferner metaphorische

Wortbildungskonstruktionen sein, z.B. Schwarzmalerei, Grippewetter… (vgl. Kapitel

2.2.3.1.1.1.2).

7) Verdeutlichende Komposita (vgl. Kapitel 2.2.3.1.3).

8) Es gibt häufig auch eine semantische Differenzierung zwischen Kompositum und

Wortgruppe, z.B. ein Heuwagen ist nicht immer ein Wagen mit Heu, ein Bierglas nicht

immer ein Glas mit Bier, ein Wildschwein nicht immer ein wildes Schwein… (Im Falle

Kompositum = Adjektiv + Substantiv, vgl. Kapitel 2.2.3.1.1.2).

2.2.2 Die Einheiten der Komposition

Komposita werden aus verschiedenen sprachlichen Einheiten zusammengesetzt. Im vorigen

Kapitel wurden wortfähige UK und/oder Konfixe als Elemente eines potenziellen

Kompositums erwähnt. Es gibt jedoch noch einige andere Einheiten der Wortbildung, die als

kompositionelles Element gelten können. Im Folgenden werde ich die Einheiten der

deutschen Wortbildung, die man in Komposita finden kann, knapp erläutern:

1) Zuerst gibt es Wörter.19

Sie sind üblicherweise die Bausteine der deutschen Wortbildung.

Sie sind abstrakte Einheiten, die in Texten als Wortformen realisiert werden (vgl. Donalies

2005: 19). Eine Wortform ist also das im Satz verwendete Wort mit seiner genauen Form und

seinen grammatischen Merkmalen, z.B. Kasusflexion. So umfasst ein Wort wie Turm - als

abstrakte Einheit – Wortformen wie Turm (Nom, Akk, Dat. Sing.), Türmen (Dat. Pl.), Turms

(Gen. Sing.), usw. (vgl. Duden 2006: 129).20

Wörter kann man in verschiedenen Wortarten

aufteilen. Die Wortarten, die an der Kompositionsbildung am häufigsten beteiligt sind, sind

das Substantiv (Nomen), das Adjektiv und in geringerem Maße das Verb:

- Substantive oder Nomen bilden eine Wortart, die grammatisch von folgenden

Eigenschaften gekennzeichnet ist: Zuerst haben Nomen ein festes Genus (grammatisches

19

Aus diesen Einheiten sind die wortfähigen UK aufgebaut. 20

Man könnte die Wortform Turm auch als allgemeine Wortform für die Wortformen Turm (Nom. Sing), Turm

(Akk. Sing.), Turm (Dat. Sing.) sehen.

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19

Geschlecht). Sie sind entweder ein Maskulinum (der Tisch), ein Femininum (die Zahl) oder

ein Neutrum (das Bein). Zweitens sind sie nach dem Numerus - der grammatischen Zahl -

bestimmt. Sie stehen entweder im Singular (das Blatt) oder im Plural (die Blätter). Drittens

sind sie nach dem Kasus - dem Fall - bestimmt. Ihre Flexionsformen stehen je nachdem im

Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ. Semantisch haben Nomen u.a. folgende

Eigenschaften: Sie beziehen sich entweder auf einen Gegenstand oder einen Nicht-

Gegenstand (Konkreta vs. Abstrakta), sie sind belebt oder nicht-belebt und klassenbildend

oder nicht-klassenbildend (Appellative vs. Eigennamen) (vgl. Duden 2006: 146-147). 21

- Adjektive sind Wörter mit folgenden grammatischen Eigenschaften: Zuerst können sie

nach dem Kasus, Numerus und Genus flektiert werden. Anders als die Substantive haben sie

kein festes Genus; sie kommen in allen drei Genera vor, z.B. ein roter Fisch (Maskulinum),

eine rote Tomate (Femininum), ein rotes Auto (Neutrum). Zweitens verfügt jedes Adjektiv in

seiner Flexion über zwei Typen von Endungen, nämlich starke und schwache, z.B. ein

reizendes Mädel (stark) und das reizende Mädel (schwach). Drittens können zu den meisten

Adjektiven Komparationsformen gebildet werden, z.B. schön (Positiv), schöner

(Komparativ), am schönsten (Superlativ). Auch Partizipien können häufig als Adjektive

angewendet werden; in diesem Falle spricht man von adjektivisch gebrauchten Partizipien.

Syntaktisch können Adjektive nur zwischen einem eventuellen Artikel und einem Substantiv

stehen. Semantisch leisten Adjektive Unterschiedliches.: So können sie einer Person oder

Sache eine Eigenschaft zuordnen (= qualifizierende Adjektive), eine Beziehung oder

Zugehörigkeit ausdrücken (= relationale Adjektive) oder eine Zahl ausdrücken (=

quantifizierende Adjektive) (vgl. Duden 2006: 347-348). 22

- Verben sind auch als Tätigkeitswort und Zeitwort bekannt. Sie werden konjugiert, d.h. sie

flektieren im Hinblick auf die Kategorienklassen Tempus, Modus, Numerus und Person. Die

Tempus-Modus-Flexion, die das beschriebene Geschehen u.a. zeitlich einordnet,

unterscheidet diese Wortart von allen anderen, z.B. er antwortet (Präsens, Gegenwartsbezug),

er antwortete (Präteritum, Vergangenheitsbezug). Typische Vertreter der Wortart Verb sind

die Vollverben oder Hauptverben. Sie sind von folgenden Merkmalen gekennzeichnet:

Vollverben bezeichnen Typen von Handlungen oder Geschehen im weitesten Sinne, meistens

dynamische Aktivitäten oder Prozesse, z.B. sagen, töten, schwimmen, usw. In finiter Form

kann ein Vollverb als einfaches Prädikat im Satz dienen, z.B. Ich antwortete nicht. Du sagst

21

Für eine allumfassende Darlegung bezüglich der Wortart der Substantive verweise ich auf Duden (2006: 146-

254). 22

Für eine allumfassende Darlegung bezüglich der Wortart der Adjektive verweise ich auf Duden (2006: 345-

394).

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20

die Wahrheit. Vollverben haben auch eine syntaktisch-semantische Valenz. Diese Valenz legt

fest, welche Ergänzungen das Verb als Prädikat im Aktivsatz fordert und welche

semantischen Rollen diese Ergänzungen jeweils tragen (vgl. Duden 2006: 395). 23

2) Zweitens gibt es die Konfixe, z.B. ident-, geo-, bio-, -thek usw. 24

Ein Konfix wird in

Duden (2006: 1265) als „Wortbildungselement, das nicht wortfähig und doch kein Affix ist“

umschrieben. Konfixe sind Einheiten, die im Text nur gebunden vorkommen. Im Gegensatz

zu Wörtern sind sie weder selbst frei, noch können sie unmittelbar mit Flexionsaffixen

syntaktisch nutzbar gemacht werden, z.B. *Meine thek ist geputzt. *Theken sind geputzt. Sie

unterscheiden sich aber von den Wortbildungsaffixen, indem sie basisfähig sind: Sie können

mit Wortbildungsaffixen wie –isch Derivate bilden, z.B. ident-isch. Konfixe sind meist

unmittelbar Basis von Wortbildungsprodukten, aber zuweilen auch mittelbar: Unmittelbare

Basen (z.B. Ident-) werden logischerweise unmittelbar mit Wortbildungsaffixen (z.B. –isch, -

ität) abgeleitet, z.B. identisch, Identität. Mittelbare Basen dagegen sind nicht direkt ableitbare

Konfixe (z.B. geo- und –log), die über Zusammenfügung zwei dergleichen Konfixe gebildet

werden und dann mit üblichen Wortbildungsaffixen abgeleitet wird, z.B.: geologe, geologie,

geologisch → Konfix geo- + Konfix -log + Wortbildungsaffix -e,-ie,-isch.

3) Drittens können auch Sätze und Phrasen als Kompositionseinheit betrachtet werden. Laut

Hentschel/Weydt (2003: 332) ist es schwierig, den Begriff Satz zu definieren: In der

Vergangenheit herrschte schon viele Uneinigkeit über die Fragen, wie man Kriterien angeben

kann, mit denen sich in beliebigen Texten entscheiden lässt, wo ein Satz beginnt und wo er

endet, was ein Satz ist und was nicht, usw. Neben den Normalfällen gibt es Grenzfälle, bei

denen nicht alle Merkmale des Satzes vorhanden sein.25

Eine ausreichende Umschreibung des

Begriffes Satz findet man aber in der Ids-Grammatik von Zifonun et al (1997: 86f) zurück.

Hier macht man aufmerksam auf die strikte Forderung nach Finitheit bei Sätzen. Die

Grammatik schlägt als allgemeine Definition vor: „Sätze enthalten ein finites Verb“.

Deswegen verstehe ich nach Zifonun et al mit Donalies (2005: 40) und Duden (2006: 773)

23

Für eine allumfassende Darlegung bezüglich der Wortart der Verben verweise ich auf Duden (2006: 395-572). 24

Zu lat. configere „aneinander heften‟ (Donalies 2005: 21) 25

Für die verschiedenen Merkmale des Satzes verweise ich auf Hentschel/Weydt (2003: 332-410).

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21

unter einem Satz eine Einheit bzw. eine syntaktische Wortgruppe, die aus einem finiten Verb

und allen vom Verb verlangten Satzgliedern besteht.26

Unter einer Phrase dagegen verstehe ich mit Zifonun et al (1997) und Donalies (2003: 40)

eine Wortgruppe, die aus funktional zusammengehörenden, aufeinander folgenden,

zusammen verschiebbaren und kein finites Verb enthaltenden Elementen besteht.

Hentschel/Weydt (2003: 336) bestimmen sie als ein Syntagma: ein strukturell

zusammenhängendes Gebilde, das aus einem oder mehreren Wörtern bestehen kann. Nach

ihrem Kern oder „Kopf“ - dem Teil, der für die Natur der Phrase ausschlaggebend ist -

unterscheidet man Nominalphrasen (NP, z.B. schöne Mädel), Verbalphrasen (VP, z.B. ist

gefunden worden), Präpositionalphrasen (PP, z.B. in der Vergangenheit),

Determinativphrasen (DP, z.B. die Waschmaschine), Adjektivphrasen (AV, z.B. wirklich

angenehm) und Adverbialphrasen (ADVP, z.B. sehr gern).

Die Tatsache, dass Sätze und Phrasen aus mindestens zwei Wörtern bestehen, macht sie zu

ungewöhnlichen Einheiten der Wortbildung. Dennoch betrachtet man sie als Einheiten, weil

sie in der Wortbildung offenbar als in sich stabile Einheiten wahrgenommen und verwendet

werden.

4) Eine vierte Einheit, die nur sehr selten in Wortbildungskonstruktionen vorkommt, ist die

unikale Einheit bzw. das unikale Morphem. Donalies (2005: 41-42) betrachtet diese Einheit

sowohl aus einem diachronen als auch einem synchronen Standpunkt. Diachron kann man sie

als Relikte ehemals selbstständiger Wörter (z.B. lind ‚Schlange‟), die aus dem

Sprachgebrauch verschwunden sind, betrachten (vgl. Duden 2006: 659). Heute sind sie als

selbstständige Einheiten veraltet, kommen aber noch in Wortbildungen vor: Sie treten,

gebunden an eine bestimmte andere Einheit, in Komposita oder expliziten Derivaten auf.27

So

kommt Lind- heute in der Kombination Lindwurm vor. Weitere Beispiele von Komposita mit

einer unikalen Einheit sind: Him-beere, Schorn-stein, Sint-flut, Bräut-i-gam, usw. Beispiele

von expliziten Derivaten mit einer unikalen Einheit sind: plötz-lich, led-ig, fäh-ig, usw.

Synchron sind unikale Einheiten lexikalisch völlig unverständliche Einheiten, die nicht mehr

zur Bildung von Wörtern herangezogen werden (vgl. Donalies 2005: 42). In

Wortneubildungskonstruktionen oder Neologismen wird man also keine unikalen Einheiten

26

Hentschel/Weydt (2003: 333) sagen, dass alle anderen Konstruktionen, die zwar syntaktisch abgeschlossene,

selbstständige Äußerungen darstellen und mit denen auch Sprechhandlungen vollzogen werden können, aber

kein finites Verb enthalten, demgegenüber kommunikative Minimaleinheiten sind. 27

Daneben kommen unikale Einheiten auch in Phraseologismen vor, z.B. gang und gäbe (vgl. Duden 2006:

659).

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22

als Konstituenten finden. Aus diesem Grund zählt Duden (2006: 659) unikale Einheiten nicht

zu den Wortbildungsmitteln. Sie sind „Gegenstand der historischen Wortbildungslehre“

(Duden 2006: 659). In dem weiteren Verlauf meiner Darlegung bezüglich des Begriffs

Komposition werde ich sie dann auch nicht berücksichtigen.

5) Auch nicht zu den Wortbildungsmitteln zählen die Fugenelemente. „Es sind semantisch

leere Segmente ohne Flexionsfunktion, die an der Nahtstelle zwischen den unmittelbaren

Konstituenten von Komposita und Suffixderivaten, der sog. Fuge auftreten können […]“

(Duden 2006: 658) Häufig ist die Fuge leer (z.B. Haus-[Ø]-tür) , zuweilen durch ein

Fugenelement ausgefüllt (z.B. Arbeiter-s-klasse). Zu den verschiedenen Fugenelementen bei

Komposita verweise ich auf Fleischer/Barz (2007: 136-143).

2.2.3 Kompositionsarten

Die Wortbildungsart Komposition kann man in verschiedenen Kompositionsarten

untergliedern. Die Hauptgliederung wird zwischen den Determinativ- und den

Kopulativkomposita genommen. Daneben betrachte ich – wie schon eher erwähnt - nach

Donalies (2005) die Reduplikation und die Kontamination als weitere Kompositionsarten. Im

Folgenden werde ich die vier Kompositionsarten möglichst akkurat erläutern.

2.2.3.1 Das Determinativkompositum

Das Determinativkompositum wird als der Normalfall der Komposita betrachtet. Als Typ

kommen die Determinativkomposita am meisten - sowohl als lexikalisierte als auch

okkasionelle Komposita - in der deutschen Sprache vor.28

Duden Grammatik (2006: 672)

nennt sie „die prototypische Komposition im Deutschen“. Determinativkomposita sind ohne

Ausnahmen binär strukturiert, d.h. sie können jeweils in zwei Einheiten - unmittelbare

Konstituenten (UK) – unterteilt werden, z.B. Haus-tür, Pfeffer-kuchen. Neben Komposita, die

im Grunde nur aus zwei Einheiten gebildet sind, gibt es auch bei polymorphemischen

28

Lexikalisierte Komposita sind Komposita, die schon ein fester inhaltlich-begrifflicher Bestandteil der Sprache

sind (vgl. Duden Wörterbuch 2003: 1016). Okkasionelle Komposita bzw. Okkasionalismen sind Wörter, die in

einer bestimmten Situation gebildet werden und folglich noch nicht lexikalisiert sind (vgl. Duden Wörterbuch

2003: 1160). Okkasionalismen werden in Kapitel 3.2 ausführlich besprochen.

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23

Komposita Binarität.29

Die binär verzeigte Struktur von Determinativkomposita wird meist

hierarchisch in einem Baumdiagramm dargestellt.30

Je nach der Position bzw. der Richtung

der Verzweigung unterscheide ich hier mit Donalies (2005: 53-54) drei Typen:

1) Linksverzweigte Komposita (das erste UK ist das komplexere), z.B. Tüllgardinenstange:

Tüllgardinenstange

Tüllgardinen Stange

Tüll Gardinen

2) Rechtsverzweigte Komposita (das zweite UK ist das komplexere), z.B.

Holzgardinenstange:

Holzgardinenstange

Holz Gardinenstange

Gardinen Stange

3) Beidseitig verzweigte Komposita (beide UK sind komplex), z.B.

Edelmarzipankonditortorte:

Edelmarzipankonditortorte

Edelmarzipan Konditortorte

edel Marzipan Konditor Torte

Zuweilen kann ein Kompositum auf zweierlei Weise segmentiert werden, dann findet

sozusagen ‚Doppelmotivation‟ statt. Dies ist vor allem der Fall bei okkasionellen mehrfach

interpretierbaren Komposita, wie z.B. Firmenkundenservice: Firmen-Kundenservice

gegenüber Firmenkunden-Service.31

(Vgl. Duden Grammatik 2006: 269)

29

Polymorphemische Komposita bezeichnen Komposita mit vier und mehr Grundmorphemen, d.h. Morphemen,

die wortfähig sind (vgl. Fleischer/Barz 2007: 97). 30

Das Aufstellen eines Baumdiagramms ist vor allem bei den polymorphemischen Determinativkomposita

relevant, da die UK der ersten Ebene oft aus Komposita gebildet sind, die noch auf einer zweiten Ebene

segmentiert werden können. 31

Zu den Interpretationen von Komposita verweise ich auf Kapitel 2.2.3.1.1.

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24

Was die Determinativkomposita grundsätzlich von den anderen Typen unterschiedet, ist die

Tatsache, dass sie hypotaktisch organisiert sind, d.h. die zwei Einheiten bzw. unmittelbaren

Konstituenten stehen in einer subordinierten Beziehung miteinander. Die zweite Einheit legt

in der Regel die grammatischen Merkmale des Kompositums fest, d.h. die Wortart und die

damit verbundenen Kategorien, wie z.B. Genus (vgl. Erben 2006: 67-68). Die Regel, dass die

zweite bzw. rechte Einheit ausschlaggebend für die morphologischen Eigenschaften eines

Kompositums ist, wird nach amerikanischem Vorbild die ‚Righthand Head Rule‟ genannt

(vgl. Donalies 2005: 55-56). Daneben wird auch die begriffliche Grundklasse, in die ein

Bezeichnetes eingeordnet wird, von der zweiten Einheit bestimmt. Das Zweitglied bezeichnet

also den Gegenstand und ist folglich das Hyperonym - der Oberbegriff - des Kompositums:

„Es gilt: AB ist B“ (Donalies 2005: 57). So gehört ein Hutschachtel der Grundklasse der

Schachtel an. Das Erstglied dagegen gibt intensivierende oder spezifizierende

Zusatzmerkmale. Es determiniert gleichsam das Zweitglied. Dadurch wird die Bedeutung des

Zweitgliedes bzw. die begriffliche Grundklasse näher bestimmt, eingeschränkt. Das Erstglied

ist folglich das Hyponym - der Unterbegriff - des Kompositums. So ist ein Hutschachtel ein

Schachtel, der im Prinzip nur für Hüte bestimmt ist. Nach den Merkmalen wird das Erstglied

das Bestimmungswort oder Determinans genannt und das Zweitglied das Grundwort oder

Determinatum. Dies alles hat zur Folge, dass die Reihenfolge bei den Determinativkomposita

fest ist (vgl. Duden 2006: 672). Erben (2006: 68) argumentiert, dass bei Kompositionsgliedern

aus verschiedenen Wortarten - z.B. Substantiv und Adjektiv - der hypotaktische Aufbau

offensichtlich ist: Soll die Komposition ein Substantiv sein, dann setzt man das

substantivische Glied an die letzte Stelle. Gehören beide Glieder derselben Wortart – z.B.

Substantiv und Substantiv - an, dann soll man Umstellproben machen, um die Richtigkeit des

Kompositums bzw. die Bedeutung des Begriffs zu kontrollieren: Referiert man z.B. nach

einem Gold-Blatt oder Blatt-Gold?

2.2.3.1.1 Die nominalen Determinativkomposita nach Erstglied

Im Vorigen wurde besprochen, dass für die Determinativkomposita das Zweitglied die

Wortart des Kompositums bestimmt. Deshalb sollen in der Regel nominale

Determinativkomposita mit einem substantivischen Grundwort gebildet werden. Im folgenden

werde ich die nominalen Determinativkomposita gemäß ihren möglichen Erstgliedern

erläutern. Wichtig ist zu bemerken, dass ich mich nur auf die vorher besprochenen Einheiten

der Komposition beschränken werde.

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25

2.2.3.1.1.1 Das Nomen-Nomen-Kompositum

Der Kompositionstyp Substantiv + Substantiv wird als leicht handhabbare Wortbildungsart

gebildet und kommt sowohl in lexikalischen als auch okkasionellen Bildungen häufig vor.

Donalies (2005: 61) bemerkt, dass das Nomen-Nomen-Kompositum morphologisch und

semantisch das variationsreichste Wortbildungsprodukt ist. Es kann deutlich länger sein als

alle anderen Wortbildungsprodukte und folglich auf knappstem Raum sehr viele

Informationen transportieren. Ein Beispiel, das Donalies hier nach Augst (2001: 210) nennt,

ist Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Es spricht für sich,

dass derartige Fälle sehr selten und nur okkasionell auftreten.

2.2.3.1.1.1.1 Zur Struktur

Als Ersteinheit eines Nomen-Nomen-Kompositums können alle möglichen Nomina

berücksichtigt werden. Auch das Zweitglied kann als Nomen stark variieren. Sowohl als Erst-

als auch als Zweitglied können Grundmorpheme wie auch Wortbildungskonstruktionen

verwendet werden (vgl. Fleischer/Barz 2007: 95). In diesem Rahmen haben Fleischer/Barz

(2007: 95-97) einige Formativstrukturen des Nomen-Nomen-Determinativkompositums

aufgestellt:

1) Die beiden UK sind Simplizia, z.B. Stadt-führer.32

2) Die erste oder zweite UK ist ein Kompositum, z.B. Großstadt-führer, Stadt-autobahn.

3) Die erste oder zweite UK ist ein Suffixderivat, die jeweils andere ein Simplex oder

Kompositum, z.B. Arbeiter-vorstadt, Fremdsprachen-Lehrer.

4) Beide UK sind Suffixderivate, z.B. Bildungs-möglichkeit.

5) Die erste UK hat ein Diminutivsuffix, z.B. Mädchen-Schule.33

6) Die erste UK hat ein Movierungssuffix –in, fast stets mit Fugenelement -en- (~ -

innen), z.B. Arbeiterinnen-Konferenz.34

7) Die erste oder zweite UK ist ein Präfixwort, z.B. Urwalt-Grenze, Reise-unkosten.

32

Simplex (Pl: Simplizia): “nicht zusammengesetztes [u. nicht abgeleitetes] Wort“ (Duden Wörterbuch 2003:

1455). 33

Diminutiv: “[E]ine Verkleinerung eines Substantivs ausdrückende Ableitung; Verkleinerungsform“ (Duden

Wörterbuch 2003: 380). 34

Movierung ~ Motion: “Bildung einer weiblichen Personen-, Berufs- od. Tierbezeichnung mit einem Suffix

von einer männlichen Form“ (Duden Wörterbuch 2003: 1102).

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26

8) Die erste UK ist ein Infinitiv, der substantivisch aufzufassen ist, z.B. Könnens-

entwicklung.35

Bisweilen können hier Konkurrenzen auftreten, z.B. Essenszeit –

Eßzeit, Redensart – Redeweise.

9) Die erste UK ist ein Substantiv- oder Verbstamm, der substantiviert ist, z.B. Schuß-

feld – Schieß-feld.36

10) Die zweite UK ist ein substantivierter Infinitiv, z.B. das Herstabfischen (TZ 1974) –

‚Abfischen im Herbst‟.37

11) Die zweite UK ist ein substantiviertes Adjektiv, z.B. Betriebsangehöriger.38

12) Die erste, zweite oder beide UK sind Fremdelemente, z.B. Virus-infektion,

Aggresions-phänomen., Haar-spray.39

13) Die erste UK ist ein Eigenname, z.B. Bach-Konzert.40

2.2.3.1.1.1.2 Zur Semantik

Trotz der verschiedenen Formativstrukturen wird das besondere Verhältnis zwischen

Bestimmungswort und Grundwort formal nicht gekennzeichnet; so kann man die Bedeutung

des Kompositums nicht unmittelbar von der Struktur des Kompositums ableiten. Donalies

(2005: 62) bemerkt, dass vor allem die nominalen Komposita relativ frei auslegbar sind.

Meistens können Komposita über verschiedene Arten und Weisen syntaktisch paraphrasiert

werden.41

Aus diesem Grund nennt Erben (2006: 73) das Nomen-Nomen-Kompositum eine

„ökonomische Ausdrucksform, die anstelle sehr komplexer syntaktischer Verbindungen und

zur Wiedergabe sehr verschiedenartiger logischer Beziehungen genutzt werden kann.“ Zum

Beispiel gibt Donalies nach Heringer (1984a: 2) folgende Deutungen für das Kompositum

Fischfrau an:

‚Frau, die Fisch verkauft‟

‚Frau eines Fisches‟

‚Frau, die Fisch isst‟

35

Die Infinitiv-Formen lassen sich teilweise aber auch verbal paraphrasieren, z.B. Überlebens-Methode =

‚Methode des Überlebens (S + S) oder Methode, zu überleben (V + S) (vgl. Fleischer/Barz 2007: 96). 36

Auch hier lässt sich der Verbstamm in einigen Fällen verbal paraphrasieren. 37

Wichtig ist es zu bemerken, dass nicht alle Konstruktionen mit substantiviertem Infinitiv als Zweitglied

Komposita sind. Sie können auch Konversion einer verbalen Wortgruppe sein, z.B. das Kopfzerbrechen aus dem

verbalen Phraseologismus sich den Kopf zerbrechen (vgl. Fleischer/Barz 2007: 96). 38

Auch in diesem Falle kann es mit Konversionen zu tun haben. So ist Erwerbsunfähiger als substantivische

Konversion des adjektivischen Kompositums erwerbsunfähig zu betrachten (vgl. Fleischer/Barz 2007: 96). 39

Fremdelemente sind Elemente , die aus einer anderen Sprache entlehnt sind. 40

Hierzu verweise ich auf Kapitel 2.2.3.3. 41

Hierzu verweise ich auf die Doppelmotivation bei den Baumstrukturen in Kapitel 2.2.3.1.

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27

‚Frau, die kühl wie ein Fisch ist‟

‚Frau, die den Fisch gebracht hat‟

‚Frau, die bei dem Fisch steht‟ usw.

Es gibt jedoch keine unbeschränkte Paraphrasierungs- bzw. Interpretationsmöglichkeit. Die

Interpretation ist meist vom direkten Kontext bestimmt, so ist im Satz Am Samstag steht die

Fischfrau auf dem Markt die Interpretation ‚Frau, die Fisch verkauft‟ die plausibelste.

Darüber hinaus ist auch das Weltwissen des Hörer-Lesers für die Interpretation entscheidend.

So ist ein Hundekuchen kein Kuchen aus oder mit Hunden, sondern ein Kuchen für Hunde. In

unserer Kultur werden nämlich keine Kuchen aus Hunden im Laden angeboten. Hieran

anschließend kann man auch sagen, dass lexikalisierte Zusammensetzungen, deren Wortinhalt

und Sachbezug eindeutig festgelegt sind, vom Hörer-Leser gekannt sein müssen, damit er die

richtige Interpretation bilden kann (vgl. Donalies 2005: 63). Wenn die Bedeutung nicht aus

dem Kontext oder der Sitatuation abzuleiten ist, soll man okkasionelle Komposita analog zu

schon eingebürgerten Komposita interpretieren. So ist die Neubildung Sex-Welle vor dem

Hintergrund von Begeisterungs- und Protestwelle verständlich (vgl. Erben 2006: 70).

Eine Ausnahme von der relativen Interpretationsfreiheit bilden die sogenannten

Rektionskomposita. „Rektionskomposita sind Determinativkomposita mit einer bestimmten

semantischen Relation zwischen Zweit- und Ersteinheit, nämlich einer rektionalen Lesart.“42

(Donalies 2005: 64). Sie haben ein deverbales Grundwort, das vom Verb eine semantische

Leerstelle geerbt hat, z.B. etw. durchsuchen → Durchsuchung von etw. Die Leerstelle wird im

Kompositum vom Erstglied besetzt, z.B. Hausdurchsuchung. Die Paraphrasierung bzw.

Bedeutung wird so vom im Zweitglied ‚deverbalisierten Verb‟ bestimmt: Hausdurchsuchung

= die Durchsuchung eines Hauses. Weitere Beispiele von Rektionskomposita sind

Frauenkenner, Romanleser, Wetterbeobachter (vgl. Duden Grammatik 2006: 728).

Sobald man im Chaos der Interpretationen die richtige Bedeutung des Kompositums gefunden

hat, kann man sie semantisch betrachten. Nach Fleischer/Barz (2007: 98-103) unterscheide

ich drei semantische Modelle:

1) Zuerst kann man die Bedeutung von Wortbildungsmodellen substantivischer

Determinativkomposita, die besonders produktiv sind, ableiten. A = Erst-, B = Zweitglied.

42

“Unter Rektion […] versteht man in der Syntax die grammatische Abhängigkeit eines Wortes von einem

anderen“ (Donalies 2005: 64).

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28

1. „Lokal‟

a) „B befindet sich in A‟, z.B. Bankguthaben

b) ‚B vollzieht sich in A‟, z.B. Büroarbeit

c) ‚ B stammt von A‟, z.B. Land-, Seewind

d) ‚B führt zu A‟, z.B. Kellertreppe

2. ‚Temporal‟, ‚A nennt Zeitpunkt/ -raum von B‟, z.B. Morgenfrühstück, Tagesfahrt

3. ‚Final‟, ‚B ist für A geeignet/ bestimmt‟

a)A = Ort, z.B. Strandanzug

b) A= Gegenstand/Material, z.B. Fensterglas

c) A = Lebewesen, z.B. Damenkleid

4. ‚Kausal‟, ‚A ist Ursache von B‟, z.B. Schmerzensschrei

5. ‚Komparativ‟

a) ‚A gleicht B‟, z.B. Beifallssturm

b) ‚B gleicht A‟, z.B. Goldorange

6. ‚Possessiv‟, ‚A besitzt B‟, z.B. Gemeindewald

7. ‚Ornativ‟ , ,B ist versehen mit A‟, z.B. Deckelvase

8. ‚ Partitiv‟, ,B ist (obligatorisch) Teil von A‟, z.B. Buchrücken

9. ‚Instrumental‟, ,A ist Mittel für B‟, z.B. Wasserkühlung

10. ‚Material‟, ,B besteht aus A‟, z.B. Lederschuh

11. ‚Konstitutional‟, ‚B wird von/aus A gebildet‟, z.B. Blumenstrauß

12. ‚Adhäsiv‟, ,B gehört zu A‟, z.B. Vereinsmitglied

13. ‚Agens‟

a) ‚A erzeugt B‟, z.B. Bienenhonig

b) ‚B erzeugt A‟, z.B. Stückeschreiber

c) ‚B tut etwas mit A‟, z.B. Obstverkäufer

14. ‚Patiens‟, ,mit A wird etwas getan‟, z.B. Kohleabbau

15. ‚Prozessual‟, ,mit A vollzieht sich etwas‟, z.B. Druckabfall

16. ‚Thematisch‟, ,A ist Thema von B‟, z.B. Bedeutungslehre

17. ‚Graduativ‟

a) ‚A vergrößert bzw. verkleinert B‟, z.B. Riesenskandal, Zwerghuhn

b) ‚A indiziert Nichtvollständigkeit‟, z.B. Teilbetrag

2) Zweitens können Komposita auch metaphorisch betrachtet werden, d.h. der eigentümliche

Bedeutungszusammenhang des Kompositums wird in einen anderen übertragen, ohne dass ein

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29

direkter Vergleich die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem verdeutlicht;

bildliche Übertragung (vgl. Duden 2003: 1074). Die Kompositionsmetaphern kann man nach

Fleischer/Barz (2007: 99-100) in fünf Klassen untergliedern:

1. Komposita, die als Ganzes metaphorisiert sind und in dieser Hinsicht

metaphorischen Simplizia gleichgestellt, z.B. Augenblick ‚Moment‟.43

2. In einigen Komposita ist das Erstglied der Bildempfänger und das Zweitglied der

Bildspender.44

Folglich kann das Erstglied ohne metaphorisch-expressive

Charakteristik für das Ganze stehen. Z.B. Beifallssturm und Kostenlawine.45

. 3. In einigen Komposita ist umgekehrt das Erstglied der Bildspender und das

Zweitglied der Bildempfänger. Hier bezeichnet der Zweitglied also den Gegenstand

und bestimmt der Erstglied den Zweitglied metaphorisch-expressiv näher, z.B.

Sackgasse, Schmutzliteratur.

4. Es gibt Komposita, die wie Typ 2. - Zweitglied als Bildspender - aufgebaut sind, bei

denen aber das Erstglied nicht ohne weiteres mit dem Bildempfänger gleichzusetzen

ist, z.B. Ölpest ist nicht in dem Sinne ‚Öl‟ wie Beifallssturm ‚Beifall‟ ist. Es handelt

sich um eine durch Öl verursachte Pest (~ Verschmutzung von Stränden,

Küstengewässern, usw.

5. Als Kompositionsmetaphern betrachtet man auch expressive Personenbenennungen

mit metaphorischen Tier- oder Gegenstandbenennungen, z.B. Bücherwurm, Filmhase,

Pechvogel.

3) Als letzte Gruppe erwähnen Fleischer/Barz (2007:100-102) Komposita, die Augmentation

und Hervorhebung aufweisen. Bei Augmentativa ist das Modell mit Riese(n)- ‚sehr groß‟

hochproduktiv, z.B. Riesenmaschine, Riesenschuld, Riesenskandal. Antonymisch zu Riesen-

bezeichnet Zwerg(en)- die Kleinheit, z.B. Zwergenkaufkraft. Andere Erstglieder, die für

Augmentation verfügbar sind, sind u.a. Bombe(n)-, Hölle(n)-, Sau-. Solche Komposita sind

jedoch meist umgangssprachlich zu betrachten.

43

Die Eigenschaft dieses Typs wird nach H.Ortner/L. Ortner (1984: 63ff.) „komparativ-exozentrisch“ genannt,

da die ganze Bedeutung nicht innerhalb des Kompositums bzw. in einer der Konstituenten zu finden ist. 44

Der Bildspender ist die UK, die im Grunde den Gegenstand verbildlicht bzw. metaphorisch-expressiv näher

bestimmt. Der Bildempfänger dagegen ist die UK, worauf die verbildlichte Näherbestimmung sich bezieht, der

Gegenstand. 45

Die Eigenschaft dieses Typs wird nach H.Ortner/L. Ortner (1984: 58) „komparativ-endozentrisch“ genannt, da

die ganze Bedeutung innerhalb des Kompositums zu finden ist.

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30

Komposita, die Hervorhebung berücksichtigen, sind Komposita, deren Erstglied Verstärkung

und - emotionale - Wertung aufrufen. Beispiele solcher Erstglieder sind Haupt-/Grund-, Kern-

und Spitzen-.46

Eichinger (2000: 73) umschreibt derartige Erstglieder als so genannte Affixoide oder

Halbaffixe. Sie sind Elemente, die zwischen vollständige Kompositionsglieder und Affixen

scheinen zu stehen. Als Erscheinung scheinen sie der Adjektiven anzuhören, wie Konfixe

kommen sie jedoch nur gebunden vor.

2.2.3.1.1.1.3 Die Klammerform

Bei den nominalen Determinativkomposita gibt es Fälle, bei denen die mittlere Einheit

weggekürzt worden ist. Dieses Phänomen findet bei solchen Komposita – wie z.B. Bierdeckel

- statt, deren erste UK (Bier) ursprünglich zweiteilig gewesen sein soll (Bierglas). Der zweite

Teil der ersten UK – Glas - ist hier aus so genannten ökonomischen Gründen weggefallen.

Andere Beispiele sind Kokos(nuss)butter, Betriebs(wirtschafts)lehre, Tank(stellen)wart. In

Bußmann (1990: 381) liest man, dass bei Klammerformen „ein mittleres Glied ausgespart ist,

so dass die beiden äußeren Glieder eine Klammer bilden“. Wichtig ist es zu bemerken, dass

die Klammerbildung gar keinen Einfluss auf die herkömmliche Bedeutung des Kompositums

hat. Außerdem kann man eine Klammerform an sich nicht logisch paraphrasieren, z.B.

Bierdeckel ‚* Ein Deckel für Bier‟. Man soll hier immer das herkömmliche Kompositum bzw.

den weggefallenen Teil des Erstgliedes (Glas) berücksichtigen, um die Klammerform richtig

zu interpretieren: Bierdeckel ‚ein Deckel für ein Bierglas‟ (vgl. Donalies 2005: 65).

2.2.3.1.1.2 Das Adjektiv-Nomen-Kompositum

Nominale Komposita des Typs Adjektiv + Substantiv sind morphologisch und semantisch

deutlich stärker beschränkt als die Nomen-Nomen-Komposita. Donalies (2005: 67) bemerkt,

dass sie aus ungeklärten Gründen nicht häufig genutzt werden. Obwohl die Struktur der

Komposita richtig gebildet ist, erfährt man sie als unüblich.

2.2.3.1.1.2.1 Zur Struktur

46

Haupt- tendiert zum Gebrauch mit Personen- und Sachbenennungen, Grund- dagegen wird bevorzugt mit

Abstrakta kombiniert, z.B. Hauptfrage, Grundgedanke (vgl. Fleischer/Barz 2007: 101).

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31

Der Aufbau der Adjektiv-Nomen-Komposita teile ich nach Fleischer/Barz (2007: 103-106) in

acht Formativstrukturen ein:

1) Das Erstglied ist ein adjektivisches Simplex, z.B. Kleinreparatur, Hochbahn.

2) Das Erstglied ist ein zweisilbiges adjektivisches Simplex mit unbetonter Endsilbe (-el,

-en, -er), z.B. die zahlreichen Komposita mit Doppel-, Dunkel-, Einzel-, usw.47

3) Adjektive mit heimischem Derivationssuffix (-bar, -ig, -lich, -isch, usw) als Erstglied

kommen in Komposita fast nie vor. Meistens wird die substantivische Basis dieser

adjektivischen Derivate verwendet, z.B. menschliches Herz = Menschenherz

(*Menschlichherz), pflanzliche Kost = Pflanzenkosten (*Pflanzlichkost). Eine

Ausnahme bilden allerdings die Derivate von Volks- bzw. Ländernamen

(Englischhorn, Spanischlehrer), Farbbezeichnungen (ein schönes Rötlichblond) und

Fachausdrücke (Flüssiggas, Niedriglohnländer).48

Geläufig dagegen sind

adjektivische Derivate mit Fremdsuffixen wie -al (Kolossalgemälde), -ar/-är

(Elementarunterricht, Sekundärliteratur) und -iv (Intensivkurs) als Erstglied.49

4) Nicht als Erstglied anwendbar sind Adjektive mit den Präfixen erz-, miss-, un-, ur-.50

5) In einigen Fällen muss das Adjektiv umgebildet werden, um als Erstglied

funktionieren zu können, z.B. doppelt → Doppel-, einzeln → Einzel-.

6) Verbindungen mit zwei oder drei Adjektiven als Erstglied sind äußerst selten, z.B.

Schwarzweißmalerei. Auch Komposita mit zwei Adjektiven, deren zweites Bestandteil

des substantivischen Zweitglieds ist, kommen eher selten vor, z.B. Hartschwarzbrot

(hartes Schwarzbrot).

7) Das Erstglied ist eine als Adjektiv zu betrachtende Partizipialform, häufig das Partizip

II, z.B. Gebrauchtwaren, Gemischtwaren.

8) Das Erstglied ist eine Superlativform, die meist nicht durch den Positiv ersetzbar ist,

z.B. Höchstpreis (*Hochpreis). Häufig verwendet sind Best- (Bestseller, Beststudent)

und Mindest- (Mindestgeschwindigkeit). Bei den Komparativformen, die als

Erstglieder dienen, ist vor allem Mehr- sehr aktiv, z.B. Mehrarbeit, Mehrzahl.

47

Dies ist eher ungewöhnlich, denn normalerweise liegt der Hauptakzent der Komposita auf der ersten UK (vgl.

Kapitel 2.2.3.1). 48

Bei den Komposita mit Derivaten von Ländernamen ist die erste UK meist als substantiviertes Adjektiv

aufzufassen (vgl. Fleischer/Barz 2007: 105). 49

Adjektive auf -abel/-ibel, -ant/-ent, -esk, -os/-ös sind dagegen nicht als Erstglied anwendbar (vgl.

Fleischer/Barz 2007: 105). 50

Wichtig zu bemerken ist, dass ein Kompositum wie Ungleichgewicht eine Präfigierung des komplexen

Substantivs Gleichgewicht ist. Folglich ist un- hier kein Präfix des Adjektives gleich (vgl. Fleischer/Barz 2007:

105).

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32

Hieran anschließend soll man bemerken, dass es im Typ 1) nicht immer deutlich ist, ob das

Erstglied ein Adjektiv oder ein Substantiv ist. In manchen Fällen sind beide formal identisch

und erst mit Hilfe von Paraphrasen differenzierbar. So grifft Fern- im Kompositum Fernblick

auf das Substantiv die Ferne statt auf das Adjektiv fern zurück: Fernblick = ‚Blick in die

Ferne‟ (vgl. Fleischer/Barz 2007: 104).

2.2.3.1.1.2.2 Zur Semantik

Im Grunde unterscheiden Fleischer/Barz (2007: 106-108) semantisch zwei Hauptgruppen bei

den Adjektiv-Nomen-Determinativkomposita: Determination des Substantivs nach einer

bestimmten Eigenschaft und Verstärkung bzw. Minderung der Intensität. Dazu erkennen sie

noch zwei weniger bedeutsame Nebengruppen:

1) Das Adjektiv bzw. das Erstglied attribuiert das Nomen bzw. das Zweitglied. Die

Eigenschafsbenennungen beziehen sich vorwiegend auf die äußere Form (Breitfilm,

Schmalwand, Spitzbogen), die Farbe (Blaulicht, Schwarzerde), auf zeitliche Stimmung

(Frühnebel, Spätsommer), auf die innere Beschaffenheit (Dünnbier, Fremdkörper)

oder den Geschmack (Sauerkraut, Süßkirsche).

2) a) Augmentativbildungen: Adjektiv-Nomen-Komposita mit einem adjektivischen

Erstglied, das die Intensität des Zweitglieds verstärkt. Solche Komposita werden

vorwiegend mit Erstgliedern Groß- und Hoch- gebildet, z.B. Großaktion, Großgarage,

Hochachtung, Hochglanz. Andere Erstglieder positiver Wertung sind u.a. Fein- (Fein-

arbeit, Fein-keramik), Edel- (Edelstein, Edelmetall), usw.

b) Diminutiva: Adjektiv-Nomen-Komposita mit einem adjektivischen Erstglied, das

die Intensität des Zweitglieds mindert. Hier sind vor allem die Erstglieder Klein-

/Kleinst- (Kleingarten, Kleinstkram), Kurz- (Kurzfassung, Kurzmeldung) und

Schwach- (Schwachkopf, Schwachsinn) zu nennen.

3) Einige adjektivische Erstglieder benennen Rang oder Titel, z.B. Edelmann, Freiherr.

Produktiv sind vor allem die Modelle mit Erstgliedern Alt- (Altpräsident, Altstadt) und

Ober- (Oberbürgermeister, Oberinspektor).

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33

4) Unter den Verwandtschaftsbenennungen können die adjektivischen Erstglieder Groß-

und Halb- verwendet werden, z.B. Großeltern, Großvater, Halbbruder,

Halbschwester.

2.2.3.1.1.3 Das Verb-Nomen-Kompositum

Donalies (2005: 69) schreibt, dass die Verb-Nomen-Komposition deutlich weniger

eingeschränkt ist als die Adjektiv-Nomen-Komposition. Fast alle Typen von Verbstämmen

(einsilbige/mehrsilbige, simplizische/komplexe, abgeleitete/zusammengesetzte,

einheimische/entlehnte…) sind als Erstglied möglich. Neben den Verbstämmen können nach

Fleischer/Barz (2007: 109-110) noch einige verschiedene Formen des Verbs als Erstglied

dienen: Zuerst gibt es das Partizip I und das Partizip II. Sie werden jedoch als adjektivische

Erstglieder betrachtet (vgl. 2.2.3.1.1.2.2). Zweitens kann die volle Form des Infinitivs

verwendet werden. Dies ist unter den substantivischen Erstgliedern behandelt worden (vgl.

2.2.3.1.1.1.2). Finite Verbformen sind eher selten und existieren zunächst als Substantiv, z.B.

Iststärke – Sollstärke. Wie schon oben in Fußnoten 35 und 36 erwähnt, tritt hier häufig

Doppelmotivation auf: formal wie semantisch kann sowohl ein substantivisches als auch ein

verbales Erstglied vorliegen, z.B. Reisezeit = ‚Zeit der Reise(n)‟ oder ‚Zeit, in der jemand

reist‟. Der Kontext oder die Situation ist hier ausschlaggebend, um das Kompositum richtig

interpretieren zu können (vgl. Fleischer/Barz 2007: 109).

2.2.3.1.1.3.1 Zur Struktur

In diesem Kapitel beschäftige ich mich noch einmal mit den Verbstämmen als Erstglied von

Verb-Nomen-Komposita. Nach Fleischer/Barz (2007: 110-111) erläutere ich einige

Verbstammarten:

1) Normalerweise werden simplizische oder präfigierte Verbstämme als Erstglieder

verwendet, z.B. Backofen, Bestellnummer.51

2) Nichtheimische Verbstämme sind eher selten, z.B. Boxkampf, Charterflugzeug.

Populär sind jedoch die Verben auf -ier(en), z.B. Kopiergerät, Rasierapparat.

51

Es ist möglich, dass ein simplizisches verbales Erstglied auf ein komplexes Verb zurückzuführen ist; im

Kompositionsprozess ist dann eine Vereinfachung eingetreten, z.B. Lösegeld zu auslösen, Flammpunkt zu

entflammen (vgl. Fleischer/Barz 2007: 111).

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34

3) Koppelungen mehrerer Verbstämme als Erstglied sind sehr selten und meist poetisch

oder technikterminologisch verwendet, z.B. Mischsortierverfahren,

Streckspinnverfahren.

4) Häufiger sind Erstglieder, in denen der Verbstamm mit einem Substantiv oder

Adjektiv bzw. Adverb (Erweiterung) gekoppelt ist. Steht die Erweiterung vor dem

Verbstamm, dann hat man eine Wortgruppe als Erstglied, z.B. Leisesprechtelefon.

Steht sie nach dem Verbstamm, dann ist das Erstglied ein Nomen-Nomen-

Kompositum, z.B. Fahrschein-verkauf.

2.2.3.1.1.3.2 Zur Semantik

Nach H. Ortner/L. Ortner (1984) mit A.M Kienpointer (1985) gibt Fleischer/Barz (2007: 111-

112) eine Übersicht über die wichtigsten Wortbildungsbedeutungen des Verb-Nomen-

Kompositums.52

A = Erst-, B = Zweitglied.

1) ‚Instrumental‟, ‚B ist Mittel für A‟, z.B. Merkblatt, Strickapparat.

2) ‚Agens‟, ‚B tut A‟, z.B. Putzfrau, Glühwürmchen.

3) ‚Patiens‟,

a. ‚mit B wird A getan‟, meist ‚habituell‟, z.B. Einschreibebrief, Leihverpackung.

b. ‚mit B ist A getan worden‟, z.B. Bratapfel, Reibekäse.

4) ‚Thematisch‟, ,A ist thematischer Bezugspunkt von B‟, z.B. Bohrkapazität,

Sehvermögen.

5) ‚Lokal‟, ‚A vollzieht sich in B‟, z.B. Anlegeplatz, Kochecke.

6) ‚Explikativ‟, ‚A expliziert B‟, z.B. Lesewut, Schießübung.

7) ‚Temporal‟, ‚B gibt Zeitpunkt/-raum für A an‟, z.B. Backtag, Sendetermin.

8) ‚Kausal‟53

a. ‚A ist Ursache von B‟, z.B. Kratzwunde, Auffahrunfall.

b. ‚B ist Ursache von A‟, z.B. Lachkreiz, Niespulver.

9) ‚Modal‟, A benennt Modus von B‟, z.B. Laufschritt, Stehbankett.

52

Die meisten der beim Nomen-Nomen-Kompositum auftretenden Wortbildungsbedeutungen (vgl. 2.2.3.1.1.1.1)

findet man auch hier – allerdings in anderen Proportionen – zurück (vgl. Fleischer/Barz 2007: 111). 53

Als Negationsform von Kausal nennt Kienpointer (1985: 135) den Typ ‚B ist Ursache für Nicht-A‟, z.B.

Beißkorb, Scheuklappe. Auch Erweiterung durch Anti- ist möglich, z.B. Antiklopfmittel, Antirutschmaterial (vgl.

Fleischer/Barz 2007: 112).

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35

2.2.3.1.1.4 Das nominale Konfixkompositum

Nominale Konfixkomposita kann man in drei Klassen einteilen: Komposita aus einem Konfix

als Erstglied und einem Substantiv als Zweitglied (Das Konfix-Nomen-Kompositum),

Komposita aus einem Konfix als Zweitglied und einem Substantiv als Erstglied (Das Nomen-

Konfix-Kompositum) und Komposita aus zwei Konfixen (das Konfix-Konfix-Kompositum)

(vgl. Duden Grammatik 2006: 692).

2.2.3.1.1.4.1 Das Konfix-Nomen-Kompositum

Donalies (2005: 71) betont, dass bei weitem nicht alle Konfixe kompositionsgliedfähig sind.

Viele können nur ausschließlich als Ersteinheiten von Suffixderivaten verwendet werden, z.B.

fanat-, faszin-, ident-. Fleischer/Barz (2007: 120) bemerken, dass vor allem nichtheimische

Konfixe aus dem Lateinischem oder Griechischem als Erstglied verwendet werden können,

z.B. Mini- (Minimum, Miniatur), Mikro- (Mikrofilm, Mikrochemie), Makro- (Makrokultur,

Makromolekül), Mono- (Monokultur, Monopol), Poly- (Polykultur), usw. Nicht als Konfix zu

behandeln sind u.a. Extra- (in Extraangebot, Extrawurst) und quasi (Quasisouveränität), da

sie als freies Adverb üblich sind. Außerdem kann Extra- auch als Substantiv funktionieren:

das Extra. Auch einige heimische Konfixe können als Erstglied dienen, z.B. Schwieger-

(Schwiegermutter, Schwiegervater) und Stief- (Stiefmutter, Stiefschwester).

Duden Grammatik (2006: 692) bemerkt, dass die Konfixe in Erstgliedposition oft zur

Verselbstständigung neigen, und zwar als elliptische Verkürzungen längerer Wörter. So

werden sie zu Kurzwörtern. Wichtig ist es zu bemerken, dass das Kurzwort und das

gleichlautende Konfix in solchen Fällen unterschiedliche Bedeutungen tragen, denn das

Kurzwort übernimmt die lexikalische Bedeutung seiner jeweiligen Vollform, z.B. das Wort

Euro ist gekürzt aus der syntaktischen Fügung europäische Währungseinheit und existiert

neben dem Konfix Euro-. Demzufolge sind Komposita mit Euro- als Erstglied auf zwei

Weisen zu interpretieren: Komposita mit Euro- als Konfix (Eurokonzern) und Komposita mit

Euro- als lexikalische Einheit (Euroeinführung).

2.2.3.1.1.4.2 Das Nomen-Konfix-Kompositum

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36

Konfixe können auch als genusmarkierte Zweiteinheiten zur Bildung von nominalen

Komposita verwendet werden. Im Falle des Nomen-Konfix-Kompositum ist das Erstglied

dann ein Nomen. Diese Zusammensetzungen sind fast rein als okkasionell zu betrachten.

Beispiele hier sind Schnorrosoph (Taz 1991), „Satzomat“ (Spiegel 1994), „Babycaust“ (Zeit

1995) (vgl. Donalies 2005: 72). Als positionsfestes Zweitglied erwähnen Fleischer/Barz

(2007: 122) das Konfix -wart, z.B. Hauswart, Tankwart.

2.2.3.1.1.4.3 Das Konfix-Konfix-Kompositum

Nominal markierte Konfixe als Zweiteinheiten können sich auch mit Konfixen als Erstglied

verbinden. Beispiele von Konfixen als Zweitgliedern in Konfix-Konfix-Komposita sind -soph

(Anthrosoph), -drom (Aquadrom), -naut (Astronaut), -zid (Genozid). Auch hier sind

Okkasionalismen möglich, z.B. Cybernaut (Taz 1990) (vgl. Donalies 2005: 71).

2.2.3.1.1.5 Das Satz-Nomen- und das Phrase-Nomen-Kompositum

Relativ unbeschränkt können Komposita mittels Sätzen oder Phrasen als Erstglied gebildet

werden. Fast ausnahmslos handelt es sich hier um okkasionelle Zusammensetzungen. Einige

der häufigsten Ersteinheiten hier sind:

1) Sätze. Am geläufigsten sind Komposita mit dem Imperativ eines komplexen oder

reflexiven Verbs als Erstglied, z.B. Stehaufmännchen, Trimm-dich-Pfad. Auch

Aussage-, Frage- und Ausrufesätze kommen als Erstglied vor, z.B. Bin-ich-nicht-

schön-Äuglein (H. Kant) (vgl. Fleischer/Barz 2007: 124).

2) Nominalphrasen, z.B. Grüne-Bohnen-Eintopf. Besonders häufig sind Komposita mit

Mengen-, Dimensions-, Wert- und Zeitangaben, z.B. Fünf-Gänge-Dinner,

Hunderteuroschein, 290-Millionen-Dollar-Kredit.54

3) Verbphrasen, z.B. Palettenstapelmethode.

54

Als Besonderheit zu betrachten sind Ersteinheiten wie Vater-Tochter und Ost-West in Vater-Tochter-

Beziehung und Ost-West-Vertrag. Sie sind keinesfalls Komposita (*ein Ost-West) und auch keine Phrasen im

eigentlichen Sinne (*Vater Tochter), sondern bestehen aus zwei gleichwertigen Phrasenteilen, die eigens für die

Bildung eines Kompositums in ein appositionelles Verhältnis gestellt werden: Vater-Tochter-Beziehung

‚Beziehung zwischen Vater und Tochter.‟ (vgl. Donalies 2005: 73).

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37

4) Adjektivphrasen, z.B. Noch-nicht-ganz-Hochzeit.

5) Adverbphrasen, z.B. Immer-noch-Kanzler (Vgl Donalies 2005: 73)

Donalies (2005: 74) teilt die Satz-Nomen- und die Phrase-Nomen-Komposita semantisch in

drei Haupttypen ein:

1) Komposita, in denen Sätze und Phrasen Zitatcharakter haben und das Nomen eine

Äußerungsform bzw. eine Haltung bezeichnet, z.B. Was-soll-denn-das-bedeuten-

Frage, „na-und“-Mentalität.

2) Komposita, bei denen Angaben zu Mengen usw. gemacht werden, z.B. Fünf-Gänge-

Menü, Zehn-Uhr-Nachrichten.

3) Komposita, bei denen die Phrase die Beteiligten an dem bezeichnet, was das Nomen

bezeichnet. Das Nomen an sich bezeichnet eine Interaktion im weitesten Sinne, z.B.

Arzt-Patienten-Gespräch, Vater-Tochter-Beziehung.

2.2.3.1.2 Das Possessivkompositum

Possessivkomposita sind ein Subtyp der Determinativkomposita. Ihre Besonderheit besteht in

ihrem außersprachlichen Bezug. Sie sind Komposita mit determinativem Verhältnis der

Glieder - das Erstglied determiniert das Zweitglied -, doch bezeichnet das Zweitglied keinen

Oberbegriff, unter den sich das Bezeichnete einordnen lässt. Sie benennen vor allem

Personen, Tiere oder Pflanzen nach einem Teil, den diese Erscheinungen - im Kompositum

genannt - besitzen, in einigen Fällen mit metaphorischer Beziehung zwischen den UK (vgl.

Duden Grammatik 2006: 729). „Der Besitzer wird in einem „pars pro toto“-Verfahren mittels

eines charakteristischen Körperteils benannt“ (Hentschel/Weydt 2003: 191), z.B. Langbein

‚Person, die lange Beine hat‟, Rotkehlchen ‚Vogel, der ein rotes Kehlchen hat‟, Dickkopf

‚Person, die einen dicken Kopf hat‟. Das Bezeichnete liegt also wesentlich außerhalb des

Kompositums. Deshalb werden diese Komposita als exozentrisch - exozentrische Komposita -

betrachtet.55

Possessivkomposita kann man so als Ausnahme der Determinativkomposita

sehen, denn hier ist A + B ≠ B. Hentschel/Weydt (Vgl. 2003: 190) schreibt, dass

Possessivkomposita sich nur auf Adjektiv-Nomen-Komposita beziehen können, doch

55

Wenn man in Fällen wie Langbein und Rotbart – endozentrisch – den entsprechenden Körperteil meint, dann

soll man deutlichkeitshalber die attributive Wortgruppe verwenden, z.B. der rote Bart von der Person Rotbart,

das lange Bein von der Person Langbein (vgl. Fleischer/Barz 2007: 125).

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38

Donalies (2005: 58) erwähnt als Beispiel u.a. Nashorn ‚Säugetier, das ein Horn auf der Nase

hat‟ (= Nomen-Nomen-Kompositum!)

2.2.3.1.3 Das verdeutlichende Kompositum

Ein weiterer Subtyp der Determinativkomposita bilden die verdeutlichenden Komposita, z.B.

Erziehungsprozess, Auswertungsverfahren, Servicedienst, usw. In diesen Komposita

bezeichnet das Zweitglied einen Oberbegriff, der die Bedeutung des Erstgliedes bereits

einschließt. Für das Ganze kann eine einzige UK stehen, doch in manchen Fällen auch jede

von beiden, z.B. Auswertungsverfahren ‚Auswertung ist ein Verfahren‟; Servicedienst ‚Dienst

ist Service‟. In diesem Sinne sind verdeutlichende Komposita determinativ; ihre UK stehen

in einer subordinierenden - keiner koordinierenden - Beziehung. Bemerkenswert ist, dass die

„determinierende“ UK nicht immer eine spezifizierende Bedeutung hat.

Die verdeutlichenden Komposita sind in verschiedene Typen bzw. Modelle einzuteilen. Im

Folgenden erwähne ich die wichtigsten:

1) Zuerst hat man die Komposita zur Verdeutlichung von Fremdwörtern durch

Hinzufügung eines heimischen Kompositionsgliedes, entweder als Erst-

(Einzelindividuum, Angebotsofferten) oder als Zweitglied (Servicedienst, Container-

Behälter). In beiden Fällen kann sowohl das Erstglied als das Zweitglied für das

Ganze stehen.

2) Zweitens gibt es auch Komposita zur Verdeutlichung, zur Spezifizierung von

heimischen bzw. heute als heimischen zu betrachtenden Wörtern, z.B. Kieselstein,

Farnkraut. In diesen Fällen verweist das Zweitglied auf einen Oberbegriff, der bereits

mit dem Erstglied gegeben ist: An sich ist Kiesel ein Stein und Farn ein Kraut.

Demzufolge kann hier - im Unterschied zu den meisten Determinativkomposita - das

Erstglied für das Ganze stehen.

3) Drittens - von 2) abzusetzen - gibt es Fälle wie Rückgrat und Turteltaube, in denen das

verdeutlichende Element heute nicht mehr frei gebräuchlich ist: Im Althochdeutschen

bedeutete grāt ,Rückgrat‟ und turtura ‚Turteltaube. Heute bestehen diese Wörter in

ihrer herkömmlichen Bedeutung nicht mehr.

4) Einige Komposita haben ein - deverbales - Erstglied, das sich als polysemantisch

erweist: Es kann sowohl ‚Prozess‟ als ‚Resultat‟ bezeichnen. Durch das Zweitglied

wird jedoch ‚Prozess‟ akzentuiert, z.B. Übungsgeschehen, Auswertungsverfahren. Das

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Zweitglied kann man hier als untergeordnet ansehen und hat zur Folge, dass auch hier

das Erstglied für das Ganze stehen kann.

5) Damit verbunden ist die Tendenz zur Bezeichnung eines verallgemeinernden

Oberbegriffes: ein Kompositionsmodell mit einer verallgemeinernden Bezeichnung

für „Stoff, Material“ - statt ‚Prozess‟ in 4) - als Zweitglied, z.B. Giftstoff,

Nahrungsmittel, Bildmaterial. Als verallgemeinernde Bezeichnung für Personen kann

man –kräfte verwenden, z.B. Kontrollkräfte, Servierkräfte; für Organisationseinheiten

–einrichtung, z.B. Behandlungseinrichtung, Vorschuleinrichtung (vgl. Fleischer/Barz

2007: 125-127).

2.2.3.2 Das Kopulativkompositum

Im Gegensatz zu Determinativkomposita - in der die UK hypotaktisch organisiert sind - sind

beide Kompositionsglieder parataktisch verbunden. Dies bedeutet, dass die UK in einem

koordinierenden Verhältnis stehen; beide UK sind semantisch gleichgeordnet. Eines der

Glieder kann man also nicht als Oberbegriff bzw. Unterbegriff betrachten. Da das Zweitglied

bei Komposita in der Regel die - nominale -Wortart bestimmt, können bei den nominalen

Kopulativkomposita nur nominale Erstglieder verwendet werden. Beide UK sollen also der

gleichen Wortklasse zugehören. Hinzu kommt die semantische Bedingung, dass beide Glieder

zur gleichen Bezeichnungsklasse gehören, z.B. Dichter-Leser (Beide Glieder sind nominale

Personenbezeichnungen für einen Kunstler) (vgl. Erben 2006: 43). Ein weiteres Merkmal

findet man in Donalies (2005: 85-86): Da beide UK koordinierend sind, sind sie im Grund

Vertauschbar, ohne dass Bedeutungsveränderung eintritt, z.B. Pulloverjacke –

Jackenpullover. Doch in manchen Fällen ist die Reihenfolge konventionalisiert, z.B.

Strumpfhose - *Hosenstrumpf.56

Überdies bemerkt Donalies (2005: 85), dass

Kopulativkomposita nicht immer binär strukturiert sind, diese Fälle sind aber bei den

nominalen Kopulativkomposita eher selten und okkasionell, z.B. Dichter-Leser-Sänger.

Fleischer/Barz (2007: 128-129) schreibt, dass man die Kopulativkomposita semantisch in

zwei Gruppen unterteilen kann:

1) Die exozentrischen Komposita: Bei diesen Komposita können weder das Erst- noch

das Zweitglied die ganze Wortbildungskonstruktion semantisch repräsentieren.

Besonders Benennungen für Kleidungsstücke findet man in dieser Gruppe zurück, z.B.

56

Bei adjektivischen Kopulativkomposita ist dies häufig der Fall, weil eine bestimmte Reihenfolge signalisiert

werden soll, z.B. eine rot-gelb-grün Ampel (vgl. Donalies 2005: 86).

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Strumphose ‚ ein Kleidungsstuck, der etwas von einem Strumpf und von einer Hose

hat, aber weder Strumpf noch Hose ist.‟; Manteljacke – Jackenmantel ‚ein

Kleidungsstuck, der etwas von einem Mantel und von einer Jacke hat, aber weder

Jacke noch Mantel ist.‟

2) Die endozentrischen oder konjunktiven Kopulativkomposita: Bei diesen Komposita

stehen die UK in einem additiven Verhältnis und bezeichnen zwei Seiten eines

Bezeichnetes. Gewöhnlich handelt es sich um Personenbenennungen, z.B.

Ingenieurphilologe, Leser-Schreiber. Durch die Gleichstellung beider UK kann in

okkasionellen Konstruktionen bei Flexion des Zweitgliedes auch das Erstglied flektiert

werden, z.B. dem Journalisten-Wissenschaftler.

2.2.3.3 Onymische und deonymische Komposita

Eine besondere Klasse innerhalb der Determinativ- und Kopulativkomposition bilden die

onymischen und deonymischen Komposita. Diese Komposita haben gemein, dass beide

mindestens einen Eigennamen als UK haben. Onymische Komposita haben als Zweitglied

meist einen Eigennamen und deonymische ein Nomen. Im Rahmen der allgemeinen

Kompositionsbedingung, dass das Zweitglied die Wortart bestimmt, kann man behaupten,

dass onymische Komposita Eigennamen sind und deonymische Appellative mit einem

Eigennamen als UK (vgl. Fleischer/Barz 2007: 130).57

2.2.3.3.1 Das onymische Kompositum

Bei onymischen Komposita handelt es sich um die Komposition von mindestens zwei

Eigennamen miteinander. Hier kann man nach Fleischer/Barz (2007: 131-132) verschiedene

Modelle unterscheiden:

1) Koppelungen von Vornamen, z.B. Hans-Gert, Annemarie.

2) Koppelung von Familiennamen, z.B. Elly Beinhorn-Rosemeyer.

3) Die Koppelung von Familien- und Ortsnamen, z.B. Fritz Stadler – Stuttgart ‚Fritz

Stadler aus Stuttgart‟. Im Unterschied zu 1) und 2) ist die Beziehung zwischen den UK

hier determinativ, wobei das Erstglied das determinierte ist.

57

Das Appelativ: “Substantiv, das eine Gattung von Dingen od. Lebewesen u. zugleich jedes einzelne Wesen od.

Ding dieser Gattung bezeichnet; Gattungsbezeichnung, -name (z.B. Mensch, Blume, Tisch)“ (Duden 2003: 158).

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41

4) Die Koppelung von Ortsnamen kann sowohl determinativ als auch kopulativ sein.

Determinativ ist z.B. Berlin-Pankow, Rostock-Lütten. Hier ist in der Regel das

Erstglied der Name einer größeren Stadt, das determinierte. Das determinierende

Zweitglied ist der Name eines ehemals selbstständigen, in die größere Stadt

aufgegangenen Ortes. Das Kompositum bezeichnet dann insgesamt einen Stadtteil.

Kopulative Verbindungen kommen vor, wenn die Namen zweier ursprünglich

getrennter Orte bei Vereinigung dieser Orte verschmolzen werden, z.B. Garmisch-

Partenkirchen.

5) Die Koppelung von Orts- mit Flussnamen, z.B. Frankfurt (Oder), Frankfurt (Main).

Hier ist das Erstglied determiniert.

Ein Subtyp innerhalb der onymischen Komposita bilden die onymischen Komposita mit

appellativischen Elementen. Im Folgenden behandele ich einige Modelle dieser Komposition:

1) Personennamen erhalten ein differenzierendes Erstglied, z.B. Uhren-Schulze ‚Mann

namens Schulze, der mit Uhren handelt.‟ Dieses Modell dient auch zur Bildung von

Spitznamen, z.B. Sauf-Claus, Bügel-Olga. In diesen Fällen sind die Erstglieder

Verbstämme, denn sie beschreiben eine charakterisierende Handlung der Person:

Sauf-Claus ‚Claus, der immer säuft‟, Bügel-Olga ‚Olga, die immer bügelt‟.

2) Differenzierung eines Vornamens ist auch durch ein nichtdekliniertes Adjektiv als

Erstglied möglich, z.B. Klein-Heinz, Jung-Heinrich.

3) Vornamenskoppelungen können auch als Koseform gebildet werden. Hier ist das

Zweitglied dann ein Nomen als Oberbegriff, z.B. mein Gerdamädchen.

4) Differenzierung von Ortsnamen durch ein nichtdekliniertes Adjektiv, z.B. Groß-

Berlin, Alt-Neuburg (vgl. Fleischer/Barz 2007: 132).

2.2.3.3.2 Das deonymische Kompositum

Die Struktur der deonymischen Komposita besteht aus einem Eigennamen als Erstglied und

einem Nomen als Zweitglied. Auch hier kann man verschiedene Modelle wahrnehmen. Nach

Fleischer/Barz (Vgl. 2007: 134-135) erwähne ich die wichtigsten:

1) In einem ersten Modell steht ein Personenname als Erstglied:

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a. Das Kompositum bezeichnet ein Werk von oder über eine historische

Persönlichkeit, z.B. Bach-Konzert, Wallenstein-Trilogie.

b. Das Kompositum, in dem das Erstglied auf den Namen eines Firmeninhabers

bezogen ist, bezeichnet ein Erzeugnis, einen Mitarbeiter oder drückt eine

allgemeinere Beziehung aus, z.B. Jacobs-Kaffee, Opel-Erfolge.

c. Das Kompositum bezeichnet die genealogische Zusammengehörigkeit, z.B.

Nguyen-Dynastie.

d. Das Kompositum fungiert als ehrende Benennung für eine Auszeichnung, z.B.

Herdermedaille, Nobelpreis.

e. Das Kompositum ist ein technischer Terminus, z.B. Bunsen-Element, Seebeck-

Effekt.

f. Okkasionell werden Vor- und Familienname einer historischen Persönlichkeit

mit einem Appellativ gekoppelt, um mit dem Namen verbundene

Assoziationen zu wecken, z.B. Caspar-David-Friedrich-Gefühle.

g. Auch die Namen von Märchengestalten, literarischen Figuren, usw. werden

verwendet, z.B. Adamskostüm, Dornröschenschlaf.

2) Zweitens können auch Ortsnamen als Erstglied stehen. Sie bringen meist eine lokale

oder thematische Beziehung zum Ausdruck, z.B. Berlin-Reise, Stuttgart-Reportage.

3) Auch Flussnamen dienen als Erstglied, z.B. Donauwellen, Elbmündung.

4) Und letztens auch Staats- und Landschaftsnamen, z.B. Frankreich-Export, Belgien-

Krise.

2.2.3.4 Die Reduplikation

Die Reduplikation – auch Iteration genannt - ist eine kaum produktive und folglich eher

seltene Wortbildungsart, bei der durch Doppelung eines Wortes ein Kompositum gebildet

wird.58

Sie ist im Deutschen kaum systematisch ausgebaut und zählt etwa hundert Bildungen.

Viele davon sind nur umgangssprachlich bzw. kindersprachlich zu verwenden. Es gibt vier

große Arten der Reduplikation:

1) Einfache Doppelung, z.B. Pinkepinke (salopp) ‚Geld‟; Blabla ‚leeres Gerede‟.

58

Nicht als Reduplikationsprodukte, sondern als Determinativkomposita aufzufassen sind die Selbstkomposita,

die vorrangig die Hervorhebung dienen, z.B. graugrau Hemden ‚Hemden, die unter allen grauen Hemden als

besonders grau wahrgenommen werden‟ (vgl. Donalies 2005: 89).

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43

2) Reimdoppelung, z.B. Techtelmechtel (ugs.), Flirt‟, Larifari (ugs.) ‚Geschwätz‟.

3) Ablautdoppelung, meist i zu a, z.B. Singsang ‚leises Vor-sich-hin-Singen‟; Klingklang

‚helles, wohltönendes Klingen‟.

4) Partielle Iteration. Hier wird ein Segment des Wortes mehrfach wiederholt.59

Diese

Wiederholung bezeichnet dann ikonisch eine fortgesetzte Handlung bzw. das damit

verbundene Geräusch. Diese Art wird vor allem in Comics und der Kindersprache

verwendet, z.B. rumpumpeln , klapperdiklap (vgl. Duden 2006: 679-680).60

2.2.3.5 Die Kontamination

Die Kontamination ist eine nicht besonders produktive Wortbildungsart, bei der zwei Wörter

ineinander verschachtelt werden. Außerdem werden so auch die Wortinhalte beider Wörter

miteinander verschmolzen, z.B. Mammufant (Mammut + Elefant) ‚Ein Tier, das eine

Kreuzung zwischen Mammut und Elefant ist.‟61

Morphologisch kann man zwei verschiedene Kategorien von Kontaminationsprodukten

unterschieden: zuerst Komposita, deren Einheiten keine gemeinsamen Laut- bzw.

Buchstabenfolgen haben und nach Kriterien der phonologischen Wohlgeformtheit ineinander

geschoben werden, z.B. Mammufant, Infotainment (Information + Entertainment) Zweitens

Komposita, deren Einheiten gemeinsame Laut- bzw. Buchstabenfolgen haben und die sich

genau darin überschneiden, z.B. Utopiate (utopische Opiate), Lakritzelei (Lakritz + Kritzelei).

Kontamination ist aber keine Kurzwortbildung, denn hier wird nämlich kein Wort oder Phrase

inhaltlich verkürzt, sondern zwei Wörter zu einem inhaltlich ganz neuen Wort

zusammengefügt. Es handelt sich hier oft um Gelegenheitsbildungen (vgl. Donalies 2005:

90).

3 Neologismen

Die Komposita, die für diese Arbeit relevant sind, sind diejenigen, die sich als neu anhören

und als Neologismen zu betrachten sind. Es gibt jedoch ein Problem bei der Neologismus-

Bezeichnung: „ab wann und bis wann ist ein neues Wort als Neologismus zu bezeichnen?“

(Elsen 2004: 19).

59

Oft mit eingeschobenem -di- Element (vgl. Duden 2006: 680). 60

Diese Wortkonstruktionsbildungen soll man nicht mit Onomatopöien wie Kuckuk, Tamtam, usw. verwirren.

Onomatopöien sind nicht aus Wörtern gebildet; nur lautmalerisch urgeschöpft und folglich keine Komposita

(vgl. Donalies 2005: 89). 61

“Von der Kontamination abzugrenzen sind die so genannten Verschmelzungen oder Portmanteau-Morpheme

(z.B. am, beim, unters), die nicht zur Wortbildung, sondern zur Syntax gehören.“ (Donalies 2005: 90).

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44

3.1 Definition

Eine eindeutige Definition des Begriffs Neologismus gibt es nicht. Die Bestimmung des

Begriffes variiert in den verschiedenen Arbeiten zur Lexikologie und Lexikographie. Gemäß

dem oben genannten Zitat von Elsen unterscheiden sich die Definitionen in dem Maße, dass

sie von den Untersuchungszielen der Autoren abhängen. So wird der eine Linguist einen neu

zu beobachtenden deutlichen Konnotationswandel als ausreichendes Kriterium für den Status

eines Neologismus betrachten, und muss für den anderen ein Neologismus sich entweder in

Form oder Inhalt oder in beiden von vorhandenen Lexemen unterscheiden, für den anderen

nicht; usw. (vgl. Elsen 2004: 19-20). Über ein Kriterium sind alle Linguisten sich jedoch im

Klaren: „Neue Wörter gelten nicht mehr als Neologismen, wenn sie im Kern- bzw.

Allgemeinwortschatz etabliert sind, das heißt, sie sind in die Standardwörterbücher

aufgenommen.“ (Elsen 2004: 21).

Da eine ausführliche Darlegung in Bezug auf den Begriff Neologismus uns zu weit führen

würde, trete ich Elsen (2004: 23) bei, die den Begriff „Neologismus“ zusammenfassend

bezieht auf neue Fremdwörter, Schöpfungen und auf Wortbildungen und

Wortgruppenlexeme, die in Form oder Bedeutung oder beidem neu sind, d.h., sie sind noch

nicht in den aktuellen Wörterbüchern der Standardsprache aufgenommen. Wichtig ist zu

bemerken, dass ich mich während meiner Darlegungen nur auf die Komposita beziehen

werde.

3.2 Okkasionalismen

Eine besondere Gruppe Neologismen bilden die so genannten Okkasionalismen, auch Einmal-

, Augenblicks-, Gelegenheits- oder Ad-hoc-Bildungen genannt. “Eine Ad-hoc-Bildung ist

eine Wortbildung, die nicht im mentalen Lexikon des Sprechers/Hörers mit einem eigenen

Lexikon-Eintrag gespeichert ist.“ (Hohenhaus 1996: 31). Sie sind noch nie zuvor gebildete

Wörter - einmalige Neubildungen - die häufig nur im Kontext verständlich sind und oft

textrelevante Aufgaben übernehmen.62

Sie üben sprachökonomische oder verschiedene

62

Indem sie nur einmal im Text vorkommen, zählen einige Linguisten - wie Schippan (1992) - die

Okkasionalismen nicht zu den Neologismen. Laut ihnen gehen Neologismen in den allgemeinen Sprachgebrauch

ein und sollen nicht studiert werden (vgl. Elsen 2004: 21). Matussek (1994: 33) bemerkt, dass, da

Okkasionalismen zunächst auf Textebene produziert werden, sie zum Zeitpunkt ihrer aktuellen Bildung nur über

eine Textbedeutung verfügen. Gemäß Elsen (2004) betrachte ich sie jedoch als Neologismen.

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stilistische Funktionen aus und füllen lexikalische Lücken. Elsen (2004: 89) erwähnt, dass

Okkasionalismen im Prinzip drei verschiedene Funktionen erfüllen. Je nach der Bedeutung

des Okkasionalismus betrachtet man eine Funktion als primär:

1) Erstens können Ad-hoc-Bildungen den textuellen Zusammenhang formal bzw.

inhaltlich mitbestimmen. Diese Wortbildungskonstruktionen haben dann eine primäre

textuelle Funktion. Diese Wortbildungskonstruktionen komprimieren Information in

einer höchst ökonomischen Art und Weise. So dienen sie der Sprachökonomie (vgl.

Matussek 1994: 36). Laut Elsen (2004: 89) kann je nach der Blickrichtung diese

Funktion in vier Gruppen untergliedert werden:

a. Formal: Die Okkasionalismen ersetzen andere Wörter, um Wiederholungen

oder komplexe Phrasen zu vermeiden und damit die Sätze zu verkürzen, z.B.

Der Neujahrssturm statt der Sturm, der es auf Neujahr gab.

b. Inhaltlich: Die Okkasionalismen dienen der Informationsverdichtung, der

Verbildlichung oder dem Kontrast. Sie ergänzen oder differenzieren

Informationen oder erleichtern das Verständnis.

c. Thematisch: Die Okkasionalismen konstituieren ein Thema, halten es,

variieren es, kombinieren mehrere Themen oder tragen die Leitmotivik.

d. Textuell: Die Okkasionalismen sind textbildend: Sie dienen dazu, Texte zu

konstituieren, Texte bzw. Textteile zu verflechten, zu verdichten, zu gliedern,

zusammenzufassen. So verbindet ein Okkasionalismus wie US-

Waffeninspektor im Anschluss an Waffeninspektionen und US-Botschaft

verschiedene Sätze und stellt einen Zusammenhang her (vgl. Elsen 2004: 89).

2) Demgegenüber können Okkasionalismen eine primär referentielle Funktion ausüben.

Das Auftreten neuer Gegenstände und Sachverhalte lässt das Bedürfnis aufkommen,

diese Dingen zu benennen. Die Okkasionalismen sind folglich weitgehend ohne

Textzusammenhang verständlich (vgl. Matussek 1994: 35). Mit anderen Wörtern, sie

dienen der Begriffsbildung und leisten strenggenommen nichts für den Text. So sind

die Wörter Briefkastenmaurer und Schulranzenschneiderin perfekt ohne

Zusatzinformationen vorstellbar (vgl. Elsen 2004: 89). Kurz gesagt: Ein okkasionelles

Kompositum hat eine referentielle Funktion, wenn es eher sachlich-neutral,

informierend auf einen Gegenstand oder eine Sache verweist (vgl. Elsen 2004: 103).

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46

3) Drittens können okkasionelle Komposita eine primär stilistische Funktion haben.

Obwohl auch sie Gegenstände und Sachen benennen, kann man ihre Funktion nicht

als referentiell betrachten. Sie sind metaphorisch, expressiv gebildet und haben als

Absicht, bei der Benennung von Gegenständen und Sachen bestimmte Effekte beim

Leser auszulösen. Meist sind logischere bzw. neutrale Benennungen - d.h. Wörter mit

einer primär referentiellen Funktion - verfügbar. Die Neologismen dagegen dienen

dem Leseanreiz, weil sie auffällig sind, die Spannung erhöhen und wertend oder sogar

manipulativ wirken (vgl. Elsen 2004: 88-90). In manchen Fällen haben sie eine

pejorative bzw. meliorative Konnotation, d.h. sie stellen einen Gegenstand schlechter

bzw. verbessernd dar, z.B. ein Kilometerfresser ‚Ein Auto, das viel Benzin braucht‟;

der Backkaiser ‚der Bäcker, der das bessere Brot backt‟. Daneben können sie auch

verschleiernd bzw. euphemistisch wirken, z.B. die Militäraktion statt der Angriff, oder

eine primär unterhaltende, spielerische oder poetische Funktion haben, z.B.

Frühlingserwachen (vgl. Elsen 2004: 109-111).

Die verschiedenen Funktionen sind in der Regel nicht isoliert, sondern treten in

unterschiedlichen Kombinationen auf. In den Kombinationen ist dann jeweils eine Funktion

primär in Vergleich zu den anderen. Dies ist vor allem bei den okkasionell gebildeten

nominalen Komposita der Fall (vgl. Elsen 2004: 90).

Eine andere Sichtweise auf die Funktionen von - nominalen - okkasionellen Komposita

vertritt Wildgen (1981). Er spricht von primären und sekundären Makroprozessen bei der

Verwendung nominaler Okkasionalismen. Die drei Funktionen von Elsen (2004) kann man

jedoch in diesen Prozessen zurückfinden:

Die primären Prozesse sind Prozesse, die für alle okkasionellen Komposita gelten. Sie sind

mit der textuellen Funktion von Elsen (2004) gleichzusetzen. Sie betten das Kompositums in

die textuelle Struktur des Textes ein. Laut Wildgen (2004: 6) sind die Variationsprozesse hier

von entscheidender Bedeutung. Als wichtigsten dieser Prozesse erwähnt er die Prozesse bei

den anaphorischen und kataphorischen Komposita:

1) Anaphorische Komposita sind Komposita, deren Konstituenten bereits vorher im

Text erwähnt wurden; Sie haben daher eine raffende Funktion. Im Grunde

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unterscheidet Wildgen (2004: 7) zwei anaphorische Prozesse: den Prozess der

anaphorischen Verdünnung und den Prozess der anaphorischen Komposita.

a. Im Falle des Prozesses der anaphorischen Verdünnung ist ein Kompositum

bezogen auf ein vorher im Text erwähntes Kompositum. Es unterscheidet

sich dadurch von dem ersten Kompositum, dass lexikalisches Material

eingespart wird. Die sprachökonomische Reduktion des ersten

Kompositums hat jedoch keinen Einfluss auf die herkömmliche

Bedeutung, z.B. Geldtransportauto → Geldauto, Natururanreaktor →

Naturreaktor (vgl. Wildgen 1981: 6-8). Die anaphorischen Komposita sind

so Klammerformen der vorher im Text erwähnten - lexikalischen oder

okkasionellen - Komposita (vgl. 2.2.3.1.1.1.3).

b. Im Gegensatz zu den Komposita der anaphorischen Verdünnung werden

die Komposita, die über den Prozess der anaphorischen Komposition

gebildet werden, aus Strukturen anders als Komposita gebildet. Das heißt,

dass hier eine Selektion inhaltlicher Elemente und eine Reorganisation in

der Form des Kompositums stattfindet. Das okkasionelle Kompositum

kann auf Nominalphrasen, Sätze oder Texte bzw. Textteile Bezug nehmen,

z.B. ein eckiger Ball → ein Eckball, Dienst ist Dienst und Schnaps ist

Schnaps (Kurt Tucholsky) → Schnaps-Dienst (vgl. Wildgen 1981: 9-11).

2) Demgegenüber sind kataphorische Komposita Komposita, die eine ausführliche

Interpretation bzw. Bedeutung eines Sachverhalts im Text vorausgehen. Sie

enthalten nur die wichtigsten Elemente der eigentlichen Bedeutung, was zur Folge

hat, dass sie an erster Stelle oft zu doppeldeutigen Interpretationen führen.

Deshalb soll man den Text weiter lesen, um die richtige Interpretation zu ermitteln

(vgl. Wildgen 1981: 13). Wildgen (1981: 14) unterscheidet drei Typen

kataphorischer Komposita: kataphorische Komposita mit:

a. anschließender Erklärung, z.B. Diese Dienstleistungsfläche für den

Straßenbahn, die Bürgersteig heißt (SZ 01/01/79).

b. anschließender Exemplifizierung, z.B. Das Ein-Satz-Gutachten: „Ihr

müsst mehr arbeiten“ (SZ 01/01/80).

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c. textumgreifenden Prozessen, z.B. Im Zero-Nebel (Titel) (letzter Satz

vorher wurde erklärt, dass Zero eine Kunstrichtung ist) „Es scheint

dringend geboten, den Zero-Nebel aufzulösen, der sich über die Szene

gelegt hat.“ (SZ 28.12.80).

Als sekundäre Prozesse betrachtet Wildgen (2004: 18) die Nebeneffekte und

Markiertheitseigenschaften der primären Prozesse bzw. der textuellen Funktion. Diese

Prozesse sind mit der referentiellen und stilistischen Funktion von Elsen (2004)

gleichzusetzen. Während die primäre Funktion bei Wildgen (2004) also für alle okkasionellen

Komposita die textuelle ist, ist auf einer zweiten Ebene entweder die referentielle oder die

stilistische Funktion primär.

Die referentielle Funktion besteht bei Wildgen (2004: 20-24) im Großen und Ganzen aus

dem Prozess der deskriptiven Ausfüllung und aus dem Prozess der Abwechslung: Der Prozess

der deskriptiven Ausfüllung besagt, dass die okkasionellen Komposita im Text nicht nur eine

syntaktische bzw. textuelle Funktion haben, sondern auch eine charakterisierende

Beschreibung bzw. Benennung des Referenten inhalten. Daran anschließend beinhaltet der

Prozess der Abwechslung, dass man aus stilistischen Gründen beim Referieren

Wiederholungen vermeiden soll.

Okkasionelle Komposita, bei denen die stilistische Funktion primär ist, betrachtet Wildgen

(2004: 24) als enigmatische Komposita. Diese Komposita referieren zwar auf die

Gegenstände und Sachverhalte, weichen aber von den referierenden Komposita ab, indem sie

nicht in einer neutralen Weise referieren, sondern rätselhaft bzw. metaphorisch, expressiv

gebildet sind. Laut Wildgen (2004: 26) haben diese Komposita zwei Bedeutungsfacetten: Die

eine besteht aus der Angabe des Referenten an sich und die andere - die als primär zu

betrachten ist - besteht darin, dass der Sprecher-Schreiber dem Hörer-Leser die Perspektive,

die Grundstimmung, die er gegenüber dem Referenten einnimmt, mitteilt. Wie bei der

Auffassung von Elsen (2004) erwähnt, haben die Komposita so bestimmte Effekte auf den

Hörer-Leser und dienen sie dem Leseanreiz.

Persönlich schließe ich mich der Einteilung von Wildgen (1981) an, denn ich bin der

Meinung, dass bei okkasionellen Komposita die primären Makroprozesse bzw. die textuelle

Funktion nicht mit den sekundären Makroprozessen bzw. der referentiellen und stilistischen

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Funktion gleichgesetzt werden können.63

Die zwei Ebenen sind voneinander zu

unterscheiden. Die Ebene der primären Makroprozesse betrachte ich ab jetzt als die

textlinguistische Ebene und diejenige der sekundären Makroprozesse als die semantische

Ebene. Auf textlinguistischer Ebene gilt dann immer die textuelle Funktion und auf

semantischer Ebene kann entweder die referentielle oder die stilistische Funktion als primär

zu betrachten sein.

Zuletzt bemerkt Elsen (vgl. 2004: 21), dass Okkasionalismen sich zu den eigentlichen

Neologismen und schließlich zu etablierten Wortschatzeinheiten entwickeln - z.B. Ozonloch

(64

) - oder vorher wieder verschwinden. Im ersten Falle wird ein Wort schrittweise

lexikalisiert bzw. in der Standardsprache aufgenommen. Als Beispiel eines lexikalisierten

Wortes in Entwicklung erwähne ich Raketenschach (FAZ, (07.11.08)), eine scheinbare Ad-

hoc-Bildung, der ich während meiner Forschung begegnet bin. Dieses Kompositum verweist

auf die Raketenstationierungsfrage zwischen den Vereinigten Staaten und Russland anfangs

des November 2008.65

Die Herkunft dieser Frage liegt sich jedoch einige Jahrzehnte früher:

während des Kalten Kriegs, wenn sich eine ähnliche Situation ergab.66

Mit anderen Worten,

indem eine ähnliche Situation sich ergibt, wird ein damaliger Okkasionalismus wieder

verwendet.67

Man braucht aufs Neue den damaligen Begriff, um die Lage bestens zu

definieren. Hierdurch erhöht sich jedoch die Frequenz der Gelegenheitsbildung und könnte sie

schließlich - im besten Falle - lexikalisiert werden.

Im folgenden Kapitel werde ich die Verwendung der okkasionellen nominalen Komposita auf

die Zeitungssprache beschränken und erläutern.

3.2.1 Okkasionalismen in der Zeitungssprache

63

Statt jedoch von den verschiedenen primären und sekundären Makroprozessen zu sprechen, werde ich ab jetzt

nur noch die drei Funktionen von Elsen (2004) als Termini erwähnen. 64

Matussek (1994: 37) bemerkt, dass Ozonloch zum ersten Male im neuesten Rechtschreibungsduden ihrer Zeit

(1991) aufgeführt ist. 65

„Dem künftigen amerikanischen Präsidenten Obama gratulierte er (Medwedjew,hrg.) mit der Ankündigung,

das geplante amerikanische Raketenabwehrsystem in Osteuropa mit der Aufstellung taktischer

Kurzstreckenraketen in Kaliningrad […] zu beantworten.“ (FAZ 07.11.08). 66

Die Schlagzeile des Artikels verweist auch indirekt auf den Kalten Krieg: ‚Die Rückkehr des Raketenschachs‟

(FAZ 08.12.08). 67

Wichtig ist zu bemerken, dass Raketenschach während des Kalten Kriegs schon den Status eines eigentlichen

Neologismus erworben hatte. Dies schließe ich daraus, dass ich im Internet viele Verweise auf Artikel und

Bücher bezüglich des Kalten Krieges gefunden habe, z.B. Talbott, S. (1984), Raketenschach, München/Zürich.

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Da die Zeitungssprache stets neue, aktuelle Themen behandelt, bildet sie eine ergiebige

Quelle für Okkasionalismen. Die Journalisten brauchen häufig neue Wörter und Ausdrücke,

um die aktuelle Thematik möglichst adäquat bzw. knapp zu definieren (vgl. Elsen. 2004: 91).

Forschung von Elsen (2004) zeigt, dass in der Zeitungssprache der Wortbildungstyp der

Komposita die gute Mehrheit der neuen Wörter stellt. Von den 512 Wörtern mit

Neuheitswert, die sie auf der ersten vier Seiten der Süddeutschen Zeitung (08.08.2002) und

der ersten drei Seiten der ZEIT (08.08.2002) fand, gab es 412 Komposita, d.h. über 80% der

Gesamtzahl (vgl. Elsen 2004: 107).68

Eine vollständige Übersichtstabelle (vgl. Tabelle 1) der

Ergebnisse ihrer Forschung findet man im Anhang meiner Arbeit. Dass die Komposita die

größte Gruppe bildet, erklärt Elsen (2004: 108) folgendermaßen: Zuerst sind Komposita die

wichtigste Wortbildungsmittel des Deutschen. Außerdem verbinden sie in der Regel

mindestens zwei selbständige Inhalte und komprimieren so Information. Gleichzeitig sind die

semantischen Kombinationsmöglichkeiten - wie in Kapitel 2.2.3.1.1.1.2 mehrmals gezeigt

wurde - praktisch unbegrenzt. Meist sind sie auch multifunktional, d.h. sie können

verschiedene Funktionen haben. Wie im vorigen Kapitel (vgl. Kapitel 3.2) erwähnt, sind diese

Funktionen bei nominalen okkasionellen Komposita die textuelle, referentielle und stilistische

Funktion.

Nach dem Modell von Wildgen (1981) haben die nominalen okkasionellen Komposita in

Zeitungstexten auf textlinguistischer Ebene eine textuelle Funktion. Die Komposita in den

Zeitungstexten selbst sind dann je nach ihrer Stelle entweder anaphorisch oder kataphorisch

(vgl. Kapitel 3.2). Die Komposita in Schlagzeilen von Zeitungstexten sind jedoch immer

kataphorisch. Als Gründe hierfür betrachte ich erstens die Tatsache, dass eine Schlagzeile der

Titel eines Zeitungstextes ist und ihr folglich kein Text vorangeht. So können Komposita in

Schlagzeilen keinen Bezug auf einen vorher genannten Textteil des Zeitungstextes nehmen.

Zweitens können Komposita in Schlagzeilen auch nicht in dem Sinne anaphorisch sein, dass

sie nur auf die außersprachliche Realität verweisen. Zeitungstexte sind so gebildet, dass die

Texte an sich immer auf die außersprachliche Realität bzw. auf den durch das Kompositum

hervorgerufenen Kontext zurückverweisen. Häufig verwendet der Journalist hierzu einen

Untertitel, z.B. Schlagzeile: Einträgliche Tunnelwirtschaft; Untertitel: In Rafah leben viele

Menschen vom Schmuggel durch die zahllosen Tunnel – in Gaza wie in Ägypten. (FAZ

09/01/09). Beim Lesen der Schlagzeile soll man das okkasionelle Kompositum im Voraus

68

Alle Wörter mit Neuheitswert wurden anhand von Wahrig Deutschem Wörterbuch (2002) und Duden (2001)

überprüft (vgl. Elsen 2004: 104).

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nicht mit einer Bedeutung verknüpfen, denn erst der Untertitel bzw. der weitere Text

verdeutlicht bzw. interpretiert die Schlagzeile. Außerdem gilt die Schlagzeile als

Aushängeschild eines Zeitungstextes: In einigen Wörtern fasst sie irgendwie den ganzen Text

zusammen (vgl. Kapitel 1.1). Die okkasionellen Komposita in Schlagzeilen haben dann nach

der Auffassung von Elsen (2004) bezüglich der Blickrichtungen der textuellen Funktion

folgende Zwecke: Sie verdichten Information des Zeitungstextes, verbildlichen den

Zeitungstext, konstituieren das/ein Thema des Zeitungstextes, tragen die Leitmotivik des

Zeitungstextes oder fassen den Zeitungstext zusammen (vgl. Kapitel 3.2).

Gemäß den oben genannten Ausführungen in Kapitel 3.2 haben okkasionelle Komposita in

Zeitungstexten auf semantischer Ebene entweder eine primär referentielle oder primär

stilistische Funktion. Die Bezeichnung der Funktion hängt zusammen mit der Art und Weise,

wie das Kompositum den Gegenstand bzw. die Sache referiert: entweder sachlich-neutral

(referentiell) oder expressiv-wertend (stilistisch) (vgl. Kapitel 3.2). Es fragt sich, wann und

wo okkasionelle Komposita mit referentieller bzw. stilistischer Funktion verwendet werden.

Obwohl jeder Journalist einen Text betreffs der Wortwahl relativ frei aufstellt, wurde doch

eine Tendenz konstatiert. Elsen (2004: 116-117) sagt, dass okkasionelle Komposita mit

referentieller Funktion primär in informationsbezogenen Texten vorkommen. Diese Texte

haben die Absicht, einen Gegenstand oder ein Ereignis objektiv zu melden und folglich

neutral, unauffällig zu referieren. Demgegenüber findet man okkasionelle Komposita mit

stilistischer Funktion eher in den Texten der Boulevardpresse. Wie im Kapitel 1.1 schon

erwähnt, verwendet die Boulevardpresse in ihren Texten stärker bildhafte, auffällige,

emotional gefärbte Sprache und daher auch gern polemische Komposita, um ihr

Leserpublikum zu ergreifen und zu unterhalten. Deshalb betrachte ich ab jetzt derartige Texte

als appellative Texte. Elsen (2004: 103-104) bemerkt, dass okkasionelle Komposita mit

stilistischer Funktion auch in Zeitungen mit überwiegend informationsbezogenen Texten -

seriöse Zeitungen - wahrzunehmen sind. So äußert ein Kolumnist wie der Schreiber eines

Kommentars oder eines Leserbriefs unverblümt seine Meinung und verwendet dabei

expressive Wörter, und so findet man in Reportagen und Nachrichten häufig expressive

Zitate. Im ersten Falle – die Kolumne, der Kommentar und der Leserbrief – hat man es durch

den subjektiven Einschlag mit appellativen Textsorten zu tun, im zweiten Falle mit

informativen Textsorten, in denen eine Person zitiert wird. Außerdem betont Elsen (2004:

103-104) nach Jesensek (1995a: 270), dass Neologismen in Textsorten wie Nachrichten auch

stilistisch gefärbt sein können, ohne jemand zu zitieren. Umgekehrt gibt es in der

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Boulevardpresse auch okkasionelle Komposita mit referentieller Funktion, vor allem um neue

Gegenstände oder Sachen zu benennen (vgl. Elsen 2004: 104).

Die Tendenz bemerkt auch Matussek (1994). Die Ergebnisse ihrer Forschung bezüglich

Wortneubildung in Zeitungstexten ergeben, dass von den insgesamt 102 Wortneubildungen

mit stilistischer Funktion 89 (87%) in appellativen Texten vorkommen und nur 13 (13%) in

informativen Texten. Von den 300 Wortneubildungen mit referentieller Funktion gab es nur

123 (41%) in appellativen Texten und 177 (59%) in informativen Texten (vgl. Matussek

1994: 139-142). Obwohl die Wortneubildungen nicht nur Komposita enthalten - sondern auch

Derivate, Konversionen, usw. - , bleibt die Schlussfolgerung meiner Meinung nach dieselbe:

Informationsbezogene Texte enthalten okkasionelle Komposita mit primär referentieller

Funktion, und in appellativen Texten gibt es okkasionelle Komposita mit primär stilistischer

Funktion.69

Jetzt ist es fraglich, ob diese Tendenz auch auf die Schlagzeilen zutrifft. Sind okkasionelle

Komposita in Schlagzeilen zu informativen Texten auch überwiegend referentiell und

diejenigen zu appellativen Texten überwiegend stilistisch, oder gibt es hier einen Unterschied

zu oben genannter Tendenz? Während meiner Literaturerforschung habe ich keine

Untersuchungen und Daten in Bezug hierauf gefunden, aber meiner Meinung nach ist ein

Unterschied nicht ausgeschlossen. Die Schlagzeile ist das Aushängeschild des Textes und soll

eine sichere Anziehungskraft auf den Leser bzw. einen Leseanreiz ausüben. Deswegen glaube

ich, dass okkasionelle Komposita in Schlagzeilen an erster Stelle häufig so gewählt sind, dass

sie auffallen und folglich eine stilistische Funktion haben. Ich gehe also von der

Arbeitshypothese aus, dass sowohl in appellativen als auch in informativen Texten die

okkasionellen Komposita in den Schlagzeilen überwiegend eine stilistische Funktion haben;

dies soll nun Objekt meiner eigenen Untersuchung sein.

4. Die Untersuchung

4.1 Arbeitsmethode

In meiner Untersuchung werde ich dreißig nominal-kompositionelle Okkasionalismen aus

Zeitungsschlagzeilen untersuchen. Gemäß Kapitel 3.2 betrachte ich nominale Komposita als

69

Grund für die angenommene Identität der Schlussfolgerung erblicke ich in der Tatsache, dass die Mehrheit der

Wortneubildungen prinzipiell aus Komposita besteht.

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Okkasionalismen, wenn sie nur im Kontext verständlich und noch nicht lexikalisiert sind. Die

nominal-kompositionellen Okkasionalismen habe ich über folgende Arbeitsmethode

gefunden: Während des Lesens verschiedener Zeitungen habe ich jede Komposition mit

möglichem Neuheitswert unterstrichen und notiert. Die möglichen Ad-Hoc-Bildungen habe

ich dann anhand des großen Wörterbuches von Duden (1999) und des Wörterbuchs von

Neologismen der neunziger Jahre von Herberg (2004) kontrolliert. Wörter, die in diesen

Wörterbüchern vorkamen, betrachtete ich als lexikalisiert und habe ich folglich für diese

Arbeit außer Betracht gelassen.70

Wörter, die nicht in diesen Wörterbüchern vorkommen,

wurden dann noch mal anhand des neuesten einteiligen Wörterbuches von Duden (2007)

überprüft.71

Nominale Komposita, die auch hier nicht aufgenommen sind, betrachtete ich als

nominal-kompositionelle Okkasionalismen. Wichtig ist zu bemerken, dass ich Komposita,

deren Zweitglied häufig verwendete Wörter bzw. hochproduktiv sind, nicht berücksichtigt

habe, z.B. Komposita mit –Streit: Handelsstreit (FAZ 26.01.09), Fruchtgummi-Streit (BILD

29.01.09), Gasstreit (FAZ 26.01.09), Ortstafelstreit (FAZ 29.11.08).72

In der Untersuchung wird jeder Okkasionalismus einzeln studiert und erörtert werden.

Zunächst wird die ganze Schlagzeile und ihre Fundstelle in der Zeitung erwähnt, um dann

anschließend den Okkasionalismus zu erläutern. Erstens werde ich ihn als Kompositum

behandeln. Gemäß der Theorie in Kapitel 2.2.3 werde ich das Wort analysieren, benennen und

besprechen. Zweitens werde ich das Wort als Okkasionalismus betrachten und dazu seine

Funktionen berücksichtigen: An erster Stelle werde ich mich hier auf die textlinguistische

Ebene bzw. die textuelle Funktion des Okkasionalismus beschränken. Für diesen Teil der

Untersuchung nehme ich Bezug auf die Auffassungen von Elsen (2004) und Wildgen (1981),

die in Kapitel 3.2 besprochen wurden. Die textuelle Funktion des Okkasionalismus werde ich

anhand von Äquivalenten, Äquivalentteilen bzw. Verweisen im Text herauszufinden

versuchen.73

Deshalb werde ich neben dem Okkasionalismus selbst auch seine Äquivalente

bzw. Äquivalentteile bzw. Verweise im Text suchen und erwähnen. Umschreibungen bzw.

Verweise im Text, schon vom Journalisten angeführte Äquivalente und zitierte Äquivalente

70

Diese erste Kontrolle diente vor allem dazu, Wörter, die schon in den neunziger Jahren lexikalisiert wurden,

aus der Untersuchung herauszunehmen. 71

Diese zweite Kontrolle diente dazu, neuere Wörter, die schon lexikalisiert sind, aus der Untersuchung

herauszunehmen. 72

Hierzu verweise ich auf das Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch (Brisante Wörter von Agitation bis

Zeitgeist (1989)) von Gerhard Strauß et al. 73

Als Äquivalente betrachte ich Wörter, die semantisch völlig Synonym mit dem Schlagzeilenkompositum sind.

Äquivalentteile dagegen sind Wörter, die einen Teil des Schlagzeilenkompositums bzw. ein Synonym enthalten,

aber nicht als ein richtiges Synonym des Schlagzeilenkompositum betrachtet werden können.

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werde ich zwischen Anführungszeichen stellen.74

Bei den Äquivalenten bzw. Äquivalentteilen

werde ich die Komponenten, die formell mit dem Schlagzeilenkompositum übereinstimmen,

im Fettdruck erscheinen lassen, bei den Verweisen diejenigen, die semantisch mit dem

Schlagzeilekompositum verwandt sind. Daneben werde ich ebenfalls relevante Untertitel

erwähnen und Fälle, in denen der Kontext dann noch nicht deutlich ist, durch einen Abriss des

Artikels deutlich machen.75

Im Anhang findet man hierzu auch die verwendeten Artikel

zurück.76

Die hervorgetretene textuelle Funktion werde ich deutlichkeitshalber im Text im

Fettdruck erscheinen lassen. Letztens werde ich mich der semantischen Funktion des

Okkasionismus zuwenden. Hier werde ich herauszufinden versuchen, ob die Komposition

entweder überwiegend referentiell oder stilistisch zu betrachten ist. Pro Okkasionalismus

werde ich das Ergebnis und die Indizien letzteren Untersuchungsaspektes im Fettdruck

erscheinen lassen. Anhand der hervorgetretenen Ergebnisse letzterer Frage werde ich eine

Tabelle aufstellen und versuchen, die Hauptfrage in Kapitel 3.2.1 zu beantworten.

4.2 Material

Als Material für diese Untersuchung habe ich fünf deutschsprachige Zeitungen verwendet.

Die dreißig nominal-kompositionellen Okkasionalismen kommen entweder aus der

Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der ZEIT, der Süddeutschen Zeitung (SZ), Grenz-

Echo oder der Bild-Zeitung. Erstgenannte vier sind seriöse Zeitungen (vgl. Kapitel 1.1.1), in

denen also überwiegend informative Texte zu finden sind, Letztgenannte ist eine

Boulevardzeitung (vgl. Kapitel 1.12). Neben den Zeitungen in Papierversion, habe ich auch

online die FAZ, die SZ, die ZEIT und die Bild-Zeitung zu Rate gezogen. Alle konsultierten

Zeitungen und Onlineberichte datieren aus der Periode vom 8. November 2008 bis zum 01.

Mai 2009. Demzufolge handeln die gefundenen Okkasionalismen hauptsächlich von

Ereignissen und Problematik dieser Periode. Im Folgenden werde ich die verschiedenen

verwendeten Zeitungen kurz vorstellen:

- Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist eine überregionale

deutsche Abonnement-Tageszeitung, die in Frankfurt am Main von

der Fazit-Stiftung verlegt wird. Die erste Ausgabe erschien am 1.

74

Bei zitierten Äquivalenten findet man die zitierten Urheber zwischen Klammern. 75

Der Kontext ist auch für die semantische Bestimmung des Kompositums wichtig (vgl. Kapitel 2.2.3.1.1.1.2). 76

Die Verweise, Äquivalente und Äquivalentteile in den Artikeln sind von mir unterstrichen worden.

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November 1949. Ihre Auflage beträgt etwa 400.000 Exemplare und

hat die höchste Auslandsverbreitung aller deutschen seriösen

Zeitungen. Ihre politische Haltung gilt als klassisch liberal. Genaue

Berichterstattung in Sachen Politik, Wirtschaft, usw. leisten mehrere

spezialisierte Inland- und Auslandskorrespondenten. Seit 2001 ist die

FAZ mit einem eigenständigen Nachrichten-Portal im Internet

vertreten (FAZ.NET) (vgl.

http://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Allgemeine_Zeitung

(21/04/09)). Für meine Untersuchung habe ich 17 Zeitungen der FAZ

durchgenommen und FAZ.NET besucht.

- Die ZEIT ist eine überregionale deutsche Wochenzeitung, die jeden

Donnerstag erscheint. Sitz der Zeitung ist Hamburg; sie wird von der

Verlagsgruppe Holtzbrinck verlegt. Die erste Ausgabe erschien am

21. Februar 1946. Jetzt hat die ZEIT eine Auflage von etwa 546.000

Exemplaren. Ihre politische Haltung gilt - wie die der FAZ - als

liberal; ihre Zielgruppe sind vor allem Akademiker bzw.

Bildungsbürger. Seit 1996 berichtet das Internetangebot Zeit Online

über das tagesaktuelle Geschehen. (vgl.

http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Zeit (21/04/09)) Für meine

Forschung habe ich eine Zeitung der ZEIT durchgenommen und Zeit

Online besucht.

- Die Süddeutsche Zeitung (SZ) ist mit einer Auflage von etwa 461.000

Exemplaren die größte deutsche überregionale Abonnement-

Tageszeitung. Sie wird im Süddeutschen Verlag in München verlegt.

Die erste Ausgabe erschien am 6. Oktober 1945. Auch ihre politische

Haltung gilt als liberal. Im Sommer 2005 wählten deutsche

Journalisten die Süddeutsche Zeitung als „Leitmedium“ Nummer

Eins. Im Internet berichtet sueddeutsche.de über die täglichen

Ereignisse (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Süddeutsche _Zeitung

(21/04/09)). Für meine Forschung habe ich zwei Zeitungen der SZ

durchgelesen und sueddeutsche.de besucht.

- Grenz-Echo ist die einzige deutschsprachige Tageszeitung Belgiens.

Sie ist auf die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens - die

Ostkantone - und die angrenzenden Gebiete in Deutschland gerichtet

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und wird vom Grenz-Echo Verlag in Eupen verlegt. Sie hat eine

Auflage von etwa 12.500 Exemplaren und bestimmt sich selbst als

eine politisch unabhängige, tolerante und christliche Tageszeitung.

Grenzecho.net berichtet im Internet über die täglichen Ereignisse

(vgl. http://nl.wikipedia.org/wiki/Grenz-Echo (21/04/09)). Zum

Zwecke meiner Forschung habe ich 14 Zeitungen von Grenz-Echo

durchgelesen.

- Die Bild-Zeitung ist die bekannteste Boulevardzeitung Deutschlands

und mit etwa 3.345.000 Exemplaren die auflagenstärkste

Tageszeitung Europas. Seit dem 24. Juni 1952 erscheint sie im Axel-

Springer-Verlag (Berlin). Obwohl man Bild-Leser klischeehaft als

„Proleten“ betrachtet, hat die Zeitung einen großen kommerziellen

Erfolg.77

Im Internet findet man die Bild-Zeitung als Bild.de zurück.

(vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Bild_(Zeitung) (21/04/09)). Für

meine Forschung habe ich ein einzelnes Exemplar der Bild-Zeitung

durchgenommen und Bild.de besucht.

Wichtig ist zu bemerken, dass die Zahl der gelesenen Exemplare bzw. die Zahl der

gefundenen nominal-kompositionellen Okkasionalismen pro Zeitung für diese Arbeit nicht

relevant ist. Die gefundenen Wörter in der FAZ, SZ, ZEIT und Grenz-Echo gehören der

Allgemeingruppe der seriösen Zeitungen an, diejenigen der Bild-Zeitung der

Allgemeingruppe der Boulevardzeitungen. M.a.W., die gefundenen Komposita der FAZ, SZ,

ZEIT und Grenz-Echo Zeitung betrachte ich alle als Komposita seriöser Zeitungen und die

gefundenen Komposita der Bild-Zeitung als Komposita der Boulevardzeitungen.

Der Grund, warum ich nur eine Boulevardzeitung verwendet habe, ist zweiteilig: Erstens

sollen vor allem die Okkasionalismen in Schlagzeilen seriöser Zeitungen fokussiert werden,

denn ich gehe davon aus, dass Okkasionalismen in Schlagzeilen der Boulevardpresse

überwiegend dieselbe Funktion haben als im Text - und zwar eine stilistische. Zweitens ist die

Bild-Zeitung die einzige leicht erhältliche deutschsprachige Boulevardzeitung in Flandern.

4.3 Die eigentliche Untersuchung

77 Leser der Boulevardzeitungen gehören meist der mittleren Mittelschicht bis zur unteren Unterschicht an (vgl.

Kapitel 1.1.2).

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1.

Schlagzeile: „Weniger Idiotentests“ (Bild-Zeitung 11.11.08)

Äquivalente im Text:

Medizinisch-psychologische Untersuchungen

Kompositum:

Idiotentests ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem beide UK Simplizia sind: Idioten (A) + Tests (B). Semantisch gesehen

kann das Kompositum, ohne den Kontext zu betrachten, verschiedene Bedeutungen haben,

z.B. ‚Tests für Idioten‟ (‚Final‟: ‚B ist für A bestimmt‟), ‚von Idioten ausgefüllte Tests‟

(‚Agens‟: ‚B erzeugt A‟), ‚über Idioten handelnde Tests‟ (‚Thematisch‟: ‚A ist Thema von

B‟). Das Äquivalent medizinisch-psychologische Untersuchungen macht deutlich, dass es hier

um Untersuchungen handelt, die die geistige Gesundheit ihrer Patienten zum Objekt hat. Die

Untersuchungen bzw. Tests sind also für die Patienten bestimmt. Da der Okkasionalismus die

Patienten als Idioten benennt, kann man Idiotentests als ‚Tests für Idioten‟ bezeichnen.

Okkasionalismus:

Das Äquivalent im Text (medizinisch-psychologische Untersuchungen) kann als ein Synonym

von Idiotentests betrachtet werden. Demzufolge kann man folgern, dass die textuelle Funktion

inhaltlicher Art ist: Idiotentests benennt den im Text vorkommenden Begriff medizinisch-

psychologische Untersuchungen anders. Beide Wörter verweisen im Grunde auf denselben

Gegenstand, es gibt jedoch einen Unterschied in Stil: Psychologisch-medizinische

Untersuchungen verweist objektiv auf den Gegenstand. Das Wort ist eine referentiell neutrale

Benennung des betreffenden Gegenstands. Außerdem braucht man keine Zusatzinformation,

um sich den Begriff vorzustellen. Idiotentests demgegenüber kann man nicht als rein

referentiell betrachten. Das Kompositum ist eher salopp und subjektiv. Es bezeichnet die

Personen, die die - psychologisch-medizinische - Tests machen, als Idioten. Zuerst liegt die

Subjektivität des Wortes hierin, dass es schon zuvor alle Beteiligten der Tests als psychisch

gestört zu bestimmen scheint. Zweitens ist Idioten eine saloppe, abschätzige Benennung für

seelisch Kranke. Dies alles hat zur Folge, dass Idiotentest in Bezug auf den betreffenden

Gegenstand eine pejorative Konnotation hat. Folglich hat der nominal-kompositionelle

Okkasionalismus hier eine primär stilistische Funktion.

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2.

Schlagzeile: „Behörden warnen vor „Blau-Bären“ (Bild-Zeitung 11.11.08)

Äquivalente im Text:

- Betrunkene Braunbären

- Die „Blau-bären“78

Kompositum:

Blau-Bären ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Adjektiv-Nomen-

Kompositum, und zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindestrich-Kompositum‟, in dem

das Erstglied ein adjektivisches Simplex und das Zweitglied ein nominales Pluralsimplex ist:

Blau (A) + Bären (B). Semantisch gesehen soll das Adjektiv das Nomen attribuieren: ‚Bären,

die blau sind‟, ‚Blaue Bären‟. Wenn man das Äquivalent betrunkene Braunbären in Betracht

zieht, soll man jedoch schließen, dass es sich hier im Grunde nicht um blaue Bären handelt,

sondern um braune. Man könnte meinen, dass Blau-Bären so eine Klammerform von Blau-

Braunbären ist. Dies ändert die semantische Interpretation des Kompositums jedoch nicht.

Nach Duden Wörterbuch (2003: 296) bedeutet blau neben der Farbe ‚blau‟ metaphorisch auch

‚betrunken‟ (ugs.). In dieser Hinsicht ist das Erstglied blau also metaphorisch zu betrachten.

Da das Erstglied das Bestimmungswort (Determinans) des Kompositums ist und das

Zweitglied folglich das Grundwort (Determinatum), kann man das ganze Kompositum nicht

78

Die Anführungszeichen weisen darauf hin, dass es sich hier um einen Okkasionalismus des Journalisten selbst

handelt.

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59

als metaphorisch betrachten: Blau-Bären bezeichnet tatsächlich Bären. M.a.W., das

Zweitglied (Bären) bezeichnet den Gegenstand und das Erstglied (blau) bestimmt das

Zweitglied metaphorisch-expressiv näher.

Okkasionalismus:

Das Äquivalent des im Text vorkommenden Okkasionalismus „Blau-Bären“ sind betrunkene

Braunbären. Da es sich hier um ein Synonym des Okkasionalismus handelt, kann man

folgern, dass die textuelle Funktion inhaltlicher Art ist: Das schon im Text vorkommende

„Blau-Bären“ benennt den Begriff betrunkene Braunbären anders. Beide Wörter – „Blau-

Bären“ und betrunkene Braunbären - verweisen im Grunde auf denselben Gegenstand, es

gibt jedoch einen Unterschied in Stil: betrunkene Braunbären verweist objektiv auf den

Gegenstand. Das Wort ist eine referentiell neutrale Benennung des betreffenden Gegenstands.

Außerdem braucht man keine Zusatzinformation, um sich den Begriff vorzustellen: Es

handelt sich um Bräunbären, die betrunken sind. „Blau-Bären“ demgegenüber verweist - wie

oben schon erwähnt - durch das metaphorische Erstglied expressiv auf den betreffenden

Gegenstand. Außerdem gibt es ein Wortspiel mit Farbenwechsel im Kompositum: Die

Braunbären werden als „Blau-Bären“ referiert. So fällt „Blau-Bären“ auf und dient es dem

Leseanreiz. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär

stilistische Funktion.

3.

Schlagzeile: „Das 45-Meter-Mega-Grätschen-Tor“ (Bild.de, Sport 26.04.09)

Verweis im Text:

- „Gegen Leverkusen grätschte der KSC-Verteidiger [Sebastian Lang] im Mittelkreis einen

Ball von Bayers Renata, schaufelt die Kugel nach vorn. Und die schlägt tatsächlich hinter

dem weit vor dem Tor stehenden René Adler im Bayer-Kasten ein…“

Äquivalente im Text:

- Das Supertor

- Das Tor

Kompositum:

45-Meter-Mega-Grätschen-Tor ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es

binär in unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Phrase-

Nomen-Kompositum, in dem das Erstglied ein adjektivische Phrase und das Zweitglied ein

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nominales Simplex ist: 45-Meter-Mega-Grätschen (A) + Tor (B). Semantisch gesehen

attribuiert das Erstglied das Zweitglied: Das Kompositum bezeichnet ein Tor, das von 45

Meter her geschossen wurde. Die Äquivalente im Text bestätigen die Bedeutung: Von

Mittelkreis bis Tor gibt es 45 Meter, und ein derartiges Tor kann man wegen des

Schwierigkeitsgrades als ‚super‟ betrachten.

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Verweis im Text von 45-Meter-Mega-Grätschen-Tor ansieht, kann man

folgern, dass die textuelle Funktion des Kompositums formaler Art ist: Das Kompositum

verkürzt den ganzen Verweis zu einem Wort. Dabei übernimmt es das im Verweis

verwendete Verb grätschen und ersetzt es Mittelkreis durch die Strecke zwischen Mittelkreis

und Tor: 45 Meter. Daneben wird im Okkasionalismus das Einschlagen des Balls durch Tor

ersetzt. Die Äquivalente im Text demgegenüber benennen den betreffenden Gegenstand eher

vag. Sie umfassen keine Details des Tores. Die Wörter des Erstgliedes von 45-Meter-Mega-

Grätschen-Tor referieren dagegen den Gegenstand nicht neutral. Das Kompositum stellt das

Tor mittels des Adjektivs mega und des substantivierten Verb (das) Grätschen expressiv

dar.79

So streicht 45-Meter-Mega-Grätschen-Tor den betreffenden Gegenstand heraus und hat

es eine meliorative Konnotation. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus

hier eine primär stilistische Funktion.

4.

Schlagzeile: „Cholesterinsenker für alle“ (SZ, Wissen 11.11.08)

Äquivalente im Text:

- Medikamente gegen einen erhöhten Cholesterinspiegel

- Die auch Statine genannten Arzneien

- Statine

Kompositum:

Cholesterinsenker ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Simplex und das Zweitglied ein Suffixderivat ist:

Cholesterin (A) + Senker (B). Semantisch gesehen kann man die Bedeutung ohne den

Kontext ermitteln: ‚Die Senker senken Cholesterin‟ (‚Agens‟: ‚B tut etwas mit A‟). Der

79

Grätschen (Fußball): mit gestrecktem Bein auf dem Ball (und die Füße des Gegenspielers) zurutschen (vgl.

Duden Wörterbuch 2003: 674).

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Kontext macht deutlich, dass die Senker Statine sind und dass das Kompositum als Plural zu

betrachten ist: Die Äquivalente stehen im Plural: Medikamente, Statine, Arzneien.

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente im Text von Cholesterinsenker ansieht, kann man folgern,

dass die textuelle Funktion des Kompositums inhaltlicher Art ist: Das Kompositum benennt

die Gegenstände anders als die Äquivalente. Cholesterinsenker verweist sachlich, objektiv auf

die Statine genannten Medikamente gegen einen erhöhten Cholesterinspiegel und stellt den

betreffenden Gegenstand so neutral dar. Außerdem kann der Okkasionalismus nicht von

einem logischeren Wort ersetzt werden, ohne dass die spezifische Bedeutung geändert wird.

Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär referentielle

Funktion.

5.

Schlagzeile: „Der Finanzterrorist“ (SZ, Geld 11.11.08)

Untertitel: „Jérôme Kerviel verspekuliert fünf Milliarden Euro und treibt damit die Bank

Société Générale an den Rand des Abgrunds“

Äquivalente im Text:

- Der bekannteste unter den gescheiterten Spekulanten dieser Welt

- Jérôme Kerviel

- „Destruktiver, kleiner Händler“ (Daniel Bouton, Bankchef der Bank Société Générale)

- „Terrorist“ (Daniel Bouton, Bankchef der Bank Société Générale)

- Der Held von Anti-Kapitalisten

Kompositum:

Finanzterrorist ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Simplex und das Zweitglied ein Suffixderivat ist:

Finanz (A) + Terrorist (B). Semantisch gesehen kann man die Bedeutung wie folgt

interpretieren: ‚Der Terrorist terrorisiert die Finanz‟ (‚Agens‟: ‚B tut etwas mit A‟). Wenn

man den Kontext in Betracht zieht, stellt man fest, dass es sich hier nicht um einen wirklichen

Terroristen handelt, sondern um eine Person, die durch Verspekulierung der Bank Société

Générale Schaden zufügt. In dieser Hinsicht ist das Zweitglied metaphorisch zu betrachten:

Die betreffende Person wird ein Terrorist genannt. Da das Erstglied (Finanz) das

Bestimmungswort des Kompositums ist und das Zweitglied (Terrorist) folglich das

Grundwort, kann man das ganze Kompositum als metaphorisch betrachten: Finanzterrorist

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bezeichnet keinen Terroristen, sondern eine Person, die fünf Milliarden Euro verspekuliert

hat.

Okkasionalismus:

Obwohl Finanzterrorist Bezug nimmt auf die zitierte Benennung von Daniel Bouton

(„Terrorist“), benennt es die betreffende Person (Jérôme Kerviel) anders als die Äquivalente

im Text. Demzufolge kann man folgern, dass die textuelle Funktion des Okkasionalismus

inhaltlicher Art ist. Wie oben schon erwähnt, verweist das Kompositum metaphorisch auf die

betreffende Person. Es stellt sie expressiv und verbildlicht dar: Es macht aus der Person, die

fünf Milliarden Euro verspekuliert hat, einen Terroristen. Der Spekulant wird so schlechter,

negativer als in Wirklichkeit dargestellt. Durch die Verbildlichung und pejorative

Konnotation dient Finanzterrorist dem Leseanreiz. Folglich hat der nominal-kompositionelle

Okkasionalismus hier eine primär stilistische Funktion.

6.

Schlagzeile: „Sprachbad für die Pressezwerge“ (SZ, Abschied und Aufbruch 11.11.08)80

Äquivalente im Text:

1)

- Die Kinder

- Die kleinen Besucher

2)

- Der SV-Kindergarten81

- „Eine ambitionierte Kombination von Kindergarten und Kinderkrippe, mit besserem

Personalschlüssel als gewöhnlich, finanziell vom Unternehmen [Süddeutscher Verlag]

gefördert.“

- Das Projekt

- „Pressezwerge“82

Komposition:

Pressezwerge ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem beide UK Simplizia sind: Presse (A) + Zwerge (B). Semantisch gesehen

ist dieses Kompositum schwieriger zu interpretieren. Aus dem Kontext kann man ableiten,

dass Pressezwerge auf dem gleichlautenden Namen der vom SZ-Verlag finanzierten

80

“Abschied und Aufbruch” ist eine Sonderbeilage der SZ anlässlich des Umzugs des Hauptsitzes der SZ. 81

SV = Süddeutscher Verlag. 82

Hier steht „Pressezwerge“ zwischen Anführungszeichen, weil es auf den Eigennamen bzw. die

Kindertagesstätte verweist.

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Kindertagesstätte basiert (siehe 2)) bzw. auf die Kinder der Kindertagesstätte verweist. Somit

kann man sagen, dass das Kompositum metaphorisch zu betrachten ist: Das Zweitglied, das

als Grundwort gilt, bestimmt die Kinder metaphorisch als Zwerge. Das Erstglied Presse, das

als Bestimmungswort gilt, bestimmt die von der Presse finanzierten Kindertagesstätte

metonymisch als Presse. In dieser Hinsicht kann man Pressezwerge analysieren als ‚Kinder

(Zwerge), die zu der von der Presse finanzierten Kindertagesstätte (Presse) gehören‟

(‚Adhäsiv‟: ‚B gehört zu A‟).

Okkasionalismus:

Im Folgenden lasse ich die Interpretation von Pressezwerge als Eigennamen einer

Kindertagesstätte außer Betracht (siehe oben 2)), denn Pressezwerge in der Schlagzeile

verweist nur auf den Gegenstand, besprochen in 1).83

Pressezwerge benennt den betreffenden

Gegenstand anders als die Äquivalente im Text. Demzufolge kann man folgern, dass die

textuelle Funktion des Okkasionalismus inhaltlicher Art ist. Es gibt einen Unterschied in Stil

zwischen dem Kompositum und seinen Äquivalenten: Die Kinder und die kleinen Besucher

verweisen eher objektiv auf die Kinder, die die Kindertagesstätte besuchen. Die Wörter sind

neutrale, sachliche Benennung des betreffenden Gegenstands. Deshalb kann man das

Äquivalent im Text als referentiell betrachten. Pressezwerge demgegenüber umschreibt die

Personen - wie oben schon erwähnt - metaphorisch. Es stellt die kleinen Kinder, die die

Tagesstätte besuchen, expressiv und verbildlicht dar, nämlich als Zwerge. So fällt

Pressezwerge auf und dient es dem Leseanreiz. Folglich hat der nominal-kompositionelle

Okkasionalismus hier eine primär stilistische Funktion.

7.

Schlagzeile: „Querstrichland, die Perle der östlichen Provinzen“ (SZ, Abschied und

Aufbruch 11.11.08)

Äquivalente im Text:

- Steinhausen/Zamdorf

- Der neue SV-Standort

- Querstrichland

83

Als Grund hierfür betrachte ich die Tatsache, dass Pressezwerge nicht zwischen Anführungszeichen steht und

die Verwendung des Eigennamens in der Schlagzeile unlogisch scheint, da der Eigenname keinen Artikel hat.

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Verweise im Text:

- „Der Querstrich zwischen den zwei Orten […] deutet schon an, welch zerrissene Seele in

unserer neuen Heimat wohnt.“

- „Die Ortsgrenzen wechseln hier so schnell, dass man fast an jeder Straßenkreuzung ein

neues Schild entdeckt und manche Bewohner […] gar nicht genau sagen können, wo sie sich

befinden.“

Komposition:

Querstrichland ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Kompositum und das Zweitglied ein Simplex ist:

Querstrich (A) + Land (B). Indem die semantische Interpretation dieses Kompositum an

erster Stelle unlogisch scheint, soll man den Kontext zu Rate ziehen. Mit dem Kompositum

Querstrichland bezeichnet der Journalist einen Ort bzw. ein Stück Land

(Steinhausen/Zamdorf), das zwei Gemeinden umfasst, die schwierig voneinander zu trennen

sind. Das Erstglied Querstrich (Wortbildungsmäßig selber aus quer + Strich

zusammengesetzt) ist als Bestimmungswort des Kompositums (Determinans) metaphorisch

zu betrachten, das Zweitglied Land ist folglich das Grundwort des Kompositums

(Determinatum).84

So kann man das ganze Kompositum nicht als metaphorisch betrachten:

Querstrichland bezeichnet tatsächlich ‚Land‟. M.a.W., das Zweitglied (Land) bezeichnet den

Gegenstand und das Erstglied (Querstrich) bestimmt das Zweitglied metaphorisch-expressiv

näher.

Okkasionalismus:

Querstrichland ist Synonym von Steinhausen/Zamdorf, dem Ort, der in den Verweisen

besprochen wird. Demzufolge ist die textuelle Funktion des Kompositums inhaltlicher Art.

Querstrichland benennt den betreffenden Gegenstand anders als das Äquivalent im Text

(Steinhausen/Zamdorf). Während Steinhausen/Zamdorf den betreffenden Ort neutral, sachlich

referiert, benennt Querstrichland ihn - wie oben schon erwähnt – durch das metaphorische

Erstglied expressiv. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine

primär stilistische Funktion.

8.

84

Hinweis auf die Metapher im Erstglied ist der Schrägstrich in der neutralen Benennung des Ortes

Steinhausen/Zamdorf. Auch im Text wird hierauf verwiesen: Der Querstrich zwischen den zwei Orten […].

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Schlagzeile: „Haarpolitik“ (Die ZEIT, Kolumne 20.11.08)

Untertitel: „Was Cem Özdemir mit seinen Koteletten sagen will“

Verweise im Text:

- „Özdemir [Vorsitzender der Grünen] […] wurde in den ersten Kommentaren vor allem für

seine neue Haartracht gerühmt.“

- „[E]r hat sich selbst erfahrungsälter und zugleich physisch jünger, cooler gemacht.“

- „Warum also ließ Cem Özdemir sich für sein politisches Comeback Koteletten wachsen?“

Komposition:

Haarpolitik ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem beide UK Simplizia sind: Haar (A) + Politik (B). Semantisch scheint

das Kompositum an sich unlogisch, deshalb ist es notwendig, dass man sich den Kontext

ansieht. Das Kompositum Haarpolitik verweist auf die Politik des neuen Vorsitzenden der

Grünen Cem Özdemir, eines Mannes mit Koteletten. Man könnte behaupten, dass Haarpolitik

von ‚Politik (B) bezüglich des Haares (A)‟ handelt.

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Verweise im Text ansieht, kann man folgern, dass Haarpolitik die in den

Verweisen behandelte Thematik bezeichnet. Demzufolge ist die textuelle Funktion des

Kompositums thematischer Art: Die Verweise bzw. der Text handeln von - wie oben schon

erwähnt - der Politik des neuen Vorsitzenden der Grünen Cem Özdemir, eines Mannes mit

Koteletten. Indem Haarpolitik die Politik von Cem Özdemir, einem Mann mit besonderem

Haarwuchs, bezeichnet, kann man behaupten, dass es so neutral, objektiv den betreffenden

Gegenstand referiert. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine

primär referentielle Funktion.

9.

Schlagzeile: „Königin-Attentäter tot“ (Zeit Online, Politik 01.05.09)

Untertitel: „Der Mann, der versucht hat, einen Anschlag auf die niederländische Königin zu

verüben, ist tot. Er starb an den Folgen seiner Verletzungen nach der Amokfahrt“

Äquivalente im Text:

- Der 38-Jährige

- Karst T.

- Der Mann

- Der Amokfahrer

- Der Attentäter

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Kompositum

Königin-Attentäter ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, und zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindesstrich-Kompositum‟, in dem

das Erstglied ein Movierungssuffix –in hat und das Zweitglied ein Suffixderivat ist: Königin

(A) + Attentäter (B). Das Kompositum kann man an sich semantisch interpretieren, es wird

vom Untertitel erklärt: ‚Der Attentäter (Karst T.), der versucht, ein Attentat auf die

niederländische Königin zu verüben‟ (‚Agens‟: B tut etwas mit A‟).

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Untertitel ansieht, kann man folgern, dass die textuelle Funktion von

Königin-Attentäter formaler Art ist: Das Kompositum verkürzt die nominalen Phrase der

Mann, der versucht hat einen Anschlag auf die niederländische Königin zu verüben zu einem

Wort(Univerbierung). Die Äquivalente im Text demgegenüber benennen die betreffende

Person meiner Meinung nach eher vag und allgemein. Sie bringen das Anschlagsziel der

betreffenden Person nicht zum Ausdruck. Königin-Attentäter benennt die Person, die versucht

hat, einen Anschlag auf die niederländische Königin zu verüben, sachlich und objektiv.

Demzufolge hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär referentielle

Funktion.

10.

Schlagzeile: „Höffnung für die Kellerkinder“ (Die ZEIT, Chancen 20.11.08)

Äquivalente im Text:

- Die Risikogruppe, jene Fünfzehnjährigen, die nicht richtig lesen und schreiben können

- Die Sitzenbleiber

- Kinder

- Die Bremer Schüler

Verweise im Text:

- „In den drei von Pisa getesteten Bereichen […] findet sich Bremen einmal mehr am Ende

der Tabelle der sechzehn Bundesländer.“85

Komposition:

85

Die PISA-Studien sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die zum Ziel haben, alltags- und

berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten 15-jähriger Schüler zu messen (vgl.

http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien ( 21.04.09).

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Kellerkinder ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem beide UK Simplizia sind: Keller (A) + Kinder (B). Semantisch könnte

man interpretieren, dass das Kompositum Kinder bezeichnet, die in einem Keller leben

(‚Lokal‟: ‚B befindet sich in A‟).86

Wenn man sich den Kontext ansieht, stellt man fest, dass

es sich hier um einen bildlichen Keller handelt: Mit Keller werden die letzten Plätze bzw. die

schwächsten Resultate der PISA-Tabelle gemeint. Das Erstglied Keller ist so als metaphorisch

zu betrachten. Da das Erstglied als Bestimmungswort gilt und das Zweitglied als Grundwort,

kann man das ganze Kompositum jedoch nicht als metaphorisch betrachten: Kellerkinder

bezeichnet tatsächlich ‚Kinder‟. Mit anderen Worten, das Zweitglied (Kinder) bezeichnet den

Gegenstand und das Erstglied (Keller) bestimmt das Zweitglied metaphorisch-expressiv

näher.

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente im Text ansieht, kann man folgern, dass Kellerkinder die

betreffenden Kinder anders als die Äquivalente im Text benennt. Demzufolge ist die textuelle

Funktion des Okkasionalismus hier inhaltlicher Art. Es gibt einen Unterschied im Stil

zwischen dem Kompositum und seinen Äquivalenten: Sitzenbleiber, Kinder, die Bremer

Schüler und Die Risikogruppe, jene Fünfzehnjährigen, die nicht richtig lesen und schreiben

können verweisen eher objektiv auf die Kinder, deren Ergebnisse in den PISA-Studien die

schwächsten waren. Kellerkinder demgegenüber stellt die Kinder durch das metaphorische

Erstglied jedoch expressiv dar, als ob sie sich in einem Keller befinden würden. Folglich hat

der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär stilistische Funktion.

11.

Schlagzeile: „Die Banken haben die Schnäppchenkultur gefördert“ (FAZ.NET, Finanz

29.11.08)

Äquivalente im Text:

- Die Schnäppchenkultur

Äquivalentteile im Text:

- Das Schnäppchendenken

- Eine solche Schnäppchenjagd

86

Vor allem in der heutigen Gesellschaft, in der häufig Fälle von Kindermisshandlung und Pädophilie

auftauchen.

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Verweise im Text:

- „Die Anleger ihrer Bank haben ihrer Bank den Rücken gekehrt und sich auf

Schnäppchenjagd begeben.“

- „Der Bankkunde rennt jedem Zehntelprozent hinterher.“

Komposition:

Schnäppchenkultur ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem die erste UK ein Suffixderivat und die zweite UK ein Simplex ist:

Schnäppchen (A) + Kultur (B). Semantisch könnte man das Kompositum an sich richtig

interpretieren, der Kontext verdeutlicht aber den Begriff: Es handelt sich um eine Kultur, die

von Schnäppchendenken und Schnäppchenjagd geprägt ist. Die Schnäppchen sind gleichsam

das Thema der (Schnäppchen)Kultur (‚thematisch: ‚A ist Thema von B‟).

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Verweise und das Äquivalent von Schnäppchenkultur ansieht, kann man

folgern, dass die textuelle Funktion des Kompositums thematischer Art ist: Das Kompositum

thematisiert die in den Verweisen und dem Äquivalent besprochene Thematik, nämlich die

Tatsache, dass man sich in einer Periode befindet, in der Bankkunden sich um preisgünstige

Angebote (Schnäppchen) bemühen. Schnäppchenkultur verweist sachlich, objektiv auf diese

Kultur des Schnäppchendenkens und benennt den betreffenden Gegenstand somit neutral.

Außerdem kann der Okkasionalismus nicht von einem logischeren Wort ersetzt werden.

.Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär referentielle

Funktion.

12.

Schlagzeile: „Die Klagen des Koalitionsherkules“ (FAZ.NET, Inland Politik 27.11.08)

Äquivalente im Text:

- Horst Seehofer

- Neuer Ministerpräsident von Bayern

- Bayrischer CSU-Vorsitzende

- Koalitionsherkules

Verweise im Text:

- „ Mit drei Parteien in Koalition“

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- „Er [Horst Seehofer] befinde sich in München und Berlin mit drei Parteien in Koalition –

mit der CDU, der SPD und der FPD.“

- Den Seufzer des „Wie-Wir-Wo“, das die Leitmelodie seiner Regierungszeit werden könnte,

stieß Seehofer im „Handelsblatt“ so heftig aus, als gäbe es irgendwo eine Wunderkraft, die

ihn von der FDP, der SPD, ja vielleicht sogar von der CDU befreien könnte.

Komposition:

Koalitionsherkules ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem beide UK Simplizia sind: Koalition(A) + Fugenelement -s- + Herkules

(B).87

Semantisch kann man an dem Erstglied und dem Kontext bemerken, dass der Herkules

keine Person mit einer großen Körperkraft ist, sondern eine (Horst Seehofer), die mit drei

Parteien in Koalition ist. M.a.W., die Kraft der Person äußert sich nicht in Körperkraft,

sondern in mentaler bzw. Unternehmenskraft. Da das Zweitglied Herkules, das als Grundwort

gilt, an sich selber metaphorisch ist - der Ausdruck referiert die Person im Grunde als der

Halbgott Herkules, ist das ganze Kompositum folglich als metaphorisch zu betrachten. In

dieser Hinsicht kann man Koalitionsherkules als ‚eine Person, die eine große Koalition

gegründet hat‟ betrachten (‚Agens‟: B erzeugt A‟) oder als ‚eine Person mit großen

(Unternehmens)Kraft, die einer Koalition angehört‟ (‚Adhäsiv‟: ‚B gehört zu A‟).

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente und den Verweis von Koalitionsherkules ansieht, kann man

folgern, dass die textuelle Funktion des Kompositums inhaltlicher Art ist: Das Kompositum

benennt die betreffende Person anders als die Äquivalente, nämlich im Rahmen seiner

Koalition mit 3 Parteien (siehe Verweis). Es gibt jedoch einen Unterschied im Stil zwischen

den Äquivalenten und dem Okkasionalismus. Die Äquivalente verweisen objektiv und sind

deshalb referentiell neutrale Benennungen der betreffenden Person. Koalitionsherkules

demgegenüber kann man nicht als primär referentiell betrachten. Es bezeichnet die Person,

die eine Koalition mit drei Parteien schloss bzw. die Person, die einer Koalition angehört,

expressiv-metaphorisch als einen Herkules, einen Menschen mit großer Kraft. So lobt

Koalitionsherkules meiner Meinung nach die betreffende Person als Helden der Koalition und

87

Neben dem griechischen Halbgott Herkules (Eigenname) wird Herkules im Duden Wörterbuch (2003: 750)

auch als ‚Mensch mit großer Körperkraft‟ (abgeleitet von der Kraft des Halbgottes Herkules) umschrieben. Da

diese Benennung lexikalisiert ist, kann man der Herkules als vollwertiges Nomen (Gattungsname) betrachten.

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hat es demzufolge eine meliorative Konnotation. Der nominal-kompositionelle

Okkasionalismus hat hier eine primär stilistische Funktion.

13.

Schlagzeile: „ ‚Kofferbomber‟ hofft auf Freispruch“ (FAZ.NET, Inland Politik

26.11.08)

Äquivalente im Text:

- Jussif al Hajj Dib

- Der 24 Jahre alte Libanese

- Das im nordlibanesischen Tripoli aufgewachsene jüngste von 13 Geschwistern

- Der Bombenbauer

Äquivalentteile im Text:

- Der sogenannte „Kofferbomber“-Prozess

Kontext: Der Artikel handelt von der Rechtssache gegen einen der Terroristen (Jussif al Haij

Dib), die versuchten, einen Anschlag auf zwei Regionalzüge im Kölner Hauptbahnhof Ende

Juli 2006 zu verüben. Hierzu hatten die Terroristen Koffer mit Sprengstoff mitgebracht.

Komposition:

Kofferbomber ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Simplex und das Zweitglied ein Suffixderivat ist:

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Koffer (A) + Bomber (B).88

Semantisch könnte man das Kompositum an sich auf zwei

plausible Weise interpretieren: ‚eine Person, die Koffer bombardiert‟ (‚Agens‟: B tut etwas

mit A‟) und ‚eine Person, die Kofferbomben macht und legt‟ (‚Agens‟: ‚B erzeugt A‟). Wenn

man den ganzen Kontext in Betracht zieht, muss man schließen, dass hier die letztere

Bedeutung gemeint ist.

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente von „Kofferbomber“ ansieht, kann man folgern, dass die

textuelle Funktion des Kompositums inhaltlicher Art ist: Das Kompositum benennt, neben

Bombenbauer, die betreffende Person anders als die Äquivalente, nämlich im Rahmen seines

Verbrechens: Kofferbomben bauen (siehe Kontext). Genau wie die Äquivalente verweist

„Kofferbomber“ sachlich, objektiv auf die betreffende Person. Außerdem kann der

Okkasionalismus nicht von einem logischeren Wort ersetzt werden, ohne dass seine

spezifische Bedeutung geändert wird. Demzufolge hat der nominal-kompositionelle

Okkasionalismus hier eine primär referentielle Funktion.

14.

Schlagzeile: „Im Weltwirtschaftsgewitter“ (sueddeutsche.de, Wirtschaftspolitik

29.11.08)

Untertitel: Marx ist aktuell: Er beschrieb die Gesellschaft, in der wir heute leben - die jetzige

Finanzkrise eingeschlossen

Äquivalentteile im Text:

- Krisezeiten

Verweise im Text:

- „Schon bevor die Finanzkrise über die Welt hereinbrach, waren die Schriften von Marx in

Deutschland wieder gefragt.“

Kontext: Der Text selbst handelt von den Einflüssen des Marxismus bzw. des Kapitalismus

auf die Weltwirtschaft.

Komposition:

Weltwirtschaftsgewitter ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied selber ein nominales Kompositum und das Zweitglied ein

Simplex ist: Weltwirtschaft (A) + Fugenelement -s- + Gewitter (B). Semantisch gesehen

88

Bomber wird hier nicht in dem umgangssprachlichen Sinne eines Bombenflugzeugs verwendet, sondern in

dem saloppen Sinne eines Bombenlegers. (vgl. Duden 2003: 306).

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72

braucht man den Kontext, um die richtige Interpretation zu bilden. Es handelt sich hier nicht

um ein wirkliches Gewitter, der Journalist vergleicht nur die Weltwirtschaft und ihren

Finanzkrisen mit einem Gewitter. So versucht er, das Chaotische und das Drohende, das mit

einem Gewitter gepaart einhergeht, auf die Finanzkrisen zu übertragen. Das Zweitglied

Gewitter ist so als metaphorisch zu betrachten. Da das Erstglied Weltwirtschaft als

Bestimmungswort gilt und das Zweitglied als Grundwort, kann man das ganze Kompositum

als metaphorisch betrachten.

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Untertitel, das Äquivalentteil, den Verweis und den Kontext von

Weltwirtschaftsgewitter ansieht, kann man folgern, dass die textuelle Funktion des

Kompositums thematischer Art ist: Das Kompositum thematisiert und benennt die

Weltwirtschaft mit ihrem Chaos bzw. ihren Krisenzeiten als das Weltwirtschaftsgewitter.

Weltwirtschaftsgewitter ist - wie oben schon erwähnt - als metaphorisch zu betrachten. Es

stellt den Gegenstand expressiv und verbildlicht dar: Es bezeichnet die Finanzkrisen, die

über die Welt hereinbrachen bzw. hereinbrechen, als ein Gewitter. Durch die Verbildlichung

des Gegenstands fällt Weltwirtschaftsgewitter auf und dient es so dem Leseanreiz. Folglich

hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär stilistische Funktion.

15.

Schlagzeile: „ ‚Nichts gesehen‟, Schilderfrevler ohne Namen“ (Grenz-Echo, Hier und

Heute 03.11.08)

Äquivalente im Text:

- Schildbeschmierer

- Die Schildermaler

- „Pinselhelden“89

- Die nächtlichen Täter

- Schmierer

Komposition:

Schilderfrevler ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Simplex und das Zweitglied ein Suffixderivat ist:

89

Die Anführungszeichen weisen darauf hin, dass es sich hier um einen Okkasionalismus des Journalisten selbst

handelt.

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Schilder (A) + Frevler (B). Semantisch kann man das Kompositum an sich interpretieren, der

Kontext ist jedoch notwendig, um die Frevel zu benennen: Es handelt sich um Frevler, die

Schilder beschmieren (‚Agens‟: ‚B tut etwas mit A‟).

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente von Schilderfrevler ansieht, kann man folgern, dass die

textuelle Funktion des Kompositums inhaltlicher Art ist: Das Kompositum benennt die

betreffenden Personen anders als die Äquivalente, aber nicht deutlicher. Schilderfrevler

benennt nur allgemein die Schilderfrevel der Personen. Im Gegensatz zu den meisten

Äquivalenten benennt es die Art der Frevel nicht: malen, schmieren, beschmieren, pinseln.

Trotzdem verweist Schilderfrevler objektiv auf die betreffenden Personen und ist folglich als

sachlich, neutral zu betrachten. Der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hat hier eine

primär referentielle Funktion.

16.

Schlagzeile: „Steinmeier warnt vor ‚Stationierungswettlauf‟ “ (FAZ, erste Seite

07.11.08)

Äquivalente im Text:

- „Stationierungswettlauf“ (Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD))

Verweise im Text:

- „[…] die russische Reaktion auf die amerikanischen Pläne, in Polen und der Tschechischen

Republik ein Raketenabwehrsystem zu stationieren, sei ‚verständlich‟.“ (SPD-

Fraktionsvorsitzender Peter Struck)

- „Eine neue Aufrüstungsspirale“ (FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle)

Komposition:

„Stationierungswettlauf“ ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär

in unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Suffixderivat und das Zweitglied selber ein

Kompositum ist: Stationierung (A) + Fugenelement -s- + Wettlauf (B). Semantisch gesehen

kann man das Kompositum an sich richtig interpretieren. Der Kontext ist jedoch notwendig,

um zu wissen, was genau stationiert wird. Das Kompositum handelt von dem Wettlauf

zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, Raketen zu stationieren. Mit anderen

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Worten, Stationierungswettlauf bezeichnet einen Wettlauf, der mit der Stationierung (von

Raketen) einhergeht.

Okkasionalismus:

„Stationierungswettlauf“ ist ein Okkasionalimus, der von Außenminister Frank-Walter

Steinmeier zitiert wird und schon im Text vorkommt. Wenn man sich den ersten Verweis von

„Stationierungswettlauf“ ansieht, kann man folgern, dass die textuelle Funktion des

Kompositums formaler Art ist: Das Kompositum verkürzt den Verweis zu einem

Wort(Univerbierung), erwähnt aber nicht, was stationiert wird. Stationierungswettlauf

verweist objektiv auf den betreffenden Gegenstand und ist folglich als sachlich, neutral zu

betrachten. Außerdem kann der Okkasionalismus nicht von einem logischeren Wort ersetzt

werden, ohne dass seine spezifische Bedeutung geändert wird. Demzufolge hat der nominal-

kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär referentielle Funktion.

17.

Schlagzeile: „Streifzüge im Reich der Plastikknirpse“ (FAZ, Beruf und Chance 08.11.08)

Äquivalente im Text:

- Die Playmobil-Figuren

- Die daumengroßen Kunststoffknirpse

- Die bunten Plastikmännchen mit den steifen Armen und der markanten Zackenfrisur.

- Die mondgesichtigen Plastikpüppchen

Komposition:

Plastikknirpse ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem beide UK Simplizia sind: Plastik (A) + Knirpse (B). Semantisch

gesehen könnte man das Kompositum an sich wie folgt interpretieren: ‚Kleine Jungen, aus

Plastik gemacht‟ (‚Material‟: ‚B besteht aus A‟). Wenn man den Kontext berücksichtigt, stellt

man fest, dass es sich hier nicht um Personen, sondern um Püppchen bzw. Playmobil-Figuren

handelt. Plastikknirpse ist so als metaphorisch zu betrachten, und zwar durch das Zweitglied

Knirpse. Das Erstglied Plastik bestimmt das Kompositum nur objektiv näher. Da das

Erstglied jedoch als Bestimmungswort gilt und das Zweitglied als Grundwort, kann man das

ganze Kompositum also als metaphorisch betrachten.

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Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente im Text von Plastikknirpse ansieht, kann man folgern, dass

die textuelle Funktion des Okkasionalismus inhaltlicher Art ist. Der Okkasionalismus

benennt die betreffenden Gegenstände (Playmobil-Figuren) anders als die Äquivalente, denn

es gibt einen Unterschied im Stil: Die Äquivalente bezeichnen die Figuren eher objektiv und

referieren folglich eher neutral und sachlich. Plastikknirpse demgegenüber benennt die

Figuren - wie oben schon erwähnt - metaphorisch. Es stellt die Playmobil-Figuren expressiv

und verbildlicht dar, nämlich als kleine Jungen. So fällt Plastikknirpse auf und dient es dem

Leseanreiz. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär

stilistische Funktion.

18.

Schlagzeile: „ Zwischenerholung an den Schwellenbörsen“ (FAZ, Finanzmärkte und

Geldanlage 04.11.08)

Äquivalente im Text:

- Die Börsen der Schwellenländer

- Die Schwellenmärkte

- Die Aktienmärkte der Schwellenländer

Kompositum:

Schwellenbörsen ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem beide UK Simplizia sind: Schwelle (A) + Fugenelement -n- + Börsen

(B). Wichtig ist zu bemerken, dass es sich hier um eine Klammerform des Kompositums

Schwellenländerbörsen handelt. Da die Bedeutung der Klammerform (Schwellenbörsen) mit

diejenigen des herkömmlichen Kompositums (Schwellenländerbörsen) völlig übereinstimmt,

kann man Schwellenbörsen semantisch als ‚die Börsen der Schwellenländer‟ (‚Lokal‟: ‚B

stammt von A‟) interpretieren.

Okkasionalismus:

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Wenn man sich die Äquivalente im Text von Schwellenbörsen ansieht, kann man folgern,

dass die textuelle Funktion des Okkasionalismus inhaltlicher Art ist: Der Okkasionalismus

ist ein Synonym der Äquivalente. Schwellenbörsen verweist genau wie seine Äquivalente

sachlich, objektiv auf die betreffende Gegenstände und stellt sie so neutral dar. Außerdem

kann der Okkasionalismus nicht durch ein logischeres Wort ersetzt werden, ohne dass seine

spezifische Bedeutung geändert wird. Folglich hat der nominal-kompositionelle

Okkasionalismus hier eine primär referentielle Funktion.

19.

Schlagzeile: „Der Null-Komma-nix-Kredit“ (sueddeutsche.de, Geld 06.12.08)

Untertitel: „Mit ihrem 0,0-Prozent-Kredit ist die SEB Bank scheinbar in vorweihnachtlicher

Stimmung. Doch letztlich entpuppt sich das Kreditangebot nur als Marketing-Gag.“

Äquivalente im Text:

- Ein Kredit für 0,0 Prozent effektiven Jahreszins

- Der Null-Zins-Kredit

- Der Kredit

- Der Null-Komma-nix-Kredit

Kompositum:

Null-Komma-nix-Kredit ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Phrase-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Numeralwortphrase und das Zweitglied ein Simplex

ist: Null-Komma-nix (A) + Kredit (B). Semantisch gesehen kann man Null-Komma-nix-

Kredit als ein Kompositum, bei dem eine Menge angegeben wird, interpretieren. Aus dem

Kontext schließt man, dass es um einen Kredit zu 0,0 Prozent effektivem Jahreszins handelt.

Okkasionalismus:

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Wenn man sich den Untertitel und die Äquivalente im Text - außer dem Okkasionalismus

selbst - von Null-Komma-nix-Kredit ansieht, kann man folgern, dass die textuelle Funktion

des Okkasionalismus inhaltlicher Art ist: Er benennt den im Untertitel und den Äquivalenten

besprochenen Gegenstand anders. Obwohl man über die Rolle des nix-Elements diskutieren

könnte - Man könnte meinen, dass es als Konnotation ‚äußerst wenig‟ hat, glaube ich nicht,

dass es den Zweck hat, explizit die Aufmerksamkeit auf den Okkasionalismus zu lenken.

Null-Komma-nix-Kredit verweist meiner Meinung nach wie seine Äquivalente sachlich,

objektiv auf den betreffenden Gegenstand und stellt ihn so eher neutral als stilistisch dar.

Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär referentielle

Funktion.

20.

Schlagzeile: „Einträgliche Tunnelwirtschaft“ (FAZ, Politik 09.01.09)

Untertitel: „In Rafah leben viele Menschen vom Schmuggel durch die zahllosen Tunnel – in

Gaza wie in Ägypten.“

Äquivalente im Text:

- „Tunnelwirtschaft“90

- Das wohl organisierte Schmuggelgeschäft

- Die Schmuggeltunnel

Verweise im Text:

- „Seit der Gazastreifen von den Israelis hermetisch abgeriegelt worden ist, sind die Tunnel

vom palästinischen zum ägyptischen Rafah unter der Grenze und einer Betonmauer hindurch

die wichtigste Einnahmequelle für das Städtchen.“

- „[…]weil der Bau, der Unterhalt und die Transporte durch die Tunnel der einträglichste

Wirtschaftszweig im Gazastreifen wurden.“

Kompositum:

Tunnelwirtschaft ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Simplex und das Zweitglied ein Suffixderivat ist:

90

Die Anführungszeichen weisen darauf hin, dass es sich hier um einen Okkasionalismus des Journalisten selbst

handelt.

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Tunnel (A) + Wirtschaft (B). Für die Bedeutung des Kompositums braucht man den Kontext:

Es handelt sich im Text um den Handel und Schmuggel im Tunnel von Gaza nach Ägypten.

Deshalb kann man Tunnelwirtschaft semantisch als ‚die Wirtschaft, die sich im Tunnel

vollzieht‟ (‚Lokal‟: ‚B vollzieht sich in A‟) interpretieren.

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Untertitel, den Verweis und die Äquivalente im Text von

Tunnelwirtschaft ansieht, kann man folgern, dass die textuelle Funktion des Okkasionalismus

formaler Art ist: Der Okkasionalismus benennt den Handel und Schmuggel durch den Tunnel

in einem Wort, nämlich als eine Tunnelwirtschaft. Das Kompositum verweist sachlich,

objektiv auf den betreffenden Gegenstand und stellt ihn so neutral dar. Außerdem kann der

Okkasionalismus nicht von einem logischeren Wort ersetzt werden, ohne dass seine

spezifische Bedeutung geändert wird. Deshalb verwendet der Journalist den Okkasionalismus

auch im Text selbst. Er hat ihn notgedrungen erfunden, denn eine schon existierende

Benennung des Gegenstands in einem Wort gibt es nicht. Folglich hat der nominal-

kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär referentielle Funktion.

21.

Schlagzeile: Der Krisencoach (FAZ, Unternehmen 05.01.09)

Untertitel: „Hans Kreis hat jahrelang selbst Unternehmen gegründet – jetzt richtet er

ausgebrannte Manager wieder auf.“

Äquivalente im Text:

- Der Chef

Verweise im Text:

- „Hans Kreis […] kümmert sich um Manager in Krise.“

- „Ich bin Deutschlands erster Coach“ (Hans Kreis)

Kompositum:

Krisencoach ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Simplex und das Zweitglied ein entlehntes Simplex ist:

Krisen (A) + Coach (B). Aus dem Kontext kann man schließen, dass das Kompositum eine

Person (Hans Kreis) benennt, die Manager in Krise unterstützt. In dieser Hinsicht kann man

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einen Krisencoach semantisch als ‚ein Coach, bestimmt für Krisen‟ (‚Final‟: ‚B ist bestimmt

für A‟) bezeichnen.

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Untertitel und die Verweise im Text von Krisencoach ansieht, kann man

folgern, dass die textuelle Funktion des Okkasionalismus formaler Art ist: Der Journalist

verkürzt mit dem Okkasionalismus den Untertitel und die Verweise zu einem Wort und

verwendet hierbei einen Ausdruck, der von der betreffenden Person (Hans Kreis) selbst

geäußert wurde: Coach. Krisencoach verweist sachlich, objektiv auf die betreffende Person

und stellt sie so neutral dar. Außerdem kann der Okkasionalismus nicht von einem

logischeren Wort ersetzt werden, ohne dass seine spezifische Bedeutung geändert wird.

Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär referentielle

Funktion.

22.

Schlagzeile: Inzest-Monster Fritzl als Studienobjekt (Bild.de, Vermischtes 29.01.09)

Äquivalente im Text:

- Inzest-Monster Josef Fritzl

- Verbrecher

- Der Mann, der seine heute 43-jährige Tochter Elisabeth 24 Jahre lang in einem

Kellerverlies gefangen hielt, 3000 Mal vergewaltigte, mit ihr sieben Kinder zeugte (und

eines davon im Ofen verbrannte)

- Das Monster

Kompositum:

Inzest-Monster ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, und zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindesstrich-Kompositum‟, in dem

beide UK Simplizia sind: Inzest (A) + Monster (B). Aus dem Kontext kann man folgern, dass

das Kompositum kein hässliches Fabelwesen, das Inzest verübt, benennt, sondern eine Person

(‚Agens‟: ‚B erzeugt A‟). Josef Fritzl, der seine eigene Tochter inzestuös misshandelte, wird

im Kompositum mit einem Monster bzw. Unmenschen gleichgesetzt. Inzest-Monster ist so als

metaphorisch zu betrachten, und zwar durch das Zweitglied Monster. Das Erstglied Inzest

bestimmt das Kompositum nur objektiv näher. Da das Erstglied jedoch als Bestimmungswort

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gilt und das Zweitglied als Grundwort, kann man das ganze Kompositum also als

metaphorisch betrachten.

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente im Text von Inzest-Monster ansieht, ist es schwierig zu

folgern, welche textuelle Funktion der Okkasionalismus hat: Die betreffende Person wird

sowohl im Text als in der Schlagzeile als (Inzest-)Monster bezeichnet. Nur auf das zweite und

dritte Äquivalent im Hinblick, kann man folgern, dass die textuelle Funktion von Inzest-

Monster inhaltlicher Art ist: Der Okkasionalismus benennt die betreffende Person anders als

diese zwei Äquivalente: Es gibt einen Unterschied im Stil. Der Mann, der seine heute 43-

jährige Tochter Elisabeth 24 Jahre lang in einem Kellerverlies gefangen hielt, 3000 Mal

vergewaltigte, mit ihr sieben Kinder zeugte (und eines davon im Ofen verbrannte) und

Verbrecher verweisen eher objektiv auf den Inzest-Verbrecher Josef Fritzl und benennen ihn

so eher sachlich, neutral. (Inzest-)Monster demgegenüber metaphorisiert - wie oben schon

erwähnt – diese Person. Es stellt Josef-Fritzl expressiv und verbildlicht dar, nämlich als ein

Monster. (Inzest-)Monster löst Ekel und Abneigung bei den Lesern aus und hat so eine

pejorative Konnotation. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier

eine primär stilistische Funktion.

23.

Schlagzeile: „Baby-Alarm beim ‚Tor-Tier‟“ (Bild.de, Sport 29.01.09)

Äquivalente im Text:

- Francois Fortier (29)

- Der Kanadier

- Fortier, das „Tor-Tier“ (mit nun insgesamt schon 103 Treffern Freezers-

Rekordtorschütze)91

- Der Eis-Profi

- Der Stürmer

- „Frankie“92

- Der Papa

Kompositum:

91

Die Anführungszeichen weisen darauf hin, dass es sich hier um einen Okkasionalismus des Journalisten selbst

handelt. 92

Die Anführungszeichen weisen darauf hin, dass es sich hier um einen Okkasionalismus des Journalisten selbst

handelt.

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Tor-Tier ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in unmittelbare

Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-Kompositum, und

zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindesstrich-Kompositum‟, in dem beide UK Simplizia

sind: Tor (A) + Tier (B). Wichtig ist zu bemerken, dass es sich hier nicht um eine

Reduplikation handelt. Tor-Tier ist kein Kompositum, das durch Doppelung eines Wortes

gebildet wurde. Hier hat jede UK eine gesonderte Bedeutung, d.h. das Kompositum ist mit

zwei verschiedenen Wörtern gebildet worden. Wenn man das Kompositum an sich betrachtet,

könnte man denken, dass es sich hier um ein Tier, das Tore schießt, handelt (‚Agens‟: ‚B

erzeugt A‟). Aus dem Kontext kann man folgern, dass das Tier im Grunde Francois Fortier,

Rekordtorschütze einer Eishockeymannschaft, ist. Tor-Tier ist also als metaphorisch zu

betrachten, und zwar durch das Zweitglied. Das Erstglied Tor bestimmt das Kompositum nur

objektiv näher. Da das Erstglied jedoch als Bestimmungswort gilt und das Zweitglied als

Grundwort, kann man also das ganze Kompositum also als metaphorisch betrachten.

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente im Text von Tor-Tier ansieht, kann man folgern, dass die

textuelle Funktion des Okkasionalismus inhaltlicher Art ist. Neben „Frankie“, benennt der

Okkasionalismus die betreffende Person (Francois Fortier) anders als die Äquivalente im

Text, denn es gibt einen Unterschied im Stil: Die Äquivalente bezeichnen die Person eher

objektiv und referieren folglich eher neutral und sachlich. Tor-Tier demgegenüber benennt die

Person - wie oben schon erwähnt - metaphorisch. Es stellt den kanadischen Eis-Profi Francois

Fortier expressiv und verbildlicht dar, nämlich als ein Tier. Außerdem hört Tor-Tier sich

durch seine „reduplikationsähnliche“ Zusammensetzung poetisch bzw. als ein Wortspiel an.

Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär stilistische

Funktion.

24.

Schlagzeile: „Klimaschutz verloren im Koalitions-Dschungel“ (Zeit Online,

Energiesparen 17.02.09)

Äquivalente im Text:

- Guttenbergs Truppe

- die Koalition

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Verweise im Text:

- „[…] von allen Seiten hagelt es nur Kritik am vorliegenden Entwurf.“

Kontext: Der Text handelt von dem vorgeschlagenen Gesetz zur Energieeffizienz von

Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Gutenberg (CSU), das in der Bundesregierung

Protest von den anderen Parteien kennt.

Kompositum:

Koalitions-Dschungel ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, und zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindestrich-Kompositum‟, in dem

beide UK Simplizia sind: Koalition (A) + Fugenelement -s- + Dschungel (B). Semantisch

gesehen braucht man den Kontext, um die richtige Interpretation vornehmen zu können. Erst

dann weiß man, dass es sich hier nicht um einen undurchdringlichen Wald von Koalitionen

(‚Material‟: ‚B besteht aus A‟) handelt, sondern um Chaos bzw. Uneinigkeit in den

verschiedenen Bundeskoalitionen in Bezug auf das neue Klimaschutzgesetz: Es hagelt von

allen Seiten Kritik, und die Koalition wird im Text als eine Truppe bezeichnet. Das

Kompositum ist also metaphorisch zu betrachten, und zwar durch das Zweitglied Dschungel.

Das Erstglied Koalition bestimmt das Kompositum nur objektiv näher. Da das Erstglied

jedoch als Bestimmungswort gilt und das Zweitglied als Grundwort, kann man das ganze

Kompositum also als metaphorisch betrachten.

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Verweis von Koalitions-Dschungel ansieht, kann man folgern, dass die

textuelle Funktion des Kompositums formaler Art ist: Das Kompositum benennt mittels

eines Wortes den im Verweis und den Äquivalenten teils umschriebenen Gegenstand, nämlich

die Uneinigkeit in der Koalition. Koalitions-Dschungel verweist aber nicht objektiv auf die

Uneinigkeit. Es ist - wie oben schon erwähnt - als metaphorisch zu betrachten, denn es stellt

den Gegenstand expressiv und verbildlicht dar: Es macht aus der Uneinigkeit in der Koalition

einen Dschungel, in dem ein Ausweg bzw. ein Konsens bezüglich des vorgeschlagenen

Gesetzes zur Energieeffizienz unmöglich scheint. Durch die Verbildlichung des Gegenstands

fällt Koalitions-Dschungel auf und dient es folglich dem Leseanreiz. Der nominal-

kompositionelle Okkasionalismus hat hier eine primär stilistische Funktion.

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25.

Schlagzeile: „Vettel übt die Tank-leer-Taktik“ (Bild.de, Sport, 03.03.09)

Verweise im Text:

- „Der Formel-1-Star testete […] heikle Rennsituationen.“

- „Wir haben geschaut, wie lange das Auto noch fährt, nachdem die Tankanzeige mir gesagt

hat, dass das Benzin alle ist.“ (Sebastian Vettel, Formel-1-Pilot)

- „Der Sinn: die optimale Einstellung der Sensoren.“

- „Du musst als Fahrer in der Praxis wissen, ist da noch ein Liter im Tank? Schaffe ich jetzt

noch eine Runde? Manchmal sind ja wenige Meter entscheidend.“ (Sebastian Vettel, Formel-

1-Pilot

Kompositum:

Tank-leer-Taktik ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Satz-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Satz und das Zweitglied ein Simplex ist: Tank-leer (A)

+ Taktik (B). Wichtig ist zu bemerken, dass der Satz Tank leer ein Kurzsatz ist, in dem das

Prädikat ist elliptisch ausgespart ist. Das Kompositum an sich könnte man semantisch nicht

interpretieren, ohne den Kontext zu berücksichtigen. Man braucht den Kontext, um zu wissen,

warum diese Taktik nützlich ist bzw. warum sie überhaupt eine Taktik ist: Du musst als

Fahrer in der Praxis wissen, ist da noch ein Liter im Tank? Schaffe ich jetzt noch eine Runde?

Manchmal sind ja wenige Meter entscheidend. Tank-leer-Taktik kann man nach dem Kontext

dann bezeichnen als ‚die Taktik, mit der man prüft, wie lange das Auto noch fährt, nachdem

die Tankanzeige angibt, dass der Tank leer ist.‟

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Verweise von Tank-leer-Taktik ansieht, kann man folgern, dass die

textuelle Funktion des Kompositums thematischer Art ist: Das Kompositum thematisiert

mittels eines Wortes die im Text besprochene Taktik, mit der man prüft, wie lange das Auto

noch fährt, nachdem die Tankanzeige angibt, dass der Tank leer ist. Tank-leer-Taktik

verweist sachlich, objektiv auf die im Text erklärte Taktik und stellt sie so neutral dar.

Außerdem kann die betreffende Taktik nicht durch ein logischeres Wort benannt bzw.

umschrieben werden. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine

primär referentielle Funktion.

26.

Page 84: Kompositionelle Okkasionalismen in Schlagzeilen und ihre ... Kompositionsarten 22 2.2.3.1 Das Determinativkompositum 22 2.2.3.1.1 Die nominalen Determinativkomposita 24 ... Formal

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Schlagzeile: „Jetzt gegen Sushi-Boxer“ (Bild.de, Sport 03.03.09)

Äquivalente im Text:

- Ein „Sushi-Boxer“93

- Der ungeschlagene Japaner Koji Sato (28)

- Der Samurai aus Tokio

- Sato

Kompositum:

Sushi-Boxer ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, und zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindestrich-Kompositum‟, in dem

das Erstglied ein fremdes Simplex und das Zweitglied ein Suffixderivat ist: Sushi (A) + Boxer

(B). Semantisch könnte man das Kompositum an sich als ‚einen Boxer, aus Sushi gemacht‟

(‚Material‟: ‚B besteht aus A‟) interpretieren, oder noch eher ‚einen Boxer, der Sushi isst‟;

Sushi ist ja ein japanisches Gericht. Wenn man aber den Kontext berücksichtigt, kommt man

zu dem Schluss, dass das Kompositum eigentlich einfach den japanischen Boxer Koji Sato

bezeichnet. Der Journalist verwendet als Erstglied einen typisch japanischen Gegenstand, um

die Heimat des Boxers zu benennen. Das Erstglied Sushi ist so als metaphorisch zu

betrachten. Da das Erstglied als Bestimmungswort gilt und das Zweitglied als Grundwort,

kann man das ganze Kompositum jedoch nicht als metaphorisch betrachten: Sushi-Boxer

bezeichnet tatsächlich einen Boxer. Mit anderen Worten, das Zweitglied (Boxer) bezeichnet

den Gegenstand und das Erstglied (Sushi) bestimmt das Zweitglied metaphorisch-expressiv

näher.

Okkasionalismus:

Wenn man sich die Äquivalente des im Text - zwischen Anführungszeichen - vorkommenden

Kompositums Sushi-Boxer ansieht, kann man folgern, dass die textuelle Funktion des

Okkasionalismus inhaltlicher Art ist: Das Kompositum ist als Synonym der Äquivalente zu

betrachten. Die Äquivalente der ungeschlagene Japaner Koji Sato (28) und Sato verweisen

sachlich, objektiv auf den betreffenden Boxer und stellen ihn so eher neutral dar. Sushi-Boxer

(und das Äquivalent der Samurai aus Tokio) demgegenüber metaphorisiert - wie oben schon

erwähnt - den betreffenden Boxer. Es stellt ihn expressiv und verbildlicht dar. Die

93

Die Anführungszeichen weisen darauf hin, dass es sich hier um einen Okkasionalismus des Journalisten selbst

handelt.

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Verbindung zwischen dem Boxer und seiner Heimat Japan wird in Sushi-Boxer (und der

Samurai aus Tokio) über den Verweis auf einen typisch japanischen Gegenstand deutlich

gemacht: Sushi (bzw. Samurai). Demzufolge gibt es logischere, neutralere Benennungen als

Sushi-Boxer, die den betreffenden Boxer bezeichnen, nämlich der japanische Boxer und der

Boxer aus Japan. Die Verbildlichung Sushi-Boxer fällt aber auf und dient so dem Leseanreiz.

Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär stilistische

Funktion.

27.

Schlagzeile: „Silber-Ulrike hatte Löcher in den Lungen“ (Bild.de, Sport 03.03.09)

Äquivalente im Text:

- Die angehende Polizistin Gräßler

- Gräßler

- Ulrike

Verweise im Text:

- „Zweimal deutsches Silber bei der Nordischen Ski-WM in Liberec/Tschechien.“

- „Vorher flog Ulrike Gräßler (21, Klingenthal) ins Glück – Platz 2 im Skispringen.“

Kompositum:

Silber-Ulrike ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, und zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindestrich-Kompositum‟, in dem

das Erstglied ein Simplex und das Zweitglied ein Eigenname ist: Silber (A) + Ulrike (B).

Semantisch gesehen könnte man das Kompositum an sich als ‚eine Frau Ulrike, die aus Silber

besteht‟ (‚Material‟: ‚B besteht aus A‟) betrachten. Wenn man sich aber den Kontext ansieht,

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bemerkt man, dass es sich hier um Ulrike Gräßler handelt, die Silber (Platz 2) im Skispringen

erworben hat. Das Kompositum ist so als ein Spitzname für Ulrike Gräßler zu betrachten. Mit

anderen Worten, Silber-Ulrike ist ein onymisches Kompositum, in dem das Zweitglied das

onymische Element und das Erstglied ein appellativisches Element ist.

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Verweis und die Äquivalente im Text von Silber-Ulrike ansieht, kann

man folgern, dass die textuelle Funktion des Okkasionalismus sowohl inhaltlicher als auch

formaler Art ist: Auf einer ersten Ebene ist das Kompositum als Synonym der Äquivalente

zu betrachten. Auf einer zweiten Ebene verkürzt das Kompositum den Verweis Vorher flog

Ulrike Gräßler (21, Klingenthal) ins Glück – Platz 2 im Skispringen zu einem Wort: Die

betreffende Person und ihre Leistung (Platz 2 im Skispringen) werden in Silber-Ulrike

erwähnt, indem das Erstglied (Silber) auf die Medaille, welche der Zweite nach einem Spiel

bekommt, verweist und das Zweitglied (Ulrike) der Vorname der betreffenden Person ist. Der

Okkasionalismus ist - wie oben schon erwähnt - als Spitzname für Skispringerin Ulrike

Gräßler zu betrachten. Die expressive Benennung hat zur Folge, dass es logischere, neutralere

Benennungen als den Okkasionalismus gibt, nämlich Ulrike Gräßler. Silber-Ulrike fällt aber

auf und dient so dem Leseanreiz. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus

hier eine primär stilistische Funktion.

28.

Schlagzeile: „Mit Schottersäulen punktgenau in den Schlick“ (FAZ, Technik und Motor

11.11.08)

Untertitel: „Bis zu 30 Meter lange Pfähle aus aufgeschüttelten Steinen verfestigen weiche

Boden. Das gelingt neuerdings auch unter Wasser, präzise und ohne Schotter zu

verschwenden.“

Äquivalente im Text:

- Sogenannte Schottersäule

- Säulenartige Pflöcke

- Die Pfähle

Kompositum:

Schottersäule ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, in dem das Erstglied ein Suffixderivat und das Zweitglied ein Simplex ist:

Schotter (A) + Säule (B) Semantisch gesehen kann man Schottersäule als ‚aus Schotter

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bestehende Säule‟ (‚Material‟: ‚B besteht aus A‟) interpretieren. Diese Interpretation wird

vom Kontext bestätigt: lange Pfähle aus aufgeschüttelten Steinen.

Okkasionalismus:

Wenn man sich den Untertitel und die Äquivalente im Text des auch im Text selber

vorkommenden Okkasionalismus Schottersäule ansieht, kann man folgern, dass die textuelle

Funktion des Okkasionalismus vor allem formaler Art ist: Er verkürzt den im Untertitel

besprochenen Gegenstand zu einem Wort. Die Pfähle des Untertitels werden im dem

Kompositum durch Säulen ersetzt, und wegen der Länge wird das Wort Schotter statt der

nominalen Phrase aufgeschüttelte Steine verwendet. Die Äquivalente säulenartige Pflöcke

und die Pfähle umschreiben meiner Meinung nach den betreffenden Gegenstand zu vag. Sie

nennen keine Details bezüglich des Materials des Gegenstands. Schottersäule verweist

sachlich, objektiv auf die aus aufgeschüttelten Steinen angefertigten langen Pfähle und stellt

den betreffenden Gegenstand so neutral dar. Das heißt, dass der Okkasionalismus nicht von

einem logischeren, neutraleren Wort ersetzt werden kann. Außerdem weist das Äquivalent

sogenannte Schottersäule meiner Meinung darauf hin, dass der Ausdruck im Fachgebiet

schon bekannt ist und man die betreffenden Gegenstände fachsprachlich tatsächlich

Schottersäule nennt. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine

primär referentielle Funktion.

29.

Schlagzeile: „Ärzte warnen vor ‚Wartelisten-Medizin‟“ (süddeutsche.de, Wissen

26.04.09)

Untertitel: „Deutschland hat zwar immer mehr Ärzte - doch die Zahl der Kranken steigt

schneller. Die Folge: Es fehlt in vielen Regionen und Fachgebieten an Medizinern.“

Äquivalente im Text:

- Der Ärztemangel

Verweise im Text:

- „Wir bewegen uns auf eine Wartelisten-Medizin zu“ (Vizepräsident der

Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery)

- „[Patienten] beklagten Wartezeiten und kämen schwieriger an Termine für

hochspezialisierte Angebote.“

Kompositum:

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Wartelisten-Medizin ist ein Determinativkompositum. Strukturell gesehen kann es binär in

unmittelbare Konstituenten (UK) gegliedert werden und bildet es so ein Nomen-Nomen-

Kompositum, und zwar orthographisch ein sogenanntes ‚Bindestrich-Kompositum‟, in dem

das Erstglied selber ein Kompositum und das Zweitglied ein Simplex ist: Wartelisten (A) +

Medizin (B) Semantisch gesehen könnte man das Kompositum an sich richtig interpretieren,

der Kontext erklärt es jedoch genauer. Indem Ärzte Patienten nicht sofort behandeln können,

entstehen Wartelisten. So kreiert die gehandhabte Form der Medizin gleichsam die

Wartelisten (‚Agens‟: ‚B erzeugt A‟).

Okkasionalismus:

Der vom Vizepräsidenten der Bundesärztekammer zitierte Okkasionalismus „Wartelisten-

Medizin“ verkürzt die im Untertitel und dem zweiten Verweis erwähnte Problematik zu

einem Wort: Indem die Zahl der Kranken schneller steigt, es so an Medizinern fehlt und lange

Wartezeiten entstehen, wird es Wartelisten in der Medizin geben. Demzufolge kann man

folgern, dass die textuelle Funktion hier formaler Art ist. Obwohl Wartelisten-Medizin sich

ziemlich plastisch anhört, referiert es den Gegenstand bzw. die Problematik meiner Meinung

nach eher sachlich, neutral. Es gibt für die betreffende Problematik keine logischere

Benennung, denn Wartelisten in der Medizin sind die wirklichen Folgen dieser

aufkommenden Problematik. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier

eine primär referentielle Funktion.

30.

Schlagzeile: „ Tolle Bilder aus Eurobama“ (Zeit Online, Kolumne 26.04.09)

Untertitel: „Der neue US-Präsident hat für die Woche der Gipfeltreffen die Show geliefert,

die Europäer die Kulisse. Und schon scheinen alle Probleme lösbar zu sein.“

Äquivalente im Text:

- Die Europa-Reise von Barack Obama

- Die bilderselige und farbenfrohe Europareise von Barack Obama

Kompositum:

Eurobama ist eine Kontamination. Die zwei Wörter, die hier ineinander verschachtelt werden,

sind Europa und Obama. Morphologisch ist die Kontamination so gebildet, dass ihre

Einheiten einen gemeinsamen Laut und Buchstaben haben: Eur-o-bama. Die Einheiten und

ihre semantische Interpretation sind nur deutlich, wenn man sich den Kontext ansieht:

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Eurobama bezeichnet die Europa-Reise des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten,

Barack Obama.

Okkasionalismus:

Da die Kontamination Eurobama die in den Äquivalenten vorkommenden Wörtern Europa(-

Reise) und (Barack) Obama zu einer Zusammensetzung verkürzt und verknüpft, kann man

folgern, dass die textuelle Funktion formaler Art ist. Eurobama referiert expressiv und auf

eine originelle Art und Weise an die Europa-Reise von Barack Obama. Es gibt jedoch eine

logischere, neutralere Benennung des Gegenstands, nämlich die Europa-Reise von Barack

Obama. Eurobama fällt durch seine Sonderbildung als Kontamination auf und dient so dem

Leseanreiz. Folglich hat der nominal-kompositionelle Okkasionalismus hier eine primär

stilistische Funktion.

4.4 Ergebnisse

Wie in der Darlegung der Arbeitsmethode (vgl. 4.1) schon erwähnt, werde ich mich in diesem

Kapitel nur auf die Ergebnisse des letzten Untersuchungsaspektes beschränken, nämlich auf

die Frage, wo die Gelegenheitsbildungen primär referentieller bzw. wo sie primär stilistischer

Natur sind.

Von den dreißig untersuchten Okkasionalismen stammen acht aus der Boulevardpresse (#8

der Bild-Zeitung) und zweiundzwanzig aus seriösen Zeitungen (#7 der SZ, #5 der ZEIT, #9

der FAZ und #1 der Grenz-Echo). Die Anzahl der Okkasionalismen mit referentieller

Funktion beträgt dreizehn und diejenige mit stilistischer Funktion siebzehn. Die folgende

Tabelle zeigt die Gesamtzahl der Okkasionalismen in der Boulevardpresse und in den

seriösen Zeitungen, sowie die Zahl der Bildungen mit primär stilistischer bzw. primär

referentieller Funktionen:

Referentiell stilistisch Gesamtzahl

# Boulevardpresse 1 7 8

% 12,5 87,5 100

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# seriöse Zeitungen 12 10 22

% 54,45 45,45 100

Tabelle 2: Anzahl der Okkasionalismen und ihre Funktionen.

In der Tabelle kann man sehen, dass von den acht in der Boulevardpresse gefundenen

Okkasionalismen nur eine (bzw. 12,5%) eine primär referentielle Funktion aufweist und

sieben (bzw. 87,5%) eine primär stilistische haben. Von der zweiundzwanzig in den seriösen

Zeitungen gefundenen Okkasionalismen haben zwölf (bzw. 54,45%) eine primär referentielle

Funktion und die anderen zehn (45,45%) eine primär stilistische.

Bei den seriösen Zeitungen weisen beide Prozentsätze ein eher ähnliches Resultat auf, hier

soll man jedoch den Unterschied machen zwischen seriösen Nachrichten und eher

appellativen Textsorten. Seriöse Nachrichten verwenden - wie in Kapitel 3.2.1 schon erwähnt

- im Text überwiegend okkasionelle Komposita mit referentieller Funktion, appellative

Textsorten dagegen benützen überwiegend solche mit stilistischer Funktion. Bei der Auswahl

der Okkasionalismen in seriösen Zeitungen habe ich aus beiden Textsorten Auszüge

gemacht. Pro Funktion teile ich jetzt die in den seriösen Zeitungen gefundenen

Okkasionalismen anhand ihrer Fundstelle – entweder in einer seriösen Nachricht oder einer

appellativen Textsorte - in einer Tabelle ein:

Fundstelle seriöse Nachricht Appellative Textsorte Gesamtzahl

# 7 3 10

Tabelle 3: In seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen mit stilistischer Funktion.

Fundstelle seriöse Nachricht Appellative Textsorte Gesamtzahl

# 11 1 12

Tabelle 4: In seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen mit referentieller Funktion.

Tabelle 3 zeigt, dass von den zehn in seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen mit

stilistischer Funktion sieben aus seriösen Nachrichten und drei aus appellativen Textsorten

kommen. Tabelle 4 dagegen, zeigt, dass von den zwölf in seriösen Zeitungen gefundenen

Okkasionalismen mit referentieller Funktion elf aus seriösen Nachrichten kommen und nur

einer aus appellativen Textsorten kommt. Die appellativen Textsorten, die in der

Untersuchung vorkommen, sind Kolumnen (Haarpolitik und Eurobama) und subjektive

Artikel in Abschied und Aufbruch, einer Sonderbeilage der SZ anlässlich des Umzugs des

Hauptsitzes der SZ (Pressezwerge und Querstrichland). Da die appellativen Textsorten für

die seriösen Zeitungen nicht typisch sind - d.h. sie kommen nur selten vor und sind im Grunde

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nicht als informierende Artikel zu betrachten - finde ich sie nicht relevant, um die Frage

„stilistisch oder referentiell?“ zu beantworten. Deshalb lasse ich die vier in appellativen

Textsorten der seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen außer Betracht.94

Dies hat

zur Folge, dass von den übrigen (22-4 = ) achtzehn in seriösen Zeitungen gefundenen

Okkasionalismen nur sieben eine stilistische Funktion haben und elf eine referentielle. Wenn

man nun die insgesamt (30-4 = ) sechsundzwanzig übrigen Okkasionalismen der

Boulevardpresse und der seriösen Zeitungen und ihre (Prozent)Zahlen mit primär stilistischer

bzw. primär referentieller Funktion betrachtet, bekommt man folgende Tabelle:

Referentiell stilistisch Gesamtzahl

# Boulevardpresse 1 7 8

% 12,5 87,5 100

# seriöse Zeitungen 11 7 18

% 61,1 38,9 100

Tabelle 5: (Prozent)Zahl der Okkasionalismen pro Funktion.

Tabelle 5 zeigt, dass von den insgesamt acht in der Boulevardpresse gefundenen

Okkasionalismen einer bzw. 12,5% eine referentielle Funktion hat, sieben bzw. 87,5%

dagegen eine stilistische. Von den achtzehn in den seriösen Artikeln der seriösen Zeitungen

gefundenen Okkasionalismen haben elf bzw. 61,1% eine referentielle und sieben bzw. 38,9%

eine stilistische Funktion. Aus den Daten kann man schließen, dass die Okkasionalismen der

Boulevardpresse überzeugend eine stilistische Funktion haben und die der seriösen Zeitungen

überwiegend eine referentielle.

Wichtig ist zu bemerken, dass, obwohl die Daten sowohl aus Papierversionen als auch aus

Internetseiten der Zeitungen genommen sind, dies nur einen minimalen Einfluss auf die

Ergebnisse hat. M.a.W., die Ergebnisse zu den in Papierversionen gefundenen

Okkasionalismen reichen von den Ergebnissen bei den im Internet gefundenen

94

Die vier in appellativen Textsorten der seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen zeigen jedoch, dass

Okkasionalismen in appellativen Textsorten, neben in den Texten, auch in den Schlagzeilen überwiegend eine

stilistische Funktion haben: Okkasionalismen mit stilistischer Funktion: 3 (bzw. 75%), Okkasionalismen mit

referentieller Funktion: 1 (bzw. 25%)!

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Okkasionalismen nicht ab. Beide Medien bieten also verhältnismäßig je dieselben Ergebnisse,

d.h. die Resultate widersprechen einander nicht, sondern bestätigen einander. Dies lässt sich

in folgender Tabelle präsentieren:

referentiell stilistisch Gesamtzahl

Papierversion 0 2 2

% 0 100 100

Boulevardpresse

Internet 1 5 6

% 16,7 83,3 100

Tabelle 6: In der Boulevardpresse gefundenen Okkasionalismen je nach Medium unterteilt und erklärt.

referentiell stilistisch Gesamtzahl

Papierversion 7 3 10

% 70 30 100

seriöse Zeitungen

Internet 4 4 8

% 50 50 100

Tabelle 7: In den seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen je nach Medium unterteilt und erklärt.

Tabelle 6 zeigt, dass von den insgesamt zwei der in Papierversionen der Boulevardpresse

gefundenen Okkasionalismen keine einzige eine referentielle Funktion hat und zwei eine

stilistische. Prozentual ergibt das 0% Okkasionalismen mit referentieller Funktion gegenüber

100% Okkasionalismen mit stilistischer Funktion. Von den insgesamt sechs der im Internet

gefundenen Okkasionalismen hat einer eine referentielle Funktion und fünf eine stilistische.

Prozentual ergibt das 16,7% Okkasionalismen mit referentieller Funktion gegenüber 83,3%

Okkasionalismen mit stilistischer Funktion. Wenn man die Prozentzahlen der Papierversion

und diejenigen des Internets hinsichtlich der Funktion miteinander vergleicht, bemerkt man,

dass es eine Differenz von 16,7% (referentiell: 16,7-0 bzw. stilistisch: 100-83,3) gibt. Obwohl

diese Differenz nicht zu vernachlässigen ist, verhalten beide Ergebnisse sich im Großen und

Ganzen proportional zueinander.95

Vor allem wenn man das Ergebnis der im Internet

gefundenen Okkasionalismen mit dem allgemeinen Ergebnis (vgl. Tabelle 5) vergleicht,

bemerkt man die Kongruenz zwischen beiden: in der Boulevardpresse gefundenen

Okkasionalismen mit referentieller Funktion: 16,7% gegenüber allgemein 12,5% (vgl. Tabelle

95

Die große Differenz ist der unzureichenden Anzahl der Okkasionalismen in den Zeitungen der

Boulevardpresse zuzuschreiben.

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5); in der Boulevardpresse gefundenen Okkasionalismen mit stilistischer Funktion: 83,3

gegenüber allgemein 87,5% (vgl. Tabelle 5).

Tabelle 7 zeigt, dass von den insgesamt zehn der in Papierversionen der seriösen Zeitungen

gefundenen Okkasionalismen sieben eine referentielle Funktion haben und drei eine

stilistische. Prozentual ergibt das 70% Okkasionalismen mit referentieller Funktion gegenüber

30% Okkasionalismen mit stilistischer Funktion. Von den insgesamt acht der im Internet

gefundenen Okkasionalismen haben vier eine referentielle Funktion und vier eine stilistische.

Prozentual ergibt das 50% Okkasionalismen mit referentieller Funktion gegenüber 50%

Okkasionalismen mit stilistischer Funktion. Wenn man die Prozentzahlen der Papierversion

und diejenigen des Internets hinsichtlich der Funktion miteinander vergleicht, bemerkt man,

dass es eine Differenz von 20% (referentiell: 70-50 bzw. stilistisch: 50-30) gibt. Wenn man

diese Ergebnisse mit dem allgemeinen Ergebnis (vgl. Tabelle 5) vergleicht, ergibt das: in den

seriösen Zeitungen gefundene Okkasionalismen mit referentieller Funktion: 70%

(Papierversion) bzw. 50% (Internet) oder insgesamt 61,1% (vgl. Tabelle 5) ; in den seriösen

Zeitungen gefundene Okkasionalismen mit stilistischer Funktion: 30% (Papierversion) bzw.

50% (Internet) oder insgesamt 38,9% (vgl. Tabelle 5). Man bemerkt also, dass es in den

Papierversionen prozentual mehr Okkasionalismen gibt mit referentieller Funktion bzw.

weniger Okkasionalismen mit stilistischer Funktion als im Internet.

Dadurch, dass die im Internet gefundenen Okkasionalismen prozentual gleichmäßig eine

referentielle (50%) und stilistische Funktion (50%) haben und ihre Funktionen sich folglich

ausgewogen verhalten, haben sie im Grunde keinen entscheidenden Einfluss auf das

allgemeine Ergebnis. Aus den Prozentsätzen kann man schließen, dass derjenige des im

Internet gefundenen Okkasionalismen mit referentieller Funktion denjenigen der in den

Papierversionen gefundenen referentiellen Okkasionalismen mäßigt. Der Prozentsatz der im

Internet gefundenen Okkasionalismen mit stilistischer Funktion erhöht dann in geringem

Maße denjenigen der in den Papierversionen gefundenen stilistischen Okkasionalismen. Fazit:

Weil die Prozentsätze der im Internet gefundenen Okkasionalismen nicht den gleichen Wert

besitzen, als diejenigen der in den Papierversionen gefundenen Okkasionalismen - Sie sind

aus einer verschiedenen Anzahl Okkasionalismen hergeleitet -, kann man das allgemeine

Ergebnis (vgl. Tabelle 5) nicht als Durchschnittssumme der beiden Prozentsätze (bezüglich

der referentiellen bzw. stilistischen Okkasionalismen) betrachten. Dies alles ergibt dann das

allgemeine Resultat: referentiell: 70% Papierversionen / 50% Internet = 61,1% (vgl. Tabelle

5); stilistisch: 30% Papierversionen / 50% Internet = 38,9% (vgl. Tabelle 5).

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Letztens habe ich in der Untersuchung in Bezug auf die Okkasionalismen einige Unterschiede

zwischen Boulevardpresse und seriösen Zeitungen herausbekommen: Zunächst habe ich

bemerkt, dass alle in der Boulevardpresse gefundenen Okkasionalismen mit stilistischer

Funktion von den Journalisten selbst völlig erfunden sind. So werden z.B. „Blau-Bären“,

„Tor-Tier“ und „Sushi-Boxer“ nicht vom Kontext antizipiert, d.h. das Kompositum oder

eine seiner UK wurden im Kontext nicht schon von einer Person zitiert. Tank-leer-Taktik, der

einzige referentielle Okkasionalismus der Boulevardpresse, ist in diesem Sinne antizipiert,

dass die Wörter der ersten UK von Formel-1-Pilot Sebastian Vettel direkt (Tank) und indirekt

(„[…],dass das Benzin alle ist.“) zitiert sind. Sieben der acht (bzw. 87,5%) in der

Boulevardpresse gefundenen Okkasionalismen sind also von den Journalisten selbst erfunden.

Die in den seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen dagegen sind häufig von

Personen zitiert bzw. antizipiert. Beispiele von Okkasionalismen mit referentieller Funktion

sind hier: „Stationierungswettlauf“ (zitiert vom deutschen Außenminister Frank-Walter

Steinmeier), Krisencoach (antizipiert von Hans Kreis: „Ich bin Deutschlands erster Coach“),

„Wartelisten-Medizin“ (zitiert vom deutschen Vizepräsidenten der Bundesärztekammer Frank

Ulrich Montgomery). Beispiel eines Okkasionalismus mit stilistischer Funktion ist hier

Finanzterrorist (antizipiert vom Bankchef der Bank Société Générale Daniel Bouton:

„Terrorist“). Insgesamt sind hier dreizehn der achtzehn (bzw. 72,2%) in den seriösen

Zeitungen gefundenen Okkasionalismen von den Journalisten selbst erfunden.

5. Zusammenfassung / Schlussfolgerung

In dieser Arbeit habe ich nominal-kompositionelle Okkasionalismen in Schlagzeilen

untersucht. Hierzu habe ich als Einleitung die betreffenden Begriffe in einigen Kapiteln

erklärt. An erster Stelle habe ich mich mit dem Begriff ‚Zeitung‟ beschäftigt. In diesem ersten

Kapitel bin ich näher auf die Aspekte ‚Zeitungssprache’ und ‚Schlagzeile’ eingegangen.

Hier habe ich erstens darauf hingewiesen, dass man die Zeitungssprache je nach dem

Sprachgebrauch in zwei Gruppen unterteilen kann. Zuerst gibt es die seriösen Zeitungen. In

diesen Zeitungen hat der Sprachgebrauch rein als Funktion, über den Gegenstand oder

Sachverhalt objektiv, neutral zu referieren. Die Boulevardpresse dagegen hat als Hauptzweck,

über Nachrichten sensationell zu berichten. Deshalb ist der Wortschatz in diesen Zeitungen

emotionsbefrachtet und folglich eher als subjektiv, stilistisch zu betrachten. Zweitens habe ich

dargelegt, dass die Schlagzeilen als Titel eines Artikels das Gesicht der Zeitungstexte bilden

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95

und so mittels formaler und inhaltlicher Merkmale die Aufmerksamkeit auf sich ziehen

müssen.

In einem zweiten Kapitel habe ich mich mit dem Begriff ‚Komposition’ beschäftigt. Hier

habe ich an erster Stelle Komposition als eine der deutschen Wortbildungsarten definiert.

Zweitens habe ich kurz auf ihre Funktion und möglichen Einheiten hingewiesen, um dann

drittens einige Kompositionsarten darzulegen. Hier habe ich erwähnt, dass man eine

Hauptgliederung zwischen Determinativ- und Kopulativkomposita machen kann: Im Grunde

sind die Determinativkomposita hypotaktisch segmentiert - d.h. die zwei unmittelbaren

Konstituenten (UK) stehen in einer subordinierten Beziehung miteinander - und die

Kopulativkomposita parataktisch – d.h. die UK stehen in einem koordinierenden Verhältnis.

Die nominalen Determinativkomposita habe ich dann je nach dem Erstglied sowohl

strukturell als auch semantisch erläutert, um dann kurz das Kopulativkompositum zu

erwähnen. Daneben habe ich auch kurz auf zwei kompositionelle Sonderarten Bezug

genommen: die Reduplikation und die Kontamination.

In einem dritten Kapitel habe ich mich mit dem Begriff ‚Okkasionalismus’ beschäftigt.

Diesen Begriff habe ich zuerst in den weiteren Bereich der Neologismen eingeordnet, um sie

dann als einmalige Wortbildungen, die häufig nur im Kontext verständlich sind, zu definieren.

Daneben habe ich auf die Funktionen der kompositionellen Okkasionalismen hingewiesen.

An erster Stelle finde ich mit Wildgen (1981), dass jeder kompositionelle Okkasionalismus

auf textlinguistischer Ebene eine textuelle Funktion hat. M.a.W., jeder kompositionelle

Okkasionalismus bestimmt den textuellen Zusammenhang formal bzw. inhaltlich mit. Auf

einer zweiten Ebene, die ich die semantische Ebene genannt habe, kann dann entweder die

referentielle oder die stilistische Funktion primär sein. Kompositionelle Okkasionalismen mit

einer referentieller Funktion benennen die betreffenden (neuen) Gegenstände sachlich-neutral.

Diejenigen mit einer stilistischen Funktion dagegen sind eher expressiv, metaphorisch

gebildet und haben nicht als Absicht, neutral zu referieren, sondern bei der Benennung von

(neuen) Gegenständen bestimmte Effekte beim Leser auszulösen.

In einem Unterkapitel habe ich mit Elsen (2004) erwähnt, dass kompositionelle

Okkasionalismen in informationsbezogenen Texten der seriösen Zeitungen überwiegend eine

primär referentielle Funktion haben und diejenigen in Texten der Boulevardpresse

überwiegend eine stilistische. Danach fragte ich mich, ob diese Tendenz auch auf die

Schlagzeilen zutraf. Hier stellte ich die Hypothese auf, dass kompositionelle Okkasionalismen

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96

in Schlagzeilen - die die Aushängeschilder des Textes sind - häufig so gewählt sind, dass sie

auffallen. Folglich behauptete ich, dass sowohl diejenigen in Schlagzeilen seriöser Zeitungen

als auch in Schlagzeilen der Boulevardpresse eine primär stilistische Funktion hätten.

Meine Untersuchung von dreißig in den seriösen Zeitungen und der Boulevardpresse

gefundenen nominal-kompositionellen Okkasionalismen bestätigte meine Hypothese jedoch

nicht: Sie zeigte, dass von den acht in der Boulevardpresse gefundenen nominal-

kompositionellen Okkasionalismen nur einer (bzw. 12,5%) eine referentielle Funktion hatte

und sieben (bzw. 87,5%) eine stilistische Funktion hatten. Also, in Bezug auf die in dieser

Presse gefundenen Komposita stimmt meine Behauptung, dass die in der Boulevardpresse

gefundenen nominal-kompositionellen Okkasionalismen in den Schlagzeilen eine stilistische

Funktion haben. Dies scheint hier jedoch logisch, denn schon in den Texten selbst werden

überwiegend Okkasionalismen mit stilistischer Funktion verwendet.

Die Untersuchung zeigte weiter, dass von den achtzehn in den informationsbezogenen Texten

der seriösen Zeitungen gefundenen Okkasionalismen elf (bzw. 61,1%) eine referentielle

Funktion hatten und sieben (bzw. 38,9%) eine stilistische. Hier widersprechen die Daten

meiner Hypothese, denn die in den seriösen Zeitungen gefundenen nominal-kompositionellen

Okkasionalismen haben nicht nur in den (informationsbezogenen) Texten selbst, sondern auch

bereits in den Schlagzeilen überwiegend eine referentielle Funktion.

Die von Elsen (2004) konstatierte Tendenz - Kompositionelle Okkasionalismen in

informationsbezogenen Texten der seriösen Zeitungen haben überwiegend eine primär

referentielle Funktion und diejenigen in Texten der Boulevardpresse überwiegend eine

stilistische - trifft also auch auf die Schlagzeilen zu. Dies erklärt meiner Meinung nach denn

auch den Befund am Ende des Ergebnisteils, der besagt, dass fast alle in der Boulevardpresse

gefundenen Okkasionalismen von den Journalisten selbst erfunden sind und dass diejenigen,

die in den seriösen Zeitungen anzutreffen sind, häufig zitiert bzw. antizipiert sind. Meiner

Ansicht nach haben die in der Boulevardpresse gefundenen Okkasionalismen mit stilistischer

Funktion fast ausnahmslos die Absicht, rein stilistisch zu fungieren. Diejenigen aber, die in

den seriösen Zeitungen begegnen, haben neben der rein stilistischen Funktion auch häufig die

Absicht, neutral über die expressiven Aussagen und Zitate einer Person zu referieren.

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6. Literaturverzeichnis

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http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien

http://de.wikipedia.org/wiki/Schlagzeile

http://de.wikipedia.org/wiki/Süddeutsche_Zeitung

http://nl.wikipedia.org/wiki/Grenz-Echo

www.stupidedia.org/stupi/Kellerkind

7. Anhang

Tabelle 1: Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung, Zeitungssprache

509 Lexeme absolut in %

Komposition 412 80,94

Wortgruppenlexembildung 17 3,34

Derivation 26 5,11

Präfixoidbildung / 0

Suffixoidbildung / 0

Konversion 26 5,11

Kurzwortbildung 6 1,18

Rückbildung 3 0,59

Zusammenrückung 1 0,2

Bedeutungsveränderung 13 2,55

Fremdwortübernahme 5 0,98

Kontamination 2 0,39

Kunstwortbildung 1 0,2

[vgl. Elsen 2004: 107]

Im Internet gefundene Artikel:

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3

Bild.de (26.04.09), Sport

Das 45-Meter-Mega-Grätschen-Tor

Schütze Langkamp spielte in der Hinrunde noch bei den Amateuren

Mit dem Ding ist Sebastian Langkamp (21) jetzt Top-Favorit bei der Wahl zum „Tor

des Jahres“...

Gegen Leverkusen grätschte der KSC-Verteidiger im Mittelkreis in einen Ball von Bayers

Renato, schaufelt die Kugel nach vorn. Und die schlägt tatsächlich hinter dem weit vor dem

Tor stehenden René Adler im Bayer-Kasten ein...

„Ein geiles Gefühl“, jubelt der Supertor-Schütze, „ich wollte einfach nur klären. Nach dem

Motto: Hauptsache ins Aus. Ich hatte mich schon abgedreht, dachte, der geht auf die Tribüne.

Dass er reingeht, hätte ich nicht gedacht...“

Sympathisch ehrlich, der KSC-Bubi, der noch in der Hinrunde bei den Amateuren in der

Regionalliga kickte. Gestern machte er erst sein achtes Bundesligaspiel.

Der überraschte Bayer-Torwart Adler: „Solch ein Tor schießt er nur einmal in seinem Leben.“

Dem KSC ist es egal. Nach zuletzt neun sieglosen Spielen der erste Erfolg und mit 22

Punkten wieder Hoffnung im Abstiegskampf!

Leverkusen rutscht immer tiefer in die Krise. Achtes Heimspiel ohne Sieg! Sportchef Rudi

Völler stürmte nach der Pleite gestern in die Kabine und motzte: „Charaktertest nicht

bestanden.“

9

Zeit Online (01.05.09)

Königin-Attentäter tot

Der Mann, der versucht hat einen Anschlag auf die niederländische Königin zu verüben, ist

tot. Er starb an den Folgen seiner Verletzungen nach der Amokfahrt.

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Ein niederländischer Fernsehsender meldete am Freitagmorgen den Tod des 38-Jährigen. Er

sei nach einer Operation gestorben. Karst T. war am Donnerstag bei einem Umzug zum

niederländischen Nationalfeiertag in der Stadt Apeldoorn mit seinem Kleinwagen auf den

offenen Festbus der Königin zugerast. Er durchbrach Absperrungen und riss 17 Menschen zu

Boden.

Drei Männer und zwei Frauen wurden getötet. Zwölf Menschen erlitten Verletzungen – unter

ihnen der Amokfahrer.

Der Attentäter verfehlte jedoch das Fahrzeug mit der Königin, Kronprinz Willem-Alexander

und dessen Frau Máxima. Sein Auto prallte unweit von dem Bus gegen ein Denkmal. Bevor

er ohnmächtig wurde, sagte der Mann Polizisten, er habe die königliche Familie treffen

wollen.

Genaueren Aufschluss über das Motiv und den Hergang der Tat hatten sich die Ermittler von

weiteren Befragungen des Mannes erhofft. Sie können jetzt nicht mehr stattfinden. In

Medienberichten war der Mann als verzweifelter Arbeitsloser beschrieben worden. Die

Ermittler prüfen unter anderem, ob es im Falle einer längeren Planung der Tat Mitwisser gab.

Derweil haben Zehntausende Niederländer in Kondolenzbüchern sowie auf Internetseiten ihr

Beileid mit den Opfern und deren Hinterbliebenen bekundet. Auch aus allen Teilen der Welt

seien Beleidsschreiben eingegangen, teilte ein Regierungssprecher mit.

In Apeldoorn wurde für Freitag zu einem Gedenkgottesdienst eingeladen. Bereits in der Nacht

hatten viele Menschen am Ort des Geschehens Kerzen entzündet und Blumen niedergelegt.

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FAZ.NET (29.11.08), Finanz

„Die Banken haben die Schnäppchenkultur

gefördert“

Auf Knüllerzinsen lässt sich keine Altersvorsorge aufbauen, meint Bankenberater Christoph

Pape

28. November 2008 Tagesgeld bei Kaupthing, Zertifikate von Lehman Brothers, viele Banken

brauchen Hilfe vom Staat - die Beziehungen zwischen den Kreditinstituten und den Kunden

sind derzeit angespannt. Auch in dieser Hinsicht herrscht eine Vertrauenskrise. Diese haben

die Banken zum Teil selbst herbeigeführt, meint der Bankenberater Christoph Pape von

Christoph Paper & Partner in Frankfurt.

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Herr Pape, viele Anleger fühlen sich in dieser Finanzkrise von ihrer Bank schlecht

beraten. Was haben die Geldhäuser falsch gemacht?

Die Banken haben es versäumt, über eine längere Zeit das Vertrauen der Kunden aufzubauen.

Die Vertriebskultur entspricht nicht dem, was gut wäre für eine langfristig angelegte

Kundenbasis. Es geht darum, dem Kunden die Produkte anzubieten, die er auch wirklich

braucht, und sie ihm dann anzubieten, wenn er sie braucht. Diesen Grundsatz haben zu viele

Banken nicht mehr berücksichtigt. Stattdessen ging es den Banken in den vergangenen Jahren

mehr darum, Produkte zu verkaufen. Das und ein häufiger Beraterwechsel haben das

Vertrauen in die Banken untergraben.

Und in der Folge haben die Anleger ihrer Bank den Rücken gekehrt und haben sich auf

Schnäppchenjagd begeben?

Genau, das ist die Antwort der Kunden, und aus ihrer Sicht ist das auch richtig. Das ist die

Folge, dass die Banken sich nicht mehr intensiv genug mit den Bedürfnissen der Kunden

auseinander gesetzt haben.

Wollen Sie damit sagen, dass die Banken selbst die Schnäppchenkultur gefördert haben,

die beispielsweise zu den Geschehnissen um Tagesgeld bei der Kaupthing-Bank oder um

Zertifikate von Lehman Brothers geführt haben?

Der Kunde wurde in dieses Schnäppchendenken gedrängt, weil die Banken in der Beratung zu

wenig einen ganzheitlichen Ansatz gefördert haben. Die Banken haben mit Höchstzinsen

geködert statt umfassende Komplettlösungen im Dienste der Kunden anzubieten. Das war der

Fehler.

Gleichzeitig haben Lockangebote überhand genommen, in denen mit scheinbar hohen

Anlagezinsen geworben wurde, die aber mit zahlreichen Nebenbedingungen verknüpft

worden sind. Hat das nicht auch dazu geführt, dass die Banken als Verkäufer

wahrgenommen werden?

Grundsätzlich ist es ja nicht verwerflich, wenn Banken Bankprodukte verkaufen wollen. Nur

sollte sich der Kunde mit ihnen wohl fühlen und die Bank auch. Wenn über einen fundierten

Beratungsprozess ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wird, rennt der Bankkunde nicht jedem

Zehntelprozent hinterher. Er sieht dann nämlich, dass eine solche Schnäppchenjagd ihn nicht

reich macht, sondern dass eine ruhige und disziplinierte Langfristorientierung lohnender ist.

In Gelddingen verhält es sich umgekehrt wird mit der Gesundheit: In jungen Jahren muss man

oft zur Finanzberatung und im Alter weniger, weil das Basiswissen der Anleger einfach viel

zu gering ist. Darauf sollten sich die Banken stärker einstellen.

Sie zeichnen eine Idealwelt, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.

Es ist richtig, dass ich eine Idealwelt beschreibe. Aber hier liegt die Herausforderung, die vor

den Banken liegt. Und diese ist aus Bankensicht nicht utopisch. Die Aufgabe in der

Geldanlage ist ja nicht unlösbar. Im Prinzip geht es darum, dass die Banken ihren Kunden

helfen, relativ einfache Anlageziele, wie zum Beispiel ein finanziell abgesichertes Alter, zu

erreichen. Die Lösung allerdings und die passenden Produkte dazu zu finden, diese Aufgabe

ist komplex. Kunden, die ein klares Anlageziel formulieren und sich bewusst auf solch eine

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Beratung einlassen, fahren langfristig nicht nur besser, sondern fühlen sich in der Regel von

ihrer Bank nicht übervorteilt.

Seit Jahren steht im Raum, dass die Banken ihre Beratung den Kunden in Rechnung

stellen, so wie es Rechtsanwälte oder der Steuerberater auch tun. Warum setzt sich

Honorarberatung bei Banken nicht durch?

Bisher finanziert die Bank ihre Beratung über Produktprovisionen. Hinter der Kritik an

diesem Vergütungssystem steht der Verdacht, dass die Banken Produkte verkaufen, die vor

allem in ihrem Gewinnstreben dienen und weniger im Kundeninteresse stehen. Je mehr eine

Bank auch fremde Produkte anbietet oder gar keine eigenen herstellt, desto mehr fällt dieser

Verdacht weg. Heute müssen die Vertriebsprovisionen sowieso offen gelegt werden. Nichts

spricht dagegen, dass die Bank diese Gebühren mit einem Beratungshonorar verrechnet.

Meiner Erfahrung nach fragen jedoch die Kunden das wenig nach. Das bisherige System hat

ja auch für sie Vorteile: Anders als der Rechtsanwalt steht der Bankberater auch nach dem

Produktverkauf kostenlos zur Verfügung, ohne dass sofort die Uhr angeht.

Droht den Bankkunden, dass in Zukunft noch mehr aggressive Werbeangebote auf die

Bankkunden niedergehen und fundierte Beratung verdrängt wird?

Es wird beide Modelle geben, weil beide Modelle ihre Existenzberechtigung haben. Es wird

auch in Zukunft die ganzheitliche Beratung mit einem Komplettcheck für die großen

Anlageziele im Leben geben und Werbeaktionen, die gezielt für einzelne Produkte gedacht

sind. Und es wird auch in Zukunft Banken geben, die beide Modelle unter einem Dach

vereinen. Aus Kundensicht geht es aber darum, dies klar zu trennen und die Anlageziele

sorgfältig zu identifizieren. Denn eins ist auch klar: Auf Knüllerzinsen lässt sich keine

Altersvorsorge aufbauen.

12

FAZ.NET (29.11.08), Inland Politik

Die Klagen des Koalitionsherkules

27. November 2008 An sich könnte Horst Seehofer herrliche Tage erleben - schließlich ist das

Amt des Ministerpräsidenten, das er seit einem Monat innehat, in Bayern die Fortsetzung der

Monarchie mit demokratischen Mitteln.

Gerade eben hat Seehofer in der Staatskanzlei am Hofgarten, nur einen Katzensprung entfernt

von der einstigen Residenz der Wittelsbacher, eine mächtige Tanne aus der Gemeinde

Adelschlag im Landkreis Eichstätt in Empfang genommen, um Land und Leute weihnachtlich

einzustimmen; schon kann er sich darauf freuen, im frisch renovierten Cuvilliés-Theater zum

bayerischen Verfassungstag ein Grundsatzreferat zu der Frage „Wie bedeutend ist Bayern?“

zu halten - die im Glanz des kurbayerischen Rokoko selbstverständlich nur rhetorischen

Charakter haben kann, genau wie Nachforschungen zur Bedeutung eines bayerischen

Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden.

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Störende Petitessen für den „Pater Patriae“

Seehofer müsste als glücklicher „Pater Patriae“, wie der Ministerpräsident beim alljährlichen

Starkbieranstich auf dem Nockherberg tituliert wird, betrachtet werden, wären da nicht einige

Petitessen, welche die Laune zwischen Staatskanzleitannen und Selbstfeierlichkeiten

verderben könnten. Da ist am Donnerstag die Abstimmung im Bundestag über die Reform der

Erbschaftsteuer gewesen.

Seehofer hatte sich zuvor zwar angestrengt, bei den Verhandlungen in der Berliner Koalition

als Schutzpatron des privaten Wohneigentums und der Familienbetriebe aufzutreten. Der

Erfolg blieb ihm auch nicht versagt: Allein die Frage, in welches juristische Verhältnis die

Pflegebedürftigkeit eines Erben, der das geerbte Haus nicht mehr selbst bewohnen kann, zu

einer Nachversteuerung zu setzen ist - unter besonderer Berücksichtigung der Pflegestufe -,

könnte Generationen von Steuerjuristen in eine ganzjährige vorweihnachtliche Stimmung

versetzen.

Kampf für das Privateigentum

Die Botschaft, dass es angesichts solcher Unwägbarkeiten erst recht zur obersten Pflicht eines

jeden CSU-Bundestagsabgeordneten gehöre, Seehofers Kampf für das Privateigentum zu

rühmen, war in der CSU-Landesgruppe im Bundestag aber erst nach intensivem

Nachhilfeunterricht verstanden worden - mit Einsatz der unter Parlamentspädagogen gängigen

Hilfsmitteln.

Bei der namentlichen Abstimmung stimmten zwar nur noch sechs CSU-Abgeordnete gegen

den Reformentwurf, darunter der ewige Großmeister der Parteidissidenten, Peter Gauweiler.

Doch ein allzu kräftiges bundespolitischen Fortissimo, mit dem er die CSU als Partei der

Erben zu Gehör brachte, konnte Seehofer nach der Abstimmung nicht anstimmen, auch wenn

er pflichtgemäß von einer „eindrucksvollen Bestätigung für die Handschrift der CSU“ sprach:

Zu vernehmlich waren die Dissonanzen innerhalb der Landesgruppe gewesen.

Steuerpolitische Forderungen an die Schwesterpartei

Der Schwung, mit dem die CSU beim Publikum dafür werben wollte, nach der

Erbschaftsteuer werde sie noch für weitere steuerliche Entlastungen sorgen, ist erst einmal

gebremst worden - mag Seehofer seine Geläufigkeitsübungen auf der Machtklaviatur des

bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden auch noch steigern.

Schon jetzt hat er alle Tasten mindestens einmal angeschlagen, bis hin zu der von seinem

Vorvorgänger Stoiber zur Meisterschaft entwickelten Fertigkeit, durch Kabinettsbeschluss das

Aufgabenheft der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Merkel zu ergänzen. Rechtzeitig

vor Beginn des CDU-Parteitags in Stuttgart am Sonntag hat Seehofer sie durch dieses

bewährte Kommunikationsmittel abermals an die steuerpolitischen Forderungen der CSU

erinnert, von der Wiedereinführung der Pendlerpauschale bis zur Anhebung des

Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer.

Nicht nur steuerpolitisch ist der bayerische Kabinettsbeschluss vom Dienstag als

Gedächtnisstütze für Frau Merkel ausgestattet: Fein säuberlich ist darin auch aufgelistet,

woran es im Investitionsprogramm der Bundesregierung aus Münchner Sicht fehlt. Eigentlich

müsste Seehofer gar nicht mehr als Gastredner nach Stuttgart fahren, um die CDU wissen zu

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lassen, was sie alles falsch macht; allerdings könnte Seehofer dann dort nicht in seiner Rolle

als Koalitionsherkules brillieren.

Mit drei Parteien in Koalitionen

Vorsorglich hat er schon daran erinnert, dass er sich in München und Berlin mit drei Parteien

in Koalitionen befinde - mit der CDU, der SPD und der FDP: „Ich muss pausenlos klären, wie

wir wo abstimmen. Das geht so nicht.“ Den Seufzer des „Wie-Wir-Wo“, das die Leitmelodie

seiner Regierungszeit werden könnte, stieß Seehofer im „Handelsblatt“ so heftig aus, als gäbe

es irgendwo eine Wunderkraft, die ihn von der FDP, der SPD, ja vielleicht sogar von der

CDU befreien könnte.

In Seehofers Klage schwingt auch mit, dass an diesem Freitag ein Rollenwechsel bevorsteht,

welcher der CSU noch größere Schmerzen bereiten könnte als die Geschwisterregelungen im

Erbschaftsteuerrecht und die Turbulenzen um die Bayerische Landesbank, deren Durst nach

frischen Milliarden wieder einmal tüchtig zugenommen hat.

Bayern wird sich im Bundesrat bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf, mit dem die

Aufgaben des Bundeskriminalamts erweitert werden sollen, der Stimme enthalten; die CSU

hat sich den Bedenken der FDP beugen müssen. Beim Schutz der inneren Sicherheit immer

ganz vorne - ein Transparent mit dieser Losung hatte die CSU immer möglichst hoch

gehalten; an diesem Freitag muss sie es im Bundesratsgebäude möglichst unauffällig in einer

Ecke abstellen.

Eine mittlere vorweihnachtliche Depression dürfte sich für Seehofer nur durch volle

Konzentration auf den Sonntag vermeiden lassen, wenn er im Cuvilliés-Theater das britische

„Pomp and Circumstance“ bayerisch einfärben darf, mit einem weiß-blauen „Land of Hope

and Glory“.

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FAZ.NET (26.11.08), Inland Politik

„Kofferbomber“ hofft auf Freispruch

Eigentlich hätte Jussif al Hajj Dib schon vor zwei Wochen sein Schlusswort sprechen sollen.

Doch weil die Verteidiger des 24 Jahre alten Libanesen neue Beweisanträge einreichten, zog

sich der Verhandlungstag zu sehr in die Länge. Zwar lehnte der von Richter Ottmar Breidling

geleitete Senat am Oberlandesgericht Düsseldorf die beantragte Ladung weiterer Zeugen ab -

zum Schlusswort kam es trotzdem nicht. Denn vor Präsentation seiner wahrscheinlich letzten

Worte in Freiheit wollten Hajj Dibs Anwälte dessen vorbereiteten Text noch einmal mit dem

Angeklagten durchgehen.

Heute aber, nach mehr als fünfzig Verhandlungstagen im so genannten „Kofferbomber“-

Prozess, soll es wirklich soweit sein. Bereits zu Beginn des im Dezember 2007 begonnenen

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Prozesses war das im nordlibanesischen Tripoli aufgewachsene jüngste von 13 Geschwistern

in einer persönlichen Erklärung in Erscheinung getreten.

Zweifel an der Richtigkeit der Tat

Den Vorwurf der Bundesanwaltschaft (BAW), seinen mutmaßlichen Komplizen Jihad Hamad

zum Anschlag auf zwei nordrhein-westfälische Regionalzüge im Juli 2006 gedrängt zu haben,

wies er zurück. Die BAW geht davon aus, dass den Bombenbauern lediglich ein

handwerklicher Fehler unterlief oder sie nicht imstande waren, das richtige Gasgemisch

herzustellen. Hajj Dib habe Hamad zu der Tat inspiriert.

Hajj Dib behauptet das Gegenteil: Nicht er, sondern der im Libanon zu zwölf Jahren Haft

verurteilte Hamad sei die treibende Kraft hinter dem gescheiterten Anschlag gewesen. Weil

ihm mehr und mehr Zweifel an der Richtigkeit der Tat gekommen seien, habe er sich im

letzten Moment gegen die Beimischung von Sauerstoff in zwei Propangasflaschen

entschieden - die Bomben hatten also gar keine Chance zu explodieren. So sei der Mord an

Dutzenden Menschen verhindert worden.

Schutzbehauptungen und Attrappen

Über Monate hinweg hatten die beiden Libanesen in Hamads Kölner Wohnung die Flaschen

präpariert, die sie am 31. Juli 2006 in zwei Rollkoffern platzierten. Noch während die

Regionalzüge vom Kölner Hauptbahnhof Richtung Koblenz und Neuss unterwegs waren,

begaben sie sich über Istanbul und Damaskus auf die Flucht zurück in die Heimat: Dass die

Bomben nie explodierten, habe ihn nicht überrascht - angesichts des fehlenden Sauerstoffs sei

das gar nicht möglich gewesen, sagte er bei seiner letzten längeren Einlassung Anfang des

Jahres.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) gab in ihrem Schlussplädoyer zu erkennen, dass sie das

gänzlich anders sieht. Um eine „Schutzbehauptung“ handele es sich bei Hajj Dibs Erklärung,

die Bomben seien lediglich als „Attrappen“ konstruiert worden, um die Öffentlichkeit zu

erschrecken. Ziel war in Wirklichkeit die Tötung möglichst vieler Menschen gewesen, das

Strafmaß entsprechend hoch anzusetzen: lebenslang. Auch Richter Breidling ließ bereits

durchblicken, dass er der Argumentation der Verteidigung nicht zu folgen bereit ist.

Ob es Hajj Dib in seinem Schlusswort gelingt, den als „Hardliner“ verschrienen Richter von

seiner vermeintlichen Unschuld zu überzeugen, ist fraglich. Das Urteil setzte er nach etlichen

Verschiebungen nun auf Donnerstag nächster Woche an. Und da an den vergangenen beiden

Verhandlungstagen selbst bislang unzugängliche polizeiliche Vernehmungsprotokolle

Hamads in libanesischer Haft Eingang in das Verfahren fanden, stehen die Chancen gut, dass

der „Kofferbomber“-Prozeß ein Jahr nach seinem Beginn tatsächlich zu Ende geht.

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Süddeutsche.online (29.11.08), Wirtschaftspolitik

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Im Weltwirtschaftsgewitter

Marx ist aktuell: Er beschrieb die Gesellschaft, in der wir heute leben - die jetzige

Finanzkrise eingeschlossen.

Ende der siebziger Jahre wurde in Westberlin eine Postkarte feilgeboten. Unter dem Konterfei

von Karl Marx standen die ironischen Worte "Knapp daneben ist auch vorbei". Gemeint war

damit, dass der Marxismus einpacken könne; schließen konnte man, dass jene, die ihm immer

noch das Wort redeten, sich bitte bald packen sollten.

Als das Sowjetreich untergegangen war, brachte der Historiker Francis Fukuyama eine These

unter die Leute, die weniger geistreich, dafür aber eingängiger war: Der Kapitalismus habe

nun ein für alle Mal gesiegt, die Geschichte sei zu Ende, denn zu anderem als dem

Kapitalismus sei die Welt nicht bestimmt. Diese Behauptung war ungefähr so tiefsinnig, wie

es ist, wenn ein Tyrann sich in die Brust wirft und schmetternd verkündet, er sei der Stärkste.

"Das Kapital" statt Religion

Wer auf der Suche nach ehernen Gesetzen ist, die die Geschichte lehrt, kann bei Fukuyama

fündig werden: Eine so steile und gleichzeitig so banale These wie die seine konnte nicht

lange Bestand haben. Mit Fukuyamas Diktum wollen die Leute sich heute nicht mehr

abfinden - es ist längst historisch geworden. Schon bevor die Finanzkrise über die Welt

hereinbrach, waren die Schriften von Marx in Deutschland wieder gefragt.

Hartz IV und die Angst brachten die Leute dazu, die bestehenden Verhältnisse nicht fraglos

hinzunehmen. Und wenn die Individuen sich über den Kapitalismus hinaus für andere

Gesellschaftsentwürfe interessieren, wenn sie zu Citoyens werden, kann von einem "Ende der

Geschichte" keine Rede sein. Es gibt - wie einst in den sechziger und siebziger Jahren - kleine

Lesezirkel, die versuchen, Marx' Gesellschaftsanalyse zu verstehen.

In früheren Jahrhunderten wandten die Menschen sich in Krisenzeiten der Religion zu.

Heutzutage lesen sie auch "Das Kapital". Und wenn sie es nicht lesen, dann berufen sie sich

darauf. Als Finanzminister Peer Steinbrück neulich schlechter Laune war, erklärte er, Marx'

Krisentheorie sei doch nicht ganz falsch.

Jetzt bekommen all jene Recht, die immer gesagt haben, dass Marx nicht auf den Müllhaufen

der Geschichte gehört. Aber was genau ist es, was heute noch gilt? Der Historiker Eric

Hobsbawm hat 1998 für eine Neuausgabe des "Kommunistischen Manifests" ein Vorwort

geschrieben, in dem er darlegt, dass Marx eigentlich erst seit dem Ende des 20. Jahrhunderts

wirklich aktuell sei.

"Produktivität" ist das Zauberwort

Im 19. Jahrhundert war die Weltwirtschaft noch nicht besonders entwickelt, die einzelnen

Nationalökonomien konnten ihre Rechnungen ohne Rücksicht auf das Ausland machen. Erst

die Revolutionierung des Transport- und Verkehrswesens nach dem Zweiten Weltkrieg, so

Hobsbawm, habe eine "kosmopolitische" Wirtschaftsgestaltung möglich gemacht.

Entscheidend sei, dass die durch den Kapitalismus veränderte Welt, die Marx 1848 "mit

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düsterer, lakonischer Eloquenz beschreibt, unübersehbar die Welt ist, in der wir 150 Jahre

später leben".

Aber das wollte 1998, als neoliberale Theorien die Köpfe beherrschten, so gut wie niemand

hören. Als eine Ironie der Geschichte bezeichnete es der Soziologe Oskar Negt in seiner

Abschiedsvorlesung 2003, dass in einer Zeit, da "der Kapitalismus Triumphgesänge über alle

Alternativen anstimmt, das Kapital erstmalig in der modernen Welt genau so funktioniert, wie

Marx es in seinem 'Kapital' beschrieben hat".

Wer verstehen will, wie Geschichte abläuft, ist seit jeher gut damit bedient gewesen, Marx in

Betracht zu ziehen. Man darf "Moden" nicht mit "Fortschritt" verwechseln. Fortschritt im

Sinn der Wohlfahrt der Menschen ließ sich jahrhundertelang am Bevölkerungszuwachs und

an der Steigerung des durchschnittlichen Lebensalters messen. Beides hängt davon ab, wie

produktiv die Ressourcen verwendet wurden, zu denen auch die menschliche Arbeitskraft

gehört.

19

Süddeutsche.de (06.12.08), Geld

Der Null-Komma-nix-Kredit

Mit ihrem 0,0-Prozent-Kredit ist die SEB Bank scheinbar in vorweihnachtlicher Stimmung.

Doch letztlich entpuppt sich das Kreditangebot nur als Marketing-Gag. Von Marco Völklein

Klar, es ist Advent. Da verschenkt man gerne mal was. Offenbar auch Banken. Die SEB Bank

mit Sitz in Frankfurt zum Beispiel, eine Tochter der schwedischen SEB. Die offeriert vom

kommenden Montag an eine Woche lang einen Kredit für 0,0 Prozent effektiven Jahreszins.

Anlass dafür ist das "Lichterfest zu Ehren von St. Lucia", das die Schweden traditionell am

13. Dezember feiern, teilt die Bank mit. "Wir wollen unseren Kunden ein vorweihnachtliches

Geschenk machen", sagt eine SEB-Sprecherin. Zugleich sei der Null-Zins-Kredit aber

natürlich auch "ein Weg zur Neukundengewinnung".

Ähnlich sieht es Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg: "Das ist

ein Marketing-Gag - mehr nicht." Denn begrenzt ist das Darlehen auf 2000 Euro, bei einer

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Laufzeit von zwölf bis 24 Monaten. "Die Banken lassen sich viel einfallen, um neue Kunden

zu sich zu ziehen."

Außerdem gibt es den Kredit nicht online, sondern nur in den bundesweit 174 SEB-Filialen.

"Die Bank will das Beratungsgespräch nutzen, um dem Kunden nicht einen Kredit über 2000,

sondern vielleicht über 10.000 Euro zu verkaufen", sagt Nauhauser. "Cross-Selling" heißt das

im Fachjargon. Nauhauser: "Die Banken setzen natürlich darauf." Für jeden Darlehens-Euro

über der Marke von 2000 Euro, den der Kunde aufnimmt, fallen bei der SEB Bank effektive

Jahreszinsen zu einem Satz ab 4,49 Prozent an. Diese werden bonitätsabhängig berechnet.

Bonitätsabhängig heißt, dass auch deutlich höhere Zinsen für den Kunden möglich sind -

nämlich dann, wenn die Bank seine Kreditwürdigkeit niedrig einstuft. Wird dann auch noch

eine Restschuldversicherung verkauft, "sind auch mal zehn Prozent und mehr drin", sagt

Georg Tryba von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Zumal man sich ohnehin bei

Krediten stets fragen sollte, ob man das Geld zurückzahlen kann.

Ganz ausgefuchste Sparer könnten allerdings auf die Idee kommen, den 2000-Euro-Kredit zu

nehmen, das Geld auf ein Tagesgeldkonto zu legen und die Zinsen einzustreichen. Doch auch

davon rät Finanzexperte Nauhauser ab. Bei einem Tagesgeldkonto, das mit drei Prozent

verzinst wird, käme nach einer Laufzeit von zwölf Monaten am Ende ein Zinsertrag von rund

30 Euro zusammen - die Tilgung des Kredits mit eingerechnet. "Ein Pfennigfuchser sollte sich

da mal den Stundenlohn ausrechnen", sagt Nauhauser. Schließlich müsse sich der Sparer auch

beim Beratungsgespräch vom Bank-Mitarbeiter bearbeiten lassen.

Vor eineinhalb Jahren hatte die SEB Bank eine ähnliche Aktion gestartet - damals zum

schwedischen "Midsommar-Fest" am 22.Juni. Auch damals gab es den Null-Komma-nix-

Kredit für 2000 Euro Darlehenssumme. Die Aktion habe der SEB viele Neukunden gebracht,

sagt die Sprecherin. Zahlen nennt sie zwar nicht. Aber: "Auch das Cross-Selling war sehr

erfolgreich." Aha.

22 Bild.de (29.01.09), Vermischtes

INZEST-MONSTER FRITZL ALS

STUDIENOBJEKT

„Sie sollen in die Abgründe meiner Seele blicken“

Ist das pervers! Inzest-Monster Josef Fritzl (73) sonnt sich in seiner zweifelhaften

Berühmtheit, arbeitet an seiner „Unsterblichkeit“ als Verbrecher.

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Der Mann, der seine heute 43-jährige Tochter Elisabeth 24 Jahre lang in einem Kellerverlies

gefangen hielt, 3000 Mal vergewaltigte, mit ihr sieben Kinder zeugte (und eines davon im

Ofen verbrannte), will sich jetzt der Wissenschaft als Studienobjekt zur Verfügung stellen.

Er will sich nach seinem Prozess im März in seiner Zelle von den besten Psychiatern

und Profilern befragen lassen: „Damit sie Einblicke in die tiefsten Abgründe meiner

Seele bekommen – und daraus für künftige Kriminalfälle lernen.“

Das Monster hat sich auch schon zurechtgelegt, wer ihn interviewen darf. Natürlich nur

Österreichs Beste: Seelenforscher Reinhard Haller (schrieb „Die Seele des Verbrechers“) und

Profiler Thomas Müller („Bestie Mensch“).

Ein Teil von Fritzls abgründiger Seele ist aber schon enthüllt. Eine Gerichtsgutachterin

hat für den Prozess bereits auf 130 Seiten ein Psychogramm des Inzest-Monsters erstellt.

Die Psychiaterin: „Er ist wie ein Vulkan. Er fühlt sich zerrissen und hat festgestellt, dass er

eine bösartige Ader hat, eine kaum mehr einbremsbare Flut an destruktiver Lava.“ Josef

Fritzl: „Ich bin zur Vergewaltigung geboren. Ich habe ihr (seiner Tochter, Anmerkung d.

Red.) beim Sex nie ins Gesicht gesehen... Ich habe ihr ja nur so viele Kinder gemacht, damit

sie immer bei mir bleibt, weil sie ja als sechsfache Mutter für andere Männer nicht mehr

attraktiv ist.“

Laut Gutachterin ist Fritzl zwar „krank“, aber trotzdem „voll zurechnungsfähig“, ein

möglicher Wiederholungstäter.

Künftig sind bei Fritzl wohl Langzeitstudien möglich, denn das Inzest-Monster dürfte zu

lebenslänglicher Haft verurteilt werden...

23 Bild.de (29.01.09), Sport

Baby-Alarm beim „Tor-Tier“ (29/01/09)

ES BERICHTET ALEX V. KUCZKOWSKI

Francois Fortier (29) ist kein Mann der vielen Worte. Selten beantwortet er Fragen mit

mehr als zwei Sätzen. Es scheint, als bringe den Kanadier nichts aus der Ruhe. Fast

nichts. In diesen Tagen ist er so aufgeregt wie noch nie.

Fortier, das „Tor-Tier“ (mit nun insgesamt schon 103 Treffern Freezers-

Rekordtorschütze) kann‘s kaum erwarten, das erste Mal Papa zu werden.

Zwar ist bei seiner Marilyn erst am 10.2. Stichtag. Aber der Eis-Profi hat so eine Vorahnung:

„Die Ärzte sagen, es könnte jetzt jederzeit losgehen. Ich glaube, dass Kind kommt früher.

Vielleicht schon Freitag.“ Oha! Da müssen die Freezers abends in Nürnberg ran...

Baby-Alarm beim „Tor-Tier“.

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Was ist, wenn die Wehen tatsächlich am Spieltag einsetzen? „Dann mache ich mich sofort auf

den Weg zurück nach Hamburg. Ich möchte unbedingt bei der Geburt dabei sein. Vielleicht

miete ich mir ein Auto“, sagt Fortier, der sein Handy immer in der Nähe hat.

Wenn der Stürmer über seinen Nachwuchs redet, leuchten seine Augen. Plötzlich

sprudelt‘s aus ihm heraus: „Wir bekommen ein Mädchen.“

Das Kinderzimmer ist schon eingerichtet. Komplett in Pink. So wie es sich gehört.

Trotzdem stöberten Marilyn und „Fränkie“ (seit 8 Jahren ein Paar) gestern noch mal im

„Baby-Dorf“ in Sasel. Im Einkaufswagen landete letztlich ein Strampler – natürlich in Pink.

Die kleine Fortier kann kommen. Hoffentlich schafft‘s der Papa, dabei zu sein...

24

Zeit.online (17.02.2009), Energiesparen

Klimaschutz verloren im Koalitions-Dschungel

Von Marlies Uken | © ZEIT ONLINE 17.2.2009 - 08:07 Uhr

Klimaschutz bedeutet vor allem Energiesparen – das betont die Bundesregierung immer

wieder. Doch sie legt einen vermurksten Gesetzentwurf vor.

Das hatte sich der Freiherr wohl nicht träumen lassen. Kaum im Amt, muss sich

Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gleich mit einem Gesetz zur

Energieeffizienz beschäftigen – die Klimadebatte ist auch in seinem Haus angekommen.

Guttenbergs Vorgänger Michael Glos hinterlässt dem Neuen einen kruden Gesetzentwurf zu

dem Thema, voller kursiv gedruckter Änderungswünsche von Umweltminister Siegmar

Gabriel (SPD) und immer wieder mit der Anmerkung, das Justizministerium melde Bedenken

an. Dabei soll das Gesetz per Hauruckverfahren noch in dieser Legislaturperiode durch die

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Instanzen gebracht werden, denn es ist seit knapp einem Jahr überfällig; ein Strafverfahren

der Europäischen Union droht.

Der sparsamere Einsatz von Energie ist eines der wichtigsten Anliegen der Bundesregierung.

In den richtungsweisenden Beschlüssen von Meseberg, getroffen 2007, nimmt die

Energieeffizienz neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien eine Schlüsselrolle beim

Klimaschutz ein. Die Europäische Union hatte schon 2006 eine Richtlinie vorgelegt, die von

den Nationalstaaten verlangt, sich einem nationalen Einsparziel zu verpflichten und - recht

sperrig formuliert – einen "Markt für Energiedienstleistungen" zu schaffen.

Doch von allen Seiten hagelt es nur Kritik am vorliegenden Entwurf. So werde das Gesetz

dem Thema auf keinen Fall gerecht, da müsse schon etwas Substanzielleres kommen, heißt es

unisono bei Grünen, Energieversorgern und Verbraucherzentralen. Der Bund für Umwelt und

Naturschutz (BUND) verlangt sogar, den Entwurf zurückzuziehen. "Er ist unzureichend und

widersprüchlich", sagt BUND-Energiefachmann Thorben Becker.

Einer der umstrittensten Punkte ist das Energie-Einsparziel, das sich Deutschland verordnen

soll. In dem Entwurf klafft an dieser Stelle eine Lücke, in einem Anhang spricht die

Bundesregierung davon, die Energieproduktivität bis 2020 im Vergleich zu 1990 verdoppeln

zu wollen. Ein absoluter Einsparwert an prominenter Stelle im Gesetz fehlt. "Die

Bundesregierung will Weltmeister bei der Energieeffizienz werden", sagt Becker, "sie sollte

sich auf eine Senkung um jährlich zwei Prozent des Endenergieverbrauchs festlegen".

Doch wie erreicht man dieses Ziel? Das Umweltministerium hat ganz konkrete Vorstellungen.

Es sind genau jene Passagen, die für Unmut in Guttenbergs Truppe sorgen. Unter anderem

sollen BP, Aral und andere Tankstellenbetreiber Autofahrern zukünftig Schulungen anbieten,

wie sie den Fuß vom Gaspedal nehmen können und effizienter fahren. Für die

Ordnungspolitiker im Wirtschaftsministerium ist dieser Plan ein Graus.

Zudem plant das BMU, E.on und andere Energieversorger, aber auch Kohle- und

Heizöllieferanten dazu zu verpflichten, bei ihren Kunden Effizienzprogramme durchzuführen

und sie über Energieeinsparungen zu informieren. Jährlich soll die gelieferte Menge an Strom

oder Heizöl so um ein Prozent sinken.

Noch ist aber unklar, ob das überhaupt umsetzbar ist. Schließlich haben die Energieversorger

wohl kaum ein Interesse daran, dafür zu werben, weniger Energie zu verkaufen. Der

Bundesverband Neue Energieanbieter, der Unternehmen wie Yello oder Lichtblick vertritt,

warnte schon in der Welt, es könne kaum sein, dass ein Stromkonzern dafür verantwortlich

gemacht werde, wenn der Kunde partout keine Energie einsparen wolle.

"Verfassungsrechtliche Bedenken" meldete auch das Justizministerium an.

Vor allem gegen das „betriebliche Energiemanagement“ in Unternehmen wehrt sich das

Wirtschaftsministerium. Doch gerade im produzierenden Gewerbe sieht das

Umweltministerium ein riesiges, bislang unerschlossenes Einsparpotenzial, etwa beim Einsatz

von Elektromotoren. Es will Betriebe dazu verpflichten, ihren Energieeinsatz zu

dokumentieren und kontinuierlich zu verbessern. Bis zu 100.000 Euro Strafe drohen nach

seinen Plänen, falls Energieversorger und Betriebe der Dokumentationspflicht nicht

nachkommen.

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Ob sich Gabriel und Guttenberg in den nächsten Tagen einigen, ist vollkommen unklar.

Guttenberg hat andere Baustellen – das HRE-Gesetz, den 100 Milliarden Euro schweren

Notfonds für Unternehmen. Und immer öfter zeigte sich in jüngster Zeit, wie schwer es der

Koalition fällt, sich überhaupt noch zu einigen. Ob das Energieeffizienzgesetz, wie

ursprünglich geplant, am Mittwoch im Kabinett diskutiert wird, wird deshalb immer

unwahrscheinlicher.

25 Bild.de (03.03.09), Sport

Vettel übt die Tank-leer-Taktik

Ist Sebastian Vettel (21) mit seinem Red Bull schon wieder liegen geblieben? Nein!

Diesmal war es Absicht.

Der Formel-1-Star testete gestern bei Regen-Chaos in Jerez (Spanien) heikle Rennsituationen.

Vettel zu BILD: „Wir haben geschaut, wie lange das Auto noch fährt, nachdem die

Tankanzeige mir gesagt hat, dass das Benzin alle ist.“

Der Sinn: Die optimale Einstellung der Sensoren.

Vettel: „Du musst als Fahrer in der Praxis wissen, ist da noch ein Liter im Tank? Schaffe ich

jetzt noch eine Runde? Manchmal sind ja wenige Meter entscheidend.“

All das soll den Red Bull perfekt auf das erste Rennen am 29. März in Melbourne

einstellen. Vettel fuhr gestern von sieben Fahrern (Schnellster war Timo Glock im

Toyota) nur die fünftbeste Zeit. Dafür legte er insgesamt 102 Runden (449 km) zurück.

Mehr als eine Renndistanz.

26 Bild.de (03.03.09), Sport

Jetzt gegen Sushi-Boxer

Premiere für unseren Mittelgewichts-Champ Felix Sturm: Erstmals bekommt der

WBA-Weltmeister aus dem Universum-Stall einen „Sushi-Boxer“ serviert.

Am 25. April verteidigt Sturm (30) in Krefeld (live, ZDF) seinen Titel gegen den

ungeschlagenen Japaner Koji Sato (28). Der Samurai aus Tokio siegte in allen 14 Kämpfen,

13 Mal durch K.o. Eine starke Quote von 92,8 Prozent.

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Sato belegt bei der WBA Platz 14, der WBC führt den Normalausleger auf Rang 6.

Zuletzt siegte Sturm (31 Siege, 2 Niederlagen, 1 Remis) in seiner Pflichtverteidigung

gegen Sebastian Sylvester.

27 Bild.de (03.03.09), Sport

Silber-Ulrike hatte Löcher in den Lungen VON MICHAEL WINDISCH

Endlich die ersten Medaillen: Zweimal deutsches Silber bei der Nordischen Ski-WM in

Liberec/Tschechien!

Kombinierer Tino Edelmann (23, Zella-Mehlis) wurde Zweiter hinter Todd Lodwick (USA).

Vorher flog Ulrike Gräßler (21, Klingenthal) ins Glück – Platz 2 im Skispringen.

Genoss den Platz auf dem Treppchen: Ulrike Gräßler, die bei der WM-Premiere der

Skispringerinnen auf Platz 2 landete

Die angehende Polizistin Gräßler: „Ich bin überglücklich. Es ist schwer, das alles zu

begreifen.“

Denn Gräßler musste ihre Karriere schon fast beenden, bevor sie überhaupt begann. „2001

wurde bei mir ein Loch in der Lunge diagnostiziert. 2005 passierte das plötzlich auf der

anderen Seite. Die Ärzte sagten mir, ich darf keinen Sport mehr machen.“

Aber Ulrike gab nicht auf, ließ sich operieren und kam zurück. „Das war damals keine leichte

Zeit für mich. Umso schöner ist die Medaille jetzt.“

Im Langlauf über 15 Kilometer wurde Tobias Angerer (Vachendorf) als bester Deutscher

Achter.

29 Süddeutsche.de (26.04.09), Wissen

Ärzte warnen vor „Wartelisten-Medizin“

Deutschland hat zwar immer mehr Ärzte - doch die Zahl der Kranken steigt schneller. Die

Folge: Es fehlt in vielen Regionen und Fachgebieten an Medizinern

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Trotz steigender Ärztezahlen wird einer neuen Analyse zufolge der wachsende Bedarf immer

weniger gedeckt. "Wir bewegen uns auf eine Wartelisten-Medizin zu", sagte der

Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, am Dienstag.

Allein 2008 stieg die Zahl der berufstätigen Ärzte nach Daten der Analyse, die von der

Kassenärztlichen Bundesvereinigung erstellt wurde, um 1,5 Prozent auf 319.697. Seit 1991

wuchs sie um mehr als 30 Prozent. Trotzdem verringerte sich die von allen Ärzten zusammen

geleistete Arbeitszeit seitdem um 1,6 Prozent, wie KBV-Experte Thomas Kopetsch sagte.

Er erklärte dies unter anderem damit, dass es immer mehr Ärztinnen gibt und Frauen im

Schnitt geringere Arbeitszeiten haben. Außerdem schlage der allgemeine Trend zur

Arbeitszeitverkürzung auch bei den Medizinern durch.

Gleichzeitig wächst der Bedarf. "Die Expansion des Möglichen in der Medizin führt zu einem

deutlich erhöhten Ärztebedarf", sagte Kopetsch. Zum Beispiel gebe es erst seit dem ersten

Retortenbaby von 1978 Bedarf an In-Vitro-Fachleuten. Auch spezialisieren sich die

Mediziner immer stärker. 1924 gab es der Analyse zufolge nur 14 unterschiedliche

Fachgruppen, heute sind Mediziner mit 160 verschiedenen Fachbezeichnungen am Markt.

Darüber hinaus schlägt dieser Analyse zufolge bereits die Demografie durch. Machten 1991

die Über-60-Jährigen 20,4 Prozent der Bevölkerung aus, so lag der Anteil 2007 bereits bei

25,3 Prozent - ein Zuwachs um ein Fünftel. Ab 60 nimmt statistisch gesehen der

Behandlungsbedarf stark zu. Er liegt bei 326 Prozent dessen, was Unter-60-Jährige benötigen,

wie Kopetsch sagte.

Auch Patienten spürten den Ärztemangel bereits, sagte Montgomery.

Sie beklagten Wartezeiten und kämen schwieriger an Termine für hochspezialisierte

Angebote. In den Krankenhäusern seien in vielen Abteilungen 20 bis 50 Prozent der Stellen

unbesetzt. Mangel gebe es auch auf dem Land, nicht nur in den neuen Ländern.

Seien noch vor zehn Jahren Tausende Mediziner arbeitslos gewesen, so verzeichne man nun

"Traumarbeitslosenraten" von nur ein bis zwei Prozent. Rund 1000 Mediziner pro Jahr

verliere man unter dem Strich an das Ausland, sagte der Kammervizepräsident.

Montgomery appellierte an die Politik, die Bedingungen für Ärzte zu verbessern. Moderne

junge Menschen seien nicht mehr bereit, ihren Lebensstil dem Beruf unterzuordnen und

Überstunden ohne Ende zu leisten. Nötig seien mehr Stellen in Krankenhäusern und eine

bessere Vergütung, bessere Honorare für niedergelassene Ärzte sowie flankierende

Maßnahmen wie Entlastung von Bürokratie oder Ausbau von Kinderbetreuung, sagte er.

Die gerade von Ärzten und Kassen vereinbarte Nachbesserung der Honorarreform kritisierte

Montgomery. Es handele sich nur um eine Umverteilung: Einigen Ärzten werde mehr

gegeben, anderen etwas weggenommen. Nötig sei jedoch mehr Geld. Eine Summe wollte er

jedoch nicht nennen. Auch der zusätzliche Bedarf an Ärzten in den kommenden Jahren sei

noch nicht zu beziffern. Man stehe erst am Anfang der Analyse. Nötig sei mehr

Versorgungsforschung, sagte Montgomery.

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30 Zeit Online (26.04.09), Kolumne

Tolle Bilder aus Eurobama

Der neue US-Präsident hat für die Woche der Gipfeltreffen die Show geliefert, die Europäer

die Kulisse. Und schon scheinen alle Probleme lösbar zu sein

Prag ist eine wunderschöne Stadt. Doch wo liegt sie? Im Schatten des Prager Hradschin

träumte der amerikanische Präsident von einer atomwaffenfreien Welt, und 30.000 Menschen

jubelten ihm zu. Die Rede galt also der Welt, der Jubel dem Mann aus der großen, weiten

Welt, und die Bilder und Worte der Beobachter gingen auch rundum die Welt.

Europa? Kein Thema, diesmal nicht. Aber war da nicht was, hatten sich die tschechischen

Spitzenpolitiker nicht gerade noch wegen der Zukunft Europas heillos zerstritten, hatte nicht

der geschasste Ministerpräsident des Landes eben noch den europäischen Ratspräsidenten

gemimt?

Überhaupt: Endete an diesem Sonntag in Prag schon die Europa-Reise von Barack Obama –

oder nicht erst in der Hauptstadt der Türkei, das Obama nur zu gern in der Europäischen

Union sähe, sehr zum Verdruss des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und auch

Angela Merkels?

Weltwirtschaft, Nato, Nuklearwaffen, es ging bei Obamas erster Präsidentenreise in die alte

Welt um die Umrisse einer neuen – also nicht um Europa. Doch auch wieder nur darum, ohne

diesen amerikanischen Präsidenten wird die Europäische Union ihre eigene Zukunft nicht

gestalten können. Und er die eigene nicht ohne die Europäer.

Das ist nicht neu, weshalb auch weniger der EU-US-Gipfel von Prag die Akzente setzte als

der Londoner G-20-Gipfel – die Umrisse einer neuen Welt wurden dort deutlich sichtbar, mit

Russen und Chinesen, Saudis und Mexikanern, Indonesiern und Brasilianern. Was im Fußball

längst Alltag ist, es findet in der Politik erst jetzt statt: Weltmeisterschaft, jeder mit jedem auf

gleicher Augenhöhe, jeder gegen jeden nach Spielplan, nur dass es in der Politik am Ende

nicht den einen Sieger geben wird und darf.

Selbst in den Jahren mit oder vielmehr gegen George W.Busch waren Gipfeltreffen zwischen

Amerikaner und Europäern immer routineverdächtig. Um so mehr dieses Mal, als das grelle

Welt-Licht aus London alles andere in den Schatten stellte. Was dort wortgewaltig erklärt und

versprochen wurde, kann jedes Prager Schlusskommuniqué nur blässlich wirken lassen.

Macht nichts, diesmal nicht. Zumal von der T-Frage abgesehen kaum Kontroversen

aufbrachen. Und überhaupt, warum soll sich ein Amerikaner in Prag nicht für die Türkei als

EU-Mitglied stark machen dürfen, wo doch das etliche EU-Mitglieder ihrerseits auch tun,

selbst wenn Paris und Berlin oder Wien das anders sehen?

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Aufs Ganze gesehen, war diese bilderselige und farbenfrohe Europareise von Barack Obama,

am Freitag Buckingham Palace, am Samstag Baden-Badener Casino, Sonntag Prager Burg,

ziemlich überraschungsfrei. Das Londoner Treffen erbrachte jene Einigkeit, die sich und uns

der Präsident vorab versprochen hatte; der Sechzigste der alten Tante Nato verlief

harmonisch, selbst die erwarteten Demonstranten konnten daran nichts ändern.

Auch das angedrohte türkische Veto gegen einen dänischen Nato-Generalsekretär in spe

nicht; der jährliche EU-US-Gipfel schließlich verlief wie die Fortsetzung einer

liebgewordenen Gewohnheit. Mit der Türkei muss, mit Russland kann weiter geredet werden,

über den nächsten Nato-Generalsekretär oder über eine atomwaffenfrei Welt. Die Welt ist

darum noch lange nicht im Lot, aber die Dinge sind im Fluss, und das in die richtige

Richtung.

Das alles ging nicht von selbst, Reden hat manchmal geholfen, vor allem aber die richtige

Geste am rechten Ort, hierin erwies sich der neue US-Präsident als Meister aller

Kommunikationsklassen. "Obama küsst Deuschland", titelte die Bild-Zeitung ganz begeistert,

"Obama küsst Europa" wäre auch nicht falsch gewesen.

Der eine war die Show, die anderen illuminierten die Kulissen. Wem das der Harmonie zuviel

gewesen ist, zumal kamerareif inszeniert, der mag sich damit trösten, das die gewaltigen

Aufgaben dieser Zeit sich leichter anpacken lassen, wenn wenigstens die Stimmung perfekt

ist. Die gute Miene war die Message. Die ist in Europa bestens angekommen.

Für die in den Papierversionen gefundenen Artikel siehe nächste Seiten: