Konsens ist keine Meinung

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Studierende der Universität für Angewandte Kunst Wien, kuratiert von Gabriele Rothemann. Ausstellung im Foto-Raum, Wien vom 19. Jänner bis 17. Februar

Transcript of Konsens ist keine Meinung

Studierende der

Klasse Fotografie

~ Universität für angewandte Kunst Wien

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Konsens Nonsens

Kommunikation beruht bekanntlich ausschließlich auf Missverständnissen.

Kurz vor Weihnachten – das Kunstjahr läuft hochtourig – wurde ich gebeten,

eine kurze Reflexion zum Titel einer Ausstellung bereitzustellen. Nicht zu

den Werken, die mir unbekannt bleiben sollten, sondern bloß zum Titel der

Ausstellung. Der Titel ist Nonsens ist keine Meinung.

Eine Aufgabe, die ich nach kurzem Zögern annahm, bot doch Nonsens einen

bequemen Anhaltspunkt: ein paar Worte zur dadaistischen Tradition, zu Searle,

Wittgenstein und, falls nötig, zu Duchamp und Carnap. Freilich, ich hatte mich

verhört, wie sich in der schriftlichen Nachfassung herausstellte, die mit hartem

professionellem Zugriff noch am selben Tag erfolgte. Der Titel der Ausstellung

ist nicht Nonsens, sondern das rätselhafte Konsens ist keine Meinung.

Wer, denke ich durch Zusage in die Falle geraten, denkt sich so einen Titel

aus? Konsens ist keine Meinung formuliert eine These. Jede These, die ins

sprachliche Gewand einer Negation schlüpft – wie etwa: Die Welt ist keine

Scheibe oder Kunst ist nicht Selbstzweck – suggeriert, dass auch das Gegenteil

einen Wahrheitswert beansprucht.

Zweierlei ist dabei vorausgesetzt: 1. Dass irgendjemand einmal die gegenteilige

Behauptung aufgestellt hat (Welt ist Scheibe, Kunst ist Selbstzweck) und 2. dass

diese Behauptung Sinn macht, zumindest so viel Sinn, dass ihre Negation (keine

Scheibe, kein Selbstzweck) einen Erkenntnisgewinn verspricht.

Ernst Strouhal

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Aber was wäre dies im Fall von Konsens ist keine Meinung? Etwa: Dissens ist

keine Meinung. Oder: Konsens ist eine Meinung. Vor allem: Was ist denn gut an

einer Meinung? Auch Nazis haben ja eine Meinung. Ist es gut, wenn man keine

Ahnung hat, eine Meinung zu haben bzw. sie zu äußern? Schließlich: Haben

denn Künstler überhaupt eine Meinung? Meinen Künstler etwas? usw. usf.

An diesem Punkt breche ich ab und frage Inge Berdach, Enkelin des bekannten

österreichischen Schriftstellers. Sie schreibt mir:

„Ich verstehe Ihre Not.

Ihre Sätze gelten nicht in diesem Sprachspiel.

In Ihrem Sprachspiel ist ein Satz wie Konsens ist keine Meinung bedeutungslos.

Wie der schöne Satz: Osten klingt nach Primzahl.

Oder der schöne Satz: 17 ist links von blau.

Doch Sätze dieser Natur haben im Sprachspiel der Kunst ihr Existenzrecht.

Ihre Bedeutung kann die Kunst nur in ihrer eigenen Sprache erzählen.

In diesem Sprachspiel sind jedoch Ihre Sätze bedeutungslos.

Schweigen Sie also.

Fordern Sie die Leser einfach auf umzublättern.“

Blättern Sie um.

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A (Unbeteiligter) Eine Ausstellung der Klasse Fotografie von der Angewandten –

gibt es nur Fotos zu sehen?

Z (Beteiligter) Künstlerische Fotografie ist immer mehr als nur ein Foto – zu

sehen sind Konzepte, Objekte, Videos, Fotografien …

A  Eigene Entwürfe oder Found Footage?

Z  Beides. Seit Duchamp das Konsumieren als Möglichkeit neben dem Produ-

zieren legitimiert hat, ist die partielle Autorenschaft nicht mehr wegzudenken.

A  Straight oder Staged?

Z  Beides: Dokumentarfotografie, Inszenierungen, Re-Inszenierungen, Kom-

pilations, Modelle …

A  Und das Thema?

Z  Naturwissenschaften, Körper, Arbeit, Kindheit, Krieg, Alltagskultur und

Medienimmanentes: das Abbild, der Film, die Fotografie.

A  Eine you-tube-Kompilation, ein vorhangverhangenes Fenster, eine Mondfins-

ternis, ein unbelichteter Filmstreifen, eine 80er-Jahre-Party, eine Werkstatt,

ein schmelzender Eiswürfel, Geweihbretter, zwei Lineale, ein Tischbein, … eine

Arbeit heißt „0815“ … Wie geht das alles zusammen?

Z  „Harmonie ist kein erfolgreicher Stoff“, lässt Michael Dangl den Schauspieler

Kowalski 1 sagen.

A  Sie meinen, die Ausstellung wird eine Tragödie? [lacht]

Z  Ich meine, dass nicht die Ausstellung ausgestellt wird, sondern Werke von

23 KünstlerInnen, die ihre Arbeit auf ihre Weise verfolgen: Sie rekonstruieren

Geschichte, sie konstruieren Widersprüche, berechnen Bilder, kippen Bilder

in Abbilder oder geben Zufällen nach. Das Interessante an der Tragödie ist ja,

dass besondere Charaktere aufeinandertreffen und eine Ausnahmesituation

austragen.

Gespräch zwischen A und Z Ruth Horak

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A  Bei anderen Klassen gibt es einheitlichere Formulierungen, die eine stringente

Linie erkennen lassen.

Z  Sie haben dabei die historische Idee der Stilbildung durch den Meister im

Kopf?

A  Vielmehr das Medium, das ja von sich aus völlig heterogen ist. Die Fotografie

mit ihren tausenderlei Anwendungsgebieten, Stilen, Genres, Autorengruppen!

Z  So gesehen bietet die Ausstellung nur einen winzigen Einblick, was alles in

der Fotografie möglich ist …

A  Bemerkenswerterweise schafft es das New York Times Magazine auf einem

mindestens ebenso breiten Gebiet einen Konsens zu finden – seit 1927 kürt es

einen „Man of the Year“ … dieses Jahr ist es der Demonstrant!

Z  Sehen Sie sich doch die Liste der in den Vorjahren Auserwählten an, viel enger

kann ein Blickwinkel gar nicht sein – das fällt unter: Der Welt einen „Konsens“

aufs Aug gedrückt, für den sie ihre Meinung sicher nicht gegeben hat.

A  Also in Ihrem Sinne! Konsens ist keine Meinung.

Z  In der Kunst reicht es völlig, wenn der Konsens erst am Kunstmarkt eintritt,

wenn sich die Käufer einig sind: Das wollen wir haben! Aber bis dahin hat der

Konsens in der Kunst nichts verloren.

A  So ist es auch in der Politik: Zuerst eine Meinung, dann eine Gegenmeinung

und eine Diskussion, Widerstand, der Demonstrant – und wenn das mit genug

Aufmerksamkeit gelohnt wurde, dann Konsens.

Z  Oder Restriktionen in totalitären Regimen. Rückfall.

A  Dem sich die Avantgarde widersetzt …

Z  Und die Freiheit fordert …

A  … eine Meinung zu haben …

Z  Ohne Konsens.

1 Michael Dangl, Rampenflucht, Hörspielversion, 2011

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Tamara Rametsteiner

„Artemisia“ 2011

Barytprint, 73,5 * 115 cm

Selina de Beauclair

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„Skulptur (Tor)“ 2011

Unbelichteter 35 mm-Film, 8,5 m * 35 mm

Für die Arbeit „Skulptur (Tor)“ wird unbelichteter 35 mm-Film an der Wand

befestigt. Die Form ergibt sich aus der architektonischen Besonderheit des

Ausstellungsraumes. Der vorhandene Durchgang wird durch die Arbeit akzen-

tuiert und kann vom Besucher durchschritten werden. Die Arbeit bleibt für die

Dauer der Ausstellung bestehen und trägt die Information des Raumes – für

das menschliche Auge unsichtbar – in sich.

Emanuel Ehgartner

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„I like 2011. Hennes Wien und Mauritz Irgendwoher treffen sich

zufällig auf der Hafenpromenade in Barcelona. Lustig.“ 2011

C-Print, 72 * 72 cm

Jennifer Fasching

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„Three: An Inquiry into the Nature and Causes of the Value of Numbers“

Videoinstallation, 3 min

Jonas FeferleKonrad Strutz

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„25/27“ 2012

Installation

Im Zuge des Wiederaufbaus wurden 1953 die ursprünglich eigenständigen

Mietshäuser Nr. 25 und Nr. 27 zur Theresiengasse 25–27 zusammengelegt.

Die Installation dreier Flächen im Raum formuliert die einstige Teilung und

ihre Aufhebung. Die Fragmente ergänzen sich der geschichtlichen Bruchlinie

folgend zur Schnittfläche und durchstoßen die architektonische Hülle des

Ausstellungsraumes.

Nina SchuikiJonas Feferle

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„Donaukanal, Wien, 2. Bezirk“ 2008–2011

Pigmentprint, 96,7 * 80 cm

Johanna Therese Folkmann

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„I ruler the world. Ein Stück Holz macht einen auf Star“ 2011

Offsetdruck, 1189 * 841 mm (Din A0)

Laura Gaar

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„Square head next to the folder“ 2012

Maximilian Hochstaetter

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„Standard“ 2011

LED Leuchtschild, 15 * 30 cm

Peter Hoiß

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„Exit (if you want)“ 2011

Installation aus Fotopolymerdruck auf Bütten,

Aluminium, Spieltisch, Eisen und Samt

Irene Hopfgartner

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Bianca Larch

„Surrounded“ 2011

Pigmentprint, 120 * 94 cm

19

„There“ 2011

Video, 3:05 min

Hyo Lee

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„Kristalline Intelligenz. Intimität, Betrug, Unschuld“ 2011

Polyesterharz, Öl

Maria A. Mäser

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„Schwarzschild (Strudengau)“ 2011

Barytprint, 120 * 170 cm

Pia Mayer

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„Feel Good Ink“ 2011

Installation aus Karton, Teppich, Vorhangstoff, 150 * 80 * 120 cm

Video, 3:09 min

Philipp Pesserl

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„o.T. (Black Sea)“ 2010

Pigmentprint, 108 * 146 cm

Maximilian Pramatarov

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„Der fünfzehnte Juni“ 2011

Pigmentprint, 140 * 192 cm

Florian Raditsch

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„Schmelze“ 2011

Video, 60 min

Julia Rohn

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„o.T. (Konsens ist keine Meinung)“ 2011

Barytprint, 50 * 50 cm

Hessam Samavatian

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„Fenster“ 2011

C-Print, 112 * 120 cm

Rudolf Strobl

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„o.T. (umgedrehtes Tischbein)“ 2011

Holz und Filz, 72 * 5 * 5 cm

David Welsch

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„Person 1“ 2011

Pigmentdruck, 47,5 * 64 cm

Anna Werzowa

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„guided audio“ 2011

Audio-Files im mp3-Format

Neun künstlerische Soundprojekte werden mithilfe von Audio-Guides im

Ausstellungsraum präsentiert.

„136,10 Hz“ (Malin Walleser), „Der Kaiserschmarrn“ (Laura Gaar), „Die

Traumreise“ (Laura Gaar), „Wilhelm Seagull“ (Vera Christin Perl), „o.T. 2012“

(Clemens Schmiedbauer), „my home is“ (Julia Rohn), „Leierkastenmann“

(Philipp Pesserl), „o.T.“ (Anna Werzowa), „Klangräume 25–27“ (Nina Schuiki),

„Sirene“ (Asoo Khanmohammadi)

Laura Gaar, Philipp Pesserl, Asoo Khanmohammadi, Anna Werzowa, Clemens Schmiedbauer, Julia Rohn, Nina Schuiki, Vera Christin Perl, Malin Walleser

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Selina de Beauclair geboren 1974 in Wien (A)

Emanuel Ehgartner geboren 1986 in Vöcklabruck (A)

Jennifer Fasching geboren 1990 in Wien (A)

Jonas Feferle geboren 1983 in Oberpullendorf (A)

Johanna Therese Folkmann geboren 1975 in Bytom (PL)

Laura Gaar geboren 1986 in Graz (A)

Maximilian Hochstaetter geboren 1979 in Wien (A)

Peter Hoiß geboren 1977 in Schärding am Inn (A)

Irene Hopfgartner geboren 1986 in Bruneck/Südtirol (I)

Asoo Khanmohammadi geboren 1980 (IR)

Bianca Larch geboren 1986 in Rum (A)

Hyo Lee geboren 1983 in Seoul (ROK)

Maria A. Mäser geboren 1984 in Feldkirch (A)

Pia Mayer geboren 1980 in Mödling (A)

Vera Christin Perl geboren 1989 in Güssing (A)

Philipp Pesserl geboren 1987 in München (D)

Maximilian Pramatarov geboren 1979 in Sofia (BG)

Florian Raditsch geboren 1987 in Fresno (USA)

Tamara Rametsteiner geboren 1982 in Linz (A)

Julia Rohn geboren 1990 in Linz (A)

Hessam Samavatian geboren 1984 in Teheran (IR)

Clemens Schmiedbauer geboren 1988 in Wien (A)

Nina Schuiki geboren 1983 in Graz (A)

Rudolf Strobl geboren 1983 in Salzburg (A)

Konrad Strutz geboren 1979 in Ruden (A)

Malin Walleser (k.A.)

David Welsch geboren 1988 in Bregenz (A)

Anna Werzowa geboren 1987 in Wien (A)

Theresiengasse 25, 1180 Wien

geöffnet Mo, Mi, Fr 10 – 13 Uhr,

Do 13 – 18 Uhr und nach Vereinbarung

+43 (0) 676 517 5741

www.foto-raum.at

Diese Publikation erscheint im Rahmen der Ausstellung:

Konsens ist keine Meinung.

Studierende der Klasse Fotografie

Universität für angewandte Kunst Wien

19. Jänner – 17. Februar 2012

Kuratorin: Gabriele Rothemann

Leitung: Andra Spallart

Organisation: Marie-Therese Hochwartner, Monika Ottwald

Grafik: Christoph Fuchs

Titelbild: Christian Schlager

Texte: Ruth Horak und Ernst Strouhal

Lektorat: Melanie Gadringer

Realisiert mit der Unterstützung der Universität für

angewandte Kunst Wien und Andra Spallart

© 2012 bei den KünstlerInnen und AutorInnen

Selina de Beauclair

Emanuel Ehgartner

Jennifer Fasching

Jonas Feferle

Johanna Therese Folkmann

Laura Gaar

Maximilian Hochstaetter

Peter Hoiß

Irene Hopfgartner

Asoo Khanmohammadi

Bianca Larch

Hyo Lee

Maria A. Mäser

Pia Mayer

Vera Christin Perl

Philipp Pesserl

Maximilian Pramatarov

Florian Raditsch

Tamara Rametsteiner

Julia Rohn

Hessam Samavatian

Clemens Schmiedbauer

Nina Schuiki

Rudolf Strobl

Konrad Strutz

Malin Walleser

David Welsch

Anna Werzowa