Koordinatives Ergänzungstraining im ... · PDF file2 Glasauer, G. (2003) konnte das...

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    L. Nieber/ A. Thiel

    Koordinatives Ergnzungstraining im Nachwuchsleistungsvolleyball Zusammenfassung: Die Sportart Volleyball gehrt wegen der schnellen Ballwechsel auf engstem Raum zu den koor-dinativ anspruchsvollsten Spielsportarten. Um weitere Leistungsreserven im Volleyballtraining zu erschlieen, etabliert sich in den letzten Jahren ergnzend zum Technik-Taktik- und Spieltrai-ning immer mehr ein allgemeines und spezielles Koordinationstraining. Der vorliegende Beitrag kennzeichnet ausgewhlte theoretische Positionen, stellt ein eigenes Konzept fr die Integration eines systematischen Koordinationstrainings in den Nachwuchsleistungsvolleyball vor und gibt Empfehlungen fr dessen organisatorisch-methodische Umsetzung im Training. Abschlieend wird eine selbst entwickelte, im Aufbau befindliche bungsdatenbank vorgestellt, die kostenfrei auf der Website online gestellt ist.

    1. Einleitung

    Nach einer Analyse von Frhner/ Zimmermann (2007, S.21 ff.) gehren die deutschen National-teams im Volleyball der Leistungsgruppe 3 an. Gegenwrtig bewegt sich der deutsche Volley-ball mit deutlich aufsteigender Tendenz aus dem internationalen Mittelfeld heraus. Der Junioren WM Titel der Damen im Jahre 2009 untersttzt diesen Trend. Der vorliegende Beitrag soll am Beispiel eines systematischen Koordinationstrainings aufzeigen, wie noch weitere Reserven im Trainingsprozess erschlossen werden knnen, um diese gute Entwicklung besonders im Nach-wuchsleistungsvolleyball weiter zu forcieren. Das Koordinationstraining setzt sich in der Trainingspraxis des Volleyballs immer mehr als ei-genstndiges Trainingsmittel durch (vgl. Thiel, 2007, S.62). Dennoch hat es immer noch nicht die gleiche Bedeutung wie etwa das Konditionstraining. Dafr knnen zwei wesentliche Grnde an-gefhrt werden: Koordinative Trainingseffekte haben eine deutlich lngere Halbwertszeit als konditionelle. Sie zeigen sich erst nach mehreren Trainingsjahren, wirken aber z.T. weit ber die aktive Sport-lerlaufbahn hinaus. In einem fderalen Sportsystem sind solche Investitionen in die Zukunft al-lerdings schwer durchzusetzen, weil Vereine und Verbnde schon frhzeitig volleyballspezifi-sche Leistungen vorweisen mssen und sich daher nicht die ntige Zeit fr ein solches Training nehmen. Zum anderen mangelt es an bewegungswissenschaftlicher Grundlagenforschung die Metho-den des Koordinationstrainings empirisch zu belegen. Die langen Halbwertszeiten koordinativer Kompetenzen erfordern zudem Langzeitstudien, die in der sportwissenschaftlichen Forschung uerst rar sind.1 Solange diese Defizite bestehen, sollten die besten Erfahrungen der Praktiker im Sinne einer Meisterlehre verallgemeinert und systematisiert werden. Momentan gibt es in der Leistungs-sportpraxis unterschiedliche Auffassungen zum Koordinationstraining: Koordinative Kompetenzen sind wichtig. Ein eigenstndiges Koordinationstraining wird nicht praktiziert, weil es ber ein qualifiziertes Technik-Taktik- und Spieltraining mit abgedeckt wer-den soll. In den frhen Phasen des Nachwuchsleistungstrainings sind vielfltige Formen des Koordina-tionstrainings (Kleine Spiele, Lauf-ABC, gymnastische bungen, u.a.) zur breiten motorischen

    1 Bei experimentellen Fragestellungen, bei denen das zentrale und periphere Nervensystem involviert ist, sind die komplexen Zusammenhnge schwer abzubilden, so dass auf diesem Gebiet groe Untersuchungsdefizite bestehen. Die Entwicklung konditioneller Fhigkeiten sowie die Gestaltung physischer Belastungsprozesse dagegen sind seit vielen Jahrzehnten durch leistungsphysiologische Untersuchungen deutlich besser empirisch untermauert (vgl. Mar-tin, Carl & Lehnertz 1991)

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    - Afferenzsynthese - Abgleich mit motorischem/

    taktischem Speicher - Programmierung des Ablaufs - Zeitgewinn durch Antizipation

    Informations-aufnahme

    Informations-verarbeitung

    Bewegungs-/ Hand-lungssteuerung

    - selektiv, komplex - nicht bewutseins-

    pflichtig

    - Steuerung der Muskel- innervation - Reafferenzen - Handlungsausfhrung - Ergebnisspeicherung

    Entscheidung

    schnell richtig genau (und schnell)

    Abb.1: Handlungssteuerung im Sportspiel

    Grundlagenbildung unerlsslich. Sie orientieren sich auf allgemeine koordinative Fhigkeiten und sollen spter zugunsten des Technik-Taktik- und Spieltrainings in den Hintergrund treten. Nach unserer Auffassung lsst sich ein trainingsbegleitendes systematisches Koordinations-training in alle Etappen des Nachwuchstrainings integrieren.2 Das Ziel ist neben anfangs fhig-keits- und fertigkeitsorientierten Anforderungen in den spten Etappen des Nachwuchstrainings ein berpotential koordinativer Kompetenzen herauszubilden. Im Einzelnen geht es dabei um: - Die Erhhung der Effizienz des Technik-Taktik- und Spieltrainings, - die Verbesserung der Bewegungsqualitt und damit des energetischen Aufwandes. Somit wird

    eine weitere Steigerung quantitativen Belastungskennziffern mglich, - die Verbesserung der kognitiven Anteile der Spielkompetenz (insbesondere der Wahrnehmung und schnellen Entscheidung), - den Ausgleich koordinativer Defizite bei den im Volleyball begehrten bergroen Nachwuchs- spielern, - die Prvention von bertrainings- und Drop Out-Effekten, - die Strkung der Trainingsmotivation durch interessantes Neues.

    2. Zu einigen theoretischen Ausgangspositionen

    Die Trainingswissenschaft beschftigt sich mit der Analyse und Beschreibung der sportlichen Leistungen und Leistungsbedingungen bzw. voraussetzungen (vgl. Martin/ Carl/ Lehnertz 1991, S. 17). Sie leitet daraus Kennziffern und Handlungsanleitungen fr ein effizientes Training ab. Fr das Koordinationstraining sind nach Schnabel (1998, S. 42) folgende Prozesse von Bedeu-tung: - die afferente und reafferente Informationsaufnahme und aufbereitung (Afferenzsynthese), - die Programmierung des Bewegungsablaufes und die Vorhersage der Zwischen- sowie Ender-

    gebnisse (Antizipation), - das Abfragen des motorischen Speichers sowie der Speicherung der Ausfhrungs- und Korrek-

    turmuster, - die Realisierung der Steuerung und Regelung der Muskeln, - die Bewegungsausfhrung durch den Bewegungsapparat, - der Sollwert Istwert Vergleich. Vereinfacht dargestellt, ergibt sich fr Spielhandlungen im Volleyball mit seinen unter stndigem Zeit- und Przisionsdruck zu vollziehenden variablen Entscheidungsprozessen folgendes Bild (Abb. 1):

    2 Glasauer, G. (2003) konnte das fr die Sportart Basketball in einem Trainingsexperiment nachweisen.

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    Dabei wird mit steigender Spielkompetenz die Informationsaufnahme immer weniger bewusst-seinsabhngig und richtet sich zielgerichtet auf wenige Informationsbereiche, die sich fr die Lsung der betreffenden Spielsituation als besonders Erfolg versprechend erweisen. Durch einen schnellen Abgleich mit dem motorischen Speicher (insbesondere mit taktischen Handlungsalter-nativen) gelingt beim Experten ein schneller Handlungsentwurf mit einer hohen Erfolgswahr-scheinlichkeit (Antizipation der Fremd- und Eigenhandlungen). Das ermglicht ihm schnelle Ent-scheidungen und einen oft entscheidenden Zeitgewinn bei der Handlungsausfhrung. Die kom-plex simultan und sukzessiv verkoppelten Bewegungen sind nur der uerlich sichtbare Teil koordinativer Kompetenz. Hufig liegen im Sportspiel die Defizite bereits im Prozess der Infor-mationsaufnahme, weil dem weniger erfahrenen Spieler noch keine zielgerichtete und damit schnelle und relevante Informationsaufnahme gelingt. Fr den Trainingsprozess bedeutet das, in das Koordinationstraining auch immer bungen zur akzentuierten Entwicklung der Wahrneh-mung zu integrieren. Auf eine vereinfachte Kurzformel gebracht, geht es im Koordinationspro-zess um die hierarchische Aufgabenkonstellation: - Informationsaufnahme und -verarbeitung: schnell (selektiv) - Entscheidung: richtig (Erfolg versprechend) - Handlungsausfhrung: genau und schnell Koordinative Kompetenzen stehen in den einzelnen Etappen des Volleyballleistungstrainings in unterschiedlicher Verbindung zu technischen Fertigkeiten und taktischen Kompetenzen. Nach Zimmermann/ Schnabel/ Blume (2002) sollten im Anfangstraining die koordinativen Anforde-rungen allgemein und fhigkeitsorientiert und mit zunehmender Spezialisierung immer fertig-keitsorientierter gestaltet werden. Dadurch ergeben sich in den spteren Etappen des Nachwuchs-trainings trotz eigenstndiger Zielstellungen des Koordinationstrainings grere Schnittmengen zum klassischen Technik-Taktik-Training. Whrend es beim Techniktraining im Volleyball um den Erwerb neuer Fertigkeiten geht, die zu individuell optimierten Techniken ausgebaut und in typischen Handlungssituationen automati-siert werden, geht es im Koordinationstraining zunchst um die Schaffung breiter sensomotori-scher Grundlagen, spter um akzentuierte Variation und Erhhung verschiedener Informationsan-forderungen und Druckbedingungen und schlielich um gezieltes berpotential unter Beachtung der hochspezifischen Bewegungs- und Handlungsablufe. Gradmesser aller Bemhungen zum Koordinationstraining muss letztlich die Verbesserung der Spielkompetenz sein.

    Zum Kompetenzansatz des Koordinationstrainings

    Das Fhigkeitskonzept ist erstaunlicherweise immer noch das vorherrschende Modell in der Pra-xis des Koordinationstrainings. Besonders die Arbeiten von Hirtz (1997), und die Erweiterungen von Zimmermann/ Schnabel/ Blume/ (2002) haben Jahrzehnte die trainings- und bewegungswis-senschaftliche Diskussion mitbestimmt. Der Generalittsanspruch des Konzepts ist inzwischen widerlegt und fr den Bereich der Sportspiele hatte es von Anfang an seine Gltigkeitsgrenzen. In Anlehnung an das Kompetenzmodell der Psychologie entwickelte Hirtz (2002) das durch situ-ative und personale Faktoren bestimmte Konzept der motoris