Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie ...€¦ · Dentinogenesis imperfecta...

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Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde von Peter Gängler erweitert, überarbeitet Thieme 2005 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 13 593702 1 Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

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Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie

Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde

vonPeter Gängler

erweitert, überarbeitet

Thieme 2005

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 13 593702 1

Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Anomalien der Zahnentwicklung

Anomalien der Zahnzahl 62

Hyperdontie 62

Hypodontie 62

Anomalien der Zahnform 63

Prämolarisation 63

Molarisation 64

Schmelzperlen 64

Zwillingsbildung (Gemination) 64

Zahnverschmelzung (Konfusion) 64

Zahnverwachsung (Konkreszenz) 65

Dens invaginatus 66

Taurodontismus 66

Kronenzement 66

Therapieprinzipien bei Zahnformanomalien 66

Korrektur von Anomalien der Zahnformmit Komposits und Veneers 67

Direkte Kompositversorgung 68

Verblendschalen (Veneers) 69

Anomalien der Zahnhartsubstanzen 70

Hereditäre Dysplasien 70

Hypoplasien 72

Nichthypoplastische Zahnverfärbungen 75

Korrektur der Zahnfarbe –Bleichen vitaler Zähne 76

Indikation und Kontraindikation 76

Diagnostik 76

Bleichverfahren 76

Risiken und Nebenwirkungen 78

Prognose 78

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Gängler u. a., Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie (ISBN 3-13-593702-X) © 2005 Georg Thieme Verlag

Das auf dem langen Weg der Phylogenese entwickelteMuster der Odonto- und Parodontogenese hat zu einemkomplexen Induktionsmechanismus epithelialer und ek-tomesenchymaler Zellen geführt, der von der intrauteri-nen Entwicklung über die Stillperiode, die 1. und 2. Den-tition bis zum Beginn des 3. Lebensdezenniums abläuft.Während dieser langen Zahnentwicklungszeit des Men-schen können sich hereditär manifestierte ebenso wieexogene Störungen und systemische Erkrankungen aus-wirken, die zu Anomalien der Zahl, der Form und derHartsubstanzen der Zähne führen.

FEHLER UND GEFAHREN

Fehlbildungen der Zähne verlangen eine komplexeTherapie. Die Behandlung der Anomalien ist von ent-scheidender Bedeutung, da Regelwidrigkeiten derZahnzahl, -form und -stellung neben funktionellenauch psychische Auswirkungen haben können.

Entwicklungsstörungen sind nicht selten und bei ab-nehmender Kariesprävalenz bei Jugendlichen wird dieBedeutung von Anomalien für die zahnärztliche Tätigkeitzunehmen. Diese treten entweder lokalisiert auf, dann istdie Ursache auch in der Regel lokalisiert (z. B. Zahnzahl-anomalie im Bereich einer LKG-Spalte, Turner-Zähne mitHypoplasien oder Zementauflagerung auf Schmelz einesPrämolaren nach apikaler Parodontitis des vorangegange-nen Milchmolaren), oder sie sind symmetrisch verteilt,dann sind systemische Ursachen verantwortlich, die glei-

61Anomalien der Zahnentwicklung

lokale Ursachen

orales Epithel

a Zahl-Anomalien b Form-Anomalien c Struktur-Anomalien

Osteomyelitis Tumoren MilchzahntraumaParodontitis apicalis

Zahnleiste

Nichtanlage = Anodontie

Überproduktion = Hyperdontie

Unterproduktion = Hypodontie

Invaginations- = Prämolarisation,störungen Molarisation Mehrfachgebilde, Dens invaginatus sive evaginatus

Taurodontismus, Mikrodontie

Wurzelanomalien

hereditär = Amelogenesis sive Dentinogenesis imperfectaMineralstoffwechsel-störungen = Hypoplasie

Erythroblastose = Chlorodontie

Arzneimittel = Tetracyclin- verfärbungFluorintoxikation = Dentalfluorose

Zahnkeimschaden (Turner-Zahn)

hereditäre und systemische Ursachen

Abb. 3.1a–c Ätiologie der Anomalien der Zahnentwicklung. Die 3Anomaliegruppen entstehen zu jeweils typischen Zeiten der Zahn-entwicklung:

a Sprossung der Keime (Zahlanomalien).b Glockenstadium (Formanomalien).c Bildung der Zahnhartsubstanzen (Anomalien der Zahnhartsub-

stanzen).

Gängler u. a., Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie (ISBN 3-13-593702-X) © 2005 Georg Thieme Verlag

che Zahntypen auf beiden Seiten gleichmäßig betreffen(z. B. Verfärbung durch Tetracyclineinlagerung). Weil alleZahnanomalien erst mit der Eruption klinisch sichtbarwerden und die Störung mehrere Jahre zurückliegt, istes mitunter schwierig, die Ursache exakt zu klären.Treten mehrere Entwicklungsstörungen gleichzeitig auf,kann dies verschiedene Ursachen haben: Eine zugrundeliegende versteckte Störung kann verschiedeneSymptome verursachen, dann handelt es sich um einSyndrom (z. B. Epilepsie und gelber Zahnschmelz beiKohlschütter-Syndrom). Im Gegensatz dazu liegt eineSequenz vor, wenn eine übergeordnete Störung Folge-wirkungen hat, die als weitere Symptome erkennbar wer-den (z. B. mehrere unterschiedliche Deformationen kra-niofazial und an den Extremitäten als Folge einer Amnion-ruptur). Eine weitere Möglichkeit für das Zusammentref-fen verschiedener Symptome ist die Störung einesEntwicklungsfeldes (z. B. Zahnzahlanomalie bei Lippen-Kiefer-Gaumen-[LKG-]Spalte).

Anomalien der Zahnzahl

Martin J. Koch, Peter Gängler

MERKE

Anomalien der Zahnzahl beruhen auf Störungen derOdontogenese durch Über- bzw. Unterproduktion derZahnleiste. Die Zahnüberzahl ist in der Regel mitFormanomalien verbunden.

Die Zahnentwicklung wird durch komplexe genetischeInduktionsmechanismen gesteuert, um die normaleZahnzahl und -form zu erreichen. Diese Steuerung wirddurch eine Gruppe von Genen, den Homöobox-Genen,sichergestellt, die Transskriptionsfaktoren kodieren unddamit ihrerseits eine Steuerung anderer Gene überneh-men (Angaben zum jeweils aktuellen Wissensstand fin-den sich unter <http://bite-it.helsinki.fi>).

MERKE

Anomalien der Zahnzahl bewirken fast immer irregu-läre Zahnstellungen und/oder Störungen der Kiefer-relation.

Hyperdontie

Die Hyperdontie (Zahnüberzahl) ist imMilchgebiss durch-schnittlich bei 0,2–1% der Kinder anzutreffen.ÜberzähligeZähne sind bei Jungen häufiger als bei Mädchen und fastüberwiegend im Oberkiefer lokalisiert. Es sind vor allemzusätzliche Schneidezähne, die meist unilateral lokalisiertsind und eine reguläre Zahnform aufweisen.Die Zahnüberzahl kommt im bleibenden Gebiss häufigervor als im Milchgebiss. Exakte Prävalenzdaten sindschwierig zu gewinnen, da überzählige Zähne häufigdurch Verlagerung oder aus Platzgründen nicht durchbre-

chen. Durch gegenseitige Behinderung von Zahnkeimenbei der Eruption kann eine Zahnüberzahl klinisch sogarals verminderte Zahnzahl erscheinen.

PRAXISTIPP

Deshalb müssen Röntgen-Panoramaaufnahmenangefertigt werden, um die Zahnzahl beurteilen zukönnen.

Dies führt dazu, dass Studienpopulationen meist aus demselektierten Patientengut von Kliniken bestehen. Im per-manenten Gebiss findet man die Hyperdontie in rund2,5–3,5% und häufiger beim männlichen als beim weib-lichen Geschlecht, im Oberkiefer 8-mal so häufig wie imUnterkiefer. Bei rund der Hälfte aller überzähligen Zähnehandelt es sich um einen Mesiodens. Er bricht in 75% derFälle wegen Verlagerung nicht durch. Nach Mesiodentesstellen Paramolaren mit einer Morbidität von 0,1% undDistomolaren mit 0,1–0,3% die häufigsten überzähligenZähne dar. Im Zusammenhang mit Lippen-Kiefer-Gau-men-Spalten wird Hyperdontie wesentlich häufiger be-obachtet.Zu den Formen der Hyperodontie zählen:• Mesiodens: zapfenförmiger Zahn (Dens emboliformis),lokalisiert zwischen den oberen mittleren Schneidezäh-nen oder zwischen 1. und 2. Schneidezahn. Häufig brichter durch Verlagerung und/oder aus Platzmangel nichtdurch. Er kann bei genetischer Fixierung familiär ge-häuft auftreten. Die operative Entfernung des retinier-ten Mesiodens ermöglicht in der Mehrzahl der Fälle dieregelrechte Einstellung der permanenten Inzisivi.

• Paramolaren: zusätzliche, meist im Oberkiefer zwi-schen den 1. und 2. oder 2. und 3. permanenten Molarenlokalisierte, überwiegend einwurzelige Zähne.

• Distomolaren: überzählige Zuwachszähne, die distalder 3. Molaren lokalisiert sind. Paramolaren und Disto-molaren sind häufiger auch als zapfenförmige Zähne(Dentes emboliformis) angelegt. Durch ihre räumlicheAnordnung können sie imWurzelbereich mit den Mola-ren verwachsen (Dentes concreti). Wegen des erhöhtenKariesrisikos und aus kieferorthopädischen Gründenunterliegen sie der frühzeitigen Extraktion. Dabei istdie Gefahr der Verwachsung radiographisch in 2 Ebenenabzuklären.

• Kleidokraniale Dysplasie (Dysostosis cleidocranialis):Krankheitsbild, bei dem es zu multiplen überzähligenZahnanlagen kommt. Neben dem radiographischenNachweis der meist retinierten überzähligen Zahnan-lagen ist ein Defekt der Schlüsselbeine typisch, der esBetroffenen ermöglicht, die Schultern so weit nach vornzu führen, bis diese sich berühren.

Hypodontie

Eine Verminderung der Zahnzahl betrifft am häufigstenWeisheitszähne. Bei 10–35% der Individuen sind sie nichtangelegt, davon beiderHälfte derBetroffenenbeidseitig. Inder Reihenfolge der Häufigkeit der nicht angelegten Zähne

62 3 Anomalien der Zahnentwicklung

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folgen die unteren 2. Prämolaren (1–5%), die oberen seit-lichen Schneidezähne (0,5–3%), die oberen 2. Prämolaren(1–3%) und danach untere Schneidezähne (0,5%). Bei 50%der IndividuenmitHypodontie fehltmehr als nur ein Zahn.Die Hypodontie ist im Milchgebiss mit einer Häufigkeitvon 0,1–0,7% vergleichsweise seltener. Dort fehlen amhäufigsten obere seitliche und untere mittlere bzw. seit-liche Schneidezähne.Die frühe Diagnosestellung der Hypodontie und rechtzei-tige kieferorthopädische Intervention verhindert sekun-däre Schäden durch Zwangsbiss oder dysfunktionelle Ha-bits. Herausnehmbare kieferorthopädische Geräte könnendurch Einsatz von Prothesenzähnen zur Rehabilitationbeitragen.Die Oligodontie ist eine ausgeprägte Hypodontie mitmultiplen Nichtanlagen. Sie tritt meist in Verbindungmit Zahnformanomalien als Mikrodontie bzw. mit Zapfen-zähnen auf. Häufig liegen syndromale Störungen bei ekto-dermalen Dysplasien (am häufigsten die X-chromosomalrezessive anhidrotische Form), Incontinentia pigmenti(Abb. 3.2), Rieger-Syndrom oder Trisomie 21 vor. Nebender syndromalen Hypodontie kann sie auch isoliert fami-liär gehäuft auftreten.Die Anodontie als Nichtanlage aller Zahnkeime ist extremselten. Die zahnärztliche Versorgung erfolgt mit wachs-tumssteuernden Kinderprothesen.

Anomalien der Zahnform

Martin J. Koch, Peter Gängler

MERKE

Formanomalien entstehen durch Störungen der nor-malen Invaginationsabläufe während des Übergangsvom kappen- zum glockenförmigen Stadium derZahnentwicklung. Dabei kann eine Reduktion dernormalen Invaginationsleistung auftreten, die haupt-

sächlich zu emboliformen Zähnen führt. Andererseitsverursachen zusätzliche Invaginationen ein vielfälti-ges Bild von Formanomalien der Krone, die sich beiMigration der Hertwig-Scheide in der Wurzel fortset-zen können.

Die Reduktion der Kroneninvagination kopiert ein phylo-genetisch älteres Muster der Homodontie, während dieüberschießende Invagination bzw. Evagination in Rich-tung der phylogenetisch jüngeren Heterodontie erfolgt.Formanomalien sind genetisch fixiert, sie treten familiärgehäuft oder in Verbindung mit hereditären Syndromenauf. Die einzelnen Formen umfassen:• Prämolarisation• Molarisation• Schmelzperlen• Zwillingsbildung (Gemination)• Zahnverschmelzung (Konfusion)• Zahnverwachsung (Konkreszenz)• Dens invaginatus• Taurodontismus• Kronenzement.

Prämolarisation

Es handelt sich um eine Prämolarenform an Frontzähnen.Die fehlgesteuerte Invagination kann sich bei der Hert-wig-Scheide fortsetzen, sodass 2 Wurzeln entstehen kön-nen. Die Prämolarisation kann auch an der Wurzel alleinauftreten, wodurch eine normale Krone mit einer Doppel-wurzel verbunden ist.Ist der palatinale Höcker schmal in der mesiodistalen Aus-dehnung und krallenartig gebogen, wird er als Krallen-höcker (talon cusp) bezeichnet. Sehr selten finden sichsolche zusätzlichen Höcker auch vestibulär (Abb. 3.3). Siekönnen zu klinisch relevanten Okklusionsstörungen füh-ren, beim Einschleifen kommt es leicht zur Pulpafreile-gung. Krallenhöcker gelten als pathognomonisch für dasRubinstein-Taybi-Syndrom.

63Anomalien der Zahnform

Abb. 3.2 Zahnstatus bei Incontinentia pigmenti, charakteristischeFormveränderungen mit konischen Zahnkronen, Zapfenzähnen so-wie Hypodontie.

Abb. 3.3 Zusätzli-cher Höcker an derVestibularflächeeines Unterkiefer-Schneidezahns.

Gängler u. a., Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie (ISBN 3-13-593702-X) © 2005 Georg Thieme Verlag